Wer ist der Schuldige? (4. Fortsetzung.) Ich faßte stürmisch nach feinen feinen Hönde», und stotternd brachte ich meine Entschuldigung vor: .Sie verstehen also? >" Da entzog er mir seine Finger, die sich kalt und feucht anfaßten, und kühl wies er ab: „Die Regung ja, nicht de» Aus bruch. Aber die Naturen sind ja ver schieden. Was ich Ihnen vorhin sagen wollte, als Sie mich unterbrachen: Sie haben theilweise glut gemacht und den richtigen Weg betreten, als Sie den völliger Aufrichtigkeit wählten. Sie lvissen aber wohl," er sah mir mahnend dabei in die Augen, ~daß es nur der erste' Schritt war. daß Ihnen weitere bevorstehen, wenn Sie ausrichtig be reuen." Jetzt blickte ich ihn betroffen an. ~Jch^verstehe Sie nicht. Meinen Sie Romana? Marie?" verbesserte ich schnell. Er schnitt mir brüsk das Wort ab. „Marie lx>t damit gar nichts zu schaf fen. Sie haben ihr gegenüber schon gethan, was Ihre Schuldigkeit war. Aber habe» Sie gar keine anderen Ver- Hflichtungen, teine unbegrenztester Auf richtigleit gegen Ihre Braut? Schul den Sie ihr nicht ei» reumüthiges Ein geständnis; Ihrer Augenblicksve.wir rung?— Müssen Sie da nicht um Ver gebung flehen?" In unwillkürlichem Trotz warf ich den Kopf in den Nacken. Mally ab bitte»! Was ging es die an? Für meinen stürmischen Gefühlsausbruch hatte ich wo anders schon Verzeihung gesucht und erhalten. Meine starke Neigung (ich wußte jetzt in selsenfester Ueberzeugung, daß es keine Augen blickserregung der Sinne allein) konnte ihr«,völlig gleichgiltig sein und war es wahrscheinlich auch. Denn hell sehend jetzt, erkannte ich deutlich, was ihr an mir galt: eine gute Versor gung. eine brillante Stellung in der Gesellschaft durch mciu Geld. Die'sollten ihr beide ungeschmälert werden, und so viel von meiner Person obendrein, als dem kühlen Dämchen tsüiisäMwcrth sein würde. Meine neuerwachte Liebe war mein, und so wenig ihren neucrwachten Ansprüchen Abbruch thuend, wie die Naturschwär mcrei, die sie mißachtend, wie eine sen timentale Kinderei belächelte. „Ich will mir das überlegen," ent gegnete ich dem Pastor. Dann zog ich meinen noch feuchten Rock an, ließ mir den Abcndmantel meines Wirthes auf reden, und mit einen« trockene» „Gute Nacht," wobei sich die Hände kühl und flüchtig begegneten, trennten wir uns. 4. Kapitel. Es war voll Mittag, als ich nach schlaflos verbrachter Nacht aus spätem Morgenschlummer erwachte. Meine Stimmung konnte nicht gerade behag lich genannt werden. Die schuldige Rücksicht gegen meine Braut hatte ich jedenfalls stark vernachlässigt. Mich, nach der nicht ganz gefahrlosen Tour, seit zwanzig Stunden nicht darum ge kümmert, ob sie todt oder lebend das Väterliche Heini erreicht hatte! Mein Sündenregister war so über voll, und mich packle, Galgenhumor; jene desperatlustige Stimmung, die Alles auf eine Karte fetzt. Sie follte Alles erfahren! und ich wollte mich auf Gnade oder Ungnade ihrer Entscheidung unterordnen. Wollte sie mich dann noch, konnte sie auf meine unverbrüch liche Ergebenheit rechnen, hält sie mich jetzt nicht ntthr gut genug dann Bei dem Gedanken machte ich fast einen Luftsprung vor Freude, wenig stens mit beiden Beine» zu meinem thronartigen Bett heraus und war schnell in den Kleidern. Mein edler Vorsatz sollte jedoch einst weilen nicht zur Ausführung kommen. Im Gefängnißhof führte eiii Mann ein Reitpferd spazieren, dessen edle Rasse rückzielend ans die Verhältnisse deS Besitzers schließen ließ. Im Salon empsing man mich allseitig ziemlich frostig. Der Reiten in enganliegenden Hosen und hohen Stieseln streckte mir gönnerhaft einen Finger im Militär handschuh zu, und Mally sagte spitz: „Den Herrn Oberst hat die Besorg nis, wie uns die gestrige Fahrt bekom men, schon aus H.. herübergetrieben. Wir meinten schon, Dir sei etwas zu gestoßen, und ließen im Gasthos nach fragen. Zum Glück siel die Antwort ebenso beruhigend alz befremdlich aus." Mich vor einem Fremden wie einen Schulbube» abzukanzeln, fand ich von Wally nicht sehr taktvoll. Meine Ent schuldigung fiel daher viel weniger demüthig aus, als ich »iir vorgenom men. Möglich, daß sie wie pure Auf lehnung gegen die despotische Bevor mundung des altkindlichen Fräuleins klang. Ich sah, wie der galante Oberst in tadelnder Verwunderung die Brauen hochzog. Miß Sainpson wie das ver steinerte Verdammungsurtheil blickte, und der Herr Gesängnißdirector noch um einen Grad reservirter und steifer wurde. Man lud den nur auf eine Visite Vorgesprochenen so dringend zum Blei ben