Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, June 30, 1893, Page 3, Image 3

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    Hrunhilde.
(6. Fortsetznng.)
.Ich kann es nicht." antwortete Betty
mit gepreßter Stimme.
„Auch dann nicht, wenn ich Ihnen
sage, daß Ihre Träume nicht in Er
füllung gehen werden, da Sie Ihr Herz
«wem Unwürdigen schenkten, der Sie
v«'
Erglühend fuhr Betty empor:
„Mm, der erbärmlichen Lüge! Je
des Wort aus Ihrem Munde ist mir
verhaßt, wie Ihr Anblick. Spioniren
Sie mir nach, verleumden Sie, wieSit
für."
Sie eilte so schnell davon, daß sie den
bitlmden Ruf Würzburgs nicht mehr
vernahm. „Armes, blindK Kind, wie
bald wirst Du sehend werden!" mur
melte er traurig und ging ins Haus.
Wolf Auras sprang vom Schreibtisch
empor und begrüßte ihn mit herzlichem
Händedruck. Lebhaft wechselten Rede
und Gegenrede, bis der Oberförster be
merkte: „Du sitzest ja im Papier ver
graben wie ein Winkeladvokat.. klappt
cs noch nicht?"
ES verging eine Minute, ehe Auras
antwortete: „Du weiht, daß mein klei
nes Erbtheil und meine Ersparnisse ge
rade hinreichten, das Gut zu überneh
men. Man spricht jetzt viel von dem
Vorkommen werthvoller Kupfererze in
unserer Gegend. Nun habe ich gewich
meinem Besitz die Hauptadern liegen.
Will ich aber nicht alles einem Unter
nehmer überlassen, das heißt von vorn
herein den Löwenantheil des etwaigen
Gewinnes und das Heft aus der Hand
geben, so bin ich genöthigt, die ersten
Bohroersuche und Anlagen auf eigene
Kosten zu unternehmen. Bettys Vermö
gen, das ich verwalte, greife ich unter
keinen Umständen an. Heymann A
Sohn vfserirten mir ohne Anfrage das
nöthige Capital heute ziehen sie ihre
Zusagen unter den bekannten höflich
nichtssagenden Entschuldigungen zu
rück."
„Sehr begreiflich Heymann <8:
Soh« sind die Bankiers der Gräfin
Wilder.hof Xnd des Kammerherr« von
Ruwer, und wollen sich natürlich dieser
für die Zukunft viel versprechenden
Kundschaft gefällig erweisen."
„Du meinst —?"
„Beschwören möchte ich es. Heymann
war gestern selbst in Wildenhof-, es
handelt sich jedenfalls um Vorschüsse,
welche die Gräfin als persönliche
Schuldnerin aufnimmt. Der glatte
Kaimnerherr, der selbst beständig auf
dem Trockenen sitzt, ohne daß ihm je
mand einen Dreier leiht, wird es ihr
schon plausibel gemacht haben. Was
verstellt das Mädchen von Geldgeschäf
ten? Was sind schließlich fünfzehn oder
zwanzig Procent Zinsen sür die zu
künftige unbeschränkte Besitzerin von
Wildcuhos? ... Du hast Dich ja genug
gcplagt, sie recht bald wieder dazu zu
machen. Deinen Dank hast Du nun
jedenfalls sieh in diesem
Misch» de» Juden seinen Ausdruck."
„Ich glaube es nicht," schüttelte Au
ra! d'N Kops; „auf diese niedrige Weise
llonn sich Brunhilde Wildenhof nicht
rächen."
Der Oberförster lachte bitter auf.
„Rührendes Vertrauen auf das sub
tile Ehr- und Zartgefühl einer Edel
dame! .... Du hast ja noch nicht
einmal gefragt, wozu sie so viel Geld
braucht. Heute feiern sie drüben Verlo
biinz, ich habe mich davon gemacht,
um nicht gratuliren und ein erfreutes,
höfliches Gesicht schneiden zu müssen.
Bräutigam ist natürlich der elegante
Lieutenant, die würdige Pflanze unse
res werthen Freundes Ruwer er
hat's erreicht, dieser edle Octavio!"
Aluras war emporgezuckt. Nur einen
kurzen Augenblick verzerrten sich seine
Züge, dann nahmen sie wieder den Au
sdruck eherner Ruhe an. In hartem
Tone erwiderte er: „Ich weiß daS seit
Wochen ans der Gräsin eigenem Munde.
Sie hätte leicht eine schlechtere Wahl
treffen lll»nen."
„Oper eine bessere!" murmelte Würz
burg. „Hast Du mir nichts weiter zu
sagen, Auras?"
„Ich bin fertig!"
