2 Z>ie glückliche Kand. Eine der köstlichsten Mitgaben der Natur für das Weib ist eine glückliche Hand. Man hört im Leben oft von ihr sprechen, hört sie rühmen und preisen; wenn man nach besonderen Merkmalen derselben fragt, begegnet man erstaun ten Augen, und erstaunt wohl auch selbst ei» wenig: die glückliche Hand hat beim bloßen Anschauen so gar nichts, was sie aus der Reihe von ih resgleichen hervorhebt. Sie ist nicht weich und weiß und fein und Fart, glicht schlank und zierlich und elfen>i?ft) sie ist ganz normal, vielleicht so- gar ein wenig arbeitshart. Aber wenn sich regr, ii, das ist, als ob eine Schaar Heinzelmännchen in Thätigkeit kommt. Wie flink, sicher, graziös und schmiegsam ist das Spiel der Finger. Scheint es nicht, als ob jxdes x,, ne besondere hatte, jede einen besonderen Aus druck? Wie wäre es sonst möglich, daß aus ihr eine Arbeit hervorgeht, so sau der, so duftig, so vollendet, mit einem solch bezwingenden Hauch von Schön heit, Güte, ja von Genialität, daß sich tie Arbeit anderer Hände, selbst der fleißigen und emsigen, davor versteckt? ALie käme es sonst, daß ein« Berüh rung von ibr ein Labsal ist, vernehm lich dem Äriden und Kranken, wäh- 'rend der Griff anderer Finger plump und schmerzend trifft? Wie käme es. daß sie zu Erfolgen verhilft, die and-'.« trotz allen Mllhens und Sorgens nie erreichen? Daß sie ruhig und i'.,t bleibt, dort, wo andere Hände nervös zucken, unruhig zittern, ungeduldig stoßen und zerbrechen? Was eine glückliche Hand bedeutet, ''das weih derjenige zu würdigen, der «s mit ungeschickten Händen zu thun hat. wohl selbst solche besitzt. Doch was kann dagegen helfen? So wenig man seiner Länge eine Elle ansetzen, so we nig kann man seine Hände umtauschen, und wer als Tolpatsch geboren ist, wird nie in Besitz der Wunderhand kommen, die augenscheinlich bloß den Sonntagskindern zugehört, jenen Glücklichen, welche die Sprache der Vö gel und der Wellen verstehen, die da Geister sehen und Wünschelruthen tra gen !Ein Zauber muß dabei sein; denn uns gewöhnlichen Menschentindern ist «s unbegreiflich, was alles so ein« glückliche Hand vollbringt! Ob sie eine neue Speise versucht, oder einen allen Rock wendet, ein Möbel rückt, oder ei nen Strauß bindet, eine Falte rafft oder löst, einen Riß stopft, oder ein« Wunde verbindet: olles geht in uner reichter Vollkommenheit aus solcher Hand hervor. Und dabei ist sie nie mü de. nie träge, nie schlaft, sie regt und regt sich ohne Unterlaß. Sollte das vielleicht das Geheimniß ihrer wun derbaren Kraft sein? Sollte sie dadurch die Grazie und Vollkommenheit errin gen, die sie alles Dingen mittheilt? Ob man es einmal versucht? ... aber zufällig nicht an einem Sonntage geboren war, um die Ertlärung seiner glücklichen Hand. Es lachte und ver traute mir an: ich bade die Hände im erstrnMorgentHllu, und mit dem letzten Abendnebel wasch' ich die Arbeit des Tages von ihnen ab. Hat der Frühthau schon oft deine Hände genetzt? Nein? Wie, wenn Du Dir das zeitige Aufste das späte Aufhören der Arbeit, um wirklich den letzten Abendthau zur Kühlung zu nützen." Und noch ein Geheimniß wurde mir anvertraut, es klingt etwas orakelhaft: in meine rechte .Hand münden die Ge hirnnerven, in die linke die des Her zens. Wußt' ich doch, daß es mit Zau „Bau des menschlichen Körpers" ist dieser Satz nicht gezogen. Zwar sagt der Volksmund: „die Linke kommt vom Herzen": zwar wissen wir. daß alle unsere hirngeborenen Gedanten Nadel und Feder an bis zum Hammer und Steuer, in Besitz genommen, und so löst sich das Orakel etwas. Es scheint, als ob uns die Besitzerin hier sehr viel verrathen hat, fast soviel, daß wir