Der liberale beobachter und Berks, Montgomery und Schuylkill Caunties allgemeine anzeiger. ([Reading, Pa.) 1839-1864, October 29, 1850, Image 1

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    Oer Liberale Beobachter,
Und Berks, Momgomery und Schnylkill Cannties allgemeiner Anzeiger.
Z 5 ciLvi n ü, Mnn. Gedruckt und herausgegeben von ArnoldP u w e u e, iu der Süd kten Straße, zwischen der Franklin- und Chesnut - Straße.
Jahrg. S 2 ganze Num. S7B.
Der scqettsrcicke Bildstock
Von H. Äönig.
Bonaventura Kübel war im ganzen
Marktflecken für einen armen Schelm be
kannt. Die Schule besuchte er nicht sehr
fleißig, lag aber desto emsiger allen Gau
nereien ob, und wußte dennoch, als cr die
Schule verließ, wenigstens etwas mehr
als der Schulmeister selber, —daß er näm
lich eben nicht viel wisse. Aber Kopf hatte
er für Alles, was an langen Sommerta
gen oder in langen Winternächten irgend
zu feinem Vortheile auszugrübeln war.
Durch mancherlei kleine Dienste um
Fuhrleute und Reisende hatte sich der
junge Kübel ein paar Thaler zusammen
gebracht, und legte sie zu einem tragba
ren Krämchen an. Bürsten und Schwe
felhölzchen, Nadelbüchsen und Feuerzeu
ge, Hofenschnallen und Miederschnüre.
Kinderpfeifchen und Hemdknöpfe, Messer
mit beinernen Stielen, Döschen mit her
ausbringenden Mäuschen und —wer will
die Sächelchen alle nennen, die er bunt
durcheinander feilbot. Ungeachtet seines
hinkenden Beines fand er sich auf allen
Kirchweihen und Jahrmärkten ein, und
ungeachtet cincS Fells auf dem rech
ten Auge, konnte ihm Niemand einen un
rechten Groschen aufhängen.—So wuchs
durch überlegte Thätigkeit und Sparsam
keit sein weniges Geld zu einem kleinen
Vermögen, und nach denselben Gesetzen,
nach welchen ein Mann der Bewegung
durch Wohlhabenheit oft stabil wird, ver
wandelte sich auch der tragbare Waaren
kasten in eine stehende Bude. Nürnber
ger Waaren, Lebkuchen, viele andere Din
ge gingen zu, und— billig. Die Zoll-
und Mauthgrenze in der Nähe gab Ge
legenheit zu manchen kleinen Unterneh
mungen auf großen Gewinn und das
flatternde Glück war dem Hinkenden hold.
Wie nun Meister Bonaventura end
lich im Stande war, ein nettes Häuschen
im Orte anzukaufen und einen nicht übel
ausgestatteten Kramladen von Specerei-
und AuSschnittwaaren einzurichten, dachte
cr an eine vortheilhafte Heirath. Ein
reiches Mädchen, pflegte cr zu sagen, ist
eine Kapitalsachc. Er brauchte über
haupt gern Ausdrücke der Handelschaft,
wie er sie von Reisenden erschnappt oder
aus Zeitungsblättern erschnurrt hatte.
Die Capitalsachen waren aber rar in der
Umgegend, zumal für einen Mann, der
in der Licbc nach einer Seite sah und
zwar nach der linken, seines rechten Au
genfelles wegen, und der, wenn sich eine
seltene Gelegenheit ergab, seines hinken
den Beines wegen zu spät kam. End
lich zeigte sich doch ein Gegenstand, der
gerade mit dem linken Auge angese
hen werden mußte und auch einem Hin
kenden nicht davon lief. Dies war daß
hübsche Dorchen im benachbarten lutheri
schen Orte Limbach. —Dortchens Gelreb
ter, ein beim nächsten Grenzzollamte An
gestellter, war vor etwa einem halben
Jahre auf einem nächtlichen Streifzuge
gegen eine Bande Schmuggler tödtlich
verwundet worden, hatte aber vor seinem
Ende der Geliebten und dem Knaben,
den sie von ihm hatte, ein Ansehnliches
vermacht. Jetzt starb der kleine Junge
am Scharlachsieber, und Dortchen war
nun Besitzerin jenes Vermächtnisses und
eine kleine Capitalsache geworden. Herr
Bonaventura hielt es für keine üble Spe
kulation diese verfallene Schuld, wie er
sich ausdrückte zu seinem Prosit einzu
treiben. Er hinkte nach Limbach hinüber
und zeigte dem putzsüchtigen Dortchen
Proben Stoffe auö seinem Laden.
