2 Renan über „gut« Sitten". Dieser Tage wuroe in Paris cin Schriftsteller verurtheilt, weil dic Rich ter der Meinung waren, seine Schildc rungsweise und die guten Sitten stün den nicht recht im Einklänge. In dem Lande eines Rabelais macht diese Ver urtheiluug natürlich einiges Aussehen, und dic Reporter bemühen sich, dic Mei nung dcr großcn Schriftsteller über das richterliche Urtheil zu pubticircn. Die Mehrzahl gibt den Richtern Unrecht. Neugierig ivar man auf das Urtheil des Großmeisters der Pariser Schrift stellerwelt, Erncst Renalis. Dcr Re porter fand ihn leidcnd. Seine Schmer zen bereiten i>>m Schlaflosigkeit. „Ich frage Sie," bemerkte er ironisch, „wa rum der (Ävige mir solche Oualeu be reitet. Zweifellos will er unsere Ge duld erproben. zweifellos.... oder ich setze cs wcnigstcns voraus. Denn wir suchen in Allem den Endzweck. Wir find Endzwcckler, wie Voltaire sagte. Das ist ein Ausdruck des achtzehnten Jahrhunderts. Jetzt ist er sehr in Ver gessenheit gerathen. Unser Freund Earo (der Philosoph) würde, lebte cr noch, uns das crklären, er, welcher den Grund aller Dinge kannte. Er hatte ein System. Wir dagegen wissen nichts. Uebrigens ist das einerlei. Leben, so wie es ist, ist cinc gute Sache. Abcr die Schmerzen ... Ich verstehe das nicht. Ich weiß wirklich nicht, was der Ewige damit wollte." Dcr Intervie wer, welcher cin heiterer Mann zu sein scheint, entgegnete! „Das wird Ihnen im jenseitigen Leben angerechnet wer den." „Das wäre," erwiderte Re nan, „wahrhastig sehr bequem, das jenseitige Leben um den Preis einer Krankheit zu erringen." Nach diesem Gespräch kam Renan auf dic Frage selbst. „Wahrhaftig", sagte er, „ich habe gar keinen Grund, darüber eine Meinung zu haben. Nichts ist schwie riger. Das Gesetz muß umsichtig aus gelegt werden. Der Richter mnß sehr umsichtig sein. Dic Interessen der Kunst sind sehr zu berücksichtigen. Hat!« ich das Geietz vor Angen, könnte ich bes ser diskutiren. Wenn ein Bürger, ohnc dazu provocirt zu wcrdcn. cinc Zcitnng oder cinc Schrift kauft, gcstche ich Ihnen, daß ich nicht einsehe, wie Zei tung oder Schrift ein Delick begangen haben sollen. Jeder ist doch frei, zu kaufen oder mchk. Mit einem Worte, ich sehe das Vergehen blos in dcr Pro vocakion." Dcr Reporter fragt noch, was von Renan demnächst erscheinen werde. „Beinahe Nichts," antwortete dcr Gclehrte, „eine Sammlung kleinerer Schriften." Und nachdem ihm dcr Jn tcrvicwcr baldigste Besserung gewünscht, antwortete Renan mit großer Wärme: „Danke, lieber Herr, danke; Sie sind die Güte selbst." Mit einem Worte,' Renan war sehr höflich, abcr—cr hatte *>rn Schnupfen. Heldenmüthige Krauen. Es war im Jahre 1742, als dcr Her zog Karl dcr Kühne von Burgund die Siadt Bcanvais (Hauptstadt des sran zösischeu Departements Oisc) mit gro ßem Heere belagerte. Dic Bewohuer schast bot ihm abcr Trotz, nnd so ent schloß er sich, die Stadt zn stürmen. Schon waren die kamAfgeübten Bur gunder bis zu den letzten Verschanzun gen vorgedrungen und unter dcr Bür gerschaft die größte Vernirrnng allsge brochen, als ein Wcib aus der Menge emportaucht nnd sich den Fliehenden entgegenwirst. Zorn spricht aus ihren Blicken. Verzweiflung verstärkt ihre Stimme. „Ihr sticht?" ruft sie, „habt Ihr denn keinen König, habt Ihr keine Kinder mehr? Ihr Pflichtvergessenen, flicht, ich allein werde mich vertheidi gen!" Die Angerufenen stutzen und staunen. Sie kcnnen die Frau, es ist ihre Mitbürgerin, JeanneFonqnet, ge nannt Hachette. Muth kehrt in die Herzen der Fliehenden zurück. Sie fol gen der tapferen Anführerin nnd stür zen auf's Neue dem andringenden Feinde entgegen. Abcr dreimal zurück geworfen, fliehen sie in Verwirrung abermals in dic Stadt zurück. VcrgcbcuS suchte Hachette sie auf's Nene anzufeuern. Unter Heulen und Wehklagen eilen dic flüchtigen Frauen nach den Kirchen und suchen mit ihren Kindcrn Schutz an dcn Altärcn und in den Grllstc». Hachcttc aber verzagt noch immer nicht. Sie besteigt die Kanzel und ruft: „Ihr winselt, ivo ihr handeln könnt? Die Furcht überlasset den Männern! Ergreift dic Waffen, die sie fortwarfen. Wenn sie Weiber sind, so laßt uns Männer sein. Wcr ein Herz hat, folge