Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, May 02, 1918, Image 3

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    Seine Mute.
Bon Ludwig Annßhageu.
Die meisten Leute meinten, der Sa
nitätsrat habe sich gar keine Ideale
tns Alter herüber gerettet und sei mit
seiner Allerwellsseindschaft und seiner
verletzenden Satire ein unausstehlicher
Mensch. Andere mildere erin
nerten an die tröstliche Nuß mit dem
süßen Kern, wagten sich aber nicht
ans Aufknacken. Wer ihn in seinem
Junggesellenheim kannte wie ich
da er für mich eine Abart der Gat
tung Onkel war gestand ihm ein
Ideal unbedingt zu: das lag im Mu
sikalischen. Er lvar Geiger von be»
trächtlichem Können. Er phantasierte
aber auch auf dem Flügel oft eine
Stunde lang als unumschränkter Be
herrscher des Generalbasfes in Accord
verbindungen und Stimmführungen
von düsterem Reiz. Oder er harmo
nisierte in wechselndem Satz ein
Volts- oder Kirchenlied und zeigte,
daß er seiner etwas scharfen und krä
henden Stimme zum Trotz, auf dem
Klavier zu singen verstand. Wer ihn
unsere großen alten Choräle mit ihrer
hinausreißenden, himmelandringenden
Kraft spielen gehört, wußte, daß der
alte Herr sich doch ein Ideal geret
tet hatte.
Aber das Höchste war ihm das
Geigen zum Klavier. Ich kam dank
dem Mangel an Fähigkeiten, den mein
Onkel mir sarkastisch nachgewiesen
hatte, hierfür nicht in Betracht. Es
war eine lang verwitwete alte Dame,
«ine vorzügliche Pianistin, die trotz
allerlei Kränlungeu es immer wieder
mit ihm versuchte und durch jedes
erste Reuezeichen versöhnt wurde. Sie
waren als Kinder Freunde gewesen
und hatten sich als Ergraute in der
selben Stadt wiedergesunden aber
in ihrem unbewußt übertreibenden
Kunsteifer, ihrer selbst- und weltver
gessenen Bersunkenheit und ihrem ra
schen Entzweien und Versöhnen kamen
sie mir noch manchmal wie greise
Kinder vor.
Sie hatten eine Zeitlang auch als
Junge zusammen musiziert. Als sie
sich dann mit dem anderen verlobt,
hatte die Welt meines Onkels Ledig
bleiben als einen Rachealt gegen das
weibliche Geschlecht aufgefaßt. Genau
konnte das natürlich niemand mehr
Wissen.
Das Zusammenspiel geschah in des
Alten Wohnung, weil er einen prächti
gen Flügel und ein großes Musik
zimmer hatte. Eines Tages, als ich
kam. um in der Fülle meines musi
kalischen Unverstandes von der Sofa
ecke aus zuzuhöre», fand ich ihn in
schlimmer Laune. Die Genossin seiner
besten Freuden war drei Tage lang
ohne Erklärung weggeblieben und
auch jetzt war es schon weit über die
gewohnte Zeit. Die beiden Beetho
ven - Hefte standen auf den Pulten.
wie ein Löwe vor der Fütterung
von einer Ecke des Zimmers in die
andere, eine mittelgroße Gestalt von
der Beweglichkeit und Hagerteit der
Nervösen.
„Natürlich wieder beleicigt!" sagte
er dumpf zu mir hin und raufte sei
nen weißen, spitz geschnittenen Voll
bart. „Die empfindsame Seele
und ist doch auch lein Kind mehr.
Kleine Meinungsverschiedenheiten sind
doch ganz natürlich beim Spiel und
müssen erörtert werden".
