F» Njlml-Mme. (7. Fortsetzung.) Stichow aber fuhr unbeirrt in dem Tone von früher fort: „Und. um die Wahrheit zu sagen: Was frommte es ihm, der da schlum mert, wenn ihn eine höhere Macht zu neuem Leben in dieses Jammerthal zu rückberiefe? Meint Ihr, daß er dann sich eines anderen, eines besseren, mit einem Worte eines gottgefälligeren Le benswandels befleißigen würde? Ich sage: Nein! denn wie sehr wir auch Alle unser Herz und unsere Börsen an den gehangen hatten, der als Max von Lipps unter uns gewandelt ist es ist doch wohl nicht in Abrede zu stellen, daß die Sonne der Gnade ihr' Licht nur äußerst spärlich auf seinen Pfad geworfen hat. Im Gegentheile! So wie er war, war jedes einzelne Pfund an ihm ein Kopfkissen für irgend ein La ster, und da er die Erde mit gegen SSV Pfunden drückte, war er sozusagen das :eine Massenquartier sür alle sündhaf ten Einfälle und alle strafwürdigen Thaten. Wer von uns, die wir lei der zu feinen näheren Bekannten ge hörten, erinnerte sich beispielsweise, ihn, dessen Verlust wir nichtsdestowe niger beklagen, jemals ganz nüchtern gesehen zu haben? Es ist Niemand unter uns, geliebte Brüder, der solches von sich sagen könnte. Des Morgens ein Weinfaß, war er des Abends ein Faß Wein und so ging es all' die Jahre hindurch bis an die Grenze sei nes Seins.... Jeder Einzelne von uns hat Alles daran gesetzt, ihn seinen üblen Eigenschaften abwendig zu ma chen und ihn zurückzuführen auf den Weg des Heils wir wissen aber, daß es vergebliches Mühen war...." „Oh Du Gauch!" rief Lipps, aber mals aus der Rolle eines Leidtragen den fallend. „Still, geliebter Bruder," wehrte aber Stichow ab, „ich habe noch etwas Weniges über den Abgeschiedenen zu sagen.... Der Gnade des Himmels ihn zu empfehlen, das balte ich für über flüssig. denn diese ist so unendlich, daß sie auch ohne unser Fürbitten sich des re in unserem Falle der schöne Spruch: „Das ewige Licht leuchte ihm"; denn wir haben zu seinen Lebenszeiten ge chensteine stehe geschrieben: Alle lachten, und Hopser rief beson ders laut sein „Bravo", als Stichow geendet hatte. Lipps aber war mit dem seiner Lei chenrede gezollten Beisalle nicht einver standen. „Oho!" rief er, „das hat mir nun gar nicht imponirt, und Du bildest Dir doch wohl nicht wirtlich ein, daß das etwas Vernünftiges gewesen sei. Ich behaupte, es war nicht nur ein alber nes, sondern auch ein sehr langweiliges Gesalbader. Und was nun gar die Verse betrifft, so wollen wir aus christ licher Nächstenliebe nicht weiter davon sprechen —." „Mache bessere, wenn Du kannst," schlug Stichow vor; und ein anderes Mitglied der Gesellschaft meinte: „Wie wäre es, wenn Lipps sich sel ber feine Grabrede hielte?" „Halt! ja, das will ich," erklärte Lipps. „Man soll nicht sagen, daß ich hinter dem Alräunchen da zuriickgeblie- „Strenge Dein Pudding-Gehirn an, wie Du willst, ' lachte Stichow. „ich wette, Du bringst nichts Besseres fer tig ganz zu geschweigen von der hi „Ach was, Quatsch," sagte Lipps mit einer wegwerfeirden Handbewe gung. „Ich gedenke eine Rede zu halten, wie sie von keinem von Euch je gehört worden ist." „Feuerwerk wird.diesmal nicht ab gebrannt, und Wasser ist auch nicht in der Nähe." lachte der Faßbinder Hol ler, ein Zeuge der verunglückten Fest lichkeit vom glorreichen Vierten. Nähe," bestätigte Lipps, aber meinem Pokale, und davon muß ich haben, wenn anders ich feurig und den besonderen Umständen angemessen sprechen soll." Reichmann beeilte sich, Lipps das Glas zu füllen. Dieser leerte es, wie gewöhnlich, in einem Zuge und erhob sich sodann. Mit einem düsteren Blick auf das Faß, welches den Katafalk vorstellen sollte, faltete er die Hände und begann: „Thränen, geliebte Brüder, heiße Tbränen trüben das Feuer meiner Blicke! Einer der Besten, wenn nicht geradezu der Beste aus diesem