Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, April 02, 1908, Image 6

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    Sein letzter Wille.
.Es soll sich lein Mensch unterste-
Ihen, mir «inen Rath zu geben! Und
wenn einer von euch einfältigen
Weibsl«uten mir den neuen Rechts-.
verdreh», den verflixten Kerl von
Avkaten ins Haus bringt, dann
dann —." Der Rest der verbind
lichen Rede erstarrt in einem undeut
lichen Gemurmel, und der Schulte
schlug mit der Faust auf d«n Tisch,
daß es dröhnte. Er brauchte auch
nicht viele mehr hinzuzufügen, denn
die also angehauchte Weiblichlichkeit
hatt«, angstvoll durcheinanderslatternd
wi« ein Volk aufgescheuchter Hühner,
die Stube verlassen.
„Gott in dem Haugen Himmel, wat
is düt mit dem Schulten?" rief,
draußen angelangt, die alt« Kathari
ne, Schulten „Haushältersche", mii
der tragischen Gebärd« einer Seherin
die blaue Schürze über dem Kopfe zu
sammenschlagend. „Kinners. wat
ick ju segge, düt geiht min Dage nich
gut! Gistern Awend vun dat leckere
Pfefferpotthast män en halwen Teller
vull. un van Middoge bi dicke Boh
nen un Speck ok män so' n« lütte
Idee. Un nu türt hei all vun dat
Testament!"
Wenn «in westfälischer Bauer bei
Pfefferspotthast halb und bei dicken
Bohnen und Speck beinahe gänzliH
versagt, wenn er von seinem Testa
mente spricht und dazu die siebzig
angetreten hat, so ist es nach allge
meiner Erfahrung meist Zeit, sich
nach Dolior und Pastor umzusehen.
Die alte Katharine, sonst nach eini
ger Aussage „en höllsch resolut Frau
insmensch", mochte nun b'i dem et
was cholerischen Temperamente ihres
Brotherrn diesen kritischen Schritt
nicht aus ihre alleinige werthe Ge
fahr hin unternehmen. Sie ent
sandte deshalb Natz, den Kuhjungen,
mit der Weisung: „Natz, riin Jung,
laup, wat de laupen kannst, in die
Stadt", um, trotz des Verbotes, den
heranzuholen, den ihr Gebieter d«m
Beherrscher d«r Hölle soeben so warm
empfohlen hatte. „Ei wat, wenn de
jung« Här män do is, denn is de
olle Brummbär ok all tofreden", dach
te Katharine.
Der Schulte saß unterdessen mür
risch in seinem Ohrenllappensessel und
dacht« noch durchaus nicht ans „Ab
kratzen", wie er sich bezüglich seines
Hinscheidens mit der ihm eigenen
Kühle auszudrücken beliebte. Er
that lediglich das, was er in seinem
langen Leben schon oft gethan: er
ärgerte sich. Und es muß leider ge
sagt werden, daß die Bezeichnung
«ärgern" für die heutige Gemüths
verfassung von Wilm-Diedrich Schul
te-Klump noch zu milde var: er
war im Grunde so wüthend, daß
«r am liebsten aus der Haut gefahren
wäre.
schwollen, die Fauste geballt, starrte
«r voll Ingrimm auf einen tags zu
vor erhaltenen Brief. Und in die
sem Brief theilte Heinrich, der bis
dahin so theure Neffe das schmü
ckende Beiwort leider im doppelten
Sinne genommen —, der nunmehr
Infame Bengel, dem er ungezählte
blaue Lappen nach Bonn und Hei
ldelberg geschickt und sogar das
Dienstjahr bei den Kürassieren in
Münster spendirt hatte, seinem lieben
Ohm Wilm-Diedrick erg«benst mit,
daß er sich in dn Kreisstadt den
Schaaken der Rechtsanwälte beigesellt
habe. Gegen diese so nützlichen
Staatsbürger hegte Wilm-Diedrich
nun aber eine Abneigung, die sich mit
des großen Friedrichs Groll gegen die
Advokaten beinahe deckte. Der Hin
rich „Avkat", der Junge unter den
Erzschelmen, seinen geschworenen
Feinden Himmeldonnerwetter, da
hörte doch alles auf. Wilm-Diedrich
kam allmählich zu dem schmerzlichen
Gefühl, eine Natter am Busen ge
hegt zu haben das Dienstjahr siel
besonders schwer ins Gewicht und
der Zorn löste sich in trübe Weh
„Wilm, Junge, wat ick di segge,
nimm di sör de Aktalens in acht"
> — „Wilm, glöv mi, de Kirls hebbt
wiederholt. Und noch auf ihrem
Todtenbette, als der Pastor schon
seine Schuldigkeit zeth-m, hatte sich
ihrem Aeltest«n zugeflüstert: „Wilm,
denk an dat mit d» Avkatens!" Aber
sie hatte in den Wind gesprochen:
kaum war Wilm Hofbesitzer, da ging
der Rummel los. — so nen
»lütten Prozeß" mußte der neue
nen Herrengesühlen nicht befriedigt.
