Das Verhängnis!. (3. Fortsetzung.) Feldheim näherte sich ihr. Er mußte ihr ein tröstendes, beruhigendes Wort sagen. Zum ersten Mal stand ihm sein Verbreche» an diesem blind vertrauen den Herzen, zum ersten Mal die ganze Erbärmlichkeit seiner Handlungsweise vor Augen. Auch iu der engen, un freien Seele seiner Braut regte sich etwas wie Mitleid. Die stechenden Blicke verloren ihren tückisch triumphi renden Ausdruck. Als Feldheim sie aufrichten wollte, schnellte Ange em por. „Rühre mich nicht an!" rief sie au ßer sich. Alle Kindlichkeit war abge streift. sie stand vor Beiden, ein gereif tes, zornbebendes Weib. Ihre Gestalt schien gewachsen, in ihren dunklen Au gen war jede Weichheit geschwunden. Ein Feuer von Verachtung und Haß loderte ihnen daraus entgegen. „Ihr seid mir beide gleich verächtlich, gleich vcrabscheilttugswerth: Die Eine, welche einen Mann a» sich zu ketten sucht, von dessen Unwerth sie sich durch sein Dop pelspiel überzeugt; der Andere, weil er erbärmlich genug ist, seine Liebe um schnödes Geld zu verkaufen! Und wenn er jetzt zu meinen Füßen läge und um Verzeihung flehte, ich würde ihn von mir stoßen ich würde rhu nie, nie wieder zu mir erheben!" Und Ange ballte die kleinen Hände nnd wieder holte zitternv mit todtblassen Lippen: „Nie!" Dann ließ die Erregung Plötz lich nach und sie stürzte ohnmächtig nie der. Zweiter Theil. I. Es ist Abend. Langsam versinkt die Sonne hinter den unbestimmten Gren zen des Horizonts. Bläuliche, von Purpur angehauchte Nebel steigen wal lend empor. Der Wind streicht flü sternd durch das Schils im Moor und üb»r das Haidetraut. Man vernimmt weiter keinen Laut als das melancholi sche Klagen des Rohrhuhus, und das leise Murmeln eines zwischen Weiden gestrüpp sich windenden Baches. Ver folgt man den neben ihm laufenden Psad, spärliches Unterholz, dunkle T.annen haben ihre Wurzeln fest in mächtige Granitblöcke geschlagen, zwi schen welchen der Bach dahinichießt. Eilend nimmt dieser alle Hindernisse, überall zwischen dem Gestein bricht er schäumend hervor, bis sich die Schlucht öffnet und er sich in das breite Bett eines Sees verliert, über dessen krystall klarer Tiefe die wallenden Nebel wie duftige Schleier flattern. Jetzt steigt der Mond empor; er wird leuchtender und leuchtender und gießt in rinnenden Strömen fein silbernes Licht über die stattliche eines alten Schlosses. Es ist ein großartig angelegtes Ge bäude, mit seinen mächtigen Thüren, einer jener stolzen Herrensitze, den die rothe Erde Westfalens viele aufzuwei sen hat. Die abendliche Stille wird durch! das Rollen von Wagenrädern unter brochen, Lichter blicken mit glühenden Augen in den wallenden Nebel hinaus. Durch die geöffnete Einfahrt fährt eine stattliche alte Familicnlutsche mit rcichsgräflichcm Wappen, ungeheuer breiten, seidenen Polstersitzen und einem alten großbartigen Kutscher auf dem Bock. Es ist die Kutsche, in welcher die Schloßherrin, die alte Gräsin Tanner alljährlich zur Karnevalszeit ihre Reue nach Münster zu machen pflegte, selbst dann noch, als die nahe Eisenbahnsta tion zu bequemer Fahrt einlud. Man hatte diesmal den altehrwürdi gen Wagen zur Station geschickt, um die sür die Enkeltochter der Gräsin en gagirte junge Gesellschafterin abzuho len. Ange Sateruo hatte ihre Reife von München ohne Unterbrechung ge macht und auf der langen Fahrt ver sucht, Klarheit und Ruhe in ihre Ge danken zu bringen. Doch es wollte ihr nicht gelingen. Sie mußte immer wieder zurück au das elende Doppelspiel Feldheims denken, in dem sich die ganze Niedrigkeit ihres Geliebten offenbarte. Der Schmerz über den Verrath hatte sie zunächst niedergedrückt, dann raffte sie sich aus mit dem Gedanken: rasch nnd weit sort von München, wo der Elende lebt! Von ihrem Lehrer empfohlen, hatte sie die Stelle im gräflichen Hause erhalten : sie sollte der jungen Komtesse Unterricht im Zeichnen und Malen ge ben. Ange hatte kein Gehalt bean sprucht, sie hatte gebeten, als zur Fa milie gehörig betrachtet zu ivcrsen. Darauf war man nicht eingegangen. „Erst müssen wir sehen," halte die Grä fin erklärt, „ob die junge Person ei« derartige Auszeichnung verdient. Ihre Dienste muß sie sich aber bezahlen las sen; eine derartige Bescheidenheit weiß ich weder zu schätzen, noch acceptire ich sie." Frau Gertrud war in ihr Heimaths dorf zurückgekehrt. Auge hatte ihr eine bescheidene Rente ausgesetzt, welche der Bankier, der ihr kleines Vermögen ver waltete, ihr vierteljährlich au-zahlen sollte. Müde, abgespannt, voll unbestimm ter BefUrchtlingen über ihre neue Stel lung, so langte Ange aus Schloß Tan ger an. Unter