6 Ungleiche Loose. Ein Miethshaus in einer so großni Stadt, wie Berlin, ist fast zn vergleichen mit einem Affenbrodbaum der Tropen, wie Reiseberichte ihn nns schildern. Dort sind die verschiedenen Quartiere, wie Etagen und halbe Etagen, hier sind S Aeste und Zweige. Aus den un teren Arsten bauen sich die Reichen ver gnüglich ihrc hängenden Gärten, wäh reiiddieAcrmcren schon höher hinaus und die ganz Armen bis in die Dachkam mern oder Wimpel des Baumes klim men müssen. Das ist ein Hin- ui d Herklettcru ohne Ende, und beständig begegnet man sich auf dem für Reich und Arm gemeinsamen Stamm des Bannies, oder der Treppe. Welch' ver schiedenartige Loose sind da oft unter einem und gleichen Dache vereint nnd doch so getrennt voneinander, als wenn klaffende Schluchten und Abgründe zwischcn.ihncn lägcnl In einem solchen Hause sah ich eines Tages ein in sehr bescheidenen Verhalt nissen lebendes Ehepaar, kleinc Beamte, einen Besuch machen bei dcm Vorgesetz ten d.'S Mannes enorm reichen i.e l ten. Sie intercssirten mich, und ich tarirtc sic, als ich die Frau in ihrem sicher schon zwci Mal gcsärbtcn Kleide, mit dcr dürstigen billigen Blume auf dem Hut nnd den fest angepreßten zwci knöpsigcn Glacehandschuhen sah, aus die Bewohner einer halben vierten Etage. Sie gingen zu dcn Reichen, um zu irgend einem Festtage zu gratuliren. In einer Droschke zweiter Güte fuh ren sie vor, wahrscheinlich um die „besten" Kleider und Stiefel nicht zu beschmutzen, denn es rcgnctc stark. Als sie das Vestibül betraten, schüt telte die Frau die Falten ihrcs ärm lichen Kleides sorglich auseinander, und der Mann fuhr behutsam mit dem Rockärmel über seinen nicht mehr allzu neuen Cylinder. Ich finde in dcr der deutsch.'« Sprache keine rcchtc Bezeichnung für diese Art traurig - Mständiger Armuth.... der Engländer nennt sic waren die Beiden von Kopf bis zu Fuß, die Frau sowohl wie auch dcr Mann. Jedes von ihnen trug ein sorgsam in weißcs Papicr ge hülltes Packet. Das eine hatte die steife Form eincS längliche» Kartons und enthielt vermuthlich cin Spielzeug, in dcm anderen befand sich eine Düte mit Bonbons, welche die Frau selbst einmal geschenkt bekommen hatte. Abcr wie hätte sie es gewagt, diese Herrlich keiten selber zu verzehren! Nein, das war nichts für sie.... uud zudem.... als sic es geschenkt bekam, dachte sie bci sich: wer weiß, ob man nicht eines Ta rzes auch irzcnd Jemandem etwas schen ken müßte.... dazu würde es gut sein; es wurdc also sorgsam nnfgchobcn, und als dann die Rede auf diesen nolhwcn digcn Gratulationsbesuch kam, hatte die Frau mit vor Erregung zitternden Handen die Titte von ihree Papierhülle befreit die kostbare Düte! sie war ja aus papierncm Attas und ihrcm Maunc gezeigt. Das wollte sie mit nehmen als kleine Aufmerksamkeit, wa ren sie doch so oft schon dort in dem vornchmcn Hause eingeladen gewesen! Mit großcr Vorsicht war die Düte geöffnet und die noch darinliegeude Visitenkarte entfernt worden, und heute endlich sollten die Herrlichkeiten in die Heinde einer Person kommen, die sich dcn unerhörten Luxus erlauben durfte, sie auch zu effcn. Vor der Thüre der Wohnung ent fernte die Frau die Papierhülle von dem Karton und sah nach, ob die Ecken desselben auch nicht eingedrückt oder be schmntzt-waren; da»» betrachtete sie de» Kartv» einen Moment, als überlegte sie, ob dcr darin enthaltene Gegenstand auch thatsächlich unnütz genug war, ui als Luxussachc gelten zu können; denn in ihrem bescheidenem Sinne galten diese zwci Tinge: unnütz nnd luxuriös, für gleichbedeutend; sic kam cndlich zu dcm Schluß, daß ihr Geschenk an Uebcrflüf sigkeit in der That nichts zn wünschen ließ, und lächelte ihrem Manne bc riedigt zu. „Es ist anständig" sagtc sie, auf dcn Karton weiscnd. „Schr anständig!" bekräftigte er. Und beide fühlten sich dnrch die« Wort „anständig" in ihrer Eigenliebe befriedigt. Hieraus zupstc die Frau noch das billige Scidcuband des HutcS zurccht, glättete die kurzen Handschuhe am Hand gelenk und klingelte. Die Klingel hatte jenen merkwürdig erschreckend hellen Klang, wie er den Glocken der reichen Häuser eigenthüm lich ist. Em Diener öffnete sofort, bat Mann und Fran, einzutreten, und wollte ihnen die Pakete abnehmen. Aber nein, sic gabcn sie nicht her, sie wollten sie beim Eintritt in den Salon selbst in den Händen halten. Sie wurden angcmcldct und traten ein.... Die elegante Dame erhob sich bei ihrem Erscheinen aus ihrem bequemen Sessel, trat ihnen ein paar kurze Schritte entgegen, nm sie