Und als er seinen Dickkops einmal
glänzend durchgesetzt hatte, da wurde
die Streitlust noch länger. Und in
der Kanzlei häuften sich di« Akten mit
Schwänzen in allen sieben Regenbo-
und schimpfte und las ihnen schließ
lich sogar ein Reskript vom alten Fri
tzen vor, der schon ihren Altvordern,
und der Vernunft entfernt und zum
Zanken geboren sind" wegen ihrer
Prozeßwuth derbe genug die Wahrheit
gesagt habe. Aber wie sie das hörten,
da lachten sie nur, und das Prozessi
ren ließen st« nicht. Im Gegentheil:
„Wenn dat unse Altvordern all so
nee. wi siind westfälske Dicklöppe,
un wi blivt bim Ollen!"
Aber daS Ende wmmt^nach;
gelegenheit sehr zarter Natur: Wilm-
Diedrichs hartes Schultenherz war
in Liebe erglüht. Und da auch seine
Auserkorene, Schult« - Echterlamps
Kathrin-Lisebekh, ihm in zarter Nei
gung zugethan war, so hätte einer
Bereinigung eigentlich nichis mehr im
Wege aestanden. Aber da war «in-
Hinderniß; es war unumstößliche
Thatsache: Kathrin-Lisebeth hatte es
sich in d«n Kopf gesetzt, sie wollte «ine
schriftlich« Erklärung haben. Und die
hatte dem kraftvollen Beherrfcker des
Schsitenhofes mehr Kopfschmerzen
gemacht als manchem Forscher das
Welträthsel und die Entstehung alles
schwierigen Minneprobe brütete und
spintisirte, hatte das Schicksal seinen
juristischen Beistand, den später tau
sendmal in alle höllischen Abgründe
verwünschten Justiz - Kommissar, auf
den Hof geführt „No, Schulte, wo
stecht et denn mit de —
im Zange, äwerst leiwer Gott,
Här Kommissär, dat Kathrin, dat is
so'n nimodisch Frauensminsch sei
is in 'ne Pankschjohn w«st, un h«t
dat nu mit Bildunge und Klaverspe
len, un hölt mächtig vel vun Dichters
und so 'ne Lüt. Un nu sin se denn
up Echterlamps Hofe up d« „Alte un
Neue Welt" un denn noch so'n'Blält
ken ut Mönster oder Paderborn abun
nert, un do is nu just 'en Romanen
'ne sranzöske Markise dür drei Kapi
tels umschichtig met Breiskes in ehren
Leiweshandel utenanner selten. Un
Kathrin hett sick dat nu in 'n Kopp
set: Sei will pattuh 'ne schriftliche
Verklärung Hebben anners wör dat
Schulte, wo kllmmt hei denn domet
torecht?" „Je, dat segg ick män, Här
Kummissär." Und schließlich hatte
der sehr vergnügte Herr Kommissar
selbst zu Tinte und F<der gegriffen.
ten Wilm die feurigste Liebeserllä
t-ntocht.r in all« .eben H.mme v«r
Der Erfolg war glänzend, aber
dem schalkigen wirklichen Bersasser
ging es wie einst dem liebeglühenden
trapläsier that 's die über ihren ge
bildeten Wilm strahlende Kathrin
nicht. Der Herr Justiz-Kommissär
aus das geschäftliche Konto Schulte-
Klump übertragen. Und acht Wochen,
nachdem Kathrins hochbepackterßraut-
Schulte, wollte den Deubel thun und
das b«zahlen! Und das Ende von
Wilm-Diedrichs romantischer Periode
donnert worden.
