Hrunhilde. (6. Fortsetznng.) .Ich kann es nicht." antwortete Betty mit gepreßter Stimme. „Auch dann nicht, wenn ich Ihnen sage, daß Ihre Träume nicht in Er füllung gehen werden, da Sie Ihr Herz «wem Unwürdigen schenkten, der Sie v«' Erglühend fuhr Betty empor: „Mm, der erbärmlichen Lüge! Je des Wort aus Ihrem Munde ist mir verhaßt, wie Ihr Anblick. Spioniren Sie mir nach, verleumden Sie, wieSit für." Sie eilte so schnell davon, daß sie den bitlmden Ruf Würzburgs nicht mehr vernahm. „Armes, blindK Kind, wie bald wirst Du sehend werden!" mur melte er traurig und ging ins Haus. Wolf Auras sprang vom Schreibtisch empor und begrüßte ihn mit herzlichem Händedruck. Lebhaft wechselten Rede und Gegenrede, bis der Oberförster be merkte: „Du sitzest ja im Papier ver graben wie ein Winkeladvokat.. klappt cs noch nicht?" ES verging eine Minute, ehe Auras antwortete: „Du weiht, daß mein klei nes Erbtheil und meine Ersparnisse ge rade hinreichten, das Gut zu überneh men. Man spricht jetzt viel von dem Vorkommen werthvoller Kupfererze in unserer Gegend. Nun habe ich gewich meinem Besitz die Hauptadern liegen. Will ich aber nicht alles einem Unter nehmer überlassen, das heißt von vorn herein den Löwenantheil des etwaigen Gewinnes und das Heft aus der Hand geben, so bin ich genöthigt, die ersten Bohroersuche und Anlagen auf eigene Kosten zu unternehmen. Bettys Vermö gen, das ich verwalte, greife ich unter keinen Umständen an. Heymann A Sohn vfserirten mir ohne Anfrage das nöthige Capital heute ziehen sie ihre Zusagen unter den bekannten höflich nichtssagenden Entschuldigungen zu rück." „Sehr begreiflich Heymann <8: Soh« sind die Bankiers der Gräfin Wilder.hof Xnd des Kammerherr« von Ruwer, und wollen sich natürlich dieser für die Zukunft viel versprechenden Kundschaft gefällig erweisen." „Du meinst —?" „Beschwören möchte ich es. Heymann war gestern selbst in Wildenhof-, es handelt sich jedenfalls um Vorschüsse, welche die Gräfin als persönliche Schuldnerin aufnimmt. Der glatte Kaimnerherr, der selbst beständig auf dem Trockenen sitzt, ohne daß ihm je mand einen Dreier leiht, wird es ihr schon plausibel gemacht haben. Was verstellt das Mädchen von Geldgeschäf ten? Was sind schließlich fünfzehn oder zwanzig Procent Zinsen sür die zu künftige unbeschränkte Besitzerin von Wildcuhos? ... Du hast Dich ja genug gcplagt, sie recht bald wieder dazu zu machen. Deinen Dank hast Du nun jedenfalls sieh in diesem Misch» de» Juden seinen Ausdruck." „Ich glaube es nicht," schüttelte Au ra! d'N Kops; „auf diese niedrige Weise llonn sich Brunhilde Wildenhof nicht rächen." Der Oberförster lachte bitter auf. „Rührendes Vertrauen auf das sub tile Ehr- und Zartgefühl einer Edel dame! .... Du hast ja noch nicht einmal gefragt, wozu sie so viel Geld braucht. Heute feiern sie drüben Verlo biinz, ich habe mich davon gemacht, um nicht gratuliren und ein erfreutes, höfliches Gesicht schneiden zu müssen. Bräutigam ist natürlich der elegante Lieutenant, die würdige Pflanze unse res werthen Freundes Ruwer er hat's erreicht, dieser edle Octavio!" Aluras war emporgezuckt. Nur einen kurzen Augenblick verzerrten sich seine Züge, dann nahmen sie wieder den Au sdruck eherner Ruhe an. In hartem Tone erwiderte er: „Ich weiß daS seit Wochen ans der Gräsin eigenem Munde. Sie hätte leicht eine schlechtere Wahl treffen lll»nen." „Oper eine bessere!" murmelte Würz burg. „Hast Du mir nichts weiter zu sagen, Auras?" „Ich bin fertig!" „Etwa mit>nlkm Glück und Leben's Pah, cs wiegt nicht schwer in einer Hand, die einen Wappenring trägt, ein bischen Menschenleben, ein wenig Men schenglück!" ... Der Oberförster ließ abermals sein schrilles Lklchen