Ja Meinungsverschiedenheiten
zwischen den beiden Alten waren häu
fig und nähme , meist einen atulen
Verlauf. Es hatte sich ein Vertehrs
ton herausgebildet, an dem man sein
Vergnügen haben lonnte, ohne mu
sikalisch zu sein. Die schöne alte
Frau pflegte sich, wenn er eiferte, im
Sessel zurückzulehnen und hörte auf
merksam zu hier und da einhelfend
und ergänzend. War er fertig, so fuhr
sie in seinem eigenen Tone fort
sie mußte es wohl ausprobiert haben
bis die Vorboten eines Lächelns
bei ihm aufzuckten. Dann spielten sie
erleichtert weiter.
Aber das letzte Mal mußte er zu
weit gegangen sein. Ich hütete mich
jedoch, das auszusprechen und machte
mich an meine Schnitzarbeit.
„Du weiß« natürlich nicht", sagte
er, „was das heißt, sich von der Mu
sik aus den kleinlichen engbrüstigen
Aergerlichteiten des Tages heraushe
ben und sich erhöhtes Leben durch
Nerven und Gemüt spielen zu lassen.
Und dabei die Gewißheit des gemein
samen Empfindens, in dem alle
Schlacken und Kanten der wirtlichen
Persönlichkeit vergessen werden! Ohne
Musit wär' ich ein ausgedörrter, un
erfreulicher alter Sonderling!
In diesem Augenblick klingelte es
und der Diener ließ ohne Meldung je
mand herein. Es war die Betrauerte.
Mein Onkel suchte feine Beglücktheit
hinter einem ruhig - wirtschaftlichen
und ritterlichen Wesen zu oerbergen,
indem er ihr das Cape abnahm, aber
unter ihrem klugen Auge mußte wohl
jeder Heuchelschein zerrinnen. Die
Welt von Güte in ihrem schönen Ma
tronengesicht blieb jedoch anfänglich
noch verschleiert.
Sie wandte sich sehr bald zum
Klavier, schlug op. 9ö auf und gab
ihm die Quinte. Mit dem Bogen
zeigte er auf die zweite Seite und
sagte sanft: »Wenn Sie aber die
Terzengänge mit solchen Ritardandos
wie das letzte Mal spielen wollen,
hätten Sie früher kommen müssen".
Welt. Nach dem ersten Satz streifte
„Ich fasse es eine Kleinigkeit be
wegter". Sie spielte zwei Takte.
Er fuhr auf: „Nicht zu verstehen,
wie jemand das kann!" Ein warnen
der Blick schloß ihm den Mund und
das Spiel ging fort bis zum Halte
punkt vor dem Allegro. „Weiter
weiter!" rief er. „Ich will nicht auf
einer Fermate alt und grau werden!"
„Sind Sie längst! Wenn Sie
> keine Zeit haben, radeln Sie lieber!"
Sie richtete sich ärgerlich empor und
ihre dunkeln Augen bekamen einen
metallischen verdeckten Glanz.
„Immer die Sache ins Elegische
kehren müssen Sie", rief er aus.
„Lauter billiges Gefühl". Das Alle
gro floß stürmisch hin.
„Bitte Sein unsauberes Spiel!"
rief sie und brach ab.
„Dann bleiben Sie im Takt! Dies
Entlangstürmen überhaupt! Meine
Sechzehntelnoten haben etwas zu sa
gen, wozu Sie ihnen Zeit lassen müs
sen aber unter den Händen waren
sie mir weg —"
! „Wenn ich Ihre Sechzehntelnote
davon! Es ist um es zu verlau
! sen".
> Er trat aufgeregt vor seinem No
' tenständer umher. „Ja man soll
te überall die Instrumente sammeln
und einstampfen, wenn der Besitzer
sie nicht durch ein wirkliches Beetho
ven - Spiel auslösen kann —"
„Schade um Ihre Cremoneserin!"
„Der Pianist muß eine Art Cen
taur sein halb Mensch, halb Kla
vier. Aber Sie? Ihnen geht kein
Nerv vom Kleinhirn durch die Fin
gerspitzen in den Resonanzboden.
Das nächste Mal spielen wir am
Tisch".