dem erleuchteten Portal, im schwarzen Anzug mit weißer Binde, glattgescheiteltem Haar stand in würde vollerHaltung der Haushosmeister Herr Charles. Im Schloß wurde die ganze Dienerschaft mit französischen Namen gerusen. Ein Diener in blauer und rother Livree öffneteden Wagenschlag. Aengst lich schlüpfte Ange heraus und machte dem Haushosmeister, im Glauben, er sei der Herr des Hauies. eine linkische Verbeugung. Der Haushssmeister er widerte sie mit würdevoller Herablas sung und sagte einige höfliche Bewill tommnungsworte. „Jean!" gebot er mit majestätischer Handbewegung dem Diener, „geleiten Sie Mademoiselle aus ihr Zimmer! Der Koffer kann nachher hinausgeschafft werde»." Ter Diener schritt mit einem Leuch. ter voran. Verwirrt folgte ihm Ange die breite, mit Teppichen belegte Frei treppe hinauf, durch einen langen Kor ridor nach dem westlichen Flügel des Schlosses. Nach endlos scheinender Wanderung öffnete der Diener die Thür zu einem großen, hohen Gemach, zün dete zwei vor dem Toilettenspiegel ste hende Wachskerze» an und sragte, ob das Fräulein eine Tasse Thee wünsche. Ange bat darum. Die Thür- schloß sich wieder. Sie athmete erleichtert auf und wagte erst jetzt, sich umzublicken. Das Gemach war sehr groß und mußte einstmals prächtig gewesen sein. Die Wände waren mit Heiligenbildern ge schmückt. In der Mitte der Längswand stand ihr Bett mit einem Betthimmel von verblichener Seide, der oben mit den Flügeln einer Taube zusammen gehalten war. Von gleichem Stoff waren die Gardinen und das Ameuble ment. Das Sopha, welches sich in dcm großen Zimmer wie eine Nußschale ausnahm, war steislchnig, wie die Stühle mit ihrem hohen, harten Pol ster. Eine Roccocotommode mit gol denen Beschlägen, ein gleicher Schreib tisch, cin Marmor-Waschtisch, cin Toi lcttcnspicgel in einem alten Barokrah men waren die übrigen Möbel. Die Lust des Zimmers war dumpf. Obgleich man sich im Monat August befand, fröstelte Ange, und mit der Kälte vermehrte sich ihre Äugst. Hatte sie klug gehandelt, in dieies fremde aristokratische Haus zu gehen, um sich vielleicht nicht besser als eine Dienerii, behandeln zu lassen? Niemand, außer jenem steifen Herrn, war zn ihrem Empfange da gewesen, und dieser hatte ihr nichts als ein sehr höfliches, sehr sörmliches Willkommen geboten. Hatte sie sich doch lieber ihre Selbstständigkeit bewahrt! ! Mechanisch legte sie ihr Reisekostüm ab/badete Gesicht und Hände in sri- schein Wasser und ordnete ihr schönes. reiche» Haar vor dem Toilettenspiegel. !Es war ein bleiches, rührendes Madon nengesichtchen, das ihr daraus entgegen sah. Sie sah die dunklen Schatten unter ihren Augen, die sie fiebernd, ruhelos anblickten, die ihr erzählten, wie sie ost mitte» in der Nacht seit je nem entsetzlichen Austritt mit einem Gesllhl grenzenloser Bereinsamung er wacht und sich müde gerungen, bis sie endlich wieder zu Tode erschöpft einge schlafen war. ! Es klopfte leise. Sie fuhr sich hastig über die Augen und trat vom Spiegel zurück. Ter Diener trat mit dcm Thee ein. den er stillschweigend servirte und aus einer silbernen Kanne eine zierliche Tasse von Scorc-Porzellan niit dem goldbraunen Trank füllte. ! „Wenn das Fräulein den Thee ge trunken," meldete er und trat in den Hintergrund des Zimmers zurück, wo er wie eine Ehrenwache in untadelhaf ter Haltung stehen blieb, „soll ich es gnädigsten Gräfin sichren." ! Ange trank has?iz den Thce. T't Meldung, die statuenhafte, erwartungs volle Haltung des Tieners raubten ihr jede Sicherheit. ! Sie griff zu ihrem Taschentuch, drückte die kleine kalte Hand gegen das Herz und folgte dem Diener. Wieder durchschritten sie den endlosen Korridor, stiegen die Freitreppe hinab und bogen links in einen zweiten Korridor cin. ' Dort öffnete der Ticner die Thür eines Vorzimmers sic pa>'sirten ein zwei tes, ein drittes, n Die steife Pracht, die überall herrschte, vermehrte ihre Un sicherheit. Sie glaubte, in einem ver- ödeten Schlosse zu wand.'ln. Nirgends ! drang cin Laut an ihr Ohr. Jctzt rauschte die letzte Portiere zurück: sie , hatten das Boudoir der ReichSgräsin erreicht. Der Diener trat zur Seite und verschwand. Der Vorhang fiel hinter ihr zusammen, Ange stand der , Gräsin Tanner gegenüber. Nein, nicht gegenüber; so nahe hatte sie sich noch nicht an die imposante Gestalt herange wagt. welche, einer Königin Elisabeth gleich, in einem antik geichnis > Ses sel ruhte. Ein schweres gra...» Sei denkleid fiel in tiefen Falte» an ihrer königlichen Gestalt nieder. Das hoch gekämmtc weiße Haar war in Hunder ten von Löckchen und Locken » l» 'l'itus aufgebaut und von einem