Der liberale beobachter und Berks, Montgomery und Schuylkill Caunties allgemeine anzeiger. ([Reading, Pa.) 1839-1864, January 07, 1851, Image 1

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    Oer Liberale Beobachter,
Und Berks, Momgbmcry und Schuylkill Camtties allgemeiner Anzeiger.
Wravi ng, Nenn, Gedruckt und tierausgegeben von Arn oldPnwe II e, in der Süd Sten Straße, zwischen der Franklin- nnd Ehesnut - Straße.
Jahrg. BS, ganze Nnm. SBB.
Der Kindesräuber.
(Schluß)
Sechs Wochen waren verflossen, als
Geschäfte mich nach Natchez riefen, wo
ich an einem heiteren Januar Nachmitta
ge ankam. Ich hatte so eben das Dampf,
schiff verlassen und ging in Begleitung
einiger Bekannten von der untern Stadt
den Lehmhügel hinan, der zur oberen
führt, als ein verworrenes Getümmel an
unsere Ohren schlug. Auf der Höhe an
gekommen sahen wir einen sich immer ver
mehrenden Volkshaufen vor dem Hause
des Friedensrichters B —r. Wir eilten
zu sehen, was es gebe. Die Menge be
stand aus den besseren Klassen von Nat
chez, Weibern, Männern, Kindern, aber
vorzüglich den ersteren. Zugleich war in
den Gesichtszügen eine Aengstlichkeit zu
lesen, eine Theilnahme, die auffallend mit
dem Tumulte contrastirte, der sonst bei
solchen Versammlungen zu hören ist.
Ich bemerkte Mütter, die ihre Kinder
mit einer instinktartigen Heftigkeit in die
Arme preßten und convulsivisch ihre Häl
se umfingen, gleichsam als befürchteten sie
sie würden ihnen entrissen. Auf meine
Fragen erfuhr ich, daß der Kindtsräuber
endlich entdeckt, oder vielmehr, daß ein
Mann verhaftet worden, der des an Mi
ster Clarke von Hopesiield Caunty began
genen Kindesraubes sich stark verdächtig
gemacht. Ich war von Herzen über die
se Nachricht erfreut, welche endlich Auf
schluß über die so fürchterliche Verletzung
der heiligsten Naturrechte zu geben ver
sprach. Ich drückte mich vorwärts, aber
die Frauen hatten eine so starke Stellung
genommen, daß alle meine Bemühungen
fruchtlos blieben. Es war ein allerdings
für Frauen wichtiger Criminalfall; aber
Jedem von uns mußte die gräßliche Si
cherheits- und Eigenthumsverletznng von
unendlicher Wichtigkeit sein. Wir stan
den so nahe an zwei Stunden; die Men
ge mehrte sich, Niemand wich. Alle Fen
ster waren mit Köpfen vollgepfropft.
Endlich öffnete sich die Thüre und der
Gefangene, in der Mitte von zwei Con
stabeln, hinter ihnen der Scheriff. kam
aus dem Hause, um in das Gefängniß
abgeführt zu werden.
Das ist er! murmelten die Frauen mit
hohler, heiserer Stimme und bleichen Ge
sichtern, auf den Mann deutend, als er
durch die lebende Gasse hindurchgeführt
wurde, und zugleich hielten sie ihre Kin
der fester mit fieberhaftem Krämpfe.