mir!" Und von Streitwuth erfaßt, raffen sich die Wei ber aus, jede einen Speer und, Hachette an dcr Spitzc, dringen sie mit Ungestüm dem Feinde entgegen. Dieser staunt und geräth in'S Wanken. Schon war die Maner erstiegen. Eine bur gundische Fahne war ausgepflanzt und sollte den Schaaren den Sieg vcrlün dcn. Karl der Kühnc stand selbst da bei, um sie mit seiner Lanze zu decken. Hachette abcr stürzte sich mit Todesver achtung gegen ihn, weicht dem ans sie gerichteten Lanzcnstoß aus. ergrcist die Fahne und entführte sie. Diese nncr hörtc That cntmuthigt die Feinde, be geistert die Vertheidigerinnen. Man glaubt au Zauber. Karl wmcht, dic Seinen mit ihm und die Stadt ist ge rettet durch cin Weib. Zn-r Er innerung an diese Heldenthat verord nete König Ludwig Xl. eine jährliche Prozession in Beauvais. in welcher die Frauen den Zug ansiihrjen. Feinfühlend. Frau (zum Dienstmädchen): „Sie werden nach lässig. Lina-ich inerke eS deutlich; früher haben Sie die Stiefel mit viel mehr Liebe gewichst!" Sonderbar. „Diese Män ner sind doch mehr wie cigenthiimlich! Sobald mein Max verreist ist, sendet cr mir in jedcm Brief tausend Küsse, und ist er hier, kann ich keinen einzigen be tommcn!" allerlei franzSstsche Bräuche und Umgangsformen. Der Franzose gilt im Ausland sür den AuSbuud dcr Höflichkeit nnd der verbindlichen Umgangsformen, was für srühere Zeiten vielleicht mehr zutrifft, als für dic heutigen. Man bildet sich cin, daß stcise Sitte, Förmlichkeiten aller Art, dic wie ein Alp aus dein ge sellschaftlichen Leben anderer Bölker lasteii, aus dem sranzösischeu völlig verbannt seien. Aber das ist ein ge waltiger Irrthum. So ist alles, was ans Verlobung nnd Hochzeit, ans die Besuche, den mündlichen und brieflichen Verkehr, auf Titel und Trachten, Di ners und Bälle Bezug hat, auf's pein lichste geregelt, zninal in Paris. Wir haben eS hier mit dem Ergebniß einer langen, stetig fortschreitenden Entwick lung zu thun und dieser einheitliche Eharakter des gesellschaftlichen Lebens, den man in jüngeren Weltstädten ver mißt, hat ja zweifellos auch bedeutende Bortheile. Aber es fehlt ihm, wie gesagt, auch nicht an Schattenseiten, und um so we niger, als die völlige Kenntniß jener clu monclo" nnr durch eine daraus zielende formale Bildungs- und Erzichungsweise erworben werden kann, die der Entwickelung der persönlichen Eigenart nicht gerade förderlich ist. Das „s-rvoir vivrs" dehnt sich in der That auf die geringsten Kleinigkeiten aus, beispielsweise auf die Art, wie man Jcm«nd auffordert, cinc Eiga rcttc mit Einem zn rauchen. Statt zuerst die seine anzuzünden und sie dann dem Gaste an Stelle des bren nenden Streichholzes zu bieten, oder statt sich des Streichholzes zuerst zu be dienen, damit der andere sich nicht zu beeilen braucht, oder endlich statt zwei Hölzchen zu entzünden, wie es in Teutschland vielfach geschieht, ohne daß es dort dasür eine allgemeine Regel gäbe bedient sich dcr Franzose im mer nnr eines Streichholzes, duz er tuerst dem Gaste bietet. Dic Damen in der Theatcrloge sind mit unerbittlicher Strenge an ihren Platz gebannt, wie es ihnen verboten ist, ihr GlaS auf die Zuschauer zu rich ten oder den unschicklichen Gruß eines im Parquet oder iu der Loge sitzenden Herrn zu erwidern, dessen Ritterpflicht eS heischt, während des Zwischenaktes seine Aiiswartung zu machen. Seit einiger Zeit gilt es übrigens auch sür unschicklich, eine Dame in dcr Straße zu grüßen, wenn man ihr morgens be gegnet. Warum unschicklich? weil die Dame, wie cs im Boulevard- Kauderwelsch yeißt, "«n trottin", d. h. zu einfach gekleidet ist. ,Man thut da her, als sähe man sie nicht, was nicht nur an sich lächerlich, sondern anch ganz und gar leine Schmeichelei für dic ist, deren Prnnkilcide man größere Ehren bezeugungen zu schulden glaubt, als ihrer Persönlichkeit. Ueberhaupt ist das Eapitel dcr Grußsormcn rcich an ilnsrciwiUigcr Komik, und zwar um so mehr, als cS sich viclsach nur um cinc Ziachäffung englischer Bräuche handelt, die dem sranzösischcn Wesen nnii ein mal nicht entsprechen. Li <luc> kaciunt iilsm. »»» vst iciuili, und darum ist cs auch überaus schwer, bei der Ver beugung, die der