schwarzen Spitzengewebe mit herabwallenden Spitzenbarben bedeckt. Das volle Doppelkinn ruhte aus einer breiten Tülltrausc, die sich eng um den Hals schloß. Die Züge waren von klassischer Schönheit, aber scharf und fest, wie aus Marmor gemeißelt. Tic Lippcn des cingcsallenen Mundes zeigten nur zwei gerade, blaßrothe Linien und waren fest zusammengepreßt. Ein rother, golddurchwirkter Shawl lag lässig aus der Lehne des Sessels. In ihrer Hand hielt sie einen Fächer und ein Auch, in dem sie gelesen hatte. ! So leise sich der Eintritt Ange's voll -5 zogen, die ReichSgräsin hatte ihn doch gehört. Sie ließ das Buch sinken und richtete, ohne ihre Stellung zu verän dern, die Augen »ach ihr hin. Es wa ren seltsame tluge durchdringende blaue Augen, welche jedem die Gedanken aus der Seele zu lesen schienen. „Treten Sie näher!" Ihre Stimme war fest, aber nicht ohne Wohlklang. Ange gehorchie. Wie eine Delin quentin vor ihrem Richter stand sie da. „Sic heißen?" Ange sah flüchtig, überrascht auf. Sic mußte doch ihren Namen wissen, er war doch in der schriftlichen Unter handlung so oft genannt worden. „Angelika Saterno." „Sie lind Katholikin?" „Nein, ich bin Protestantin." Ein langgezogenes: „So, das schrieb man mir nicht. Wie alt sind Sie?" „Siebzehn Jahr." „Gnädigste Gräsin, wenn ich bitten darf," ergänzte die Gestrenge mit leichtem Stirnrunzeln. „Gnädigste Gräfin." wiederholt« Ange ängstlich, besangen. „Sie sehen sehr zart aus. Ist etwa die Schwindsucht in Ihrer Familie?" examinirte die Gräsin kurz, unvermit telt, wie etwa der Pferdekäufer dcm Gaul das Maul aufreißt, um zu sehen ob auch feine Zähne gesund sind. „Nein", stammelte Ange in tödtli che», Schreck, denn sie dachte an das viel furchtbarere Gespenst, welche-' Bruder und Vater dahingerafft. „Gut. Vielleicht ist es auch die Kleidung, welche Sie so kränklich er scheinen läßt. Für wen trauern Sie?" „Für meine Mutter!" erwiderte Ange mit versagender Stimme. „Armes Kind!" Eine menschliche Regung brach hervor das Gesühl, daß der Schmerz um solchen Verlust jedes, auch des Plebejers Kind gleich hart trifft, stimmte die stolze Frau«, welche Mutter und Großmutter war milder. „Das ist sehr traurig. Ihr Vater ist auch todt?" „Ja", gab sie leise/sehr leise zu. „Also ganz verwaist! Aber Sie haben Verwandte, Geschwister." „Nein, ich habe Niemand!" „Vielleicht ist das in Ihrer Stellung kein Fehler," gestand die Grafin. „Sie werden diele um so gewisseiihaster neh men. damit Ihnen hier eine Hcimatb wird." Eine Heimath, hier unter den Augen dieser kalten, stolzen Frau! dachte Ange. Nein nein nein nimmermehr! „Die Pflichten, welche Sie übernom inen haben," suhr die Gräsin in ihrem Examen fort, „sind Ihnen doch be kannt." ~Ja, Frau Gräfin gnädigste Gräfin", verbesserte sie sich, ohne die Blicke vom Tcppichmuster zu erheben. „Auf etwas möchte ich Sie noch be sonders in Ihrer Stellung aufmerk sam machen. Meine Enkelin, Comtesse Marguerite ist bei ihrer großen Leb haftigkeit leicht geneigt, das noklssss ihrer Geburt zu vergessen. Es ist daher Ihre Aufgabe, den gesell schaftlichen Rangunterschied im Auge zu behalten, niemals die Grenzen zu überschreiten, welche zwischen einer Comtesse Tanner und ihrer Gesell schasterin gezogen sind. Sie haben mich doch verstanden?" „Ja", kam es fast unhörbar über Ange's Lippen, ohne daß sie ihrer ein silbigen Antwort dag „gnädigste Grä fin" zufügte, was die hochmüthige Frau mit leichtem Stirnrunzeln rügte. Ange bemerkte es nicht, und wenn sie es bemerkt Hütte, so hätte ihr rebel lisches Herz dem getrotz und wäre bei dem einsilbigen „Ja" geblieben. „Noch Eins. Ich gestatte Ihnen, sich heute nach der Abendmahlzeit zu rückzuziehen, da ich voraussetze, daß Sie nach Ihrer Reise ermüdet sind." Als die Gräfin schwieg, ineldete der Diener, daß die gräflichen Herrschaften sich im Speisesalon zum Thee versam melt Hütten. „Sie können mich be gleiten, Fräulein Saterno, hier, neh men Sie meinen Shawl und Fächer und halten Sie sich einige Schritte him ter mir." Ange ergriff mit einem leisen Beben der Hände die genannten Sachen und folgte mit gesenkten Blicken. Der Speisesaal war ein langes, großes Ge mach mit Eichenholzmöbeln, braunsei denen Damastvorhängen, einem mäch tigen gußeisernen Kamin und einge legten Vignetten in den Boiserien der Winde, aus weichen Bluue', Früchte und Wildslücke gemalt waren. Ueber der reich mit Silber und kostbarem Porzellan ausgestatteten Tasel hingen zwei große Hangelampen, welche ans geschliffenem Milchglase ei» zudringlich grelles Licht ausstrahlten, das Ange's Augen dermaßen blendete, daß sie lei nen