Und wahrlich, wenn daß äußere Geprä
ge den inneren Menschen verräth, so muß
te dieses der Kindesräuber sein. Es war
das abstoßendste Gesicht, das mir je vor
gekommen ; eine hündisch verstockte,
stumpfsinnige, heimtückischePhisicgnomie,
mit einem teuflisch-finstern hohnlachenden
Ausdrucke. Man hielt unwillkührlich den
Athem an, indem man in dieses Gesicht
blickte. Seine grauen Augen waren auf
die Erde geheftet; nur zuweilen schoß er
einen Blick, in dem die Holle sich spiegelte,
auf die Anwesenden, wie sie ihre Kinder
fest in den Armen hielten. Beim ersten
Anblicke sah man, daß er ein Jrländer
war. Er war etwas über Mittelgröße,
seine Gesichtsfarbe schmutziggrau, seine
Wanden hohl, seine Lippen ungewöhn
lich groß; der ganze Mensch ekelhaft,
wild aussehend. Seine Kleidung bestand
aus einem abgetragenen blauen Fracke,
eben solchen Beinkleidern, einem hohen,
runden, fchäbichlen Hute'und sehr zerris
senen Schuhen. Der Eindruck, den sein
Erscheinen hervorbrachte, schien sich in
den erblassenden Gesichtern der Menge zu
malen. Alle sahen ihm mit einem langen
verzweifelnd hoffnungslosen Blicke nach,
als er dem Gefängnisse zuging. „Wenn
dieser Mann das Kind gestohlen hat,"
murmelten Mehrere, „dann ist es verlo
ren." Ich eilte nun, den Friedensrichter
zu sehen, der mir folgende Aufschlüsse
gab:
Beiläufig vier Wochen nach unserer
Excursion in dem Caunty Hampstead
hatte Mister Clarke ein Schreiben erhal.
ten, das mit dem Namen Thomas Tutti
unterfertigt, und das Postzeichen von
Natchez am Couverte hatte. Der Vater
wurde darin benachrichtigt, daß sein Kind
am Leben sei, daß Schreiber deS Briefes
von seinem Aufenthalte wisse und daß,
wenn er, Mister Clarke, eine Banknote
von 50 Dollars in seine Antwort ein
schließen wolle, der Verwahrungsort des
Kindes ihm angezeigt werden solle. Der
Schreiber verlangte ferner, daß Mrs.
Clarke allein, ohne Begleitung, an dem
zu bezeichnenden Orte erscheine, daß sie
zweihundert Dollars mehr mit sich bringe
und daß nach Bezahlung dieser Summe
ihr Söhnchen ihr ausgeliefert werden sol
le.
Aer bejammernswerthe Vater hatte
kaum diesen Hoffnungsstrahl erhalten,
als er auf den Rath seiner Freunde und
Nachbarn ein Schreiben an den Posthal
ter zu Natchez absandte, in welchem dieser
von dem Vorgange unterrichtet und zu
gleich aufgefordert wurde, die Person an-
Halten zu lassen, die um die Antwort an
fragen würde. Vier Tage nach Erhalt
dieser Aufforderung kam auch wirklich
der oben beschriebene Jrländer an an das
Postbureaufenster und erkundigte sich, ob
kein Brief unter der Adresse „Thomas
Tutti" angekommen wäre. Während
der Posthalter den Mann unter dem Vor
wande aufhielt, daß er unter den Briefen
nachsehen wolle, sandte er nach dem Con
stabler, der, bereits von dem Falle unter
richtet, sogleich herbeieilte und den Anfra
ger in Verwahrung nahm. Es ergab
sich bei der Examinalion, daß er sich eini
ge Zeit in und um Natchez aufgehalten
und bemüht halte eine Schule zu errichten.
Da er jedoch keine Auskunft von seinem
früheren Thun und Treiben geben konnte,
auch sonst höchst auffallend und verdäch
tig erschien, so war.ihm sein Vorhaben
nicht gelungen, und die Wenigen die ihm
ihre Kinder anvertraut, halten sie bald
wieder zurückgenommen. Damals nann
te er sich Thomas Tutti. Nichtsdestowe
niger leugnete er, daß dieses sein eigentli
cher Name sei, oder daß er den Brief ab
gesandt, der allerdings von einer geübten
wenn auch nicht schulmeisterlichen Hand
geschrieben zu sein schien. Aus dem
Verhöre erhellte es ferner, daß er vollkom
men mit den Pfäden und Wegen zwischen
Natchez und Hopesield und der von letz
terem Orte zu der Wohnung des Mister
Clarke führenden Straße, sowie den Ba
yous, Sümpfen und Flüssen und ihrer
Schiffbarkeit bekannt sei. Es war hin
längliche Evidenz vorhanden, und er wur
de auf das Faktum, daß er um die Ant
wort auf das geld-erpressende Schreiben
angefragt, den Gerichten überantwortet,
was zu gleicher Zeit dem Vater des ge
raubten Kindes kundgethan wurde.