mitAusmerksamkeit und rührigem, festem Willen uns selbst in den Besitz einer glücklichen Hand setzen können. „Wenn aber Deine Hände ermattet und unsicher sind, wenn Du verzagt bist, etwas anzufassen und auszufüh ren, was dann?" inquirirte ich noch mals. „Dann fält' ich sie im Gebet", kam die stille, feste Antwort. Ich fragte nicht weiter, ich wußte ge nug. Das Geheimniß der glücklichen Hand, deren Besitzerin zu den benei denswerthkftrn Menschen gehört, war mir gelöst. Ich dachte nur, wie sich alle sie ergreift und zu gutem Ende führt? ich gedachte, daß sich die Franenhand, vermöge ihrer Zartheit und Beweglich keit. ganz besonders zur „glücklichen" «ignet, und daß mein Plaudern und Ausplaudern hier vielleicht nicht gSnz ebne Nutzen ist. Unter Kranen. Zwar kann die A die B nicht leiden. Und dennoch lispelt sie bei'm Scheiden, Sin süßes Lächeln in den Zügen: »Adieu! —Es war mir einVergnügen!" Auch nennt dit B die A sonst immer Em unausstehlich' Frauenzimmer, Kritik. A.: „Wie gefällt müller?" B.: „Ach Gott, seine Nase jat «ine ganz hübsche Stimme!" Z)ie vertiorgcnc ErvschaN. Jahrelang schon hatte ich den alten Jack Norton gekannt, wir hatten man ches Glas zusammen geleert ge wöhnlich auf meine Kosten, aber der Mann interessirte mich und besaß Kenntnisse wie ein Conversations- Lexicon und noch immer wußie ich nicht das Geheimniß seines Lebens. Die meisten Menschen bergen ein sol ches Geheimniß, es kommt nur darauf an, ob es der Mühe werth ist, es zu heben. Bei Norton war ich sicher, daß es der Fall war. Sein Gesicht war faltig und wie Pergament, und seine Nase glühte wie Alpenleuchten, er hatte hinkenden Gang.und man wußte nicht, wie alt er eigentlich war. Er tonnte 45 oder 66 sein, denn sein Haar war nur stellenweise gebleicht. Für ge wöhnlich war er mürrisch und schweig sam, aber penn er einige „Mugs" Ale zu sich genommen hatte, dann wurde er lebhaft und mittheilsam. Er war ein Engländer von Geburt und offen bar vo« guter Familie und Erziehung. „Wie sind Sie eigentlich hierher nach " Amerika gekommen?" frug ich ihn «inst, denn Norton paßte w'.Mch nicht in das Land des und das wenige Geld, d->- emer Advoka tinstubi ging zum großen Theis cmch wieder für sein Lieblings „Ja, das ist eine sonderbare Ge schichte," bemerkte er dann. »Es hing mit einer Erbschaft zusammen." Er seufzte hörbar, und ich schielte nach seinem fadenscheinigen, glänzen den Rockärmel, der nicht aussah, wie der eines reichen Erben. Jack Norton merkte das und sein Unwille regte sich. „Allerdings sehe ich jetzt nicht mehr aus, als ob ich einst «ine große Erb schaft gemacht hätte. Aber es ist doch so, und es verhält sich damit eigentlich ganz einfach." „Johnny, noch einen Becher Ale für den Gentleman," bestellte ich. Norton mende Naß vor ihm stand, sagte ich freundlich zu ihm: „Na, nun erzählen Sie mal, wie das mit der Erbschaft war." Und er that's. „Mein Onkel war ein alter Jung geselle und Bücherwurm, der nur im mer dicke Bände schrieb, einer immer überspannter und nutzloser als der an dere. Damit verdiente er allerdings kein Geld, aber er brauchte da« auch nicht, denn er war reich. Ich war sein Lieblingsneffe und wurde von Kind heit an als sein Erbe betrrchtet und demgemäß erzogen. Außer mir gab's nur noch einige entferntere Verwandte, Vettern von ihm, die sich nicht um ihn kümmerten und im Norden, irahe Lan caster, wohnten. Im Allgemeinen war mit meinem Onkel sehr leicht auszu kommen. Er war harmlos wie ein Kind. Nur in einer Beziehung ließ er nicht mit sich spaßen. Das waren seine Bücher, von denen er schon eine ganze Bibliothek voll geschrieben hatte. Na türlich lehrte mich meine Mutter, diese