Die geerbte Kraul. ! (4. Fortsetzung.) «Ihr Verdacht lenkt sich also nach einer anderen Richtung?" „Wenn ich Verdacht haben werde, komme ich zum Gericht, darauf kön nen Sie sich verlassen. Siebentes Kapitel. Der Untersuchungsrichter hatte so fort an das Regiment telegraphiert und acht Tage Nachurlaub für Willim beantragt, weil er den wichtigen Zeu gen, der den Ermordeten während seiner letzten Lebensstunden gesehen und gesprochen hatte, nicht missen wollte. Auch Willim hatte es für seine Pflicht gehalten, an den Regi mentskommandeur zu schreiben und ihm ausführlich Nachricht von dem Tode des Kameraden, der noch bis vor kurzem unter ihnen geweilt, zu ge ben. Der Nachurlaub wurde sofort telegraphisch bewilligt und mit wen dender Post kam ein großer Kranz, den Willim im Namen des Regiments legen sollte. Noch an demselben Tage hielt der Amtsrichter am Tatort seine Besich tigung unter Zuziehung der beiden Zeugen, die den Toten gefunden, und des Vaters ab. Sie Neues Er scheute sich, den Namen des Kauf- Möglichkeit, und mit Recht. Als das gung sehr scharf gefahren war, bewies ja das Aussehen des Pferdes. Die Vernehmung der Zeugen hatte Kurzontken einmündete. Mit einem Kopfschütteln schloß der Richter das nie hitzig und heftig, am wenigsten gegen die Leute. Der alte Knecht be stätigte diese Aussagen mit großem Wortschwall und rühmte den Ver storbenen. Jetzt hielt es Willim doch für seine Pflicht, den Namen, den er bis jetzt verschwiegen, zu nennen. Er bat aber dazu den Amtsrichter um eine Unterredung unter vier Augen. Der Richter schüttelte nur abweh rend den ttopf. „Wenn Sie die Aus lage abgeben, so muß sie natürllck» in eine ansehnliche bare Mitgift zu er halten hoffte. Ich glaube, der Mann hat gestern in aller Seelenruhe hinter seinem Ladentisch gestanden und am allerwenigsten daran gedacht, einen Nebenbuhler totzuschießen. Uebrigens wird es ja ein Leichtes sein, festzu stellen, wo er zu der kritischen Zeit sich aufgehalten hat. Wenn Sie gestatten, betrachte ich diesen Teil Ihrer Aussagen zunächst als eine private Mitteilung. Ich möchte den Namen des angesehenen Bürgers nicht unnötig in diese trau rige Geschichte verwickeln. Sollte ich Anlaß zu einer Sinnesänderung fin den, dann sind Sie wohl so gut, Ihre Aussage zu wiederholen". Zu derselben Zeit, als diese Ver handlung stattsanp, erschien Lina mit einem großen Korb voll Blumen im Trauerhause und schmückte die letzte Lagerstatt ihres Bräutigams mit schö nen Rosen. Astern und Georginen. Sie war still und gefaßt, nur die tief dunklen Schatten um ihre Augen zeugten von dem Herzeleid, das sie be troffen hatte. Jetzt sie mit Mutt» allem so still beieinander gesessen, als die Tür sich leise ossnete und Eva herein trat. Mutter Piontek ballte die Hände Lina faßte sie schnell um und flü sterte ihr zu: „Tante, sei ruhig denk doch daran, daß Adam sie lieb dest du mit Freuden deine Einwilli gung zur Heirat mit der Eva ge ben stand. „Du bist viel besser als ich. Und der Tote an seiner linken Hand trug. „Den Ring hatte er abgezogen und erst wieder angesteckt, als er von mir ging. Ich hatte ihn verloren für dieses Leben durch meine eigene wäre er nicht dem Mörder entgegen gefahren. Jetzt muß ich mir sagen, daß ich ihn in den Tod getrieben habe". „Nein, Eva, so mußt du nicht den ken. Das Unglück konnte keiner von uns voraussehen, keiner ist oaran sich mit mir verlobt hatte". „Er hat sich mit mir versprochen, ehe er zu den