zu begrüßen, und setzte sich dann wieder mit einem leichten Lächeln und einer auffordern den Handbewegung, daß sie Platz neh men mögen. Sie jedoch traten zunächst an sie hcr- ÄN und boten ihre Geschenke dar. Sic lächelte wieder, schüttelte den Kops, nahm die Packete, machte ein er stauntes Gesicht und sagte: „O, waS soll das? Schr freundlich zwar, abcr auch fchr unrecht!" Abcr sie öffnete die Packete nickst. Als sie zu bemerken schien, daß die Frau darüber ein wenig traurig aus sah, klingelte sie, ließ sich ciue Scheerc bringen und durchschnitt dic sorgsam geknüpften schnüre. Das eine Packel enthielt dic Düte aus Papicr Atlas, das andcre einen Hasen aris Papier mache, als Bäuerin verkleidet mit um» Bem Fischü, rothem Rock und Holzschu hen, und war gleichfalls mit Bonbons gefüllt. Die Uebcrslüssigkcst dieses Ge schenks war in keinem Falk zu leugnen, und wenn Ueberflüssigkeit wirklich LuxuZ bedeutet, so war dies entschieden ein Luxusgegenstand. Beim Anblick des Hasen lächelte du Dame zärtlich. „Für Baby! Ach, wie sie sich, damil sreuen wird. Aber" und sie drohte schelmisch mit dem Finger. „Sie -verwohnen sie zu sehr". Stille herrschte nach diesen Worten. Die bescheidene Frau im gefärbte» Kleide fühlte, daß sie etwas sagen müßte. Sie wurde roth und ver legen. „Ach, gnädige Frau" brachte sic dann hervor, „wir haben ja schon so oft bei Ihnen dinirt!".... Kaum waren diese Worte heraus, so fühlte sic selbst, daß sie ungeschickt und wenig würdevoll geklungen hatten. Außerdem begegnete sie dem Blick ihres Gatten, der sie verächtlich ansah, nnd zugleich zu bemerken schien, wie breit sic war, und wie roth ihrc Haut, während die andere Dame schlank, graciös und blaß in ihrem Sessel lehnte, die Augen leicht zukniff, wenn sie mit Einem sprach, nnd die eine Hand mit den blit zenden Brillanlringeu der anderen spie len ließ. Der Mann fühlte, daß es nun an ihm war. etwas zu sagen. „Herr von K befindet sich ganz wohl?" fragte er. „Ich habe ihn lange nicht.... DaS Vergnügen gehabt...." „Mein Mann ist jetzt oft verreist; er ist passionirtcr Jäger", entgegnete höf lich die elegante Dame, und die ganze Zeit des Besuchs hindurch hielt sie das seine, stereothpe Lächeln auf dem Ge sicht fest. Als die beiden Gäste wieder auf der Straße waren und eine Droschke „zwei ter" bestiegen hatte, legte die Frau ihre kurze breite Hand auf die ihrcs Man nes. „Sage was Du willst" begann sic „ich möchte doch nicht alle Woche dort einen Besuch machen. (5s ist un heimlich prächtig." „Ja.... ja"—erwiderte der Mann; „aber Deine Bemerkung vorher war auch nicht gerade " „Ich weiß.... ich weiß unterbrach sie ihn rasch. „Aber was willst Du? Wenn man so viel zu arbeiten hat und kaum je herauskommt so.. „Ja, ja" seufzte er „es be greift sich." „Glaubst Du wenigstcns, daß sie sich mit den Sachen gefreut hat?" begann die Frau von Neuem. „Hm!" machte er blos." „Ach ja; sicherlich! Der Hase war ja auch entzückend" tröstete sie sick selber. Tann nach einer kleinen Pause: „Hast Du Dir die Vorhäugc genau angesehen? Maisgelber Atlas! Mein Gstt! Ich inöchtc<>das nicht in meinem Salon haben. Denk' doch nur, wie schnell das schmutzt! Ein so Helles Gelb!" Uud sie schüttelte ernst mißbilligend den Kopf. „Ja, ja" sagte der Mann. „Du hast Recht; es muß sehr schnell be schmutzen." Und während sie bei dem Gerumpel der Droschte bald gegeneinander, bald wieder auscinandcrftogcn, und während sie noch immer über den unerhörten Luxus der maisgelben Atlasportiercn nachsann, betrachtete er von der Seite ihre rothe Haut, ihre geratheten Augen idcr, ihre breite, von einem schlechten Corsctt gehaltene Gestalt. Und mit bitterer Hoffnungslosigkeit dachte er an elegante, schlanke, schöne, parsümirte Frauen, die außerhalb sei nes Gesichtskreises lebten und für ihn nicht cristirtcn. Heute hatte ihm der Anblick des Reichthums Anderer einen Stoß ins Herz gegeben, und mißmuthig und ver bittcrt kehrte er heim. Wer zahlt die Zeche? Daß bei einem Brnder Studio das Moos zu jenen Artikeln gehört, welche eine ganz bedeutende Rolle spielen, ist ?inc hinlänglich bewiesene Thatsache, oaß es aber anch immer in dem gehöri gen Maße vorhanden, dürfte wohl Nie mand behaupten wollen. So durchwanderten anch mehrere Studenten die Straßen des Univcrsi tätsstädtchcn L.. uud man konnte es an ihren theils niedergeschlagenen Mienen erkennen, daß auch sie am Gcldübcr flnßmangel litten; denn daß es nicht galt, wissenschaftliche Probleme zn lö sen. bewiesen ihre wehmüthigen Blicke, welche