Seine Mute. Bon Ludwig Annßhageu. Die meisten Leute meinten, der Sa nitätsrat habe sich gar keine Ideale tns Alter herüber gerettet und sei mit seiner Allerwellsseindschaft und seiner verletzenden Satire ein unausstehlicher Mensch. Andere mildere erin nerten an die tröstliche Nuß mit dem süßen Kern, wagten sich aber nicht ans Aufknacken. Wer ihn in seinem Junggesellenheim kannte wie ich da er für mich eine Abart der Gat tung Onkel war gestand ihm ein Ideal unbedingt zu: das lag im Mu sikalischen. Er lvar Geiger von be» trächtlichem Können. Er phantasierte aber auch auf dem Flügel oft eine Stunde lang als unumschränkter Be herrscher des Generalbasfes in Accord verbindungen und Stimmführungen von düsterem Reiz. Oder er harmo nisierte in wechselndem Satz ein Volts- oder Kirchenlied und zeigte, daß er seiner etwas scharfen und krä henden Stimme zum Trotz, auf dem Klavier zu singen verstand. Wer ihn unsere großen alten Choräle mit ihrer hinausreißenden, himmelandringenden Kraft spielen gehört, wußte, daß der alte Herr sich doch ein Ideal geret tet hatte. Aber das Höchste war ihm das Geigen zum Klavier. Ich kam dank dem Mangel an Fähigkeiten, den mein Onkel mir sarkastisch nachgewiesen hatte, hierfür nicht in Betracht. Es war eine lang verwitwete alte Dame, «ine vorzügliche Pianistin, die trotz allerlei Kränlungeu es immer wieder mit ihm versuchte und durch jedes erste Reuezeichen versöhnt wurde. Sie waren als Kinder Freunde gewesen und hatten sich als Ergraute in der selben Stadt wiedergesunden aber in ihrem unbewußt übertreibenden Kunsteifer, ihrer selbst- und weltver gessenen Bersunkenheit und ihrem ra schen Entzweien und Versöhnen kamen sie mir noch manchmal wie greise Kinder vor. Sie hatten eine Zeitlang auch als Junge zusammen musiziert. Als sie sich dann mit dem anderen verlobt, hatte die Welt meines Onkels Ledig bleiben als einen Rachealt gegen das weibliche Geschlecht aufgefaßt. Genau konnte das natürlich niemand mehr Wissen. Das Zusammenspiel geschah in des Alten Wohnung, weil er einen prächti gen Flügel und ein großes Musik zimmer hatte. Eines Tages, als ich kam. um in der Fülle meines musi kalischen Unverstandes von der Sofa ecke aus zuzuhöre», fand ich ihn in schlimmer Laune. Die Genossin seiner besten Freuden war drei Tage lang ohne Erklärung weggeblieben und auch jetzt war es schon weit über die gewohnte Zeit. Die beiden Beetho ven - Hefte standen auf den Pulten. wie ein Löwe vor der Fütterung von einer Ecke des Zimmers in die andere, eine mittelgroße Gestalt von der Beweglichkeit und Hagerteit der Nervösen. „Natürlich wieder beleicigt!" sagte er dumpf zu mir hin und raufte sei nen weißen, spitz geschnittenen Voll bart. „Die empfindsame Seele und ist doch auch lein Kind mehr. Kleine Meinungsverschiedenheiten sind doch ganz natürlich beim Spiel und müssen erörtert werden". Ja Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Alten waren häu fig und nähme , meist einen atulen Verlauf. Es hatte sich ein Vertehrs ton herausgebildet, an dem man sein Vergnügen haben lonnte, ohne mu sikalisch zu sein. Die schöne alte Frau pflegte sich, wenn er eiferte, im Sessel zurückzulehnen und hörte auf merksam zu hier und da einhelfend und ergänzend. War er fertig, so fuhr sie in seinem eigenen Tone fort sie mußte es wohl ausprobiert haben bis die Vorboten eines Lächelns bei ihm aufzuckten. Dann spielten sie erleichtert weiter. Aber das letzte Mal mußte er zu weit gegangen sein. Ich hütete mich jedoch, das auszusprechen und machte mich an meine Schnitzarbeit. „Du weiß« natürlich nicht", sagte er, „was das heißt, sich von der Mu sik aus den kleinlichen engbrüstigen Aergerlichteiten des Tages