edlen Kreis» stattlicher Männer, Max von Lipps, ist nicht mehr! Ist da Einer, der in unserer armen Sprache zu schil dern vermöchte, was er uns, was er lebt, gewesen ist?" Lipps klappte wieder in gut gespiel ter Verzweiflung die Hände zusammen und lieh das Haupt sinken. Die An dern lachten und Reichmann rief, sich trefflicher Burverderber, ja, Mr. s Whiskey, ich ahn« Dein«, Schmerz. Weine Dich aus, Du Treuer, denn nimmer wird das ehrwürdige Haupt Deines jetzt in lichten Höhen m Nektar und Ambrosia schwelgenden Freundes Lipps sich über den Rand Deiner Weingläser beugen, nimmer wird feine, an die Riesenleiber ve»slossener Hel dengeschlechter mahnende Gestalt vor Dir erschein»«, »immer sein leuchten des, stolzes Auge auf Dir ruhen." „Heilloser, gottvergessener Schlin gel," rief Stichow aus. Doch auch Lipps ließ sich nicht beirren, sondern setzte fort: „Er ist dahin, den wir liebten, den wir hochschätzten, weil seine ausge zeichneten Eigenschaften, sein exem plarischer Lebenswandel uns solche Liebe und Hochschätzung gebieterisch „Na, hören Sie 'mal!" warf Hopser „....weil er Alles in sich vereinigte, was den zieren muß, Ken wir würdi gen, unser Freund zu heißen." „Er lügt wie ein Stumpredner," meinte einer der Zuhörer. „Und insbesondere wird ihn Einer vermissen ein noch junger Mann, dessen Name mir momentan entfallen ist.... ein junger Mann mit einem ge wissermaßen gedankenlosen, um nicht zu sagen albernen Ausdrucke im Ge sichte, einem geschniegelten Wesen und sehr wenig Hirn im Kopse.... Und jetzt fällt mir der Name ein: ich meine ei nen gewissen Viktor von Stichow, der sich rühmen darf, von dem Unvergeß lichen des näheren Umganges gewür digt worden zu sein." „Leider, mußt Du sagen," unter brach Stichow. „Dieser, meine ich, wird den lie benswürdigen Mann ganz besonders schwer entbehren, denn Wenige leben, denen Max von Lipps so ganz sich auf geschlossen, denen er sein Bestes so rückhaltlos hingegeben, um ihrer Un eigennützig...." „Oho!" rief Hopser dazwischen. „....uneigennützig, sage ich, und als jener Stichow von unserem Freunde, nun da derselbe todt ist. Uebles spricht, und ich verhülle dessenwegen mein ten, diesem Beispiele schnöder Undank barkeit zu folgen, unfern Lipps viel mehr in gutem und treuem Andenken behalten. Ich schließe mit derGrab schrist, die Lipps in den Tagen, da er noch im Lichte wandelte, für sich selber verfaßt hat und die da lautet: Hörer unter dem Gelächter der Uebri gen: „Er selber wollt' es wär' ein Andrer!" Bei diesem Ulk war es spät gewor den und Hopser, zugleich mit einigen Anderen, erklärte aufbrechen zu wol mals wieder einer langweiligen Ge sellschaft durch seinen Geist auf die Beine helfen, wenn man ihn jetzt ein- Freund Shakespeare zu sagen pflegte, wenn er länger in seiner Kneipe sitzen blieb als sonst." hen wollten. „Bleibe' Mr. Hop- — Festtag?" rief Lipps, die „Was für «in Festtag, Kartoffel fammler, und warum «rfährt man davon erst jetzt?" „Nicht Zeit gehabt, davon zu rede'," antwortete Rautenstrauch. „Habe mich verlobt." „Verlobt? Gott steh' uns bei!" dem Rautenstrauch einen Blick zuwarf, in dem nichts von schwiegerväterlichem Wohlwollen lag. Er hätte am lieb sten dem Grocer einen Stoß vor den zuhalten, stand aber zu entfernt von Rautenstrauch, um ihn auf diese Weise aufmerksam zu machen. „Verlobt? Wie heißt die thörichte Jungfrau?" fragte nun auch Lipps. „Verlobt ifcht bische' zu viel ge sagt," antwortete Rautenstrauch, „an gehalte' muß es heiße'." „Um was habt Ihr also angehal gänzlich unbekümmert um die fürch terlichen Blitze, die aus d«n Augen des Painters schössen, denn er fürchtete, daß inFolge der langwierigenßerhand „Um Miß Hopser," sagte endlich Rautenstrauch mit einem etwas ver schämten Lächeln. „Hurrah!" brüllte Lipps, wieder ohne im Geringsten an das etwas