Nach fünf T»gen kam der unglückliche
Vater mit dem Negerknaben. Die gan
ze Stadt bezeugte dem tiefgebeugten Va
ter die innigste Theilnahme. Man schritt
zu einem zweiten Verhör; alle Anwälte
waren zugegen und hatten ihre Dienste
unenlgeldlich angeboten. Man nahm die
früheren Aussagen des Jrländerö zur
Grundlage der gegen ihn sprechenden Evi
denz, und bemühte sich etwaö Näheres
über den Aufenthalt des Knaben aus ihm
herauszubringen ; aber allen Fragen setzte
er ein hartnäckiges Stillschweigen entge
gen. Der Negerknabe erkannte ihn nicht.
Zuletzt gab er zu verstehen, daß bloß die
Hoffnung Geld vom Vater herauszulok
ken, ihn zum Schreiben des Briefes ver
möcht habe. Kaum war jedoch diese
Aussage zu Protokoll genommen, als er
sich mit einem teuflischen Hohnlachen zum
Vater wandte und ihm zuflüsterte: Ich
will Euch doch noch elender mochen, als
Ihr mich zu machen im Stande seid.
Zugleich bedeutete er ihm, daß er an ei
nem gewissen Orte die Kleider seines Soh
nes finden würde.
Der Vater reiste mit einem der Con
stables an den bezeichneten Ort, fand
richtig die Kleider und kehrte nach Rat-
""Willig zu loben und ol>ne Furcht zu tadeln."
Dienstag de» 7. Jauuar, IBSR
chez zurück. Der Beschuldigte wurde
neuerdings vor die Schranken geführt
und versicherte nach vielen Widersprüchen,
daß das Kind noch am Leben, wenn man
ihn aber länger im Gefängnisse behalten
würde, dem Hungertode ausgesetzt sei.—
Nichts in der Welt konnte ihn bewegen,
auch nur eine Silbe für weitere Aufklä
rung von sich zu geben.
Die Quarter-Sessions waren mittler
weile herangekommen. Eine ungeheure
Menschenmenge hatte sich versammelt.
Man hatte Alles aufgeboten ; Verheis
sungen. Versprechungen von Freiheit und
selbst die ausgesetzte Belohnung wurde
ihm zugesichert—der Mann schwieg.—
Es waren starke sprechende Vermuthun
gen, aber immer noch keinen Beweis für
seine Theilnahme am Raube vorhanden.
Die aufgeklärtesten Anwälte waren der
Meinung, daß der verzweifelte Mensch
von Noth getrieben, Gelderpressungen
durch sein Schreiben beabsichtigte. Für
dieses Verbrechen und als Vagrant wur
de ihm eine mehrmonatliche Gefängniß
strafe zuerkannt.