seiner Natur nach .meist lebhafte und geschmeidige Fran zose bei der ersten Borstellung macht, sich des-Lächelns zu erwehren. in einer taschcnmcsserartigen Brechung des Körpers in zwei gerade Linien, wo bei die Arme vor den Knieen wie die nncs Hampclmatzcs senkrecht herab hangen. Später aber wird die Dame nur noch mit einem Kopfnicken oder gar nur mit einem Lächeln gegrüßt, dessen Acetraulichleit geradezu impcrlinent ist. Freilich sind die Französinnen selbst an dieser Zwanglosigkeit schuld, denn auch sie haben das Grüßen verlernt, stehen steif vor dem sich verbengende» Herrn, als hätten sie eine Elle ver schluckt. und danken hänsig nicht einmal durch ein Kopsnicken, das die unschöne Nrußfoim der Damen unter sich bildet. 'l)!an erzählt sich, die Kaiserin von Lcstcrrcich, der seinerzeit der Graf Zk. vorgestellt wurde, habe die Aeußerung gethan: „Das ist der erste Franzose, der zu grüßen versteht!" Das klingt nach dein eben Gesagten keineswegs nn walirfcheinlich. Mit den Vorstellungen hat es übri gens auch seine eigene Bewandtniß. Ist die Gesellschaft bei uns in Deutsch land nicht allzu groß, so macht der Wirth alle seine Gäste untereinander bekannt. Anders in Frankreich. Tort bequemt sich Wirth oder Wirthin zu jener allerdings unbequemen Pflicht mir in dem Falle, daß ihnen der, wel cher vorgestellt sein möchte, näher be lannt oder empsohlen ist. Ich erinnere mich eines Falles, wo Jemand zweimal eine ihm ziemlich sremde Gesellschaft lediglich deshalb besuchte, nm die Be> tanntschast einer cindereu Person zu machen. Diese war auch beide Mal anwesend, aber er konnte mit ihr gleich wohl kein Wort wechseln, iveil er ihi nicht vorgestellt worden war. Im ge» Heimen verwünschte er diese Etikette, dic um so erkaltender wirkt, als es jetzt !>»» guten Ton gehör», eine unnatür liche Thcilnahmlosigleit zur Schau zu tragen, die sich vornehmlich durch die beinahe vollige Abwesenheit von Ge bärden und einen inarmorlallcu Ge sichtSauSdruck bekundet. Das gibt de» riujt so IcbciiZsroheii sranzösischeu Ju gend'etwas GeeisenlMsieS, das sie selbst ini Ease nicht abschüttelt, wo eS nicht für "vkio" gilt, seine Bekannten 5» grüßen, eS sei denn, daß man mit ihne« zu sprechen oder sich zn ihnen zu setze» gedenkt. Dann zwingt man seiner Lei cheul-ittermiciie ein flüchtiges, schnell wieder' erstorbenes Lächeln ab. Bis weilen Hort Max in Ti»tschla»d auch sagHi: „Wie schön sind doch die FranK'sen mit ihren Anreden und Titeln dran, da gibt es keine Frau Räthiii, keinen Herr» Forstmn- ster, sondern nur movsisur nnd ma» cl»mo, nichts einfacher als das!" Es ist abcr doch nicht immer so einfach, wie es scheint. Nehmen wir ein Bei spiel. Herrn Dubais reden wir natür seinc Tochter »lüllsmoissllo an, das versteht sich, abcr wenn wir zu ihm von den beiden sprechen, so wird die Sache gleich verwickelter. Man darf nicht wie es der kleine thut, vot,-« Brauch wäre. Da muß es heißen darf nun wicdcr scinc Frau nicht in»clir,ns Oubl'k nennen, wie es in den uiltcren Elafsen der Gesellschaft üblich ist, sondern ma ksmmo, es sei denn, daß cr zu dcn Dienstboten spricht. Und so ließe sich noch cinc ganzc Reihe von Beispielen anführen. Noch verwickelter ist das Formenwe sen sür dcn Briefwechsel. Beispiels weise überschreibt man feine» au einen Oberste» gerichtete» Brief mit monsisur Is oolonsl, abcr im Bcrlanf desselben begnügt man sich mit einem einfachen selbst Soldat ist! dcr Marschall odcr Admiral hat dagegen dauernd aus sein Anspruch. Für die Schluß worte gibt cs vielleicht mchr Abtönun gen als selbst im deutschen Briefstil, ob i'chon eS kein Wohlgeboren, Hochehr wiirdcn und dergleichen gjbk. Wenn man auf gleichem Range steht, schließt man beispielsweise mit: vsuillv/., »ion- Borgesetztc» wird aus dem rseovoir ein aber der Vorgesetzte dcr Briefsteller, so ist von einem vouillizx oder garzoullvü liisn nicht mehr die Rede, sondern es I-Kllos u. s. w. Auch das assurarics ist wieder eine Schattirung. Ein Untergebener dars nicht dic „Versicherung" scincr Hochachtung gc bcn, weil diese ganz selbstverständlich ist. Er gibt ihr nur „Ausdruck". Auf kurzen Billets und unter nahcn Bc kannkcn bcgnügk man