Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, September 17, 1891, Page 6, Image 6

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    «
<vesundh«tt»pst«g«.
Hie Pflege in fieberhaften
Krankheiten.
Der Mensch ist ein wandelnder Ofen.
Dieser Vergleich hinkt nicht, wie viele
seinesgleichen, fondern er hat, seitdem
wir an der Hand der Chemie und Phy
siologie tiefer in das Wesen deS Stoff
wechsels und der Lebensvorgänge über
haupt eingedrungen sind, an innerer
Berechtigung mehr und mehr gewonnen.
Der Magen bildet den Herd, die Nah
rungsmittel den Heizuiigsstoff, die Lun
gen den Schornstein, der den zum Ver
brennen nothwendigen Sauerstoff an
sich zieht und die verbrauchte Kohle in
Form vou Kohlensäure in die Lust ent
weichen läßt. In zwei Dingen jedoch
unterscheidet sich der lebendige Ofen von
dem gemauerten. Seine Bauart bringt
es mit sich, daß er unter regelmäßigen
Verhältnissen sich aus nicht mehr als
37,5 Gr. Celsius heizen läßt, dafür
ober auf diesem Wärmegrad unter allen
Umständen stehen bleibt. Nach einem
unabänderlichen Naturgesetz streben
zwei in demselben Raum befindliche
Körper von verschiedener Wärme, die
letztere gegenseitig auszugleichen. Da
rum eben heizen wir im Winter unseren
Ose», daß er seinen Ueberschuß an
Wärme der ihn umgebenden Zimmer
luft mittheile. Nicht so jener Heizappa
rat, den w,r Mensch nennen. Er ist
mit einem wunderbaren Widerstands
vermögen gegen die Temperatur der
Außenwelt versehen und beharrt bei sei
nen 37,5 Gr., sei es am Nordpol, sei
es an, Aequator, in der grimmigsten
Kälte wie im glühendsten Wüstenbrand,
Woher diese merkwürdige, beim ersten
Anblick allen Naturgesetzen widerspre
chende Erscheinung?
Ihre Ursache ist ein kleiner, aber
höchst geschickter Mechanikus, der in
unserem Gehirn seinen Wohnsitz hat.
Wie wir in den mannigfachen Provin
zen deS Gehirns und des Rückenmarks
gewissermaßen Centralbureaus sür di«
Sinneswahrnehmungen, für die Spra
che, die Athemthätigkeit, Empfindung
sür geregelte und für Krampfbewegung
besitzen, so gibt es darin auch einen
Wärmeregulator, der daraus bedacht
ist, von unserer Normaltemperatur
jeden Abbruch und jeden Zuwachs abzu
wehren, der das regelmäßige Verhält
niß zwischen Wärmeerzeugung und
Wörmeabgabe »nablässig überwacht.
In gewissen Rindenbezirken des Vor
dergehirnS liegt, wie Thierversuche
überzeugend dargethan haben, die
Werkstatt dieses Kalefaktors, der
diensteisrig sür Nachheizen sorgt, wenn
wir in kalter Umgebung zu viel
Wärme einbüßen, der die Hitze zu allen
Thoren hinauszujagen sucht, wenn's di«
Sonne der HundStage gar zu schlimm
mit uns meint.
Wer denkt in Frost und Hitze an die
Arbeit jenes HeizungsausleherS, den
wir im Kops mit uns herumtragen, der
seine Schuldigkeit thut wie ein treuer,
rechtschaffener Diener, und ungeheißen
und unermüdet feines Amtes wartet
freilich nur so lange, als die Haushal
tung ihren geregelten Gang geht? Denn
mit dem Augenblick, wo eine siebererre
gende Schädlichkeit in den Organismus
eingedrungen ist, verliert er den Kops
und geräth in völlige Verwirrung. Er
fängt an, in'S Ungemessene Wärme zu
fabriziren, er fertigt Hitze auf Lager,
ohne daß ihm die entsprechenden Absatz
gebiete eröffnet wären. Im Gegen
theil, beim Fieber schränkt er die Wä>s
meauSsuhr mehr und mehr ein, so be
sonders im Froststadium desselben, wo
bei angehäufter innerer Wärme die un
ter der Haut liegenden kleinen Blutge
fäße sich krampfhast zusammenziehen
und das Blut nach den innere» Theilen
pressen; innerlich glüht der Körper,
während die Oberfläche vor Frost schau
dert und bebt.
Fieber! Das Wort begegnet unS
am Krankenbett so häufig. Mit wel
cher Besorgniß erfüllt unS das Wach
sen, mit welcher Hossnung die Abnahme
des Fiebers! Das Fieber ist ja einer
der gewöhnlichsten Begleiter »war nicht
aller, aber doch der meisten, hitzigen so
wohl, wie schleichenden Krankheiten,
vom gutmüthigen Schnupfen bis zum
tückische» Typhus hinauf.
fchea isliri», von kvrveo, ich glühe.
Und in der That bildet die Hitze, wenn
auch nicht das einzige, so docb. neben
beschleunigter Pulszahl, Kopfschmerz,
Durst, Mangel an Enlust, Mattigkeit
u. s. w., das bervorragendüe Zeichen
des Fiebers, als dessen Aolgen die er
wähnten Zufälle erst auftreten. Fieber
nennt die Wi'cnscba't jene Störung un
ihr Abiatz »nverl'ätinißmäßiq verrin
gert wird. Das F>eber entstellt durch
eine abnorme Reizung der Wärmezeut
hervorgcbracht werden darckKrankheits
erreger, die sich im Innern des Kör
pers gebildet Koben. oder von außen
geglichen wird, vollzieht sich im fieber
hasten Sturmschritt, wahrend die Zu
fuhr immer tieser sinkt. Die Koh
lensäure-Ausscheidung steigt um 57. v.