sie zum Ocflcren nach den WirthShausschildern emporsandten. Tic «Stimmung war, wie gesagt, eine recht gedrückte, denn ein vorgenom mener Kassensturz hatte leider ein so tranrigcs Resultat ergeben, daß an eine würdige Feier der Geburtstage der Studiosen schlauch und Loch, welche beide auf diesen Tag sielen, gar nicht zu denken war. „Toch kommt Zeit, kommt Rath," nieinte der stets unverzagte kleine Stu dio mit dem bezeichnenden Namen Bacchus, nnd, fügte er gleich hinzn, als sic in die Nähe des „Weißen Schwan", von wo ihnen angenehme Bratcndüftc ec. :ntgcgemvchtcn,gekommcn'ivarcn, „frisch gewagt ist halb gewonnen," machtc eine halbe Schivcntung nach rcchls uud stolz erhobciicu Hauptes schritt cr durch die weit geöffnete Thür am dicken Schwee nenwirth vorbei; die Ucbrigcn natür lich folgten scincm Bcispiclc und bald saß mau vcrgnügt und gntcr Dinge in dcm bchaglichcn sogenannten Clubzim mer bei einem auserlesenen Mahle, wobei natürlich das Beste, was des Schwaucuwirth's Kcllcr an Wcincn bot, nicht schien durste. Nach dcm Diner wurde selbstredend cin regelrechter Bicr coinmers abgehalten, welcher bis tief in die Nacht hinein anhielt. Endlich abcr war eS Zeit, ans Nach hauscgehcu zu dcnkcn, und jctzt kam der eritischc Moment des Zahlens, nnd um dies wichtige Geschäft zu erledigen, bc ricf man Carl, dcn Kellncr! „Carl, ich möchte zahlen, natürlich ganze Zeche!" erklang dic Stiinmc S ilanch's; aber wie auf Kommando cicholl es plötzlich von allen Seiten: „Nein, ich bczahlc; Carl, hicr her, ich wcrdc zahicn!" u. f. w. —Jeder wollte zahlen; nnn, das ging doch nicht gnt an; des Präses Stimme gebot deshalb R'.'.he und machte cr daraus dcn Vor schlag. daß zwei aus ihrer Mitte zahlen sollten, und zwar ciuer an den Wirth, dcr andere denselben Betrag nochmal an den Kellner als Trinkgeld für gelei stete treue Dienste. Damit abcr nun nicht abermals Streitigkeiten bezüglich dicfcr zwei ausbrechen könnten, schlage er serncr vor. daß man von Carl, dem man zn dicsem Zwecke die Augen ver binden mög?, zwci aus ihrcr Mittc herausgreifen lassen solle, wovon dcr Erste den Wirth, der Zweite den Kellncr bezahlen solle. Allgemeine Anerken nung wurde diesem' Vorschlage zu Theil, und ganz besonders war es Carl, der denselben als rein salomonischer Weisheit entsprossen bezeichnete. Man ging sofort zur Ausführung übcr; mit einer Serviette verband man Carls Au gen, und gleich darauf sah mau ihn denn auch mit langsam bedächtigen Schritten, dic Arme tastend von sich ge streckt. dcn Ranm durchmessen. Doch während dics geschah, bereitete sich uuter dein Schutz von Carls ver hüllender Binde etwas ganz Absonder liches vor; fast schien es, als wollten dic vergnügten Zecher gleich hicr ihr Nachtquartier aufschlagen, denn saninit lichc cntlcdigtcn sich ihrcr Fußbeklei dung in schleuniger Hast und über ließen cs Freund Carl, das Ucbrigc zu thun. Schon geraume Zeit war verstrichen uud trotz eifrigen Suchens und meh rerer erhaltener unsanfter Stöße gegen Wände, Tisch und Stühle, war cS Carl noch imincr nicht gelungen, ctivas Zah l a es zu ersassen. Im Gastzimmer war schon einige male Nachfrage von Gästen nach dem Kellner gewesen, der Wirth suchte ihn a»ch durch das K-lingelzeiche» herbeizu rufen; abcr wcr nicht kam, war Carl. Endlich sah sich ocr dicke Schwanen wirth genöthigt, selbst nachzusehen wegen Carls unbegreiflichen Ausblei bens. Langsam steigt er dic Trcppc zum Clubzimmcr empor. Von der noch kurze Zeit zuvor darin stattgehab ten Unterhaltung, Gesang :c. war keine Spur zu vernehmen; nnr cin un rcgclmäßigcs Hin- und Hcrlauscn.einer einzelncn Person und cin ab uud zu stattsindcndcS Rückcn von Stuhl oder Tisch war vernehmbar. Dem Schwa nenwirth war ganz absonderlich, fast nnhcinilich zu Muthe; aber hier galt kejn Zaudern; langsam öffnet cr dic Thür —cr glaubt seinen Sinnen kaum trauen zn dürfen: —Carl, fein sonst so nüchterner ausnierksamcr Kellncr, ist unzwcifclhaft plötzlich vcrrückt ge worden, denn wie ein Rasender, in Schweiß gcbadct. läuft er mit verbun denen Augen im Zimmer umhcr, tastend mit Händen und Füßcn. Starr vor Staunen und Entsetzen bleibt der dicke Schwanenwirth in der Nähe dcr Thür stehen; er vermag sich nicht von dcr Stelle zu rühren, auch als der Rasende immer näher und näher auf ihn zukommt. Schon fühlt er den heißen Athem des Näherkommenden, seine Hände berühren ihn und plötzlich sühlt cr sich von Carls Armen fest um schlungen, indem Letzterer gleichzeitig mit nie geahnter Stimmfülle ihn