„Etwa mit>nlkm Glück und Leben's
Pah, cs wiegt nicht schwer in einer
Hand, die einen Wappenring trägt, ein
bischen Menschenleben, ein wenig Men
schenglück!" ... Der Oberförster ließ
abermals sein schrilles Lklchen hören....
„Den Kopf hoch, mein Junge, auch An
dere machen ihre Erfahrungen. Im
Uebrigen, daSGeld, Du bedarfst,
brauche ich es nicht, und die anderen
Träume sind ausgeträumt."
Prüfend ließ Auras sein klares Auge
iiber des Freundes Antlitz gleite».
.Auch Du, Brutus?!" lachte er.
„Jawohl mein Junge! Es laufen gar
viele versteckte Fäden an dem großen
Webstuhle, der sich die Welt nennt. Soll
mich verzweifelt wenig kümmern, wohin
sich der meine verliert... Und nun
kein Wort mehr! Reich« mir mal die
Zeichnungen herüber.... Aha, das
sind die projectirten Stellen, schade,
daß wir uns keine Wappenschilder und
Dragoneruniformen daraus hervorho
len können!... Hast Du eine Cigarre
zur Hand?"
Die Freunde vertieften sich mit ge
erinnerien. Auras schellte und fragte
daß e: '.iretcnde Mädchen nach Betty
sie sei ins Dorf gegangen, lautete der
Bescheid. Er runzelte die Stirne, wäh
rend der Oberförster stumm die Achseln
zuckte. Sie nahmen da» frugale Abend
brot zuZweien ein. Betty war noch nicht
Pferd in den Weg ein, der in einiger
Entfernung vom Schloß direkt nach der
Oberförsterei führte. Sich selbst tro
tzend, zog er es zurück und zwang es
den Parkzaun entlang. Das ganze
„Corps de Logis", in welchem die seit
Jahren verschlossenen Gesellschafts
sein Pferd bäumte sich hoch empor, er
hatte Mühe, cs mit Zügel, Gerte nud
Schenkel zu bändigen. Vor ihm im
Wege lag ausgestreckt eine menschliche
Gestalt, ob Mann oder Frau, blieb in
der Dunkelheit unerkennbar.
bürg. „Ist Euch der Liebesschwindel
stiegen, daß Ihr den Heimweg nicht
mehr findet? Platz, oder Ihr lernt ein
Paar Pferdehufe kennen!"
Keine Bewegung, nur das leiseWim
mern einer Frauenstimme antwortete!
Er sprang aus dem Sattel und beugte
sich über die Liegende, jetzt unterschied
er ihre Worte: „Sterben sterben
sterben!" Fast wäre er neben ihr nieder
gestürzt, er erkannte Betty.
„Betty Gott erbarme sich, was
thun Sie hier? Was ist Ihnen gesche
hen? Was soll ich sür Sie thun?
Liebe, süße Betty, sprechen Sie nur ein
Wort, schauen Sie mich nur einmal an,
ich bin es ja, Karl Würzburg er
wußte nicht, was er sprach, während
er sie emporhob. Leblos hing sie auf
seinen Armen; nur ihre Lippen be
tagten sich, sie flüsterten das schaurige
„Sterben Sterben" und den Namen
Viktor. Ein wilder, unartikulirter
Wuth- und Weheschrei rang sich aus
Würzburgs Brust empor? das schien sie
zu erwecken; sie öffnete die Augen und
starrte ihn wie irrsinnig an. „Sie sag
ten es zu Wolf, ich glaubte es nicht
es kann ja nicht wabr sein," murmelte
sie mit einem vergeblichen Versuch, sich
seinen Armen zu entwinden. „Lassen
Sie mich, ich muß fort" ... vom
Schloß her klang gedämpft ein schmei
chelnder Walzer, das Mädchen warf die
Arme empor und den Kopf zurück, daß
die dustenden Locken weich um Würz
burgs Wangen flogen. Ein gellender
Aufschrei: „Heissah, tanzen, tanzen,
Viktor, mein süßer Viktor, mein Lieb
ster, meine Seele, mein Leben!" und
dann wieder das herzzerreißende Mur
meln: „Sterben sterben!"
Ein Fieberfrost schüttelte den Mann.
Ihm grauste. Die willenlose, schwanke
Mädchengestalt an seine Brust pressend,
stieg er wieder in den Sattel und unter
den fröhlichen Walzerklängen ritt er
langsam heimwärts.
Der Kutscher und die Wirthschaste
rin, beides alte Erbstücke von seinen E
ltern her, die ihn empfingen, prallten
erschrocken zurück, als sie seine Last ge
wahrten. Er reichte sie ihnen vom
Pferde aus zu, stieg aus dem Sattel!
und sagte mit tonloser Stimme: „Es
ist Fräulein Auras sie ist während
eines Spazierganges krank geworden
oder verunglückt. Ich konnte nicht mehr
zurück nach Liebenselde." Damit trug er
sie selbst in das Gastzimmer und legte
sie auf das Bett nieder. „Ihr wißt,
welch' thörichtes Gerede durch diese ein
fache Menschenpflicht entstehen könnte.
