Das Verhängnis;. (4. Fortsetzung.) .Fürchten Sie etwa, es könnte gegen die landläufigen AnstandSgesetze versto ßen, wenn eine junge Dame einem Herrn auf seinem Zimmer ihren Besuch macht? Ich denke, in diesem Fall wird Ihr Besuch bei einem armen Krüppel keinen Anstoß erregen." Er wollte ein Krüppel sein, dieser stattliche Mann mit den tiefernsten Ange», über deren Schönheit inan ihre Blindheit vergaß. Sie plauderten bald wie ein paar alte Bekannte zusammen und Ange konnte sich nicht genug wundern, daß es so war. Dazwischen schweiften ihre Au gen immer nach dnn Bilde, das über dem Harmonium hing und zn dem sie gern einen Kommentar gehabt. Seine edle Einsachheit forderte ihr Vertrauen wohl heraus, aber sie legte ihr da Zu rückhaltung auf, wo sie bei ihm ein Ge heimniß vermuthete. Abgesehen hier von gab sich Ange zum ersten Mal wie der ganz, wie sie sühlte und dachte, so daß er sehr botd wußte, wie hestig ihr jünger Geist gegen den adeligen Zops seiner Familie rcoo!tirte, wie wenig sie sich in ihre neue Umgebung zu schicken wußte. „Schnell sertig ist die Jugend mit dem Wort, das schnell sich handhabt, wie des Messers Schneide!" citirte er lächelnd nach einem leidenschaftlichen Ausfall von ihr. Ange ward beschämt, sie fühlte, daß sie deii Tadel »ersient. „Weshalb er muthigten Sie mich, Herr Graf, zu solcher Offentzei ?" „Weil ich gern zur Verbesserung Ihrer Stellung beitragen möchte." „Sie sind sehr gütig, doch wie sollte Ihnen das gelingen!" „Sie trauen mir wenig Einfluß zu." „Nicht weniger, als den aiiderev Gliedern Ihrer Familie." „Vielleicht fange» es diese nicht rich tig an," erklärte Graf Leonce nnd strich sich mit seiner langen, schmalen Hand das dichte, leicht ergraute Haar aus der Stiru. „Oh." sagte Ange, weiter aber sagt-" sie nichts. „Sie zweifeln, daß ich es besser verste» hen könnte? Nun gut, lassen Sie uns einen Pakt schließen, wollen Sie mich als Ihren Anwalt nehmen?" Er streckte ihr bei diesen Worten seiln Hand entgegen. Es war der erste Händedruck, welcher ihr auf Schloß Taniier wurde, und Ange legte halb verlegen, halb erfreut ihre kleine, kühle Hand iu die feine. Er hielt ihre Hand fest. „Für uns Blind: ist die Hand nicht ohne Bedeutung. Sie hilft »ins den Charakter eines Menschen erkennen." „Und wie fällt Ihr Urtheil über den meinigen au-Z?" forschte Auge leb haft. „Pflegt man fein Urtheil immer gleich den Leuten in s Gesich! zu sagen?" sragte er lächelnd zurück. „Sie weichen geschickt aus, Herr Gras." Sie entzog ihm ihre Hand. „Und ich vergesse, daß Comleffe Mar guerite von ihrem Spazierritt längst zurückgekehrt sein muß und mich suchen wird." „Gut, so lasten Sie Marguerite Sie suchen und hier finden." „Das geht nicht. Was würde die Frau Gräfin dazu sagen?" „Sehr wenig. Meine Mutter hat Sie zu meiner Vorleserin bestimmt, das heißt, wenn Sie dieses Amt übernehmen Pollen." „Ich? O, Herr Graf. Sie wissen—" w.iß nichts, als daß mich Ihre Güte beglücken würde." Hier wurde ihr Gespräch unterbrochen. Marguerite, die Schleppe des Reitllei dcS nach sich ziehend, das reizende Ge sichtchen vom Ritt erhitzt, die blonden Flechten halb gelöst, stürmte mit lautein Jubel herein. „Lieber, goldener Onkel, also wirklich zurück! Das ist ja herrlich, aber schelle» muß ich Dich, daß Du uns Deine Ankunft nicht angemeldet." Sie »marmte und küßte ihn. „Fred und ich hatten uns allerlei hübsche Über raschungen für Dich ausgedacht, und nun doch vor Allem," unterbrach sie sich, ohne ihm Zeit zu einer Antwort zu lassen, „sage, Oukelchen, wie ist die Operation verlausen? Ist sie geglückt?" „Man gab mir wenig Hoffnung, dc ist sie nnterblieben." „Armer Onkel! Diese dummen Aerzte, sie verstehen alle mitsammen nichts. Bist Du nicht furchtbar un glücklich. Ich würde rasen, verzweifeln, wenn ich blind bleiben müßte!" Jetzt erst bemerkte sie Ange, welche bei ih.er stürmischen Begrüßung sich in den Hintergrund zurückgezogen und zu dem Bilde getreten war, das sie mit un widerstehlichem Interesse anzog. „Wie in aller Welt kommen Sie denn hierher, Ange?" „Durch mein Spiel," nahm der Graf sofort das Wort, „nicht wahr, Fränlein Saterno. ich wurde für Sie eine Art Rattenfänger von Hameln." Ange gab es lachend zu. „Na, Ihr scheint in turzer Zeit gute Freunde geworden zu sein. Wenn darüber Großmama nur nicht die An standskrämpse kriegt! Und ich kann auch furchtbar essersüchtig werden? fürchten Sie sich davor nicht,Ange?" „Natürlich, ich strecke gleich die Waf» fen," rief Ange und entschlüpfte. „Ist sie nicht