ein, daß er sich entschloß, sein Pferd absatteln zu lassen und Tischgast zu werden. Mich ignorirte man dabei gänzlich. ES war aber auch wohl nur natürlich, daß der künftige Sohn des Hauses sich selbstverständlich als eingeladen betrach tete nnd es da keiner besonderen Auffor derung bedurfte. Sehr behaglich war mir dabei trotz alledem uicht. Man sprach bei Tisch über die ..Jtzens" und..Witzens" und ..Slitzens", lauter hochfeudale Schluß «ndunaen. die im Gotbaer Kalender sicher ihren vollgiltigen Platz einneh men. mir aber total unbekannt und uninteressant waren. Man behandelte mich dadurch, als wenn ich Luft wäre, denn die militärischen gcschichten, die man cisrigst erörterte, waren sür mich nicht mehr, als we»» man ..Rothwelsch" gesprochen. Mally sah mich ein paar Mal ein wenig schadensroh an, als genieße sie den Triumph, mich durch dieses Aus schließe» aus ihrer aristokratische» At mosphäre vor mir selbst zu demüthige». Zuletzt sagte sie sogar etwas boshast spöttisch: ..Aber meine Herrschasten, wir ver gessen den guten Jbelius ganz und gar dabei, der sür unsere Welt unmöglich Interesse haben kann." ..Es aber gewinnen muß, da der Herr den Ehrgeiz besitzt, sich zu ihr zäh len zu wollen." sprach der Herr Oberst streng lehrhast und sah mich ein wenig huchmüthig vo» der Höhe seines stolze» Selbstbewußtseiiis a». Ich hätte mir de» Blick gan; g»t mit „frecher Eindringling" übersetzen kön ne». Nach Tischs lustwandelte» wir im Garte». Ich hätte »iir wieder sehr überzählig vorkommen müssen, da der Oberst, lebhaft sprechend, mit gewandten Seitensprüngen neben meiner Braut hinging, wenn sich Miß Snmpson nicht meiner erbarmt nnd mich streng in s liebet genommen, illl>r«il vou bis ich mir ob dieses: „schlecht erzoge nen Betragens und Mally 's möglicher Enttäuschung über das Jngendideal" wie der Hartgebackenste Sünder ans Gottes Erdboden vorkam. Zum Glück errettete mich das Hinzu komme» des Hausherrn vor einer völli ge» Zerschmetterung. Die Paare sor mirten sich anders dadurch, daß die Herren rauchen wollten. Die beiden alteren zöge» sich in die Laube zurü.k, während mir Mally ihre neue Gold draht-Voliere zeigte, ein Geschenk des aufmerksamen Obersten, dem die Pflege aer bunten Vögel, nach Abreise seiner Frau, eine Last geworden. Mir fiel es dabei schwer aus's Ge wissen, daß es unter Verlobten Brauch zu fein pflegt, der Braut ein werth volles Angebinde darzubringen. „Eu ropens übertünchte Höflichkeit" hatte mich Hinterwäldler noch immer nicht gründlich wieder in die Lehre genom men. Während Mally mit dem Zeige finger den Kopf des weißen Kakadus kraute, der rothäugig blinzelnd sich an die Stäbe drückte, drangen einige laute Worte aus der Laube an ihr Ohr. Der Oberst sprach sie scharf pointirt: „Paar Monate Anstandssrist Auch bemittelt genug, Ansprüche zu befriedi gen." ES wurden mit gedämpfter Stimme Gcgenbemerkungen.vom Baro» eingeschoben, die nur wie ei»"l>umpfes Murmeln nns erreichten. Dann kam eine heftige Erwiederung: „Im Gegentheil beweist der Weit, wer der schuldige Theil gewesen" dann eine kurze Pause, in der die Stimmen sich senkten, nnd daraus ein markirteS; „Paßt nicht in die Ver hältnisse. verschiedene Erziehung, Le bensansichteu, Gewohnheiten. Werden sich unglücklich machen. Noch Zeit. Thörichte Scrnpel! Besser vorbedacht, als beklägt. Uebertriebener Ehrbe griff - —" Mally hatte gerade so gut Alles ge hört wie ich. Wenn ich daran gezwei felt, hätte die fliegende Röthe auf ihren etwas eingesunkenen Backen es verra then. Sie that aber, als wäre sie völ lig unbefangen und hätte den Sinn der in der Lande geflogenen Unter haltung nicht ebenso gut combinirt. wie ich selbst. Der Herr Oberst that also meiner Braut die Ehre an, um sie, als dritte Frau, zu werben. Erstens, weil er der bösen Welt dadurch beweisen wollte, daß sie im Unrecht war, wenn sie be hauptete. seine zweite Frau sei wegen einer zuweilen etwas handgreiflichen Behandlnngsweise entlausen. Würde man ihm sonst ans derselben Familie eine Tochur geben? Zweitens: weil es klar wie der Tag war, daß ein so fein organisirteS, zur großen Dame erzogenes Wesen, wie Fräulein von Below, mit einem so un gehobelten Patron, wie meine Wenig keit. der sehr ungelenke Verbeugungen und gar keine Komplimente machte, auf alle Fälle unglücklich werden müsse. Ich kann nicht behaupten, daß der Rest sehr angenehm verbracht wäre. Wer auf irgend eine Weife führten wir ihn mit Anstand zu Ende. Möglich auch, daß der Skat, bei dem Mally den