Der liberale beobachter und Berks, Montgomery und Schuylkill Caunties allgemeine anzeiger. ([Reading, Pa.) 1839-1864, July 22, 1851, Image 1

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    Oer Liberale Beobachter,
Und Berks, Momgomery und Schnylkill Cannties allgemeiner Anzeiger.
NeKding, Venn. Gedruckt und herausgegeben vonArnold Puwell e, in der Süd 6ten Straße, zwischen der Frankliy- und Chesnut - Straße.
Jahrg. 12, ganze Num. «I«.
Brief aus London, No. 2.
(Wie Nehemiah das Bäby IoS wird.)
Lieber Onkel Toby!
Da ich für das Abwarten des Bäby's
ein Monat im Voraus bezahlt hatte, so
dachte ich bei mir, es habe eben keine gros
se Eile, um es los zu werden, und ich konn
te mir Zeit lassen es schön zu machen, so
daß es nimmer zurückkäme. In der Zwi
schenzeit, kalculire ich, daß ich etwas in
London herumreiste. O Jemine! was
viele schöne Sachen gab s dort in den Fen
stern, Bilder oder Spielsachen. Ich traf
gestern den Doktor I. V. E. Smith von
Boston ; er kannte mich wie einßuch, denn
er hat mich geimpft, als ich noch ein Bä
by war. „Mister Flufkins!" sagt' er.
„Doktor!" sagt' ich, „Ihr wißt gar nicht,
wie froh ich bin, Euch zu sehen." —„Dan-
ke schön," sagt' er, dann erzählte er mir
gar viel von der Fair, denn er ist einer
von den Kerls, die man gewählt hat, die
Medaillen und Preise auszutheilen. Ich
dachte schier, ich sollte ihn wegen des Bä
by's um Rath fragen, und was ich mit
ihm thun sollte, aber ich schämte mich und
so schwieg ich mäuschenstille.
Worüber ich mich aber am allermeisten
schämte, war das tägliche Austragen des
verhenkerten Bäb's; die Frau bestand dar
auf, ich müsse es thun, und sagte, ich sei
ein fühlloseS Ungeheuer, wenn ich ihm kei
ne frische Luft gönnte, ja, sie erklärte, sie
würde es keinen Tag länger behalten, wenn
ich eS nicht jeden Nachmittag nach dem
Park nähme. Es schien, als ob Alles sich
verschworen hätte, mich zu peinigen, aber
ich gab nach und nahm jeden Tag das
Kind hinaus in den Park. Eines Mor
gens begegnete mir Hr. Riddle in der Fair.
Ich sah ihn schon in Boston, und da denk'
ich, halt! das geht, ihm will ich mich an
vertrauen und seinen Rath hören, denn
cr ist ein mächtig wackerer Kerl. Ihr
kennt ja Riddle, den Auktionär, Onkel?
Well, er hörte mich an und sagte dann:
Nehemiah, du Hast'S noch nicht zu einer
Priese Tabak gebracht; warum setz'st du
das Bäby nicht auf's Spundloch?
. Mister Riddle, sagt' ich, was ist
daß?
„Ei, versetz' es!"
Hergott!—sprach ich, —wie kann ich so
was thun?
Cr lachte mich aus, zog mich auf die
Seite, flüsterte mir etwas in's Ohr und
nun lief ich spornstreichs heim, fest ent
schlössen, das Bäby auf's Spundloch zu
setzen. Als die Frau mich hereinkommen
sah, sagte sie, ich hätte was im Sinne,
sie wüßt' es, denn sie sehe es. Merkt
auf, —sagte sie, —ich kenn' Euch durch u.
durch, und wenn Ihr probirt, mit dem
Bäby da einen Trick zu spielen, so folge ich
Euch bis zum Ende der Welt nach; ja ich
will!—Und ich glaube, sie thäte es.