Dortchen kam wieder herüber und besah
den Laden. Herr Kübel wußte dem ver
wittweten Mädchen begreiflich zu machen,
wie sehr ein kleines Vermögen in solchem
Geschäfte rentire und wie lieblich sich ei
ne junge hübsche Frau mit einem moder
nen Häubchen in einem neuen Laden aus
nähme.
Die Sache oder das Geschäft ward
richtig. Es kam in der Kürze zur Hoch
zeit mit feiner Associe wie Kübel sein
Dortchen nannte. Bei der Hochzeit ging
es hoch her. In Ermanglung angesehe
ner Verwandten wurden die besten Kun
den des HauseS Kübel et Compagnie ein
geladen. Herr Bonaventura war den
Tag sehr heiter aufgeräumt. Als einer
der Gäste die Gesundheit des neuen Paa
res ausbrachte, glaubte er diesen Toast
auf's Beste zu beantworten, als er sich
mit den Worten erhob : „Ja wir werden
eine Ehe führen, in welcher es nie flau
gehen wird, in welcher die Liebe immer
ein gangbarer Artikel bleiben, und die
Treue nie einen Stoß bekommen soll.
Ich denke, wir sind ein Paar, das sich zu
vertragen weiß: meiner Dorothea sehe
ich nach, daß sie einmal gefallen ist, und
sie sieht mir nach, daß ich alle Tage hin
ke."—
Aber den Witz soll sie ihm nie verges
sen haben. —
Bon jetzt an ging es bei Herrn Han
delsmann Kübel prächtig zu. Die jun
ge Frau richtete es ein, daß Gastereien
gegeben wurden und mit den Honoratio
ren der Nachbarschaft ein freundlicher
Berkehr bestand. Herr Kübel fühlte
sich geehrt, und nur Frau Dorothea be
klagte sich, daß die Männer lieber trän
ken, als artig und aufmerksam sein möch
ten. Kübel that das Seinige; doch wa
ren beide in einem Stücke nicht vergnügt,
daß sie nämlich keine Kinder hatten.
Und obschon nun Madame Kübel gerade
mit dem Verlust ihrer Unschuld ihre
Schuldlosigkeit au dem Häuslichen Kreuz
ziemlich schlagend darthun konnte: so
war der Mann doch so ungerecht, daß er
sie öfter in seinem Acrger—ein todtes
Capital schalt.
Ein lährchen um das andere ging her
um, und der alte Bonaventura gewöhnte
sich zum Zeitvertreib an daS Wirthshaus.
Da sein Geschäft aber immer noch im Zu
nehmen war, so drang die Frau täglich
mehr in ihn, daß er einen Burschen in
den Laden nehmen solle. Der Alte hatte
auch Einsehen und that sich nach einem
um. Bald fand sich einer, ein hübscher
Mensch mit Batermördern, emaillirten
Hemdknöpfen und ehrlich genug aussah.
Nun war dem alten Kübel geholfen
Der Ladendiener war ihm sehr höflich
und der Frau sehr artig. Sie rühmte
alle Tage, wie pünktlich und geschickt er
sich bewiese, wenn sie des Abends mit
ihm die Kasse stürze und das Geschäfts
buch abschließe. Bonaventura blieb nun
um so getroster Abends im Wirthshanse.
WaS ihm aber über Alles ging, war, daß
dieser artige Mensch ihm Hoffnung auf
eine langgewünschre Nachkommenschaft
machte. Denn eines Tags beim Mittag
essen kam derselbe darauf zu reden, daß
auch sein voriger Prinzipal lange kinder
los gewesen sei, bis ihm Pater Hylarius
einer der in Baiern wieder eingeführten
Mönche, den Anschlag gegeben, zur Er
langung ehelichen Segens einen Bildstock
zu stiften und einweihen zu lassen. Dies
habe der Prinzipal befolgt, und die Pro
phezeiung des Mönchs sei wirklich in Er
füllung gegangen. Bonaventura war
als Katholik gerade eifrig und gläubig
genug, um auf den Rath des ehrlichen
Burschen einzugehen, und bald stand zur
allgemeinen Erbauung am Wege nach der
nahen Bergkapelle ein bunt angemalter
steinerner Bildstock, —vorn den vierzehn
heiligen Nothhelfern, und auf der Rück
seite den vierzehn heiligen Märtyrern ge
weiht.
Sein Vertrauen blieb nicht unbelohnt.