Strohmann mit Geschick und Verständniß abgab (manches Lob des entzückten Oberst dafür einheimsend) und der alte „Johannisberger Eabinet", den der Baron dem „Kenner" ponirte, das ihre thaten, die Harmonie wenig stens oberflächlich zu erhalten. Ich empfahl mich mit dem andern Gast zugleich, wenig ahnend, daß ich zum letzten Mal hier unter dem tödli chen Einerlei dieser Gesellschaft geseufzt hatte. Ehe ich am nächsten Morgen den Marter- und Büßgang zu meinem weib lichen Beichtvater antreten konnte, kam der sreiherrliche Bediente mit der schein heiligen Galgenphysiognomie. Er über reichte mir mit geheimnißvollcr Wichtig keit ein Päckchen und einen Brief und fragte: ob er auf Antwort zu warten hätte? Ich that einen flüchtigen Blick hinein, dann belohnte ich den Kerl königlich für feinen Botenweg und hieß ihn gehen. Es hätte nicht viel gefehlt, so wäre ich vor Freuden dem Galgenvogel noch uni den Hals gesallen. Da stand es in feierlicher-steifer Handschrift, sehr höflich, in sehr rück sichtsvolle Form gekleidet, was unge fähr der Oberst gestern behauptete: Die Kindererinncrungen hätten sich bei reiferer Prüfung als Illusion erwiesen. Erziehung und Gewohnheiten ständen sich entgegen, um ein gedeihliches Zusammenleben erwarten zu lassen. Zu dieser schmerzlichen Er kenntniß sei sein (des Barons) liebes Kind heute erst gekommen; aber lieber noch jetzt, als wenn es zu spät zur Rück kehr wäre. Man erwarte von meiner Männlichkeit ein vernünftiges Ein sehen und großmüthiges Verzichtleisten, was sich, für den einen Theil wenig stens, nicht als das gehosfte Glück er wiese. Nun kamen die üblichen Ver sicherungen tiefen Bedauerns, besonde rer Werthschätzung und dann die Na menSunterzeichnung mit allen Titeln und Würden, als hätten diese mir zu guterletzt so recht vor Augen führen sollen, wie unwürdig ich eigentlich sei. einer solchen Familie einverleibt zu werden. Da auch das äußere Bindeglied un sereS Verhältnisses beigefügt war, das wir mühsam im Städtchen ausgetrieben (ich unachtsamer, ungeleckter Bär, hatte nicht mal im Voraus an die üblichen Brillantringe gedacht), so mußte ich wohl oder übel zur Antwort schreiten, und den viel zu engen Goldreif, der mir schmerzhast in'S Fleisch schnitt, au seinen Geber zurückzusenden. In meiner überfließenden Freude hätte ich's am liebsten in diese Zeilen hinausgejubelt, wie dankbar ich den Herrschasten für meine Erlösung sei. Ich th.it mir aber schicklichen Zwang an und theilte dem besorgten Vater erge benst mit, daß ich die TrennnngSgründe seiner Fräulein Tochter anerkenne und mich ihnen unterwürfe, mir anbei er laubend. den Verlobungsring in ihre Hände zurückzulegen, und mich den Herrschaften ganz gehorsamst empfehle. Anständiger konnte man ein drückend Band nicht lösen. Ich kam mir denn auch ordentlich befreit und glückselig wie ein Knabe vor, der der strengen Zuchtruthe glück lich entronnen. Irgendwo mußte ich meine Freude hinausjauchzen, und so schlug ich denn naturgemäß den Weg zum Pfarrhausc ein. Der Pastor, der eben von einem Amtsweg. heimgekommen, empfing mich selbst, mir wollte scheinen, heute wieder mit alter .Herzlichkeit. Er kam mir merkwürdig verändert, eigentlich gealtert, zusammengefallen, wie nach überstandener Krankheit oder überwundenen Kämpfen vor. Seine frische Stimme klang matt, das Auge blickte müde. In dem lichtbraunen, seidenweichen Haar sah ich zum ersten Mal an den Schläfen es ergrauend schimmern. Die gewohnte Elasticität fehlte der Haltung, Augen und Wangen kamen mir ein wenig eingefallen vor. Ich fragte ihn, ob er krank gewesen? Er schüttelte verneinend das Haupt und lächelte trübe: „Nur schlecht geschlafen die beiden letzten Nächte. Das macht sich in meinen Jahren schon geltend, wie Ti schen." Ich sagte ihm dann, daß ich es für meine Pflicht gehalten, ihn zuerst und persönlich von den großen Veränderun gen in meinen Verhaltnissen zu benach richtigen, ehe es von außen zu ihm dringe. Und nun erzählte ich. was ge schehen. Er nickte wieder mehr zustim mend als verdammend. Ich habe einen so menschlich urtheilenden und menschen freundlichen, nachsichtigen Diener der Kirche Zeit meines Lebens nicht kennen gelernt! „Ihr habt Recht gethan, ein Band lösen, dem die höchste Weihe, die echter, starker Liebe, sester Zusammen gehörigkeit mangelte." saßte er nach ei ner Weile. Nichts Zelotisches, nichts den starren Buchstaben Festhaltendes haftete an dieser hohen, reinen Men schenseele, die auch im Entsagen sich selbstlos edel