sich mit einem „ich drücke Ihnen dic Hand", 'l'»»t » vo»s, „ganz dcr Ihrige" oder, was jetzt für ganz bespnders vlüe gilt, nian wählt einen englischen Brocken, und dergleichen mehr. Auch die Visi tenkarte besitzt ihr sehr entwickeltes Ec rcnivniel, ist sic doch so ctwas wie eine GesellschaftSlebenS. So spielt sie zu Ncujahrc eine große Rolle, uud nm sie odcr dcn Adressaten odcr btidc zu chrcn, will es heute der gute Ton, daß man ihren Umschlag statt mit einer scMarte mit cincr solchen von 15c beklebt, wie cs denn auch vornehmer ist, in Paris einen Rohrpostbries zu schicken, selbst wenn eS mit dem Inhalt gar nicht eilt. Alles das sind Kleinigkeiten, aber sie kennzeichnen vortrefflich dic kleinliche Tyrannei der Mode, die nicht nnr die Form des Kleides nnd das Maß des Robenausschnitts vorschreibt, sondern auch die neueste verbcsscrte nnd rer inehrte Auslage des Gescllschastscodex besorgt. Natürlich ist sic auch die Be hcrrschcrin dcr Umgangssprache, dic heute jedes kräftige Wort vermeidet und es durch eine mildernde Umschreibung, wie iri»!X!rc!t für pss vnu, ersetzt, wenn sic, wie im naturalistischen Roman, nicht ctwa unnatürlich pöbclhasl ist. Bci der Erziehung der jungen Mäd chen wird auch lediglich der Zweck ver folgt. sic unter dcu Fingern dcr Mode tnetbar wic Wachs zu machen. Man schickt sic frühzeitig in'S Kloster, wo sie von den Lchrschwestcr» cinc Ausbildung erhaltcn, dic in erster Linie auf dic Er- Werbung der sogenannten gesellschast lichen Tugenden, auf dcn Flittcr dcS savoir vives gerichtet ist. In's Vater haus zurückgekehrt, wo das junge Mäd chen nicht immer ein Muster des Ehclc benS vor Augen hat, überträgt es das Erlernte in die Praxis—cs schauspielert weiter. Wie man cs streng überwacht, so muß cS sich selbst peinlich überwachen! aber srcilich nicht im Sinne des weisen „Erkenne dich selbst", sondern dnrch die Unterbindung des Kindesgemüths. Das Goethische Wort: Das preisen dic Schüler aller Orten, Sind über kcinc Wcibcr gcwordcn, »>aßt mit lcicht veränderter Lesart recht eigentlich auf das französischeFräulcin. Auch ihm hat man „den Geist hernuS getricbcu", uud darum wird cs wenig stens in dcr Gcsellschast, die sich an maßend Is inonrls ncnnt, so scltcn cine gute Frau, eine gute Muttcr. Die Hcirathcn sind cin Stoff, dcsscn Be handlung mich heutc zu weit sührcn würde fast immer convcntiouell und so unnatürlich wie der unvermittelte Uebergang von dcr Unfreiheit des jun gen Mädchens zur fast ungebundenen Freiheit, deren die dazu in keiner Weise vorbereitctc Frau iu Frankreich genießt. Und doch drohen grade ihr vielleicht cben deshalb aus Schritt und Tritt die seiiigesponncnen Netze dcr französi schen Galonteric, cine Thatsache welche die moderne Literatur ja bis zum Uebcr druß wiederspiegelt. Nu? zu ost tän delt die jnnge Fran mit dcn Gefahren, dic sie umgebcn, nm zu zeigen, daß sie tr«» fort« sei, abcr selten sällt dicfcr kecke Berslich zu ihren Gunsten aus, und schnell hat sie dcu billigen Trost znr Hand, daß ihr Gatte es nicht besser treibt als sie. Und dann geht cs auf der schiefen Ebenc nicht »uuder schnell hinab und niemand zeigt sich iu pruil!t»derer Toit lcttc aus de» Bällen und selbst auf der Straße; nicmiind wcttct hoher aus den Rennplätzen, niemand drai»gt sich bei de» öffentlichen Peranstaltuugen dcr Wohlthätigkeit mehr in den Vorder l'eilnd sls eben die. welche die U/adty rerkrone einer unglücklichen Ehe amr er uebuiiM'Mten vi tragen scheint. Der neueste Tilberbulim. Noch immer hält der Zuzug von Aben teurern und GlückZritter» nach dein nenen Eldorado. Erccde in Colorado an, und man nimmt an. daß dessen heu tige Bevölkerung von 51)00 «--«eleu sich bis zum Juni nahezu verdoppelt habe» wird. Ereede ist heute etwa dreiviertel Meilen lang und besteht aus drei langen Häuserreihen, dic in der Richtung des reißenden Gcbirgsbachcs, der die Schlucht durchfließt, gebaut sind, durch schnitten von zahlreichen lächerlich engen Querstraßen oder vielmehr Gäßchcn (dieselben sind oft geimg kaum 15 Für breit), um sich dann in die Schwcster stadt Jimtown zu verlieren. Ereede und Jimtown sind soznsager über Nacht emporgewachsen. Die Nach richt, d.iß