der Anwesenden sehen konnte. Beim Eintritt der Gräfin verstumm ten lebhafte Stimmen und eine ehrer bietige, erwartungsvolle Stille trat ein. Sechs Paar Augen richteten sich au' Ange. „Fräulein Saterno!" stellte Gräfin Tanner das junge Mädchen vor. „Marguerite, begrüße Deine Gesell schafterin!" sortierte sie eine allerliebste kleine Blondine mit langen Zöpfen und reizendem Stumpfnäschen auf, die neben ihrem Bruder, einem hochaufge schossenen. jungen Studenten stand. „Weise ihr den Platz auf Deiner linker Seite an!" Auge, welche sich dicht am Eingange gchallen und nicht aufzublicken gewagt, fühlte, wie eine kleine, weiche Hand sich zutraulich in die ihrige schob und eine ebenso weiche, kindliche Stimm' lebhaft sagte: „Ich hoffe, wir werden gut? Freundinnen werden." Gute Freundinnen! Ange blickte flüchtig nach der Gräfin hin, ob sie die sen Ausruf gehört, der bereits bei die ser Begrüßung die gezogenen Grenzn überschritt. Gräsin Tanncr rauscht' nach ihrem Platz. Ein kurzes Tischgebet wurde von dem anwesenden Schloßkaplan gesprochen; dann nahm jeder seinen Platz ein, wo bei Ange in ihrer Verlegenheit nahe daran gewesen, sich neben den Stuhl zu seyen. Ein leises Kichern von Sei ten der kindlichen Comtesse und des jun gen Grasen, ein Räuspern der übrigen Anwesenden, ein strenger Verweis der Gräsin. sich ruhig zu verhalten, steiger ten Ange's Verlegenheit dermaßen, daß sie sick nur dunkel bewußt blieb, wie ungcsch ckt sie sich bei der Tasel benom inen und welche Erlösung es sür sie war, als endlich von der Gräfin die Tafel aufgehoben und sie aus ihr Zim mer entlassen wurde. Contesse Marguerite flüsterte ihr beim Hinausgehen etwas zu, was Ange, in der Eile fortzukommen, nicht verstand. Erst in ihrem Zimmer an gelangt, wich die Beklemmung und Unsicherheit, welche sich während des Examens der Gräfin ihrer bemächtigt und welche die freundlichen Worte der jungen Comtesse nicht zu nehmen ver mocht. Aus Scham über die demüthi gende Lage, in die sie sich selbst ge» bracht, war sie fest entschloffen, ihr Engagement am folgenden Tage wieder zu lösen. Da klopfte es, und ein blonder Kopf schob sich durch die Thür, dem bald die zierliche Gestalt der jungen Comtesse folgte. „Darf ich eintreten?" „Was wünschen Comtesse?" fragte Ange in wenig entgegenkommendem Tone. „Wünschen? Nun. wünschen thue ich nichts. Ich möchte mich nur mit Ih nen näher bekannt machen." „Könnten wir das nicht morgen? Es tst schon spät!" „Morgen? Etwa in Großmama's feierlicher Gegenwart?" rief die junge Comtesse, indem sie ungenirt anf einem Stuhl Platz nahm. „Und spät? Ge hen Sie immer schon lim neun Uhr zu Bett? Das wäre ja erschrecklich lang weilig!" „Ich bin von der Reise ermüdet." „Ach, verzeihen Sie, ich vergaß—- Sie sprang wie Quecksilber empor. „Soll ich Ihnen vielleicht beim Aus kleiden behilflich fein?" „Ich danke, so müde bin ich nicht," lehnte Ange ihr Anerbieten ab. „Wenn aber Comtesse wünschen, können wir noch cin Stündchen plaudcrn." . „Das ist herrlich!" Marguerite sank in ihren Stuhl zurück und Auge nahm ihr gegenüber am Tische Platz. „Sie glauben gar nicht," suhr erstere fort, „wie furchtbar" Marguerite liebte die Uebertreibung „ich mich auf Ihre Ankunft gesreiit habe, als Großmama ankündigte, daß Sie nur ein Jahr äl ter als ich waren. Da sollte ich doch endlich Jemanden haben, mit dem ich nach Herzenslust herumtollen, mich amüsiren und schwatzen könnte, denn Sie müssen wissen, bei uns auf Tanncr geht es erschrecklich ccrcmoniell her, und alle Lustigkeit ist verpönt. Ach, wenn Sie wüßien, wie langweilig das ist, wie unglücklich ich immer gewesen, wenn Fred's Ferien zu Ende waren und ich Niemanden gebabt, mit dem ich hinter Großmama's Rücken lustig sein, dumme Streiche machen konnte. Sie würden degreisen, wie sehr ich mich »ach einer AlterSgenossin gesehnt habe. Alles ist so alt, so feierlich, so gesetzt aus Tanncr! Nicht wahr, wir werden gute Freunde werden. Sie gesallen mir sehr gut, und Fred findet Sie rei zend. Erlauben Sie," sprang sie wie der empor, „ich muß Sie küssen!" Die Natürlichkeit der kleinen Com tesse brachte auch Ange's Natürlichkeit zum Durchbruch. Ohne jeden Verkehr mit Altersgenossiniien neben einer schwermüthigen Mutter ausgewachsen, halte sie gleich Marguerite dies als eine schmerzliche Lücke in ihrem Leben em pfunden und nahm jetzt nicht allein ohne alle Bedenken die stürmisch ihr entgegengebrachte Freundschaft mit gleicher Herzlichkeit entgegen, sondern vergaß auch sür den Augenblick die herbe Erfahrung, welche hinter ihr lag, das Verhängnis;, das drohend über ihrem jungen Haupte