Soldaten, ging". an den Sarg. So fand sie Willim, als er von dem Lokaltermin zurück kehrte. Die nächsten beiden Tage bis zu dem Begräbnis brachten den Frauen noch sehr viel Arbeit. Es wurde ge schlachtet, gebacken und gebraten, denn man mußte sich auf zahlreichen Besuch einrichten. Es war ja mit Bestimmt heit zu erwarten, daß alles, was sich zu der weltverzweigten Sippe Pion teks von Schwert- und Spind-lseite rechnete, von weither erscheinen wür de. Und die Erwartung traf ein. Schon am Abend vorher war das Haus mit Logiergästen gefüllt. Die Frauen saßen meistens am Sarg.' und sangen. Die Männer waren alle miteinander in den Krug gegangen und hatten bis in die Nacht beim Kartenspiel gelessen. Schon lange hatte man in Kur zontken kein solch großartiges Be gräbnis gesehen. Der Geistliche sprach erst am offenen Sarge, dann noch einmal auf dem Kirchhof, der die Masse des 'Gefolges nicht zu fassen Da der Bater des Verewigten als alter Soldat auch dem Kriegerverein Renkompagnie erschienen, die den To ten durch drei Salven ehrte. Die Eltern standen stumpf, scheinbar teil nahmlos am Grabe. Aber als die ersten Erdschollen dumpf auf den Sargdeckel hinunterpolterten, schrie die Mutter verzweifelt auf. Sie mußte in einem Wagen nach Haufe gelöst. Lina hatte am Grabe die Stelle eingenommen, die ihr auch jetzt noch vor der Welt gebührte. Sie hatte neben der Alten gestanden und still vor sich hin geweint. Eva stand weitab vom Grabe. Erst als der To tengräber die Schaufel mit Sand den Dem- Begräbnis folgte nach alter Sitte der Totenschmaus. In allen Stuben waren weißgedeckte Tische aufgestellt und mit Speisen reichlich beschickt. An demselben Platz, wo noch vor einer Stunde der Sarg gestan den, war die Tafel hergerichtet, an der die Eltern mit den nächsten Anver nicht so leicht aus der Welt schissen eine große Lischke mit Eßwaren ooll zupacken. Vater Piontek begleitete ihn zur Bahn und steckte ihm dort zum Abschied einige Doppelkronen in die Hand. Wir haben ja für keinen mehr zu sor gen. Und du bist ja jetzt so gut wie unser Kind. Vergiß nicht, oft zu schreibe», wie du der Tante verspro ner Heimat zurückgehalten hatten, am Nachmittag legte er sich in seine „Klappe" und schlief durch bis zum anderen Morgen. Dann umfing ihn Achtes Kapitel. kurzen Begleitschreiben lehrte regelmä ßig der Satz miede-, daß sie sich sehr nach ihrem lieben Willim sehnten. Es Freund übergegangen war. Willim konnte diese Zuneigung nicht besser vergelten, als durch lange Briefe, in denen er das kleinste Vorkommnis in der Garnison schilderte. De: Onkel hatte ihm einmal geschrieben, daß sie "zu drillen. Wer Soldat gewesen ist. weiß, was das bedeutet. Bon mor gens fünf bis abends acht gab es in dieser Zeit kaum einen Augenblick am Tage, in dem er nicht dienstlich mit seinen Untergebenen zu tun hatte. Da pflegt man abends nicht zum Schreiben aufgelegt zu sein. Aber Willim hatte das Gefühl, eine Pflicht den alten Leutchen gegenüber zu er füllen, und außerdem trieb ihn sein neu Masuren, oort hinten an der rus sischen Grenze, war ihm so teuer ge worden, wie ein Elternhaus. Und alle die Tante ein paar Zeilen. Die Kunst, mit der sie die Buch staben malte, war nicht sehr groß und mit den Regeln der Rechtschreibung stand sie aus sehr gespanntem Fuß. Aber wenn er las „Mein Jungchen, vergiß uns Alten nicht bei all dem Ihm war's, als wenn die beiden in steter Sorge lebten, daß sie ihm gleichgültig werden