Zum „Uhlenspeigel" h'-itte er sich ge
macht, und die nichtsnutzigen „Kirls"
allen andern vorab bestimmt. Na, die
mochte er denn in Gottes Namen
kriegen, davon konnte er nicht über
Strahlend ging d«r Schulte ans
Werk. O, die Sache konnte er be
wältigen, das war eine „Geisterar
lxit", die ihm lag, die floß leichter
auS der Feder als damals di« ver
flixten Liebesbriefe! Und ein Haupt
spaß, daß kein „Avkat" daran ver
dient«. Ei was, heutzutage war di«
Sache einfach: der letzte Wille aufge
schrieben, Ort, Datum und Name
drunter Punktum, die Sache war
ferUg!
für einen „Avkaten" verknüpfte herbe
Enttäuschung. Bis dann der Ge
danke an die mit diesem sonderbaren
freudigen Ereignisse weiterhin ver
knüpfte gewaltige Erbschaftssteuer, die
der Racker von Fiskus schluckte
seine Neffen und Nichten waren sehr
vorsichtig in der Wahl ihres Erbon
kels gewesen ihn wieder in die ge-
Aber halt, was war das? Der,
ger Schatten fiel draußen über den
W«g.Kathrins, der „Haushälterschen",
Bote hatte seine Schuldigkeit gethan.
Erblasser und Enterbter standen sich
Sprachlos vor Wuth starrte der
Schulte seinen riesigen Neffen an.
„Sieh, sieh der Herr Avkat das
ter Gift.
„N Abend, lieber Onkel," erwiderte '
der Neffe seelenruhig.
in Heller Wuth, „lieber Onk«l?! Na
nixnutzen Kniffe lir:.st? Und hew ick
di daför dat Deinstjohr bi de Küras
sier« spendirt? O, iawoll, de olle, bra
ve, sachmäudige Ohm möt de Mone
ten schicken, un de heimtücks!: fine
Här Nevöh d«iht alles, wat hei will!
Weg da, Avkatenrüe!" Damit bekam
auch Karo, der sich harmlos dem Oh
renklappensessel nähernde braune
Hühnerhund des Herrn Rechtsanwalts
keit".
„Scheinst ja höllisch guter Laune
heute, Onkel", warf der Neffe, seinen
erschrockenen Karo streichelnd, etwas
beklommen «in.
„Guter Laune? O jawohl, ich bin
sehr guter Laune, ick bii t sogar hell
schen fidel van Dage!" Und plötzlich
kam dem Alten ein Gedanke: Hei,
upsett, en Testament nenn sick dat.
Das ist vielleicht —" jetzt schlug der
Hohn wieder in Hochdeutsch um
„vielleicht von Interesse für den Herrn
Rechtsanwalt". Heißa, jetzt kam die
Rache!
weife Mutter sorgt zuweilen
für Ausgleich: diesem Neffen hatte sie
ein Temperament verliehen, das ihn
men. Theils aus angeborenem ni«-
dersächsifchen Phlegma,, theils aus
philosophischen Beweggründen: der
Herr Rechtsanwalt ärgerte sich ni«.
Neffen Gesicht. Aber, zum Kuckuck,
Himmel all« Wetter, wollte der ihn
Aber Wilm-Diedrich hatte keim
Zeit, sich über diesen Punk! schlüssig
zu werden. Denn es ereignete sich et
was, was zwischen Onkel und Neffen
im allgemeinen höchst selten vorkommt,
und was ihm seit seinem nachmals so
oersalzen«n Liebessrühling überhaupt
nicht mehr passirt war: er fühlte sich
plötzlich von zwei Armen umschlun
ein herzhafter, leider etwas stachliger
Kuß. „Nee, Ohm, das ist zuviel
vierzigtausend Mark vor allem an
dern noch vorab, das iab' ich nicht
verdient", stammelte der anscheinend
ganz ergriffene Neffe dazu.