Schwäche des alten Herrn zu schonen, und wenn er mir von seinem neuesten Werke zu erzählen anfing, so legte ich immer die Stirn in nachdenkliche Fal ten und that, als ob mich der Gegen stand fürchterlich interessire. Das war natürlich die pure Heuchelei mei , nerseits, aber was thut man einem Erbonkel nicht alles zu Liebe! Ich war ja zu nichts anderem erzogen wor den. als den Alten einst zu beerben. Meine Mutter ließ mich nichts Nütz liches lernen, und als ich ein junger Mann geworden war und wirklich den Versuch gemacht hatte, mein Brod selbst zu verdienen, da erschien mir das langweilige Leben im Comptoir bald so abgeschmackt, daß ich's wieder auf gab. Wozu auch? sagte ich mir. Bald wirst Du ja doch die reiche Erbschaft machen, denn mein Onkel war schon ein steinalter Mann und konnte nicht mehr lange leben, wenn er auch in sei ner Perrucke und bei Lampenlicht, wie er immer in seiner Bibliothek saß, noch ganz Präsentabel aussah. Na. so wa ren einige Jahre vergangen und ich war circa 2S Jahre alt geworden. Wettrennen in Ascot gefahren, und ich kehrte etwas angeheitert und aufgeregt nach dem Häuschen meiner Mutter zu von meinem Onkel, ich möge ihn sofort besuchen. Als ich bei ihm eintrat, fand ist ihn sehr ungehalten über mein ver spätetes Kommen. Er wollte mir nur die letzten Capitel seines neuestm Bu ches vorlesen und mein Urtheil darüber hören. Das Buch betitelte sich: „Zur Abschaffung der Armuth, oder Der schnellste Weg zum Reichthum." Es ihm vernommen hatte. Denken Sie sich, daß darin als Universalnrittel zur Heilung aller socialen Gebrechen vor geschlagen war, daß aLe Welt unver heirathet bleiben solle, denn nur durch die Vermehrung der Bevölkerung und durch die Sorge um die Familie und wahr? Der verbesserte und vergrö' Berte Malthus, so zu sagen. Na. ich war zufälligerweise nicht in der Stim mung, um solchen Blödsinn lange über mich ergehen zu lassen, und dazu auch noch Ja und Amen zu sagen. So wagte ich denn verschiedene bescheidene len! ..Weg. mir aus den Augen, ün gerathener Neffe!" schrie er und jagt' mich zum Tempel hinaus. -nd !7.ir f>l;rs: zu K 5: -in. von der Laune meines Erbonkels war. Meine Mutter überhäufte mich mit Vorwürfen und prophezeite mir das schlimmste Loos. Das that ich übri gens selbst, uno es folgte eine trübe Zeit für mich, denn meine Versuche, irgend einen Lebensunterhalt zu fin den, der mit meinen Wünschen und Neigungen, sowie mit meinem Ge wohnheiten im Einklänge stand, schei terten kläglich, und da der bedeutende Zuschuß von meinem Ontel plötzlich aufgehört hatte, so war ich auf die dürftigen Mittel meiner Mutter ange wiesen, was mir durchaus nicht be hagte. Glücklicherweise war ich mei nem Onkel schon zum Lebensbedürs niß geworden, und er hat mir nachher gestanden, daß ich ihm gerade so sehr gefehlt habe, wie sein Geld mir. Und so fand denn eines schönen Tages fei erliche Aussöhnung statt, und alles kam wi'dtt in das alte Geleise. In Zukunft, so hatte ich mir vorgenom men, wollte ich nicht mit der Win' j zucken, selbst wenn er mir das > widersinnigste vorigen sMe. Und das das kaun i« Me ver- Henn je mehr es dji ihm dem Fnde zuging, um io ven'ückter wurde sein Geschreibsel. AH hatte mich übri gens genau bei der alten Agath», siltttr Haushälterin, über die Dinge, kie während des sechsmonati gen „Interregnums" so hatten wir di» Zeit unseres Zwistes benannt vorgefallen waren. Und dg vernahm ich mit Grausen die Kunde, daß er anr Tage nach meinem Streite mit ihm ein anderes Testament gemacht habe, und zwar zu Gunsten seines nächsten Ver wandten, des alten Vetters in Lan caster, den ich in Gedanten init Ver schiedenen