Well ich nahm an jenem Nachmittag
das Bäby, wie gewöhnlich, mit mir, aber
anstatt nach dem Park zu gehen, ging ich
nach Goldstreet hinab und trat in den La
den eines der dortigen jüdischen Pfand-
Verleiher. Ich möchte gern einen hal
ben Adler borgen, sagte ich. „Auf wel
che Sicherheitfragte mich der Mann.
Ei, ich habe sonst nichts, —sagt' ich, —als
diese Brustnadel hier. „Das langt nicht,"
sprach er.
„O, ich brauche daS Geld nur auf an
derthalb Stunden, bis ich in die Ausstel
lung kommen kann ; ich habe dort bei den
amerikanischen Gütern einige Freunde u.
ich kann die Nadel ehe anderthalb Stun
den vergehen, wieder einlösen, aber ohne
Geld kann ich nicht hinein kommen."
„Haben Sie dem Deposit denn sonst
gar nichts beizufügen?"
~Ci, Sie werden doch nicht glauben ich
käme nicht mehr zurück? sagte ich.
O nein, —erwiederte der Jude, —aber
daS Beste ist, man stellt sich sicher.
Nun stellte ich mich zornig nnd sagte:
Ich denke, wenn ich ihnen daS Kind hier
zurücklasse, werden Sie sich doch nicht
fürchten, mir daS Geld auf Beides zu lei
hen ? Nein, sagte er, etwas nachden-
end wenn Sie das Kind hier lassen,
denke ich, werden Sie wohl zurückkommen
und die Brustnadel einlösen, aber ich wer
de Ihnen zwei Kronen zum Voraus an
rechnen. Sir! rief ich, wenn ich Geld
hätte, brauchte ich von Ihnen keins zu
borgen! denn ich glaubte, er wolle mich
fangen. Well, sprach er, ich werde es von
! dem halben Adler abziehen. Sehr wohl!
sagte ich, und das Geld nehmend, sitzte ich
das schlafende Kind behutsam in eine Ecke
des Ladens nieder, wickelte es hübsch ein
und sagte dem Juden, sein Weib, die sich
in dem Gemache hinter dem Laden befand,
solle Acht darauf geben, wenn es schreie,
und ich wlißte, es würde, denn daS Kind
konnte kreischen, wenn es einmal anfieng,
das könnt Ihr mir glauben, Onkel.
Am ei sten Eck, an das ich kam, bog ich
auS Golbstreet und rannte wie ein Jagd
hund fort, ich wußte selbst nicht wohin.
Endlich gelangte ich doch an mein
Haus, packte meinen Koffer und sagte zu
der Frau, ich hätte für das Bäby ein
neues Quartier gefunden. Jetzt ging der
Tanz los! sie schrie ich hätte ihren Cha
rakter ruinirt, und sie wäre eine arme,
einsame Wittwe. O Onkel, sind Witt
wen nicht gefähilich? Daß sie an mein
Fortgehen gar nicht denken könne, daß ich
mit ihren Gefühlen gespielt hatte, und
daß sie mich wegen gebrochenen Ehever
sprechens verklagen wolle,—ja, sie wolle!
ich aber stopfte ihr den Mund mit einer
Guinee, und eS wirkte, wie russische Sal
be für Brandwunden, —es kurirte sie auf
der Stelle.
Dann ging ich hinab nach Riddle's
Kosthaus, denn es war derweil ziemlich
spät geworden ; er war daheim und ich er
zähle ihm, wie ich seinem Rathe gemäß
des Bäby's los wurde und wie es dabei
zuging. D'rauf spricht er: „Nehemiah,
du bist ein ganzer Bursche!" und sag' ich :
„Mister Riddle, ich meine fast, meine Au
gen sind jetzt so weit offen, daß ich für
andere Leute keine Bündel mehr halte!"
und damit stand ich auf und traktirte die
ganze Gesellschaft. Euer getreuer Neffe
Nehemiah Flufkins.
Viel Lärm um Nichts
oder
der bestrafte Gcistel beschwör er.