Es dauerte keine neun Monate, so hatte
der vergnügte Kübel ein gesundes Büb
chen auf seinen Armen. Es wurde am
Lten Januar, auf das Fest der heil, drei
Könige getauft und schon auf den Tag
der vier gekrönten, am 8. November des
selben Jahres, ward ihm ein zierliches
Mädchen dazu geboren.
Nach der Geburt des ersten Kindes
hatte er das Wirthshaus vermieden und
sich an die Wiege gewöhnt, so oft ihn
auch die freundlich Hausfrau antrieb,
"Ivillig zu loben und oline Lurcht zu tadeln."
Dienstag de« 2N. Oetober,
seine alten Freunde im Wirthshause, be
sonders Abends, nicht so sehr zu vernach
läßigen. Jetzt wurde er über das Zu
sammenschreien zweier Kinder manchmal
ungeduldig, und sah gegen den folgenden
Sommer nicht ohne Angst die Frucht ei
nes neuen Segens wachsen, um so mehr,
als seine Frau um ihn mit andern Mit
teln, als freundlichem Zuspruch, zur Er
kenntniß seiner WirthöhauSpfiichten zu
bringen, ihn mit Windeln und Wiegen
übermäßig zu beschäftigen wußte. Wenn
Bonaventura jetzt an dem sonst bunten,
und nun in Sonne und Regen abbleichen
den Bildstocke vorüberging, warf er, selbst
mit seinem gesunden Auge einen giftigen
Blick auf daS steinerne Weihgeschenk, von
dem aller Segen kam. —
Gegen Herbst hin genaS Frau Doro
thea Kübel abermals von einem starken
Knaben. Mißmuthig ging Bonaventu
ra umher; jeder Schrei der Kleinen ver
stimmte ihn, jede Ausgabe für ihre
mancherlei Bedürfnisse ängstigte ihn, so
daß er abwechselnd ein Knicker und ein
Verschwender ward, je nachdem er endlich
im Hause umhergrübelte, oder sich außer
dem Hause zu zerstreuen suchte. Oester
als sonst ging er jetzt am Bildstocke vor
über, und da einige heftige Regengüsse
von Spätgewittern das hügelige Erdreich
hie und da durchgewühlt hatten, so prüf
te er jedesmal, ob der Bildstock nicht auch
gelitten habe und etwa —umfallen möchte.
Da er ihn aber für die Ewigkeit gestellt
fand, so bohrte cr mit seinem Stocke ein
klein wenig um und unter das Fußge
stell, lobte den geschickten Maurermeister
und seufzte. —
Doch die fromme Stiftung segnete un
verdrossen fort. Das vierte Kind war
abermals ein Junge. Zum ersten Male
verschüttete der alte Kübel einige bittere
Worte wegen des Bildstocks gegen den
Ladendiener, ja er goß über diesen selbst
als cr so schalkhaft in sich hineinlächelte
einige herbe Redensarten über Schaden
freude schlechte Rathgeber und dergleichen
aus. Da er indeß hinter dem Rücken
des Gescholtenen die Frau eine Faust voll
Fürbitte erheben sah, so lenkte er ein und
fragte begütigend den Burschen, wie vie
le Kinder dessen früherer Prinzipal ge
habt habe.
Vier Kinder! war die Antwort.
Vier? Hm, hm ! und wie hoch war der
Bildstock?
Wenn ich nicht irre, —vier Fuß hoch
ohne das Fußgestell.
Vier Fuß? Vier Kinder? Hm, hm !
Es könnte vielleicht möglich sein,
in Beziehung stände. Segen Fuß
weise zugessen, brummte Bonaven
tura vor sich hin, und setzte laut hinzu :
Mein Bildstock ist fünf Fuß, ohne das
Fußgestell; ich habe des Guten überflüs
sig gethan.
Damit war er sehr gefaßt und schien
einem fünften Kinde mit vieler Gelassen
heit entgegenzusehen. Das fünfte Kind
kam auch wirklich, ein Mädchen, und zwar
von den schlimmen eins, die, wie ich weiß
nicht, sieben oder siebzehn Wochen lang
bei Tag und Nacht schreien, und dem
Hause wie der Nachbarschaft zur Last
sind. Der alte Kübel aber war voll Ge
duld uud trug Alles, im Gefühl, daß sein
Glück und Segen nunmehr ausgemessen
sei.