Die gütige, alte Dame schlang die
Hände ineinander und sah ihn ruhig
an. „Gliicksschmied?" sagte sie
leise und die Stimme zitterte we
nig.
Wie auf ein Zauberwort verwan
delte sich meines Onkels Gesicht und
Haltung. Beschämt zog er sich durch
die Vorhänge in den Nebenraum z>>-
! rück, vermutlich um sich dort wieder
zu sammeln. Sie aber stand auf,
ließ sich von mir den Mantel umlegen,
nickte mir zu und war hinaus.
Als der Alte wieder hervorkam,
prallte er zurück. Tief geschlagen
starrte er vor sich hin. Dann nahm
er Feder und Papier und schrieb. Mit
gänzlich veränderter, sanfter Stimme
sagte er hieraus, er müsse einen Spa
ziergang machen, ich könne ihn beglei
ten.
Er strebte so rasch vorwärts, diß!
ich tauin Schritt halten tonnte. „Wir
könnten ja ein wenig traben", schlug
ick vor und fing an; darüber mäßigte
er sich. In den nächsten Blumenladen
steuerte er und ließ einen blühenden
Rosenstrauch mit samt seinem Sckrei
ben an die Freundin senden. Nach
einigen Versuchen meinerseits. Gleich
gültiges zu reden, war er bei seinem
letzten Schmerz.
„Daß das Ungeziefer auch in mei
ne Schonung einbrechen muß das
ist hart", klagte er.
Ich sah erstaunt auf. „In deine
Schonung?"
„Nun die Musik ist doch mein Re
servat, in dem Friede sein soll".
„Fange doch die kleinen Füchse,
Onkel", warf ich leicht hin. Er über
hörte es.
du keine Musik hast. Beet
hoven und Händel und die anderen
Seher die haben Zugang gehabt'
zu der besseren Welt. Man könnte
durch ein Ritzchen an ihnen vorbeise-!
hen, aber dann kommen der Aerger
weg. Aber wie kann man auch
solche Ritardandos machen! Und sag'!
ihr dann nimmt sie's quer
reichen konnte, die er am liebsten hei
lig gesprochen hätte. „Ja sie ist
überempfindlich und das ist schließ
lich immer das Zeichen einer gewissen
Beschränktheit und Eitelkeit. Sie
ist vielleicht das Alter —"
„Wa —os?!"
sottener nicht zurUckgebebt wäre.
„Was meinst du da? Da verstehst
du mich aber gänzlich falsch und ich
Ich war natürlich gekränkt, wa» er j
aber nicht bemerkte. >
„Und die Frau sollte alt sein? Ihr
Jungen seht Haar- und Gesichtsfarbe
an und dann urteilt ihr. Und was l
wißt ihr von Schönheit? Lächerlich!
Ihr seht wieder Haar und Haut an.
Ein bedeutsames Charaltergesicht ha
ben zwischen den Zeitgesichtern das
ist schön; eine beherrschte Kraft ein
gütiger Wille und eine junge Seele:
die sind Schönheit! Es gibt Menschen,
die immer jung und schön sind. Und
sie sollte eitel sein?! Das kann nur
die Beschränktheit sagen. Bei allen
Göttern sie hat's nicht nötig! Ihr
flogen von je die Herzen zu!"
Das seine offenbar. Seine perga
mentfarbenen Wangen hatten sich ge
rötet und die scharfen Züge hatten von
der Begeisterung fast etwas Jiing
linghaftes belommen. Mir lag es halb
im Ernst auf der Zunge: „Wenn ihr
doch beide so jung seid, warum..."
Aber ich schluckte es noch glücklich hin
unter.
Wir waren im Sturmmarsch dis
an die Altstädter Kirche gelangt und
umwandelten den mächtigen Bau.
Drinnen fand eine Trauung statt und
das Brausen der Orgel schwang sich
über die alten Grabplatten, die vor
den Türen lagen. Einer im Eisen
harnisch war darauf, in grimmiger
Rüstung, aber die Hände still zu
sammengefaltet, lag er im Schallbe
reich des kirchlichen Lobgetöns. Ob so
auch der alte Rat einmal sein ewiges
Friedensreservat genießen würde?