Novelle von I. A, Schäfer.
ES war beinahe Mitternacht. Die
Glocke schlug schon elf und noch saß Hr.
Aktuarius Jmmerdurst bei seinem Freun
de, dem Hrn. Rathe von Haberling, um
sich bei einem Glase Rheinwein gütlich zu
thun.
Der Herr Aktuarius war aber heute
Abend besonders aufgelegt, zudem tobte
draußen ein so entsetzlicher Sturm, daß
er der Bitte seines Freundes, noch so lan
ge zu verweilen, biß sich das Wetter ver
zogen habe gern nachgab.
Das Gespräch beider, vom Wein schon
sehr erhitzten, aber im Vorbeigehen ge
sagt, recht braven und ehrwürdigen Män
ner, drehte sich zuerst blos um allgemeine
Gegenstände, bis sie zuletzt auch auf das
Geisterbeschwören kamen.
„Allerdings!" antwortete Herr Jm
merdurst, auf die ihm hingeworfene Fra
ge: yk eß wirklich in eines Menschen
Macht stände, Geister auS ihren
dischen Grüften hervorzurufen? „aller
dings kann man das. Man hat schon
viel sowohl für als wider gesprochen, al
lein ich behaupte kühn, daß man es kann;
ich spreche aus Erfahrung, mein lieber
Herr Rath. Lassen Sie sich nur folgen
de Geschichte erzählen, und Sie werden
gewiß nicht mehr an der Möglichkeit der
Geisterbeschwörung zweifeln."
„Aber Herr Actuarius," wendete der
Rath ein, „man hat doch noch nie wirk
liche Beweise gehabt, daß der Geist eines
Verstorbenen sich hätte sehen lassen, oder
daß ein Mensch im Stande gewesen sei,
einen Geist zu beschwören. Ich sage mit
Fleiß: wirkliche Beweise; scheinbare Be
weise hat man genug, welche aber, wenn
man sie genau betrachtet, stets auf einer
"IVillig zu loben und ohne Furcht zu tadeln."
Dienstag de» 22. Juli, IBSZ
' Täuschung beruhen."
„Wenn ich es Ihnen aber nun beweise,
wirklich beweise, daß es möglich ist," eifer
te der Actuarius, „werden Sie mir dann
noch widersprechen?"
„Auch dann noch," erwiederte der Rath
ganz ruhig, und zwar auS dem einfachen
Grunde, weil Ihre Beweise, wie gesagt,
auf einem Irrthum beruhen können. Z.
B. wenn—"
„Sie sind ein ungläubiger Thomas !"
unterbrach ihn Jmmerdurst zornig, indem
er aufsprang, nach Hut und Stock griff
und zur Thür hinaus eilte.
Den Hrn. Rath einen sehr aufgeklär
ten Mann, reuete in diesem Augenblick
doch, daß er dem Hrn. Actuarius, dessen
Beharrlichkeit in seinen nun einmal ange
nommenen Meinungen er nun wohl ein
sah, und zwar in einem Zustande wider
sprochen hatte, wo jede vernünftige Ueber
legung unmöglich war.
Ein furchtbar stürmisches Wetter wü
thete draußen noch immer, und eine Fin
sterniß war, wie die egyptische gewiß nicht
ärger gewesen. Unmöglich konnte er so
den alten, ehrlichen, aber etwas abergläu
bischen Jmmeidui st allein nach dessen, bei
nahe eine Stunde entfernten Wohnorte
D. . gehen lassen. Wie leicht konnte dem
alten Manne in seinem Zorne und seinem
ohnehin berauschten Zustande in dieser ent
setzlichen Finsterniß etwas Uebles zuflös
sen. Der Scadtweiher lag nur zehn
Schritte von dem Wege, den der Actuari
us gehen mußte, abwärts. Ein kalter
Schauer übeUief ihn bei dem Gedanken,
und unwillkührlich fiel ihm der weise
Spruch des Sokrates ein: „Laß deinen
Freund nicht im Zorne von dir gehen."