an brüllt: „Halt, Sie bezahlen!" uud sich gleichzeitig das Tuch von den Augen cntfcrnt. Jetzt war abcr daS Erstanen u.id Erschrecken Cc,rls nicht gelinger als das seines Herrn Princpals; mit osfencm Munde und mit weitaufgcrif scncn Augcu starrte cr ihn sprachlos an, und erst nach einigen Minuten dcr Er holung vermochte er über das Vorge fallene, insoweit das leere Zimmer nicht selbst bcrcdtcs Zcngiiiß gab, Bericht ab zustatten. Auf der Maskerade. Eine holde Maske Hat mich jüngst entzückt! Hab' ihr im Gedrängc Sanft die Hand gedrückt! Als wir Walzer tanzten. Hab' ich hochbeglückt Mc'iiie Unbekannte An mein Herz gedrückt! In der Fensternische Hab' ich dann geschickt Anf den weißen Nacken Einen Kuß gedrückt! D: ch als ohne Maske Ach sie dann erblickt. Hab' ich aus dem Saale Schnell mich sclbst gedrückt! —Dic Paladine Napoleons l. Ans Anlaß des jüngst erfolgten Todes des Herzogs von Trevifo zählt der „GauloiS" die Zahl dcr herzoglichen uud fürstlichen Familien auf, die ihr Entstchcu aus dcr Zcit dcs crstcn Kai scrrcichs herschreiben, und dic Zahl dcr erloschciicn Titcl. Napolcon I. schuf 35 herzogliche nnd fürstliche Fa milien, von denen zwci königliche ge worden sind, nämlich Murat und Ber nadottc. Dic crloschcncn sind: Her zog von Tanzig (Lcsebore), Herzog von t'ambaccrcs (CambaccrcS). Hcrzog von Frianl (Turoc), Herzog vou Castig liouc (Augern»), Hcrzog von Jstricn (Bessicres), Hcrzog von Padua (Ar-- rcghi), Hcrzog von Dalberg, Hcrzog von Gaeta (Gaudin), Herzog von Valmy (Kellcrinann), Herzog von Ra gusa (Marmont), Hcrzog vou Dalma ticn (Soult), Hcrzog von Rovigno (Savary), Hcrzog von Eres, Hcrzog von Liguy (General Girard). Moderne Geschichte tn arabischer Auffassung. Noch heute steht Napoleon I. bei dcn Arabern Nord-Asrika's in höchstem An sehen. Ja, mit einer Art vcrchrnngs vollcr Pictät bewahren sie das Anden ken an diesen Mann. Freilich als Er finder nnd Meister einer psychologischen Politik hattc Napoleon Alles gethan, um die Araber während seiner Expedi tion nach Egypten für sich zu gewinnen. Noch auf hoher See befindlich, hatte er feinem Heere Verhaltungsmaßregeln eingeflößt, die sic im Verkehr mit dcn Arabern des Landes zu beobachten hät ten. Namentlich wünschte cr dic Reli gion dcr Mnhaincdaner und ihre Mnf tis geachtet und unverletzt zu sehen. „Die Völker," heißt es iu dcm Armee befehl vom 22. Juni 1798, „mit denen wir zusammentreffen werden, behandeln die Frauen anders als wir; gleichwohl ist, wer ihnen Gewalt anthut, übcrall cin Scheusal. Plünderung bereichert nur Wenige, entehrt Alle— und macht uns denen verhaßt, die zu Freunden zn haben unser Interesse crsordcrt." Kaum halte cr Alexandrien genommen, als er meisterhaft geschickt sich den Con flict zwischen den Mameluken und.Ein geborcncn zu Nutze machte nnd sich in einer arabischen Proclamation (2. Juli) zum Beschützer der Letzteren auf warf. Abcr trotz aller entgegenkommenden Frenndlichkciten uud Vcrsnchuiigcn ver hiclt sich dic Bevölkerung stumpfsinnig, sp-röde und ablehnend, ja oft sogar feindlich. Um so historisch interessanter ist es daher, daß sich nach dcr Rückkehr Napoleons ein ganzer Kreis verherrli chender Legenden und Märchen gebildet hat, dic bis a»f die Gegenwart hin lebendig find. Daß fciuc Sympathien für dcn Islam psychologisch auch nnr „gemacht" waren, bcwcist dic characte ristischc Thatsache, daß Napoleon in dcr kleinen Bibliothek, die er mit nach Egypten nahm, die Bibel, dcn Koran und dic indischen Reden zusammen mit MontcSquicli'S Wcrkcn unter der Ru brik „Politik" aufgestellt hatte. War doch die Religion für ihn auch nur Mit tel und Zweck, ein neues Mittel, feinen Willen und seine Jnstincte zur Macht zn befriedigen. ' In einem Werke von Dr. William Fröbel-ArmanSperg (Europa und dic Anschauungen mohamedanischer Völker. Leipzig, Wiegand) besinden sich inter essante Legenden über Napoleon I. und 111., die cincn wichtigen Beitrag dazu geben, wie sich derbe Geschichtsthatsachen zn märchenhasten lockeren Sagengcbildcn vcrslüchtigcn. Von cincm alten Tür ken Algeriens hat cr sie sich erzählen lasien. Dieser, ein gesprächiger alter Araber, galt durch seine historischen Kcnntnisse gewiß als cin „gelehrtes HauS". war daraus nicht cingcbildct nnd hörte sich gern erzählen. Mit orientalischer Leb haftigkeit erzählt er. uud es ist erstaun lich, welch cincn Wirrwarr cr in der chronologischen Anordnung dcr Zahlen anrichtet. Die Geschichte Frankreichs beginnt ei mit dem Kiffar (d. h. Cäsar), dessen Nachfolger