sauersüße Lächeln zu kehren, welches nach der indiskreten Eröffnung seines Freundes Rautenstrauch über das An gesicht des Painters zog. „Hurrah das nenne ich eine Ueberrnschung! Es wundert mich bei der Sache allerdings bedeutend, daß Euch Miß Hopser nicht vor die Thüre gesetzt hat, als Ihr um sie anhieltet, denn sie ist «in verzwei felt hübsches Mädchen na, und Ihr seid gerade kein Adoiiis, Rauten strauch, das muß Euch jeder Spiegel, der's ehrlich meint, sagen...." „Unsinn!" knurrte ietzt Hopser, in nerlich wüthend darüber, daß Rau tenstrauch «die Sache, die noch so weit von ihrer Reift entfernt war, an die große Glocke gehangen hatte, „so weit sind wir noH langt nicht! Rauten strauch hat mich gefragt, ob er sich um meine Tochter bewerben dürft und auf eine solche Frage kann ich doch nicht rundweg nein sagen. Das ist Alles." "»v«-r luinck, uever minck!" rief Lipps, der jetzt das „Verlobungsfest" ernstlich gefährdet sah, und darum be strebt war, allen Einwendungen, moch ten sie von welcher Seite auch immer kommen, von vorne herein die Spitze abzubrechen. „So oder so: Die Ge schichte riecht von Weitem nach Ver lobung und Hochzeit, das merkt ein Blinder. Ich denke, Rautenstrauch, Ihr habt einige Ursache, mit ein paar Flaschen von irgendeiner gediegenen Sorte auszufahren he, Reichmann! wir bleibe«: beisammen, bis wir das Wohl des Brautpaares gründlich und in aller Form Herkommens ausge bracht haben." Rautenstrauch gab dem Wirthe thatsächlich einige Orders, während „Daß Du uns jetzt nicht fortläufst, Dicker, darauf will ich allenfalls einen „Magst Du thun, mein Sohn, magst Du thun, " schmunzelte Lipps. „Aber siehe, ist es nicht ei« schöner Zug in meinem Charakter, d«ß lch mich stets des Glückes Anderer fvue und immer bereit bin, bei edlem Weine meinen Mitmenschen Gutes zu wünschen?" „Natürlich vorausgesetzt, daß ein Anderer den edlen Wein bezahlt," er gänzte Stichow. Rautenstrauch, in der Freude darü ber, daß ihm seine Absicht, den Painter zu überrumpeln und ihn gewissermaßen vor eine nicht mehr zurückzunehmende Thatsache zu stellen, so gut gelungen war, ließ für diesmal von seiner son stigen Knickerei ab und stellte der Ge sellschaft eine stattliche Zahl von Sekt slaschin aus Reichmanns Keller zur Verfügung. Lipps übernahm freiwillig das Amt eines Schenkwartes, weil er, wie er sagte, die Praxis der Wirthe wohl ken ne, erst halb geleerte Flaschen spurlos verschwinden zu lassen. Selbstverständ dem 'Weine und gerieth in Folge dessen nur zu bald in eine so ausgezeichnete Stimmung, baß es ihm sogar gelang, auch Hopser die Wollen von der Stirne zu scheuchen. Er wich denn auch nicht vom Platze, bis der letzte Tropfen hin ter die Binde geflossen war, während die Uebrigen, mit Ausnahme von Sti chow, der sich verpflichtet fühlte, dem Dicken GesMchast zu leisten, sich schon eine halbe Stunde früher heimwärts begaben. „Schlafe Deinen Dampf aus, Ele phant," sagte Stichow zu Lipps, als Beide enblich Abschied nehmend auf der Straße standen. Lipps aber entgegnete: „Es ist unverantwortlich von mir, daß ich mit einem noch in zartem Alter siebenden Jüngling so lange im Wirthshaus blieb. Verzeihet mir, oh ihr ewigen Götter!" Darauf lachten Beide, schüttelten sich die Hände und trennten sich, um ihren Behausungen zuzuwandern. Lipps, ber irgend ein Kneiplied vor sich hersummte, kam nicht weit, da stieß er auf einen Mann, der raschen Schrit tes um die Ecke bog. Lipps, trotzdem er weitaus nicht mehr ganz nüchtern war, erkannte ihn augenblicklich: Es war Dr. Julius Wurm. Der Doktor war so ziemlich der ein zige Mensch in der Stadt, vor welchem Lipps etwas wie Respekt empfand. Der Dicke begrüßte demzufolge „Guten Abend" und erkundigte sich, was den Arzt zu so später Stünde aus die Straße führe. Avenue," antwortete der Doktor sichtlich