So schien eö auch beinahe ein ganzes
Jahr, bis sich seine Dorothea wieder über
dies und jenes Reißen und Schmerzen be
klagte und vor dieser oder jener Speise
Widerwillen bezeigte. Bonaventura maß
mit großen Augen die Gestalt seiner Frau
und mit dem Nürnberger Maß den Bild
stock, und fand die Gestalt der Frau be
denklich, und den Schaft ein paar Zoll
länger als fünf Schuh. Er war höchst
mißmuthig. Sollte vielleicht der
paar Zoll wegen ? brummte er in
den Bart, und ließ sich rassiren. Ueber
die Kleinen, die um ihn her rutschten und
liefen, zankte er, und wie er einst über
das todte Capital sich ereifert hatte, war
' er jetzt über die laufenden und aufwachs
enden Zinsen erbost. —
Bald blieb ihm über seine Hoffnung
auf neuen Segen kein Zweifel übrig, da
her er denn wieder fleißiger um das Fuß
gestell seines Bildstocks bohrte. Zu sei
ner Zufriedenheit ließen sich kleine Stein
chen hervorwühlen, und so fuhr er denn
mit diesem trostreichen Zeitvertreib an den
späten Dämmerabenden, des Aprils, un
bemerkt fort. Endlich, am Vorabend
deS Jnbilate-Sonntags, bemerkte cr zum
ersten Male, wie das Fußgestell ein we
nig wiegte und die Säule schwankte.
Er schlich wie ein Dieb'nach Hause.
Mehr wagte er nicht zu thun. Nur
wenn er vorüber ging—und zufällig ging
cr oft vorüber—rüttelte er mit der Hand
ein wcnig am Bildstock, um ihn gleich
sam wie einen säumigen Bezahler zu er
innern.—Erdbeben gibt's bei uns nicht,
dachteer; aber der Südwestwind, der
hier zu Land gern stürmt, hat einen recht
andächtigen Zug und Drang nach dem
Bildstock. Es war kein übler Einfall,
daß ich ihn just hierher fetzte. Wann
wird sich denn der Bildstock erkenntlich
zeigen, und auch einen guten —Einfall
bekommen?
So gingen Woche um Woche und ein
schöner Sonnabend nach dem andern und
die sich verlängernden Herbstabende hin,
bis auf den 2. Vovember, am Allersee
lentage, der alte Kübel, höchst ärgerlich
über den Kinderlärm und feine wehkla
gende Dorothea, von Hause weg nach
der Kirche ging, um an diesem Tage der
Abgestorbenen bestens zu gedenken, da
ihm die Lebenden so viel zu schaffen mach
ten. Er war kaum aus der Kirche in
das nahe gelegene Wirthshans getreten,
um ein Frühstück zu nehmen, als das
Kindermädchen gelaufen kam und melde
te daß seine Frau glücklich niedergekom
men sei.
Lebt daS Kind? fragte er.
Ja, es schreit rechtschaffen antwortete
das Mädchen.
Und ist ein ganzes, wohlconditionirtes
Kind.
Gewiß, ein Junge mit Sack und
Pack. —
Merkwürdig, unbegereiflich! Um der
paar Zolle willen, die vielleicht noch im
Wetter eingegangen wären. Der ver
wünschte — !
Er trank sein Glas Rum aus und for
derte noch ein zweites. Ich will heute
eine Ausnahme machen, Frau Wirthin,
sagte er. Es ist das erste Mal, daß ich
zwei—
Recht wohl gethan, Herr Bonaventu
ra, versetzte die Frau : Sie sind ja auch
ein gesegneter Mann. Wohl bekomm's!
Auf die Gesundheit des nächstfolgenden
Kindes thue ich Bescheid!
Nächstfolgenden ? schrie er. Das wä
re unbescheiden. Nun und nichts mehr!
Mein Glück ist ausgemessen, das muß ich
wissen. Nichts Folgendes, nichts! —Der
Artikel wird »rjcht mehr geführt.—
Indem kam die Hausmagd Meister
Kübels herein und brachte stotternd her
vor, die Madame habe noch einen Jungen
gekriegt, ein glückseliger Zwilling sei im
Hause, der Herr möge eilends heimkom
men.
Aber welche Wuth überkam jetzt den
guten Meister! Er sah stier in eine Ecke,
drückte den dreieckigen Hut tief über das
eine Ohr in den Kopf und schwang sein
spanisches Rohr. Und nun stürzte er
aus dem Hause, hinkte, was er hinken
konnte, durch das Dorf; die Gänse
watschelten schreiend auseinander, und die
Dorfjugend rannte jubelnd durch alle
Ppützen nach. —Athemlos kam er auf
dem Wege an, wo sein Bildstock stand.
Von Weitem schon drohte er mit dem
Stock und keuchte. Willst du mich rui
niren, segensreicher Bildstock? Nein ich
lieber dich!