Hirkla gewesen ist (viellcichl ist dcr byzantinische Kaiser Herakles ge meint). Zu dessen Regierung theilte sich das Reich; es herrschten große Wir ren, bis cndlich „ein Mann von gewal tigen! Geiste, Namens Bonaparte", Heerführer wurde. Weil er Ordnung schuf, weise Ge sctzc gab, wurde cr zum Kaiser gemacht. Alle Länder unterwarf er. nur fehlte ihm noch das Land dcr Moskowiter, wenn er dieses erobert Hütte, würde er nach Indien ziehen und alle Schätze wegnehmen. Er zog aus mit einem großen Heerc, so groß, wie selbst nicht zur Zeit Pharaos und des großen JskenderS (d. h. Alexander dcr Große). Bei dcr Schildcrung der Größe ge braucht crcin recht orientalisch-bibli sches Bild. „Unabsehbar warcn die Schaaren, und die Staubwolken, welche sie auswirbeltcn, Verdunkeitc» das Ta geslicht. Dic Moskowiter flohen, abcr uuu kam cin furchtbarer Wintcr. Der Schnee fiel „haustief". Da erfror dcr größte Thcil des Heeres, uud Boua parte wolltc hcim. Abcr er durfte den Moskowitern seine Lage nicht enthüllen. „Ta zeigte er seinen großcn Verstand. Er licß alle crsrorcncn Kricgcr in Rcihe nnd Glicd im Schnee ansstcllcn ein Ersrorcncr bleibt stehen uud fällt nicht um. Die todten Reiter saßen ruhig ans« ihren starken Rossen, den Säbel iu der. Faust. Dic Geschütze standen vor den' Mihcn. Die Stückleute daneben mit der glühenden Lunte (!) in dcr erstarr ten Hand. Sie sahen ans, als ob Seele in ihnen wäre." Diese ungemein plastische und orien talisch-phantastische Erzählung verkör perte dcn Arabern den verunglückten russischen Feldzug Napoleons. Dieser floh, geschützt vor dcn Blickcu dcr Rus sen, durch sein erstarrtes Heer. Als diesc hcraukrochcu, die „unzchcureu Rei hen regnngsloscr Kricgcr" sahcn, flohen sie erschrocken znrück und berichteten ihrcm Kricgsoberstcn, die Franzosen seicn nnwidcrstehlich. Diese ständen ruhig iu Rcih und Glicd iu der grim migen Kälte, während sie sich kaum durch die dicksten Pelze zn schützen ver möchte». Erst als der Kaiser gerettet, merkten die Moskowiter dessen List nnd „erstaunten gar gewalti-g rmd priesen seinen hohen Verstand." Auch über die Art von Napoleon's Abdankung gab der alte Arabcr ciucn crnsthaftc» „historischen" Bericht. Seine Vezicre wollte» sich in seine Reichthü mer theilen nnd bildeten eine Ver schwörung. Aber dcr weise Kaiser hatte taugst ihrc Plänc durchschaut. Ats sie Nachts an scincn Thurm drangcn, um ihn von der Spitze desselben herab zustürzen. fanden sic ihn nicht. Als sie züm Himmel anssahcu, sahen sic ihn hoch obcn in einem kleinen Schisse ruhig schweben, das von einer großen rothen Kugel gezogen wurde. Von diestq aus warf er Bomben und Granate? auf die Verschwörer herab und tödtet, sie- Er hatte, nm sich zu retten, den Luft ballon erfunden (!) und längte mil feinen Schätzen glücklich in Englanl an. Aenßerft komisch ist anch die Geschicht« Frankreich nach Napoleon in der Be leuchtung des alten Arabers. Sein Nachfolger war „Scharlediß" (d. h. Charles X.). Das fei cin Ehrenmann gewesen, aber wegen Algiers seien di« Franzosen auf ihn sehr wüthend gewor den. „Da war ein großer Kaufmann, Philippe mit Namen (d. h. Philippe Auguste), der hatte viele Millionen unt war sehr ehrgeizig." Der sagte: „Wi> behalten Algier." „Scharlediß" war dagegen. Da sprach Philipp: „Schar lediß ist alt und nicht mehr bei Sinnen!" Und Scharlediß mußte mit feinen Schät zen nach England fliehen. Aber balt floh auch Philipp mit feinen Schätzer nach England. Das sei die Ursache für die Reichthümer dieses Landes. Do machten die Franzosen eine „Bublick" (Republik). Als dann wieder.cin.Na poleon kam, wurde er von den „Nemt sche" (Deutschen) in einer großenSchlachl besiegt und gefangen genommen. Dar auf kam wieder eine „Bublick" nnd di, „Neintsche" erhielten zwci große Städt, (? d. h. Elsaß-Lothringen) und ein« „ungeheure Summe Geld." Der fran zösisch-chinesische Eonflikt entstand nach dcr Meinung des alten Türken, weil du Franzosen für die Summe Geld Ersatz haben wollten. Im Lande Lind (China) sci cin ricsigee Berg, dessen Inneres aus gediegenem Golde besteht. Die Franzo sen unterhöhlten den Berg und nahmen das Gold, während der Herrscher von „Lind" dachte, sie bauten und grüben dcrConflict von„Lind/ deswegen die Unzufriedenheit dcr Fran zosen nnter einander. Ueber die Ge genwart sagte er: „Da ist jetzt ein tap ferer Mann in Frankreich, der war in seiner Jugend Bäcker (!), wurde dann Soldat und schließlich da".n General. Den nun wollen viele Franzosen an di« Spitze stellcn, damit