H., die des Harnstois» um das Doppelte
bis Dreifache. Der Zeriall der Ge
webstheile, die Beicdlennigung deS
BlutumlausS und der AihmungStbälig
keit führen bei längerer Dauer des
Fiebers mit Nothwendigkeit den Unter
gang herbei. Daher wird bei jeder
mit Fieber verbundenen Krankheit schon
frühzeitig aus Erhaltung der Kräite
durck Beibringung der ge.'igneten Nah
rung Bedacht zu nehmen sein.
Die Höhe des Fiebers und pmit die
Gefahr der Situation bringt das Ther
womeier seine Aiiweiidungsweile
haben wir in einem frühere» Artikel
bereits kennen gelernt am deutlich
sten zur Anschauung, weshalb die itran
kenpflege durch treues Studium feiner
Skala, (Morgens und Abends ist in de»
meisten Fällen genügend) den Arzt sehr
wirksam unterstützen kann. Fragt
aber der Kranke nach dem Fiebergrad,
so braucht ihm nicht immer die Wahr
heit gesagt zu werden!
In schweren Fällen beginnt das Fie
ber bereits in den Nachmittagsstunden
und erreicht in der Zeit um Mitter
nacht den höchsten Grad. Der Kranke
wälzt sich ruhelos auf seinem Lager um
her, seine Haut brennt, der Athem
fliegt, die Zunge ist trocken, die Hände
zucken, der Kopf ist wüst, der Schlaf
gering, von Träumen beängstigt, der
Mund stammelt kaum verständliche, aus
Wahn und Wirklichkeit gemischte Worte.
Erst gegen Morgen wird der Athem
freier, der Schlaf ruhiger.
Der Fieberkranke leidet Tantalus
qualen. Die Ausnahmen, welche ver
bieten, seinen Lippen die ersehnte La
bung des kalten Wassers zu gewähren,
sind selten. Auch Solche, deren besan
genes Bewußtsein die Aeußerung ihres
Verlangens nicht gestattet, verrathen
noch deutlich, wie willkommen ihnen ein
frischer Trunk ist. Man gebe einem
stark Fiebernden kein Glas in die Hand
(sie ist zu schwach, eS zu halten), son
dern flöße ihm das Wasser löffelweis
mit der rechten Hand ein, indem man
mit der linken unter dem Kissen den
lrops behutsam emporhebt.
Der Fieberheiße sucht sich seine Gluth
durch Wegstoßen des Deckbettes zu min
dern; je leichter dasselbe ist, um so
weniger wird er in diese Versuchung
kommen.
Kalte Umschläge um den Kopf kön
nen keinem Fieberkranken schaden und
dürfen ohne Scheu auch in Lungenent
zündungen und hitzigen AusschlagS
krankheiten angewandt werden. Durch
einen Gummi- oder Wachsleinwandfleck
wird man die Durchnässung des KissenS
verhüten.
Sehr Unruhigen, die durchaus aus
dem Bett verlangen, stecke man zwischen
dieses und die Seitentheile der Bettstelle
Bretter; denn Stühle sind bald umge
worfen.
Ost wird der Arzt bei Fieberkranken
wegen des Wechsels der Wäsche befragt,
da man besorgt, der Kranke könne sich
hierbei leicht erkälten. Diese Furcht ist
meistens ganz unbegründet. Das Hemd
des Kranken saugt seme üblen Ausdün
stungen ein, sollen diese wieder am Kör
per ankleben? Die ausgeschiedenen
Krankheitsstoffe sich ihm von Neuem
einprägen? Von, Standpunkte der Ge
sundheit ericheint es also geboten, den
Kranken mindestens alle paar Tage mit
srischer Wäsche zu versorgen, natürlich
stets unter Beobachtung der nöthigen
Vorsicht: erwärmte Wäsche und ge
schlossene Fenster und Thüren! DaS
Aus- und Anziehen eines unbehilflichen
Kranken im Bett ist übrigens keine ganz
leichte Sache, eS gehört dazu, wie Th.
Billroth in sekkem trefflichen Werke:
„Die Krankenpflege in Haus und
Hospital" sagt, .eine gewisse Geschick
lichkeit und Uebung; zuerst wird der
Kranke etwas gehoben oder hebt sich
selber, damit man daS Hemd unter ihn,
fort- und hinausziehen kann. Hat der
Kranke einen Schmerz an der Seite des
Kopses, HalseS, der Brust oder einem
Arm, so läßt man zuerst den Arm der
gesunden Seite emporheden und den
Aermel hinausziehen, während der Arm
zurückgezogen wird; nun wird das
Hemd über den Kopf auf die kranke
Seite hinübergestreift, dann langsam
und vorsichtig von dem kranken Arm ab
gezogen." „Beim Ueberziehen des
neuen Hemdes gehen alle beschriebenen
Bewegungen in umgekehrter Folge vor
sich. Zuerst den Aermel über den kran
len Arm ziehen, dann das obere Hemd
loch über den Kopf streifen, dann den
gesunden Arm in den Aermel einfüh
ren und nun das Hemd unter dem
Rücken herunterziehen, daß es glatt
liegt."
Fieberkranke bedürfen täglicher Wa
schungen des Gesichts und der Hände
und Ausspülungen des Mundes noch
nothwendiger, als Gesunde; anch
Scharlach- und Masernkranke machen
davon keine Ausnahme. Ebenso darf
»uch das tägliche Kämmen und Einfet
len der Haare nicht unterlassen werden;
selbst unter dem Schutze der Frauen -
Hauben wären Versitzungen des Kopf
schmuckes sonst unvermeidlich.
Was die Ernährung in hitzigen und
mit Fieber verlausenden Krankheiten
anbetrifft, so paßt im AnfauMtadium
derselben allerdings nur reizlose, stick
stoffarme Kost. Kaffee und Thee, auch
,och so homöopathisch verdünnt, hitzige
Getränke, seile Speisen, Gemüse und
Fleisch sind streng verboten. Es reichen
ans: einige Tassen lauer Milch, drei
Mal täglich eine Gries, Haferschleim-
oder Seinmelsuppe (eine altbackene
Semmel kleingeschnitten mit Zusatz von
«livas Butter und Salz zu einem Tel
ler heißen WasserS, 15 Minuten lang
.mit überdecktem Gesäß an warmem
!)rt anfichwitzen lassen). Für die
erste Woche genügt diese Kost vollstän
!>>i bis aus Ausnahmen, welche der
Zlrzt bestimmt.
