2 «i» Nerltner vrigtnal. Ein Berliner Original hat soeben wieder das Zeitliche gesegnet: Am 2. August ging nach längerem Leiden de, AmtSgerichtSrath Herr Oskar Holzapfel zur ewigen Ruhe ein. In weiteren Kreisen zwar wenig bekannt, hatte sich sein Name eines um so höheren Klan ges bei den Bettlern Berlins zu „erfreuen"; er war der Slrafrichler der Berliner „Kunden", wie in ihrem Jar gon die Mitglieder der Bettlerznnst sich nennen. Wer von diesen in ihrem Erdeuwallen von der Polizei überrascht wurde, kam vor H., dem das Amt des Polizeirichters im Präsidium oblag. Selten wohl genoß ein Richter ein« größere Popularität, als H., dessen Name stets in aller „Kunden" Mund war. Zum geflügelten Wort in diesen Kreisen ist seine trockene Bemerkung, „Brauchen Sie auch nicht!" geworden. War nämlich ein Bettler zum Termin vorgeführt uud ihm dort die zuständige Strafe zudictirt worden, so richtete H. dir Frage an den Berurtheilteu: „Tre ten Sie die Strase an?" Auf das in den meisten Fälle» gegebene „Nein" des Verurtheilte» erfolgte dan» ebenso prompt das trockene „Brauchen Sie auch nicht!" des Verstorbenen. Aus dem Privatleben H.'S kursirtcn in den Bettlerkreiien die verschiedensten Gerücht«?. Thatsache ist es. daß viele .Kunden" nicht davor zurückschrecken, den bei der Ersüllung seiner Amtsoblie genheiten so gesürchtelen Herrn in sei ner Wohnung aufzusuchen und um Unterstützung anzusprechen. Daß ihr« Bemühung nicht ersolglos war, erhellt daraus, daß die Wohnung H.'s im „Kundcnvcrzcichniß" als „Groschen winde", d. h. als eine solche Stelle an gesührt ist, an der ei» Zehnpsennigstnck als Almosen gegeben wird. Eine Anek dote aus dem Wirkungsleben H.'s mag ihrer Originalität halber hier Erwäh nung sinden: Eine von dem Richter vieljach angewendete Maßregel sür od dach- und arbeitslose Leute ist die Ver warnung. d.h. die Weisung, sich inner halb sünf Tagen Wohnung uud Arbeit zu schassen. Kommt nun ein Ver warnter wegen irgend einer Uebertrc tuug wiederum vor den Polizeirichter, so muh er diesem seine Beniühuug um Arbeit und Obdach beweisen können, widrigensalls ihm eine längere Hast strafe, in vielen Fälle» sogar das Ar beitshaus erblüht. So erschien eines TageS ein verwarnter „Kunde" vor Herrn H. Aus dessen Frage, ob er sich nm Arbeit bemüht, giebt er znr Ant wort, daß er ... bei H. selbst gear beitet habe. Dieser horcht auf und be merkt, daß er sich nicht entsinnen könne, den Betreffenden jemals beschäftigt zu haben. Entrüstet erwidert darauf der Bettler: „Aber, Herr Richter, wissen Sie denn nicht mehr, wie ichJhnen vor längcrerWeit, als Sie per Droschke am Polizeipräsidium vorfuhren. das Akten bündel hinaufgetragen habe?" Ge rührt ob dieser Bethätigung zur Ar beitslust. soll der sich nun erinnernde alte Herr den „Unschuldigen" freige sprochen haben. «in parirter «ellnertniff. Jedermann, der in Restaurant; speist, tennt wie aus Paris geschrie ben wird mehr oder weniger gut all die Schleichwege, deren sich die Kellner bedienen, um die gewöhnlich ohirehin schon genug großen Rechnungen »och ein wenig zu erhöhe». Tu- cinsachste dieicr Mittel ist der AddilionSfeh ler. Doch da dvfeS Mittel in der letz ten Zeit nicht mehr immer gelingen will, haben oie Herren derßoul evard-Etablijsements einen neuen „truo" erdacl t. Tie Addition wird richtig ge macht. Die Rechnung macht z. B. 45 Fran s aus; man gibt ein IVO, Fran-sbillct hin. Der Kellner geht au die Kasse und bringt auf einem' Teller die Rechnung und den Restbetrag zu rück. Bei dieser Gelegenheit verabsäu men es jedoch die Kellner niemals, ein 10- oder 20-Franesstück unter die Rech nung gleiten zu lassen. Es gibt nun Leute, die vielleicht aus Bequemlichkeit, vielleicht auch, weil es nicht „elüe" ist, es unterlassen, nachzurechnen, ob der Kellner genug herausgegeben hat, und, nachdem sie da» Trinlgeld zur Seite ge legt haben, dos aus der Note liegende Geld rubig einstecken. So ist der .tr»o" gelungen. Zahl! ein Gast nach und bemerkt, daß Geld seht, dann sucht der zur Rede gestellte Kellner eine Zeit lang und entdeckt schließlich mir der un schuldigsten Miene, daß das betrcsfenoc Waldstück unter dre No,, gegimen ist. Sein „tr»c" ist mißlungen, aber seine Ehre ist gerettet. Der Kellner eines sehr bekannten Loul?e>ard -> Restaurants mußte nun diese seine Gewohnheit dieser Tage ziemlich theuer bezahlen. Zwei Herren, welche bereits einige Male aus die obe» ongegebene Weise betrogrn wurden, «achten sich derart, daß sie, al; t»-r Kell ner den Rest zurückbrachte, das uvter »er Rechnung liegende Zwanzig-Francs- Stück, ohne daß es der Kellner sah, ge