zeigte. „Jetzt sind Sie srei," sprach er be dachtsam, als wenn »sich die Situation dadurch klar machen wollte. „Ja, frei und unabhängig," mag ich überselig hinausgejubelt haben, denn er sah mich lange nachdenklich an, und ein wehmüthiges Zucken spielte um seinen feinen Mund. „Sie Glücklicher!" sagte er dann ohne die leiseste Abgunst. „Sie bindet nichts, dem starken Zuge in sich zu folgen. Keine Verhältnisse legen Ihnen Fesseln an. Sie wurzeln in keinem Beruf, der Ihnen Pflichten auferlegt. Sie sind nicht vor die Wahl gestellt, diesen auf geben zu müsse», mit deni sie organisch verwachsen sind, oder Ihre liebsten Wünsche ihm zu opfern. Sie haben Keinem Rechenschaft abzulegen, weder Schwester noch Kind, wenn Sie ihr per sönliches Glück allem minderen vorzögen. Ihnen wird kein Mensch alsdann den Vorwurf machen können, Sie ruhten auf bequemen Lotterbett, das liebevolle Hände, die längst hinüber find, Ihnen in der Welt zurecht gemacht. Sie genös sen mit einer Fremden, was Jener An dern zugehört." Ich sah ihn tödtlich erschrocken an. Sein wohlbehütetes Geheimnis war ihm unwillkürlich über die Lippen ge glitten. Er hatte sichtlich schwer ge iitten, gekämpft und überwunden in diesen acht' Jahren und sah so erschöpft aus. Mit ernster Freundlichkeit reichte er mir die Hand. „Betrüben Sie sich nicht, ich habe mit alledem abgeschlossen. Mein Theil Erdenglück hab' ich gehabt, werde ich an den Kindern noch haben, sinde ich in dem völligen Aufgehen, in meiner segensvollen Berufsaufgabe: zu helfen, zu rathen, zu trösten und oft zu bessern. Aber, Jbelius, ich habe Sie nicht aus müßiger Schwatzhastigkeit einen Blick in mein ringendes Herz thrln lassen. Ich bin auch nur ein Mensch von Fleisch und Blut; ich muß mit meinem Hei land flehen: „Herr, Herr, nimm diesen Kelch von mir.!" Bei Gott, ich mißgönn! Ihnen Ihr Glück nicht, aber legen Sie mir njcht die Qual auf, viel Zeuge desselben werden zu müsjen. Machen Sie es kurz. Nehmen Sie sie gleich mit fort. Ich will Euren Lcbensbund gern noch ein segnen und die Wege zur gesetzlichen Eheschließung Euch ebnen. Sie haben doch nach keinem Menschen in der Welt zu frage», nicht wahr?" „Doch, mein altes Mütterlein, dessen Stolz nnd Freude ihr Einziger ist, lebt Gott sei Dank noch." Da. verstummte er betreten, und nach einer Weile fragte er ängstlich: ll.Jst sie ohne Vorurtheil. Im meine, mit jenem weiten, humanen Gesichts kreis begabt, der menschliches Fehlent schuldigen, ja verstehen läßt?" „Sie ist ganz gut und vom alten Schlage, in engbürgerlichen Kreisen, als Tochter eines Subalternbeamten groß geworden; als Aintsmaiinsfrau schwerlich aus demselben herausgewach sen, in Zucht »nd Ehren alt geworden, ein bischen altfränkisch, ein bischen schwerfällig im Erfasse» von neuen Eindrücken. Aber kreuzbrav uud grünt! gut. Da haben Sie meiner ehrwürdi gen Mütterleins Porträt in großen Zügen." Er sagte keinen Ton darauf, aber fein bedenkliches Kopfschütteln meint! sicherlich: Dann scheint mir die Sach« hoffnungslos. „Gehen Sie zu ihr, da hinunter in das Birkeuwäldchen. Sagen Sie ihr. sie möge die Kinder heimschicken, ich wünsche es -so. Und dann sprechen Sie >?iit ihr. Sie sollte Ihnen ihr vergan genes Leben vorlegen. Und wenn Sie Alles erfahren, müssen Sie wissen, ob Sie sie als Tochter noch in daZ Haus Ihrer strengdenkenden Mutter führen wollen und dürfen." . Dabei seufzte er schwer und wir hiel ten uns in bedeutsam festem Druck die Häude Als ich de» Weg verfolgte, den ich ahnungslos am Abend meiner Ankunft gegangen, pochte mir das Herz in ban? Ger Furcht und Beforgniß. Was würde ich zu hören bekommen? Wie würde die Entscheidung ausfallen? Auf dem moosigen Waldboden hatte sie mich nicht nahen gehört, und ich konnte die liebliche Gruppe mit allen Smnen genießend, in mich aufnehmen. Romana hatte auf einem Baum stumpf unter einem sogenannten Schutz dach von Lattenwerk, Rohr und Moor Platz genommen. Sie sah wie ein Bild in der köstlichen, grüngoldigen Be leuchtung aus. die sich durch die Fugen stahl. Die Kinder vertheilten sich um sie herum im Grase. Das Kleinchen rutschte unermüdlich umher und las die zierlichen Eicheltäßchen vom Boden in die Schürze. Der Aelteste. ein angehen der Sertaner, lag der Länge nach in hohem Grase, aber seltsamer Weise aus der Körperseite, die der Mensch sonst nicht zum Ausruhen sich erwäh.t. Er hatte beide Zeigesinger in die Ohre» ge stopft, und las mit glühenden Wangen seine, ftir Kinder präparirte Jlliad« halblaut vor, während der