„Bierzigtausend Mark vorab?"
schrie Wilm-Diedrich, «Junge bist
du ver —"
Aber d«r schlaue Herr „Avkat", d«r
ntt seinem hellen Kopse die Sach-
»Nein Ohm, laß nur ich kenne
dich rauhe Worte sind bei dir
stets die Verboten ..euer Güte! Wie
hast," sagte er bewundernd, „nein,
nein, dies Testament ist in der That
ein kleines juristisches Meisterstück.
Gerade der betressende Passus laß
langsam, klar und deutlich klang dem
ganz versteinert dasitzenden Schulten
sein bündiges Machwerk ans Ohr.
Jetzt jetzt kam's!
„Von dem vorhandenen Baarver
mögen bekommt vorerst auf den
Wunsch meiner verstorbenen Ehefrau,
den ich wahrhalten will, mein theurer
Neffe Hinrich, der Herr Avkat"
der Bengel nahm den Hohn auch noch
für Ernst! „der Herr Avlat sein
Pathengeld, vierzigtausend Mark,
ausbezahlt. Das ganze übrige Bank
vermögen geht dann in gleich« Theile
unter m«ine Neffen —" Teufel noch
mal, dann kriegte der B«ngel ja die
doppelte Portion! „Wer an diesem,
meinem letzten Willen rüttelt, ist ein
Lump", verlas der schlaue „Avkat"
inzwischen laut und vernehmlich den
letzten Schulte'schen Lielxsgruß a?
Wilm-Diedrich Schulte-Klump war
sprachlos und li«ß sein Haupt sin
ken. Das Testament ändern, dem
Jungen, «in«m „Avkaten" zugeben,
daß er. der Schulte, irren, etwas
verkehrt machen konnte? Lieber moch
te der Junge in drei Teufels Nam«n
das Geld kriegen! Und dann: um
stoßen und rütteln? Nee, wat schri
wen is, is schriwen, das war uralter
Grundsatz auf Schult« - Klumps
Hof.
Als sich aber kurz nach dieser Un
ierredung das Hofthor hinter dem sehr
zufrieden schmunzelnden Herrnßechts
anwalt schloß, da flog drinnen ein
harmloses Tintenfaß mit gerade so
kraftvollem Schwünge gegen die weiße
Wand, wie jenes, da Doktor Luther
mit dem Teufel rang. „Un dat was
de letzt« Dintenpott up Schulten
H?f!" murmelte der zornige Schleude
re? Zwischeuakts-Tichter.
.ES werden kein« Stücke mehr ge
schrieben, es ist zum Verzweifeln!"
Max Koller, der Direltor des
Stadttheaters, rief es erregt seinem
Sekretär zu, indem er ein broschirtes
Hes! auf den. Tisch warf.
„Diese ewige Armeleutskomödie!
Lockt leinen Hund mehr hinterm Ofen
vor. Fünfzig Studentenstücke und
keines brauchbar! Leutnantsschwänke
hat das Publikum auch satt diese
Schablonendichter, diese dramatischen
Wiederkäuer! Kein« originellen Ge
danken mehr, keine Zugstücke hei
lige Charlotte Birch - Pfeiffer, wie
thut man dir unrecht komm aus
d«r Gruft und hilf uns!"
Der nervöse Theatermann blieb
st«h«n:
„Haben Sie denn unter all dem
Wust da etwas Brauchbares gefun
den?"
Der Stkretär lachte bitter, auf ei
nen Haufen lose durcheinander ge
worfener Bücher zeigend, die hinter
dem Schreibtisch bis zum Fenster
aufgethllrint lagerten.
„Lauter Schund, Herr Direktor!
Entweder gelehrte Oberlehrerstücke,
bei denen die Leute einschlafen, oder
unreifes Naturalistengestammel, aus
dem man vor lauter Fragezeichen un»
Gedankenstrichen nicht klug wird; der
Herr Dramaturg ist schon ganz tief
sinnig geworden!"
„Ach, dieser Theoretiker, was ver
steht so ein Bücherwurm vom Thea
ter, die ganzen Dramaturgen soll
der Teufe!
Der freundliche Wunsch war noch
nicht dem Gehege der direktorialen
Zähne entronnen, da klopfte es stark
an der Thüre zum Sprechzimmer.