heraushe ben und sich erhöhtes Leben durch Nerven und Gemüt spielen zu lassen. Und dabei die Gewißheit des gemein samen Empfindens, in dem alle Schlacken und Kanten der wirtlichen Persönlichkeit vergessen werden! Ohne Musit wär' ich ein ausgedörrter, un erfreulicher alter Sonderling! In diesem Augenblick klingelte es und der Diener ließ ohne Meldung je mand herein. Es war die Betrauerte. Mein Onkel suchte feine Beglücktheit hinter einem ruhig - wirtschaftlichen und ritterlichen Wesen zu oerbergen, indem er ihr das Cape abnahm, aber unter ihrem klugen Auge mußte wohl jeder Heuchelschein zerrinnen. Die Welt von Güte in ihrem schönen Ma tronengesicht blieb jedoch anfänglich noch verschleiert. Sie wandte sich sehr bald zum Klavier, schlug op. 9ö auf und gab ihm die Quinte. Mit dem Bogen zeigte er auf die zweite Seite und sagte sanft: »Wenn Sie aber die Terzengänge mit solchen Ritardandos wie das letzte Mal spielen wollen, hätten Sie früher kommen müssen". Welt. Nach dem ersten Satz streifte „Ich fasse es eine Kleinigkeit be wegter". Sie spielte zwei Takte. Er fuhr auf: „Nicht zu verstehen, wie jemand das kann!" Ein warnen der Blick schloß ihm den Mund und das Spiel ging fort bis zum Halte punkt vor dem Allegro. „Weiter weiter!" rief er. „Ich will nicht auf einer Fermate alt und grau werden!" „Sind Sie längst! Wenn Sie > keine Zeit haben, radeln Sie lieber!" Sie richtete sich ärgerlich empor und ihre dunkeln Augen bekamen einen metallischen verdeckten Glanz. „Immer die Sache ins Elegische kehren müssen Sie", rief er aus. „Lauter billiges Gefühl". Das Alle gro floß stürmisch hin. „Bitte Sein unsauberes Spiel!" rief sie und brach ab. „Dann bleiben Sie im Takt! Dies Entlangstürmen überhaupt! Meine Sechzehntelnoten haben etwas zu sa gen, wozu Sie ihnen Zeit lassen müs sen aber unter den Händen waren sie mir weg —" ! „Wenn ich Ihre Sechzehntelnote davon! Es ist um es zu verlau ! sen". > Er trat aufgeregt vor seinem No ' tenständer umher. „Ja man soll te überall die Instrumente sammeln und einstampfen, wenn der Besitzer sie nicht durch ein wirkliches Beetho ven - Spiel auslösen kann —" „Schade um Ihre Cremoneserin!" „Der Pianist muß eine Art Cen taur sein halb Mensch, halb Kla vier. Aber Sie? Ihnen geht kein Nerv vom Kleinhirn durch die Fin gerspitzen in den Resonanzboden. Das nächste Mal spielen wir am Tisch". Die gütige, alte Dame schlang die Hände ineinander und sah ihn ruhig an. „Gliicksschmied?" sagte sie leise und die Stimme zitterte we nig. Wie auf ein Zauberwort verwan delte sich meines Onkels Gesicht und Haltung. Beschämt zog er sich durch die Vorhänge in den Nebenraum z>>- ! rück, vermutlich um sich dort wieder zu sammeln. Sie aber stand auf, ließ sich von mir den Mantel umlegen, nickte mir zu und war hinaus. Als der Alte wieder hervorkam, prallte er zurück. Tief geschlagen starrte er vor sich hin. Dann nahm er Feder und Papier und schrieb. Mit gänzlich veränderter, sanfter Stimme sagte er hieraus, er müsse einen Spa ziergang machen, ich könne ihn beglei ten. Er strebte so rasch vorwärts, diß! ich tauin Schritt halten tonnte. „Wir könnten ja ein wenig traben", schlug ick vor und fing an; darüber mäßigte er sich. In den nächsten Blumenladen steuerte er und ließ einen blühenden Rosenstrauch mit samt seinem Sckrei ben an die Freundin senden. Nach einigen Versuchen meinerseits. Gleich gültiges zu reden, war er bei seinem letzten Schmerz. „Daß das Ungeziefer auch in mei ne Schonung einbrechen muß das ist hart", klagte er. Ich sah erstaunt auf. „In deine Schonung?" „Nun die Musik ist doch mein Re servat, in dem Friede sein soll". „Fange doch die kleinen Füchse, Onkel", warf ich leicht hin. Er über