hören.... „Den Kopf hoch, mein Junge, auch An dere machen ihre Erfahrungen. Im Uebrigen, daSGeld, Du bedarfst, brauche ich es nicht, und die anderen Träume sind ausgeträumt." Prüfend ließ Auras sein klares Auge iiber des Freundes Antlitz gleite». .Auch Du, Brutus?!" lachte er. „Jawohl mein Junge! Es laufen gar viele versteckte Fäden an dem großen Webstuhle, der sich die Welt nennt. Soll mich verzweifelt wenig kümmern, wohin sich der meine verliert... Und nun kein Wort mehr! Reich« mir mal die Zeichnungen herüber.... Aha, das sind die projectirten Stellen, schade, daß wir uns keine Wappenschilder und Dragoneruniformen daraus hervorho len können!... Hast Du eine Cigarre zur Hand?" Die Freunde vertieften sich mit ge erinnerien. Auras schellte und fragte daß e: '.iretcnde Mädchen nach Betty sie sei ins Dorf gegangen, lautete der Bescheid. Er runzelte die Stirne, wäh rend der Oberförster stumm die Achseln zuckte. Sie nahmen da» frugale Abend brot zuZweien ein. Betty war noch nicht Pferd in den Weg ein, der in einiger Entfernung vom Schloß direkt nach der Oberförsterei führte. Sich selbst tro tzend, zog er es zurück und zwang es den Parkzaun entlang. Das ganze „Corps de Logis", in welchem die seit Jahren verschlossenen Gesellschafts sein Pferd bäumte sich hoch empor, er hatte Mühe, cs mit Zügel, Gerte nud Schenkel zu bändigen. Vor ihm im Wege lag ausgestreckt eine menschliche Gestalt, ob Mann oder Frau, blieb in der Dunkelheit unerkennbar. bürg. „Ist Euch der Liebesschwindel stiegen, daß Ihr den Heimweg nicht mehr findet? Platz, oder Ihr lernt ein Paar Pferdehufe kennen!" Keine Bewegung, nur das leiseWim mern einer Frauenstimme antwortete! Er sprang aus dem Sattel und beugte sich über die Liegende, jetzt unterschied er ihre Worte: „Sterben sterben sterben!" Fast wäre er neben ihr nieder gestürzt, er erkannte Betty. „Betty Gott erbarme sich, was thun Sie hier? Was ist Ihnen gesche hen? Was soll ich sür Sie thun? Liebe, süße Betty, sprechen Sie nur ein Wort, schauen Sie mich nur einmal an, ich bin es ja, Karl Würzburg er wußte nicht, was er sprach, während er sie emporhob. Leblos hing sie auf seinen Armen; nur ihre Lippen be tagten sich, sie flüsterten das schaurige „Sterben Sterben" und den Namen Viktor. Ein wilder, unartikulirter Wuth- und Weheschrei rang sich aus Würzburgs Brust empor? das schien sie zu erwecken; sie öffnete die Augen und starrte ihn wie irrsinnig an. „Sie sag ten es zu Wolf, ich glaubte es nicht es kann ja nicht wabr sein," murmelte sie mit einem vergeblichen Versuch, sich seinen Armen zu entwinden. „Lassen Sie mich, ich muß fort" ... vom Schloß her klang gedämpft ein schmei chelnder Walzer, das Mädchen warf die Arme empor und den Kopf zurück, daß die dustenden Locken weich um Würz burgs Wangen flogen. Ein gellender Aufschrei: „Heissah, tanzen, tanzen, Viktor, mein süßer Viktor, mein Lieb ster, meine Seele, mein Leben!" und dann wieder das herzzerreißende Mur meln: „Sterben sterben!" Ein Fieberfrost schüttelte den Mann. Ihm grauste. Die willenlose, schwanke Mädchengestalt an seine Brust pressend, stieg er wieder in den Sattel und unter den fröhlichen Walzerklängen ritt er langsam heimwärts. Der Kutscher und die Wirthschaste rin, beides alte Erbstücke von seinen E ltern her, die ihn empfingen, prallten erschrocken zurück, als sie seine Last ge wahrten. Er reichte sie ihnen vom Pferde aus zu, stieg aus dem Sattel! und sagte mit tonloser Stimme: „Es ist Fräulein Auras sie ist während eines Spazierganges krank geworden oder verunglückt. Ich konnte nicht mehr zurück nach Liebenselde." Damit trug er sie selbst in das Gastzimmer und legte sie auf das Bett nieder. „Ihr wißt, welch' thörichtes