Dieser Ausspruch war weit entfernt
den Nichtern selbst oder den Anwälten zu
genügen. So milde sind jedoch die Geset
ze, die die freien Bürger dieses Landes
sich selbst geben, so human der Geist
der Auslegung, daß man auch den ver
zweifelten ausländischen Bösewicht nicht
ihrer Begünstigung berauben konnte oder
wollte, so sehr sich das Innerste eines Je
den gegen eine solche Begünstigung em
pörte. Es war wirklich etwas so Hölli
sches in dem finstern Hohnlachen dieses
Mannes, die Lust, die er an den Qualcn
des Vaters und der Menge zu empfinden
schien, so wahrhast teuflisch, daß man sich
eines kalten Schauders bei seinem Anlßic
ke nicht erwehren konnte. Die kältesten
Anwälte versicherten, ihre Brust sei be
engt und sie fänden weder Worte noch
Gedanken. Es war mit einem Worte
ein allgemeines Gefühl deS Schrecks und
Schauders. Die Bewohner von Natchez,
besonders der Oberstadt sind eine sehr acht
bare Classe von Menschen, mit einem ho
hen Grade von politischer und intellektu
eller Bildung; allein bei dieser Gelegen
heit riß ihre Geduld und ihr warmes Ge
fühl verleitete sie zu einer Handlung, die
nur das Scheußliche dieses Verbrechens
entschuldigen konnte. Ohne vorläufige
Übereinkunft versammelten sie sich in der
Nacht vom AI. Januar, mit dem festen
Vorsatze, für dieses Mal die Milde der
Gesetze hintenan zu setzen und einen wirk
sameren Versuch mit dem Gefangenen zu
machen. Einige der angesehensten Ein
wohner nahmen ihn aus seiner Zelle, wäh
rend mehrere starke Neger mit Rindseh
nen versehen wurden. Diese nun wur-
den auf ihn in Anwendung gebracht.
Mit jedem Hiebe schien die Kraft der
Schlagenden zuzunehmen. Eine lange
Zeit beobachtete der Gefangene ein hart
näckiges Stillschweigen; der Schmerz je
doch wurde zu groß, und er versprach ein
volles Bekenntniß.
In einem Hause beiläufig 59 Meilen
oberhalb Natchez am Mississipi, so laute
ten seine Worte, lebt eine Familie, deren
Oberhaupt im Stande ist, den Verwah
rungsort des Knaben anzugeben. Der
Scheriff war natürlicher Weise während
dieser Execution abwesend gewesen und
hatte sie ignorirt, ohne sie*zu mißbilligen.
Kaum halte er jedoch die Wirkung dieses
ungesetzlichen Einschreitens erfahren, als
er noch in der Nacht mit dem Vater nach
dem bezeichneten Orte aufbrach. Er kam
daselbst am folgenden Mittage an, fand
eine sehr achtungswerthe Familie von
Hinterwäldlern, die wohl von dem began
genen Raube, weiter auch nichts wußten.
Die bloße Zumuthung der Theilnahme
an der Gräuelthat schien die ehrlichen
Hinterwäldler auf's Tiefste zu verletzen.
Der Gefangene hatte, wie es schon oft ge
schehen, wieder sein Spiel mit ihnen ge
trieben.
Die gespannte, so oft getäuschte Hoff-
rumg hatte den armen Vater auf's Kran
kenlager geworfen. Er lag mehrere Ta
ge im Kampfe zwischen Leben und Tod.
Das Publikum war müde, erschöpft; der
Schmerz erschlafft. Die Strafzeit des
Gefangenen war mittlerweile verlaufen.
Es war während dieser Zeit Alles aufge
boten worden, den Bösewicht zu einer
Mittheilung zu bewegen; nichts als
stumpfsinniges Hohnlachen war die Ant
wort gewesen. Man konnte ihn nicht
länger festhalten, und in Bezug auf den
Kindesraub wurde er auf das Noli pro
sequi freigelassen. Dem Vater war ge
rathen worden, sich wo möglich noch ein
mal mit ihm in's Vernehmen zusetzen. —
Beide Eltern warfen sich dem Ungeheuer
zu Füßen, der verstockt kein Auge weg
wandte und höhnisch dem Vater zuflüs
terte : Du hast mich elend machen wollen
sei Du es nun. Der unglückliche Mann
sprang auf und bedeutete dem Entlassenen
daß er ihm folgen müsse. Sie setzten
über den Mississippi. Hinter Concordia
angekommen beschwor der Vater nochmals
den Jrländer, ihm um Gotteswillen den
Verwahrungsort seines Sohnes zu sagen
ihm drohend, wenn er es nicht thun wür
de, sollte er nicht lebend aus seinen Hän
den kommen. Der Jrländer fragte ihn,
wie lange er ihm Zeit geben wolle.