könnten. lim seine Kapitulation mit dem Regi ment auf ein Jahr verlängern sollte. Das war für alle Unteroffiziere, gegen die nichts vorlag, ein selbstverständli cher Akt, der in der einfachen Unter zeichnung eines Schriftstückes be stand. Er war deshalb nicht wenig überrascht, als ihn sein Feldwebel eines Morgens fragte: reichte ihm der Feldwebel einen Brief. „Da wird wohl des Rätsels Lö sung drin stehen. Der Hauptmann schrieb: „Mein lieber Junge. Der Miete ziehen, das sind wir nicht ge wohnt. Alte Bäume soll man nicht aus der Erde ziehen, in der ihre Wur zeln liegen. Deshalb wollen wir Dich an Kindesstatt annehmen und Dir das Gut verschreiben. Wenn Du uns ein bischen lieb hast, wirst Du auf Jahr kapitulierst". in voller Stärke wieder auf. Er sah sich als kleiner Junge in Wind und Wetter auf dem Felde hinter feinem Konflikt entsteht. Ein richtiger Sohn kann dergleichen leichter überstehen „Na, dann Wunsche ich Ihnen al les Gute für Ihren ferneren Lebens weg, mein lieber Sobota. Ich kann friedenheit und Achtung errungen". Er gab Willim, dem die Tränen in die Augen getreten waren, die Hand. „Nach dem Manöver können Sie die letzten Tage gleich als Urlaub bekom men. Und noch einen guten Rat will ich Ihnen mit auf den Weg geben: Schaffen Sie sich gleich in jeder Bezie hung klare Verhältnisse. Vergesse« Sie nicht, daß Sie sich in ein Ab- Regiment finden. Ich danke." Das Wort des Hauptmanns hatte Willim sehr nachdenklich gestimmt. Er fing an, nachzugrübeln, was für Schwierigkeiten ihm dort in den Weg treten könnten. Die Wirtschaft würde er natürlich so führen, wie der On kel es wünschte. Er hatte >a ohnehin in den ersten Jahren noch vieles, ja Sinn. Der Feldwebel, der seiner Unterre dung mit dem Hauptmann beigewohnt gab den Rat, Willim sollte dem Al „Seien Sie nur nicht blöde, Sobo ta. In dem Vorschlag liegt ein ganz gehöriges Stück Eigennutz. Ihre Verwandten wollen bis zu^ihrem^Le len". Von dieser Seite hatte Willim die sen, und als Bettler in die W«lt zu Braut erstrecken sollte? Er stützte den Komisch, daß die Möglichkeit erst jetzt vor seinem Blick auftauchte. Jetzt er hielten die Abschiedsworte seines Hauptmanns doppeltes Gewicht. Er danken flogen weiter hinaus. Sicher lich würde die Mutter bald darauf dringen, daß er heiratete. Sie hatte ein langes, arbeitsreiches Leben hin ter sich, denn die ganze Last der gro ßen inneren Wirtschaft ruhte auf ihr und sie sehnte sich nach Ruhe. Aber hatte er nicht erlebt, mit welcher Energie und Zähigkeit sie sich gegen die Schwiegertochter wehrte, die nicht nack> Also Lina! der Bräutigam, den ihr die Eltern zuführten, Adam oder Willim hieß. Das bischen Eitelkeit, das in jedem Menschen steckt, flüsterte ihm zu, ex würde ihr vielleicht besser gefallen, all ! ihr erster Bräutigam. Und weshalb sollte er sie nicht hei raten? Sie würde mit ihrem ruhigen sanften Wesen eine gute Frau abge ben. Häßlich war sie auch nicht, im Gegenteil. Deutlich stand sie ihm in diesem Moment vor Augen. Und das reiche Besitztum, das sie ihm zubringen Merkwürdig, bei all diesen Gedan ken hatte er das Gefühl, als wenn er sich selbst etwas vorreden wollte, an das er iin Grunde seines Herzens nicht glaubte. Denn während er sich 7.,it Lina beschäftigte, sah er j fortwährend das Bild der anderen i vor sich. Die hohe, schlanke Gestalt, das leuchtende Haar, die dunklen, blitzenden Augen. Wollte das Schick sal ihn denselben Weg führen wie sei nen Freund? Nach