„Herein!" Und ein trat ein sonder
barer Gast. Ein dünner, kleiner
Mann mit grauen Locken bis auf den
Rockkragen, mit einem keck aufgewir
belten Schnurrbart und Kinnstiick
l-i Napoleon 111. Wäsche zweifelhast,
Fingernägel zweifellos nach der
negativen Seite hin. Unter dem Arm
ein Manuskript... ,
Dem Direktor schauderte. Als Ken
ner übersah er mit einem Schlage die
Situation: Wieder ein siinf-süßiger
Jambendichter!
.Bedaure, die Sprechstunde ist vor-
Aber der Poet unterbrach ihn mil
ganz hoher Fistelstimme:
Herr Direktor, denn in der Sprech
stunde haben Sie ja doch nie Zeit!"
Und die kurze Verblüffung des
Bühnengewaltigen über diese uner
wartete Wendung benutzend, fuhr der
„Was ich bringe, ist etwas ganz
tionelles! Wenn es für theatralisch«
Ideen ein Reichspatent gäbe, ick
! ° Dieses
Mund, diese Stirn Sie retten der
Literatur einen Auserwählten, Sie
schenken dem deutschen Bolle den lan
ge gesuchten Dramatiker, der die ger
manischen Völker aus dem Maras
mus moderner Uebertultur zu den
Sonnenhöhen naiver Boltskunst füh
ren wird ich grüße Sie Heil
Ihnen!"
Der Direktor warf seinem Sekre
tär einen Blick zu, in dem alles lag:
Wie schmeißen wir den verrückten
Keil am schnellsten 'raus?
Aber schon rasselte die Blechtroin
pet: des Poetenorgans weiter: „Seit
einem Menschenalter kämpfe ich ge
gen Stumpfsinn, Geistesträgheit und
öde Gleichgültigkeit wie eine Löwin
um ihr Junges! Herr Direktor, heute
ist der Tag, an dem ich das fünfund
zwanzigjährige Jubiläum der ersten
Zurückweisung meiner Reformidee
feiern könnte er soll mir Sym
bol einer besseren Zukunft sein! Herr
Direktor, Ihnen vertraue ich mein
Heiligstes an meine Lebensarbeit,
abgerungen in Entsagung und einsa
mer Größe gegen Banausen und
Dummköpfe, lesen Sie, denn Sie
verstehe» etwas!"
Und das Manuskript lag auch
schon ausgeschlagen auf dem Schreib
tisch der Zeigefinger des Poeten
malerisch auf den Zeilen, die graue
Mähne flatternd um das ambrosische
Haupt, der schmierige Schlapphut
kühn im Genick jedenfalls ein
Original! Jetzt faßte sich der Direk
tor:
aentlich? Meine Sprechstunde ist vor
„Ebendarum bin ich ja hier! Neh
men Sie Platz, theurer Direktor, ick
siehe Sie an: Nehmen Sie Platz!
In fünf Minuten sind Sie einge
weiht, in zehn Minuten haben wir den
Contrakt abgeschlossen, und in fünf
zehn Minuten werde ich Sie dann
mit einem kleinen Borschuß verlassen
haben! Ich bitte —"
Schier magisch zwang der kuriose
Unbekannte den Direktor in seinen
Scrgenstuhl. Der Direktor wollte
schon nach dem sehr kräftig gebauten
Theaterdiener läuten, aber da tönie
es schon wieder in Eilzugstempo von
den blutleeren Lippen des unheimli
chen Gastes:
„Und nun mein« gigantische Re
sormationsidee, einfach, klar, logisch,
da? theatralische Ei des Kolumbus!