Ohne sich lange zu besinnen, weckte er
den bereits in tiefem Schlummer liegen
den alten Hausknecht Jonas auf, ließ ihn
eine Laterne nehmen und eilte mit ihm
dem Hrn. Actuarius nach. Weit konn
te derselbe unmöglich noch gegangen sein.
Sie riefen Anfangs aus Leibeskräften sei
nen Namen, aber Niemand ließ sich hören.
Jetzt ward dem Rath doch nicht wohl
zu Muthe. Er sah im Geiste schon den
armen Jmmerdurst in dem großen Brand
weiher herumschwimmen und Geister be
schwören. „Ach Gott!" rief er mit ge
dämpfter Stimme, „Jonas, die Feuerha
ken ! schnell! schnell! vielleicht ist er noch
zu retten!" „Ach Herr, Feuerhaken!"
jammerte dieser, wie aus einem tiefen
Schlafe gerüttelt, mit seiner kräftigen
Baßstimme wiederholt so laut, daß der Hr.
Rath, um kein Aufsehen zu erregen, ihn
beim Kragen faßte, und ihn bat, doch nicht
so laut zu schreien.
Aber—es war zu spät. Der wachsa
me Thürmer in der Nähe, welcher das
jämmerliche Feuerhaken-Geschrei des Jo
nas gehört hatte und es für Feuerruf hielt,
stürmte in dem Augenblick schon so kräf
tiglich darauf los, da Beiden Hören und
Sehen verging.
In der Angst seines Herzens über den
gefährlichen blinden Feuerlärm, welchen
er wider Willen heraufbeschworen hatte,
wußte Herr v. Haberling nicht, was er
thun sollte. Er hätte die Thurmmauer
hinauffliksten mögen, um dem vermale
deiten Thurmwächter, der immer hörte,
wenn er nicht hören sollte, seinen Irrthum
zu zeigen. Vergebens suchte er die Trep
pe, welche zum Thurme führte, zu finden
um den unaufhörlich Stürmenden da dro
ben zur Ruhe zu bringen. Er rief von
Angst gepreßt, zum Thurme hinauf: „ein
Irrthum! ein Irrthum! Der Actuari
liegt ja blos im Weiher!" Vergebens.
Der Thürmer, welcher vor dem Schall
der Glocke den guten Herrn Rath nicht
verstand, vielmehr die einzelnen Ausru
fungen desselben für fortwährenden Feu
erruf hielt, stürmte um so nachdrücklicher
darauf los.
„Ei so hole doch zum dreitausend T . . .
meine lange Leiter !" knirschte Hr. v. Ha
berling, als er sah, daß all' sein Rufen
und Poltern nichts fruchten wollte, den
armen Jonas an, der ganz unentschlossen,
an Händen und Beinen zitternd, dastand
und kaum die Laterne halten konnte: „so
hole doch meineLeiter, damit ich den Thurm
ersteige!"
Jonas, gewohnt, die Befehle seines
Herrn ungesäumt zu vollziehen, eilte da
von.
Herr v Haberling stand auf Kohlen.
Schon gab der Stadttt ompeter durch drei
maliges Stoßen in die Trompete der nicht
weit davon entfernten Garnison das Sig
nal, welches auch in dem Augenblicke von
dem Stabstrompeter erwiedert wurde.
In drei Minuten waren alle Trommler
auf den Beinen und in sechs Minuten lie
fen alle Einwohner der Stadt wild durch
einander. Alle acht Spritzen sausten im
gestreckten Galopp mit dem unaufhörli
chen Feuerrufe der Bürger begleitet nach
allen Richtungen hin, ohne daß ein Mensch
wußte, wo es denn eigentlich brenne.
Endlich kam Jonas, unter der Last ei
ner baumlangen Leiter fast zu Boden sin
kend, an.