langem Zaudern und Ueber legen kam endlich der Brief an Onkel und Tante zustande. Mit warmen Worten dankte er für die Wohltat, die sie ihm erweisen wollten und versprach ihnen, durch s!iebe alles vergelten zu wollen, was sie an ihm getan hätten. Dann kam aber das „Aber". Sie könnten es ihm nicht verdenken, wenn er nicht ohne jede Vorsicht in die neuen Verhältnisse hineingehen wollte. Es sei doch nicht ganz ausgeschlossen, daß sich zwischen ihnen eine schwere Meinungsverschie denheit auftäte. Er müsse daher for dern, daß sein- Zukunft für alle Fälle s» sicher gestellt würde, daß er nicht mittellos auf der Straße liegen müsse. Der Vorschlag, einen Kaufvertrag über das Gut abzuschließen, wollte ihm nicht aus der Feder. Die Antwort, die umgehend eintraf, befriedigte Willim nicht. Onkel Pion tek schrieb sehr herzlich und nannte ihn „lieber Sohn", ging aber über seine Bedenken mit der kurzen Wendung hinweg; er möchte sich doch nur keine Gedanken machen, er käme doch nicht zu Fremden, sondern xu Verwandten, die ihn als ihren Sohn halten woll ten. Beim Lesen des Briefes war ihm so zumute, als könne das Sprichwort von dem Sperling in der Hand und der Taube auf dem Dach auf ihn zutreffen. Gleichzeitig mit dem Briefe kam durch Postanweisung eine sehr erheb liche Summe aus Kurzontken für ihn an. Onkel hatte dazu bemerkt, er möchte sich gute Zivilkleider anschaf fen und den Kameraden ein seines Abschiedsfest geben, damit sie ihn in gutem Andenken behielten. Gleich nach dem Manöver, als die Reservisten entlassen wurden, zog auch Willim den bunten Rock aus, der ihm hatte. Der Abschied vom Militär siel gedacht hatte. Allerlei Gedanken wollten ihm die Zukunft nicht in so rosigem Lichte merkwürdigen Gefühl lehnte er sich auf seinen Platz zurück. Ihm war's, als sei dieser Augenblick der Abschluß der fröhlichen, um nichts besorgten Jiinglingszeit. Neuntes Kapitel. Auf dem Bahnhof in Johannisburg drängte sich viel Volk, genau wie vor einem Jahre. Aber nicht um Reser visten zu empfangen. Die waren schon zwei Tage vorher eingetroffen. Der Anlaß war viel prosaischer. In dem Städtchen war Vieh- und Krammarkt, „Peerdheiligedag", wie sich der Ost- Preuße humoristisch ausdrückt. Der Frühzug, mit dem Willim ankam, brachte die Händler und „Koppschäl le?", all die vielen Menschen, die bei , einer solchen Gelegenheit Geld zu ver dienen hoffen. Nicht weit vom Bahnhof lag der weite Anger, auf dem das Vieh aufge trieben war. Dicht bei dicht standen die Kühe und Ochsen in langen Rei hen. Das Futter war in diesem Jahre knapp geraten; da suchte jeder seinen Viehbestand zum Winter zu beschränken und zu verkaufen, was irgend entbehrlich war. Zwischenvurch wanden sich die Käufer und Berka»» , ser oder standen eifrig feilschend in dichten Gruppen beisammen. Das eigenartige Gefühl, das die Heimat in allen Menschen erzeugt, umfing Willim mit aller Macht, er mußte daran denken, wie er als jun ger Knecht für feinen Herrn manchmal ein Stück Vieh zum Markte geführt und dann am Nachmittag durch die Budenreihen des Krammarkts gewan dert war, die Tasche voll Geld, mit dem Bewußtsein, daß jetzt die Herr lichkeiten ihm gehören könnten, wenn er die Hand danach ausstreckte. Wer weiß, ob er noch jemals die kindliche Seligkeit empfinden würde, wie da», mals, wenn er jetzt al? reicher Mann sich alles kaufen lonnte, was sein Herz begehrte. (Fortsetzung folgt).
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