schwebte. Sie erwiderte die Küsse, wenn auch nicht ganz so stürmisch, doch sehr innig, und die Freundschaft war zwischen ihnen geschlossen. „Wissen Sie. Ange," gestand das redselige Comteßchen es war abge macht worden, sich beim Vornamen zu nennen „daß wir, Fred und ich, heute bei Tafel förmliche Lachkrämpfe über Ihre Tapper-Tit-Rolle bekommen haben. Zuerst setzten Sie sich beinahe »eben den Stuhl, dann wollten Si bei Schluß der Tafel das kleine Becken, welches nur zum Spülen der Hände mit parfümirtem Waffer vor jedes Couvert gesetzt wird, an die Lippen setzen, wahrscheinlich um zu trinken, ich Sie aber glücklicherweise ver hinderte, nnd zu guter letzt machte» Sie dem alte» Haushofmeister Charles beim Hinausgehen aus dem Speisesaal ein Compliment, als wenn er wenig stens «eine Hoheit der Fürst von Fetz und Marocco wäre. Es war köstlich, selbst Onkel Alsons und der Kaplan hatten Mühe, sich das Lachen zu ver beiße» und nicht gegen den guten Ton zu verstoßen." Ange's Selbstgefühl war zwar etwas herabgestimmt, aber sie mußte doch schließlich in Marguerite's herzliches Lachen mit einstiinmcü. „Ich habe de» HailShosmeister für cin Glied der Familie gehalten," gab sie zu. „Köstlich, der alte Charles ein Glied ver hochadeligen Familie Tanner auf Tanner!" Was Großmama Wehl zu solcher Verwandtschaft sagen würde!" „Ich dente cben daran," bemerkte Ange, „wie wenig unsere Freuudschast sie Billigung Ihrer Großmama haben wird." „Das kann sein, aber darum küm meie ich mich nicht. Im Uebrigen draucht Großmama von unserm FreuiidschaftSbuiid gar nichts zu wis sen. In ihrer Gegenwart sind Sie meine Gesellschafterin und ich Mar zuerite, Comtesse Tanntr." „Ich kann das nicht, dieses Doppel spiel ist mir unmöglich." .Wenn Sie erst wenige W sind, werden Sie das > lernen. Wir machen es Alle so. Vor den Au ,eu Großmama's zeigen wir uns, wie sie es will hinter ihrem Rücken sind vir, wie wir es wollen. Mein Gott, man muß doch den Eigenheiten einer alten Frau !>technuiig tragen," setzte Marguerite altklug hinzu. Wir machen es Alle so! So spielten Alle Komödie, und ihr wurde darin von der kindlichen Comtesse gleich am .'rsten Abend auch eine Rolle überwie sen! War die Welt wirklich so falsch, io schlicht, daß die Verstellung, die Lüge gar nicht mehr als ein Verderben der Seele, als das häßliche Unkraut ange sehen wurde, welche alle besseren Keime im Menschenherzen überwuchern kann? 11. Wochen sind seit der Ankunft Anges auf Schloß Tanner 'vergangen, und noch steht sie den Verhälinliie» fremd gegenüber und kann sich in ihnen picht heimisch fühlen. Das Zimmer der jungen Comtesse, welches neben dem jenigen Anges lag, war für den Ver kehr der jungen Leute sehr günstig, und sobald sic dem wachsamen Auge der alten Gräsin entschlüpsen tonnten, sand sich das Trio hier zusammen. Die einzige Persönlichkeit im Schloß, welche ihr cin mitleidiges Interesse ab nöthigte und auch iu Gegenwart der Gräfin, wenn auch nur schüchtern. Versuche machte, mit Ange wie mit Ihresgleichen zu sprechen, war die Frau des ältesten Sohnes, des Erbgrasen Alsons. Ange hatte Anfangs verinn thet, sie fei die Mutter der ji iizeu Comtesse, und die Belehruug empf in gen, daß Comtesse Marguerite ihre Mutter schon im sechsten Jahre ve lo ren, bis znm zwölsten Jahre in einem Pensionat in Genf erzogen und dann zu ihrer Großmutter gebracht worden lei, nachdem sich ihr Vater zum zweiten Mal verheiralhet hatte. Letzterer be fand sich meist aus Reise». Gräsin Mary hatte nur ein Kind, einen Knaben, der sehr bald nach sei ner Geburt gestorben war. Margue rite hatte Ange vertraut, daß sie darü ber fast den Verstand verloren, und ihr ! Bruder behauptete, sie sei noch schwach i sinnig. „Doch bitte," setzte Marguerite hin., ! zu, „sprechen Sie das um Gotteswillen gegen Niemand aus. Großmama würde es mir nie verzeihen, daß ich ! Ihnen erzählt, cin Glied linserer Fa milie sei nicht ganz zurechnungsfähig, l Im Uebrigen ist sie gar keine Tauner, 5 sondern eine Engländerin aus sehr vor ! nchmcr Familie. Großmama hatte aber anfangs, weil sie Protestantin, diese Verbindung nicht zugeben wollen, bis sic zuletzt zu unserer Kirche überge treten ist; aber ihr Verstand ist da durch nicht Heller geworden," setzte das Comteßchen naiv hinzu. ! Ange gaben diese Commentare mehr 'zu denken, als die leichtherzige, unbe sangene kleine Comtesse verstehen konnte. Es war an einem Nachmittage. Ange war im Begriff, in die Bibliothek zu geheu, um sich einen Band Shake speare zu holen. Bei ihrem Eintritt bemerkte sie Gräfin Mary, welche ha stig ein Buch zur Seite legte und wie ein Schatten