Gerede durch diese ein fache Menschenpflicht entstehen könnte. Erfährt irgend Jemand von der An wesenheit des Fräuleins in meinem Hause, so verlaßt Ihr Beide es sofort für immer; richtet Euch darnach." Mit dem vertraulichen Murren, das sich alte Dienstboten so gerne erlaube», biummte Johann, daß er sein Leben lang kein Klatschmaul gewesen, und Malwine versicherte unter strömenden Thränen, sie sei ja dem lieben, armen Fräulein viel zu gut, um seinem Rufe durch Schwatzhastigkeit zu schaden; freilich wenn der Herr Oberförster ver heiratet wäre, wozu sie, seine alte Freundin, ihm so oft gerathen „Schon gut, ich weiß ja, daß ich mich auf Euch verlassen kann," schnitt ihr Würzburg gütigen Tones, doch mit ei ner heftigen Handbewegung, das Wort ab. „Thue, was Du vorläufig kannst, Malwine, und Du, Johann, fährst so fort nach Westerode und holst den Sa nitätsrath Krüger, keinen anderen Arzt; aber fahre, fahre, und wenn die Gäule drauf gehen!" Johann flog, so sehr es seine schon etwas steifen Beine gestatteten, der Oberförster aber ging in sein Zimmer hinüber. den Wald." XII. So war denn der Würfel gefallen Brunhilde wußte selbst kaum, wie es geschehen. Der Kammerherr hatte auf möglichst baldige öffentliche Verlobung sträubt. Nun Auras schroffes Auftre ten, das selbst ihres todten Vaters Ehre nahe sie daran gewesen war, der eigen thümlich zwingenden Macht dieses Mannes zu unterliegen. Sein Charak ter war ihr ein Räthsel, das ihr um so unbegreiflicher erschien, je mehr sie darüber nachgrübelte, bis sie selbst über das Interesse erschrak, das sich noch immer für ihn in ihr regte. Der Stolz war ihr ein stärkerer «nd treuerer Bun desgenosse als selbst ihre Neigung zu Biktor; ihn rief sie, er begann Auras Bild in ihrem Herzen in immer dunk leren Farben zu malen, erinnerte sie stündlich daran, daß der Frevler an ih res Baters und ihres stolzen Namens Ehre kein Gedenken verdiene. Wie er gessen- iw S s Den Wünschen des Kammerherrn zuvorkommend, drang sie nun selbst auf des Verlöbnisses. So wurde der Ge burtstag Viktors dafür angesetzt, der etwa eine Woche vor Beginn der Herbst manöver fiel. Zum ersten Male seit Jahren füllten schaft: Verwandte nnd Freunde in ho hen Stellungen, Kameraden Viktors mit althistorischen Namen waren in ihn selbst überraschender Anzahl der von ihm ausgegangenen Einladung gefolgt. Man wußte, das Haus Wildenhof werde binnen Kurzem eine neue Glanz epoche erleben, eineAktiengefellschaft, irelche für die Ausarbeitung der von Autoritäten nachgewiesenen Erzlager eine die Schuldenlast weit übersteigend« Rente zahlen wollte, war bereits in der Bildung begriffen und mit der ste ten Bereitwilligeit der sogenannten Gesellschaft, dem Reichen und Mächti gen gegenüber den bekannten Mantel der christlichen Nächstenliebe in An wendung zu bringen, waren sie alle er schienen, die eleganten Damen, die be sternten hochbetitelten Herren, die noch vor Wochen bei den Namen Wildenhof und Ruwer ablehnend die Achseln ge zuckt hatten und nun mit liebenswürdi ger Beredsamkeit ihrem Entzücken über dieses WiederselM nach so trüben Zeiten Ausdruck zu geben wußten. Kannte auch Ruwer diese Welt zu gut, um sich von der herzlichst klingen den Freundschaftsversicherung täuschen zu lassen, so war ihm doch der Verkehr in eben dieser Welt zu sehr Lebensbe dürfniß, sein eigener Charakter zu sehr ihr Produkt, als daß cr sich nicht hätte befriedigt fühlen sollen. Weit minder welterfahren, fühlte sich Brunhilde um so glücklicher, wie nach dem Erwachen aus einem schwerenTranme, das sie aus der dunklen Kerkernacht in die sonnige, Lebenslust strahlende Wirklichkeit zu rückführte. Noch nie hatte die als un nahbar