Schmeichelnamen belegte. Einige Wochen später' gestand mir mein Onkel das auch eik, aber setzte hinzu, daß er, wenn ich ihm ein so treuer Amanuensis bleibe wie bisher, dieses Testament umiwßen und mich, wie vordem, wieder zu seinem Univer sich denken, daß ich es jetzt an Eifer nicht fehlen ließ. Ich wurde Gedan kenleser, bloß um meinem Onkel und seinen neuesten Werten, die gar nicht aufhören wollten, zu schmeicheln, und ich versetzte mich jedesmal in eine Ex tase des Entzückens, wenn er mir ein neues Capitel vorlas. Sein allerletz tes Buch hieß: „Ueber die Niedertracht der Weiber, oder Ist das weibliche Ge schlecht der Tugend sähig?" Er war nämlich als junger Mann einmal von einer cocetten Schönen hrnter's Licht geführt worden, und das hatte einen unauslöschlichen Groll gegen das ganze Geschlecht bei ihm hinterlassen, weshalb meine Mutter auch nie ihm zu nahe lömmen durfte. Am Nach mittag, als er mir dieses letzte Opus in seiner Bibliothek vorlas, war er noch ganz" rüstig und munter gewesen. Er gab mir dann das Buch mit, um>es zu Hause zu lesen, und zugleich drang er in mich, es bis zum nächsten Tage zu beendigen, denn er wünsche mein Urtheil darüber zu vernehmen. Zu gleich drückte er mir die Hand aus be deutsame Weise und lächelte mich an. „Du wirst zufrieden fein, mein Junge, mit dem, was Du in dem Buche fin dest," flüsterte er mit heiserer Stimme. Ich sehe den guten Alten noch vor mir er saß in seinem bequemen, großen Stuhl, die Perrücke hatte sich ganz nach hinten geschoben, so daß der kahle Schädel darunter zum Vorschein kam, und der weite, geblümte Schlafrock schlotterte ihm um die hageren Glie der. Ich langte athemlos zu Hause an, und erzählt« meiner Mutter Wort für Wort, was der Alte gesagt. „Gib Acht, es geht mit ihm zu Ende," be merkte sie, und setzte dann hinzu: „Je denfalls hat er ein Testament zu Dei nen Gunsten gemacht." „Die Nacht über schlief ich unruhig. Böse Träume störten mich, und kurz nach dem Frühstück langte ein Bote an vom Onkel, ich möchte unversäumt zu ihm kommen. Ich erschrak über sein Aussehen. Es war während der Nacht schnell bergab mit ihm gegangen. Er war schon halbtodt, und seine Kräfte waren gänzlich erschöpft. , Als ich aber neben seinem Lager Platz nahm. „Nun, wie hat Dir das Buch gefallen? Hast Du's gelesen?" „Jede Zeile," sagte ich, „es ist Dein bestes und größ tes Werk." Ein Lächeln der Befriedi gung verklärte seine Züge. Sein Au torenstolz war das an ihm. das am schwersten starb. Hätte er ahnen kön nen, daß ich das Buch bei meinem Ei ntritt in mein Zimmer auf das oberste Regal meines Bücherschrankes gestellt, wer weiß, vielleicht wäre meine Ge schichte eine rindere geworden. Mein Onkel indeß ahnte nichts dergleichen im Gefühl befriedigten Ehrgeizes schlummerte er eine Stunde später sanft hinüber und ich drückte dem gu ten alten Manne die Ariden zu. Darm aber begann ich die Suche nach dem Testament. Ich wühlte Alles um; ich durchstöberte jeden Winkel des großen, weitläufigen Gebäudes. Ich rief meine Mutter herbei, um mir zu Hil fen. Ich frug die alte Agathe, die mir wohl wollte, genau aus. Kein Zweifel, er hatte ein Testament zu meinen Gunsten versaßt, wenige Tage vor seinem Tode. Das wußte sie. Aber wo war es? Nirgends zu finden. Seite geschafft zu haben. Ich rief die Hilfe der Advokaten und der Gerichte an. Es half nichts das fehlende einsetzte, war regelmäßig deponirt worden bei einem Notar. Mein Un glück war mir so zu Herzen gegangen, daß ich an einem hitzigen Fieber er krankte, und als ich genesen war, da fand ich den neuen Erben schon im Besitze des ganzen Eigenthums. und hier that der alte Norton einen herzbrechenden Seufzer, ließ dann einen Becher frischen Ales brin ge« und trank den leer. „Denken Sie sich, dieser Vetter aus Lancaster kat e>7> Verschwender, ganz im selben Maße, wie mein Ontel «in Geizhals gewesen war. Es dau erte keine drei Jahr-, da hatte er das große, schöne Ve-.mögen durchgebrgcht verspielt, v verjubelt, was weiß ich! ab.