schickt hervorholten uud dann den „Gar<zon" wegen unrichtiger Rechnung zur Rede stellten. Ter gute Viktor inachte eine höchst erstaunte Miene, rechnete einige Male nach, doch blieb chm ichließlich nichts Anderes übrig, als zur Kasse zurückzukehren und da selbst noch zwanzig Francs zu Verlan zen. Tie beiden Herren gaben ihr ge wöhnliches Trinkgeld und sort. TogS daraus konnte man in einem Voiilevardblatt lesen, daß der Kellner Viktor vom Case A Zwanzig Krams sür die Opfer der Katastrophe «n Saint Gervais hat. Ob der ichlaue Viktor wohl schon daraus gekommen ist. wie er, ohne es zu wissen, Wohlthäter geworden ist?! Hinausgeholfen. Sie: .Lieber HanS, bitte, laus' mir ein Dutzend Handschuhe!" —Er: „Was ,'allt Tir ein! Du wirst doch nicht Deine reizenden Handchen verbergen «ollen!" Sie dret Priester» ES gibt nichts Schöneres, als lni Winter vom Frühling zu träumen und vom Liebesfrühling. Der kleine Edelhof, mitten in de« Ukraine, war vom Schnee umschlossen, wie mit Kcrkermauern, und Isidora, das junge hübsche Mädchen, das am Fenster nähte, schien eine Gefangene, und doch sühlle sie sich srei und glücklich hinter den Frostblumen, von denen die Scheiben bedeckt waren, wie mit einem peitschen Gewebe ans weißer Seide, das die scheidende Sonne mit Gold stickerei überzog. An einer Stelle, wo Isidora da» Fenster angehaucht hatte, um durch blicken zu können, siel ein breiter Strahl in die Stube, über das Bärensell. aus dem die kleinen Füße d«r Träumenden ruhten. Dieser Strahl wurde allmäliq roth und röther und floß j«tzl wie ein Blutstroin bahill. Draußen bedeckte der Schnee di« Erde, weich und flimmernd, wie silber nes Moos, er putzte die Aeste der Bäume mit weißen Spitzen aus und hatte dem Brunnen eine weiße Bischofs mütze aufgesetzt und einen langen Barl angebangt, so daß er dem heiligen Nikolaus glich, wenn er Abends kommt, die Kinder zu schrecken und zu b-jchen ten. Weit unten in der Türkei, am Fuße des Vallans. wo sonst die Rosen von Kasanlik ihre berauschenden Düste ver senden. lag auch tiefer Schnee und aus demselben blühten die rothe» Blumen des Krieges und Rabe» flatterten und krächzten über den Gefallenen, die das Leichenliich des Winters deckte. Um das junge Mädchen mit den braunen Flechten und den dunlleu Sammctaugen, war aber der Frühling. Sie blickte zurück in jene Zeit, die hin ter ihr lag. und die Gegenwart zerfloß wie Nebel um sie. Wie damals, an jenem Maienabend, saß sie wieder zu Pferde, als kleinrussi sche Bäuerin gekleidet, in rothen Saf» fianSstiesel. im bunten Rock und blaue» Mieder. die langen Zöpfe mit rothen Bändern geinüpst, den Kantschu in der Hand. Langsam ritt sie durch das Tors, dessen Strohdacher die Sonne vergol dete. Blauer Rauch stieg aus den niederen Schornsteinen empor. Ein schwerer herber Dust von Thymian und Heu lag in der stillen Luft. In der Pfütze, die so schwarz wie Tinte dalag, plätlcherten die Enten. Als die letzten Hütten hinter ihr verschwanden, wog ten zu beiden Seiten Getreidefelder, aus denen blaue Kornblumen und rother Mohn hervorblickten, und jetzt that sich weit, endlos, die Steppe vor ihr auf. So weit das Auge reichte, kein Hü gel, lein Thurm, lein Rauchsang, nichts als hohes GraS und Blumen: hier gelbe, dort rothe oder blaue, hier ein buntes Gemisch aller Farben, ein ewi ges Aus- und Abfließen von Lichtwellen, ein immerwährendes Flüstern und Rauschen. Ueber dieser hellen, heiteren, unbe grenzten Weite, ein Himmel so blau, so und leuchtend, nicht ein Wölk chen zeigte sich. Es schien, als ob es unter diesem Himmel leine Serge» geben konnte, teinen Zweisel, keinen Schmerz. Indem sie ihr Pferd in diesem Grc.s incerc schwimmen ließ, jagie Isidora liier eine Schaar Reblmhiicr ans. dort Trappen, die sich schwersällig erleben, um bald daraus wieder in den bunten, schimmernden Wellen der Steppe zu versinken. Wie sriich ist die Luft hier, gewürzt vom Tust, der auf der Zunge prickelt, wenn man ihn schlürft. Mau fühlt ihn zu gleicher Zeit, er streichelt die Schläfen, die Wangen, er schmcichelt de» Nerven, er küßt uns mit weichen Frauenlippen. Zur Rechten tauchen drei Ziehbrun nen aus, die in der Ferne, auf dem leuchtenden Horizont ihre dunklen Arme ausstrecken, gleich Buchstaben eines iremden Alphabets, gleich schwar zen japani.chen Schrislzeichen aus Gold grund. Irgendwo klagt eine Hirtenflöte. DerAlendwind tragt ihre schwermüthi gen Tone herüber, wie das Weinen eines ttinde-, das sich in der Steppe verirrt hat. Tie Sonne sinkt. Ihre glüheude Scheibe sieht über dein hohen Steppen gras, wil- ein riesiger rother Mohn. Tonn wird sie