Erfährt irgend Jemand von der An
wesenheit des Fräuleins in meinem
Hause, so verlaßt Ihr Beide es sofort
für immer; richtet Euch darnach."
Mit dem vertraulichen Murren, das
sich alte Dienstboten so gerne erlaube»,
biummte Johann, daß er sein Leben
lang kein Klatschmaul gewesen, und
Malwine versicherte unter strömenden
Thränen, sie sei ja dem lieben, armen
Fräulein viel zu gut, um seinem Rufe
durch Schwatzhastigkeit zu schaden;
freilich wenn der Herr Oberförster ver
heiratet wäre, wozu sie, seine alte
Freundin, ihm so oft gerathen
„Schon gut, ich weiß ja, daß ich mich
auf Euch verlassen kann," schnitt ihr
Würzburg gütigen Tones, doch mit ei
ner heftigen Handbewegung, das Wort
ab. „Thue, was Du vorläufig kannst,
Malwine, und Du, Johann, fährst so
fort nach Westerode und holst den Sa
nitätsrath Krüger, keinen anderen Arzt;
aber fahre, fahre, und wenn die Gäule
drauf gehen!"
Johann flog, so sehr es seine schon
etwas steifen Beine gestatteten, der
Oberförster aber ging in sein Zimmer
hinüber.
den Wald."
XII.
So war denn der Würfel gefallen
Brunhilde wußte selbst kaum, wie es
geschehen. Der Kammerherr hatte auf
möglichst baldige öffentliche Verlobung
sträubt. Nun Auras schroffes Auftre
ten, das selbst ihres todten Vaters Ehre
nahe sie daran gewesen war, der eigen
thümlich zwingenden Macht dieses
Mannes zu unterliegen. Sein Charak
ter war ihr ein Räthsel, das ihr um
so unbegreiflicher erschien, je mehr sie
darüber nachgrübelte, bis sie selbst über
das Interesse erschrak, das sich noch
immer für ihn in ihr regte. Der Stolz
war ihr ein stärkerer «nd treuerer Bun
desgenosse als selbst ihre Neigung zu
Biktor; ihn rief sie, er begann Auras
Bild in ihrem Herzen in immer dunk
leren Farben zu malen, erinnerte sie
stündlich daran, daß der Frevler an ih
res Baters und ihres stolzen Namens
Ehre kein Gedenken verdiene. Wie er
gessen- iw S s
Den Wünschen des Kammerherrn
zuvorkommend, drang sie nun selbst auf
des Verlöbnisses. So wurde der Ge
burtstag Viktors dafür angesetzt, der
etwa eine Woche vor Beginn der Herbst
manöver fiel.
Zum ersten Male seit Jahren füllten
schaft: Verwandte nnd Freunde in ho
hen Stellungen, Kameraden Viktors
mit althistorischen Namen waren in ihn
selbst überraschender Anzahl der von
ihm ausgegangenen Einladung gefolgt.
Man wußte, das Haus Wildenhof
werde binnen Kurzem eine neue Glanz
epoche erleben, eineAktiengefellschaft,
irelche für die Ausarbeitung der von
Autoritäten nachgewiesenen Erzlager
eine die Schuldenlast weit übersteigend«
Rente zahlen wollte, war bereits in der
Bildung begriffen und mit der ste
ten Bereitwilligeit der sogenannten
Gesellschaft, dem Reichen und Mächti
gen gegenüber den bekannten Mantel
der christlichen Nächstenliebe in An
wendung zu bringen, waren sie alle er
schienen, die eleganten Damen, die be
sternten hochbetitelten Herren, die noch
vor Wochen bei den Namen Wildenhof
und Ruwer ablehnend die Achseln ge
zuckt hatten und nun mit liebenswürdi
ger Beredsamkeit ihrem Entzücken
über dieses WiederselM nach so trüben
Zeiten Ausdruck zu geben wußten.