in dem Willow Ereek eber jenem GebirgSbach Silbererz vor außerordentlich großem Gehalt zu Tag, trete, verbreitete sich mit blitzartiger Ge schwindigkeit, und bald lockte die Hoff, nnng ans sichern nnd schnellen Gewinn eine wahre Völkerwanderung nach dem vergessenen Winkel in Colorado. Precdc liegt 0000 Fuß über dem Meeresspiegel und ist so kies in die enge Gebirgsschluchl eingekeilt, daß dic Sonne in ihrem höch sten Stande kaum zwei Stunden lang ihre Strahlen hinabsenden kann. Jimtown ist bedeutend günstiger ge legen. Denn da die Schlncht sich nach dorthin bedeutend erweitert, genießen seine Bewohner etwa sieben Sknndcn Sonnenschein. Die dünne scharfe Luft der hohen Lage ist schon vielen Leuten gefährlich geworden; Männer, dic mit Herzleiden behaftet waren, sind bereits nach einem Ausenthalt von wenigen Schlage getroffen todt aus der Straße umgefallen. Andere muß ten, ohnmächtig und kraftlos, bereits nach kurzer Zeit den verderblichen Auf enthalt schleunigst verlassen. Uebrigens entspricht der Stand der Bevölkerung keineswegs dem starken Zuzugc, denn sehr Biele verlassen den Ork sehr bald wicdcr, nm nie wieder zukommen, und nicht blos aus Gesund heitsrücksichten. Thatsache ist nämlich, daß Ereede in übertriebener Weise „gebuhmt" worden ist und daß sehr Viele, dic mit hochgespannten Erwar tungen anlangten, gründlich enttäuscht wieder abzogen. Trotz alledem bleibt immer noch genug des Wunderbaren nnd Pittoreslen, um den Ort interes sant genug erscheinen zu lassen. Crcede's Mff u»d Jimtown. Von der Bevölkerung besteht dic eine Hälfte aus Bergarbeitern und Gewerbe treibenden. die andere ans Specnlan ten. Besuchern, Gentlemcn ohne be stimmte Beschästigung. Spiclcr» und Jndnstricrittern. HauShaltuugcu nnd Familicn sind nnbekannle Begriffe in Ereede. Jeder behilft sich so gut-, wie ?r kann, denn der Aufenthalt in diesem Wolkennest ist ja doch höchstens nur ans Wochen berechnet. Niemand denkt im Ernst an eine dauernde Ansiedelung. Im Laufe eines Monats kann man irgend einen der zahlreichen Berkanfs lädcn ein Dntzend mal seinen Inhaber wechseln sehen. Zu haben ist alles, von der Spitzhacke des Minenarbeijcrs bis zum Eoltrevolver und zur Nähna del. natürlich gegen horrende Preise. Dieses Eintagslcbc» hat natürlich das Hotelwesen zn exotischer Blüthe enipor getrieben. Mehr als hundert Hotels gibt's in Ereede und Jimtown. Natürlich darf man nicht viel nach Aeußerlichkeiten suchen. Eine Bret terbude von sechzehn Fuß Geviert, die Thüröffnung mit einer wollenen Decke verhängt, trägt den stolzen Namen „Pa- Das ist ungefähr dcr Durch schnittstypus. Manche dieser „Hotels" siild allerdings geräumiger. Gewöhn lich birgt* der „Schlassaal" 20 bis tili Gäste, welche für eine Pritsche mit Deck, einen Dollar, ohne solche einen halber Dollar sür dic Nacht entrichten. Die Hauptftrake. Der starken Nachfrage nach Unter kunft nnd Herberge ist die Pullman- Gesellfchast insofern entgegengekom men, als sie nlif einem Seitcugclcisc Ereede ist, wie man sieht, auch Bahn station gewöhnlich drci bis zehn SchlaswaggonS ausstellt, in denen du Elite dcr Gesellschaft für den civilen Preis von S 2 sich den Luxus einei fürstlichen Nachtruhe gestatten kann. Der Preis ist an den farbigen Schaff ner zu entrichten. Noch zahlreicher, als dic Hotels, sind dic Restaurants, denn der „European Plan" bildet für Ereede die ausnahmslose Regel. Auch deren Einrichtung ist denkbar primitiv. Ein kleiner Ösen aus Eisenblech sogen. „Salamander" —.ein Bretter tisch, zwei Dutzend Schüsseln und Teller, ein Koch,der die Tabakspfeise nicht kalt werden läßt, bilden das einzige Inven tar. Die Speisekarte, drci Mahlzcite» täglich, bictct das nnvcrmcidlichc „Hain, Bacon und EggS" in nihrcndem Einer lei. Gegenwärtig wird die Erzgewinnnnc von vier Unternehmern betrieben, welche 500 Leute beschäftigen. Du tägliche Löhnung übersteigt nicht 83, ein sehr maßiger Satz in Vergleich mit dem anderer Bergwerke. Man hofft natürlich sehr stark ans die Passirung der Silbcr-Freiprägungsbill im Eon grcß, und baut schon allerhand Zn tnnftsplänc darauf. Besonders be mcrkcnswchrk ist dic Schnclligkeit, mi welcher dic Börsenspekulation