reizend, Onkelchen? Schade, daß Du sie nicht sehen kannst, Ich sage Tir, ein paar Lichter hat sie, um mit Fred zu sprechen, die einen durch und i urch brennen. Im Vertrauen gesagt, ich glaube, er ist furchtbar ver liebt in Inn» Fräulein, er gestand mir, seine letzte Flamme in Heidelberg wäre das reine Strohseuer gegen die Gluth, welche sie entzündet!" ' „Run, wenn er uns da nur nicht das Haus über dem Kopse ansteckt! Wie stellt sich Fräulein Saterno zu ihrem feurigen Anbeter?" „Das ist es ja eben, eigentlich gar nicht und darüber ist er rein rabiat. >Er meint, sie müsse bereits eine Liebe haben, anders könne er sich ihre Kälte nicht erklären. Ich muß aber jetzt sort, es ist die höchste Zeit, daß ich Soi lctte zum Tbee mache. Du erscheinst doch bei Ti'-l?" „Ich dei.ke " „Nun. bann auf Wiedersehen!" Damit war sie wie ein Wirbelwind aus dein Zimmer. „Unverändert derselbe kleine, flatter hafte, lustige Vogel, unverändert, wie alles hier im Schloß." dachte Graf Leonce. „Nur Mary scheint sehr ver ändert. Sollte hieran die ungesnnde, verbrauchte Luft von Schloß Tanncr. welche keinen freien, kräftigen Athemzug gestattet, die Schuld tragen?" Er trat vor das Bild der Nonne, und obgleich er es nicht sehen konnte, erhoben sich doch seine Augen zu ihm empor. „Du bist auch ein Opfer dem selben geworden, gelieble Marianne, und ihrem zersetzenden Einfluß erlegen. Ob niemals meiner Mutter die Reue gekommen. Dein junges, blühendes Leben zerstört, die Zukunft des SohneS den Porurtheilen ihrer Geburt geopfert zu haben ? Ob es für sie niemals Nächte giebt, wo sie schlas- und ruhelos das Engherzige, Erbärmliche solcher Vorur theile erkennt? Weshalb scheint es so unendlich schwer, mit allem Altherge brachten zu brechen, ein neuer Mensch zu werden, der sich nur nach dem großen, reinen Vorbilde der Natur seine Gesetze und eine einzige große Gemeinde mit dem obersten Gesetz de- Liebe schafft?" Langsam ließ er sich an dem Har monium nieder. Seine vereinsamte Seele rang nach einem Ausdruck dessen, was sie erfüllte. Ohne Wissen und Wollen griffen seine Hände die Accorde Luthers und dahin brauste es mächtig: „Eine seste Burg ist unser Gott, eine gute Wehr und Waffen!" IV. Gewohnheit ist ein weiser Verbünde ter, der schließlich ohne langen Kamps das erzielt, was uns zu besiegen un möglich scheint. Ange, die selten eine Stunde des Tages wie die andere verlebte, mußte hier streng nach der Tagesciiitheilung, wie die alte Gräfin sie vorschrieb, sich richten. Anfangs glaubte sie, sie müßte hierüber moralisch und physisch zn Grunde gehen. Statt dessen erfuhr sie aber, daß diese Unterordnung in anderer Willen ihr vortreffliche Dienste that, ihr nicht allein keine Zeit zu ge fährlichem Grübeln ließ, sondern ihr auch einen Lebenszweck anwies, der ihr mehr und mehr das Gefühl der Verein samung nahm, unter dem sie besonders schwer gelitten. Die unausgesetzte Selbstbeherrschung, welche sie der alten Gräsin gegenüber üben mußte, kräftigte ihren Geist und stählte auch ihren Kör per. Dazu kam die regelmäßige Be wegung in srischer Lust. Sie blühte förmlich auf, ihre dunklen Augen ver loren ihren schwermüthigen Ausdruck, ihre Bewegungen wurtta abgerunde ter, aumuthiger. Die Hast und Un sicherheit, mit denen sie anfangs jeden Befehl der Gräfin entgegennahm, mach ten einer größeren Unbefangenheit Platz, bei der ihre ursprünglich sorglos angelegte Natur wieder hervorbrach und die herben Eindrücke gemildert wurden, welche ihre unglückselige V"- lobung init fteldheim hinterlassen. Diese Veränderung konnte am we nigsten dem icharsen Auge der Gräsin entgehen. Sie war mit derselben nicht einverstanden und hätte es lieber ge sehen, wenn Ange weniger hübsch, we niger gewandt und sicher sich gezeigt. Sie vermißte ihre ängstliche Bescheiden heit, die beflissene Zurückhaltung, mit der sie sich an den Grenzen seslhielt, welche die Gräfin ihrem Verkehr mi» Märgncrite gezogen. Sie hatte keinen Augenblick daran gezweifelt, daß die junge Gesellschas ierin blindlings, ohne alle Kritik sich ihren Wünschen fügen werde. Dessen sühlte sie sich jetzt weniger sicher und deshalb versäumie sie keine Gelegenheit, »m Ange's untergeordnete Stellung auch gegen ihre Umgebung zn betonen. Als Gras Leonce seiner Mutter mitge theilt, daß Fräulein Saterno einwillige, seine Vörie,erin zu werden, erklärte st" sosort: „Fräulein Saterno hat einfach zu thun, was man von ihr fordert; dafür wird sie bezahlt." Ihr Sohn wandte dagegen ein, daß Fräulein Saterno doch nur als Gesell