Kannte auch Ruwer diese Welt zu
gut, um sich von der herzlichst klingen
den Freundschaftsversicherung täuschen
zu lassen, so war ihm doch der Verkehr
in eben dieser Welt zu sehr Lebensbe
dürfniß, sein eigener Charakter zu sehr
ihr Produkt, als daß cr sich nicht hätte
befriedigt fühlen sollen. Weit minder
welterfahren, fühlte sich Brunhilde um
so glücklicher, wie nach dem Erwachen
aus einem schwerenTranme, das sie aus
der dunklen Kerkernacht in die sonnige,
Lebenslust strahlende Wirklichkeit zu
rückführte. Noch nie hatte die als un
nahbar bekannte Schönheit so echt mäd
chenhaft liebenswürdig gescherzt, noch
nie so verschämt innig gelächelt wie
heute, wenn jemand eine leise Anspie
lung auf das bevorstehende Ereigniß
des Abends wagte oder Viktor mit ihr
sprach. Sie schien Allen eine Andere
geworden zu sein, noch begehrenswer
ther als vordem.
Der lange Hohenau, der seinen
Schmerz in Champagner ertränkte,
würde er nicht mit dem Sultan von
Fez und Marokko tauschen, er wette
seine neun Perlen gegen eine Bockbier
miitze, daß in allen fünf Welttheilen
kein reizenderes Weib gefunden werden
könne, u.5.w.... und Frau von Leist
beeilte sich, dem dicken Domprediger
unter dem Siegel der Verschwiegenheit
mitzutheilen, daß es durch den Bei
änderung hervorzubringen.
Und endlich kam der erwartete große
Moment bei der Tafel: Herr von Ru
wer schlug mit dem Messer an sein
Verlobung seiner Nichte BrunhildeWil-
Ah! Aufstehen, Glückwünsche, Gläser
dort heimlich ein boshaftes, neidisches
Wispern für Brunhilde verschwam
men alle diese Einzelheiten zu einem
Jubelschrei, wie ihn der Schiffbrüchige
ausstößt, wenn er endlich die Küste er
reicht, und krampfhaft, wie dieser das
rettende Land, erfaßte sie Viktors
Hände... so wollte sie ihr Leben lang
sich an ihn klammern, den Mann der
unverfälschten Ritterlichkeit, den Edlen,
Wahren, Treuen.
wer auch ihr Tänzer sein mochte, ob
der elegante Prinz Ravenstein ihr dis
ciet andeutete, daß heute sein Dasein
einen unheilbaren Schlag erlitten, oder
glücklich sie sich fühlte, preisgegeben um
ein Plauderstündchen allein mit ihm.
Viktor gab ihr recht. Er fühlte sich
überhaupt äußerst unbehaglich. Mit
seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit hatte
gewöhnlichen Klagen, Entschuldigun
gen und Beschönigungen, die in ähnli
chen Fällen üblich sind und schwebte
was, wenn es geschehen, Betty darauf
thun würde. Wenn sie vielleicht auch
den endlichen völligen Bruch vorausge
die ihn „unsterblich blamirte," ein
fürchterlicher Gedanke, der ihm jedes
Behagen raubte. Um sich das Gleichge
wicht wiederzugeben, trank er wehr,
als dies sonst seine Gewohnheit war,
bis mit der immer weiter vorrückenden
Stunde auch das beständige „Es wird
schon alles gut werden" seines sangui
nischen Temperamentes ihn wieder stär
ker und stärter zu beherrschen begann.
So stürzte er sich endlich, als bereits
die frühe Dämmerung des Sommer
morgens hereinzubrechen beaann, mit
doppeltem Uebermuth in den Taumel
des lustigen Tanzens und Trinkens,
jede weitere Besürchtung nun selbst
verlachend, bis ein mahnmder Blick des
Kammerherrn ihn an die Nothwendig
keit erinnerte, ein wenig frische Luft im
Parke zu schöpfen.
Brunhilde folgte ihm mit den Augen;
ihr war feine Stimmung noch nicht
aufgefallen. Der Lichterglanz des Saa
les schien ihr zu erlöschen, als sie seine
schlanke Gestalt, sein freudestrahlendes
Antlitz nicht mehr sah. Eine halbe
Stunde verging, er war noch nicht zu
rück. Leise gab sie einem Diener den Be
fehl, nach ihm zu sehen, der Kammer
herr, der es gehört, fügte einige leise
Worte hinzu.
Dann, nach einigen weiteren Minu
ten des Marrens, mischte sich unter die
taktmäßig wogenden Walzertöne von
draußen her ein seltsames Stimmenge
murmel; der Diener erschien wieder mit
verstörtem Gesicht, er winkte, entgegen
jedem Ceremonie!!, dem Kammerherrn
und flüsterte ihm etwas zu, was diesen
erblassen ließ. Jenes Flüstern, unheim
licher klingend als lautes Geschrei, setzte
sich in dem Saal fort. Die Musik brach,
ohne das Zeichen des Eapellmeisters ab
zuwarten, mit einem schrillen Miß
klang ab.
Brunhilde stand jetzt neben dem
Oheim.