von dem grünen Ocean verschlungen und über ihr sUunmt der Himmel aus. Aus dem feurigen Rolb wird erst ei» Irästiges Orange, dann cm grelles Gelb, endlich ein zitternder clellriichee Schimmer. An dem tiesblauc» Himmel zeigt sich der Abendslerii. Turch die Steppe jagt jetzt ein srücher. seuchler Wind, der sie amrubrt und ihren schweren Wohlgeruch aus leinen Schwingen sortträgi den Dörfer», den t>delsitzen der Uiraiiie zu. Zur Seite muimelt ein Bach, an dem lin kleiner Hain aus Erlen und Weiden slclil »iid mitte» unter den düsteren Baumen eine Birke, schlank und weiß, eine Braut unter den trauernden Ge jalirtiiiiie». An ihrem Stamm lehnt ein junger Man», die Flinte im Arm. und grüßt die Reilerin von Weitem ichon. Si'' erlennt ib» es ist Methud Toloscheiito, der Sohn des gricchuch lalbolifchen Pfarrers. Warum llopii ihr Herz? warum steigt ibr das Blut so heiß in die Wangen?- sie ib»? Isidora weiß eS »ich!! Er ist nicht schön, und doch sieht sie ihn so gern und noch lieber spricht sie mit ihm, ja sie wird niemals sali, ihn anzuhören, wenn er schlicht und warm von der Zukuiist Rußlands spricht, von seiner Mission, .die slavische» Flüsse »n russische» Meere zu vereinen", wie das schöne Wort Puschkins lauret., Wenn Methud nicht da ist. fehlt ibr etwas, und begegnet fit ihm, wirft sie stolz di« Zöpfe zurück und weicht ihm aus, aus Furcht, er der Priestersobn —könnte sich einbilden, daß sie, Isi dora Ostroska, das Edelfräulei», ihm nachläuft. Und war er ihr in der That lieber als alle Anderen? Er hatte etwas so Ernstes, Wahres. Ehrliches an sich, daß ein Weib sich an seiner Seite sicher süh len mußte und wohl. Auch diesmal trieb sie ihr Pferd mit dem Kantfchu an. um rasch an Methud vorüber zu kommen, aber im nächsten Augenblick brachte sie es zum Stehen und dann—wie war es gekommen, daß sie dann mit ihm am User de-Z Baches saß, während die Dämmerung sich ringsum ergoß, kin graues, bleiernes Meer? Das wußte sie nicht mehr—genug eZ war, und er war so schön. Er hielt sie bei der Hand und sah sie an. und sie blickte vor sich hin und riß Blumen ad und warf sie in den Bach. „Fühlen Sie wie ich", sagte sie plötz lich zu Melhud, „diese eigenthümliche, unbestimmte Sehnsucht im Frühling? etwas, was uns hinaustreibt in die Ferne —als ob dort Eden wäre das Glück?" „Das Glück finden wir in unS selbst,' erwiderte er. „oder gar nicht." .Wer aber vermöchte sich selbst zu ge nügen", wciideie sie ein. „Jeder, der weise ist oder liebt," sprach er. „die Liebe macht aus zwei Menschen ein einziges Wesen und lehrt uns die übrige Welt entbehren." „Sind Sie sich selbst genug?" fragte sie schalkhaft. „Ja und nein." gab er zur Antwort; „nach der Lehre PlatoS sind die Men schen vormals getheilt worden, und seither sucht ein Jeder seine verlorene Halste. Auch mir geht es darin nicht besser." „Und glauben Sie. daß Sie dieselbe jemals finden werden?" „Ich habe sie gefunden. Die Frage ist nur. ob sie es auch fühlt, daß sie zv mir gehört." Isidora sah ihn an, schüttelte den Kopf, blickte weg, begann zu lächeln und dann —drückte sie leise seine Hand; er aber zog sie sanft an sich und küßte sie. Ei» Schauer ging dnrch ihren Leib; aber sie wehrte ihm nicht, sie fühlte sich an feiner Brust wie in einem sicheren Nest geborgen, vorüber war jedes Bangen und die Sehnsucht mit einem Mal gestillt. Da erwachte sie aus dem schönen Traum.... Um sie war mit einem Mal der Winier, der Nebel der Dämm erung und draußen um das alte Heloen grab, aus der Zeit der Tartarenlämpje, schwebten mahnende Geister. Der Krieg war erklärt, die russischen Kolonnen hatten den Pruth überschrit ten. Auch er solgte der heiligen Fahne des Vaterlande-. Er sprach von ernsten Pflichten, von dem türkischen Joch, von den Brüder» a» der Donau, am Bal kan; sie verstand in diesem Augenblick nur, daß er sie verlasse» mußte, daß er kortging.vielleicht in den Tod und fühlle zugleich, daß es recht war, daß es nicht anders fein konnte, daß sie ihn verachten würde, wen» er nicht ginge. ES war in Kiew, wo sie Abschied uahmen: noch ein Kuß, dann wirbelten die Trommeln, die Musik erklang. Tü cher wehten, die Lokomotive stieß ihre» gellende» Pfiff aus. Das Herz zog sich ihr zusammen, aber sie weinte nicht sie blieb ruhig gleichsam erstarrt. Und nun war so lange kein Brief gekommen. Vielleicht lebte er nicht mehr? Es schüttelte sie wie ein Fieberfrost bei diesem Gedanken, der sie nicht mehr losließ. Sie war ausgestanden »nd preßte die heiße Stirn gegen das Fe»' sterkreuz. Eine schlaflose Nacht ein neuer Tag ohne Nachricht ein zweiter ein dritter. Sie weinte