Sobald jedoch die Krankheit sich in
die zu ziehen beginnt,, muß man
an? Erhaltung der Kräfte sinnen. Denn
bei der durch die Fiebergluth erzeugten
Selbstverbrennung verzehrt sich unaus
haltsam zunächst der Träger des Koh
lenstoffs, das Fett; sodann kommen die
Eiweißkörper an die Reihe, welche ihren
Stickuossgehalt dem flammenden Ofen
»uSlieier». Ein T»Pbuskran?er wurde
von der zweiten Krankheitswoche ab
täglich gewogen; eS zeigte sich, daß er
in oen ersten fünf Tagen derselben bei
tiner mittleren Tagestemperatur von
tl> Gr. E. 3,5 Kilogramm, in den sol
zenden süns Tagen bei 4» Grad 2,7, in
der dritten bei 39 38 Grad 2,1, in
der vierten bei 37—38 0,1 Kilogramm
»n Körpergewicht verlor. Da ist es an
der Zeit, Ersatz sür den Verlust zu
schassen. Durch guten Ungarmcin wird
der schwache Magen angeseuert. Man
gebe dem Kranken neben seiner Milch
täglich noch einige Tassen magerer
Fleischbrühe von Tauben over vom Salbe
! mit Gries, Reis oder Graupenschleim
und einigen Körnchen Salz, aber ja
ohne Pseffer.
Der Arzt wird bestimmen, ob auch
ein weiches Ei zugesetzt werden kann.
In vielen Orten auf dem Lande und in
kleinen Städten ist es mit gutem fri
schen Fleisch ost herzlich schlecht destellt.
Da bietet das Liebig'sche Fleisch-Ex
trakt, daS ohnehin in keiner Familie aus
gehen sollte, eine vortreffliche Aushilfe.
Diese Kraftbrühe bietet zwar keinen
groß:» Nährwerth, enthält aber doch
mehrere für Hebung und Anregung der
Verdauung sowie für die Blutbereitung
höchst wichtige Bestandtheile. Die
Verabreichung kräftiger Nahrungs
mittel, z. B. von Braten, hängt vom
Arzt ab.
Man beherzige hierbei den Grund
satz, daß der Kranke nicht genöthigt
werde, unüberwindliche Abneigung ge
gen Speisen zu bezwingen Hat er
nach einigen Löffeln genug, so lasse
man's dabei bewenden und frage lieber
nach zwe, bis drei Stunden wieder au
Dr. Dyrenfurth.
Der Mann mtt den Stecknadeln.
Der junge Mann, der etwas abseits
von den regelmäßigen Tischgästen des
kellerlocals Platz genommen hatte, that
oen vorgesetzten Speisen alle Ehre an.
Er war nicht gerade gut, aber auch
nicht allzu schäbig gekleidet, man sah
dem Anzug, der früher einmal dem
Schaufenster einer vorstädtischen Klei
oerbandlunz zur Zierde gedient haben
mochte, eine ehrliche Dienstzeit an.
Sein Träger mochte Hausdiener, Aus
läufer oder etwas Aehnliches sein,
jedensalls entwickelte er einen Appetit,
wie ihn eine starke Bewegung im Freien
wohl zu geben vermag. Während der
junge Mann eisrig seine Kinnbacken in
Bewegung setzt, zeigt sein Gesicht den
Ausdruck großen Behagens; plötzlich
aber läßt er die Gabel geräuschvoll auf
den Teller fallen, er beginnt krampfhaft
zu husten und macht derart verzweifelte
Geberden, daß sich die Aufmerksamkeit
des Wirthes auf ihn lenkt, der schnell
herbeieilt.
„Herrje, was ist denn mit Ihnen,
haben Sie einen Knochen verschluckt?"
fragt der Gastgeber besorgt. »Hier,
sehen Sie hier," ächzt der junge Mann,
indem er auf den geringen Fleisch und
Kartoffelrest aus seinem Teller zeigt.
„Ja, was ist denn aber da?" fragt der
Wirth. „Sehen Sie denn nicht —da,
die Stecknadeln im Fleische o, o,
ich sürchte, ich habe eine verschluckt...."
„Stecknadeln im Fleische, in meinem
Fleische?" sragt der Wirth entsetzt, und
sein Gesicht legt sich in furchtbar ernste
Falten. Aber die Thatsache läßt sich
nicht leugnen, da liegen wirklich zwei
Stecknadeln. Wenn es nun mehr ge
wesen sein sollten, wenn der junge
Mann wirklich eine furchtbar,
der Gedanke läßt sich nicht ausdenken, den
braven Wirth überläuft trotz der Hitze
ein kalter Schauer. „Freundchen,"
flüstert er dem Gast zu. „lausen Sie
schleunigst auf die nächste Sanitäts
wache, was 's kostet, bezahl' ich. Nur
hier machen Sie kein Klimbim.... so
was ist mir mein Lebtag noch nicht vor
gekommen."— Der Gast ist einsichtsvoll
zenug, kein „Klimbim" zu machen, er
zeht, begleitet von den Segenswünschen
des biedern Budikers.
Einige Tage danach mußte dieser sei
item bedrückten Herzen Lust machen, er
besuchte eine» befreundeten Collegen in
der Nachbarschaft und begann zu erzäh
len. Er wurde mit Ausrufen des Er
staunens, der Entrüstung unterbrochen.
Der „Mann mit den Stecknadeln" hatte
sich auch bei dem Collegen eingefunden
ind von diesem außer der freien Zeche
»och ein Schmerzensgeld von zwei Marl
irhalten....