„Biktor?" siieß sie hervor, aber der
alte Mann wär schwächer als je. Mit
krampfhafter Anstrengung versuchte er
über seine farblosen Lippen. Er brach
zusammen, der Diener fing ihn auf und
Brunhilde flog, keiner weiteren Aus-
Kreisphysikus entgegen.
„Nur ein Unfall, ohne, wie ich hoffe,
weitgehende Bedeutung," sprach er so
laut, daß auch die nachdrängendenGäste
ihn verstehen konnten. „Sie dürfen
gänzlich unbesorgt sein, Gräfin, in ei
ner Viertelstunde erhalten Sie nähere
Nachricht."
„Darf ich ihn sehen?"
Der Arzt zuckte die Achseln. „Wenn
ich bitten darf, bestehen Sie nicht dar
auf. Die Aufregung—"
Brunhilde unterbrach ihn nur durch
eine abwehrende Handbewegung, und
während er wieder im Krankenzimmer
verschwand, stellte er sich mit dem Rü
cken gegen die Thür, einer Schildwache
gleich, welche den ihr anvertrauten
Posten mit dem Leben zu vertheidigen
entschlossen ist. Sie sprach nicht, sie
hörte offenbar kein Wort von den Bei
leidsbezeugungen und Fragen, mit
denen man sie überschüttete; aus dem
farblosen, wie versteigerten Antlitz
schauten die weitgeöffneten Augen,
deren Blau nun fast schwarz erschien,
starr hervor in unbestimmte Ferne.
„Fort, laßt sie allein!" . . . Nie
mand wußte, wer zuerst das Wort ge
sprochen, doch jeder sprach es nach und
beeilte sich, ihm zu folgen. Niemand
nahm Abschied, die Wagen rollten da
von. Einige scheu und neugierig aus
lugende Bedientengesichter abgerechnet,
war Brunhilde allein. Sie verließ ih
ren Posten und schritt langsamen,
schwankenden Ganges in der weiten
Treppenhalle auf und nieder. Die
Biertelstunde, von welcher der Arzt ge-
Ein kühler, erquickender Hauch strich
durch die Halle und mischte sich mit
der betäubenden Wolke von Parfüm
und Kerzenduft, die aus den Gesell
schaftsräumen herniedersank. Roth
durch die geisterhafte Stille schallte der
vorsichtige Schritt des die Kerzen ver
löschenden Dieners.
ihre Hand nach dem Broncegeländer
der Treppe. Sie faßte eine der Blu
men, mit denen es umwunden waren
blätterte!
Herren, was geschehen ist; ich fürchte,
kein Unglücksfall, sondern ein Ver
brechen."
Das kluge Auge des Staatsanwalts
ruhte fast bewundernd auf ihren unbe
wegten Zügen, ihrer stark emporgerich
teten Gestalt, während er erwiderte:
Nähe der sogenannten Grotte;"
zuckte zusammen „unter
Beobachtung der nöthigen Vorsichts
waßre zeln untersuchten wir soeben den
Ort. Wie ich erwartet, fanden wir eine
zweite Fußspur, die sich imGebiisch ver
lor, einen ziemlich derben Männerstie
fel mit Sporn, dann aber noch zu un
serem Erstaunen in kurzer Entfer
nung von einander zwei einläufige,
schön gearbeitete Pistolen, die eine
frisch entladen, die andere nur mit
einem Zündhütchen versehen."
„Wo sind die Waffen?"
„Wir haben sie sorgfältig wieder in
dieselbe Lage zurückgebracht. Es ist
dies für die Aufnahme des Thatbestan
des unbedingt erforderli-5. Ebenso er
suchte ich den Herrn Direktor, jedes Be
treten des Partes auf das Sorgfältigste
„Bezieht sich dieses Verbot auch auf
mich?"
„Ich bedaure von Herzen unendlich,
Gräfin, aber meine Amtspflicht"
Das Hinzutreten des Arztes unter
brach Herrn von Groll.
„Erschossen?" warf ihm die Gräfin
eiskalten Tones entgegen.
Der Arzt räusperte sich und erwi
derte: „Schuß in die Brust, jedenfalls
aus sehr geringer Entfernung. Die
Kugel habe ich. Wie weit die Lunge
verletzt ist, vermag ich noch nicht zu sa
gen. Ich bedarf dazu meines großen
Bestecks? in drei Stunden bin ich wie
der zurück, bitte aber, bis dahin Herrn
von Ruwer unbedingt nicht zu stören."
Er empfahl sich, der Staatsanwalt
schloß sich ihm an mit dem Bemerken,
daß jedenfalls nocki im Laufe des Vor
mittages eine Untersuchungscommission
eintreffen werde.