Sehen Sie, theurer Direktor, die
Klassiker ziehen nicht mehr, jeder
Schuljunge kann seinen Schiller aus
wendig, nur noch zu ermäßigten
Preisen locken Sie diese »niiser.'t
pwi>« in die heiligen Hallen Ihres
erbabenen Musentempels! Aber ich
verschaffe Ihnen ausverkaufte Häu
ser, ick belebe das Interesse an den
unsterblichen Schöpfungen unserer
Titanen akfs neue, ich zaubere eine
ungeahnt« Idealwelt für das arbei
tende deutA« 8011, ich zwinge die
Gegenwart zur Anerkennung der
der Zukunft! Ich bring« ganz einfach
auf die Bühne, was unsere Klassiker
in die Zwischenakte verlegt haben
ich bin der Zwischenakts-Dichter un
serer Unsterblichen! Hier lesen Sie,
theurer Direktor: „Wilhelm Tell im
Kreis« der Seinen" eine Idylle
in einem Aufzug mit Gesang und
Tanz"
„Jetzt ist's aber genug, H«rr, ich
bin nicht zu Späßen aufgelegt, ich
bin beschäftigt —"
„Tbeurer Direktor, schauen Sie
mir ins treue deutsche Auge! Lesen
Sie darin nicht hehre Begeisterung
für das Höchste? Hören Sie nur.
wie mein Wilhelm Tell beginnt!
Teils Frau putzt die Fenster und jo
delt, Walter Tell macht seine Schul
arbeiten, während der Bater —"
Jetzt war der Sekretär ausgesprun
gen und hatte mit dramatischer Kraft
das Buch zugeklappt, indem er rief:
„Herr, es ist genug —"
Aber schon zog der haarbuschige
Mann ein zweites Manuskript aus
d«m settglänzenden Rock und flötete
in süßestem Flüsterton:
„Theurer Direktor, es muß ja
nickt gerade Wilhelm Tell sein! Hier
Personen: der Generalissimus, die
Herzogin, Thekla und Max ge
statten Sie, daß ich nur erste
bei, Wollenstem blickt auf —"
tion.
Jetzt schien der Direktor plötzlich
bester Laune zu sein:
..Allerdings, mein Bester, Vor
schuß! Denn Sie haben ein« Göt-
allein! Dramatische Feinschmecker wie
ich, wollen im Genuß nicht gestört
sein! Also wenn Ihre Forderung
nicht zu unbescheiden —"
„Theurer Direktor, sehe ich aus
wie unbescheiden? Aber ich spll mich
von meinen Geisteslindern womöglich
über Nacht trennen das hat mir
noch kein Direktor zugemuthet!"
„Was sind Si« eigentlich daS
heißt, ich meine richtiger: Wovon le
ben Sie? Denn daß Sie Dichter sind,
weiß ich ja nunmehr, ab«r die Quelle
Ihrer Einkünfte —?"
„Ist allerdings nicht die Dicht
kunst, leider, theurer Herr Direktor!
Ick bin Cigarrenfabrikant das
heißt, .ich fabrizire selbst für eine
Fabrik Cigarren, meine Frau und
Tochter Kelsen, ich thue es ungern,
aber ich thue es! Früher war ich
Theatersriseur, aber eine ungliicklicke
Liebe zwang —"
viel Borschuß?"
..Theurer Direktor, setzen Sie mir,
bitte, die Vorschußpistole nicht sd
plötzlich auf die Brust, das verwirrt
mich blättern Sie doch im ersten
Buch, Sie finden da noch „Hamlet
auf der Universität zu Wittenberg"
und das Notturno „Der alte Moor
im Hungerthurm" —"
„Ich lese alles, seien Sie über
zeugt, also wieviel Vorschuß oder
Le hgebühr, denn das geistige Eigen
thumsrecht bleibt Ihnen!"
„Theurer Direktor, sehen Sic den
zweiten Band: da ist noch die reizen
de Schelmenscene „Maria Stuart bei
Lord Lester" und mein bestes Zwi
schenaktsorama „Muley Hassan auf
der Galeere" das kann man so
gar mit Schillers „Fiesco" aussüh
cher!"
„Verehrter, nun aber Schluß
Sie sind jetzt über fünf Minuten da,
gegen die Abrede!"
„Aber theurer Direktor, wir haben
ja den Contrakt auch noch nicht ab
geschlossen!"
„Also ich biete fünfzig Mark für
leihweise Ueberlassung beider Band«
aus acht Tag«, dann holen Sie Ihre
einzigartigen Werke wieder, und wir
dürften beide zu frieden fein! Abge
macht?"
„Theurer Direktor, fünfzig Mark
ist viel, aber eine solche Trennung
ist noch mehr sür mich, geben Sie
hundert Mark, und ich gestatt« Ih
nen, sich selbst als Verfasser auszu
geben unter Ihrem Namen sollen
die Kinder meiner illegitimen Ehe
mit der Muse sanktionirt werden!"