Dies Manöver, sich freie Zeche zu
»erschaffen, ist übrigens nicht neu; wir
erinnern uns vielmehr eine-Z MauneS,
der bereits in den 70er Jahren in die
ser Weise operirt hat, und zwar zuerst
mit Sind, den er gegen Ende der
Mahlzeit in das Essen gestreut und
später mit todten Schwaben. Eines
schönen Abends hatte der Biedermann
in einem bekannten Weißbierlokal der
Friedrichstraße daS Sandmanöver aus
zesührt und damit seinen Zweck auch er
reicht. Als er aber etwa ein halbes
Jahr später im selben Lokale mit den
Achwaben operiren wollte, erinnerte sich
der resolute Wirth des Mannes und
zesährlichen Gaste den Schwindel aus
den Kopf zu und holte ihm, als er levz
aete, nach kurzem Durchsuchen ans der
Westentasche eine Schachtel mit Schwa
benleichen heraus Wie es dem
Manne daraus ergangen, darüber
schweigt des Sängers Höflichkeit.
Was nun?
Nls ich um schön Käthchen geworben
hab',^
Da rümpslen die Tanten die Nasen;
Als ich ihr später den Laufpaß gab,
Da schimpfen die Muhmen und Basen.
Als wir uns vertrugen und gar ver
lobt,
Nie haben sie da gewettert, getobt.
Ms bald d raus ich sie zum Weib mir
erkoren,
-Sie wollten am liebsten mich braten und
schmoren.
i!un, da es heißt, wir wären geschic»
den,
Kun sind sie wiederum nicht zusrieden!
Unglückssall. Stammtisch
Mitglied: Hat der Schulze den Hajen
wirklich geschossen, mit dem er so re
aoMmirt? Förster: Nein, die Ge
schichte war so: Als er lange vergeblich
aili den Anstand geblieben war, legte er
Pch hm und machte ein Schlichen. Da
kam ein Hase und spielte mit dem Ge
wehr, dieses entlud sich und schoß den
Hasen todt.
Hauptsache. Schulinspector:
Sie können keinen neuen Lehrer krie
gen, — Dorfschulze: Was? Dahätten
ivir den schönen neuen Rohrstock ganz
umsonst angeschafft
Zigeu„«r««schicht«»»
Die ungarischen Zigeuner sind im
Auslande schon lange keine seltene Er
scheinung. Man kennt die hageren,
kleinen Leute, mit den gelb-braunen
Wangen und dem wirren Kraushaar,
oder glaubt sie wenigstens zu kennen.
Der ungarische Zigeuner darf aber nicht
nach flüchtiger Beobachtung beurtheilt
werden, man muß förmlich mit ihm le
ben und wohnen, man muß den geschnie
gelten Sladtzigeuner studirt haben, wie
den ansässigen Dorfzigeuner, der mit
feiner zahlreichen Nachkommenschaft in
Lehmhütten haust, die am äußersten
Ende des Dorfes, zum Theile in die
Erde hineingebaut sind, vornehmlich
die eigentlichen, unversälschten Zigeu
ner, denen nicht einmal der Teusel mit
Kultur beizukommen vermag.
Der Zigeuner ist bekanntermaßen
ein ungemein begabter Mensch. Sein
Talent gipfelt in einer fabelhaften
Auffassungskrast. Von Jemandein, der
Alles blitzschnell zu ersassen vermag,
sogt man in Ungarn: „Er hat das
Talent eines Zigeuners." Der Zigeu
ner lernt außer dem Kauderwelsch sei
ner Muttersprache erstaunlich rasch die
Sprache eines jeden Volksstamm«!?, in
dessen Nähe er sich aushält. Er rade
brecht deutsch, serbisch, rumänisch, sla
visch, beherrscht die ungarische Buch
sprache und kennt überhaupt alle Idiome
des vielsprachigen Ungarlandes.
Man darf sich den ungarischen Zi
geuner durchaus nicht als eine poetische
Erscheinung vorstellen, wie Lenau und
Pelösi und andere Dichter ihn gerne ge
schildert haben. Der ungarische Zigeu
ner schwärmt nicht zum Nachthimmel
empor und singt auch keine gereimten
Klagelieder, weil er verstoßen, noch ge
ächtet, lebt in der Stadt sogar ein sehr
behagliches Dasein. Nur gegen den
vagabondircnden Zigeuner wird ein
hartnäckiger Krieg geführt, dessen Kosten
aber lediglich die Polizei bestreitet.
Eine Anekdote, d,e im ungarischen
Volksmunde cirkulirt, charakterisirt den
Zigeuner am treffendsten: Man hält
dem Zigeunersäugling eine Fiedel und
ein Geldstück hin; langt er nach der
Fiedel, wird er Musikant, langt er nach
dem Geldstück, wird er ein Dieb. That
sächlich sind die Zigeuner, mit ge
ringen Ausnahmen, Musikanten, oder
Diebe. Die ansässigen Dorfzigeu
ner bilden die Ausnahme: si«
sind Kesselflicker, oder Roßtäuscher,
aber auch vor diesen hütet der Bauer
sein Hansgcthier. denn daS Sprüchlein
sagt: „Der Zigeuner kann das Znpsea
nicht lassen." Die schlimmsten Gesellen
sind die wandernden Zigeuner. Si«
stehlen wie Naben. Was wurde in
Ungarn nicht schon versucht, um dies«
Nomaden wenigstens unter steter Kon
trolle zu halten, damit die Bursche ihrer
Militärpflicht Genüge leisten, aber all«
Verordnungen scheitern an ihrer Ver
schmitztheit. In der Nähe der Städte
werden allwöchentlich Zigeunerkarawa
nen aufgegriffen. Eine solche Kara
wane besteht in der Regel aus drei bis
vier mageren Gäule», bespannten Kar
ren, die mit Zigeunerkindern vollge
psropst sind, welche splitternackt im Wa
gen kauern. Daneben her gehen Män
ner, die mit patriarchalischer Würde
dreinblicken. häßliche Weiber, kurze
Pfeifen zwischen den Zähnen und eine
Unzahl halbwüchsige Kinder, welche die
Straßenpassanten anbetteln. Sie schnei
den dabei d.e drolligsten Gesichter und
krümmen die mageren, in Lumpen ge
hüllten Leiber in so possirttchen Wen
dungen, daß ihnen Niemand eine
Kupfermünze verweigert. Die Pandu
ren, welche die sonderbare Gesellschaft
vor der Stadt aufgegriffen haben und
sie nach dem Polizeihause escortiren,
schlagen das bettelnde Volk hundertmal
zurück, damit es sich neben den Karren
halte, aber daS windet sich unter den
Hieben hervor, läust weit weg, holt sich
ein Geldstück und kehrt wieder zurück.