Hohenau, der plötzlich sehr ernüchtert
schien, stand allein mit der Gräfin, und
sein hageres Gesicht erschien wahrlich
nicht geistreicher, als sie nach einigen
Minuten des Stillschweigens sich an
ihn wandte: „Sie waren stets mein
Freund, Gras; wollen Sie es auch jetzt
sein, mir diesen feigen Meuchelmord
rächen helfen?"
„Gnädigstes Fräulein, mein Leben
gehört Ihnen", stammelte er ohne jedes
Verständniß, „indeß hier die Po
lizei das Gericht —"
„Das Gericht? Wüßte ich die
Waffen zu führen! Doch ich werde es
Gellend scharf lachte sie dazwischen:
eines Tages versieben, und dann"
nun unterbrach sie sich selbst mit einem
Ausschrei, der, so leise er klang, kaum
aus einer menschlichen Kehle zu drin
gen schien. Flüchtig, so daß selbst die
langen Beine Hohenaus ihr kaum zu
folgen vermochten, eilte oder vielmehr
sprang sie nach dem Hauptportal.
Aus dem Schloßhofe, vor der
Rampe stand Auras, seinVferd am Zü
gel, im Gespräch mit einem Diener. Bei
Brunhildes Anblick wurde sein über
nächtiges lUsicht noch um einenSchein
fahler. Er lüftete den Hut und ver
neigte sich:
„Verzeihen Sie gütigst mein unberu
fenes Eindringen, Gräfin. Es wäre
gewiß nicht erfolgt, triebe mich nicht
die Sorge um meine seit gestern Abend
spurlos verschwundene Schwester hier
her. Ich fürchtete" seine zitternde
Stimme verklang in einem undeutlichen
Murmeln.
„Ein vortrefflicher Vorwand, das
Resultat Ihres Bubenstückes zu ersah
ihn herantretend, so daß ihre wogende
Brust fast die seine berührte, schleuderte
sie ihm ein leises, dolchscharfes „Meu
chelmörder" ins Gesicht.
Es zuckte fast wie Mitleid über seine
t' 112 d 112 'ch
Sie stand ihm noch immer gegenüber,
ihr fieberglühendes Auge tief in das
seinige bohrend.
„Hätten Sie wenigstens den Muth
der offenen That, den Muth der Wa^>r-
Rechenschast ziehen kann. Ich hatte stets
Muth ist der Stolz Ihres Standes, die
es ist Ihre Ehre, die es verlangt. Je-
Was thut's? Es widerspricht ja nicht
Ihrer Ehre! Und Sie haben Muth ge
mehr menschliche Auffassung zu belä
cheln. Diese Ehre —" Auras vollendete
nicht, doch das häßliche Schimpfwort
lag deutlich auf seinen Lippen.
Es war der Tropfen, der das GlaZ
überlaufen ließ, der elektrische Funken,
welcher die Mine sprengte. Schmerz
und Wuth zerrissen die Fesseln der mit
Aufbietung aller Kraft bis jetzt be
haupteten Selbstbeherrschung. Sinnlos
flammte die ursprüngliche Leidenschaft
des Weibes dem heute der Ge
liebte geraubt worden, dem seine und
ihre Ehre, ihr kostbarstes Idol, unter
peitsche? ... Ich selbst —" sie riß Au
sie schien ihm ihren Namen nie mit
mehr Recht geführt zu haben, als ge
rade jetzt, die kräftige, prachtvolle Ge-
Haar halb aufgelöst um das dunkelge
röthete Antlitz flatternd, aus welchem
die blauen Augen wie Flammen her-
l vorspriihten, den vollen Arm wie zu»
vernichtenden Schwertstreich erhoben.
Wie ein Blitzstrahl ging es vorüber,
dann trat in die Augen des Mannes
jener zwingende Löwenblick, in sein Ge
sicht jener eherne Zug, der schon das
Kind mit Entsetzen erfüllt. Der erho
bene Arm sank schlaff Herl teder, die
Reitgerte entfiel der zitternden Hand.
Ohne sich zu besinnen, war der lange
Ulanenlieutenant, dem bisher die
ganze Scene zu unverständlich und zu
plebejisch geschienen, um sich hinein zn
mischen, die Rampe hinib gesprun
gen. Es fehlte ihm durchaus nicht an
Muth, sich mit dem ihm an Krast jeden
falls weit überlegenen Gegner zu mes
sen, doch kam er dazu zu spät Au
ras jagte bereits zum Thore hinaus —>
und gerade noch rechtzeitig genug, um
das schwankende Mädchen seinen
Armen aufzufangen.
„Süße Last" lonnte er nich' umhin,
halblaut in den spärlichen Schnurr
bart zu murmeln.
Seine Stimme brachte sie zur Besin
nung zurück.