Sechsunddreißig Stunden war die Ant
wort. Eine Weile ging der Elende ne
ben den Eltern in tiefen Gedanken ver
sunken, dann, plötzlich auf den Vater zu
stürzend, riß er ihm eine Pistole aus dem
Gürtel und drückte sie ihm auf die Stirne
ab. Die Waffe versagte; da sprang er
auf ein Bayou zu, dem sie sich genähert
hatten, und kaum war er im Wasser, als
dieses über ihm zusammenschlug und er
versank. Nach einer Stunde wurde sei
ne Leiche gefunden. Von dem Söhnchen
des unglücklichen Vaters wurde nie wie
der etwas gehört. Ueber die so eben an
geführte Thatsache, die sich zu Ende des
Jahres 1825 zugetragen, findet man in
allen Zeitungen des Mississippi-Staates
ausführliche Berichte. Der Name deß
unglücklichen Vaters ist beibehalten.
W. P. Staats-Ztg.
(Ans dem Illustr. Unterhaltungs-Blalte.)
Der Postillion
Novelle.
Ein munteres Posthorn tönte auf der
Heerstraße, weckte vielfältige Echo an den
nahegelegenen waldigen Höhen und schien
die Aufmerksamkeit einer kleinen Gesell
schaft von Männern zu erregen, die unter
dem großen Lindenbaume der Schenke
hinter vollen Bierkrügen saßen, und bis
dahin ein leises aber hitziges Gespräch ge
führt hatten, das von besonderem Inte
resse für Alle gewesen sein mußte, wenn
man die rothen Gesichter und die mitun
ter wirklich feindseligen Geberden der
Sprecher als gültige Zeugen annehmen
durfte. Die Schenke l?g einsam in ei
nem Winkel Norddeutschlands, wo sich
die Grenzen dreier Fürstenthümer, dieses
leider so vielherrigen, schönen Reichs be
rührten und zackicht in einander schoben,
als hätte die Erde selbst, durch diese un
trennbare Nath Einrede gegen das Kust
werr der ehemaligen Grenzcommissarien
einlegen wollen; doch waren die Besitzer
nicht darin zu verdenken, daß keiner sei
nen Anspruch auf diesen Erdwinkel abzu
treten geneigt gewesen, denn in der Nähe
fand sich auf viele Meilen kein Plätzchen
wo die Natur in solchem Maße verschwen
derisch ihre Schönheiten vergeudet. Rei
ches Ackerthal üppig bewaldete Berge
wechselten mit einander; ein Dutzend klei
ner Flüsse und Bäche bildeten, indem sie
sich mit stetß breiterem Laufe einem grös
seren Strome zudrängten, ein lebendiges
Wassernetz; ein ziemlich bedeutender fisch
reicher Landsee dehnte seinen Spiegel in
der Nähe mitten zwischen einem grünen
Wiesenrahmen aus, und am Rande der
Höhen streckten kleine, doch freundliche
Dörfer ihre Dächer durch die untern
Baumgruppen hervor, und von einem
Laufende Nummer IS.
Kirchthurme klang jetzt ein eintöniges
Glöcklein ununterbrochen in kurzen Schlä
gen im Wehen der Abendluft herüber.