Die Pandnren werden eher müde, Hieb«
auszutheilen, als die kleinen Zigeuner,
solche zu empfangen, und schließlich
sehe» die Panduren lachend mtt an,
bunden uniernehmen, um den Passanten
einen Kreuzer zu entlocken.
Ist die Gesellschaft im Polizeihame
angelangt, prüst man ihre Papiere, die
natürlich nie in Ordnung sind; szdcinn
werden die Wagen untersncht, ob sie
außer Zigcnncrkindern nicht auch ve?
Tag werden sie weiter eskortirt, um sie
nach ihrem angeblichen Zuständigkeitsort
zu besördern. Dorthin aelanien sie
aber nie. Denn sie wissen sich von
ihrer Eskorte, die von Ort zu Ort wech
selt, im Lause des Marsches immer
srei zu machen. Schließlich weiß man
auch nichts Bernünstigeres mit ihnen
anzufangen und gibt ihnen Gelegenheit,
zu entkommen. Zwei bis drei Wochen
später werden sie gewöhnlich wieder in
ousgegrissen, welche immer eine magi
sche Anziehungskraft auf sie übt. Wenn
es ihnen gelingt, hier ihr Lager aufzu
schlagen, kommen sie in kleinen Grup
pen nach der Stadt, besuchenden Markt,
lauschen ihre Rosse ein, suchen die un
glaublichsten Tauschgeschäfte mit geflick
ten Kuvferkefseln durchzuführen, wobei
Derjenige, mit dem sie einen Handel
schließen, immer betrogen wird. Stach
einer bekannten Anekdote höhnt man
einen Zigeuner damit, daß ein Roß
täuscher ihn betrogen habe, indem <r ihm
e», lahmes Pserd verlauste- Ich habe
es mit salschem Gelde bezahlt, erwidert
der Zigeuner achselzuckend.
Während die Zigeuner auf dem
Markte feilschen, suchen die Zigeunerin
nen den Marktweibern xnd den Mäg
den, welche Einkäufe besorge», Karten
zu legen, kansen auch bunte Stosse und
Bänder in schreienden Farben ein, wo
bei sie eS nicht verschmähen, ein Waa
renstück oder eine Börse zu entwenden.
Die bcschästigungssreicn Stainmesge
nossen unterstützen sie sehr rege in die
sem Beginnen. Die Zigeuner habe»
eine Art zu stehlen, die der Polizist ge-
mal nennt, aber ihre eigentliche Kunst
besteht darin, das gestohlene Gut blitz
schnell verschwinden zu lassen, weshalb
sich auch daS Oni-sius «tvUcti beim Zi
geuner niemals findet.
Geradezu ergötzlich ist das Verhör
des Zigeuners! Der gewiegteste Poli
zist ist im Vorhinein davon überzeugt,
daß er sich einer fruchtlosen Mühe un
terzieht; an dem Zigeuner prallt sein
Witz ab. Der gestohlene Gegenstand
wird nie bei ihm gesunden, er gesteht
oichtS ein, ja, er kann den Polizisten
zur Verzweiflung bringen durch die
Spitzfindigkeiten, die er allen Fragen
entgegenzusetzen weiß. Zwei Thatsachen
sollen diese Schilderung illustriren.
Ein Zigeunerbursche von achtzehn bis
zwanzig Jahren wird dem Stadthaupt
mann durch einen Wachmann vorge
sührt. Der Verhaftete, der sich in sei
ner Zerlumplheit malerisch ausnimmt,
schneidet eine gottesjämmerlicke Gri
masse, sieht drein, wie ein neugeborenes
Kind und will dem Stadthauptmann
durchaus die Hand küssen. Der Wach
mann meldet, daß der Zigeuner soeben
auf dem Markte eine silberne Tafchen
uhr gestohlen habe. An Ort und
Stelle fei er einer Leibesvisitation un
terzogen worden, die jedoch resultatlos
war, doch dürste er die gestohlene Uhr
einer Zigeunerin zusteckt haben, welche
man früher in einer Gesellschaft sah,
die aber in dem Augenblicke entkam, als
er dingfest gemacht wurde.
Der Stadthauptmann mustert nun
den Zigeuner mit durchdringenden
Blicken und frägt ihn endlich, wo er
Unterkunft gefunden habe? „Ew. Hoch
wohlgeborcn, gnädigster Herr," erwi
dert der Zigeuner, mit zenem eigen
thümlichen, näselnden Singsang, den er
dem Ungarischen beilegt, „ich bin ein
armer Musikant, der soeben angelangt
ist und noch nicht weiß, wo er heute
Nacht sein armes Haupt hinbetten soll."
„Wo triffst Du mit Deinen Leuten
zusammen?" „Allergnädigster Herr,
ich stehe ganz allein auf der Welt."
.Dn willst also nicht gestehen, wem Du
die Uhr zugesteckt hast?" —„Eine Uhr?"
frägt der Zigeuner und sieht den Beam
ten mit der unschuldsvollen Neugierde
eines KindeS an. „Jawohl, die
silberne Taschenuhr, die Du gestohlen
hast." —„Ei, hochwohlgeborener Herr,
man hat den gnädigsten Herrn Pindn
rcn zum Besten gehalten, denn ich habe
noch nie in meinem ganzen Leben em«
silberne Taschenuhr gesehen."