Er starrte auf den steinernen Rit-
Harmonien, die dann und wann in
den Fenstern und Türen Resonanz
fanden. „Eben hätt' er die Sekunde
spielt nicht übe». Er tut noch das
Beste für das Brautpaar". Sein Ge
sicht nahm einen weichen Ausdruck an.
l „Wir find hier auf der richtigen
Spur. So dachte ich früher auch
einmal mit ihr zu stehen wie die
! beiden da drinnen. Ich war ein jun-
ger Arzt in bester Laufbahn und sie
ein ganz armes Mädelchen. Ich war
sie war nicht eitel und beschränkt ge
nug, um ja zu sagen. Es kam um
gekehrt schließlich. Sie meinte, ich
wär' ein besserer Musikant, als Ehe
mann und die Ehe brächte zu viel
Unmusikalisches. Ist sie nicht eine
Frau von wunderbarem Fernblick?"
Die Kirchtür öffnete sich und wir
bogen in der Richtung zum Stadt
park ab.
„In der Musik liegt es, daß man
sich leicht seiner eigenen Gefühlsweife
hingibt und die entgegenstehende aus
schließt, oder aber auch in ihr einen
Himmelsschlüssel findet. Mit solch'
einem Glück ist ein gefährliches Umge
hen. Was man sich selbst zerschlägt
daneben kommt keine Küchenfee
auf. Ja und er war schließlich
auch ein ganz anderer Mann, als
ich —"
Im Ueberschreiten einer Straße sa
hen wir die Besprochene auf uns zu
kommen. Wieder war ein Heller Schein
auf des Alten Wangen und in seinen
Augen. Ja sie war eine schöne
Frau, nicht die Ruine einer solchen,
stillen Weisheit der Edelreife. Eine
weiche Frohlaune leuchtete aus ihrem
Gesicht. Sie dankte kurz für feine
dustende Gabe und sprach mit mir,
während wir den Anlagen zustrebten.
Er war fast etwas gewaltsam heiter.
„Dies ist der historische Punkt",
sagte er, „wo wir zuerst uns wie
dertrasen und das Zusammenspiel
verabredeten".
„Ja man müßte einen Prell
stein errichten! Sehen Sie, der alte
Rotdorn, der Zeuge war, scheint zu
verdorren. Der soll auch hören, wie
die Sache beigelegt wird. Alle Ver
anlassung zum Streit müßte unter
bleiben. Ihre Geige im Kasten und
Beethoven im Schrank! Miteinander
' müßten wir auch ohne Musik leben
! können, sonst hätten Sie als ver
! niinstiger Mann ja dergleichen nicht
! wieder vorgebracht".
lch erschrak und wollte mich ver
abschieden, aber erhielt einen Wink,
l zu bleiben. Bei meiner musikalischen
Unbedeutendheit konnte das wohl nicht
. schaden.
„Die Ursache künftig ganz meiden
> das müssen Sie doch auch wün
schen, wenn Ihre Reue und Ihre Vor
sätze echt sind".
j „Ich denke allerdings wir wollen
jedenfalls weiter musizieren", sagte er
i mit schmerzlichem Lächeln.
Sie wurde sehr ernst und legte die
' Hand auf seinen Arm. »Die Ehe
> verträgt unsere Art zu musizieren
nicht gut dagegen wohl die Freund
! und fernerhin regelmäßig wieder
an Ihren schönen Blllthner, Ich sehe,
, Sie haben schon gewählt".
! Auf seinem Gesicht jagten sich die
widersprechendsten Empfindungen,
l Plötzlich bückte er sich tief über ihre
- Hand und sagte dann zu mir:
> Nur h a l b r i ch t i g. „Mül-
I»»»»»«»»»»»»«»«»»»«»«»»»»«
i! Äut dem Valkon.