schasterin für Marguerite engagirt wor den und es daher eine Gefälligkeit von ihr fei, wenn sie das Amt einer Vor leserin auch bei ihm übernehmer wollte. „Dagegen muß ich protestiren," ent schied seine Mutter. „Fräulein Sa terno's Zeit gehört uns. Ob sie die selbe als Gesellschafterin und Malleh rerin Marguerita s oder als Deine Vor leserin verwerthet, kommt nur insofern in Frage, als ich meine dazu geben muß, nnd diese hast Du. Damit ist die Sache abgemacht. Dn aber wirst wohl thun, ihr keine nnan gebrachke Dankbarkeit zu zeigen: diese möchte nur dazu beitragen, das ohne dies etwas hochgetragene Köpschen der jungen Person zu verdrehen und immer mehr die Grenzen zu verwischen, welche ich auch von Deiner Seite ihr gegenüber sestgehalten zu sehen wünsche." „Du drückst sie damit zu einem ge wöhnlichen Dienstboten herab, über welchen Standpunkt ihre Bildung sie aber erhebt," antwortete Leonce. „Bildung!" wars seine Mutter ärger lich hin; „das ist das heutige Feldge iqrci, damit will man alle Standes unleischede verwischen. Bildung er hält heutzutage schon eine Laden mamsell, ja jedz Kammerjungfer. Wenn das bischen Malen, Klavier spielen, Rechtschreiben oder, richtiger gesagt, das Nippen an allem und jedem, wobei man sich, wie mit v'.ler lei Süßigkeiten den Magen, den Heist überladen kann, den Menschen Bildunz gäbe, dann würde freilich kein Unter schied mehr in der Gesellschaft sein nnd Deine Mutter könnte sich schließlich mit ihrer Juncker ebensogut zu Tische setzen, als wie mit ihrer Freundin, der Fürstin Leonard," „Du hast aber selbst Fräulein Sa terna an Deiner Familientasel einen Platz angewiesen!" „Ja. das habe ich. Es geschah abei lediglich aus dem Grunde, um eine bessere Controle über die Gesellschas terin Marguerite's zu gewinnen nnd sie stets in ihre Stellung zurückzuweisen, wenn sie diese aus dem Auge verliert. Marguerite ist ein eigenwilliges, verwöhntes Kind nnd sehr leicht geneigt, jeden Rangunter schied zu vergessen. Da heißt eS sül mich, doppelt aufmerksam sein. Ich hosse, diese Auseinandersetzung genügt, um Dir die Haltung anzudeuten, welche ich von meinem Sohn der jun gen Person gegeniiber erwarte." Sie genügte ihm allerdings, über zeugte ihn aber durchaus nicht, daß sie die richtige sei. Er kannte aber zu ge nau die Härte, den Hochmuth sciner Mutter, um ein Gespräch weiter zu ver solgcn, die Waffen sür ein junges Mädchen zu schärfen, dem er mit einer schneidigen Antwort nur schaden, nicht? nützen konnte. Auch war Graf Leone« bei aller Liberalität feiner Ansichten lieber ein stiller als offener Gegner der mütterlichen Vorurtheile und sühlte sich zu ohnmächtig in seiner Blindheit, um der eigenen Mutter den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Nur insofern opponirt« er ihr, daß er Ange gegenüber niemals verletzend ihre bescheidene Stellung mar kirte. Er war der Einzige, welcher ebenso freundlich, zuvorkommend in Gegenwart seiner Mutter zu ihr war, als wenn sie mit ihm allein war, und durch die Konsequenz, mit der er dies zum Staunen und Aerger seiner Mut ter ducchsiHrte, unbewußt auch Gras Alfons zur Rücksicht und Höflichkeit gegen das junge Mädchen zwang. Marguerite hatte zum Beginn einen schwachen Versuch gemacht, Angewi« eine Gleichgestellte zü behandeln. Sehr bald war ihr aber unter den strengen Blicken ihrer Großmutter der Muth hierzu verloren gegangen. Sie wa, nicht seige von Natur, aber doch in au ererbten und anerzogenen Vorurtheile» groß geworden. Dazu kam bei allem Uebermuth, der eine Mikgist ihres hei teren Characters war, doch eine ge heime Furcht vor ihrer Großmutter. Als Kind schon hatte sie der despotischen Frau, ans Furcht vor ihrem Zorn, lieber ein geringes Vergehen abgeleug net, als es offen eingestanden, nnd ihre Großmutter, welche eine Tanner nie mals der Lüge fähig gehalten, hatte ihr geglaubt. Als sie die Kinderschuhe ausgetreten, lernte sie durch ihren Bru der den strengen Blicken ihrer Groß mutter mit weniger Furcht und mehr Schlauheit trotzen. Sie that und sprach in ihrer Gegenwart nichts, wo für sie eine Rüge zn erwarten gehabt, dagegen hinter ihrem Rücken manches, wofür sie strengen Tadel erwarten konnte. - Der jung- Graf war jetzt in Berlin und sollte auf seines Vaters Wunsch die diplomatische Carriere einschlagen, wie Marguerite Ange vertraute. „Glau ben Sie nicht, daß er dazu wie geschos sen ist?" Ange blikte von der Porzellantchal, auf. auf welcher sie für ihre Schülerin ein leichtes Feldblumenbougnet anlegte, das in einem