„Auf die Ehre verzichte ich aus
angeborener Bescheidenheit, aber, Se
kretär, geben Sie dem Kassirer eine
Anweisung auf einen blauen Lappen
für den genialen Zwischenaktsdichter!
Adieu, Verehrter übrigens, wi«
heißen Sie?"
„Erwin Sl«in, Charakterkomi
ker," tlang «S plötzlich mit sonorer
Stimme, d«r Kn«belbarl flog in die
Ecke, die wallende Haarperücke mit
dein schmierigen Schlapphut ebenfalls,
der defekte Paletot schwand, und ein
glattrasierter Mime mit kurzem Haar
und lustigen Augen stand verbindlich
vor dem Theatergewaltigen. Noch ehe
Direktor und Sekretär sich erholten,
fuhr der Komiker fort: „Mein Gast
spiel liatten Sie schriftlich abgelehnt,
es wäre keine Aussicht auf Engage
ment für mich im nächsten Jahre
nun hörte ich aber gestern, Sie suchen
dock einen Komiker für di« nächste
Spielzeit, und so habe ich mir er
laubt, so eben ein kleines Probegast
spiel zu absolviren; hundert Mark
Honorar haben Sie ja gütigst schon
bewilligt wenn Sie mich also nicht
brauchen lönnen. habe ich wenigstens
die Reisekosten ersetzt. Oder darf ich
auf Gastspiel hoffen?"
Erwin Stein ist noch heute als
beliebter und trefflicher Komiker bei
dem düpirten Direktor. Aber trotz
dem behauptet der Bühnengewaltige:
Steins beste Rolle, die mir am mei
sten imponirt hat, war doch sein
„Zwischenakts-Dichter"!
Hühnerbeileid. Mutter:
Denk' mal, Fritzchen, unser schöner
Hahn ist kaput gegangen! Fritz
chen: Ob denn da wohl die Hühner
vor Trauer schwarze Eier legen
werden?
Zur Abwechslung. Herr
(welch«r sich beim Arzt «inen Zahn
hat ziehen lassen und nach einigen
Tagen wiederkommt): Aber sagen
Sie mir nur um Gottes willen, Herr
Doktor, was soll ich denn nur mit
der dicken Back« machen? Zahnarzt:
Spielen Sie ruhig zur Abwechslung
mal acht Tage lang den „Geschwol
lenen".
Unverfroren. Reicher (zu
seinem Nachbar): Wie Sie wohl
wissen werden, hat mir der Arzt das
Holzhauen empfohlen; da ich mich
nun aber mit verkleinertem Holz
auf Jahre hinaus versorgt habe, will
!ck. wenn Si« damit einverstanden
!ind, nun Ihr Holz vornehmen, wel
ches Sie im Hos« steh«n haben!"
Metzger: I«, ja, ich bin schon ein.
—Poesie und Prosa. Friiu»
ich —!" Er: ~Ach was! Txr Fuchs
tragen!"
Zukunftsbild.
Jnnungsmeister: „Also, Sie
wollen die Gesellenprüfung ablegen.
Haben Sie eine vierjährige Lehrzei!
hinter sich?"
Lehrling: „Ja!"
Meister: „Was haben Sie da
Lehrling: „Gearbeitet? Nichts
sperrt?"' '
Unverbesserlich. Anwalt
nichts, Herr Rechtsanwalt."
Sohn (zerknirscht): „Ich gehe ins
Wasser, wenn Ella mich nicht
Bater (warnend): „Thu's nicht,
Karl Du kennst 's Wasser nicht!"
Beleidigt. Chef (erzürnt
für Sie abgeschlossen habe!"
Boshaft.
Köchin (als ihr die Gnädige vor
Mahlen gibt): „Was, gleich acht
scher: „Nei, Sie kenn i nüd, aber min
Rägeschirm, wo Sie in Hände trä
g-d!"
Zaghaft.
Barbierlehrling (nachdem
er den Fremden auf der rechten Wan
ge viermal geschnitten hat): „Wollen
Sie die and're Hälft' auch noch ra
sirt haben»"