>!! Z
Novelle von Marie Stahl. A
»
»»»»«»»»»»»»«»»»«»«»»»»,»»
Auf dem Balkon eines Hinterhau»
rechten Winkel mit ihrem Balkon
schnitt, so dasz sie sich gerade gegen
über waren.
sang. d sckl k d kl
iind ihres Trauerkleides.
Und das gab Franz Zollinger zu
raten.
einen
Ihm siel daS Andersensche Mär
ner Nachbarin machte.
Eines Tages saß sie auf ihrem
Balkon vor einer kleinen Staffelei
den von den gegenüberliegenden
Hinterhäusern mit dem Garten zu
machen.
Blick, daß sie nicht ohne Geschick,
aber ohne alle Keniitnisse war.
Kowlt?"^
Begierig zu lernen und peinlich solg-
Aussassung.
Und diese Auffassung war stets
eigenartig empfunden, wenn sie auch
ches Teetischche» gedeckt und lud ihn
zu der Mahlzeit ein. Ditse Einla
dungen wiederholten sich, und bald
Berlin gelebt; auch daß sie genug
Mittel besaß, uin sorgenfrei leben
zu können.
daß alle Aeußerlichkeiten und ihre
eigenen Ichs vorläusig ganz in den
Hintergrund traten.
Die große Verschiedenheit ihrer
Ansichten und Charaktere gab diesen
Diskussionen erhöhten Reiz.
Sie, die ihr ganzes Leben lang
wie eine Nonne gelebt und zartfüh
lend wie das jüngste Mädchen war,
hatte einen fast anarchistischen Frei
heitsdrang.
Er, der alle Freiheiten ausgcko
stet, suchte das Heil in einer schros
sen Beschränkung. Und so kämpsten
sie miteinander, ohne sich zn über
zeugen.
So vorurteilslos sie mit ihm ver
kehrte, so schlug sie ihm doch jede
Aufsorderung, mit ihm Ausflüge in
die Berge oder in die Stadt zu
machen, ab. Sie ging überhaupt
sehr selten und stets allein aus.
Sein Befremden darüber wies sie
mit der Bemerkung ab, daß sie sich
ani wohlsten daheim fühle und
reicher, tiefer und vielseitiger Ge
nüsse zu schassen und ganz unab
hängig von anderen ein fast über
quellendes Glück in diesem stillen
Dasein zu empfinden.
Aber es konnte ihm nicht verbor
gen bleiben, daß ihr früher ruhiges
Behagen sich erst in dem Verkehr
mit ihm zu dieser hohen Freudigkeit
gesteigert hatte und so hob sich auch
sein ganzes Wesen allmählich weit
Der kleine Balkon erwies sich in
Wahrheit als der Vorhof zu dem
Allerheiligsten der wundertätigen
Göttin, die nur wenig begnadete
Sterbliche bis an ihre Schwelle kom
men läßt.
Eines Abends verträumten sich
beide den» Balkon bis in die
Maienabend auf allen Galerie»
regte sich bunte, fröhliche Geschäftig
keit, und aus dem Garten tönten
spräch zwischen den Freunden auf,
nur ab und zu äußerten sie Laute
und Worte wohligen Genießens,
tiefsten Entzückens iiber den Zauber
Aus den Strohe» scholl das Rau
dlimps gärende Brausen trug der
Lusthauch bald leiser, bald lauter
anschwellenden Kliiigklang der Gar»
mcil, mvrgen kehre ich aus un
bestimmte Zeit in die Heimat zurück,
da unaufschiebbare Geschäfte meine
Anwesenheit dringend nötig ma
che»/'
„Sie werden nicht Abschied von
sie an sich ziehend.
Ihre seine Gestalt verschwand fast
in diesem machtvollen Männerarm.
Sie legte still den Kops an seine
Brust.
„Ich weiß es," sagte sie leise,
„und doch muß es sein!"
„So gehe ich mit dir."
„Das kann nicht sein."