etwas jün gere Bruder sich von der freundlichen Erzieherin unermüdlich die lateinischen Vokabeln absragen ließ, und die Zwil lingsschwestern selbstsüchtig dazwischen fuhren, nm Romanas Rath beim Pnp pcnkleidernähen zu beanspruchen. Mit unermüdlicher Geduld und Freundlichkeit gah sie Bescheid, unter richtete, ertheilte guten Rath, und ver lor all dem Ansturm gegenüber, nicht einen Augenblick ihre angenehme Ruhe und gute Laune. Man erlabte sich an diesem vollkom men schönen Menschenbilde von Kraft und Lebensfülle, von klarer Besonnen heit und gesunder Natürlichkeit, und wer hätte sie nicht als kostbares Eigen-- thum, begehren sollen? Ein herbes Roth stieg in ihre immer blassen Wangen, als ich begrüßend sie ansprach und meinen Aufträg ausrich tete. Die aufgelöste Orkmung gab den Kindern Anlaß zu frohem Davontollen. Selbst Kleinchen watschelte an der Hand des beschützenden Bruders tapfer mit und Romana sah ihnen lächelnd nach. „So sind die Menschen, große, kleine," meinte sie, sich wundernd. „Nur Ab wechselung um jeden Preis, nur eine Unterbrechung der monotonen Ord nung. sei's auch zum Schlechter». Se hen Sie, wie die unvernünftige kleine Horde, aus dem Waldesschatten in die Sonnengluth davonstürmt." Wir lachten Beide, aber es war ein gezwungenes Lachen; es kam Keinem vom Herzen. Die Komödie kam mir unwürdig zwischen uns vor. Ich nahm warm und fest ihre Wiederstredenben Hände in meine. „Sind Sie eine Ausnahme von dem Naturgesetz? Würden Sie eine Wand lung zum Bessern hoffe ich nicht freudig begrüßen?" Und ehe sie noch antworten konnte: „M»in Verlöbniß ist gelöst. Fahren Sie nicht auf, nicht »on meiner Seite so sehr mir danach auch verlangen mochte." Sie gab nur ein überraschtes „Oh !" von sich, aber die Hände zuckten erregt in den meinen auf. Dann wandelten wir, die den Kindern eine Strecke ge folgt, und sie im Garten sicher ange langt waren, den Weg zurück, und weiter, immer weiter, an dem jetzt son nenheißen Platz, am Schutzdach vor über, durch die kühle, grüne Schlucht, in der die Farrenwedel still ttnd weit schatte«d bIS zu Manneshöhe standen. Beklommen schweigend, suchte ich in dem feuchten Gkunde vergeblich nach einem Ruhesitz, und mechanisch stiege» wir wieder aufwärts bis zu jener Stelle, wo plötzlich der Wald aufhörte, und augenverblendend, übersprüht vom goldene» Mittagslichte, der Miniatur' see sich zu Füßen hinbreitete. Ruckartig durchfuhr es meinen Kör per in plötzlichem Erschrecken. „Anfang und Ende meines Romans", zuckte es mir durchs Hirn, als ich auf das im Mondlicht so unheimliche, jetzt male rische Gewässer niederblickte, auf dem ich Romana vor kaum zwei Wochen hie? zum ersten Mal erblickt. Was lag alles zwischen diesen 14 Ta gen! Eine Welt der Erfahrungen und Gefühlt, daß es mich schier berücken wollte, ein ganzes Menschenleben langt« nicht dazu aus. ' Wir setzten uns im Schatten einer brcitschattendcn Platane auf einer der malerische» Komposthaufen mitten zwischen das üppigwucheriidc"?unent wirrbare Blumenchaos von Klaisch rosen, Kornblume» und Vergißmein nicht. Neben uns murmelte das helle Wüsserlein, um uns summte» gold bäuchige Hummeln und gaukelten Blauflügler. Ueber uns brütete iu lautloser iliiihe die heiße, fast bewe gungslose Mittc-.sgluth, einschläfernd, betäubend, ja einlullend, was in leiden schaftlichem Ansturm in Mensch und Thier sich regen mochte. Nur durch das Äöhricht ging ein ra schelndes Flüstern, nur die Wasser plät scherten lustig über ausgewachsene Kiesel in den Grund, und ein Fischlein glitt silberfunkelnd durch die klaren Wellchen. Sonst Schweigen, tiefes, traumhaftes in der Natur, eine fast ge spenstische Ruhe, in der selbst die reisen Kornhalme unbeweglich standen. „Nun?" fragte ich blos, und sie ver stand. Ich lehnte den Rücken gegen den Stamm und schloß die Augen. Ich wollte ihr bei dem, was ich höre» inußle, nicht ins Antlitz sehe». Unbeeinflußt und unpersönlich sollte das, was sie mir zu sagen hatte, auf mich einwirken und leid?nschastlvs, ja trocken, als spräche sie von einer gleich giltige» dritten Person, war auch ihr Bortrag. „Ich komme aus seltsamen Verhält nissen, die vielleicht de» Keim meines unseligen Geschickes schon in sich tru gen. Bielleicht wer will es sagen, hatten sie an allem Späteren die Schuld. Mein Vater stammt aus altemÄdels hause, aus vornehmem und reichem Geschlecht. Vom zwanzigsten Jahre stand er als Ossizier, wie alle Söhne seines Hauses, in einem Eliteregiment in Berlin, ehe sie die väterlichen