zerstreut und offenbar mit ganz anderen Dingen beschäftigt. „Und woher kommen Sie, wenn man beachtete. „Wissen Sie, Doktor: <jui Da der Doktor Darauf nicht ant wortete, fuhr Lipps mit der Redselig keit eines Angetrunkenen fort: „Ich sage Ihnen, Doktor, und Sie können es mir auf's Wort glauben: es geht nichts über den seltsamen Ge schmack der amerikluiifchen Mädels. grauliche Glotzaugen hat! und die ab stehenden Ohren wie die Henkel an einer Ash-Box nicht anders ha, ha, ha!" Lipps lachte laut hinaus in die Nacht. „Wer ist denn das Brautpaak?" fragte d»r Doktor, um nur etwas zu sagen. „Ihres Vaters Konkurrent von da unten, wissen Sie, dieser Lasse, der Rautenbauch, oder wie das Möbel heißt. Ein gräßlicher Kerl und lang weilig über alles Erlaubte. Er ist auch doppelt so alt als die Braut." „Und diese ist jung und hübsch?" „Alle Wetter, ich will's meinen!" Lipps schnalzte vergnügt mit der Zun ge, dann sagte er: „Aber Sie müssen ja die Kleine kennen, das Ding da, die wie heißt sie doch gleich die He lene vom Painter." Und Lipps wies mit dem Daumen der Rechten nach dem in Nacht und Dunkelheit liegen den Hause Hopsers, an welchem dai ungleiche Paar eben vorüberkam. „Helene? —" rief der Doktor, mit einem plötzlichen Ruck: stehenbleiben» und den Arm seines gänzlich unvor bereiteten Begleiters so heftig anfas send, daß der gute Lipps, der ohnehin nicht eben fest auf den Beinen stand, um's Haar hingestürzt wäre. „Helene Hopser? Lassen Sie sich nicht aus lachen. Herr!" Julius ließ die Hand des Anderen wieder los und wurde wieder vollstän dig ruhig. Er wußte ja, daß ein Miß verständniß obwalte. „Aber ich bitte Sie, Doktor," sagte Lipps sehr gekränkt, „das weiß Ich entschieden besser, beim ewigen Don ner! Ich kann doch nicht geträumt Ha sen! Und während der ganzen Zeit steckte Papa Hoffer die Beine unt-r denselben Tisch, unter dem wir sie halten." Tochter mit jenem Mensch.» >x..obt „Ausdrücklich? hm? Warten Sie drücklich? Mir schwebt vor, als hätte die Geschichte irgendein Häkchen ge-- habt; aber wenn Sie mich an den Vei ten Hasen, ich wüßte jetzt nicht zu sa gen, was es war." „Erinnern Sie sich, bitte. Die Sache drängte der Doktor. Doktor," sagte Lipps be trübt, „nehmen Sie es mir nicht übel, Bemühen, wollte ich meinen Geist jetzt darnach anstrengen. Ich kenn' mich. Wenn ich, wie heute, eine Unmasse Zeugs in mich hineingeschüttet habe, dann ist's gerade, als wäre Alles, was mir am Kneiptische durch den Kopf gefahren, w der großen Fluth ertrun ken. Die Gedanlen schwimmen dann in mir wie todte Kälber auf ausge tretenem Fl»ßwasser, und nichts kann sie wieder zum Leben erwecken. Ach ja, das Sausen ist wahrhaftig ein Laster." Während Lipps so sprach, um schließlich äußerst zerknirscht den Kopf hängen zu lassen, gelangten die Beiden an das Thor ihres Wohnhauses. Der Doktor trat zuerst ein und trennte sich von Lipps mit einem kurzen „Gute Nacht". Kein Wort weiter. Lipps aber schlich niedergeschlagen wie ein begossener Pudel auf sein Zim mer und ächzte dort noch im Ein schlafen ein Beträchtliches. Der grau haarige Sünder, dem sonst blutwenig an der Meinung seiner Zeitgenossen gelegen war, konnte es nicht verwin den, daß der Doktor ihn seine Miß achtung so deutlich hatte merken lassen. VlI. Eine gute Kapitalan lage. Es war aber auch ein herrlicher Morgen über die Garlenstadt herauf gezogen. Vor Tagesanbruch war ein heftiger Gewitterregen niedergegan gen, der die Juli-Hitze angenehm ge mildert hatte. Vom See herüber wehte erfrischende Luft, die Sonne prangte rein und glänzend an dem tiefblauen Firmamente und in allen Zweigen zwitscherte und pipste das lustige Volk der Vögel. Warum hätte nicht auch Wurm an solchem Tage sich seines Lebens freuen sollen? Nicht etwa, als ob ein erfreulicherer Geschäfts gerechtfertigt hätte. Das