hörte es. du keine Musik hast. Beet hoven und Händel und die anderen Seher die haben Zugang gehabt' zu der besseren Welt. Man könnte durch ein Ritzchen an ihnen vorbeise-! hen, aber dann kommen der Aerger weg. Aber wie kann man auch solche Ritardandos machen! Und sag'! ihr dann nimmt sie's quer reichen konnte, die er am liebsten hei lig gesprochen hätte. „Ja sie ist überempfindlich und das ist schließ lich immer das Zeichen einer gewissen Beschränktheit und Eitelkeit. Sie ist vielleicht das Alter —" „Wa —os?!" sottener nicht zurUckgebebt wäre. „Was meinst du da? Da verstehst du mich aber gänzlich falsch und ich Ich war natürlich gekränkt, wa» er j aber nicht bemerkte. > „Und die Frau sollte alt sein? Ihr Jungen seht Haar- und Gesichtsfarbe an und dann urteilt ihr. Und was l wißt ihr von Schönheit? Lächerlich! Ihr seht wieder Haar und Haut an. Ein bedeutsames Charaltergesicht ha ben zwischen den Zeitgesichtern das ist schön; eine beherrschte Kraft ein gütiger Wille und eine junge Seele: die sind Schönheit! Es gibt Menschen, die immer jung und schön sind. Und sie sollte eitel sein?! Das kann nur die Beschränktheit sagen. Bei allen Göttern sie hat's nicht nötig! Ihr flogen von je die Herzen zu!" Das seine offenbar. Seine perga mentfarbenen Wangen hatten sich ge rötet und die scharfen Züge hatten von der Begeisterung fast etwas Jiing linghaftes belommen. Mir lag es halb im Ernst auf der Zunge: „Wenn ihr doch beide so jung seid, warum..." Aber ich schluckte es noch glücklich hin unter. Wir waren im Sturmmarsch dis an die Altstädter Kirche gelangt und umwandelten den mächtigen Bau. Drinnen fand eine Trauung statt und das Brausen der Orgel schwang sich über die alten Grabplatten, die vor den Türen lagen. Einer im Eisen harnisch war darauf, in grimmiger Rüstung, aber die Hände still zu sammengefaltet, lag er im Schallbe reich des kirchlichen Lobgetöns. Ob so auch der alte Rat einmal sein ewiges Friedensreservat genießen würde? Er starrte auf den steinernen Rit- Harmonien, die dann und wann in den Fenstern und Türen Resonanz fanden. „Eben hätt' er die Sekunde spielt nicht übe». Er tut noch das Beste für das Brautpaar". Sein Ge sicht nahm einen weichen Ausdruck an. l „Wir find hier auf der richtigen Spur. So dachte ich früher auch einmal mit ihr zu stehen wie die ! beiden da drinnen. Ich war ein jun- ger Arzt in bester Laufbahn und sie ein ganz armes Mädelchen. Ich war sie war nicht eitel und beschränkt ge nug, um ja zu sagen. Es kam um gekehrt schließlich. Sie meinte, ich wär' ein besserer Musikant, als Ehe mann und die Ehe brächte zu viel Unmusikalisches. Ist sie nicht eine Frau von wunderbarem Fernblick?" Die Kirchtür öffnete sich und wir bogen in der Richtung zum Stadt park ab. „In der Musik liegt es, daß man sich leicht seiner eigenen Gefühlsweife hingibt und die entgegenstehende aus schließt, oder aber auch in ihr einen Himmelsschlüssel findet. Mit solch' einem Glück ist ein gefährliches Umge hen. Was man sich selbst zerschlägt daneben kommt keine Küchenfee auf. Ja und er war schließlich auch ein ganz anderer Mann, als ich —" Im Ueberschreiten einer Straße sa hen wir die Besprochene auf uns zu kommen. Wieder war ein Heller Schein auf des Alten Wangen und in seinen Augen. Ja sie war eine schöne Frau, nicht die Ruine einer solchen, stillen Weisheit der Edelreife. Eine weiche Frohlaune leuchtete aus ihrem Gesicht. Sie dankte kurz für feine dustende Gabe und sprach mit mir, während wir den Anlagen zustrebten. Er war fast etwas gewaltsam heiter. „Dies ist der historische Punkt", sagte er, „wo wir zuerst uns wie dertrasen und das Zusammenspiel verabredeten". „Ja man müßte einen Prell stein