sich de ncuen „BuhmS" bcinächligt hat. Di« Minen sind sofort in Kuxe zcrlcgt wor den! cin Speculant, dcr in einem neuen Schacht auf Silber muthen wollte, fand nichts, ließ sich aber unverzagt für 827,000 Kure darauf lithographi ren, nahm einen Markscheider nebst allerhand silberhaltigen Proben nach dem Osten mit und brachte seine 827,000 Acticn glücklich an den Mann. Obwohl eigentlich keine Behörden cxistircn nnd in den zahlreichen Spiel höllen mit Wuth hazardirt wird, herrscht doch leidliche Ordnung, und selbst notoriiche Mörder und Strauch ritter, von denen es natürlich in Ereede wimmelt, machen sich nicht allzusehr Hemerklich. In dcr That existirt cinc geheime Rcgnlakorcngcsellschaft, die mit den Verbrechern gegen Leben und Eigenthum sehr wenig Federlesens ma» chcn würde. Mißverstanden. Arzt: „Na, licbcr'Profcssor, führt Sie einmal wieder Ihr altes Uebel zu mir?" Professor (erschreckt): „Um GottcSwillc», sie sitzt ja im Vorzim mer!" fm lis Birclo. Zwölfjährige Else: „Ach, ich bin recht tranrig!" Frenndin: „Wieso?" Else: „Ich fürchte, wir werden in diesem Jahrhnndcri beide kcincn Mann mchr beloinmcn, wir wcrdcn wohl bis zum nächsten Jahrhundert warten müs sen." „....Sie scheinen mir kein guter Reiter zu sein, Herr Baron fielen ja gestern gerade vor meinem Fenster vom Pserde!" „O, gnädigstes Fräu lein deuten dies falsch war ja Ab sicht Ihnen absolut einmal zu Füßen zu fallen!" Die Abneigung dcr Frauen, ihr Alter anzugeben, ist durchaus nicht neueren Datums. Schon in der Bibel ist nurHaS Altcr einer einzigen Frau, nämlich Sarahs, angegeben. Ein alter Junggeselle wird zuletzt nur noch ein Jnveiitarstü<k für Gastwirthe. Die Bonbonniere. In ihrem eleganten Zimmer saß Frau Hermine und war damit beschäf tigt, aus einer illustrirten Modczcituno ein Dessin, daß sie gerade interessirte, vermöge des bekannten blauen Pauspa piers ans einen weißen Bogen zu über trage». Ebenso kunstsinnig alz wirt schaftlich pflegte sie dic Stunden nach dem Kaffee mit fleißiger Arbeit auszu füllen. und ihr Gatte, der frühere Fa brikdircktor M., wüßte ihre Tugenden zu schätzen. Nebenbei besaß sie indeß noch andere Vorzüge, die mehr nach au ßen hin wirkten, ein interessantes Ge sicht. eine anmuthige Gestalt und viel LJitz. Man setzte ihren Namen gern auf die Einladungskarten, und von den Gesellschaften, die der Direktor gab, brachte man stets die Erinnerung an einen genußreich verlebten Abend mit nach Hause. Frau Hermine wirst jetzt einen Blick auf ihre Uhr. cs fehlen noch einige Mi nuten zu fünf. Sie hat das Tcssin vollcndet und erhebt sich. Sie begibt sich in das anstoßende Familienzimmcr, wo ihr Gatte bei ihrem Eintreten ga lant die Zeitung bei Scitc legt. „Hatte sich nicht unser lieber X, für heute Nachmittag angesagt?" frägt er. „Allerdings." entgegnete sie zerstreut, „ich glaube, cr sprach davon." Tann hebt sie lebhaft den Kopf, „ah. d,r ist er schon!" Tie Entreeglocke ertönt und bald daraus schreitet ein schöner, ju gendlicher Mann über die Schwelle. Es ist der Bankier Ottokar 5.. ei» Freund der Familie, der es hin und wieder liebt, die Eintönigkeit dieses vierjährigen Eheglücks durch seine mun tere Laune und die Unvergleichlichteit seiner originellen Einfälle zu unterbre chen. Und cr erscheint niemals eine kleine Ueberraschung sür die Frau des Hauses, nicmals ohnc cinc pikante Neuigkeit für den Gebieter, die am Ka min unter vier Angen erzählt wird, während Madame den Thee bereitet. Diesmal ist der Banticr in großer Eile. „Wallen Sic mich, gnädige Frau, für hcute von meiner Zusage entbinden. Ein Eousin aus Leipzig nimmt mich diesen Abend in Anspruch nnd ein zugereister Better, das wissen die Herrschaften, ist hartnäckiger wie der Keuchhusten. Apropos, Husten. Ge statten .Sie mir, meine Gnädigste, in diesen Tagen der allgemeinen Erkältung und des internationalen Verschnupft scins diese Bonbonniere zu Ihre» Füßen zu lcgcn." Ein eleganter Ear ton kommt zum Vorschein nnd wird von Fran Hermine dankend in Em pfang genommen. In diesem Augen blick treffen sich die Blicke der Beiden. Sie tauchcn cinc Sekunde in einander und dann spricht der Bankier aus-, schließlich zu Herrn M. Bald darans aber nimmt der unruhige Gast Abschied, nachdem er sein Erscheinen zum nächsten Freitag zugesagt hat. Ter Tirector ist wieder mit seiner Gattiii allein. Im Grunde genommen ist eS ihm lieb, denn cr fühlt sich hcut nicht besonders aufgelegt. Ein leichter Halsschmer', stört sei» Gleichgewicht. „Liebes Kind, redet er scinc Fran an. „dürste ich einmal von Temen Bonbo.i niren Gebrauch machen, ich glaube, es ist bei mir ein Katarrh im Anzug." 