war leider ganz und gar nicht der Fall. Aber andererseits war der wackere Wurm schon seit mehreren Tagen weder mit seiner Schwiegermutter noch auch mit seiner Gattin aneinandergerathen. Man hatte wirklich von dieser Seite keinerlei nennenswerthen Versuch ge macht, ihn zu ärgern und zu reizen, und ein glücklicher Zufall wollte es, daß sich zur selben Zeit auch die Jun gen so manierlich benahmen, als das bei ihren, sonst energischer Nachhilfe sehr bedürftigen Charakteranlagen nur immer möglich war. Das allein war für den bescheidenen, an unruhigere und unfreundlichere Zeiten nur zu sehr gewöhnten Wurm ein Grund, fröhlich und zufrieden zu f«in. Obendrein war aber gestern ein Brief angelangt, der Laune zu rechtfertigen schien. Der besagte Brief enthielt zwar nur we nige Zeilen, aber in denselben zeigte Mr. Brozen an, daß die „Deutsche Sparbank" „wie nun definitiv fest gesetzt sei" mit 1. August ihr- Ge schäfte ausnehmen würde. Um die Wahrheit zu sagen: Die Gerichte mit der Deutschen Spar- Unverdau?!ches. Es war ja auch keine Kleinigkeit: man hatte diesem Mr. Brozen so ohne Weiteres MOV Dol lars, d. i. fast das ganze Vermögen Mann von sich, respektive von der Sparbank hätte hören lassen. Hier z« Lande kann man ja auch nie wissen, ob der Gentleman von gestern sich nicht heute schon als ausgemachter Hochstapler und Strauchritter entpup pen würde. Na, Gott sei gelobt und gedankt: Diesmal hatte man es aber doch mit einem wirklichen Gentleman zu thun, und am 1. August fingen die MOV Dollars endlich zu arbeiten an. Für einen anderen, weniger sangui nisch veranlagten Menschen als Wurm einer war, hätte nun natürlich in der ihm zugegangenen einfachen Anzeige noch nicht das Mindeste Beruhigende gelegen. Aber Wurm war eben eine so gute Seele, daß er, wenn man es ihm nur irgend möglich machte, stets von Herzen gerne« bereit war, von seinen Mitmenschen nur das Beste anzuneh men und zu glauben. Und dann litt der Grocer auch an der bei Deutschen leider nicht eben zu seltenen Erschei nimgen gehörenden Indolenz, die in allen schwierigen Lebenslagen lieber Fünft grade sein läßt, um nur nicht in die so unbequeme Lage versetzt zu sein, das schöne Gleichgewicht der Seele zu verlieren. So war denn Wurm, wie gesagt, am frühen Morgen schon sehr ver gnüg:, pätschelte Toby auf den Kopf und erinnerte den faulen Bengel, der eben mit athemlofer Spannung der Entwicklung einer ganz iiirchterlichen Räuber- und Rittergeschichte folgte, daß der Zucker nachzuwiegen und die Korinthen zu reinigen seien. Sodann warf er einen verzückten Blick nach der Ecke, in welcher wohlverwahrt das Te leskop aufbewahrt lag und schwelgte einen Augenblick in der Erinnerung an den herrlichen Anblick, den gestern Abend der uralte Saturn geboten, während er daran dachte, spitzte er den Mund, um sich ein Liedchen zu pfeifen, griff mit der einen Hand nach einem Stuhl, mit der anderen nach dem am Ladentische liegenden Morgenblatte und trug Beides vor das Haus, um auf dem einen sitzend das andere zu le sen, Indem er sich selber fein Leiblied, den „alten Dessauer", zum Besten gab, begann Wurm die Zeitung zu durch blättern: Zuerst die Telegramme. „Jl linoiser Legislatur" dieses Item durste er ruhig überschlagen: was Ge scheites war von dieser Seite ja doch Familientragödie in St. Louis", han delnd von einem Wahnsinnigen, der Gattin und Kinder erschossen hatte; Wurm wunderte sich dabei, daß es noch immer so viele Leute gebe, die sich in der Lage befinden, den Verstand ver lieren zu können. „Der deutsche Kaiser auf Reisen". Wurm unterbrach das Pfeifen und murmelte vor sich hin: „Was denn der Mann so gar nicht zu Haus bei Muttern bleiben kann, wo's heißt's auch wie bei Hans Wurst: Ab wechslung muß sind, und müßte ich die Suppe mit der Gabel essen." Nachdem der Grocer dergestalt