errichten! Sehen Sie, der alte Rotdorn, der Zeuge war, scheint zu verdorren. Der soll auch hören, wie die Sache beigelegt wird. Alle Ver anlassung zum Streit müßte unter bleiben. Ihre Geige im Kasten und Beethoven im Schrank! Miteinander ' müßten wir auch ohne Musik leben ! können, sonst hätten Sie als ver ! niinstiger Mann ja dergleichen nicht ! wieder vorgebracht". lch erschrak und wollte mich ver abschieden, aber erhielt einen Wink, l zu bleiben. Bei meiner musikalischen Unbedeutendheit konnte das wohl nicht . schaden. „Die Ursache künftig ganz meiden > das müssen Sie doch auch wün schen, wenn Ihre Reue und Ihre Vor sätze echt sind". j „Ich denke allerdings wir wollen jedenfalls weiter musizieren", sagte er i mit schmerzlichem Lächeln. Sie wurde sehr ernst und legte die ' Hand auf seinen Arm. »Die Ehe > verträgt unsere Art zu musizieren nicht gut dagegen wohl die Freund ! und fernerhin regelmäßig wieder an Ihren schönen Blllthner, Ich sehe, , Sie haben schon gewählt". ! Auf seinem Gesicht jagten sich die widersprechendsten Empfindungen, l Plötzlich bückte er sich tief über ihre - Hand und sagte dann zu mir: > Nur h a l b r i ch t i g. „Mül- I»»»»»«»»»»»»«»«»»»«»«»»»»« i! Äut dem Valkon. >!! Z Novelle von Marie Stahl. A » »»»»«»»»»»»»«»»»«»«»»»»,»» Auf dem Balkon eines Hinterhau» rechten Winkel mit ihrem Balkon schnitt, so dasz sie sich gerade gegen über waren. sang. d sckl k d kl iind ihres Trauerkleides. Und das gab Franz Zollinger zu raten. einen Ihm siel daS Andersensche Mär ner Nachbarin machte. Eines Tages saß sie auf ihrem Balkon vor einer kleinen Staffelei den von den gegenüberliegenden Hinterhäusern mit dem Garten zu machen. Blick, daß sie nicht ohne Geschick, aber ohne alle Keniitnisse war. Kowlt?"^ Begierig zu lernen und peinlich solg- Aussassung. Und diese Auffassung war stets eigenartig empfunden, wenn sie auch ches Teetischche» gedeckt und lud ihn zu der Mahlzeit ein. Ditse Einla dungen wiederholten sich, und bald Berlin gelebt; auch daß sie genug Mittel besaß, uin sorgenfrei leben zu können. daß alle Aeußerlichkeiten und ihre eigenen Ichs vorläusig ganz in den Hintergrund traten. Die große Verschiedenheit ihrer Ansichten und Charaktere gab diesen Diskussionen erhöhten Reiz. Sie, die ihr ganzes Leben lang wie eine Nonne gelebt und zartfüh lend wie das jüngste Mädchen war, hatte einen fast anarchistischen Frei heitsdrang. Er, der alle Freiheiten ausgcko stet, suchte das Heil in einer schros sen Beschränkung. Und so kämpsten sie miteinander, ohne sich zn über zeugen. So vorurteilslos sie mit ihm ver kehrte, so schlug sie ihm doch jede Aufsorderung, mit ihm Ausflüge in die Berge oder in die Stadt zu machen, ab. Sie ging überhaupt sehr selten und stets allein aus. Sein Befremden darüber wies sie mit der Bemerkung ab, daß sie sich ani wohlsten daheim fühle und reicher, tiefer und vielseitiger Ge nüsse zu schassen und ganz unab hängig von anderen ein fast über quellendes Glück in diesem stillen Dasein zu empfinden. Aber es konnte ihm nicht verbor gen bleiben, daß ihr früher ruhiges Behagen sich erst in dem Verkehr mit ihm zu dieser hohen Freudigkeit gesteigert hatte und so hob sich auch sein ganzes Wesen allmählich weit Der kleine Balkon erwies sich in Wahrheit als der Vorhof zu dem Allerheiligsten der wundertätigen Göttin, die nur wenig begnadete Sterbliche bis an ihre Schwelle kom men läßt. Eines Abends verträumten sich beide den» Balkon bis in die Maienabend auf allen Galerie» regte sich bunte, fröhliche Geschäftig keit, und aus dem Garten tönten spräch zwischen den Freunden auf, nur ab und zu äußerten sie Laute und Worte wohligen Genießens, tiefsten Entzückens iiber den Zauber