„Sieh du nur nach dem Herrn Actuari
us, dem armen, du lieber dummer Jonas!
sagte Herr v. Haberling, indem er ihm
die Leiter abnahm, an die Mauer lehnte
und im Sturmschritt, so gut eö gehen woll
te, an derselben hinaufkletterte, ohne in
seiner Verwirrung das Unthunliche, einen
so hohen Thurm mit einer gewöhnlichen
Leiter zu ersteigen und den da droben Stür
menden seines Irrthums zu überführen,
einzusehen.
Kaum hatte der Herr Rath die Mitte
der Leiter erreicht, als ein Trupp Men
schen, welcher sich eben mit einer Spritze
zufällig dem Thurm näherte, ihn mit sei
ner Leiter gewahrte, und aus einem Mun
de erscholl nun der Lärm von Neuem:
„im Tburm ! im Thurm brennt's!" In
einem Nu postirte sich die Spritze vor dem
Thurme und gab demselben eine so gewal
tige Ladung, daß der Herr Rath, von dem
Wasserstrahl schwer getroffen, wie ein nas
ser Wollsack zu der andringenden Men
schenmasse hineinplumpte.
Dieses unerwartete Ereigniß gab dem
Gedränge eine andereßichtung ; man trug
den Rath halb todt nach Hause. —
Der arme Jonas verfolgte indessen mit
der Laterne wie ein Spürhund die Spur
des Herrn Actuarius Jmmerdurst so em
siglich, als wenn das Wohl der ganzen
Menschheit von dessen Auffindung abhän
ge, ohne auf das Toben und Treiben hin
ter sich zu achten.
Zwei- dreimal hatte er den Brandwei
her umgangen, ohne Herrn Jmmerdurst
darin zu sehen. Er wendete sich nunmehr
rechts nach dem Heidegrunde, denn da hin
durch führte der Weg nach D . . . Schon
hatte er wenigstens die Hälfte dieses un
wegsamen Distrikts zurückgelegt und war
eben im Begriff, nach fruchtlosem Suchen
zurückzukehren, als er dicht hinter sich ein
unverständliches Gemurmel hörte. Er
schrocken blickte Jonas um. Ihm war
sonst nicht sonderlich Angst; aber hier
ganz allein in dem Heidegrunde, wo es oh
nehin nicht richtig sein sollte, sträubten
sich ihm doch alle die wenigen Haare, wel
che er noch ans dem Kopfe halte, in die
Höhe. Ein baumlanger schwarzer Riese
—nein, alle Sinne vergingen ihm —kam,
wie er ganz deutlich sah, aus einem
Strauch hervorgewachsen.
„Ich beschwöre dich bei allen Heiligen !"
rief ihn das Ungeheuer an, „wenn du ein
guter Geist bist, so bleibe; bist du aber
ein böser, so hebe dich weg, weit weg von
mir!—"
Jonas zitterte an Arm und Beinen,
er hätte sich in diesem Augenblick auch um
keinen Zoll weit wegheben können, so un
geheuer schwer waren ihm seine Beine ge
worden.
„Bist du "hob das schwarze Unge
heutr von Neuem an, „ein guter oder—"
„Guter! guter!" preßte Jonas in seiner
Herzensangst heraus, und es ward ihm
schwer, dieses einzige Wort über seine Lip
pen zu bringen. „O, so befreie.mich aus
dieser Höllenqual!" fuhr der Schwarze
Laufende Nummer 47.
fort, „denn ich leide Pein in dieser Flam
me !"
Zitternd trat Jonas zu dem Riesen,
entlaufen hätte er ja doch nicht gekonnt,
denn wenn der nur einen Schritt vorwärts
gethan, hätte er ihn, wenn er auch eine
halbe Stunde von demselben entfernt ge
wesen wäre, dennoch eingeholt.
Der Schrecken läßt den Menschen im
mer Alles in einem größeren Mafistabe
sehen, als es in der That ist und so ging
es auch Jonas. Wer beschreibt sein Er
staunen, als er in dem gefürchteten Rie
sen Niemand anders erkannte, als den ent
laufenen Actuarius, den er so emsig ge
sucht hatte.