durch eine offene Seiten thür in's Nebenzimmer glitt. Neu gierig, was die Geisteskrauke wohl für ein Buch gelesen haben mochte, nahm j sie das Buch und blätterte darin. Es war cin Werk Tennysons, in dem eine Seite eingebogen war. Ange las die ersten Zeilen: ! „Er focht mit Zweifel, Stärke zu gc- Winnen, ,Er wollte nicht, daß blind sein Glaube > sei. Sah seiner Brust Gespenst in's Antlitz srci, und schlug 's nieder; So konnt' er nun gewinnen, daß er durch stärkcrenGlaubenwar belohnt." Betroffen legte sie das Buch zur Seite. Sollten etwa Glaubenskämpse , die Ursache ihrer geistigen Verwirrung l geworden sein? „Ach. entschuldigen Sie" es war Gräfin Mc.ry, die diese Worte sprach— „ich glaubte, daß Jemand anders in die Bibliothek gekommen. Wollen Sie mir das Buch geben?" Ange händigte ihr dasselbe ein. „Kennen Sie Tennyson?" sragte sie 'reundlich. Ange verneinte es. „So müssen Sie ihn lesen; ich bin überzeugt, er wird «ie fesseln. Sie sind Protestantin, nicht wahr?" „Ja," bekannte Ange, indem sie sich erinnerte, daß die junge Gräfin es auch gewesen. „In München habe ich oft die katholischen Kirchen besucht, weil ich mich durch die reiche Pracht und Poesie derselben sehr angesprochen fühlte." Cin dankbarer Blick traf Ange. „Das ist es, so wirkte sie auf mich," stimmte die Gräfin lebhaft bei. Dann besann sie sich, erröthete und sagte ru higer : „Wir. die wir alles zuerst durch die Sinne aufnehmen, können bei einer einigermaßen regen Phantasie kaum unempfindlich gegen diesen äußeren Glanz bleiben, wenn sich der Geist auch «udere Bahnen sucht." Ange sah sie überrascht an. So sprach kein beschränkter, viel weniger e iuumnachteter Verstand. Indem trat Graf Alfons in die Er war ein großer Mann mit iurzgehaitencm, dunlelblondem Vollbart, starten, buschigen Brauen, unter denen die Augen scharf hervor blickten. „Ich suche Dich, Mary." trat er auf sie zu, ohne die junge Gesellschafterin zu beachten. „Leone ist gekommen; willst Du ihn. begrüßen?" „Leone ist da, welche Ueberrafchung!" rief die junge Gräfin ungewöhnlich angeregt. „Ist die Operation ge glückt?" „Es scheint nicht. Doch verrathe keine Enttäuschung, er trägt sie zwar erstaunlich gelassen, aber Du weißt, er möchte uns Alle sein Unglück vergessen machen." „Der arme Leonce!" „Ja, er ist zu beklagen mitten in oer Bollkraft der Jahre ein todter Mann! ES ist schrecklich!" Anges Neugierde war erregt. Doch wohl wissend, daß sie solche nicht zeigen, noch mit einer Frage sich hervorwagen durfte, verließ sie die Bibliothek. Wer war Leonce. der mitten in der Voll kraft seiner Jahre ein todter Mann? Sie hatte von Marguerite diesen Na men noch nicht erwähnen gehört. Sie sollte bald seine Bekanntschaft machen. 111. ES war kurze Zeit nach der Begeg nung AngeS mit Gräfin Mary in der Bibliothek. Comtesse Marguerite hatte mit ihrem Bruder einen Spazierritt unternommen und Ange mit einem Band Goethes, dem zweiten Theil des Faust, das PalmeuhauS aufgesucht. ES stand in Verbindung mit dem west lichen Flügel des Schlosses, in dem das junge Mädchen seine Zimmer hatte. Mit seinen prächtigen Fächerpalmen seinen exodischen Gewächsen, seinen lauschigen Plätzchen, die nichts von der steifen Grandezza hatten, welche die Ausstattung des Schlosses kennzeich nete, erschien das Palmenbaus Ange wie cin schönes Märchen aus Tausend und eine Nacht. In der Mitte sprühte ein Neptun, auf dem ein kleiner Bacchus saß, aus einem breiten Bassin einen silbernen Funkenregen über sammtweiche Moose, mächtige Farren, üppige Rosen. Eine seuchte, weiche, von sanften Wohlgerü chen durchzogene Luft erfüllte das Haus und rief jene angenehme Mattigkeit hervor, in der es sich so gut träumen und ruhen läßt. Ange hatte bald das Buch zur Seite gelegt und müde den dunklen Kops an das weiche Polster eines niedrigen Di vans gedrückt, der zwischen blühenden Orangenbäumen und einer Gruppe prachtvoller Orchideen stand. War es Traum oder Wirklichkeit, was sich in ihre Gedanken einivob und anschwel lend zu mächtigen Accorden sie aus ihrem trälimerischen Nichtsthun weckte. Ucberrascht beugte sie sich vor und horchte auf. Es war kein Traum, es war Wirk lichkeit. Irgend Jemand in ihrer Nahe spielte spielte das herrliche IZsi von Mozart. Sie kannte jede Note, denn einst hatte sie es von ihrem Vater aus dem Harmonium spielen hören. Es war sein Lieblingsinstru mcnt gewesen und hatte sie später auch nach München begleitet. Lange hatte es unberührt und ungebraucht iu ihrem bescheidenen Salon gestanden, bis ein mal au eincm Weihnachtsabend ihre verstorbene Mutter es geöffnet und von da an öfters