Aus den Strohe» scholl das Rau dlimps gärende Brausen trug der Lusthauch bald leiser, bald lauter anschwellenden Kliiigklang der Gar» mcil, mvrgen kehre ich aus un bestimmte Zeit in die Heimat zurück, da unaufschiebbare Geschäfte meine Anwesenheit dringend nötig ma che»/' „Sie werden nicht Abschied von sie an sich ziehend. Ihre seine Gestalt verschwand fast in diesem machtvollen Männerarm. Sie legte still den Kops an seine Brust. „Ich weiß es," sagte sie leise, „und doch muß es sein!" „So gehe ich mit dir." „Das kann nicht sein." Sie schwiegen beide ein Weilchen in dem unaussprechlichen Glücksge siihl der Zusammengehörigkeit. . Ein Lustschauer trug von sern den Pilgerchor aus dem Tannhäuser über die Dächer und durch die alten Kastanien im Garten ging ein rau schendes Raunen. Das Kinderlache» unten war müde geworden und verstummte, hinter den Fenstern und aus den Galerien zuckte hie und da ein Licht aus und verschwand. Es wurde dunkler und stiller zwischen den Hau sermauern, der Mond war Hinte; den Dächern verschwunden, aber die Sterne leuchteten in goldner Pracht in der tiesblauen Unendlichkeit. Er hatte ihre letzten, geflüsterten Worte überhört. Es schien alles s» wesenlos in diesen Augenblicken höchster Lebensersüllung. „Warst du immer glücklich?" sragte er wie aus einem Traum heraus. „Nie!" erwiderte sie. „Mein gan zes Leben war Zwang. Nachdem ich frei geworden, kam ich hierher, um, losgelöst von allen Fesseln, einmal, ich selbst zu sein. Es war Seligkeit,, einmal wohnen zu können, wie und wo es mir beliebte, mich beschäfti gen zn können,' wie es mir Freude machte. Ich brauche nicht viel zum Glück, aber ich brauche mich selbst „Nur dich selbst?" „Du böser Mann! Jetzt brauche ich dich, wo bleibt da meine goldene Freiheit?" „Das Weib ist nicht zur Freiheit gebore», sondern zur Liebe." . Jahre vergingen. Franz Zollinger war ein großer Künstler geworden. Er wurde auch später ein glückli cher Gatte und Vater, der ein trau liches Heim sei» eigen nannte, aber straße hatte er nach dem ersten Ab schied nie wieder gesehen. Lange suchte er sie, ohne sie zi» finden. Nachdem der erste Schmerz über wunden war, blieb jene Episode sei nes Lebens eine goldene Erinneruiis jü'' seine Künstlerphantasie. Wer auch Ottilie Haller gewesen, für ihn blieb sie die hohe, himmli sche Göttin, die ihn einen trunknei. Blick in das Allcrheiligste des Er dendaseins tun ließ. Einmal glaubte er seine Freun din wiedergesehen zu haben. Aus einer Kunstreise war er in Rom bei der Besichtigung einer Ka pelle zufällig Zeuge einer Hochzeit der großen Welt. Der Vorgang interessierte ihn we nig, bis er plötzlich Ottilie Haller unter den Damen erkannte, die den erste» Platz einnahmen. Sie sunkelte von Edelsteinen, ober ihre Augen blickten ernst, fast streng. Kein Schimmer jener Weichheit und jenes von inne» herausstrahlende» Glücks war in ihren Zügen geblie ben. „Wer ist das?" fragte Zollinger mit stockendem Herzschlag seinen weltkuttdigen Begleiter. „Das ist die Mutter des Bräuti gams, die Fürstin, eine außerge wöhnliche Frau. Früh verwitwet, ge lang es ihrer seltenen Tüchtigkeit und Ausopferung, die zerrüttete» Verhältnisse der Hallersteins zu ord nen und ihren einzigen Sohn z» ziehen. Sie hat nur für diesen Sohn gelebt und vermählt ihn heute mit einer der besten Partien und lie benswürdigsten Damen der Gesell» schaft." „Ich irre mich, das kann »>cht Ottilie Haller sein," redete sich Zol linger ein. „Sie sieht ihr ähnlich, Zug für Zug, aber sie ist es doch Er wollte sich nicht stören lassen in dem Glaube», daß er ein Mär chen erlebte in jenen glückseligen Frühlingswochen.
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