Das Posthorn hatte bis jetzt die Me
lodie eines fröhlichen bekannten Volkslie
des hören lassen, als es sich aber dem
Waldecke näherte, wo das Ohr des Horn
bläsers von dem weinerlichen Geklingel
des Kirchenglöcklcins berührt werden
mußte verstummte daß Horn plötzlich,
und nach einer kurzen Pause vernahm
man von ihm die langgezogenen Töne ei
nes ernsten Kirchengesanges, die in beson
derer Harmonie mit dem Glockenklang
traten, und gleichsam sich bemühten seine
unverständliche Eintönigkeit zu verdeutli
chen. Der Mann des vierblätterigen Klee
blattes von der Schenke, welcher am äus
sersten Eck des Tisches gesessen, trat zur
Straße und schaute mit Blicken, die mehr*
als gewöhnliche Neugier zu schärfen schien
nach der Schlucht, durch welche der Weg
in den Wald versank, wandte sich jedoch
gleich wieder zu seiner Kameradschaft und
dem Vesperbrode, indem er verächtlich
sagte; „es ist nichts" dürft sitzen bleiben,
Gevatter, und könnts Kappel in Ruhe
lassen. Ein armseliger Postknecht reitet
die Extrapferde zurück, langsam und faul
im Eselsschritte wie derlei Tagdiebe es
gerne thun."
„Es ist der Hirten Wilm," erwiederte
der kleinste und unansehnlichste unter der
Compagnie, dem man den Herrn der statt
lich neu erbauten Schenke nicht ansah;
„der achtzehnjährige Bursche ist ein Vir
tuos auf seinem Hörne; auf drei Statio
nen weit thut's ihm keiner gleich, und er
bekommt von mancher Herrschaft ein dop
pelt Trinkgeld, weil er sie gar süß in den
Schlaf geblasen."
Der Erste, ein stämmiger Mann in ei
nem hellgrauen Oberrocke fuhr sich mit
der breiten Hand durch den rothgelben
Bart, der dicht und starr vom Ohr unter
dem nackten Halse durch sich bis zum an
dern Ohr hinauf zog, strich sich dann mit
beiden Händen das dünne grauliche Haar
von der breiten Stirne zurück und murrte
indem sich seine scharfen und widrigen
Gesichtszüge recht teuflisch verzerrten:
„Möchte er sich recht bald im scharfen
Ostwind die Schwindsucht an den Hals
blasen ! mich grollt's immer, sehe ich den
Burschen so fröhlich seinen Weg ziehen,
den Habenichts. Gäbe ihm der Landes
herr nicht das blaue Wams und den blan
ken Hut, müßte er im Hemde hinter den
Gänsen und Säuen laufen. Solch Volk
weiß nicht, waS Sorge ist, und das Geld
fällt ihm in die Hand wie vom Himmel
herab ohne Noth und Arbeit."
„Gönn' es ihm, Vetter Müller," siel
ihm einDritter, ein derbknochiger Arbeits
mann im Kittel ins Wort. „Es ist doch
ein traurig Leben, so Tag und Nacht im
Wetter, im Wind und Frost auf der
Heerstraße liegen und auf den dürren
Postkleppern sich wund zu reiten für
schlechten Lohn. Und der Wilm ist kein
Schlemmer wie die Andern. Er thut
viel Gutes an der alten Loofs, der Hir
tenfrau, seiner Ziehmutter, und geht mit
der alten, halbblinden Hexe um, wie ein
Christenkind nur mit der Mutter umge
hen kann, obgleich die ganze Gegend weiß
wie schlecht ihn die Loofö gehalten, und
daß der Knabe im Schmutz hätte verkom
men müssen, wäre nicht der Postmeister,
als der Hirt im See ertrank, mitleidig zu
getreten, und hätte sich des hübschen Bu
ben erbarmt und ihn in seinen Stall ge
nommen."
„Halt's Maul mit deiner Lobpredigt, >
alter Schwatznarr!" rief der Müller, ei
nen grimmigen Blick auf den Sprecher
schießend. „Hier im Hause sind genug,
die ohne deinen Sermon dem geckenhaften
Jungen mehr zugethan sind, als ich leiden
mag und leiden will." Er drehte sich da
bei zur Seite, und sein Auge siel auf das
Fenster der Gaststube, an dem sich ein
weiblich Köpfchen sehen ließ, das ihm die
Glutb auf die braunen gefurchten Wan
gen trieb. (Fortsetzung folgt.