von seinem unbestreitbaren Recht, an Hoch >:nd Niedrig Kritik zu üben, ausgiebig Gebrauch gemacht hatte, setzte er wieder besonders, und er ging daher mit ei nem kurzenßlick über sie hinweg. Dann kam der Lokalbericht: „Gegen den Gastrust" "»II i'ixlit. hängt die Kerle aus?" „Aus dem Rathhause: Allerlei Budel-Ordinanzen". Wurm stützte, während er dieses Item las, das Haupt auf die Hanb und brummte dann: „Donnerwetter, man sollte nicht glauben, was sich das Volk hier zu Lande von einer Handvoll von Spitz- Nach dieser tiefsinnigen Bemerkung, die sich der Brust von schon so vielen amerikanischen Bürgern entrungen hat, fiel das Auge Wurms auf einen län geren Artikel, der mit fünf Titeln überschrieben war, und während sein Antlitz erdfahl wurde, seine Hände konvulsivisch zu zittern begannen und seine Haare merklich Neigung zeigten, zu Berge zu stehen, las er: T»lt!>«ev>nn»>. Der arme Wurm, der da sein gan zes Glück plötzlich unter sich zusam menbrechen sah, gewann nur mit Mühe die Fassung so weit wieder, daß er den Artikel zu überfliegen vermochte. Aus den Ueberschriften allein hatte sich al lenfalls schon der berechtigte Schluß, ableiten lassen, daß es sich da um keine Lobeshymne auf Mr. Brozen handle. Der Jnhcrll des Artikels überbot aber alle Erwartungen noch um ein Be trächtliches. Nach diesem Berichte war der sogenannte Brozen nichts weitere als ein von den verschiedensten Polize» ämtera des Landes seit Langem drin gend begehrter, äußerst gefährlicher und sehr berüchtigter Hochstapler, und der Artikelschreiber wunderte sich nur. vaß der Mann so lange Zeit „unge hcuigt habe in Chicago umherlaufen können." Wurm wunderte sich dar über gleichfalls aber was nutzte dieses Stauen jetzt, da das Unheil geschehen war? Der Scha den. den Brozen angerichtet, sei noch nicht festgestellt, doch müsse derselbe je denfalls ein sehr bedeutender sein. Bis her hätten sich etwa fünfzig Beschädigte mit einer Gesammt-Schadensziffer von etwa P4o,ycx> gemeldet, doch wür de die Haupttruppe der über den Löffel Barbierten sicher erst noch angerückt kommen, denn man wisse ja, daß die > Dummen niemals alle würde. Als Wurm diesen Funbamental- Satz gelesen hatte, schlug er sich, wi» zur Bekräftigung von dessen unum stößlicher Richtigkeit, mit der geballten Faust vor die Stirne. Es folgten noch mehrere Angaben hinsichtlich der Schritte, welche feiten! der Polizei ein geleitet worden waren, sobcmn ein lan lich der lapidare Schlußsatz: „Die Betrogenen werden wohl kaum jemals einen Penny von ihrem Gelde wieder zu sehen bekommen." Man wird es verstehen, daß Wurm wie gebrochen war, als er den Artikel durchgelesen hatte. Mit wunderbarer Deutlichkeit stand seine Zukunft vor feinem geistigen Auge, und wie sehr er nehmlichkeiten guter Kapitalanlage, wie über die Wege, die zu solcher führ ten, gehalten. Die ewig mit beschwer tem Gemüth dahinlebende Frau Jo hanne hatte nämlich ihren Besorgnissen dahin Ausdruck gegeben, was denn ge schehen würde, wenn Mr. Brozens Un ternehmung wider alles Erwarten doch etwa fehlschlagen sollte? Da war nun Frau Heinzelmann völlig in ih natürlich nicht die Probe von der Sa che; da sie aber, seit sie „Aktionärin" geworden, aus allen Seiten Erkundi gungen über das Wesen der Aktien- Unternehmungen im Allgemeinen, wie der Banken im Besonderen eingezogen hatte, war sie längst von der Ueberzeu gung durchdrungen, daß sie geradezu Sachverständige in derlei Dingen sei, und sie wartete ihrer Tochter auf deren Frage daher in ihrer Weise auf. „Wenn die Geschichte, was ja aber gar nicht anzunehmen ist, wenn die Geschichte also nicht gehen sollte," ver sicherte sie die Ahnungslose im Tone vollster Ueberzeugung, „dann bekommt man eben sein Geld zurück, und das bei Heller und Pfennig." Als darauf die Tochter mit überaus besorgter