Glafe vor ihr auf dem Tisch stand. „Wenigstens hat er hier vortreffliche Vorstudien machen kön nen," gab sie lachend zu. „Marguerite!" ries die Stimme des Grusen Alfons. „Was will nur der Ritter mit de> eisernen Maske von inir?" In demselben Augenblick erschien ge> nannter Ritter auf der Terrasse, wo Ange Marguerite Malunterricht er theilte. „Du scheinst vergessen zu ha ben, daß Du mit meiner Frau sür die sen Morgen einen Spazierritt verab redet hast! Die Pferde sind bereits vom Reitknecht vorgeführt, sie erwarten Euch am Schloßportal." „Wahrhastig, das hatte ich vergesi sen!" Marguerite sprang ans und warf dabei das Glas mit den Feld blumen um, so daß sich das ganz« Wasser über den Tisch und die Schale ergoß, an welcher Ange gearbeitet. „Eine schöne Bescheerung! Daran ist wieder Deine unweibliche Heftigkeit schuld," tadelte Graf Alfons. „Ach was, die Sache ist nicht schlimm, Sie bringen sie bald wieder in Ord nung, nicht wahr, Ange?" Damit stürmte sie von der Terrass« in's Schloß. Gras Alsons folgte ihr, indem er etwas von unbegreiflicher Formlosigkeit zwischen den Zähnen murmelte. Ange räumte die Malutensilien zn sammen und trocknete den Tisch ab. Sie sah die Unterrichtsstunde heute sür beendigt an nnd sühlte keine Lust, für sich w.'iter zu arbeiten. Der schöne, klare Herbstmorgen lockte sie hinaus in i e > sonneiib.ichienenen Part, dessen gel bes Laub wie flüssiges Gold leuchtete. Flüchtigen Fußes durcheilte sie oie Kastanienallee, welche nach dem See sührte. Das welke Laub raschelte un ter ihren leichten Schritten, und ein kleiner Buchsink hüpfte lustig vor ihr her. In der Nähe des GießbachS bemerkte sie Graf Leonce. Er saß auf einer Bank unter einer Rothbuche; zu seinen Füßen lag Heetor, ein großer, schöner Neusundländer, der Führer des Grafen auf seinen Spaziergängen. Als sich Ange dem Platz nähert«, sprang er mii einem lauten Freudeugeheul empor und ihr entgegen. Sie wehrte energisch seine Liebkosungen ab. .Nicht so stürmisch, Hector, Du wirfst mich ja um!" „Hector, hierher!" gebot Gras Leonce. „Wie hübsch, daß Sie gekommen, Fräulein Angelie!" Und «: streckte ihr die Hand entgegen. Sie klkttr ste herzlich, iwbef-angen. Sie h«ttr jede Scheu vor ih» verloren »nd sttand imt ihn, viel mehr auf freundschaftlichem als cereinoniellem Auß. tÄ rückt« zur Seite und sie »»hin neben ihm Platz. „Erwarteten Sie mich, Herr Gras?" „Ich erwarte Sie stets, das heißt, ich seh-ne immer den Augenblick herbei, wo ich die stimme meiner freundlicher' Vorle erin höre." Sie nahm dieses Conrpliment ohne Zweifel, daß es nicht ehrlich gemeint fein möchte, mit sanftem« Errathen ent' gegen. „Ich habe aber keine Lektüre mitge bracht. denn ich beabsichtigte eigentlich einen Spaziergang." „Dc»s ich Sie begleiten?" „Natürlich! vielleicht gestatten Sie mir, daß ich Sie führe, Herr Graf?" „Ich danke, Fräulein Angelie, so hilflos bin ich nicht. Sie glauben gar nicht, wie mir jeder Weg, auch der ver» steckteste, weit über den Park hinaus bis zur Haide bekannt ist. Es sind ja kaum sechs Jahre, daß ich blind bin." „Erst sechs Jahre!" wiederholte Ange, .Mio doch haben Sie sich an Ihre Blindheit schon so gewöhnt, daß Ihnen niemals ein Wort der Klag" entführt!" Er lächelte mechanisch. „Was würde mir das helfen! Ich würde nur zu der einen Last eine zweit" hinzusligen." Ange seuszte. Sie dachte; wie schwer sie durch ihr Hadern mit ihrem Geschick die eigene Last mehrte. „Mit was be schästigen Sie sich in den vielen Slun' den, wo sie allein sind?" „Mit dem Schicksal nahestehender Menschen. Noch eben beschäftigte ich mich mit Ihnen!" „Mit mir, Herr Graf?'" fragte Ange ungläubig. ..Und weshalb nicht mit Ihnen? Gehören Sie nicht jetzt auch zu meine? Umgebung?" , „Ja, aber —" „Wollen Sie mich mit dem „aber" an die Vorurtheile meiner Familie «»- innern?" Auge antwortete nicht. „Ist es mir wirklich nicht gelungen, Sie von meiner srcundschastlichen Ge sinnung, der gesellschaftlichen Gleich berechtigung, die ich Ihnen neben un? einräume, zu überzeugen?" „Gleichberechtigung! Ö, Herr Graf, daran glauben Sie doch nicht!" „So zweifeln Sie wirklich an der Ehrlichkeit und Dauer meiner Freund schaft für Sie? Sie denken vielleicht, daß diese ebenso einer Wandlung unterworfen, wie jenes welke Laub? Hat das Leben Ihnen wirklich schon so herbe Erfahrungen gebracht, daß in Ihrem jungen Herzen Glaube und Vertrauen an die Uneigennützigkeit freundschaftlicher Gesinnungen vernich tet sind?" Er h'mmte unwillkürlich seine Schritte und wandte Ange