'Madame erhebt sich schnell von ihrem Sitz. „Da weiß ich ein besseres Mit tel. Du mußt von den Pastillen neh men. die mir nculich dcr SanitätSrath verschrieb." „Nur keine Pastillen, ich bitte, nur nichts, was nach Medikament aussieht. Dies hier thut'S auch!" Und noch bevor Frau Hermine eine weitere Ansicht äußern kann, hat cr schon dicßoniibonicreanfc'.nemScitcn tifchchen entdeckt, sie geöffnet und ist im Begriff, den Inhalt zu prüseu, als ihm ein zusammengelegter Zeltet zwischen die Finger geräth. Erstaunt faltet ihn Herr M. ausein ander und liest, was dort geschrieben steht. ES waren mir wenige Worte, aber sie athmeten cinc glühende Lciden schask, ans drci Zeilen unzählige Lic- i beserklärungen und tausend »tüssc. Namen waren nicht genannt. Herr M. ist wie vom Donner gerührt. Ihm sehlt jeder klare Gedanke, nur Eins wird ihm snrchtbar deutlich, und dieses Eine läßt seine Hand zittern, die das unselige Stück Papier hält. „Hier, lies das", sagte ergötzlich mit heiserer Stimme zu seiner Frau, „es gcht an Deine Adresse. —Frau Hermine nimmt das Blatt entgegen und ihre Lippen lächeln, während ihr Mann sie starr beobachtet. Jetzt ist sie mit der Lektüre zu Ende. Das Lächeln ist ver schwunden, ihre Augen füllen sich mit Thränen. „Wie?" rusk sie. „Eine solche Nichtswürdigkeit kannst du mir zutrauen? Der Beweis, auf den hin Du mich vernrtheile» willst? Und eS ist gar nicht denkbar, daß ein Irrthum vorliegt? Wäre doch der Banticr hier, daß er dir die Augen öffnen könnte!" Und Madame zieht ihr Taschentuch und bricht in ei» krampfhaftes Schluchzen aus. Sie gcht in das Nebenzimmer, dessen Thür sie ossen laßt. Mit ,zusammen gezogene» Brauen blickt ihr der Tirector »ach. Sie sitzt, mit dem Rücken ihm zugewendet, an dem Tisch, an dem sie vorhin arbeitete. Es hat fast den An schein. als ob sie mit der rechen Hand eine Zeder, oder einen Bleistift sührte, aber nein, Herr M. muß sich tanschen, sie l>at ja den >iops in die linke Hand gestützt und stößt ab und zu ein lau tes Schluchzen aus. Nach einer Weile drückt sie die Klingel, die von ihrem Arbeitstisch zur Bedienung geht. Das Mädchen erscheint, ein treues, länd liches Geschöpf, das die gnädige Frau aus ihrer Heimnth mit in die Ehe brachte. „Ein Glas Wasser. Auguste, mir ist nicht wohl?" Das Gewünschte wird sofort gereicht und dann hört der Direcwr. der im Familiciijinimcr vom Fenster aus in dumpsein Brüten auf die Straßen blickt, einige leis» gewechselte Worte iwil'cken seiner Frau und dem Mad- chen. Endlich erhebt sich Madame, sie kouilnt aus ihren Gatten zu und bleibt dicht vor ihm stehe». Sie sieht ihm sest in dic Aiigcn. „Hast Du Deine Ansicht geändert?" Er vermeidet ihren Blick und zuckt die Achseln. „Ich bin nnr cin Mensch, mein Kind," erwiderte cr. „lind Mcnschen pflegen nach solchen handgreislichen Beweise» zu urtheilen!"- Sie wendet sich nm und setzt sich aus'S Sopha. das Ta schentuch an die Stirn s gepreßt. Er nimmt seine Zeitung aus uud sieht rathloS hinein. So vergehen beinahe zwei Stunden in unheimlichem Schweigen, Ta plötz lich, horch, die Entreglocke! DaZ Mad chen erscheint. „Herr X. möchte sich dic Ehre gcben, dcn Herrn Tirector zn sprechen."—„Wer ist draußen?"—Ter Hausherr ist wie elektrisirt in die Höhe gesprungen. „Herr Bankier X.!" „Ich lasse bitten." Während Madamc mit einer stolzen Bewegung das Zim mer verläßt, tritt dcr Bankier cin. „Licbcr Dircckor," rnst cr, „eine be rufsmäßige Geschichte führt mich über Hals uud Kopf zu Ihnen. Sagen Sie zunächst, hat Jhrc Frau Gemahlin die Bonbonniere schon geöffnet? Herr M. starrt seinen Besucher an. „Nein, so viel ich wciß, ncin."