Wütbend ballt der Stadthauptmann
seine Faust, aber der Zigeuner erschrickt
nicht, sondern streckt sich förmlich der
Faust entgegen. Der verschmitzte Bur
sche weiß wohl, daß die geballte Faust
nur droht und nicht schlägt. Und wenn
auch? Ziegeuner und Hunde schütteln
die Prügel ab,sagt der ungarische Bauer.
Der Stadthauptmann unterzieht ihn
einer Fluth von Kreuz- und Qu« fragen
welche den rechtlichstenMenfchen verwir
ren würden, aber der Dieb geräth nicht
außer Fassung; er läßt einfach Fragen,
welche ihm verfänglich scheinen, unbe
antwortet und beschwört hundertmal
hintereinander, daß er noch nie eine sil
berne Taschenuhr gesehen habe.
Ein andermal wurde einer Obstver
kSuferin aus dem Markte die Baarschast
entwendet. Sie und einige andere
Marktsrauen ergreifen eine Zigeunerin,
und sind bereit zu beschwören, daß diese
vor ihren Augen einem Zigeuner die
Briestasche zusteckte, der sich mit dem
Gelde aus dem Staube machte. Die
Zigeunerin wird unter dem Geschrei der
Marktweiber dem Stadthauptmann vor
gesührt. Die muthmaßliche Diebin
war ein Weib von 25 Jahren. AuS
den pechschwarzen Augen flammte und
glühte es, als wollte sie mit ihren
Blicken den Beamten bannen. Selbst
redend leugnete sie die That, weinte,
schluchzte und schrie in der den Zigeu
neunern eigenen bombastischen Weise
„daß der Blitz die Zungen der Markt
weiber spalten müßte, wenn der große
Herr-Gott im Himmel sich einer ge
rechten Sache annehmen wollte."
Unbekümmert um das Gewäsche,
schritt der Stadthauptmann an die
Feststellung des Thatbestandes. Sie
gab an, Terka KoracS zu heißen,
sagte, daß sie LS Jahre alt, ledig und
in BekeS Gunla geboren sei, heule zum
ersten Male die ungarische Hauptstadt
betreten, vorläufig noch kernen Unter
standSort gesunden habe und die Absicht
hatte, hier Arbeit zu suchen. Nachdem
sie unter Wehklagen ihr Nationale ab
gegeben hatte, frug sie der Stadthaupt
maiin mit eisiger Ruhe: „Wann wur
dest du hier zum letztenmal abgestrast?"
Sie schültelle langsam das Haupt und
behauptete, den Sinn dieser Frage nicht
zn verstehen. Als der Stadthauptmann
ihr dieselbe jedoch erklärte, ries sie feier
lich: .Hochwohlgebore», allergnädigster
Stadthauptmann, der Blitz möge mir
die Zunge spalten, mein Auge soll
erblinden und ich will mich als Krüppel
durch's Leben schleppen, wenn ich nicht
die volle und reine Wahrheit gesprochen
habe." Da die Bestohlene und die
Zeuginnen bei ihrer Aussage beharrten
und sich zum Eide erboten, wurde die
Zigeunerin trotz ihre! Leugnens und
trotzdem sich keinerlei Beweis»,omente
gegen sie ergaben, in Hast behalten.
Eine Stunde später wir hatten
schon die Zigeunerin vergessen er
schien ein Rechtsanwalt bei dem Stadt
liauptmann und theilte demselben mit,
daß er soeben die RechtSverlretung der
im Lause des Vormittags verhasteten
Zigeunerin übernommen habe. „Wer
hat Sie damit betraut?", frug der
Stadthauptmann neugierig. „Der
Ehemann der Berhasteten." .Sie
werden also wissen, wie die Zigeunerin
beißt?" .Gewiß, Irma Baliat."
Der Polizeibeamte lacht jetzt hell auf.
denn nun wußte er, wer die Verhaftete
war. Sie kam wiederholt anläßlich der
Jahrmärkte, wurde unzähligemal wegen
Taschcndicbstähle beanstandet, konnte
aber nie des Verbrechens überführt
werden. Die Verhaftete, die ein voll
ständig erlogenes Nationale abgegeben
hatte, wurde noch einmal vorgesührt.
Sie hört bald, daß ihre Identität fest
gestellt fei und beantwortet die Bor.
würfe des Stadthauptmanns, indem sie
lächelnd sagt: „Habe ich nicht depo
nirt, daß ich Irma Baliat heiße und
ausSzegedin komme?"—„Nein, und du
hast auch geschworen,daß du ledig bist."
„Der große Herr-Gott erhalte meinen
guten Mann und meine süßen Kinder
aber der über den Sternen soll mir
meinen Verstand erhalten; wenn ich
anders aussagte, muß ich wahnsinnig
gewesen sein."
Man muß dem Zigeuner ins Gesicht
sehen, wenn er so spricht. Keine Mus
kel zuckt in seinem Antlitze, er hält den
Blick des Fragenden voll auK und man
muß wohl vertraut sein mit allen
Schlichen und Kniffen dieser verlogenen
Menschen, um nicht irre zu werden.
Die „wahrsagenden" Zigeunerinnen,
mit abgegriffenen, schmutzigen Karten
versehen, welche beim weiblichen Bauern-
Volk und in der Stadt bei den Dienst
mädchen gläubige und dankbare Kunden
finden, gehören den nomadisirenden
Zigeunern an. Die städtische Zigeune
rin würdigt sich nicht herab, Karten zu
legen, sie schlägt mit den Jahren ganz
au« der Art und lebt sich in die Ge
wohnheiten der Städterinnen ein. Die
in der Großstadt erzogenen Zigeuner
kinder sind nicht annähernd mit dem
Wander-Zigeuner vergleichbar, mit dem
sie nichts gemein -haben wollen. Trotz
dem bleiben auch die Nachkommen des
städtischen Zigeuners immer Zigeuner.