bekannte Schönheit so echt mäd chenhaft liebenswürdig gescherzt, noch nie so verschämt innig gelächelt wie heute, wenn jemand eine leise Anspie lung auf das bevorstehende Ereigniß des Abends wagte oder Viktor mit ihr sprach. Sie schien Allen eine Andere geworden zu sein, noch begehrenswer ther als vordem. Der lange Hohenau, der seinen Schmerz in Champagner ertränkte, würde er nicht mit dem Sultan von Fez und Marokko tauschen, er wette seine neun Perlen gegen eine Bockbier miitze, daß in allen fünf Welttheilen kein reizenderes Weib gefunden werden könne, u.5.w.... und Frau von Leist beeilte sich, dem dicken Domprediger unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitzutheilen, daß es durch den Bei änderung hervorzubringen. Und endlich kam der erwartete große Moment bei der Tafel: Herr von Ru wer schlug mit dem Messer an sein Verlobung seiner Nichte BrunhildeWil- Ah! Aufstehen, Glückwünsche, Gläser dort heimlich ein boshaftes, neidisches Wispern für Brunhilde verschwam men alle diese Einzelheiten zu einem Jubelschrei, wie ihn der Schiffbrüchige ausstößt, wenn er endlich die Küste er reicht, und krampfhaft, wie dieser das rettende Land, erfaßte sie Viktors Hände... so wollte sie ihr Leben lang sich an ihn klammern, den Mann der unverfälschten Ritterlichkeit, den Edlen, Wahren, Treuen. wer auch ihr Tänzer sein mochte, ob der elegante Prinz Ravenstein ihr dis ciet andeutete, daß heute sein Dasein einen unheilbaren Schlag erlitten, oder glücklich sie sich fühlte, preisgegeben um ein Plauderstündchen allein mit ihm. Viktor gab ihr recht. Er fühlte sich überhaupt äußerst unbehaglich. Mit seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit hatte gewöhnlichen Klagen, Entschuldigun gen und Beschönigungen, die in ähnli chen Fällen üblich sind und schwebte was, wenn es geschehen, Betty darauf thun würde. Wenn sie vielleicht auch den endlichen völligen Bruch vorausge die ihn „unsterblich blamirte," ein fürchterlicher Gedanke, der ihm jedes Behagen raubte. Um sich das Gleichge wicht wiederzugeben, trank er wehr, als dies sonst seine Gewohnheit war, bis mit der immer weiter vorrückenden Stunde auch das beständige „Es wird schon alles gut werden" seines sangui nischen Temperamentes ihn wieder stär ker und stärter zu beherrschen begann. So stürzte er sich endlich, als bereits die frühe Dämmerung des Sommer morgens hereinzubrechen beaann, mit doppeltem Uebermuth in den Taumel des lustigen Tanzens und Trinkens, jede weitere Besürchtung nun selbst verlachend, bis ein mahnmder Blick des Kammerherrn ihn an die Nothwendig keit erinnerte, ein wenig frische Luft im Parke zu schöpfen. Brunhilde folgte ihm mit den Augen; ihr war feine Stimmung noch nicht aufgefallen. Der Lichterglanz des Saa les schien ihr zu erlöschen, als sie seine schlanke Gestalt, sein freudestrahlendes Antlitz nicht mehr sah. Eine halbe Stunde verging, er war noch nicht zu rück. Leise gab sie einem Diener den Be fehl, nach ihm zu sehen, der Kammer herr, der es gehört, fügte einige leise Worte hinzu. Dann, nach einigen weiteren Minu ten des Marrens, mischte sich unter die taktmäßig wogenden Walzertöne von draußen her ein seltsames Stimmenge murmel; der Diener erschien wieder mit verstörtem Gesicht, er winkte, entgegen jedem Ceremonie!!, dem Kammerherrn und flüsterte ihm etwas zu, was diesen erblassen ließ. Jenes Flüstern, unheim licher klingend als lautes Geschrei, setzte sich in dem Saal fort. Die Musik brach, ohne das Zeichen des Eapellmeisters ab zuwarten, mit einem schrillen Miß klang ab. Brunhilde stand jetzt neben dem Oheim. „Biktor?" siieß sie hervor, aber der alte Mann wär schwächer als je. Mit krampfhafter Anstrengung