gespielt hatte, Welche Erinnerungen stürzten mit diesen ernsten, feierlichen Tönen auf Ange ein! Sie fuhr sich mit der Hand «der die Augen, um die hervordrän genden Thränen fortzuwischen, und er hob sich. Die Neugierde überwog die Rührung. Sie mußte erforschen, wes sen Hand so meisterhaft das Do! spielte, wie Ange es außer ihrem Vater nie spielen gehört hatte. Sie ging dem Schall nach und kam vor eine Glasthüre, welche bisher verschlossen ge wesen und vom Palmenhause nach den, wie sie geglaubt, unbewohnten Räumen des Thurmes siihrte. Die Thür stand weit aus, und Auge überblickte ein gro ßes, reich ausgestattetes Gemach. An der langen Mittelwand stand ein mit schwarzem Ebenholz umkleidetes Har monium, über welchem das lebensgroße Bilo einer jungen Nonne hing, ecen Hände mit wehmüthiger Resignation !n den auswärts gerichteten Blicken eine kaum erblühte Rose zur Erde glei te» ließ. Ange sah zuerst das Bild, auf wel ches das Licht des Valmenhanses fiel, das die Züge der Nonne noch farbloser und leidensvoller erscheinen ließ. Dann glitt ihr Blick tiefer und haftete auf dem Rücken einer schlanken, hohen Männergestalt, welche das I)si spielte. Sie zweiselte nicht, wen sie vor sich hatte. Es mußte der zurückge kehrte Gras Leonce, der jüngste Sohn der Gräfin fein, von dem Gras AlsonS den Ausspruch gethan: „Ja, er ist sehr z» beklagen, er ist ei» todter Mann!" Auf was zielte dieser Ausruf ? Sah die Gestalt bktlagcuswcrth aus? Zeigte das seelenvolle Spiel, daß er sich auch für einen todten Mann hielt? Die Klänge verrauschten, wie cin Geister hauch verhallten die letzten ergreifenden Accorde. Die Gestalt erhob sich und wandte Ange ein edles, durchgeistigtes Gesicht, ei» Paar erirste, große blaue Augen zu. Etwas iu diesen Augen be rührte Ange seltsam: sie waren schön in Farbe und Form, aber glanzlos. „Die Nacht scheint tieser, tief hinein zudringen, allein im Innern leuchtet Helles Licht," drängten sich die kaun, gelesenen Worte des geblendeten Faust aus ihre Lippen. Sie wollte entfliehen, sie konnte es nicht. Ihr Fuß war wie festgebannt, ihr Herz klopfte laut. Langsam wandte Leonce seine Augen ihr zu und sragte mit einer sonoren, melodischen Stimme: „Ist Jemand hier?" „Ach. mein Herr, ich hörte die herr liche Musik und wagte einzudringen." „Sind Sie vielleicht Fräulein Sa terno, die Gesellschafterin Margue rite's?" Sie war erstaunt, daß er ihren Na men, ja überhaupt etwas von ihr wußte. „Ja, m.'in Herr, das bin ich." Und ich bin der blinve Graf Leonce, der Onkel Ma- stellte sich der Graf vor. »kam heute unerwartct aus einer ' ..link zurück." „Ich . davon. Wie tranrig, daß Sie rutnd!" entfuhr es Ange mit einem warmen Herzenston innigen Be dauerns. „Es ist für mich weniger traurig, als es scheint. Man gewöhnt sich eben an alles, oder, richtiger gesagt, man muß sich daran gewöhnen lernen, will man nicht anderen und sich eine Last werden. Doch bitte, wollen Sie nicht Platz neh men? Es heißt, man nimmt die mit fort," setzte der Graf mit einem milden Lächeln hinzu, „wenn man sich bei einem ersten Besuch nicht wenigstens aus einige Minuten niederläßt." .Ich wollte aber gar keinen Besuch machen," erklärte Ange. Dabei kam sie aber doch der Aufforderung nach und setzte sich auf den Stuhl, welchen Graf Leonce ihr hingeschoben hatte. (Fortsetzung folgt.) Einlieberßtffe. „Tante, warum hast Du denn den Mopperl ausstopfen lassen?" „Weil ich ihn so lieb gehabt habe!" „Tante, wenn Du todt bist, laß ich Dich auch aus stopfen !" Aufgeschnitten. Herr: Als ich vergangenen Winter in Norwegen war, besuchie ich auch eines Abends d»S Theater, wo man ein Trauerspiel gab. Es war aber so kalt, daß die Thränen von der Gallerie als Schnee in s Par terre fielen. Schwalbe« in der Lehrt. Wie junge Schwalben von den alten zum Nahrungsuchen angewiesen wer den, darüber schreibt der „Leipz. Ztg." ein Mitarbeiter nach eigenen Beobach tungen: Eines Nachmittags sah ich über einem von zwei Seiten durch Weißdornhecken, von der dritten durch einen Mühlgraben und von der vierten dnrch einen Neiibau begrenzten Wiesen gruilbstück mehrere Schwalbe» im lusti gen Durcheinander ihres lieblichen Rei gens hin und her fliegen. Sic bildeten offenbar eine Familie: Mutter «chwalbe war mit ihrem Gatten durch Größe und lebhaftere Farben von den kleineren vier Sprößlingen deutlich zu unterscheiden. Nachdem das Auf und Ab, Hin und Her eine Zeit lang ge dauert hatte, begann die Unterweisung der kleinen Schnäbel. Eine der beiden Alten kam mit einer kleinen Hühnerseder, die sie in der Nähe des Neubaues im Fluge von der Erde aufgegriffen hatte, zu den