nicht, aber die Sehnsucht wuchs von Stundezn Stun de, die Sorge, die Unruhe. Sie klagte nicht, aber das Haus wurde ihr z» enge. es schwoll um sie wie ein Meer, es trug sie mit sich sort —eS trieb sie hinaus in die Ferne. Noch ein Tag, stumm, trostlos, wie die vorige» ihre Kraft war zu de. Nein, sie erwachte in ihrer ganzen ele meiitarcn Gewalt In dieser Nacht entfloh sie und solgte dem Heere über den Pruth, über die Donau, an Plewna vorüber, bis zum 'Laitan. Hier fand sie in einer kalten, schreck lichen Winternachr, in einem elenden bulgarischen Dorfe, die Trümmcr seines Regimenls. Man sah sie ver wundert an, dieser und jener suchte sich zu erinnern. Endlich fand sie in einer Hütte, die mit frierenden, hungernden Menschen oollgestopst war, einen alten Unteroffi zier. der, d?n Kops in die Hände ge stützt, in das verglimmende Herdseucr starrte. „Methud Toroschenko, ja ganz rich tig," sprach der Alte,, „er war bei mei ner ein vraver Bursche. Ich habe ihn sollen sehen. Ter kann von Glück jagen. Er war auf der Ttelle todt. Schlimmer ergeht eS je nen. die in den Spitälern liegen, noch schlimmer den Ueberlebenden. Gott helfe uns weiter!" Isidora war auf dm Lehmboden hin zesunlkn. Sie saß da. stumm, ohiie Thränen, die Nacht hindurch. Nie nand kümmerte sich »m sie. Als es Tag wurde, ging sie hinaus, sie wußte nicht, wohin sie ging. Sie ichritt dahin wie eine Nachtwandlerin, bis ein lauter Schrei ertönte. Er kam aus einer Holzbarscke, in welcher Ver wundete lagen. Da erwachte sie mit einem Male, und ichon stand sie mitten unter den ver stümmelten Opsern des Krieges, an »em Tisch aus rohem Holz, auf dem :den ein junger Soldat omputirt wnrde, »nd ohne daß sie eln Wort sprach, ohne daß sie Jemand begann sie dem Chirurgen, der mit der Cigarre zwischen den Zähnen dastand, beizustehen. Seitdem blieb sie bei der Ambulanz. Sie sah nur noch das unermeßliche Elend, sie hörte nur noch das Wim mern der Verwundete», das wirre Re den der Fieberkranken, oen schweren Athem der Sterbenden. Was hatte der Einzelne zu bedeuten in den Tagen der Noth! Er war in den Tod gegangen sür Alle, wie alle anderen für ihn; sie trat jetzt an seine Stelle, einfach.ohncPhrase, als verstände sich das von selbst; war sie nicht eine Russin? Waren es nicht ihre Brüder, die hier litten uud starben für eine große Idee? Sie solgte ihm ruhig und entschlossen, sie wollte sich opsern, es war der große Tag der Opier, wo die Selbstsucht schwieg, wo alle Arme nnr ein Gedanke lenkte, alle Herzen nur ein Gefühl bewegte. Nie mand achtete mehr fein Leben. Der Tod hatte alles Schreckliche verloren, hier war er das Gewöhnliche, das Alltägliche, er umgab alle, die hier kämpften, wie, die Lust, die sie athmeten. In den Baracken, in den Bauern hütten. in denen die Kranken und Ver wundeten lagen, mitten in den Mias men. unter SchmerzenSlauten, Klagen, Flüchen dachte Isidora keinen Augen blick an sich, nicht das leiseste Bangen kam über sie, eS gab nichts mehr, das sie fürchtete, im Gegentheil, sie sühlle sich hier allzu sicher, sie verlangte nach größeren Gesahren und Mühe», nach dem Toben dcr Schlacht. H9ie sie gekommen war. so ging sie auch; still verließ sie eines Tages das Barackenspital und zog mit deu Kolon nen dem Balkan zu. Hier wurde gekämpft. Sie athmete wie erlöst die kalte, srostige Luft, den Pulverdampf, den der Wind den An rückenden entgegeiitrug. Endlich er blickte sie die dnnkleii Reihen der Russen, die im Feuer standen, den Rauch der Geschütze, endlich hörte sie das Knallen der Gewehre, den furchtbaren Kanonen donner. Es war ein nebliger Wintertag; H»c hartgefrorene Erde knarrte unter den Radern, unter den Husen. Die Ko lonnen hielten in gedeckter Stellung, nur der General ritt mit seinem Stabe etwas vor. Isidora aber ging vorwärt», immer vorwärts, unbelümmert um die Todten und Verwundeten, um die Kugeln, die Über sie wegflogen oder vor ihr einschlu gen, an den Bataillonen vorüber, die hinter Schneehaufen und Bäumen lagen und feuerten, bis in die erste Feuer liiiie, wo die Schützen langsam, wie Wölfe vorwärts kriechend, die Türlen zurücktrieben. Hier erst fühlte sie sich wohl und srei. Mitten im Kugelregen labte sie die Sterbenden, verband sie die Vcrwniidc ten und trug sie zurück zu dem nahen Verbandplatz, um gleich wieder zu den Kämpfenden zurückzukehren. Sie hatte eine Gefährtin gesunden, eine barm herzige Schwester, ebenso still und heiter wie sie selbst, die unter ihrer großen weißen Haube ein paar Wangen hatte, so frisch und wohl, als käme sie eben vom Tanze und von Zeit zu Zeit ein rührendes, kindliches