versuchte er über seine farblosen Lippen. Er brach zusammen, der Diener fing ihn auf und Brunhilde flog, keiner weiteren Aus- Kreisphysikus entgegen. „Nur ein Unfall, ohne, wie ich hoffe, weitgehende Bedeutung," sprach er so laut, daß auch die nachdrängendenGäste ihn verstehen konnten. „Sie dürfen gänzlich unbesorgt sein, Gräfin, in ei ner Viertelstunde erhalten Sie nähere Nachricht." „Darf ich ihn sehen?" Der Arzt zuckte die Achseln. „Wenn ich bitten darf, bestehen Sie nicht dar auf. Die Aufregung—" Brunhilde unterbrach ihn nur durch eine abwehrende Handbewegung, und während er wieder im Krankenzimmer verschwand, stellte er sich mit dem Rü cken gegen die Thür, einer Schildwache gleich, welche den ihr anvertrauten Posten mit dem Leben zu vertheidigen entschlossen ist. Sie sprach nicht, sie hörte offenbar kein Wort von den Bei leidsbezeugungen und Fragen, mit denen man sie überschüttete; aus dem farblosen, wie versteigerten Antlitz schauten die weitgeöffneten Augen, deren Blau nun fast schwarz erschien, starr hervor in unbestimmte Ferne. „Fort, laßt sie allein!" . . . Nie mand wußte, wer zuerst das Wort ge sprochen, doch jeder sprach es nach und beeilte sich, ihm zu folgen. Niemand nahm Abschied, die Wagen rollten da von. Einige scheu und neugierig aus lugende Bedientengesichter abgerechnet, war Brunhilde allein. Sie verließ ih ren Posten und schritt langsamen, schwankenden Ganges in der weiten Treppenhalle auf und nieder. Die Biertelstunde, von welcher der Arzt ge- Ein kühler, erquickender Hauch strich durch die Halle und mischte sich mit der betäubenden Wolke von Parfüm und Kerzenduft, die aus den Gesell schaftsräumen herniedersank. Roth durch die geisterhafte Stille schallte der vorsichtige Schritt des die Kerzen ver löschenden Dieners. ihre Hand nach dem Broncegeländer der Treppe. Sie faßte eine der Blu men, mit denen es umwunden waren blätterte! Herren, was geschehen ist; ich fürchte, kein Unglücksfall, sondern ein Ver brechen." Das kluge Auge des Staatsanwalts ruhte fast bewundernd auf ihren unbe wegten Zügen, ihrer stark emporgerich teten Gestalt, während er erwiderte: Nähe der sogenannten Grotte;" zuckte zusammen „unter Beobachtung der nöthigen Vorsichts waßre zeln untersuchten wir soeben den Ort. Wie ich erwartet, fanden wir eine zweite Fußspur, die sich imGebiisch ver lor, einen ziemlich derben Männerstie fel mit Sporn, dann aber noch zu un serem Erstaunen in kurzer Entfer nung von einander zwei einläufige, schön gearbeitete Pistolen, die eine frisch entladen, die andere nur mit einem Zündhütchen versehen." „Wo sind die Waffen?" „Wir haben sie sorgfältig wieder in dieselbe Lage zurückgebracht. Es ist dies für die Aufnahme des Thatbestan des unbedingt erforderli-5. Ebenso er suchte ich den Herrn Direktor, jedes Be treten des Partes auf das Sorgfältigste „Bezieht sich dieses Verbot auch auf mich?" „Ich bedaure von Herzen unendlich, Gräfin, aber meine Amtspflicht" Das Hinzutreten des Arztes unter brach Herrn von Groll. „Erschossen?" warf ihm die Gräfin eiskalten Tones entgegen. Der Arzt räusperte sich und erwi derte: „Schuß in die Brust, jedenfalls aus sehr geringer Entfernung. Die Kugel habe ich. Wie weit die Lunge verletzt ist, vermag ich noch nicht zu sa gen. Ich bedarf dazu meines großen Bestecks? in drei Stunden bin ich wie der zurück, bitte aber, bis dahin Herrn von Ruwer unbedingt nicht zu stören." Er empfahl sich, der Staatsanwalt schloß sich ihm an mit dem Bemerken, daß jedenfalls nocki im Laufe des Vor mittages eine Untersuchungscommission eintreffen werde. Hohenau, der plötzlich sehr ernüchtert schien, stand allein mit der Gräfin, und sein hageres Gesicht erschien