Hiermit warf er den Hut und den
Stock in die Haferstopplen, drückte sich
ansteimnend mit dem Rücken gegen den
Laufende Nummer S
geweihten Stein, bis dieser zum allge
meinen Kinderjubel zusammenstürzte.
Nun eilte er, Hut und Stock vergessend,
nach Hanse, die Dorfjugend wieder hin
ter ihm her. Wie ein Wahnsinniger
packte er den Ladendiener, zog und zerrte
ihn vor das Haus, indem er wiederholt
rief: Du hast den Rath gegeben, du bist
an allem Unheil Schuld !
Die Wöchnerin war seit dieser Stunde
noch eine längere Zeit sehr erschöpft, und
Meister Kübel allein Herr im Hause.
Also blieb es auch bei seinen Anordnun
gen : der Bildstock wurde gestürzt, der
Ladendiener verjagt und somit blieb es
auch bei den sieben gesunden Kindern.
Die Wurst-Prozessio n.—
Es war früher Sitte in Königsberg in
Preußen, daß die Metzger am Neujahrs-
Tage dnrch die Straßen der Stadt zogen
und zum Klange von Pauken und Trom
peten eine mehrere hundert Ellen lange
Wurst einher trugen. Eine der größten
dieser Prozessionen beschreibt ein Augen
zeuge wie folgt: Am ersten Januar 1661
marschirten die Schlächter von Königs
berg mit Trommeln, Pfeifen und grünen
und weißen Fahnen durch Königsberg;
103 Gesellen trugen die edle Wurst, wel
-1005 Ellen maß, auf jeder Seite lief ei
ne Wache zu ihrem Schutze. Als sie das
königliche Schloß erreicht hatten, präsen
tirten sie Sr. Majestät 130 Ellen der
lange Wurst. Von hier zogen sie nach
dem Quartier der Bäcker, woselbst sie
mit großen Ehrenbezeugungen empfangen
und gastlich bewirthet wurden. Auch die
Bäcker erhielten einen großen Theil des
Wurstungeheuers Der Tag schloß mit
Festlichkeiten aller Art bis tief in die
Nacht hinein.
Diese Wurst wog 885 Pfund; 81
Schinken, die Eingeweide von 45 Schwei
nen, 2 Tonnen Salz und eben so viel Bier
und 18 Pfund Pfeffer waren bei ihrer
Verfertigung gebraucht worden, und drei
Meister und 87 Gesellen hatten drei Ta
ge daran gearbeitet. .»
Ein furchtbarer Mensch wurde in die
sem Frühjahr zu Brescia in Italien hin
gerichtet. Er hatte eine hübsche und gu
te Frau geheirathet und zwölf Kinder
von derselben, die alle in den ersten Mo
naten starben. Beim zwölften wurde
man doch argwöhnisch, denn auch die frü
heren starben allemal, wenn der Vater al
lein bei ihnen war. Man untersuchte die
kleine Leiche, blaue Flecken am Halse deu
teten auf einen gewaltsamen, Tod zwei
Rippen waren zerbrochen, die Lunge auf
der linken Seite heruntergedrückt und das
Herz ädirt. Der Vater konnte es nicht
läugnen, er hatte es gethan einmal—
zwölfmal.
Alles aus Liebe.—Neulich kam
ein verdächtig aussehendes Packet, mit
dem Postmerk „St. Louis" und der Auf
schrift, Charles Backer, in Springfield,
Massachusetts, an. Dieser Charles aber
sitzt in letztgenannter Stadt im Gefäng
niß, für Postraub. Das Packet wurde
geöffnet, und man fand drei kleine Bü
cher darin, mit der Aufschrift in Gold,
„Alles aus Liebe." Da diese Büchlein
besonders gut und schön gebunden waren,
witterte der Postmeister Unrath, und ließ
dieselben von einem Buchbinder untersu
chen ; dieser aber erklärte daß nichts da
rin verborgen sei. Der Postmeister aber
hatte Verdacht, und fing an den Deckel
eines dieser Bücher aufzuschneiden, und
fand, höchst geschickt in denselben hinein
gearbeitet, zwei Eisensägen von etwa 8
Zoll Länge. Wahrscheinlich sind die Spie
ßgesellen des Posträubers darauf bedacht
ihn aus dem Gefängniß zu befreien und
haben diesen klugen Weg eingeschlagen,
ihm die Mittel zur Flucht an die Hand
zu geben.
Der Mann, von welchem seiner Zeit ge
meldet wurde, daß er die Reise nach Cali
fornien mit einem Schiebkarren angetreten
habe, ist laut Nachricht wohlbehalten im
Goldlande angelangt.