er ihnen Glück unt Ruhm bringe, und er wird bald wi, Bonaparte Kaiser werden." Der gut. Alte hatte also auch schon von Bonlan ger gehört, aber seine würdevolle Pro phezeiung ist jetzt nach dem Ende Bon langers gerade zu rührend in ihrer wei> cii Naivetät. Der Baumeister JwanS dct Schrecklichen. Ein Italiener und tüchtigerKünstk.. der sich zu Florenz am prachtvoller Hofe dcr Mcdicccr gebildet, erhielt in Jahre 155-t den Auftrag, znm Gedächt niß dcr zwei Jahre zuvor erfolgten Er oberung der Provinz Kasan eine Kirch, in Moskau zu erbauen, welche den Beinamen „Zur schützenden Jungfrau' erhalten sollte. Was den blutdürstigen Wüthcrich Iwan den Schrecklichen zn solcher frommen Handlung veran laßte. ist nicht leicht zu enträthseln, denn damals empfand er noch keine Gewif senSbisse wegen seiner fast unglaub licheu Schandthaten und trat fortwäh rend jedes Gebot Gottes und dcr Mcufch lichkcit mit Füßcn. Er licß auch noch fernerhin Taufende von Menschen er morden und zwar häusig zu seinem Vergnügen ans die raffiuirtcsteArt unt Wcifc. Untcr sciner Regierung wur den die seinem Zorn verfallenen un glücklichen Menschen lebendig gerädert, gepfählt, gespießt, verbrannt, geschun den, gckocht, gcbraten, in Stücke ge sägt. zerschnitten. an'S Krenz genagelt nnd auf jede andere erdenkliche Art zu Tode gemartert. Nero und Calignla, diese gekrönter. Scheusale des alten Rom, konntcn Lämmer genannt werden im Vergleich zu dem blutigen russischen Tyrannen. Seine Sötdnerbanden zogen Plündernt im Lande umher. Alles verheerend uui verwüstend, wohin sie ihr Weg sührle Viele Städte. Dörfer, Klöster und Kir chen wurden von ihnen verbrannt Vielleicht sollte die Erbauung der Kirch „Zur schützenden Jungfrau" ein Sühn opfer für die vielen zerstörten Gottes häuser sein. Iwan gab dcm Italie ner, der so unvorsichtig nnd leichtsinnic sich in seine Dienste begeben, den Ve fehl, eine Kirche zu bauen, welche all, vorhandcncn an Pracht und Herrlich keit überträfe. Der Baumeister durft, nicht daran denken, eines der herrlicher Bauwerke seiner Vaterstadt Florenz znm Muster zu nehmen; er mußte viel mehr etwas recht Seltsames erfinden, um von dem ungebildeten Sinne des rohen Despoten Anerkennung und Bei fall zu erzwingen. So baute er denn die wunderliche Kirche, welche noch hcute die erstaun lichste und merkwürdigste unter den dreihundert Kirchen Moskaus ist. Aus ihrem Dache erhoben sich siebzehn gro teske Kuppeln, jede von verschiedener Gestalt und Farbe, die täuschend so aussahen wie rothe, grüne, blaue, gelbe, braune Tannenzapfen, Zwiebeln, Kür bisse, Meloncn, Ananas und andere ähnliche Früchte. Iwan der Schreck liche war außerordentlich zufrieden mil diesem Bauwerk und beschenkte dcu Ar chitekten mit einem großen Sack voll Goldstücken,' als derselbe nach Vol lendung des Baues zu ihm kam, um Abschied zu nehmen und nach Italien zurückzukchrcn. Tann abcr sagte cr: „Damit Du n.:chtTich verführen lässest, in Italien eine» ähnlichen Prachtbau auszuführen, so sollen Tir vor Tcincr Abreise die Augen ausgestochen werden!" Vergebens prolestirtc der Künstler gegen diese graujanic Sentenz; vergebens waren seine Versicherungen, daß es ihn, niemals einsallen würde, die Residenz der kunstsinnigen Mediceer mit einer Zwiebel- und Melonenkirche zu schmücken. Er wurde geblendet und lebte in seinem traurigen Zustande noch lange Jahre in Moskau. Für den blinde» Mann war eine Reise nach dem fernen Italien zu beschwerlich. Zwei Kanarienvögel. Sie waren Beide ganz gleich gelb und zierlich, vertrugen sich sehr gut in ihrcm cngen Käsig und Impften fröhlich von einem Stäbchen zum andern. DaS eine Bögelchen gehörte Louisen, das andere Anna. Der erste Frühlingssonnenschein; man hatte das Fenster geöffnet nnd dic bcideu Vögelchen hüpften lustig herum, immer von dem einem Stengekhen znm an dern. es waren dcrcn nur zwei in dem kleinen Vogelhaus?. Aber die beiden Piepmätze wußten es nicht anders und waren ganz znsricdcn. Anna nnd Louise, die beiden Schwe stern, saßen am Fenster und nähten, die eine an dcr Maschine uud die andere arbeitete nur »iit der Hand. Die Mutter kochte indessen den Kaffee. sic sah zu schlecht, um nähen zu können und besorgte die Wirthschaft. Der Vater war lange todt, und die Mädchen halten sonst nichts gelernt, als Nähcn. ' Auch sie waren beide jung nnd zier lich, hübsch gewachsen mit zierlichen Puppengesichtern nnd goldgelbem Haar. Nnr dcr Ausdruck war verschieden. LouisenS war ruhig, das Auge träu merisch. Die Haltung