„Mein Gott was war mir? was
that ich?" stammelte sie, und, seinen
Arm zurückweisend, schritt sie mit zit-'
ternden Knieen, die eiskalten H-i>,de ge
gen die glühenden Schläfen gepreßt,
nach ihrem Zimmer. Stundenlang blieb
sie unbeweglich, das Gesicht nach der
Wand gekehrt, liegen, jedem Zuspruch
der sich endlich von ihrem Ents?»«n er
holenden Frau von Leist vn«>,gäng
lich, bis die Untersuchungscoz-.mission
kam. Dann erst richtete sie sich auf. Die
Gesellschafterin schlug die Hände über
dem Kopfe zusammen und setzte sich
ganz unbewußt auf den nächsten Stuhl.
„Der Herr erbarme sich, was hat die
ser Morgen ausJhne» gemacht? Ich er
kenne Sie kaum wieder. Aber se'en Sie
getrost, der Herr hilft den Seinen; doch
wer das Schwert gebraucht, soll auch
durch das Schwert umkommen!" rief
die fromme Dame, ohne zu bedenken,
daß das letztere Citat in diesem Falle
etwas zweideutig klingen mußte.
Brunhilde antwortete nur mit einem
unwilligen Kopsschütteln. Sie erbrach
den Brief, den ein Gerichtsdiener für
sich bereits am frühen Morgen selbst
hier gestellt: Ihr eigener Oberförster.
Er behauptet, es habe ein regelrechtes
Duell stattgefunden, allerdings ohne
Zeugen und mit nur einer geladenen
Pistole, während die zweite, dieser Lu
an, deren nähere Erklärung er entschie
den verweigert. Ich hoffe und dies
! nicht nur alsßeamter —, daß Herr von
Ruwer bald soweit hergestellt sein wird,
das bleibende Dunkel aufklären zu
können. So weit mir und Anderen
Herr Wiirzburg bekannt ist, habe ich
vorderhand keine Veranlassung, an sei
ner Aussage zu zweifeln.
Indem ich, gnädigste Gräfin, u.s.w.
v. Groll."
Mit einem Ausdruck grenzenloser
Verachtung schleuderte sie das Papier
zu Boden. „Nicht einmal er selbst, ein
gedungener Raufbold... O Viktor,
wie sehr muß ich Dich lieben, da ich das
alles um Deinetwillen ertrage!" Sie
schlug die Hände vor das Gesicht und
zum ersten Male an diesem Morgen
drang ein Strom heißer Thränen aus
ihren brennenden Augen.
Das Kammermädchen hüstelte dis
cret an der Thüre.
„Der Herr Kreisphysikus kommt so
eben vom HerrnLieutenant und wünscht
gnädige Gräfin zu sprechen."
„Ich komme," antwortete Brun-
Hilde und raffte ihr Haar zusammen.
XIII.
Erregter, als sich sonst bei dem we
nig für „sensationelle Fälle" eingenom
menen Publikum einer Mittelstadt be
obachten läßt, verließ ein dichter Men
schenstrom dasGerichtsgebäude; auf der
Straße nochmals Halt. Plötzlich bil-
Eommando zum Spaliermachen gege
ben hatte, allgemeines Flüstern: „Das
ist er, der Kleinere, Dicke, in der grünen
Uniform ... sehr niedergeschlagen sieht
er nicht aus ... und so gutmüthig und
fidel, daß man es ihm kaum zutraut....
Pah, von feinen zwei Jahren sitzt er
kaum ein halbes ab, dann wird er be
gnadigt, das kennt man schon ... Der
Große, Starke neben ihm, mit dem fin
steren Gesicht, ist der Liebenfelder Herr,
fenern direkt an der Nase vorbei gegan
gen i?.... Ganz recht, sollen diese
Vornehmen alles haben?"
Wiirzburg fing mit scharfem Ohre
die verschiedenartigen Ausrufe und Be
merkungen auf. Belustigt lächelnd, zog
er den Freund schneller mit fort.
„Wenn ich mich heute auf dem Jahr
markt sehen ließe, könnte ich noch ein
unsinniges Geld verdienen rüh
rende Popularität!"
Eine Viertelstunde später saßen sie
vor einem reich gedeckten Tische in
Würzburgs Hotel .Nach seiner Entlas
sung aus der das
heißt seit der ersten Vernehmung Vik
tors, war er nicht mehr nach Wilden
hof zuriickaekehrt. Johann und Mal
wine, die Treuen, Ware» mit sämmtli
chem Mobiliar abgereist, wohin, wnßte
Auras ivar sehr ernst und berührte
die Speisen kaum.
„Zwei Jahre." murmelte er, mehr
zu sich selbst, als zu dem Anderen re
blühendcu Lebens verloren!" ?