—„Nun. das ist mein Glück. Denken Sie, ich kaufe heute Bormittag zwei solcher Kartons, den cinc» sür Ihre Frau Ge mahlin, dcn andcrcn na" er klopstc dcm Dircctor die Schulter „ich lasse Ihrer Phantasie ist ein herrliches Wcib. das gcnügcHthncn. In dicsc zweite Bonbonniere that ich ein kleines be schriebenes Blüttchen, cinc Art Photo graphie meines zärtlich flammenden Herzens. Und dicsc zivcitc Bonbon niere mit dem Liebesbrief ist vorhin in Folge einer heillosen Verwechslung in die Hände Ihrer Frau Gemahlin ge langt." Herrn M. fällt eine Zentnerlast von der Brnst. Rasch geht er in dcn Hin tergrund des Zimmers, nimmt die Boubonnierc. thut geschickt das ominöse Blatt hinein, das noch daneben liegt, und bringt sie dcm Bankicr: „Hier, lie ber Frennd!" „Aber ich bitte, ich brauche nur den Zettel." Er öffnet, nimmt das Blatt heraus, lächelt uud nickt. „So, und mit dcm Karton bitte wicdcr auf dcu alten Platz und verra ihen Sie mich nicht bei der gestrengen Gnädigen. Besten Dank, lieber Tirec tor." Wie cin Wirbelwind ist cr hin aus. Herr M. athmet tief auf. Ein solch komplcter Esel, wie er geivesen, sin ket sobald nicht seines Gleichen. Er gcht in das Zimmer seiner Frau. Hermine sitzt aus dcr kleinen Chaiselongue. Er setzt sich neben sie und flüstert ihr leise und eindringlich in's Ohr. Ein Stündchen jpäter ist die Versöh nung hergestellt. „Weißt Du, Kind", sagt der glückliche Gatte, „ich werde heut Abend auf meinen Skat perzich ten. Dir sollen diese Stunden gewid met sein. Ich werde gleich hier ab schreiben, wen» Du gestattest." Er setzt sich a» Hermine's Schreibtisch, nimmt ein Eonvert und in dem Suchen nach einem passenden Briefbogen rückt er cin großes, grau-weißes Blatt von der Stelle, das über andcrcn Bogen mitten auf dcm Schrcibtisch lag. Er wendet cs um und bemerkt, daß es Pauspapier ist, auf der Innenseite dunkelblau gefärbt. Da fallcn fcine Blickc anf eincn weißcn Briefbogen, dcr dicht unter dein gefärbten Papier lag und ans dicscm weißen Briefbogen leuchtet ihm eine blaue Schrift entgegen: „Rohrpostbries! Herr Bankier Ottokar straßc N 0...." Mit cincm Schlage hat der Tirector begriffen, wie ein Gimpel war er in dic Falle gegan gen. Er hatte sich vorhin nicht geirrt, hier an dieser Stelle hatte seine Fran geschrieben. Sic schrieb de» Text an den Geliebten wahrscheinlich anf eine Bisitcnkartc, die Adresse abcr sicherlich aus ein dünnes Eouveri uud so gab da» darunter liegende Pauspapier dem Drucke uach und erfüllte feine Pflicht. „Hermine, einen Augenblick!" Sie tritt ;» ihm. „Was bedeutet diese Adresse hier?" Madame blickt auf die blaue Schrift. Sie stützt die rechte Hand auf dcn' Schreibtisch und wird plötzlich ganz bleich, „so blaß, wie die Sünde", denkt ihr Gemahl. Dann schaut sie ihren Gatten an. offen, frei und heiter. „Ich wciß, was Du argwöhnst, mein Freund. Ich an Deiner Stelle würde vielleicht sehnliches vermuthen. Diese Adresse zeugt gegen mich, ich gebe es zu. Es ist möglich, daß ich vorhin an dcn Ban kier schrieb und daß das gefärbte Pa pier an mir zum Verräther wurde. Aber, mein Frennd, cs ist eben nur möglich, wahrschcinlich ist es nicht. Du standst süns Schritte hintcr mir und Du hättest jede meiner Bewegungen sehen müssen. Doch ich will Dich aufklären. Als ich hier saß in Schmerz versnnkc», wcil Du mir mißtrauen konntest, wünschte ich nichts sehnlicher, als daß dcr Bankicr. dieser Dir nun einfältige Mensch kommen möchte, um die Ge schichte aufzuklären. Und dann über legte ich inir in meiner überreizten Ein bildungskraft. ob es wohl angchc, ihn durch Rohrpost hcrbeizurusen und me chanisch kritzelten die Finger mit dem Bleistift diejenigen Worte hin. welche der Kopf dachte. Zufällig lag das Pauspapier darunter und so entstand die Schrist, dic mich anklagt!" Madnmcs Auge» füllte» sich von Nc»«m mit Thränen, ihr Plaidoyer ist zu Ende. „Glaubst Du mir, theurer Freund?" Sie wirst einen Blick aus ihn voll ver heißender Zärtlichkeit nnd breitet ihre Arme aus. Ob der Richterspruch des Gcbicters auf „Richtschuldig" lautete? Wir glauben es, schöne Augen und weiche Arme sind die geschicktesten Ad» vokaten der Welt. Liebe ist beim Mann« ein Zeitwort, beim Weibe das Haupt wort.
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