Lächeln. Tie Granaten sielen unablässig um sie nieder, Meteoren gleich. Wenn sie in die Erve schlugen, war es, wie wenn jemand mit einem Ricsenhammcr n harte Frostdecke zersplittern würde, u., wenn sie barsten und die Stücke umher flogen, erinnerte es an die alte slavische Sitte, die geleerten Weinflaschen an der Wand zu zerschmettern. Ging sie weiter vor, dann Wb es ein stetes Pfeifen von Flintenkugeln. Warum mußte sie dabei an eine Schaar kleiner Zugvögel denken.die sich einmal an einem mondhellen Herbstabend müde uud schläfrig auf den Bäunttn niedergelassen hatten, die den Edelhos ihres Vaters umstanden, und sich durchs einanderschwirrcnd und zwitschernd aus den schaukelnden Zweigen ein Ruhe Plätzchen sür die Nacht zu erobern such ten? Wieder hatten die beiden muthigen Mädcken einen schwerverwundcten jun gen Osficier aus dem Gefecht zurückge tragen. Schon waren sie dem Verband- Platze nahe, als eine Granate vor ihnen platzte und sie niederwarf. Isidora bekam einen Schlag vor die Brust, wie mit einer rauhen schweren Faust; sie suchte sich zu erheben, aber sie konnte nicht, ihre Füße waren so schwer wie Blei und mit einem Male wurde es ihr so warm dieic Wärme kam von ibr es war ihr Blut, daß sie über strömte. Neben ihr lagdie barmherzige Schwe ster regungslos. Sie war aus der Stelle todtgeblie den. Ebenso der Officier, den sie Beide zu retten suchten. Vom Verbandplatz her eilte ein Prie ster lierbei, das goldene Kreuz aus der Brust, die runde schwarze Mütze aus dem Kopie, das gesunde, frische Gesicht von einem langen blonden Bart um rahmt, ein Priester der orthodoren gricchischcn Kirche. Er kniete jetzt bei ihr und hielt sie in seinen Armen. Fast zu gleicher Zeif war ein bleicher, bart loser katholischer Geistlicher zur Stelle und ei» kleiner, hagerer Rabbiner mi» grauen Locken und grauein Bort. „Welcher Kirche gehörst Du an, meine Tochter?" fragte der Pope. „Der umirtcn." erwiderte die Stcr bende. Ter Rabbiner suchte ihr das Blut zu stillen. „Es schmerzt nicht," murmelte sie lächelnd. Ihre Sinne schwanden, lim sie wurde es licht, immer lichter, ein leises Klingen ließ sich vernehmen, „mir ist wohl". Die Worte kamen noch wie kin Hauch über ihre bleichen Lippen. Tann legte sie der Pope sanst zur Erde nieder, auf den weichen, flim mernde» Schnee. Die drei Priester sprachen, jeder sl!> sich, ein leises Gebet. Dann reichten sie sich stumm über der Todten die Hände. „Wie verschieden auch unsere Lehre ist," begann der Rabbiner, „hier sind wir eines Sinnes und auch eines Her zens." „Und was hat uns vereint?" fragt' der Kaplan. „Das Vaterland!" rief der Pope mii leuchtende» Augen. Ein Hurrah.crlönte, tausendstimmig, die dunteln Eolonncn der Russe» gin gen unter Trommelwirbel mit fliegen de» Fahne» vor, zum Sturm, zun Sieg! Herzog und Schausptet«rtn. Die leichtgeschürzte Garde des Gaietv- Theaters ist um ein Mitglied ärmer und die britische Aristokratie um ein« Gräsin reicher geworden. Eonnie Gil christ hat kürzlich dem Earl von Orkney die Hand zum „Bund sür'S Leben" ge reicht. Natürlich gibt eS darob in den Kreisen der Hochadel igen Gesellschasl viel srommeS Angenverdrehen, viel Ge zischel, viel Gelächter uud einen Ueber fluß an moralischer Entrüstung, dem gegenüber man erstaunt sragt, wo er in seiner Unerschöpflichkeit nur immer her kommt. Eines ist sicher: der junge Graf Orkney hätte unter allen Töchtern der britischen Aristokratie keine solch« Schönheit sinden können, wie es sein« nunmehrige Frau ist. Sie brauchte nur aus der Bühne zu erscheinen—kein Wort zu spitchen, nicht zu singen und nicht zu tanzen, sich einsach nur zu zei gen »nd still zu stehen wie eine Statue, und der Zauber der Schönheit, der von ihr ausstrahlte, wirkte mit unwider stehlicher Macht ans das ganze Haus. Connie Eilchrist ist. sozusagen, aus der Bühne aufgewachsen. Ihr Vater, ein Ingenieur, starb, als sie im zarte ste» Kindesalter stand, und die Mutter, eine -ebenso weltkluge wie gebildete Frau, die das LcbenSschiff ihrer Tochter vortrefflich zu steuern »nd in sicherem Hafen zu bringen verstand, brachte das auffallend schöne Kind zu AugustuS Harris, der es für die Pantomime en gagirte. Als schwebendes Engelchen erschien Connie so als achtjähriges Mädchen zuerst aus oder eigentlich über der Bühne des Drurylaue-TheaterS, dessen Verband sie dann 4 Jahre ange hörte. Von da ging sie zum Gaiety- Theater über, entwickelte sich zu einer tüchtigen Soubrette und zog durch viele Jahre mehr durch ihre Schönheit als ihr Spiel, womit jedoch nichts Abträg liches gegen ihr Talent gesagt sein soll, das Publikum „Generis Maskulini" an. Mit einem Wort, die junge und wohl auch die alte Männerwelt war in Connie Gilchrist verliebt. Die Liebes gedichte, die sie unschuldigerweise ver schuldet hat, würden Bände süllen. Alles bewarb sich um ihre Guust und Niemand gewann sie. Die größten Anstrengungen macht, der Erbe eines berühmten HcrzogtitelS. der jedoch nicht mehr Glück hatte, als alle Andere», und den die ebenso geist reiche wie schöne lioniiie eininal in sein verblümter Weise merken ließ, was sie von ihm dachte. Der jnnge blasirte Lord theilte ihr mit. daß er sich sür die Ahnengalleric seines HanseS auf der Leinwand verewigen lassen müsse, und fragte (sonnie, wen sie ihm zur würdi gen Lösung dieser Ausgabe empsehleu würde. „Mnlord", war die Antwort, „Niemand wird die sür die Weltge schichte bedeutsame Ausgabe bester lösen und Ihnen gerechter werden können, a!S Rosa Bonheur!" Mylord no lirte sich dankbar de» ihm unbekannten Nameu und ersuhr erst im Elub, daß „Connie" ihm eine Thiermalerin empfohlen! Eines anderen und besseren Erfolges hatte sich der Herzog von Beaufort zu rühmen, welcher der damals 18jährigen Schönen feinen Schutz antrug und — keinen Korb erhielt. Unter seinem Schutze, ja, zum großen Theile unter seinem Dache, lebte Miß Gilchrist bis zum Tage ihrer Vermahlung. Aber— der Schutz eines Vaters, den ihr der greise Herzog angcdcihen ließ, und er hielt sie wie ein Kind uud ein verwöhn tes Kind obendrein. Von der Bühne wollte sie nicht lassen und wollte er sie nicht reißen. Jede freie Stunde mußte sie aber bei ihm verleben, uud was er ibr an den Augen absehen konnte, das erfüllte er auch. Miß Gilchrist wurde eine vajsionirte Porsoree - Reiterin »nd er hielt ihr Stall »ud Meute; sie fuhr gern zur See, und er stellle eine '/) acht zn ihrer Verfügung, die ein kleines Vermögen gekostet haben muß; sie lernte es hassen, in Mietshäusern zu wohnen, und er schenkte ihr einen klei nen Palast mitiammt einer wahrhast sürstlichen Einrichtung; er belud sie mit Goldgeschmcide, Diamanten und Perle». Daß die bösen Zungen sich an diesem Verhältniß wetzten, laßt sich denten: aber der Herzog konnte den Lästerern immer seine» Hosenbandorden zur Ant wort vorhalte», aus dem eS in Gold eingewirkt stand, daß „nichts Schlim mes zu denken sei." Als jüngst der Geistliche vom Traualtar berab die Frage stellte: „Wer gibt dieses Weib diesem Manne?" T" trat der greise Herzog vor und legte die Hand der Lraut in jene des Bräutigams. Unter den Hochzeitsgästen war er der einzige Adelige—die „Gesellschaft" und die Fa milie des Grasen von Orkney Halle» die Feier boyrollirt. was jedoch dem offen baren Glück des jungen Paares wenig Abbruch zu tbun schien; denn jung sind sie—er und sie etwas älter, uin wie oiel aber, ob Monate oder Jahre, wäre unzart, a» die große Glocke zu hängcit. —Zu viel Herz ist immer :in Unglück sür Tich und ein Gluck sür »>e Andere». Ein Drucksehler de? Ge chickes. Oft bleibe» Diejenige» uu irtaiint, die anerkannt zu werden ver dienten. Die weiblich« Hand. Gar tiefer Sinn liegt oft in den, Geschlechte eines Wortes! Und, geleite! von dieser Ueberzeugung, trachtet na mentlich die deutsche Sprache allen Weichen, Lieblichen, Schwachen unt Zarten schon durch den weiblichen Ar tikel, und im Gegensatz dazu allen star ken, mächtigen, krästigen Begriffer durch das Voraussetzen des männlicher Geschlechtswortes den charactcristlichep Stempel auszudrücken. Die Liebe und Lust. Wonne unt Würde, Weihe und Würze. Freiheil und Freude erwecken naturgemäß hold« weibliche Vorstellungen, während de> Stolz und Starrsinn, Muth und Mord, Frevel und Fluch, Zorn und Zwano uns derbe, dunkle, düstere, markige, männliche Bilder vor die Seele führen. Und so gilt die milde, zarte Hand quasi als Sinnbild der holden Weiblichkeit, und der harte, zermalmende Fuß alz männliches Symbol. Der männlich« starke Fnß ist es, der dem Menschenge schlecht Halt und »stütze gewährt, di« sanfte weibliche Hand hingegen lenkt sachte und leise als leuchtender Leitstern seine Schritte durch s ganze Dasein. Schon der schwärmerische Jüngling sucht nach der Hand des trauten Mäd chens. um in ihrem leisen Druck da« erste zarte Licbeszeichen zu erhaschen. Reicht sie ihm später aus eigenem An trieb die Hund zum herzlichen Gruße, wie freudig ersaßt er ihre Rechte, und Hand in Hand mit ihr fliehen Minu ten und Stunden gleich einem süße« Traum dahin. Während er die weichen Finger um schließt, cmpsindet er solche Seligleit, daß er dies kleine Händchen festhalten möchte für fei» ganzes Leben, und ei wirbt um de» Besitz des zarte» fünf fingrigen