(Fortsetzung s«lgt.j
Wie allgemein bekannt, vollzieht de«
Kaiser von China alljährlich die Cere
monie des Pflügens um dadurch die
Wichtigkeit des Ackerbaues zu veran
schaulichen und das Voll anzuspornen,
den Landbau eifrig zu betreiben. Die
Ceremonie fand dieses Jahr, so erzählt
der „Ostas. Lloyd", am 8. April statt.
Seine Majestät verließ den Palast um
4 Uhr Morgens, gefolgt von feinem
Hofstaat, und hielt auf dem Wege zum
„Kaijerselde" bei dem Altar der Gott
heit, die der Landwirthschast vorsteht,
an, um dort Dankgebete und Opfer
auf, um bei dem Tai Scheu Tie» noch
mals Halt z» machen, zu opfern unl»
darauf ein Frühstück einzunehmen.
fange.
Um das Feld herum waren zahllos«
Psähle eingesetzt, an welche man Flag
ein errichtet. Mitte
baugerätb in der Hand hielt, bildete,»
ein Spalier, durch welches der Kaiser
zu dem sselde schritt. Eine gelbe Kuh.
Kielten die beiden Seiten des Pfluges.
Das <stück Land, welches der Kaiser
pflügte, war etwa üv lang und
20 Fuß breit: er Pflügte lü Furchen,
d. h. acht Mal auf und nieder. Nach
dem das Pflügen beendet war, nahm er
einen Sack, der den Samen enthielt,
und sein Hosmeister, der Präsident des
Felde, welches der Kaiser pflügt, soll
dem Schang-ti (höchste» Gölte) aus den
verschiedene» Altären geopfert werden,
doch diese Sitte wird heute offenbar
nicht mehr beobachtet. Nachdem Sein«
Majestät die ChrsurchtSbezeugungen der
anwesenden Prinzen und sonstigen
Würdenträger» entgegengenommen,
kehrte er gegen 7 Uhr Morgens nach
dem Palaste zurück.
Wett«« t»"»lt«r Zeit.
Die neuerdings wieder kräftig wü
thende Seuche, absonderliche Welten
einzugehen und unter dem Jubel der
zuschauenden Narren und Nichinarren
auszutragen, ist keine Erscheinung der
Neuzeit. Bereits vor 7» Jahren, im
diese Verrücktheit in England zum
Ausbruch. Den Anfang machten z>vei
Burger von Fawey, ejn Schuhflicker
und ein Schneider. Sie wetteten mit
einander, wer die häßlichsten Kratzen
schneiden könne.
Die Wette wurde im Wirthshause
ausgesochten, der Preis war eine Rolle
Tabak. Bereits war der Schuhflicker
dem Schneider um drei Fratze» voraus,
als ei» Man», der eine hohe Wette auj
den Sieg des Schneiders gemacht hatte.
Letzterem durch List zum Siege verhälf.
Er näherte sich ihm heimlich »nd trat
ihm plötzlich so heftig auf die Hühner
augen, daß der Schneider vor Schmerz
«ine greuliche Grimasse schnitt, die von
dem Schuhflicker nicht zu übertreffen
war und welchem daher vom Schiedsge
richt der Preis zuerkannt wurde.
Zu derselben Zeit ging ein Londoner
Schisser, der große körperliche Gewana
heit befaß, folgende Wette ein: Cr be
hauptete, er wolle sich gegen Bezahlung
eines angemessenen Preises an die Rad
speichen einer Kutsche hängen und sich,
während letztere sich im schnellsten Fah
ren befinde, so mit dem Rade herum
drehen lassen. Die Wette wurde in
einer der Hauptstraßen Londons im
Beisein einer großen Menschenmenge
ausgesochten und richtig gewonnen.
Den Gipfel der Absonderlichkeit erreich
ten aber zwei altadelige Herren, der
Herzog von Bedford uiid Lord Bary
more. Diese wetteten miteinander über
Derselbe verzehrte zum großen Jubel
der hocharistotratischen Gesellschaft, die
zu dem Schauspiele eingeladen war.
MoritzWilhelm, der vor
lebte Herzog von Sachsen-Merseburg,
hatte für die Baßgeige eine an s Toll»
grenze«»« Vorliebe. Er strich sie sogar
der Prediger zu erkennen gab. Erlist
es, den Anastasius Grün in seinen
.Nibelungen im' Frack- so ergötzlich
schildert. Unter seiner Baßgeigen-
Kapelle beiand sich ein Zwerg, der di«
gewöhnliche Violine al4 Baß, und ein
Zuvorkommend. .Wenn
ich um zehn Uhr nicht zu Hause bin.
lieb« Frau, brauchst Tu nicht mehr auf
mich zu warten!" Fallt mir auch
gar nicht ein! Wenn Du um neu»
' Uhr nicht da bist, hol' ich Dich!" 3