sein schönes Gesicht zu, als vermöge er in ihren Zügen die Antwort zu lesen. Als sie schwieg, fuhr er fort: „Sie leiden, und ich atme die Quelle Ihrer Leiden. Werden Sie mir zür nen, wenn ich zu Ihnen spreche wie ein Bruder zur Schwester, wie der Freund zum Freunde? Sie leiden doch welch' edle Leid ist die Liebe!" „Auch dann noch edel," sragte Angt leise, „wenn wir an einen Unwürdigen die heiligreinen Gefühle unseres Her< zens dahiiigegeben haben?" „Eine reine Liebe adelt auch einen unwürdigen Gegenstand. Wird denn die Liebe nicht ohne Vorbedacht, ganz allein aus sich heraus in uns erweck»? Was so willenlos geschieht, ist ein höheres Naturgesetz und muß uns heilig bleiben!" „Auch dann noch, wenn wir belro> gen werden in dem Glauben an dit Reinheit der Gefühle, erniedrigt durch —" Sie schwieg und vollendete nicht. Zu welcher Offenheit hatte sie sich hin reißen lassen? „Nein," sagte er ernst, dnrch chr Plötzliches Verstummen seltsam erschüt tert. „nein, dann war es Leidenschaft, nicht Liebe, und diese gleicht dem Rausch, der verstiegt und eine schmerz liche Leere zurücklätzt." Das waren fast dieselben Worte,, welche ihr Feldheims Definition der Liebe abgenöthigt hatte. „Aber ich liebte rein." „So darf auch keine Bitterkeit in Ihrem Herzen zurückbleiben —" „Ich vermag das nicht," gestand sie leidenschaftlich, „vermag nicht zu glau ben, daß ein Gott der Liebe Leiden schickt, welche die Seele vergiften!" Gras Leonee war durch ihr Geständ niß seltsam bewegt und zu gleicher Offenheit hingerissen, sagte er leb< haft: „Und doch haben Sie wohl niemals das Leid kennen gelernt, welches man tief in der Brust verbirgt, das keinen Namen hat, bei dem aber dennoch die Seele zu Eis erstarrt, das Leid, das keine Thräne kennt, das stets ein kalter Dämon ist, der unier Inneres mitleids los mit tausend Oualen zerreißt-? Da? Leid das habe ich gekannt!" Ihre Hand ersäße unwillkürlich die seine und drückte sie in stummer Theil nahme. Er zuckte leicht zusammen, und ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. Einen Augenblick schwie gen sie beide. Heitor, welcher an Graf Leonce's Seite dahingetrabt, dingte sich jetzt zwischen den Grasen und Ange und preßte seinen schönen Kopf dicht an ihr Knie. „Sehen Sie. Ange, selbst der Huud möchte sie trösten und bittet für mich um Vertrauen," sagte Graf Leonce. Sie lächelte. „Heute nicht, ein an deres Mal, die Zeit reicht zu dem nicht aus. was ich zu vertrauen hätte. Ich muß auch jetzt an die Rückkehr denken." Schweigend verfolgten sie jetzt ihren Weg. die Seele zu voll, um Worte finden. V. »Räthen Sie ervmal. welche Nenig ksit ich für Sie habe!" ries die kleine Comtesse A»ye eiitgeyeu, als diese von ihr«m Spaxvrgange zurückgekehrt, sie in iHrem ZiiiMier aufsuchte. „M vielleicht Graf Fred durch' das Staatsexamen gefalln?" scheszte Ange. „Aber Ange cznslls iclss! Wn Nras Tanncr dimch das Staatseramen sallen! Undenkbar!" „W.'Shalb? Er könite doch auch einmal wie andere Sterbliche, wenn nicht Lücken in seiner Bildung, so doch Pech haben." „Glanben Sie? Das wäre schrecklich! Papa ist eben so streng wie Großmama und würde ihm das Pech nie vergeben. Doch weshalb Gespenster herausbe schwören? Rathen Sie ich sage, rathen Sie!" „Ich bin kein Oediflus!" „Nun gut, so muß ich Ihnen Helsen. Denken Sie, Großmama will an mei nem Geburtstage ein großes Fest geben, auf dem ich der Nachbarschaft zum ersten Male als juyge Dame prgsentirt werden soll., Ist das nicht herrlich?" Dabei umfaßte sieAngeund tanzte mit der Widerstrebenden im. Zimmer um her. „Sie scheinen ja gar nicht erfreut zu sein," rief sie enttäuscht und gab Ange frei; „ich dachte, Sie würden vor Ueberraschung die Eontenaiice ver lieren." „Glauben Comtesse, daß die meinige auf so schwachen Füßen steht?" scherzt«' Ange. „Bewahre. Doch, da füllt mir ein. ich sollte Sie zn Großmama schicken; sie hat eine» Auftrag für Sie. Bitte, be eilen Sie sich, sonst ist wieder ein Ge witter im Anzüge." Ange snnd die alte Gräfin in ihrem Boudoir, inmitten von zahlreichen Car tons, aus denen die Jungser ihr ver schiedene Stoffe, Blumen. Spitzen Bänder vorlegte. „Sie folgen meinem Ruf etwas spät. Hat' Comtesse Marguerite Sie davon avertirt, daß ich Sie sosort zu spreche!' wünschte?" „Ich kam soeben erst von «nein Spa ziergange mit Graf Leonce zurück," ent fchuldigie'sich das junge Mädchen. „Gnädigste Gräfin," rügte Gräfin Tanner. „Wie oft muß ich Sie auf diesen Formfehler aufmerksam machen. Rika," wandte sie sich an die Jungser, .'reichen