Miene und ein wenig zwei felnd'das>Haupt schüttelte, fuhr Frau HeinzelmaNn, entrüstet darüber, daß man ihre Behauptungen zu bezweifeln wagte, in sehr energischem Tone fort: „Bei Heller und Pfennig! Na, das wäre mir eine schöne Geschichte! Hu was gäbe es dann um Alles in der Welt Gesetze! so 'ne Aktie ist doch nicht, wie wenn sich einer eine Wurst kauft. Beim Butcher und beim Grocer da legt man fein Geld hin, be kommt dafür etwas, das steckt man in den Mund, ißt «s, und die Sache ist vorüber. Kauft man aber eine Aktie, so bekommt man für sein Geld eigentlich nichts, denn ein Stück Papier ist doch so zu sagen nichts. Man gibt sein Geld also für eine Hoffnung sich eben reichliche Zinsen. Man legt die Hände in den Schooß und läßt sein Geld arbeiten, wie sie's nennen, anstatt daß man sich selber abplagte. Erfüllt sich die Hoffnung nicht, nun, dann be kommt man allerdings keine Zinsen, das ist selbstverständlich, aber das Geld, das man hergegeben hat, das muß man doch wieder zurückbekom men, denn man hat ja dafür noch nichts gekriegt, als ein Stück Papier. Das ist Jedermann so sicher wie Weihnachten am LS. Dezember, unb darüber braucht sich Niemand graue Haare wachsen zu lassen." Woher Frau Heinzelmann diese ihre Weisheit hatte, ist stets Geheimniß ge blieben. Gewiß ist nur, daß dieselbe auf Frau Johanne nicht den richtigen Eindruck machte, denn wiewohl diese Dame im gegebenen Zeitpunkte eigent lich noch keine rechte Veranlassung zur Verzweiflung hatte konnte sie es doch, offenbar aus alter Gewohnheit, nicht unterlassen, unter einem tiefen Seufzer die Hände zusammenzuklap „Ach ach Gott; wie wird das noch werden!" Kaum war dieser Stoßseufzer ihren Lippen entflohen, da erschien, anzu sehen wie ein Gespenst aus jenen längst verflossenen, aber schönen Tagen, da die Bewohner einer anderen Welt auf das Geheiß der Sterblichen kamen und gingen wie wohldressirte Pudel, Vatei Wurm in der Thüre. Sein Antlitz hatte die Farbe von holländischer Leinwand, unter dem spärlichen Haare perlten Schweißtro pfen hervir und die Kniee schlotterten so bedenklich, daß man feden Moment befürchten mußte, der arme Wurm würde unter seiner eigenen Last zu sammenklappen wie ein Taschenmesser. Dabei war seine Toilette bedeutend in Unordnung gerathen, denn der eine Theil seiner Hosenträger baumelte auf diese Weife beim besten Willen keine Gelegenheit fand, das K-Nn in der Binde verschwinden zu lass«. Frau Johanne befand sich just iii der Stimmung, ein Unglück zu ahnen und sie begrüßte daher ihren Gatten, ohne erst dessen Anrede »»zuwarten, „Hilf Himmel! Der Allmächtige stehe uns in Gnaden bei!" Der alte Wurm stand noch immer sprachlos unter ber Thüre und wies nur mit einer wahrhaft erschrecklichen Gebärde nach dem Zeitungsblatte, das er aufgeschlagen in der Rechten hielt. (Fortsetzung folgt.) Kur die Küche. Russische Suppe. Etwa? Sauerkohl kocht man mit einem Stück Schweinebauch weich, legt ein halbes bis ein Pfund Bratwurst dazu und laßt diese einige Zeit dämpfen. Nun nimmt man die Wurst und daS Schweinefleisch heraus und thut den Kohl zum Abtropfen in einen Durch schlag, alsdann kocht man von guter Fleischbrühe mit der entfetteten Kohl brühe und etwas in Butter geschwitz tem Mehl eine seimige Suppe, schnei det den Kohl einige Male durch, thut ihn in die Suppe und zieht dieselbe'mit einigen Eidottern und etwas saurer Sahne ab. Das Schweinefleisch, ein Stück Rindfleisch aus der Bouillon und die abgehäutete Bratwurst schnei det man in kleine Stücke und thut sie in die Suppe. Diese Suppe schmeckt vortrefflich. Gebratene Wildenten. Die wilden Enten werden einige Tage in Essig gebeizt, dann auf der Brust in drei Reihen mit Speck und Citronen schale gespickt, gut'gesalzen, gepfeffert, iin Rohr gebraten, mit saurem Rahm und Essig betropft und in der