Kleinen ge flogen, und nachdem sie den Jnngen. die Hunger zu haben schienen und gie rig nach dcm Schnabel der Mutter ver langten, das seltsame Spielzeug vor Augcu geführt hatte, stieg sie schnell hoch auf und ließ die Feder fallen, welche von der andern Alten ebenso schnell weggcsaiigen wurde. Diese Vorsührung wurde von den Ellern eine Zeit lang fortgesetzt, bis die jnngen Schüler sich auch im Federfang zu üben begannen. Das dauerte nun eine ganze Weile, wobei der Hunger der Kleinen entschieden zunahm. Die Fe der schmeckt nicht, darum wird sie von jeder Schwalbe weggeworfen und.wenn die Kleinen nicht mehr Lust zeigten, sie zu haschen, von den Alten aufgefangen. Ta verschwand eine der beiden Alten und mit ihr die Feder in der Weiß dornhccke. Sie kam wieder, jedoch nich» mit leerem Schnabel. Das Spiel begann auf's Neue; der Fangball war diesmal eit? Schmetter ling. der. weil die Kleinen an ihm auch nicht Geschmack siiiden mochten, nach langer Qual des Frei- und Gefangen- Werdens schließlich todt zur Erde herab siel. Wiederum hatte der Lehrer ein anderes Lehrmittel sür den Anschau ungsunterricht zur Stelle gebracht. Es schien sich um einen Käser'zu handeln, nach welchem die hungrigen Kleinen in den zierlichsten Bewegungen jagten. So ging's eine Zeit lang fort, wie aus dem noch öfters erneuten Antritt zu erkennen war. mancherlei Fanggegen stäiide bis zum kleinsten Insekt in einer offenbar abstufenden Reihenfolge durch geprobt worden waren. Es war etwa um die sechste Abend stunde, als der Unterricht mit der Prü> sung zn Ende ging. Die Alten iflogen nämlich, da die Kleinen mit ihrem Ge zwitscher „Hunger, Hunger!" ihnen zu sehr auf den Leib rückten, von der Wiese weg, nach dem Mühlgraben, über dessen Wasserfläche die Mücken zu Millionen spielten. Hin und her ging's in raschem Fluge, die Jungen hinterdrein, manchmal vielleicht noch vergebens schnappend, endlich aber, als doch etwas an den winzigen Thier chcn gnt zu schmecken schien, wohl un terrichtet, daß nur eine große Menge dieser kleinsten Speise sie satt machev könne. Das war eine Jagd, und die Alten schienen ihre Freude daran zu haben, wie trefflich ihr Unterricht gewirkt hatte. Sie machten manchen Abstecher nach dem Instigen Schnlhans über Weiß dorn nnd Wiese. Die Jungen folgten. Da sie aber hier der Nahrung bei Wei tem nicht so viel vorfanden als über dem Mühlgraben, eilten sie geschwinder als ihre Lehrer zum Wasser zurück. Ein sonderbarer Kauz tand kürzlich in Wien vor dem Bezirks gericht Leopoldstadt. Lorenz Grasser so lautete der Name des Angeklag ten hat die Gewohnheit, die Wiener in Schrecken zu versetzen, indem er in der Nähe der Donankanalbrücken oft plötzlich einen Anlauf nimmt und ins Wasser springt. Selbstverständlich ertrinkt er nie, denn er ist, einstimmi gem Urtheile der Sächverstänvigen zu folge, der beste Schwimmer Wiens. Er selbst beliebt diese Selbstmord - Ex perimente als „Hetz", zu bezeichnen, doch wird seitens den Polizei der Ansicht Ausdruck gegeben, daß Grosser ost die Absicht verfolgte, nach vorangegangenen häuslichen Scenen mit seiner Frau dnrch seine singirten Selbstmordver suche Mitleid für sich wachzurusen. So habe er neulich binnen einer Stunde zwei Selbstmordversuche unternommen. Kürzlich saß er, wie die gegen ihn er stattete Anzeige mittheilt, mit seiner Gattin in einem Gasthause des 111. BezirleS. Seine Frau wollte nach Hause, er drang aber, sie inüss» noch bleiben. Da sie sich weigerte und den noch sortging, zahlte er rasch, rannte ihr nach, machte ihr nächst der Kaiser Franz Josefs - Brücke eine Scene und sprang zum Entsetzen der Passanten, über das Brückengeländer ins Wasser. Ein Herr sprang ihm nach und zog ihn heraus. Die große Menschenmenge, die sich ansammelte, lockte den Wach mann Johann Stockhammer herbei, der das Nationale des Geretteten auf nahm. Der Gerettete wurde aber exces siv, er beschimpfte den Wachmann und meinte, dieser habe gar nichts da zu suche», er hätte ihn gewiß nicht gerettet. Als der Wachmann nach Notirung des Falles den Platz verließ kaum war er einige Schritte weit entsernt sprang Grosser abermals in den Donau kanal. Seine Frau schrie um Hilst, weil sie dachte, daß es jetzt Ernst wäre, «ein Reiier was gutmüthig genug, ihm abermals und ihn aus dein Wasser zu ziehen. Die Ver handlung gegen diesen sonderbaren Schwärmer mußte behufs Vorladung mehrerer Zeugen, darunter auch der Gattin des Angeklagten, vertagt nie» den. In Gesellschaft. Herr: Ich verbitte mir, daß Sie die Witze machen, die ich gerade mcchen wollt»! 3
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