Etwas, wie um das höchst« Glück auf Erden. Vor dem Altar leg! sie als untrügliches Zeiche» ewige, Treue ihre Huna vertrauensvoll in di< seine, uud sie trägt auch das golden« VerbindungSringlein stets an ihre, Hand, als sichtbaren Beweis, daß mil ihrer Hand sie sich selbst einem Anderer zu Eigen gegeben. Das güldene Reischen ändert aber manchmal gar bedeutsam den Charak ter der Hand. Während sie früher meist nur als Zierde gedient, wird si« jetzt zum nützlichen Werkzeug, wahrend sie ehemals sich oft steif uüd spröde ge spreizt. wird sie nun lentsam und biegsam, und wenn die jugendlich« Hand sich sonst empört zum energischen Fäustchen geballt, so löst die Schul, des Lebens gar-bald die starre» Finger und sauft hält die brave Frau dem Manne die treue Hand zur Versöhnung hin. Wenn ihn Schmerz "und Kummer drücken, dann richtet sie mit ihrer schwa chen Hand sein sorgenvolles Haupt em por, sie zaubert durch ihre weiche Be rührung hosfnungSsrcndigen Sonnen schein in das verdunkelte Angesicht, und er ergreift neubelebt die dargeboten« stützende, ermuthigende, helsende Frau enhand. Und wenn breite, tosende Wasser- und Schicksalswogen die treuen Hände erbarmungslos auseinander rei ßen, dann pflücken ihre zitternden Hände ei» knospendes Röslein, wohl mancher Thränenthau berührt die Licblings blume. ehe sie die Wanderung in die Ferne antritt! Doch dem gebeugten ein samen Manne wird die Rose zur Schick falSblume, bei ihrem Anblick weidet sich sein Herz und zwischen den zarten Blat tern scheint ihm die treue, liebe Hand seiner Frau so sreundlich zuzuwinken. Ergriffe» von Sehnsucht nach ihr, ar beitel er in rastlos unermüdlichem Stre ben, bis er das Ziel erreicht nno ihre Hand wieder in seiner tapseren Rechten halten kann, um sie sreiwillig nie wje der zu missen. Wer kennt eS auch nicht, das rüh rende Bild, welches unS dem Mann in verzwcisclten Brüten hinter schweren Stäben und ehernem Gitter zeigt, und wie dann das Weib mit dem Säugling heranschleicht, ihre Hand durch die har ten Stangen hindurchzwängl, um dem armen Verbrecher ein wahres,untrügli ches Zeichen ihrer unwandelbaren Liebe, einen Hoffnungsschimmer sür eine bes sere Zukunst zurückzulassen. Doch die weibliche Hand rann'noch mehr als Männerherzen gewinnen und trösten, denn das zarte Haudche», was wäre es ohne die zärtliche, liebevolle Hand der Mutter? Wer anders als die seinsühlige Weibeshand kann diese gebrechlichen, kleinen, unsertigen Ge jchöpjche» heben und legen und tragen und nähren, bis sie ansangen, Men schen zu werden, und wieder die stüt zende Hand der Mutter seine ersten unsicheren Schritte in'S Leben lenkt. Und wenn Krankhezt die geliebten Wesen heimsucht, nur die Hciud der Ltutter vermag der sieberheißen Stirn wahre Linderung und Labung zu brin gen, mit ihrem sanften Streicheln be ängstigende Phantasien und schreckliche Traume zu verscheuchen. Ja. selbst sie surchlbare letzte Qual des Todes bannt die Hand des WeibcS, indem sie mit bewunderungswürdiger Ausdauer »nd Festigkeit bei dem armen Leidenden aushalt und ihn so bis an die Schwelle :iner anderen Welt geleitet. Erst jüngst zeigte unS die Schilderung der letzten Augenblicke eines berühmten Amerika ners. wie der große Mann nicht Ruhe >um Sterben finden konnte, bis er lastend die Hand seines treuen Weibes umllammcrtc und so scheinbar mit ihr vereint den letzten Athemzug au»- hauchte. Wie tröstend und lindernd die Hrauenhand auch wirken, wie zart die weibliche Seele empsinden inag, welche die Bewegungen der milden Frauen ha»d leitet, ihre schwachen Finger ver mögen auch stark zu sein, wo es gilt zu arbeiten sür die Erhaltung des siechen Mannes, oder die Erziehung der vater losen Kinder, oder deren Lebensunter halt der greisen Eltern. Ihre geschick >en. geteilten, gewandten Finger haben schon manch' glänzendes Goldstück her »rgezaubert auf wejßer Leinwand u»d farblosem Papier, aus zarten, un scheinbaren, dünnen Füden ein kräfti ges LebenSnetz gewoben. Zwar ist die Fraueuhand zarter, kleiner und schwä cher als die des Manne», aber sie ist zäher, unermüdlicher, ausdauernder, und wohl dem Manne, der seine kräf tige Rechte in die weiche, biedere, treue Hand eiirer Frau gelegt, denn mit die ser unscheinbaren weiblichen Hand mag er den größten Schatz, die treueste Stütze, den mildesten Trost, die beile, liebevollste Helferin für feine» Lebens weg erworben haben. Denn die Hand der Frau verleiht nicht nur de» Schlüs sel zu ihre», Herzen, sondern sie ist der Dolmetscher ihres Gesühlsleben! Wem sie ihre wackere Hand reicht, für den schlägt auch zumeist ein treues Herz