Sie schwiegen beide ein Weilchen
in dem unaussprechlichen Glücksge
siihl der Zusammengehörigkeit. .
Ein Lustschauer trug von sern
den Pilgerchor aus dem Tannhäuser
über die Dächer und durch die alten
Kastanien im Garten ging ein rau
schendes Raunen.
Das Kinderlache» unten war
müde geworden und verstummte,
hinter den Fenstern und aus den
Galerien zuckte hie und da ein Licht
aus und verschwand. Es wurde
dunkler und stiller zwischen den Hau
sermauern, der Mond war Hinte;
den Dächern verschwunden, aber die
Sterne leuchteten in goldner Pracht
in der tiesblauen Unendlichkeit.
Er hatte ihre letzten, geflüsterten
Worte überhört. Es schien alles s»
wesenlos in diesen Augenblicken
höchster Lebensersüllung.
„Warst du immer glücklich?"
sragte er wie aus einem Traum
heraus.
„Nie!" erwiderte sie. „Mein gan
zes Leben war Zwang. Nachdem ich
frei geworden, kam ich hierher, um,
losgelöst von allen Fesseln, einmal,
ich selbst zu sein. Es war Seligkeit,,
einmal wohnen zu können, wie und
wo es mir beliebte, mich beschäfti
gen zn können,' wie es mir Freude
machte. Ich brauche nicht viel zum
Glück, aber ich brauche mich selbst
„Nur dich selbst?"
„Du böser Mann! Jetzt brauche
ich dich, wo bleibt da meine goldene
Freiheit?"
„Das Weib ist nicht zur Freiheit
gebore», sondern zur Liebe."
.
Jahre vergingen.
Franz Zollinger war ein großer
Künstler geworden.
Er wurde auch später ein glückli
cher Gatte und Vater, der ein trau
liches Heim sei» eigen nannte, aber
straße hatte er nach dem ersten Ab
schied nie wieder gesehen.
Lange suchte er sie, ohne sie zi»
finden.
Nachdem der erste Schmerz über
wunden war, blieb jene Episode sei
nes Lebens eine goldene Erinneruiis
jü'' seine Künstlerphantasie.
Wer auch Ottilie Haller gewesen,
für ihn blieb sie die hohe, himmli
sche Göttin, die ihn einen trunknei.
Blick in das Allcrheiligste des Er
dendaseins tun ließ.
Einmal glaubte er seine Freun
din wiedergesehen zu haben.
Aus einer Kunstreise war er in
Rom bei der Besichtigung einer Ka
pelle zufällig Zeuge einer Hochzeit
der großen Welt.
Der Vorgang interessierte ihn we
nig, bis er plötzlich Ottilie Haller
unter den Damen erkannte, die den
erste» Platz einnahmen.
Sie sunkelte von Edelsteinen, ober
ihre Augen blickten ernst, fast streng.
Kein Schimmer jener Weichheit und
jenes von inne» herausstrahlende»
Glücks war in ihren Zügen geblie
ben.
„Wer ist das?" fragte Zollinger
mit stockendem Herzschlag seinen
weltkuttdigen Begleiter.
„Das ist die Mutter des Bräuti
gams, die Fürstin, eine außerge
wöhnliche Frau. Früh verwitwet, ge
lang es ihrer seltenen Tüchtigkeit
und Ausopferung, die zerrüttete»
Verhältnisse der Hallersteins zu ord
nen und ihren einzigen Sohn z»
ziehen. Sie hat nur für diesen Sohn
gelebt und vermählt ihn heute mit
einer der besten Partien und lie
benswürdigsten Damen der Gesell»
schaft."
„Ich irre mich, das kann »>cht
Ottilie Haller sein," redete sich Zol
linger ein. „Sie sieht ihr ähnlich,
Zug für Zug, aber sie ist es doch
Er wollte sich nicht stören lassen
in dem Glaube», daß er ein Mär
chen erlebte in jenen glückseligen
Frühlingswochen.