Sie mir von meinem Schreib tisch die Liste mit den gedruckten Ein ladungskarten." Nachdem sie das Gewünschte erhalten nnd nochmal flüchtig durchgesehen hatte, beauftragte sie Ange, die Karten zu couvertiren und nach der Liste die Adressen zu schreiben „aber deutlich und gut, daraus mache ich Sie aufmerk sam. Noch Eins," fuhr sie fort, als Ange ihren Auftrag schweigend ent gegengenommen, Graf' Leonce glaubt, daß es Ihnen eine Freude machen würde, dem Feste beizuwohnen. Sie mögen daher für diesen Tag die Traner ablegen und in einem einsachen weißen Kleide erscheinen, welches Ihnen meine Jungser aus einem ansrangirten mei ner Enkelin zurichten wird; natürlich unter, der Vedingnng, sich stets beschei- i den im Hintergründe zu halten und. I wenn man Ihres Dienstes bedarf, stet,' zur Hand zu sein." Ange bedurste ihrer ganzen Be herrschung, um, in ruhigem, höflichem Tone der Gräfin zu erklären, daß sie, wenn sie von der gütigen Erlaubniß Gebrauch machen sollte, jedenfalls in ihrem schwarzen Kleide erscheine? möchte. Von ihrer Erlaubniß Gebrauch ma chen! Welche Antwort! Unerhört' Lag darin nicht offene Rebellion? Gräfin Tanner maß das junge Mädchen mit einem Blick, der ihr das Blut heiß in die Wange jagte. „Ich glaube, mich deutlich genng ausgedrückt zu haben, daß ich Ihre Anwesenheit auf dem Balle wünschte, damit Sie sich nützlich machen," sagte sie in scharfem ; Tone. „Was Ihre Toilette anbetrifft so kommt diese hierbei so wenig im Frage, daß Sie in Ihrem schwarzer Anzüge erscheinen mögen." Damit machte sie eine majestätische Handbewegung, und Ange war ent lassen. Mit heißen Wangen eilte Ange auf ihr Zimmer und schleuderte in offener Empörung die Liste sammt den Karten aus den Ti'ch. Weshalb hatte sie nicht gewagt, dieser hochmüthigen Frau ent gegenzutreten, weshalb hatte sie ihren Besehl hingenommen, wie eine Leib eigene? Glaubte Gras Leonce wirklich,, ihr eine Gunst zu erweisen, wenn er für sie die Erlaubniß zum Besuch des Festes auswirkte, da er doch ganz genau wissen mußte, in welcher Form ihr seine Mut ter diese ertheilen, welchen Platz sie ihr dabei zuweisen würde? O, wie wenig rechnete der Aristokrat, der Sohn dieses Hauses mit ihrem Stolz? Oder setzte er etwa voraus, daß sie keinen Stolz besitze, der sich gegen solche Zumulhun gen empöre? Ein abgelegtes Kleid der Comtess« sollte sie tragen, die Stellung einer Dienerin auf dem Balle einneh men. und hiervon versprach man sich wirtlich Vergnügen für-sie! 0., eS wa> empörend! Sie würde keine einzige Adresse schrei den. sie würde cS hierbei aus den Zorn der Gräfin ankommen lsssen. und sollte sie morgen das Schloß verlassen müssen; morgen, und er. der sich ihr so theil nehmend, 5, edel nnd gütig gezeigt, würde dann vergebens aus ihre Stimme lauschen, »on der er ihr gesagt, daß er sie stets herbeijthnte. Aber weshalb hatte er ihr das angethan? Er, so klug, kei aller Blindheit so hellsehend, er mnßte doch wisse», daß seine stolze Muttrr sie nimmermehr zu Ihresglei chen zählte, ihr mit der Erlaubniß zum Besuch des Festes nimmermehr Äine Freude machen, sondern nur eia« »eue Demüthigung bereiten konnte. Ange sah nach der Uhr. ES war gerade die gewohnte Zeit zur Lejesiunde, also die Gelegenheit gegeben, ihr ge> kränkt?? Herz wrmgsken» gegen ihn zu entlasten. Sie nahm ein« herausfor dernde Miene an, schloß Liste und Kor kn in ihr Pult und beeilte fich, Graf L«>nce ihre Entrüstung fiM'n z» lassen. Ms sie aber die Schwelle seines Zim mers überschritten, sonl ihr der Muth. Ein stiller Friede, eine fast heilige-Mhe wehten ihr entgegen, an welche sich die wilden Wogen erregter Leidenschaften ebensowenig heranwagten, wie an seine Hohe, edle Gestalt, sein durchgeistigtes Gesicht, in dem die glanzlosen Augsn wie erloschene Sterne blickten. Er reichte ihr mit seinem melancholi schen Lächeln dir Hand und sorderte sie ans. mit der Lektüre z« beginnen. Auch er schien verstimmt und zu keiner Unter haltung ausgelegt. Sie gehorchte, aber ihre Gedanken waren nicht bei der Sache. Er fühlte es, fühlte das leise Beben in ihrem Ton und die Anstren gung. welche ihv das ruhige Lesen kostete. „Lassen Sie Goethe'S Gespräch mit Eckermann ruhen; Fräulein Ange, und sagen Sie mir, was Sie beschäftigt. Hat Sie Jemand gekränkt, verletzt?" setzte er hinzu, als Ange verlegen schmieg. „Ja, und ohne Schuld sind Sie da bei nicht," platzte sie endlich mit rück sichtsloser Offenheit heraus. „Ich?" Er lächelte. „Wie wäre das möglich!" „Aber es ist so."' „So reichen Sie Ihre Klage