dicht dabei, denn Hand und Herz sind dem echten Weibe ein hoher, hehrer, einziger Begriff, darum fei die weib liche Hand uns heilig, denn sie spricht deutlicher als Worte die wahre echte weibliche Sprache des Herzens. «od der Wichst. Wir lesen im „Berliner Tageblatt": ES hieße wirklich Eulen nach Athen tragen, wollte man noch einmal ver sichern, daß Berlin eine reinliche Stadt sei. Wenn die mißgünstigen Gegner des „Wasserkopfs" die deutsche Haupt stadt als zu neu und „frisch gestrichen" verspotten, so vergessen sie, daß gerade diese Neuheit der Straßen Berlin zur savbcnstcn und sreundlichsten Großstadt macht. Es fehlen uns fast gänzlich jene engen, winkligen Gäßchen all der andere» Riesrnstädle. es fehlt u»s viel leicht der „historische Reiz", aber eZ fehlt lins mit ihm auch das nothwen dige Uebel alter Städte: die düstere, durch keine moderne Raumverschwcn dung gemilderte Engigkeit. In Summa: wir sind ein bischen neugebacken, aber wir sind auch hell und sauber, wir sind für den Antiqui tätensammler und den Historiter nicht übermäßig interessant, aber wir sind sür de» gewöhnlichen Sterblichen desto erfreulicher und angenehmer. Und eS soll nur Einer kommen und es wagen, dies letztere zu bestreiten! Nur in einem Punkte sind wir in unserem sonst so entwickelten Sinn sür Reinlichkeit ein wenig zurückgeblieben. Nämlich in Bezug auf unsere Stiefel. Wir waschen mehrmals am Tage Ge sicht und Hände, bürsten uns wohl auch zwei- oder dreimal den Rock aus. aber Hand aus » Herz wie Viele von uns lassen sich, auch bei schmutzigem Wetter, mehrmals am Tage die Stiesel wich st» ? Tem Fremden, oder auch dem Viel- Gereisten, muß in Berlin das fast gänzliche FehlcnZcines in den Haupt städten fast aller anderen Länder sehr beliebten Straßen-TypuS auffallen das Fehlen des StieielputzcrS. Zu ge wissen Stunden des TageS sitzt ja auch in Berlin, vor dem Potsdamer Bahn hof. ein aller Mann in» weißem Kue belbart und rother Tienstmann-mütze und wartet mit der großen Bürste in der Hand vor einem hölzernen Fußge stell aus die Fanatiker der Sauberkeit. Ani Bahnhof Friedrichstraße weilt ein zweiter burstenschwingender GreiS, und ich glaube, unter den Kolonnaden am Alexanderplatz gibt es »och einen drit ten. Es ist vielleicht kein Zusall, daß die offenbar einzigen Excnlplaic des Berliner SlieselputzcrS sich gerade an den Bahnhöse» aushallen; was ihnen die Berliner verwehren, das erhoffen sie von den Fremden. der Berliner läßt sich die Stie sel nicht putze». TaS ist eine That sache. Er geht des Morgens mit blan len Stiesel» von Hanse fort. Was dann aus feinen Fußbekleidungen wei ter wird, ob sie bestaubt oder kolhbe spritzl zum Erbarmen dreinschauen, das ist ihm glrichgiltig. Er hat seine Pflicht gethan—die Stiesel sind Morgens blank gewesen. Und gibt es nicht in den meiste» Häuser» auf den Treppen die „Fußkratzer"? Aus die verläßt er sich, wen» er Besuche zu machen hat. Die Leidenschast südlicher Völker der Jlaliener besonders—sür glänzende Stiesel bleibt dem Berliner unverstand lich. I» keiner Großstadt wird weni ger aus die Eleganz des Schuhwerks ge geben, als in Berlin, und wer sich die im Sommer so praktischen gelblcdernen Schnhe leistet, gilt bei uns »och immer für ein Gigerl, und zweifellos wird ihm irgendwo ein kleiner Humorist der Straße nachruseu: .Kiekt, Kinder der hat die lelbsucht an de Berne!" Ter neapolitanische Straßenhocker, der mit der Bürste auf den Fußschemel klopft, um sich bemerkbar zu machen, würde bei uns, seiner Anspruchslosig keit zum Trotz, verhungern. Und der pariser Bonlevardier würde unser Schubwerk nur belächeln können. Er sreilich hat ein besonders seines Ver ständniß sür Alle«, was Wichse heiß«. Vielleicht lernt auch der Berliner noch, daß neben der Reinheit des Her tens auch die Reinheit der Stiesel ihr Gutes hat. Ach. Goethes Worte sind leider nur bildlich zu nehmen: .Den Tu nicht verlässest. Genius, Wandeln wird er Wie mit Blumenfüßen Ueber TeutalionS Fluthenschlamm." Und Teukalions das mag schon sein aber was ein so rechter Berliner Straßenschmux an Regentagen ist. der ruinirt "die besten Bluiueufüße! Und so möchten wir denn eintreten für eine Vermehrung der Stiefelputzer in den Siraßen Berlins- und zugleich für eine rege Unterstützung dieser braven Menschenfreunde, zum allgemeinen Besten und auf daß der Berliner wirtlich ganz „prexper" fei. von Kopf bis Fuß! Sehr unangenehm. .Warum so wild, Herr Steuer einnehmer?" „Ach. da hab' ich mich in der Zerstreutheit wegen noch nich» bezahlter Steuer selber I»i» I»»l-
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