Besiz- Mgen übernahmen Mit einundzwanzig Jahren lernte er in der „Neuen Welt", die er in Civil mit einigen Kameraden aus Neugier sich mal ansehen wollte, meine Mutter kennen. Sie soll eine ganz eigenartige Schön heit vo» bestrickendem Körperreiz,gewe sen sein und, zu seinem Unglück, mit ihren fünfzehn Jahren unter der Ob hut eines sehr strengen Vaters, das, was man landläufig mit „anständig" bezeichnet. Körperlich unverdorben durch strenge Zucht, aber seelisch so früh reis entweiht, wie es die Kinder des Volkes »atllrgemäß sein müssen, vor denen man nicht die heilige Scheu in Sprache und Geberden übt, wie vor den Mädchen höherer Stände. Mein Großvater war Arbeiter in ei ner großen Bildhauer- und Grabmal- Werkstatt, bildungsfähig, kunstsinnig und strebsam über seine» Handwerker stand hinaus. Er hielt streng auf An stand und Sitte, erlaubte seiner Tochter nie, allein auszugehen, holte sie sogar oder ließ sie von ihren Brüdern aus der Blumensabrik abholen, in der sie lern le. Aber ihre Ohre» und ihren Sinn ver frühen Berderbtheit und de» rohen Späßen älterer Gefährtinnen verschlie ßen, das vermochte der wackere Maiin trotz alledem nicht. Ich' wünsche Sie nicht zu ermüden mit langen Vorreden," unterbrach sie sich, als sie sah, wie ich ungeduldig mit der Hand über den Bart hinfuhr, „aber diese psychologischen Streiflichter find zu Ihrem Verständniß durchaus nothwendig, sie bilden gewissermaßen die Gruudzüge zu meinein finster» Le bensbilde. «säe müssen ersahren, daß ich in ganz abnormen Verhältnissen groß geworden, um Manches nachher j» verstehen. Kurz »nd g.it, die Bildhauerstochter, deren Brüder übrigens schon der höhe ren Lebensstellung zustrebten und die Kunstgewerbeschule besuchten, blieb für den Gardeoffizier ei» unerreichbarer Stern. Der Gardelieutenant, der ein heiß blütiger, temperamentvoller und sehr verwöhnter Herr war, dem kein Wunsch im Leben bisher versagt geblieben, ent zündete an dem ungewohnte» Wider stand sein flüchtiges Gefallen bis zur leidenschaftlichen Raserei. Er vergaß StandeSehre, Familienrücksichten in dem einzige» Verlangen. Er trotzte dem Zorn, den Drohungen der Seinen, and da er mündig war, heirathete er lrotz des Wiederstrebens meines ver nünftigen Großvaters mütterlicher Seits meine Mutter vom Fleck iveg, mußte den Dienst qnitiren, wurde aus der Familie ausgestoßen und von den Kameraden wie ein Verrückter mit mit leidigem Achselzucken geschnitten. Das hielt der stolze Mensch natürlich nicht lange aus, und zwar um so weni ger, als die kurze Verblendung schnell jenng im ruhigen Besitz wich,' und er linsah. daß Jene mit ihren Verwar nungen Recht hatten. Verbittert und trotzte, gab erden Gedanken auf,in der Residenz, wo er alle Augenblicke Be kannten uud Verwandten begegnete und sich seiner ungebildeten Frau recht gründlich zu schämen begann, eine be scheidene Staats- oderPrivatanstcllung >u sinde», und griff ingrimmig und mit getränktem Stolz doch endlich zu, als sein jüngerer.Bruder, durch stan desgemäße Heirath zur Majoratssolge gelangt, ihm wiederholt eine kleine Summe anbot ovahrscheinlich in der nicht selbstlosen Absicht, den Familien jchandsleck ans der Residenz zu entfer nen). mit der er sich irgend ankaufen könnte. LZNun hätte noch Alles gut gehen kön nen, wenn meine Mutter eine andere, kine tüchtige, sparsame vernüustige Wirthin gewesen: denn Bater als pas sionirter Jäger und Naturmensch würde sich wohl in die neuen Verhält nisse srei nnd sroh eingelebt haben, iieider war die durch die Fabriträume der Großstadt Vergütete aber von aUe dem das Gegentheil. Sie werden mich eine »nnaturllchi Tochter nenne», daß ich so urtheile und mich ausspreche. Ich habe meines Vaters Schwächen aber so hari taveln hören, daß es mir Bedürfniß ist, diesen edelsten der Menschen zu vertheidigen. Das Elend dieser unharnumische» Eh« trug an Allem Schuld. Er lernte sich betäuben, um sich uicht immer mehr vor sich selbst zu schämen ob dieser Le bensgefährtin. die mit den Mägden paktirte. Heimlichkeiten trieb und sie bestach, um die niedrigsten Gelüste zu befriedigen: heimlich sich Putzkram und Naschwerk herbeizuschaffen, Gauklcr banden in Abwesenheit des Vaters mit ihrem Gesinde in der nächsten Stadt zu besuchen, Kartenlegerinnen sich durch die Hinterthür ins Haus schmuggeln zu lassen; die einmal sogar, als Vater ver reist war, ein Tanzkränzchen von Ge sellen und Mägden im nächsten Ort mit der Gegenwart der „gnädigen Frau" beehrte und sich von wiehernd?» Gesel