„ radical! Um Zeit saßt( 'ich den Ent , nach Amerua auszuwandern. Hatte dieses alte wurmstichige Eu ropa satt und sehnte mich nach dem Lande, wo meine schlummernden Ta lente noch Anerkennung finden Wür ger. Außerdem war meine Mutter auch vor Kurzem gestorben. Beim Einpacken meiner Habseligkeiten sür die Seereise kam mir zum ersten Male seit diesen drei Jahren das dickleibige letzte Werk meines Onkels wieder in die Finger. Ich warf es wüthend in eine Ecke des Zimmers. Da flatterte etwas heraus und raschelnd fiel es mir zu Füßen. Ich hob es auf. Es war das fehlende Testament. Jetzt war'S zu spät dafür, denn von dem «?,nzen Eigenthum meines Onkels war 14 Tage zuvor das letzte Stück unter den Hammer gebracht worden. Ironie des Schicksals! Was? Na, um die Sache kurz zu machen, ich wanderte aus und habe hier in New Dort auch nicht den Stein der Weisen gefunden. Niemand hat sich um mich gekümmert. Ich bin geworden, was ich bin ein armer Schlucker, der nothdürstig sein Brot verdient, verbittert und versauert»— nur durch das verborgene Testament meines Onkels. Sie meinen, warum ich das Buch nicht einmal wenigstens angesehen und durchgeblättert habe? Gott, ich war ja froh, als mein Onkel todt war, weil ich nun nicht mehr feine Bücher zu lesen brauchte. Konnte ich denn vermuthen, daß er noch vor dem Tode eine so sonderbare Idee haben konnte, das Testament gerade in die alte Scharteke zu stecken?" Und der alte Norton erhob sich schwankend und ging. Das Waldmädchen. In der Schweiz. besonders im Ober lande von St. Gallen, dem herrlichen Thalgelände zwischen dem Wallen städter-See und dem dunkelgrünen Rhein, wissen die Leute viel von Gei stern und Gespenstern, von Kobolden und Nixen, die in Felsen und Klüften Hausen, die Tiefe der Erde und die Gewässer bewohnen, zu erzählen. Wie oft hört man des „wilden Jägers" Peitschengeknall. Hallogeschrei, seiner Rosse Helles Gewieher und seiner ja genden Meute heiseres Gebell durch die Lüste ziehen! Wie oft von dem reichen Geschenk eines freundlichen Erdmänn leins an.einen armenßauernburschen! Und wenn Jemand in gewissen Näch ten um Mitternacht aus dem Wege sich befindet, sieht er den Tanz der Hexen auf den Bergeshöhen. Doch all' diese Geister der Lüfte und der Erde sind anderswo ebenfalls zu finden. Darum will ich nicht weiter von ihnen erzäh len, indem ich annehme, daß sie allen Vernünftigen, die sich auf das Wesen der Natur verstehen, wohlbekannt sind, vielmehr von einer ganz bestimmten Gattung eigenthümlicher Wesen, die ganz allein auf den Höhen des St. Galler Oberlandes Hausen sollen. Das sind die sogenannten „Waldleute", den Menschen sehr ähnliche Wesen, etwas kleiner als sie, doch bedeutend größer als die Zwerge, kräftige, ernste, auch wohl geschickte Männer, zierliche, schweigsame und arbeitsame Frauen, die den Bewohnern der Thäler nur Gutes thun, wenn ihre Wohlthaten nicht durch boshafte Streiche und lästige Neugier schlecht belohnt wer plötzlich ein kleines, zierliches, nur etwa zwölf Jahre altes Mädchen mitten auf dem Wege vor ihm, ohne daß hatte. mich aber nicht als hartherzig kennen Und das kleine Mädchen schickte sich bald in die neuen Verhältnisse, und gen Hausgenossen behandelten sie wie die Tochter des Hauses. Die Kleine war aber auch sehr fleißig, sittsam und brauen: „Mit