gelassen. Annas Augen blitzten, ihre Züge veränderten unaushörlich den Ausdruck, sie bewegte sich lcbhast und cntschicdcu. Mit glockenhcllcr Stimme bcgaun sic jetzt das Becker'sche Lied „O, wie wunderschön Ist die Frühlingszeit" Louise siel mit der zweiten Stimme ?in. Ihr Organ war ebenso schön, ihre Intonation ebenso rein. Aber auf einmal stockte sic: „Da—dic Hcrrcn drüben es waren die Beamten dcr Sparkasse, die ebenfalls ihre Fenster geöffnet hatten. „Die Herren hören nnS zu sie fehen auch herüber." „Was liegt daran?" rief Anna und sie erhob noch machtvoller ihre Stimme. Louise schwieg und rückte etwas vom Fenster ab. Drüben standen dic jungcn Hcrrcu am Fenster und äugelten herüber. Die Mutter kam mit dcm Kasfcc. ES war cin schr dünncr Cichorienkafsec mit großen, grobcn Semmeln dazu. . „Kinder, macht doch daS Fenster zu, cS zieht ja schändlich und seht ihr denn nicht, dic Lcntc gucken herein." „Ja, sie gucken herein." Aergcrlich schloß Anna das Fenster. Sie begriff richt, wann» mau sich nicht einmal sollte angucken lassen. „Ictzt können die Mätzchen auch heraus", sagtc Louise, den Käsig öff nend. Dic Vögclchcn pflcgtcn am Kas scctisch etwas Zuckcr und Scnimelkrums zu belomm'cu. Annas Vog»lchen hatte cincn klcincn schwarzen Tupf auf dcm Kopse, Loni scuS war ganz gelb. Die Vögel, sonst dic Hauptnutcrhaltuug dcr klciucu bc schcidcucu Familie, wurden heutc wenig beachtet. Der Vormund der Mädchen, ein Ci garrcnhändler, war gekommen, trank eine Tasse von dcm dünnen Kaffee und qualmte ordentlich dazu. Er hatte ciue großc Ncuigkcit; Anna und Louise soll ten zu dcm SlistungSfcst des Gesaiig vcrcins „Lyra" kommen, dessen Ehren mitglied cr war. (Er hattc cinnieU zu einer Sylvester-Tombola Cigarren ge schenkt.) Man brauchte zu dcm Stis tnugSsest Stimmen. Es würde anch getanzt werden. Dcr Onkel und Vor uuind wolltc Zeug zu zwci weißen Klei dern, Handschuhe und Seidcnschlciscn spcndicren. Nähen nnd zurechtmachen Anßten die Kinder selbst. Die Mädchen waren außer sich vor Freude auch Louise. Sie hatten so 'elten cin Vergnügen. „Um Gotteswillen," sagte die Mut ter, als der Onkel gegangen war, „ist das cin Qnalm hicr,Kinder, macht doch noch das Fenster anf unsere Gardi nen werden ganz und ich huste schon." Eines der Mädchcn össucte deu Fen stcrflügcl, aber Bcide dachten in ihrer Freude nicht daran, daß dic Vogel draußen waren. Man räumte dcn Tisch ab und schwatzte von dcm großen Er eignis,. Aus einmal fticßLonife cincn Schrek kensschrei aus. DaS eine Vögelchcu war, wie häusig. vou sclbst in den Käsig zurückgekehrt und zersplitterte ruhig Haufkörucr. Tel« an dere war fort. Es war unbcmcrkt hin ausgeflogen, das mit dem schwarzen Tupf Annas Vögelchen. Man stürzte an'S Fenster. Da saß Mätzchen auf der Brunncustange im Hofe, begafft von ein paar Kindern. Man begann sofort di« Jagd nach dem Thiercheu. Aber es wurdc verscheucht nid flatterte über das Dach des Vor derhauses sort, in die Ferne. Natür lich setzte man die Jagd fort, fand auch die Spur des kleinen Flüchtlings bald wieder. Er flog »ach der nahen Promenade, trieb sich dort aus den Baume» herum, setzte sich dann anf die Bildwerke, welche die Kiebelscitc des Museums zierten und entschwand dann dcn Btickcn. Der Schinerz um das Vögelchen wurde in den Hintergrund gedrängt durch die Vorbereitungen zu dein Fest. Die dürstige Stube füllte sich mit wci ßcn Tüllivolken,'dcr Boden war wie beschneit »iit Schnitzeln, Rosaband leuchtete aus dcn morschcn Mobcln und 'rische Blunicn vcrbreitclcn ihren Tust. Und mitten in diese Pracht platzte plötzlich cin Heiner Jüuge ans dcr Nachbarschaft. Er brachte das Kanaricnvögcichcn schmutzig, zcrzaust uud todt. Ta lag es auf dem Rücken mit gebrochenen Augen und eingebogenen Krallen. In einer großen, ekelhaften Pfütze draußen auf einem nnregnlirten Bau grnnd hatte es der Knabe gefunden. „Siehst Du, Mätzchen," ries Lonisc mit Thränen in dcn Auge», „wärest Du doch im Käsig geblieben, wie glück lich ist Dein Bruder." Die beidcn Vögelchen waren nämlich in dem Käsig aus dem Ei geschlüpft und hattc» ihn nie verlassen. ' „Warnm", sagtc Anna nachdenklich, „warum ist das andere Mätzchen so glücklich? ES hat nie etwas gesehen als unsere Stube, als die Stäbe seines Käsigs. Der Flüchtling ist zu elend zu Grunde gegangen, aber cr hat doch etwas gesehen, den Himmel, die Sonne, dcn freien Ranm, cin Stückchen Welt. Lohnte das nicht der Mül)k?" „O, das arme Thierchen wäre gewiß gern zurückgekommen", sagte die Mut ter, „aber es saud nicht