len bis zum hellen Morgen hernm schwenken ließ, Sie hat sich nichts Böses dabei gedacht, das arme Ding, das nicht in die vornehm ruhige At mosphäre des Edelmanns paßte,-und konnte seinen furchtbaren Zornans bruch nachher auch nicht verstehen, nahm ihn wie eine ungerechte Tyran neulaune hi» und begegnete ihrem Mann fortan mit störrischer Scheuhcit eines geschlagenen Thieres, die jedes in timere Zusammenleben ganz und gar abschnitt. Bald nach der surchtbaren Szene ward ich geboren, nachdem den Eltern in der Reihenfolge von zehn Jahren mehrere Söhne gestorben wa ren. Grollend mit feinem Schicksal und tief verbittert, suchte mein Vater von dem Augenblick an. der seiner Verblen dung erst öffentlich das Schandmal ausgedrückt, den Trost, der zu einer schrecklichen, selbstmörderischen, auch seine pekuniären Verhältnisse untergra benden Leidenschaft heranwuchs. Selbstvorwürfe. Unzufriedenheit mit seinen: damaligen Jähzorn, der schwe res Siechthum der Mutter bei meiner Geburt hervorrief, mögen ihm das Leben vollends vergällt haben, bis Aber ich greife den Ereignissen vor. Meine Mutter kränkelte noch ein paar Jahre dah..i, der Vater ward immer wortkarger, verdrossener, aber auch wilder. Dann starb sie zu ihrer, zu unserer Erlösung, und ich wuchs, ein wildes, tollkühnes Ding, in völliger Freiheit zwischen Männern auf. Auf unserm kleinen Bauerngut, an der holsteinischen Küste, hatte sich ein ehemaliger Waffenbruder und Kadettcn sreund des Vaters als Mitbewohner eingesunden. der ebenfalls Schiffbruch im Leben erlitten. Es war eine grund gescheute, träumerische und ganz be dürfnißlose Gelehrtennatur, die aus ge fälliger Schwäche für einen leichtferti gen Kameraden mit seinem Namen ein getreten war und diesen Liebesdienst mit dem Abschied schließlich bezahlen mußte. Eine sehr bescheidene Familienunter stützung verzehrte er nun bei uns. Di« mecrnmrauschte Stille sagie ihm zu. Jetzt konnte e- nach Belieben sich in seine Studien vertiefen - und selber Werke schreiben, die leider nie einen Verleger fanden, und in den Stunden, die ich nicht auf der Jagd oder zu Pferde auf dem Felde mit dem Vater verbrachte, mich unterrichten, wobei meine Erziehung viel gründlicher und tüchtiger bei dieser gediegenen Lehrkraft ausgefallen ist, als in den höheren Töchterschulen das erreicht wird. So wuchs ich ganz und gar wie ein Junge auf. Vom hielt mein Va ter mich ängstlich fern, weil er (durch meine Mutter gewitzigt) darin die Wur zel alles Uebels uud aller Sünde» unse res Geschlechts sah. Der arme Vater! Wie weiiig ahnte ihm, daß gerade meine völlige Unschuld und kindliche Unerfah renheit, ja Unwissenheit von Leben und Menschen mir zum Verderben werden sollte»! Ich hatte noch nicht ganz mein fünfzehntes Jahr erreicht, da fand der bewahrte Frennd unseres Hauses end lich in der Gelehrtenwelt die verdient« Beachtung. Ein naturwissenschaftli ches Werk lenkte plötzlich die Aufmerk samkeit aus den Einsiedler. Man ge wann ihn für eine wissenschaftliche Ex pedition, und seine Forschungsreisen entfremdeten ihn uns entweder, oder ihm ging später meine Spur verloren. Ich habe nichts wieder von ihm gehört, noch erfahren können. Meinem armen Vater ging durch die Entfernung des Freundes der letzte moralische Halt verloren. Er verfiel immer mehr den leidigen Gewohnheiten. Unsere Verhältnisse verwirrten sib immer heilloser. Kaum ein Acker Lan des war mehr unverschuldet unser. Eines TageS brachten sie ihn mir todt ins Haus. „Er wäre auf der Jagd verunglückt," sagten Einige. Andere flüsterten sich zu. „er sei seige dem gänzlichen Ruin entflohen." Ich glaub' eS nicht von ihm." sprach sie mit star ler Ueberzeugung. Ich unterbrach sie mit keinem Wort. Lebhaft sah ich vor mir erstehen, was eine so eigenartige, urwüchsige Natur herausgebildet hatte. Ich spürte den energischen Athem des Meeres, der Krast nnd Gesundheit ihr ins Blut ge flößt, die verwilderte und doch wieder kultivirte Umgebung, die dieses Zwit terding von Naturwüchsigkeit und ge bildetem Wesen aus ihr geschaffen. Die Einsamkeit, die sie auf sich gestellt und ihr Denken und Sein vertieft, wahrend der Ausenthalt im Freien ihr Körper und Geist gestählt und abge härtet. Deutlich konnt ich'S ihr nachempsin, den, was gerade dieses, in der Freiheit aufgewachsene Geschöpf nnter'der mora lischen Einengung der Pastoralen De muth, was sie gar erst in dem auch körperliche» Zwang des Gefängnisses gelitten habe» mußte. (Fortsetzung folgt.) «Luch «ine »»«berraschung. Das kleine