den Mcid!e sei da bald erzählten sie wirklich, das Mäd chen gehöre den an und verlasse jeden Sonnabend heimlich das Haus, um den Spielen ihrer Ge nossinnen ,n den Bergen theilzuneh men. freilich sei es Sonntag Mor gens chjtder im Hause, doch schlüpfe es du.cch die festverschlossene Thür, oder kehre in Gestalt einer Schwalbe oder eines weißen Kätzchens zurück, ehe noch Jemand wach werde. Dem Bauer war von seinem braven Weibe ein kräftiger Sohn geboren worden, der nun an der Seite seiner zarten Ziehschwester rasch zu einem herrlichen Jünglinge heranreifte. Er War ein stiller, ernster, in sich gekehr ter Bursche, so ganz anders wie die übrigen jungen Leute des ansehnlichen Dorfes. Seinen Altersgenossen und deren wildem Treiben, ihrer oft unge zügelten Lustigkeit wich er mit Scheu aus, und es genügte ihm, Sonntag es darum zu verwundern, wenn sich bald in dem Herzen des jungen Man nes die Liebe zu seiner Schw'.sier regte, die in ihrer blendendev Schönheit so wenig den derben Mägden des Dorfes glich? Ehe noch die Eltern etwas ahnten, batt» er ihr von seiner Zunei gung gesprochen und seine Werbung .Sieb", antwortete ihm das Mäd chen nach »inigem Nachdenten, „sieh, denn Du bist ein braver Bursche, sei ner Eltern Freude und ein Junge, den jedes Mädchen mit Vergnügen ansehen muß, und Du kannst mir glauben, wenn ich sage, ich wäre gerne Dein Weib. Aber ich bin wirklich ein Wald mädchen und muß vorher meine Mut ter fragen, ehe ich Dir «zusage. Dort, auf der steilen Felswand" und sie zeigte mit ihrem winzigen Händchen dahin „welche sich bei Trübbach nahe an d«r Landstraße erhebt, wird sie mir heut Abends Bescheid geben. Fürchte die Mutter nicht, sie hat Dich oft geseh'n und war bei Dir, wenn Du im Walde holztest, und liebt Dich fast so sehr, wie ich Dich liebe. Aber sie kann vielleicht nicht thun, was wir Beide wünschen. Denn wisse: mich verfolgt ein alter, häßlicher Zwerg mit seiner Liebe, und da er ein gar rach süchtiges Wesen ist, müssen wir uns hüten, daß er seine Tücke nicht an uns übt. Sein Name ist Muggenstutz. ich aber heiße bei meinen Leuten: „die schwarze Rinde". Doch verzage nicht, mein Liebster, habe Geduld und Alles wird sich zum Besten wenden." Gleich darauf trat der Bauer in's Haus, grüßte schweigend und sagte, nachdem er den Hut an den Nagel ge hängt, die Peitsche in die Ecke gestellt und den perlenden Schweiß von der Stirn gewischt: „Mir ist heute etwas ganz Sonderbares begegnet, das ich mir gor nicht erklären kann. Als ich an der Hochwand oorübersuhr, ties mir eine Stimm« von oben herab ganz deutlich Jochträger, der schwarzen Rinde, der Muggen stutz sei gestorbenl" Mr wohl die „schwarze Rinde" sein mag, der ich solche Nachricht überbringen soll? Und wer ist dieser Muggenstutz? Ken ne Keinen, dessen Namen mir ähnlich lautete!" Der Bauer schüttelte den Kopf und konnte garnicht wie sonst zu Nicht essen. Des anderen Morgens aber konnte man trotz des eifrigsten Suchens das schwarzlockige Mädchen nirgends fin den. Sie blieb von diesem Tage an verschwunden. Darob gi»mte sich aber der junge, so plötzlich verlassene Bur sche so sehr, daß er von Tag zu Tag immer mehr und mehr abmagerte, bis er endlich auf dem Kirchhofe des Dor fes lag. und an der Hochwand bei Trübbach gehen die Pferde, von Geistern gefoppt und d»:ch. Häufig auch Bettes wälzt. Alt« Sprüche. Wisse, daß uns Liebe giebt Luft zum Spenden, Heitern Scherz, D«muth und ein gütig Herz. - recht sein, wenn ich trachte, die Schuld baldmöglichst herunter zu kriegen!" Poetische Anpreisung. „ , Nehmen Sie diesen Stoff, mein Fräulein! .. Sehen Sie, wie zart, wie duftig! .. Wenn der in die Hand einer geschickten Nadel - Lnrikerin kommt, macht sie das herrlichste Frühlingsge dicht daraus!" Verunglückter Toa st. — Onkel (am Verlobungstische seines Neffen): Und nun, bitte ich Euch da rauf anzustoßen, daß der heutige schö ne Tag unZ noch recht oft »i'.deriehrcT! wog«!