eigenen Sauce, nach Belieben mit Kartoffeln, aufgetragen. Lammbraten. Hiezu wählt man entweder das Schulterstück oder die Keule mit dem Nierenstück. Das Fleisch muß etwa zwei Tage alt ge schlachtet sein und wird womöglich nicht gewaschen, sondern nur gut abge wischt, mit Salz bestreut und in einer Pfanne bei ziemlicher Ofenhitze unter fleißigem Begießen eine bis ein und eine halbe Stunde gebraten. Dann und wann schüttet man einige Löffel kräftiger Fleischbrühe zu und gibt Acht, daß der Bratensatz nicht zu braun wird. Die Sauce wird mit hellbraun geschwitztem Mehl famig ge macht und extra gegeben. Salat oder feines grünes Gemüse paßt am besten dazu. Kalbsschnitzel auf rhei nische Art. Die gut geklopften Schnitzel werden mit ein wenig Salz, und weißem Pfeffer gewürzt, in Ei und geriebener Semmel umgewendet, in frischer Butter auf beiden Seiten hellbraun gebraten und beim Anrich ten oben darauf mit einem Gitter von Sardellenfilets und Kapern belegt. Man gibt eine Sardellensauce oder ge schmorte Kartoffeln dazu. ' Gemüse von Hopfen keim chen. Die jungen Hopfensprößlinge werden gereinigt, in Bündelchen ge bunden und in Salzwasser gar ge kocht. Man stellt einen Durchschlag auf einen Kochtopf mit etwas heißem Wasser und läßt die Hopfenkeime da rauf abtropfen, damit sie während der Bereitung der Sauce heiß bleiben. In Butter schwitzt man eine gewiegte Schalotte und gehackte Petersilie, gibt etwas Milch, zwei Löffel Fleischbrühe, etwas Glace, eine Prise Muskatnuß, Pfeffer und Salz daran und schwingt hierin die Hopfenkeimchen heiß, richtet sie gehäuft an und umgibt sie mit ge rösteten ausgehöhlten Brotschnitten, in deren Höhlung man ein fertiges Setzei legt. Sch l es! fche. m ü r beK irch en. Sieben hartgekochte Eigelb werden mit einem halben Pfund Zucker verrieben und mit einem halben Pfund ungesal zener Butter nebst einer Messerspitze Salz und zwei rohen Eiern vermengt. Dann werden ungefähr zwei Pfund Mehl dazu gethan, undi die Masse tüchtig geknetet, bis ein glktter Teig entsteht. Nun wird der Teig mit der Nudelrolle einen knappen halben Zoll dick ausgerollt und mit Formen ausge stochen; die Backbleche werden mit Mehl bestreut, die Kuchen nicht zu dicht aneinander gelegt und verrauf mit einem zerklopften Ei bestrichen. Nun werden süße Mandeln fein geschnitten und, mit Zucker und Zimmt: vermengt, auf die Kuchen gestreut. Diese werden ganz hellbraun gebacken. S pi n a t p u dd i irgi Vier reich liche Handvoll Spinat werden gelesen, gewaschen, in siedendem Salzwasser schnell überkocht, ausgedrückt, feinge- Milch, drückt sie fest aus mid thut sie gehackten gebratenen Nieren, einer ge wiegten Zwiebel, etwas Petersilie und einem Viertel Pflmd kleingeschnitte nem Speck zu dem Spinnt. Nun wird die Masse gutverrührt, einige Miim ten durchgeschwitzt und bei Seite ge stellt zum Auskühlen. Nun rührt man ein Viertel Pfund Butter luicht, mischt nach und nach sechs bis achr Ei dotter in die Spinatmasse, etwas Salz, Muskatnuß und den Schnee der Eiweiße darunter, streicht eine Form von dünn gebacken«,,, Eierkuchen-, füllt die Masse hwein mid kocht den Pud ding ein und eine viertel Stunde. Sorgfältig gestürzt, reicht i.-»an eine feine weiße Buttersauce dazu. Kalte Speise auS Oran- Ein halbes Pfund Zucker, auf welchem man die Schale einer Orange Glas Weißwein vermischt. Nun schlägt man diese Masse auf schwachem Feuer zu Schaum, mischt ecke Unze aufge löste Gelatine dazu, stellt das auf'K Eis und schlägt anhaltend, bis es ab» gekühlt ist. Nun schlägt man ein Pint süßen Rahm zu Schaum und füllt beides, gut durcheinander verschlagen, die Speise gestürzt und beliebig mit Eingemachtem u. f. w. verziert. E i n S t eck e n pfe r d 112 r i ß t l oft mehr als hundert Ackergciule. , 3
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