wahrlich nicht geistreicher, als sie nach einigen Minuten des Stillschweigens sich an ihn wandte: „Sie waren stets mein Freund, Gras; wollen Sie es auch jetzt sein, mir diesen feigen Meuchelmord rächen helfen?" „Gnädigstes Fräulein, mein Leben gehört Ihnen", stammelte er ohne jedes Verständniß, „indeß hier die Po lizei das Gericht —" „Das Gericht? Wüßte ich die Waffen zu führen! Doch ich werde es Gellend scharf lachte sie dazwischen: eines Tages versieben, und dann" nun unterbrach sie sich selbst mit einem Ausschrei, der, so leise er klang, kaum aus einer menschlichen Kehle zu drin gen schien. Flüchtig, so daß selbst die langen Beine Hohenaus ihr kaum zu folgen vermochten, eilte oder vielmehr sprang sie nach dem Hauptportal. Aus dem Schloßhofe, vor der Rampe stand Auras, seinVferd am Zü gel, im Gespräch mit einem Diener. Bei Brunhildes Anblick wurde sein über nächtiges lUsicht noch um einenSchein fahler. Er lüftete den Hut und ver neigte sich: „Verzeihen Sie gütigst mein unberu fenes Eindringen, Gräfin. Es wäre gewiß nicht erfolgt, triebe mich nicht die Sorge um meine seit gestern Abend spurlos verschwundene Schwester hier her. Ich fürchtete" seine zitternde Stimme verklang in einem undeutlichen Murmeln. „Ein vortrefflicher Vorwand, das Resultat Ihres Bubenstückes zu ersah ihn herantretend, so daß ihre wogende Brust fast die seine berührte, schleuderte sie ihm ein leises, dolchscharfes „Meu chelmörder" ins Gesicht. Es zuckte fast wie Mitleid über seine t' 112 d 112 'ch Sie stand ihm noch immer gegenüber, ihr fieberglühendes Auge tief in das seinige bohrend. „Hätten Sie wenigstens den Muth der offenen That, den Muth der Wa^>r- Rechenschast ziehen kann. Ich hatte stets Muth ist der Stolz Ihres Standes, die es ist Ihre Ehre, die es verlangt. Je- Was thut's? Es widerspricht ja nicht Ihrer Ehre! Und Sie haben Muth ge mehr menschliche Auffassung zu belä cheln. Diese Ehre —" Auras vollendete nicht, doch das häßliche Schimpfwort lag deutlich auf seinen Lippen. Es war der Tropfen, der das GlaZ überlaufen ließ, der elektrische Funken, welcher die Mine sprengte. Schmerz und Wuth zerrissen die Fesseln der mit Aufbietung aller Kraft bis jetzt be haupteten Selbstbeherrschung. Sinnlos flammte die ursprüngliche Leidenschaft des Weibes dem heute der Ge liebte geraubt worden, dem seine und ihre Ehre, ihr kostbarstes Idol, unter peitsche? ... Ich selbst —" sie riß Au sie schien ihm ihren Namen nie mit mehr Recht geführt zu haben, als ge rade jetzt, die kräftige, prachtvolle Ge- Haar halb aufgelöst um das dunkelge röthete Antlitz flatternd, aus welchem die blauen Augen wie Flammen her- l vorspriihten, den vollen Arm wie zu» vernichtenden Schwertstreich erhoben. Wie ein Blitzstrahl ging es vorüber, dann trat in die Augen des Mannes jener zwingende Löwenblick, in sein Ge sicht jener eherne Zug, der schon das Kind mit Entsetzen erfüllt. Der erho bene Arm sank schlaff Herl teder, die Reitgerte entfiel der zitternden Hand. Ohne sich zu besinnen, war der lange Ulanenlieutenant, dem bisher die ganze Scene zu unverständlich und zu plebejisch geschienen, um sich hinein zn mischen, die Rampe hinib gesprun gen. Es fehlte ihm durchaus nicht an Muth, sich mit dem ihm an Krast jeden falls weit überlegenen Gegner zu mes sen, doch kam er dazu zu spät Au ras jagte bereits zum Thore hinaus —> und gerade noch rechtzeitig genug, um das schwankende Mädchen seinen Armen aufzufangen. „Süße Last" lonnte er nich' umhin, halblaut in den spärlichen Schnurr bart zu murmeln. Seine Stimme brachte sie zur Besin nung zurück. „Mein Gott was war mir? was that ich?" stammelte sie, und, seinen Arm zurückweisend, schritt sie mit zit-' ternden Knieen, die eiskalten H-i>,de ge gen die glühenden Schläfen gepreßt, nach ihrem Zimmer. Stundenlang blieb sie unbeweglich, das Gesicht nach der Wand gekehrt, liegen, jedem Zuspruch der sich endlich von ihrem Ents?»