2 Der Primus. Die beiden Nachbarjungen waren befreundet, solange sie denken konnten. Bon der Zeit an, da Kurt Riemaim und Rudolf Keller selbständig die Straße unsicher machten, von der Zeit von Rudolf's Eltern. Als die kleinen Freunde das sechste hatte eigentlich die Elementarschule be suchen sollen, aber Kurt's Vater hatte sich bereit erklärt, die Kosten für Ru dolf zu tragen. Er machte dem subal- Knaben für die paar Jahre zu trennen, und so nahm dieser das Anerbieten mit Dank an. Der kluge, lebhafte, rasch in der Schule, er hatte nicht nöthig, sich viel anzustrengen. Rudolf mußte sich dagegen tüchtig Plagen. Er sah ihm in den Sinn. Er drückte während der ersten Schuljahre stets die letzten Bänke. Ostern darauf kam der große Au genblick des Eintritts in'sGymnasium. Auch hier bestand Kurt bei der Auf nahme vorzüglich und kam als erster in die Sexta. Mit freudigem Stolz trug er nun die rothe Mütze. Rudolf hatte bei seiner Aengstlichkeit, die ihn gerade in entscheidenden Augenblicken häufig befiel, keinen besonders guten Eindruck gemacht. Er kam auf die vor letzte Bank. Dieses betrübende Er gebniß entmuthigte ihn jedoch keines wegs. Nur um so eifriger strebte er danach, in die Nähe seines angebeteten Freundes zu kommen, der spielend das leistete, was ihm so schwer wurde. Die Jahre gingen hin. Es blieb im ganzen immer dasselbe Bild. Kurt behauptete ohne große Anstrengung seinen Primusplatz, und Rudolph blieb bei stetem Eifer nur ein Durch schnittsschüler. Immerhin erklomm er dank diesem Eifer langsam höhere Plätze. Die Freundschaft der beiden es einmal einen Streit zwischen ihnen und hatten sie beschlossen, sich „nie wie der anzusehen", so war es nach diesem finstern Entschluß keinem recht wohl. Verdrießlich lehnten sie an den sich ge genüber liegenden Hausthüren, sich scheinbar gar nicht beachtend, bis spä testens am zweiten Tage ihre Blicke „zufällig" aufeinander trafen. Dann glätteten sich die finstern Stirnen, mit Hellem Lachen sprangen sie über die Die Versetzung nach Sekunda stand bevor. In Kurt lebte zu Ende des Rudolf dagegen hatte die Arbeit feh lerlos geschrieben. Er hatte sich über haupt im letzten Jahre auffallend gün- Die ängstliche Scheu war ganz aus sei- Die Versetzungsstunde ist da. Die Censuren sind bereits vertheilt, und es verlesen. Nun kommt die Obertertia dran. Kurt fühlt, wie ihm plötzlich das Herz fast still steht. Eine wahn sinnige Angst packt ihn. Wenn er nicht Primus würde? Es ist eine furchtbare halbe Minute, während der Direktor das letzte Verzeichniß zur Seite legt und das folgende zur Hand nimmt. Tiefe Stille in der weiten Aula. Kein Ton ist hörbar. So still ist es doch noch niemals gewesen in dem von Lehrern und Schülern gefüllten Raum! Oder scheint es dem erregten Knaben nur so? Ob man nicht sein Herz schlagen hört? Der Direktor räuspert sich, über fliegt mit den ernsten bebrillten Au gen die Reihen, und dann haftet sein Blick aus Kurt. Riemann, es thut uns allen leid, daß wir Dir diesmal nicht Jahr etwas zu leicht genommen mit Deinen Pflichten. Möge es Dir eine Mahnung sein, daß auch der größten Begabung sich eines zugesellen muß: stetiger Ernst. Ich verlese nun die Reihenfolge der neuen Untersekunda: Rudolf Keller, Kurt Riemann, Fritz Schlegel —. Vor Kurts Ohren ver- Gefühl sitzet ihm in der Kehle. Mt wollte er sagen: Sieh, ich mach' mir gar nichts draus! Der Versetzungsakt ist zu Ende. Die Lehrer haben die Aula verlassen und die Schüler strö men, theils freudig erregt, theils still und bedrückt dem Ausgang zu. Ru- Dank! Ich glaubte schon, Selbstverständlich! Kurt stößt das neuen Straße. Aus Widersetzen! Da braucht hat. Nur allein sein will Kurt. Im Park, im tiefsten Dunkel der ur alten Tannen, da wirft er die Maske sich selbst, auf die Lehrer, auf Rudolph Platz nach all' den Jahren! Nun erst, alle Kraft zusammennehmen, und nächste Ostern wir er Primus