— - Zu spät. Im Zwielicht der Dämmerung saß Dora Lorenzen am ofsenenFenster und blickte nachdenklich in den stillenAbend frieden hinein. Sie hielt einen uneröffneten Brief in der Hand. Dann und wann streifte ihr Blick darüber hin, als scheue sie sich, ihit zu öffnen. Jetzt erhob sich Dora und schritt langsam dem Schreibtisch zu, nahm ein altmodisches Papiermesser zur Hand und schnitt behutsam den Brief auf, der den Poststempel New Dort trug. Aus dem Couvert zog sie einen dicht beschriebenen Bogen und einen zweiten, vergilbt aussehenden, unerösfnete» Brief sowie eine Photographie. Di» letztere mußte wohl schon viele Jahre alt sein. Sie stellte einen jungen, hüb schen Mann, von etwa fünfundzwanzig Jahren, mit ausdrucksvollem Gesscht und treuherzig schauenden Augen dar. Der Anblick des Bildes trieb eine heiße Blutwelle in Doras Antlitz und ließ es über und über erglühen. Di« Erinnerung an längst vergangene Stunden feierte wieder ihre Auferste hung und verlieh den Augen des geal« terten Mädchens den wunderbaren Glanz der Jugend. Der Brief war sehr lang; die Ver fasserin schien große Mühe beim Schreiben gehabt zu haben, denn an einzelnen Stellen wiesen die Buchsta ben zitternde Linien auf. Die Hand mußte gebebt haben. Der uneröffnete Brief trug auf der Rückseite ein Datum, das volle neun zehn Jahre alt war. wob einen fahlen, gelblichen Schein um das Haupt des alten Mätzchens. Träu merisch, mit fast bangem Ausdruck sah las bis zu Ende. Nun ergriff sie den zweiten Brief. Wieder trat die Erinnerung an frühere Die schlanke Gestalt zitterte, wie sie «inst erbebt war unter dem ersten, won nigen KÄB seliger, junger Frühlings liebe. murmelte: „Oh, mein Gott! Wenn er damals angekommen wäre, wie es bestimmt aus. Hatt« sie diese ganz« unendliche lang« Zeit einsam, traurig dahin gelebt, so dos Ergebniß dieser Bemühungen war. daß Dora dort, wo sie erst Anklägerin gewesen, die Rolle der Vertheidigerin übernahm. Unendliches Mitleid mit der Ver fasserin jenes Bekenntnisses stahl sich Diese lag jetzt auf dem Krankenbett wahrscheinlich sterbend von wo aus sie eine Beichte an Dora Lorenzen schickte, eine Beichte, welche ihre Seele erleichtern sollte. Sie war dieStiesschwester des Man nes, welchen Dora liebte, und schrieb, wie bitter sie den Gedanken gehaßt hat zu sollen. Sie besaß weder Vater noch Mutter. Ihre alleinige Stütze, ihr Beschützer und ihr Abgott war ihr einziger Bru der. Dieser bildete ihre ganze Welt. Lieber hatte sie alles verlieren wollen, nur nicht die Liebe des Bruders und seine zärtliche Fürsorge. Als Dora in sein Leben getreten war, hatte er der Schwester bald gestanden, daß er Fräulein Lorenzen aufrichtig liebe und sie Heirathen wolle. „Ich fühlte," so lautete das Be kenntniß. „daß ich eher betteln, lügen und stehlen könne, als meinen Bruder verlieren. Ich ertrug den Gedanken nicht, daß Sie einesZages hierher lam men und mich verdrängen würden. Als mein Bruder an jenem Tage, an dem e? mir von sciner Absicht erzählte, in sein Zimmer ging, um den bedeutungs vollen Brief zu schreiben da wußte ich ganz genau, was ich zu thun hatte. Ich kannte den Brief und ich kann te meinen Bruder. Und der Teufel kannte mich und mei ne Seele in jener Stunde und hielt mich fest. Ich unterschlug den Brief und versteckte ihn. „Ich wußte nur zu gut. wie empfind lich. wie feinfühlend mein Bruder war. 25 kannte s::7.:n