«n er holenden Frau von Leist vn«>,gäng lich, bis die Untersuchungscoz-.mission kam. Dann erst richtete sie sich auf. Die Gesellschafterin schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und setzte sich ganz unbewußt auf den nächsten Stuhl. „Der Herr erbarme sich, was hat die ser Morgen ausJhne» gemacht? Ich er kenne Sie kaum wieder. Aber se'en Sie getrost, der Herr hilft den Seinen; doch wer das Schwert gebraucht, soll auch durch das Schwert umkommen!" rief die fromme Dame, ohne zu bedenken, daß das letztere Citat in diesem Falle etwas zweideutig klingen mußte. Brunhilde antwortete nur mit einem unwilligen Kopsschütteln. Sie erbrach den Brief, den ein Gerichtsdiener für sich bereits am frühen Morgen selbst hier gestellt: Ihr eigener Oberförster. Er behauptet, es habe ein regelrechtes Duell stattgefunden, allerdings ohne Zeugen und mit nur einer geladenen Pistole, während die zweite, dieser Lu an, deren nähere Erklärung er entschie den verweigert. Ich hoffe und dies ! nicht nur alsßeamter —, daß Herr von Ruwer bald soweit hergestellt sein wird, das bleibende Dunkel aufklären zu können. So weit mir und Anderen Herr Wiirzburg bekannt ist, habe ich vorderhand keine Veranlassung, an sei ner Aussage zu zweifeln. Indem ich, gnädigste Gräfin, u.s.w. v. Groll." Mit einem Ausdruck grenzenloser Verachtung schleuderte sie das Papier zu Boden. „Nicht einmal er selbst, ein gedungener Raufbold... O Viktor, wie sehr muß ich Dich lieben, da ich das alles um Deinetwillen ertrage!" Sie schlug die Hände vor das Gesicht und zum ersten Male an diesem Morgen drang ein Strom heißer Thränen aus ihren brennenden Augen. Das Kammermädchen hüstelte dis cret an der Thüre. „Der Herr Kreisphysikus kommt so eben vom HerrnLieutenant und wünscht gnädige Gräfin zu sprechen." „Ich komme," antwortete Brun- Hilde und raffte ihr Haar zusammen. XIII. Erregter, als sich sonst bei dem we nig für „sensationelle Fälle" eingenom menen Publikum einer Mittelstadt be obachten läßt, verließ ein dichter Men schenstrom dasGerichtsgebäude; auf der Straße nochmals Halt. Plötzlich bil- Eommando zum Spaliermachen gege ben hatte, allgemeines Flüstern: „Das ist er, der Kleinere, Dicke, in der grünen Uniform ... sehr niedergeschlagen sieht er nicht aus ... und so gutmüthig und fidel, daß man es ihm kaum zutraut.... Pah, von feinen zwei Jahren sitzt er kaum ein halbes ab, dann wird er be gnadigt, das kennt man schon ... Der Große, Starke neben ihm, mit dem fin steren Gesicht, ist der Liebenfelder Herr, fenern direkt an der Nase vorbei gegan gen i?.... Ganz recht, sollen diese Vornehmen alles haben?" Wiirzburg fing mit scharfem Ohre die verschiedenartigen Ausrufe und Be merkungen auf. Belustigt lächelnd, zog er den Freund schneller mit fort. „Wenn ich mich heute auf dem Jahr markt sehen ließe, könnte ich noch ein unsinniges Geld verdienen rüh rende Popularität!" Eine Viertelstunde später saßen sie vor einem reich gedeckten Tische in Würzburgs Hotel .Nach seiner Entlas sung aus der das heißt seit der ersten Vernehmung Vik tors, war er nicht mehr nach Wilden hof zuriickaekehrt. Johann und Mal wine, die Treuen, Ware» mit sämmtli chem Mobiliar abgereist, wohin, wnßte Auras ivar sehr ernst und berührte die Speisen kaum. „Zwei Jahre." murmelte er, mehr zu sich selbst, als zu dem Anderen re blühendcu Lebens verloren!" ? (Fortsetzung s«lgt.j Wie allgemein bekannt, vollzieht de« Kaiser von China alljährlich die Cere monie des Pflügens