der Obersekunda sein. In Rudolfs arglosesGemüth kommt kein Zweifel an Kurts unveränderter Freundschaft. Daß Kurt ihn biswei len mit verletzendem Spott behandelt, Kurt nicht, Rudolf zu überflügeln. Er bleibt in allem der Erste, Kurt der Zweite. Gerade jetzt, wo es darauf wieder Ostern, und Rudolf bleibt Pri- Kurt innerlich. Rudolf, der treffliche Musterschüler! Und es wird so blei ben, er, Kurt, kann nicht wieder Pri dann, es ist keiner in der ganzen Klasse, der sonst Primus sein könnte, als er, Kurt. Ja, wenn Rudolf nicht mehr da wä re; Kurt erschrickt vor sich selbs! bei so finstern Gedanken. Ist er schon so schlecht, dem liebsten Freund den Tod Rudolf ist ein so gesunder, frischer Kurt sieht schlecht aus. Der fort- Fluß hinauswagt, beinahe unter's Wehr. Kurt, schon in voller Klei dung, verfolgt vom Ufer aus mit aber Kurt dünken sie eine Ewigkeit. Es graut ihm vor sich selbst. Hat er wirtlich gewünscht, daß der Strudel den Freund? Und hätte er nicht selbst, unbekümmert um die hemmende Klei dung. in die Fluthen stürzen müssen, mitzuhelfen? kend, daß Rudolf gerettet ist. kann er sich selbst nicht erklären. Mit bitterem Gefühl sieht er Ostern entge gen. Primus omnium! Der Erste des ganzen Gymnasiums, eine Stel lung, die Lehrern und Schülern Ach tung abnöthigt. Und ihm gehörte die ser Ehrenplatz, wenn nicht Rudolf Im März erkrankt Rudolf an Scharlach und Diphtherie. Der stram me Junge hat in den letzten Jahren nicht ein einziges Mal gefehlt. Kurt sitzt nun wieder als Erster. Es ist ihm eine Qual. Am liebsten hätte er Wesen. Um Rudolf steht's schlimm. Kellers Hausthüre: Wie steht's? Und immer gleich trostlos die Antwort: Schlecht. Und zuletzt: Hoffnungslos. Am frühen Morgen späht Kurt niiim. Und dann ist der Freund todt. Die letzte Nachricht am Abend hat trostlos gelautet, und Kurt hat die fragen: Wie steht's um Rudolf? Trok die Mutter in schonender Weise: Ru dolf ist todt. Nun ist der Platz des Primus frei, der des Freundes leer! Die Mutter Der Direktor des Gymnasiums be sucht ihn nach Schulschluß und bringt ihm seine Censur. Sie sind als Er ster nach Prima versetzt, so spricht er, der arme Keller ist ja todt. Wir haben alle viel an ihm verloren. Kurt nickt schweigend. Am ersten Schultag nach Ostern geht er zum erstenmal wieder zur Schule. Er ist zeitig von Haus weg gegangen. Er muß vor der Morgen nium wird? Vielleicht ein Ihnen un günstiges Aufsehen? Ich weiß, Herr Direktor, aber ich nicht! Der Direktor faßt die Hand des Schülers, der ihm um Jahre gereist ich Sie.richtig beurtheile, bringen Sie durch Ihren Verzicht ein Opfer, das die Gedankensünde, sich ImCaf 6. Gatte (auf eine felt): „Jetzt bin ich bereits zehn Jahre Die Hungerkur. Ich war angenehm überrascht, den schönen Willi, den ich für einige Zeit aus den verloren auf, nichts auf der Welt könne eine ten als der Riesenkörper Willis mit ein Wirthshaustisch. fließend wie Hochdeutschs Kein Wun dieses idyllischen Gebirgsthales leb ten,'daß sich zuweilen eine Zusammen kunft in irgendeinem Gasthause zwi schen unseren Wohnorten ermöglichen Erhebliches, sangen zu einem etwa vorhandenen Klavier, das Willi mei sterhaft schlug, unzählige Rhein- und Weinlieder und gaben den Eingebore nen eine sie regelmäßig zu einiger Un solidität verführende Borstellung in Kölner Gemüthlichkeit. In gewohnter Weise zeigte Willi sich bei meinem Anblick erfreut. Aber sein Lachen war magerer als sonst. Eine leichte Wehmuth lag um seine Augen und das seifte Doppelkinn, das mir sogar um einige Linien schmaler als gewöhnlich erschien. Mit einem Seufzer, wie. ihn wohl der Mensch aus stößt, wenn er vergangener, glückliche rer Tage gedenkt, ließ er seine Leibes fülle wieder auf den Stuhl sinken. Ich sah ihn erstaunt an und musterte mit Gerolsteiner Wassers vor Willis Sitz. das Fett fort, sagte er. Geschimpft sollte mich schämen, mit 24 Jahren 280 Psund zu wiegen. Wenn