ein," sagte er in halb scherzendem halb drin gendem Tone. „Weshalb veranlaßten Sie Ihr« Frau Mutter, mir zu befehlen, aus dem Garlensest z» erscheinen?" - „Hat ineine Mutter meine Bitte, Ihnen eine Freude zu bereiten, in einen Besehl gekleidet?" fragte er ent täuscht. „Ja, wenigstens vermag ich ihrer Aufforderung keinen anderen Namen zu geben." „Werden Sie sich niemals an di« Härten und Sonderbarke ten meiner Mutter gewöhnen können?" „Sonderbarleiten nennen Sie den Hochmuth dieser Frau?" brauste Ang« auf. „Sie ist meine Mutter," sagte er und wurde sehr blaß. Der leise Vorwurf, der in dieser Ant wort lag, machte Ange wohl ihre Rück sichtslosigkeit tlar, brachte aber dennoch kein Wort der Entschuldigung auf ihre Lippe. „Soll ich Ihnen das Osi oorspielen. das unsere Bekannlschafl eingeleitet?" fragte er, mit Anstrengung sich zur Ruhe und Unbefangenheit zwingend. Sie war beschämt, schwieg aber be harrlich. Er seufzte tief auf, erhob sich und nahm ebenso schweigend am Harmonium Platz. Bald rauschten dii mächtigen Accorde durch das weite, hohe Gemach. Man hat nicht mit Unrecht gesagt, oaß die Musik mehr wie jede ander« Kunst geeignet ist, das Gemüth zu be ruhigen, den Geist zu sammeln, daß keine Kunst die Saiten unserer Seel« so gut wie sie zu stimmen vermag. Schmerz, Hoffnung, Angst, Begeiste rung, Liebe. Glaube, Verzweiflung, Reue wie immer die Stimmen der Seele auch heißen mögen, sie zittern und klingen nach, um sich zuletzt von allem Schmerz zu lösen und in begei sterter Andacht zn einen. Auch aus Ange's sich trotzig gegen jede sanft« Regiing auflehnendes Herz übte das Spiel feine Wirkung aus. Zorn« Haß, Bitterkeit fielen von ihr ab, und ihre Seele strebte wieder nach Harmonii zurück. Sie hatte sich leise erhoben und war an das Harmonium neben seinen Stuhl getreten. So lautlos.es geschehen, gehört hatt« er eS doch. „Ist der Zvrn gewichen?" fragte er und wandte ihr seine lichtlosen Äugen zu, indem er die Accorde sanft aus klingen lies?. Sie haschte nach seiner Hand und drückte verstohlen einen Kuß darauf. Das Blut schoß in sein bleiches Ge sicht, er entzog sie ihr hastig. „Nicki diese Demuth, Ange"—er nannte sie unbewußt bei diesem Namen —, ~si« peinigt mich und ist Ihrer nicht wür dig." Sie trat zurück und sagte Nndlich: „Ich wünschte, Sie um Verzeihung zu bitten. Es thut mir so leid, daß ich so, hestig geworden bin." Es arbeitete in ihm ein mächtig auf wallendes Gefühl, es wollten Wort« über seine Lippen, zärtliche, leidcnschast liche Worte, welche die Ahnungslose sicherlich erschreckt hatten. Er rang mit sich und sagte matt lächelnd: „Das freut mich, ich wußte, daß Sie nur m der Utbereilung gesprochen." (Fortsetzung folgt.) Gute Nachbarscha s«t. In einer der alten Gaffen in Kölir. in welchem die schmalen hohen Häuier zusammengedrängt liegen, wurde spät Abends regelmäßig an einem Hause die Klinc/l gezogen, unk wenn der Hausherr dadurch aus dem ersten Schlas erwachte und aus dem Belle sprang, um zu sehen, wer der Ruhe störer war Niemand an der Thür. Nachdem er. »ine Zeitlang vergebens ousgeskmden. war, legte er fich eine« Abendj im. Finster cuH die Lauer. Da sieht er nun, endlich gxgen Mitternacht, wie i»in nächster Nachbar heftig ilin gelt und kann rasch i-n die Nische sciner Hausthür tritt, wsraus seine Frau ihm öffnet. Andern Tages macht der auf diese Weise belästigte Nachbar dem An dern eiveu Besuch und fährt ihn an, «i« er denn dazu komme, jede Nacht o» seiner Klingel zu ziehen. „Tel well ich Uech sage." antwortete Jener, „iwS Schell geit nit mich, und do säht «ing Frau, schell eckesch henevve; dat hören ich esu got, als sröher uns ScheU." ES gibt schlechte Renschen, die Gutes säen, aber nur. «in die Früchte desselben zu ernten^ S«ma» üb-» »e« Haß. Alexander DnmaS hat sich ganz de« Philosophie «rgeben und behandelt mitt Eise? den Haß. Nachdem er neulich mit Recht bemerkt hatte, es werde zü viel Haß in das Gesellschsstslcben hin eingetragen, Rassen- wie Klassenhaßt spalteten und schädigten! ties die Menschheit, ergeht er sich heute in Be trachtung über anonyme Briefe, „Ich» erhielt und erhalte noch in?mer viele anonyme Briefe", sv> schreibt er. „Ich ziehe sie weitaus den andern vi?r. Sir haben den-großen Vortheil, dnß man» nicht genöthigt ist, sie zu beantworten. Bei», erste» Satz: „Ein Freund setzt Sie in Kenntniß", oder' „Alter Esel", weiß ich. woran ich bin; ich lese nicht weiter und werfe den Brief ins Feuer oder wo anders hin, wo er die Möglich keit hat, die Luft, aus der