Die Rasse erhält sich unverfälscht, denn
der Zigeuner beweibt sich nur mit einer
Stammesgenossin. Die schönen Zigeu
nerinnen dagegen gehen manchmal ein«
„Mesalliance" ein. indem sie zum Ver
druß ihrer Angehörigen einem Nicht
zigeuner zum Altare folgen. Im
Großen und Ganzen treten die Zigeu
ner auch in der Hauptstadt felten
aus ihrem Kreise heraus, und der Um
stand, daß in Budapest die Tochter ei
nes Zigeunernliisiianten zum Theater
ging und eine ausgezeichnete Sängerin
wurde, steht ziemlich vereinzelt da. Mit
dem Beginn ihrer erfolgreichen Büh
nenthätigkeit löste die Mnstlerin jede
Gemeinschaft mit den Zigeunern und
wird seither nicht gerne an ihre Abstam
mung gemahnt, die das scharf ausge
prägte, verführerisch schöne Zigeunerge
sicht doch immer verräth.
Der hauptstädtische Zigeuner ist aus
schließlich Musikant und, wiewohl im
mer ein schlauer Bursche, doch ein ehr
licher Mann. Da er in den besten Sa
lons als Musikus Eingang findet, klei
det er sich gut und äfft den Magnaten
so vortrefflich Sprache und Manieren
nach, daß er in seinem ganzen Gehaben
etwas Ritterliches zur Schau trägt. Er
verdient viel Geld und verdient eS
leicht, gibt eS aber noch leichter aus.
Der Zigeuner ist ein leidenschaftlicher
Karten spieler. Während des Carne
valS, in dem die Zigeuner eine reiche
Goldernte haben, finden sie sich, nachdem
sie bei den Bällen ausgespielt haben, in
einem Casehause zusammen, welches die
Mitglieder aller Zigeunerkapellen ver
einigt, und hier wird vst bis neun Uhr
Morgens dem Hazardspiele gehuldigt,
das schon mancher Volkswirth als ein
ungarisches Nationalunglück bezeichnete.
Der Zigeuner, der sich manchmal 50
bis 100 fl., auch noch darüber, ln einer
Nacht erfiedelt, verspielt eS hier oft in
wenigen Stunden.
Der größte Künstler unter den mu
sizirenden Zigeunern war Raez Pali,
der vor einem Jahrzehnt zu Budapest
im Greifenalter verstorben ist. Entge
gen seinen Stammesbrüdern war er
von einer reckenhafte» Erscheinung, ein
bildschöner Mann, der einstmals nicht
nur den braunen Mädchen, sondern
auch den vornehmen Frauen gefährlich
gewesen sein soll. Er hat in seinem
Leben ost vor Kaisern und Königen ge
spielt, aber stolz war er nur darauf, daß
Joachim ihm einmal sagte: „Ihr seid
ein gottbegnadeter Künstler, Pali
(Paulchen), Ihr entlockt Eurer Geige
Töne, daß man in einem Athem lachen
und weinen möchte."
Es gibt auch heute noch glänzend,
Geiger unter den Zigeunern, aber den
alten Racz Pali erreicht keiner mehr.
Dreiundzwanzig Söhne hat der be
rühmte Zigeunerprimas (Vorgeiger
oder Dirigent) sein eigen genannt und
alle sind Musikanten geworden, wie der
Vater. Ausgesprochen schlechte Geiger
gibt es selten unter den Zigeunern,
den» sie lernen einander den eigenarti
gen Bogenstrich ab und der junge Zi
geuner wird so lange von seine», Pri
mas geprügelt, bis er den Bogen rich
tig führen kann.
Der Primas einer der hauptstädti
schen Elite-Truppen, ein mageres, klei
nes Männchen, das sonst mit zusam
mengekniffenen Lippen finster drein
starrt, hatte einmal seine gute Stunde
und so benützte ich dieselbe und frugt
wer ihn gelehrt habe, mit solcher Vol
lendung den Bogen zu führen. „Mein
Lehrmeister war ein reicher Gras," er
widerte er, „der wie ein König aus sei
nen Schlössern herrschte. Sie lächeln?
Ich will Ihnen erzählen, wie er dazu
kam, mein Lehrmeister zu sein! Ich
bin als Knabe einer Truppe von wan
dernden Zigeunern entlausen und bet
telte mich mit einer elenden Fiedel durch
das Dorf, wo der gnädigste Herr Graf
im Herbst residirle. Einmal kam er des
WegeS und ich fiedelte ihn an. Er
sagte, daß ich schlecht spiele, »ahm mich
mit sich aus's Schloß, ließ mir eine gute
Ge,ge geben es ist dieselbe, die ich
jetzt noch besitze und ich mußte ihm
allabendlich, wenn er den goldenen
Becher einmal über das anderemal
süllte und leerte, so lange vorspielen,
bis der Wein stärker war, als er.
So lange er nüchtern blieb, folgte er
aufmerksam meinem Spiel, und wenn
ich es schlecht machte, schleuderte er de»
Becher nach mir, der ost an meinen
Schädel schlug, daß ich glaubte, er
müsse auseinandergehen. DaS merkte
ich mir und machte eS immer besser
Noch einigen Monate« gab er mir eine
Handvoll Banknoten, sagte mir, daß ich
jetzt ein guter Geiger wäre, und war'
mich zur Thür hinaus. So danke ich
chm, daß ich ein guter Geiger wurde.
Freilich bin ich dadurch so ein zwerg
hafter, kleiner Kerl geblieben und im
Kopse summt eS mir seit der Zeit be
ständig; mir ist es ost, als fühlte ich
sen fchweren goldenen Becher an mei
nen Schädel schlagen, aber ich trag«
dem Herrn Grafen nichts nach. WaS
ich weiß, danke ich ihm, und wenn er
recht betrunken war, hatte ich ja doch
zute Tage bei ihm."