ich nicht ein anderes Leben anfinge, wäre ich in den ich habe. Na. ich hungere natur Willi ließ das feiste Doppelkinn, seines in der That schönen, aber so fetten Angesichts bildete, in den weiten Kragenausschnitt sinken und starrte trübselig aus die Flasche Gerolsteiner. Morgens zum Kaffee ein trockenes Brötchen, berichtete er mit dumpfer Stimme, Mittags mageres Fleisch und Gemüse, keine Suppe, keine Erd äpfel. Nachmittags wieder ein trocke- Kost, keine Butber, nichts Fettes! Aepsel essen. Bier soll ich nicht trin ken, nur sauren Mosel und Wasser. Ist das ein Leben! ' Wie lange hungern Sie schon? fragte ich. Seit zwei Tagen, antwortete er mit einem Nachdruck, als handle es sich um ebensoviele Jahrzehnte. Und wie bekommt die Geschichte? Willi schnitt eine Grimasse und fuhr mit der fleischigen Hand über die wei ten Körpergefilde, die seine blauge tupfte, seidene Weste bedeckte. Immer leer hier, immer müde und schlapp. Und dabei soll ich laufen, Berge klet tern, radfahren, Holz sögen, das hält Willi schlecht. Sein Mund lachte Wohl, ders. Glücklicherweise erschien nach einer Weile Herr Alfred, der Großgrundbe sitzer, im Rahmen der Stubenthür. Willis Augen leuchteten auf. Das jenseits der 200 Pfund befand. Wasser? frug auch Herr Alfred, während er seinen breifchulterigen widerte Willi in gelassener Seelen größe. Herrn Alfreds Augen funlelten in reinem Vergnügen. während er einen Luft gebeiztes Gesicht strahlte, indem sterte. Wie langt? fragte er lachend. Seit zwei Tagen ist lein Tropfen Bier, kein Loth Butter oder Kartoffeln Morgens trockenes Brötchen, Mit tags trockenes Fleisch, Aepsel, Apfel wein u. s. >w.? forschte 'Herr Alsred. Ich kenne das, habe es selbst mitge „Nein, Sie halten es nicht aus, sprach Herr Alfred unbeirrt weiter. Kein Mensch hält das aus, und wenn In Willis Augen ging der Schein eines lebhaften Verständnisses für Alw?d. 80, sagte Willi lakonisch. Die dazu überflüssig. Ich habe 30, bin zwar auch schon älter als Sie, aber das kommt auf Aber nichts ist dagegen zu machen, das sage ich Ihnen. Ich habe gehun gert, bis ich nicht mehr wußte, wie ten. Wie geht denn das? fragte Willi Wochen hat man sein altes Fett wie der. Willi ließ das Doppelkinn wieder in den Kragenausschnitt sinken und Herr Alfred griff zu Willi ! sprach- Aber der Anblick des Schinkens ver der Schinken aus; überdies war er ja auch mager. Herr Alsred hatte gewiß auch recht, er sprach aus Erfahrung. Unterwelt hinabsandte/ Ä)as Wassertrinken ist auch verkehrt, mahnte Herr Alfred kauend. Leichtes Bier, wie dieses hier, bekommt besser! Willi sah ihn an, als vernehme er eine unglaublich fröhliche Botschaft. Meinen Sie? sagte er unsicher, aber strahlenden Angesichtes. Ich spreche aus Erfahrung. Mün chener brauchen Sie ja nicht zu trin ken, aber solch ein leichtes Weißbier chen ist eher nützlich als schädlich. Willi bestellte sich unverzüglich ein Glas Bier, goß es in einem Zuge hin unter, sah dankbar sein Gegenüber an und bestellte sich ein zweites. Dann zündete er sich Nach beendetem Essen eine Cigarre an und setzte eine so ist, der sich aus verwirrendem, entner vendem Irrthum zu einer großen, be seligenden Wahrheit durchgerungen hat. Für einen Augenblick nur zogen noch einmal die beunruhigenden vori gen Zweifel über sein Posaunen- Engel-Gesicht. Glauben Sie denn wirklich, daß Bewegung allein mir Hilst? fragte er Herrn Alfred. Ich weiß es aus Erfahrung. Seit ich mein Gut habe, werde ich nicht schwerer. Morgens klettere ich auf meinen Gaul und reite ein paar Stun den über die Felder. Nachmittags geht es regelmäßig aus die Jagd. Aber ich habe nicht Gaul, Gut und Jagd. Sie haben aber Beine. Gebrauchen Sie die nur täglich, dann macht sich alles. Natürlich etwas vernünftig muß man leben dabei. Kleinigkeit, sagte Willi unterneh mungslustig und trank sein drittes Glas aus. An die leckeren Bratkar tofseln, seine größte