Fest, zu welchem der Rech» nungsrath Rosendorf seine Untergebe nen geladen, galt, seinen Geburtstag in würdiger Weise zu feiern; auch meint« der Rechnungsrath, daß er doch endlich einmal seine „liebwerthen Amtscollegen" seiner Frau Tochter vorstellen müsse. Und sie kainen alle, die Gela denen, beglückwünschten das alte Ge burtstagskind und ließen es sich an der reichbesetzten Tafel wohl schmecken. Der Rechnungsrath schwamm heut« in einem Meer von Wonne. Das feiste, kupferrothe Gesicht glänzte wie der Voll mond in Purpurröthe, der breite Mund verzog sich stets zu einem herzlichen La chen, die kleinen Aeuglein schweisten in der Tafelrunde und blieben öfter an ei ner Stelle mit zärtlichem Zwinkern hangen jener Stelle, wo fein Hor chen saß, das heute eine glückstrahlende Miene zur Schau trug. Dorchen war das einzige Kind ihrer Eltern und natürlich auch deren Lieb ling. Das magere blasse Gesichtchen zeugte vou Reife deS Verstandes, denn ein überlegenes Lächeln begleitete stets jedes ihrer Worte. Sie zählte 28 Sommer doch hätte man sie auch für älter halten können. Das altkluge Wesen,' welches ihr anhaftete, schien gekünstelt, vielmehr war eZ der natürliche Ausfluß einer gereiste«, l im Alter vorgeschrittenen Mädchen^'le. War das ein Jubel, als der Rech nungsrath sein Glas auf das Wohl seiner Gäste geleert hatte! Natürlich wurde der Trinkspruch gebührend be antwortet, natürlich tränk man auf das Wohl des Hausherrn, was diesen jedesmal zu einem verständnißvollen Lachen bewog. Dann erst würd' des Hauses „Juwel" in einer Reihe vou Trinksprüchen gedacht. Die junge» Herren überboten einan der, dieses „Kleinod", diesen „Schatz", den der liebenswürdige Amtschef und Hausherr besitze, in würdiger W.eise hochleben zu lassen. Dorcheu ihrerseits hörte die auf sje ausgebrachte Toaste, vernahm die Huldigungen mit vorneh mer Würde und lächelte stets dem jewei igen Sprecher in verftäNdnißvoller Weise z». Die heitere Laune des Rech nungsrathes wuchs von Minute zu Minute; er war glücklich, gern hätte er all' diese guten Menschen umarmt und an sein Herz»'gedrückt. Diese» Gefühl len gab er auch beredten Ausdruck, in dem er im Name» seiner Tochter herz lichen Dank sagte und eine Ueber raschung ankündigte, die er zur Feie: des Tages in sinniger Weise ersonnen „Eine Ueberraschung?" durchlief es von Mund zu Mund, „eine Ueber raschung —oh —". „Ja, meine Herren", sagte der Hausherr, und winkte Dorchen verständnißvoll zu. Dorchen verschwand. „Die Lobsprüche, die Sie soeben, meine Herren, ans mein Dorchen verschwendeten, sie haben mein väterliches Herz mit stolzer' Freude er füllt. Gleichwohl muß ich Ihnen sa gen, meine Herren, daß mir dieselben nicht unerwartet kamen. Als ich Sie zu Tische bat. da wußte ich bereits, daß jeder von Ihne» Dorchens wirklichen Werth erkennen und für sie schwärmen wird. Ich sehe es jedem Einzelnen von Ihne» an, meine Herren, daß Dorchen haha wie soll ich nur sagen, also daß Dorchen ihm zumindest recht gut gefällt. Um nun meinen heutigen Geburtstag würdig zu feiern, habe ich beschlossen, einen von Ihnen mit Torchens Hand zu beglücke». Doch, wer soll dieser Glückliche sei»? Das ist eben die Frage. Sie alle, meine Herren, sind tüchtige, brave, flei ßige Männer und würdig eines solchen Kleinodes, eines solchen Jnwels, eines solchen Schatzes, was Dorchen nach Ihrer eigenen Meinungsäußerung ist. Ich möchte keinen von Ihnen bevorzu ge», aber auch keinen von Ihnen belei digen. Das einzige richtige Mittel, dieses Dilemma aus dem Wege zu räu men. besteht in der Verloosung. Dies« Zettelchen, die ich hier in Händen halte, aus jedem derselben steht ein Name von Ihnen. Wir werden daher diese Zet telchen zusammenrollen, dieselben in ei nen Hut legen und jetzt kommt erst das Spaßige Dorchen selber mag sich ihren Bräutigam auS der Urne.zie hen. Hahaha was sagen Sie zu dieser köstlichen Idee?" Alles schwieg. Dorchen wurde wie der hereingerufen. Die jungen Leute, deren Gesichter noch vor Minuten hoch geröthet waren, sie erblaßten.plötzlich und rückten unruhig auf Stühlen hin und her. Der Rechnungsrath rollte lachend die Zettelchen zusammen, dann erbat er sich einen Hut. „Ein Hut ein Hut —" erscholl e» von allen Seiten. Alle stürzten zur Thüre Hinalls, nm zu ihren Hüten zu gelangen „Bitte, ich brauche ja nur einen Hut, meine Herren hören Sie, nur einen einzigeu Hut Riekchen, schau' mal nach im Vorummer, wo die Herren so l bleiben —I" 3
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