Ein wehmuthvolleS Lächeln umspielt«
die blutleeren Lippen deS ZigeuuerS, er
starrte traumverloren ins Leere, bis der
Zymbaljchläger ihn daran gemahnte,
daß die Pause zu Ende sei, woraus der
Primas znsammensuhr. die Geige an
setzte und das ksosks" (Fliege,
Schwalbe!) spielte, ein Musikstück, in
dem die ganze künstlerische Eigenart de»
Zigeuners zum Ausdrucke gelangt. Wi«
verzückt starren die braunen Burschen
empor, wenn sie diskret den Vortrag
ihres PrimaS begleiten; man möcht«
meinen, daß der Prima-Geiger dem Er
denleben entrückt, im Geiste mit de»
Schwalben gen Himmel emporsteigt,
während es aus der Geige
um im nächsten Augenblick in ein leises
Wimmern auszuklingen. Die Verzük
kung ist aber Gaukelspiel! Der Zigeu
ner ist ein guter Komödiant, während
er begeistert und hingerissen erscheint,
schielt er nach dem Kameraden, der zu
weilen das Absammeln besorgt, oder
er lugt nach den Zuhörern aus, um zu
sehe», wer am meisten ergriffen scheint,
damit sofort nach Beendigung des Spie
les an dessen Freigebigkeit appellirt wer
den kann.
Der Zigeuner ersinnt die unglaub
lichsten Finten, um seinen Zuhörer zu
reichen Gaben zn versühren. Ehe der
Absammelnde sich vom Musikantentisch
entfernt, legt der Primas zwei oder drei
größere Noten auf den Sammelteller,
der dem Publikum unter die Nase ge
halten wird, damit Einer oder der An
dere, namentlich der Fremde, den er
unter Hunderten herauskennt, veran
laßt werde, ebenfalls größere Noten auf
den Teller zu legen, in der Meinung,
daß andere Zuhörer so freigebig
waren.
Da kein Zigeuner dem andern traut,
besorgt jedesmal ein anderes Mitglied
der Kapelle den Rundgang, wobei ihn
die Blicke der Spielenden kontroliren.
Die linke Hand darf der Absammelnde
nie erheben, und eS ist ein Factum, daß
vor einigen Jahren dem Absammeln
den eine lebende Fliege zwischen zwei
Finger der linken Hand gegeben wurde,
die er lebend zurückbringen mußte. Da
die rechte Hand den Teller hält und er
während deS Rundganges nicht rasten
darf, war dadurch die Gewähr ge
boten, daß er das gesammelte Geld
nicht angreifen konnte.
Die ungarischen Magnaten halten
n»ch immer viel aus den Zigeuner. ES
gibt keine Festlichkeit in ihren Kreisen,
bei der die Zigeunerkapelle fehlt. Wenn
der Ungar dem feurigen Saft der hei
mischen Rebe, reichlich zugesprochen hat,
winkt er die Kapelle näher an sich her
an und der Primas muß ihm vornüber
geneigt, hart am Ohre ein Nationalstück
vorgeigen, rndeß die anderen Musikan
ten den glücklichen Zecher im Halbkreis
umstehen und das Spiel deS Primas
begleiten. In einer solchen Stimmung
opsert der Ungar dem Zigeuner seinen
letzten Gulden. Das weiß der schlau«
Patron, und man muß nur sehen, wie
er sein halbtrunkenes Opser mit den
versiihrerischen Tönen umschmeichelt,
bis er ihn, die letzte Banknote aus der
Tasche gefiedelt hat, looraus die Musi
kanten ihm den Rücken kehren und ihn
nicht weiter brachten. Das Lächeln ist
plötzlich von ihren Lippen verschwun
den, sie berechnen ihren Antheil an der
Beut» des Abends und lassen den Pri
mas nicht aus den Augen, bis er sich
mit ihnen zurückzieht und die Aufthei
lung vornimmt. Da gibt es dann oft
ein häßliches Gezänke, ein Lästern, Flu
chen und Drohen, daß man meint, sie
werden einander im nächsten Augen
blicke an's Leben gehen, aber „ach weni
gen Minuten ist die Austheilung been
det, und sie gehen fröhlich mit einander
Thätlichkeiten aus; dazu sind sie zu
harmlos, vielleicht auch zu seize. Selbst
der vagabondirende Zigeuner läßt sich
jeltez zu Thätlichleiten hmrerßen.
So sieht der ungarische Zigeuner in
habgieriges, kriechendes und betrogenes
Wesen, aber ungefährlich bis zur Harm
losigkeit, ungemein begabt uud ein«
jener seltenen die sich un
verfälscht und rein erhält mit all' ihre»
Lastern, Fehlern und Vorzügen.
Das Großartig st e, wa»
dir Neuzeit an schildernder Musik Her-
Concerte ein große» Orchesterwert mit
dem regierungssreundlichen Titel „Der
ikönig von Italien >n Berlin" ausge»
führt. Die Composition ist eine Suite
in sechs Theilen, welche solgeude Be
nennungen haben: 1) Ankunft in
Freiburg (!). 2) Der Dreibund.
3) Abfahrt von Göjchcnen. 4) Durch
fahrt durch die Stationen Lnzern und
Basel. S) Große Galatasel in Berlin.
g) Nach Tische Eatanzaro ist ein«
deutichjreundlich gesinnte Stadt und
schon deshalb wurde das Werk mit gro
ßem Aeijall aufgenommen. Ja, seine
Wirkung soll so außerordentlich gewesen
sein, daß, glaubwürdigen Zeugen zu
folge, beim fünften Theil sämmtlichen
Zuhörern das Wasser im Munde zusam
menlief und beim sechsten die bei loeitem
größere Anzahl in ein süßes Mittags
schläfchen verfiel, an« welchem sie erst
da« schweigen der Instrumente von
den schönen geträumten Ufern der Spree
unsanft in CalabrieaS rauhe Wirklich
keit zurückversetzte.
Zeitgemäßer Heirathch
an tra g. „Mein Fräulein, ich liebe
S«! Kann ich aus Seaen-Habea
hoffe»? —-