Schwäche, die er bisher in ansehnlicher Menge schon zum Morgenkaffee „hinuntergefchab bert", dachte er augenscheinlich nicht. Also keine Kartoffeln, sparsam Fett Hunger ermahnt und dann Bewegung, Bewegung! faßte Herr Alfred seini Belehrungen zusammen. Bewegung, echote Willi begeistert und bestellte sich dann mit Herrn Alfred ein neues Glas. Ich dacht« einen längeren Urlaub nehmen, den Tornister schnallen und einen Spazier gang nach Syrakus ausführen. Ich wette, wenn Sie dort ankommen, sind Sie schlank wie ein Schneidergefelle. Das hält er nicht aus, belehrte He« Alfred und sandle mir einen strafen den Blick zu ob meines Eindringens i» die Gespräche zweier Fachleute. Auch gibt es heutzutage an allen Landstra ßen zuviele Wirthshäuser. Nein, hier in den Bergen und Wäldern muß er täglich umherklettern. Zwei Stunden täglich genügen Das machen wir. jubelte Willi, morgen wird Seine Als das neunte oder zehnte Glas ge füllt vor Willi stand, verfiel er für einige Augenblicke wieder in ernsthaf tes Nachdenken. Dann sprach er tief sinnig: Was hat denn überhaupt der Mensch vom Leben, wenn er nicht essen und trinken darf? Noch sann er einigt Augenblicke. Dann griff er nach der Speisekarte und studirte sie eingehend. Nichts al? die Lippen bewegten sich in seinem Gesichte. Stillschweigend und ent schlossen griff er nach der Klingel. Lenchen, sprach er leichthin zu der Magd, bringen Sie mir eine Portio». tofseln. r«r batttrienfrtt« Zweikampf. Eine geistreiche Verspottung des sie sich den Anschein den Käm pfern gute Rathschläge für die beim Waffengang zu beobachtenden hygie namentlich auch von der keimfreien Beschaffenheit der Zweikämpfe! selbst und dessen, was sie auf dem Leibe tra- Thür öffne, um sich auf ihre Opfer zu stürzen. Für den Zweikampf der Zu kunft wird man nach dem Pariser stet, mit Alkohol entfettet und aufs In Konstanz hat vor Kurzem eine heitere Vorstellung stattgefunden. Man gab: „Die Kinder der Excellenz" von Wolzogen. Als der Vorhang sich Der Schleiertanz. Ueber den neuesten Tanz schreibt ein Pariser Correspondent: Nun sollen all' die Sterne verblassen —die schwor« „Veritables Createurs" des „Cale dehnt. Von „Cake-Walk" - Posttarien der Straße und die Camelots schwan gen ihre Zeitungen mit „Cake-Walk"- Bewegungen im Laternenschein, die kleine Cocotte sprang ihn und die große ixecutirte ihn. Nur „Viens Poupoule" warb neben ihm noch um die gleiche stärler ist als das Lied, so HZieb der .Cake-Walk" der Herr und „Pou poule" würd« seine Maitresse. Wo hin man sah: „Cake-Walk" —, wohin, man hörte: „CalewalN" Ein Ball, ein Etablissement, wo er gefehlt hätte, wäre von vornherein unmöglich geloe ne eine Apotheose des „Cake-Walk" wäre nicht „Mi-Careme" gewesen. Pa ris hätte Revolution gehabt. Nun ist kurz vor Ende der Saison noch stellt hat, die wahrhaft pariserische Er findung gegen die ausländische Jmpor „Cake-Walk" und Schleiertanz. Aber die Mode, die Balltoilette ausüben! Das Eine steht bereits fest: die Tänze- Calkewalk"! Die „Mimi Pinsons" und „Midi nettes" werden, vermuthlich, vorläufig war doch so Vieles, das trotz des Ame rikanischen so französisch und franzö- Vaterland damit in Gefahr bringen! -r»«i der ivisltaNon. Bürgermeister Dr. Casselmann in Bayreuth unternahm kürzlich mit dem städtischen Schulrath Dr. Kesselring eine Visitation der Volksschule. In einer Classe gaben die Knaben auf die Fragen des Lehrers flotte und be stimmte Antworten. Dr. Casselmann und zwar aus der vaterländischen Ge schichte stillen. Er fragte: „Wer kann mir aus dem großen Kriege zwischen Deutschland und Frankreich 1870—71 einen berühmten Feldherrn nennen, der die Schlachten leitete und auch die Truppen zum Siege führte?" Ein kleiner Bursche stand auf und antwor- Rechnung ist falsch addirt, Herr Wirth!" Wirth: „Na, viel weniger lann aber nicht herauskommen!"
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