zurück. Es verirrte sich immer und immer weiter, bis es in den Snmpf siel." „Mir thut's leid", sagte Anna. „Du hast kein Herz!" versetzte ihr, Schwester. Die Mutler und Louise fanden diesen Gedanken frevelhaft. DaS andere, das solide und vernünstige Matzchen bekam jetzt doppelt so viel Zucker und Lieb kosungen. Das Fest kam indessen heran und nahm einen glänzenden Verlauf. Tic bei dcn Mädchcn ficlcn allgemein auf durch ihre Anmuth uud ihrc hübschen, reiuen Stimmen. Beide hatten kleine Soli gesungen und ernteten stürmische» Bei fall. ' Anna war ganz überrascht und konnte sich nachher gar nicht iu daS ein söruiigc, dürstigc AlltagSlcbc» Uncin findcn. Sie war eS jetzt, dic mit dcn offenen Augcii träumtc. An das in dcr Pfütze ertrunkene Matzchen dachte sie gar nicht mehr. TaS Fest sand ein unerwartetes Nachspiel. Ein Herr, dcr dcmselbcn bcigcwohnt hatte, erschien in dcr Woh nung dcr Wittwe. Er war Mitglied einer Theater-Agentur uud erklärte, er würde die Mädchcn sofort ciigagircn >ür cine „Tourncc", die cr arraxgirte. „Ulli kcinen Preis der Wctt," sagte Louise. Anna erwiderte nichts, abcr ihrc Augen funlcltcn seltsam. Einige Wochc» vcrgirigen. währcnd denen Anna anf ihr Zicl loSarbeiictc. Sie crtrotztc von Multer nnd Vormund dic Erlaubniß, nnr einige Proben bei wohnen zu dürfen, um über ihre Stimme nnd Taktfestigteit selbst ein Urtheil z» gewinnen. Sie machte einige Proben mit nnd trat dann cinmal ans zu cincm wohltlMgcn Zweck. Sie hatte mir ein kleines solo, aber sie gefiel. Endlich gaben die Mnttcr und dcr Vormund ihre Zustimmung untcr dcr Bedingung, daß das Mädchen im Hanse blicbe nnd streng behütet würdc. Eines TageS aber entwich Anna heimlich, um eine „Tmirnee" anzutre ten Sic kam mehrmals wieder. Un terwegs wurde sie von einem anderen Agenten andei»wohin cugagnt. Ab nnd zu schicktc sie ihrer Mutter etwas Geld dann war sie verschollen, «sie sand nicht zurück. Louise blieb unvcrm-ählt bei ihrcr Muttcr, d!c ein ungewöhnlich hoycS Grciscnaltcr crrcichtc. Auch das Vö gclchcu lcbte iuzch lange und vcrlicß nie scincn Käsig. Wclchcr von dcn bcidcn Kanaricn vögelchcn war dcr glücklichcrc? Professor Pillendreher »U>cr di« WcrtlMschätztc Redaktion? Nachdem siech so viele meiner niedicini schen Kollegcn über dicse Krankhcit ge äußert haben (gestatten Sie, daß ich mitleidig die Achseln zucke), bin ich gern bereit, auf Ihr dringendes Ansuchen meine alleingiltigc Ansicht (Patciit Phi ladelphia No. M! 73) über diesen Ge genstand zn äußern. Die Jnflucnza ist eine Krankheit, an der Jeder auch leidet. Mitglieder de? Teutschen Sprerchreinigunigzvcreins be fällt sie nnter dein Namen „Grippe", weil »ran nämlich ivenui man lange daran leidet, znm G rippe abmagert. Denen, welche davon verschont bleiben, ist sie nicht gefährlich. Sie pflanzt sich durch dic Lust sort, und zwar, wie sich vermuthcn läßt, wcil sie so schnell vor schreitet, dic Telcphoudrähtc cntlang. Die Krankhcit beginnt gewöhnlich mit cincm leichten Husten und hört immer mit cincr langen Apothetcrrcchnung anf. An sich ist diesc Krankhcit nicht tödtlich, anßcr wcnn mau sämmtliche in den Zei tnngenangepriesene Gegenmittel brancht odcr wcnn man sich von ihr so lange er zählen lassen niiiß, bis man vor Lange weile stirbt. Das einzig sichere, von mir crflindcne Mittel gegen Influenza besteht in einem Pflaster, welches auf das linke Ohrläppchen geklebt wird. Diese sogen. Normalpflastcr sind in allen feineren Apotheken und in solchen Trogncnhandlungen, die etwas auf sich halten, zu haben, nur echt, wen» mit einem Normalstempel und meiner eigen händigen Unterschrift versehen. DaS ist meine feste Meinung über dic Jn ueuza. Mit geneigtem Selbstbeiviißtscin Prof. Pillendreher. Beim Heirathsvermitt» ler. Vermittler: Eben ist Zenduiig brillanter HeirathScandidatcn aligekommen. Dame: Meine Mitgist ist nicht groß. Vermittler: Hat nichts zu sagen, eS sind auch einige Beschädigte zu billigen Preisen darun ter. —Er hat Recht. Vater: Du mußt beim Lernen deiner Schulaus gaben nicht so oberflächlich sein. Was Du cinmal ordentlich lernst, kannst du nie vergessen. Sohn: Da ist es ja noch besser, wemi ich gar nichts lerne, das kann ich erst recht nicht ver gessen. Unterschied. Wie unter scheidet sich ein Gewitter von einer schö nen Frau? —Das Gewitter ist gefähr lich, wenn es im-Anzüge, die schöne Frau, wenn sie im Negligeeist. „Geld ist nur Chimäre," heißt es im Lied. „KcinGeld" ist es lei der nie.
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