St:!z und diriuj baute ich. Die Stimme des Bösen flü sterte mir zu: „Er wird nur einmal dann war alles vorbei für ihn alles zwischen Ihnen und ihm zu Ende!" „Ich habe gelebt mit dieser Sünde auf dem Gewissen. Aber der gestohlene Brief quälte und verfolgte mich, mit brennender Scham gedachte ich, daß ich Ihr Herz gebrochen und dennoch— dennoch „Ich sterbe aber das Heim und mein Bruder beide bleiben hier zu rück. „Kommen Sie ach, Wommen Sie und gewähre mir Verzeihung für mei ne schwarze That!" t Dora weinte bitterlich. Dann sank sie in die Kniee ui!d betete, lange, in brünstig. Als sie sich erhob, legte sie den in>- Jn diesem Augenblicke eine ältliche freundliche Dame den Kopf zur Thüre herein und sagte herzlich: „Nun, Fräulein Dorchen, noch kei nen Hunger? Das Abendessen ist fer tig." Dora folgte ihr schweigend. Ebenso schweigend nahm sie ihr einsachesMahl ganzes Leben lang gewesen. Nach dem Abendessen gingen die bei den Frauen, wie alltäglich, auf den Stündchen. „Fräulein Ella, ich habe Ihnen et was zu erzählen." Das fanfte, alte Fräulein, Doras Wirthin, hörte die romanhaft klingen de Erzählung mit größtem Interesse bis zu Ende an. „Nun, Fräulein Ella," fragte Dora, „was soll ich thun? Denken Sie da rüber nach und geben Sie mir morgen früh einen guten Rath." „Morgen früh einen Rath!" rief die alte Dame höchlichst erstaunt, in hellster Bestürzung die Hände zusam menschlagend. „Als ob es da ein Ue nen wehmüthigen Ausdruck an—„ob gleich es mir sehr, sehr schmerzlich ist, Sie scheiden sehen." „Aber, Fräulein Ella, es liegen neunzehn Jahre zwischen dem Einst und Jetzt! Und ich habe seinen Brief „Wa a as? Nicht mög lich!" rief die alte liebenswürdige Da me völlig außer sich. „Na —" sagte sie ganz athemlos, „das übersteigt doch alle Begriffe! Nach neunzehn Jahren einen Brief von dem Geliebten zu er halten und ihn nicht sofort zu lesen! Unglaublich! Gleich gehen Sie, Fräu lein Dorchen, und lesen den Brief." Dora ging stillschweigend in ihr Zimmer. Aber kaum hatte sie es betre ten, so flimmerte es vor ihren Augen. Die Gegenstände in dem kleinen Rau» nie schienen einen wilden Reigen auf- Tifch, auf welchen sie sich stützte. Nach einer Weile fühlte sie sich woh ler. Sie war noch bleicher als sonst, die feinen durchsichtigen Hände bebten, als sie jetzt einen alten Koffer öffnete und diesem ein kleines Packet entnahm. Es enthielt einige Briefe und ein altes ver blichenes Bild, das sie in ihrer frischen, rosigen Jugend darstellte. Forschend verglich sie es mit ihrem schmalen, bleichen, verhärmten Ge sicht. Das Ergebniß dieser Handlung war die letzte und unglücklichste Wahrheit ihres zerstörten Lebens. „Kummer und Sorge verschönern nur die Seele, das Herz eines Weibes nicht die Gesichtszüge desselben," flüsterte sie leise. Als der Morgen dämmerte, erhob sich das bleiche Mädchen von seinen Knieen, auf denen es stundenlang ge legen, richtete sich fest und mit einem Ausdruck von Entschlossenheit auf und trat an den Schreibtisch. Neben ihr lag der ungeöffneteßrief, den sie seit neunzehn langen Jahren er wartet hatte. Mit fest zusammengepreßten blei chen Lippen küßte das alteMädchen ein zwei dreimal den Brief dann schrieb sie mit festen, großen Schrift zügen darauf: „Vorbei zu spät." Immer derselbe. Im Winter trink' ich und sing' Lieder, Aus Freude, daß dir Frühling nah ist Und kommt der Frühling, trink' ich Aus Freude, daß er endlich da ist!— Die Vegekarianer. Ein sen!" V o r 112 ch l a g z u r G ii t e. Ge fangener (wegen Urkundenfälschung vcrurtheilt): Ich will Ihnen etwas sa gen. Herr Director, ich werde mich eine
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