er entstan«- den, wiederzufinden. Aber alle Welt ist nicht so erfahren« und denkt nicht so philosophisch wie ich, und eS ist zweifellos, daß bei gewöhnlichen Leuten der anonyme Brief ein wahres Unglück hervorrufen kann. Er ist das einfachste und billigste' Sprengmittel des laufenden Hasses; er ist das Dynamit der Dienstmädchen, der Bemakelten und leider manchmal auch der Frauen von Welt. Ein Fetzen Papier uud daraus ein paar Worte, die, anders gestellt, einer guten Hand lung dienen könnten. Drei Sous für die Briefmarke —das ist als Kapital anlage nicht ruinös und das Ergebniß ist tief einschneidend. Das kann man eine schöne Arbeit des Hasses nenne»; der berühmte Ravachol konnte es auch nicht besser machen. Der oder die Elende, welche den anonymc» Brief geschrieben, hat die Folgen, die er hatte, nicht blos vorausgesehen, sondern auch gewünscht, sonst würde» sie sich die Mühe nicht genommen haben, ihn zu schreiben. Da die Folgen erreicht wor den, die Operation, gelungen ist, gebe man sich nun Rechenschast von den himmlischen Freuden deS unsichtbaren Korrespondenten; Freuden, die um s» tiefer, je geheimnißvoller sie sind und je mehr sie ganz das Eigenthum des- oder derjenigen sind, welche diese Freu"" den empfinden. Gehaßt weiden ist aber das Privi legium irgend eines Verdienstes, Ta lentes, irgend einer Berühmtheit beim Manne, der Schönheit und des guten Rufes bei der Frau. Jeder erhabene Geist würde selbstverständlich vorziehen, von der ganzen Welt geliebt zu werden» obwohl die allgemeine Sympathie ge wöhnlich das Diplom der Mittelmäßig keit ist, aber wenn man sich als einen Mann von Verdienst fühlt und nicht die Gerechtigkeit erntet, die man ver dient. so hat man in deni ungerechten' und dadurch excesiven Haß eine natür liche Entschädigung, die man nicht ge ring achten soll. Vor allem ist dieser Haß im Grunde genommen ein unwill kürliches und unwiderstehliches niß von Achtung. Man haßt niemals den, welchen man verachtet. IZ Denke» wir übrigens auch daran, daß hundert sehr ungerecht und laut schreiend« Feinde dem Angegriffenen immer ir gendwo einen neuen, unbekannten Freund wachrusen, der über ihre Unge rechtigkeit und Ungeschicklichkeit empört ist, und daß schließlich einige Geister von dieser Art das ausmachen, was uan die öffentliche Meinung nennt (Sin Freund der Schwiegermütter» In Wort und Schrift hatte er schon oft den Veweis dafür zu erbringen ge sucht, daß die boshaften Witze über Schwiegermütter niemals einer edlen Natur entspringen. Auch sein neuester Artikel in de» „Morhen - Zeitung" druckte wieder in rührender Weise den herben Mißmuth aus. den. snner Ansicht nach, billig denkende Menschen empfinden müssen, wenn stets die »»schuldigen Schwieger mütter zum Gegenstand des Spottes gemacht werd'n. Dieser Artikel erregte begreiflicherweise Sensation in den Kreisen jener Damen, denen der Him mel einen oder mehrere Schwiegersöhne beschieden hatte. Alsbald fanden sich auch zahlreiche Schwiegermütter behufs Besprechung zusammen, um deni „Edelste» der Menschen" in gebührender Weise zu danken. „Wer den Mulh hat, der öffentlichen Meinung zu trotzen »nd> den Verfolgten zu schützen, dem gebührt Dank und Hochschätzung." So meinte eine biedere Matrone, eine verfolgte Schwiegermutter von sechs Schwieger söhnen, und als man ihr ob dieses Aus spruches lauten Beifall zollte, da bean tragte sie: Man, möge eine Deputation eirtfenden, welche dem Artikelschreiber den heißen Danl sür seine offene Sprache und seine muthigc Juschutznahme auS-- drücken solle. Uno so geschah eS auch. Zwölf der anwesenden Damen wurden entsendet, um den Dozk sämtlicher Schwieger mütter zu übermittstn. Sofort begab' sich die Deputation auf den Weg. ES war, ein kleines Häuschen, in welches si:> eintrouen und worin ihr- Schutzbeflissener, der Dicht« Krügerl, wohnte. Im Varzimmer empfing di»- Deputation eine.-ältere Dawe. ~Wa» wünfHen frug di«s» etwas unwirsch-. „Wir möchten Herrw Krügerl spre». chen, um " „Mein Schwiegersohn empfängt kein« Dantnbesuhe, darf leine empfangen und n«!«, machen, Sie. daß Sie fört kcZmnr»^ Noch ei» Wort wogte die »och init einer Nvcht w»rde die Thür« zugeschlagen, daß die weißen Milch «hoben in Schübe» umherflogen. .Der schreibt sür die Schwieger» Mütter?" srug draußen eine Dame di» andere. „Kann mir'S denken der in u ß!^ Poesie und Prosa. hen Sie gern zu den musikalischen Soi»> reen d.r Frau von X.? O gewikv Man ißt ja gen, a iSaPichnei da! 3
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