Wenn die Menschen doch nur immer,
statt vor einem Gegenstand, der ihnen
Furcht einjagt, davonzulaufen, denselben
vorher untersuchten ; oder mit einem Wort,
wenn sie weniger furchtsam wären als sie
sind, wie wenig Gespenster würde es dann
auf der Welt noch geben !
Der Actuarius war, als er den Herrn
Rath verließ, gleich Anfangs von dem
Wege abgekommen- Er hatte sich durch
das Gesträuch längs dem Weiher so lan
ge ritterlich hindurchgearbeitet, bis er end
lich in einen dichten Dornstrauch verwik
kelt wurde und ganz erschöpft hängen ge
blieben war.
Ungeachtet er an Händen und Füßen
jämmerlich zerstochen und verwundet und
sich bei jeder, auch der geringsten Bewe
gung in dem Dornenstrauch?, auf das Em
pfindlichste stach, so wollte er doch Anfangs
zu Jonas großem Erstaunen nicht aus dem
selben heraus, behauptete vielmehr, als
Jonas sich bemühte, ihn aus demselben zu
befreien, daß er sich im Fegfeuer befinde,
daß er seine Sünden noch lange nicht ab
gebüßt habe, und daß er am allerwenig
sten mit Gewalt aus demselben sich ent
fernen dürfe, vielmehr nur durch einen gu
ten Geist erlöst werden könne.
Jonas, welcher nicht begreifen konnte,
was der Herr Actuarius für ein Vergnü
gen daran finde, in einem Dornenstrauch
zu hängen, wandte alle seine Beredsam
keit an, ihm begreiflich zu machen, daß er
ja nicht im Fegfeuer, sondern in einem
Dornstrauche stehe und daß er so doch nicht
die ganze Nacht darin stecken bleiben kön
ne.
Kaum aber hatte Jonas ihn durch
Wort und That aus dem Strauche her
ausgerissen und ihn gebeten, nun gefäl
ligst mit nach der Stadt zurückzukehren,
als Herr Jmmerdurst zu Jonas' größtem
Leidwesen ausdrücklich dagegen protestirte
und unter jeder Bedingung nach Hause zu
gehen wünschte.
Sollte der Actnarius nicht zum zwei
ten Male in ein noch größeres Fegfeuer
gelangen und in demselben wohl gar um
kommen, so mußte sich JonaS entschließen
ihn bis nach seinem Wohnorte zu beglei
ten.
Anfangs ging es Beiden recht gut, ab
gerechnet, daß sie bald in einem Sumpfe
stecken blieben, bald über einen Haufen
Steine hinauSstolperten. Dieß AlleS er
trug Jonas, und wie's schien, der Actuari
us auch mit großer Standhaftigkeir. Als
aber derselbe nach und nach wieder in sein
altes Thema von Geistern, Fegfeuer und
Geisterbeschwörung verfiel, wurde dem ar
men Jonas wieder nicht wohl zu Muthe.
Bald war Jonas der Herr Rath, mit
dem sich der Herr Actuarius über Höllen-
und Geistergeschichten herum disputirte,
ohne daß Jenas nur eine Silbe wider
sprach—,bald war er der Erzengel, der ihn
aus dem Fegfeuer erlöst.
Dieses Gespräch dauerte wohl eine hal
be Stunde fort, bis sie endlich den Kirch
hof des nahen Ortes erreichten.
Jonas, welcher geduldig, aber nicht oh
ne Grauen alle die Geschichten, welche der
Actuarius zum Beweis der Möglichkeit ei
ner Geisterbeschwörung ihm bunt durch
einander vortrug, angehört hatte, stiegen
ihm jetzt die Haare zu Berge bei dem An
blick der Leichensteine, welche wie schwarze
mahnende Geister, je näher sie dem Fried-