um dadurch die Wichtigkeit des Ackerbaues zu veran schaulichen und das Voll anzuspornen, den Landbau eifrig zu betreiben. Die Ceremonie fand dieses Jahr, so erzählt der „Ostas. Lloyd", am 8. April statt. Seine Majestät verließ den Palast um 4 Uhr Morgens, gefolgt von feinem Hofstaat, und hielt auf dem Wege zum „Kaijerselde" bei dem Altar der Gott heit, die der Landwirthschast vorsteht, an, um dort Dankgebete und Opfer auf, um bei dem Tai Scheu Tie» noch mals Halt z» machen, zu opfern unl» darauf ein Frühstück einzunehmen. fange. Um das Feld herum waren zahllos« Psähle eingesetzt, an welche man Flag ein errichtet. Mitte baugerätb in der Hand hielt, bildete,» ein Spalier, durch welches der Kaiser zu dem sselde schritt. Eine gelbe Kuh. Kielten die beiden Seiten des Pfluges. Das <stück Land, welches der Kaiser pflügte, war etwa üv lang und 20 Fuß breit: er Pflügte lü Furchen, d. h. acht Mal auf und nieder. Nach dem das Pflügen beendet war, nahm er einen Sack, der den Samen enthielt, und sein Hosmeister, der Präsident des Felde, welches der Kaiser pflügt, soll dem Schang-ti (höchste» Gölte) aus den verschiedene» Altären geopfert werden, doch diese Sitte wird heute offenbar nicht mehr beobachtet. Nachdem Sein« Majestät die ChrsurchtSbezeugungen der anwesenden Prinzen und sonstigen Würdenträger» entgegengenommen, kehrte er gegen 7 Uhr Morgens nach dem Palaste zurück. Wett«« t»"»lt«r Zeit. Die neuerdings wieder kräftig wü thende Seuche, absonderliche Welten einzugehen und unter dem Jubel der zuschauenden Narren und Nichinarren auszutragen, ist keine Erscheinung der Neuzeit. Bereits vor 7» Jahren, im diese Verrücktheit in England zum Ausbruch. Den Anfang machten z>vei Burger von Fawey, ejn Schuhflicker und ein Schneider. Sie wetteten mit einander, wer die häßlichsten Kratzen schneiden könne. Die Wette wurde im Wirthshause ausgesochten, der Preis war eine Rolle Tabak. Bereits war der Schuhflicker dem Schneider um drei Fratze» voraus, als ei» Man», der eine hohe Wette auj den Sieg des Schneiders gemacht hatte. Letzterem durch List zum Siege verhälf. Er näherte sich ihm heimlich »nd trat ihm plötzlich so heftig auf die Hühner augen, daß der Schneider vor Schmerz «ine greuliche Grimasse schnitt, die von dem Schuhflicker nicht zu übertreffen war und welchem daher vom Schiedsge richt der Preis zuerkannt wurde. Zu derselben Zeit ging ein Londoner Schisser, der große körperliche Gewana heit befaß, folgende Wette ein: Cr be hauptete, er wolle sich gegen Bezahlung eines angemessenen Preises an die Rad speichen einer Kutsche hängen und sich, während letztere sich im schnellsten Fah ren befinde, so mit dem Rade herum drehen lassen. Die Wette wurde in einer der Hauptstraßen Londons im Beisein einer großen Menschenmenge ausgesochten und richtig gewonnen. Den Gipfel der Absonderlichkeit erreich ten aber zwei altadelige Herren, der Herzog von Bedford uiid Lord Bary more. Diese wetteten miteinander über Derselbe verzehrte zum großen Jubel der hocharistotratischen Gesellschaft, die zu dem Schauspiele eingeladen war. MoritzWilhelm, der vor lebte Herzog von Sachsen-Merseburg, hatte für die Baßgeige eine an s Toll» grenze«»« Vorliebe. Er strich sie sogar der Prediger zu erkennen gab. Erlist es, den Anastasius Grün in seinen .Nibelungen im' Frack- so ergötzlich schildert. Unter seiner Baßgeigen- Kapelle beiand sich ein Zwerg, der di« gewöhnliche Violine al4 Baß, und ein Zuvorkommend. .Wenn ich um zehn Uhr nicht zu Hause bin. lieb« Frau, brauchst Tu nicht mehr auf mich zu warten!" Fallt mir auch gar nicht ein! Wenn Du um neu» ' Uhr nicht da bist, hol' ich Dich!" 3
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