Der liberale beobachter und Berks, Montgomery und Schuylkill Caunties allgemeine anzeiger. ([Reading, Pa.) 1839-1864, October 08, 1850, Image 1

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    Oer Liberale Beobachter,
Und Berks, Momgomery n»d Schuylkiil Cannties allgemeiner Anzeiger.
Ii raÄ i „ n Mnn Gedrucki und herausgegeben von ArnoldPu w e ll e, iu dcr End Sien Straße, zwischen der Franklin- nnd Cdesnul. Slraße,
Jahrg. 12, ganze Nnm. S7S.
Die Stttrmnaeht.
O nein, nein! schrie das Kind sich fe
ster klammernd. Wie weht es draußen
so stark. Es kommt naß in mein Bett.
Bist ein Narr, sagte der Bater rauh
indem er den Blick nach der alten hollän- >
dischen Gehäuseuhr richtete. Es hat noch
nicht zehn geschlagen, hohe Fluthzeit ist
um zwei, also geh'. Hier hielt er inne,
denn plötzlich war es, als schüttle sich das!
Haus, die Tasten und Teller in den bun
ten Schränken klapperten hin und her
und klangen gegen die Gläser und das
Kupfer bewegte sich an der Wand.
WaS ist das ? rief der Mann und wir.
Alle sprangen von den Stühlen und eilten
ihm nach zur Thür. Er riß sie und stand
einen 'Augenblick wie gelähmt. Der >
Sturm fuhr wild durch die blitzende Nacht,
welche vor uns lag in ihrer ganzen Pracht!
und Herrlichkeit. Der Himmel hing da
rüber wie eine unendliche Sternendecke,
und vor uns wälzte sich das Meer in dunk
len Thälern und leuchtenden Bergen, de
ren Gipfel das blendende Licht des Mon
des feenhaft überstrahlte.
Gott sei uns gnädig in dieser Nacht!
murmelte Jens indem er die Hände zu
sammenschlug und auf die weißen Wellen
kämme hinaus sah, die hoch über die
Warft hinaufschlugen, uns mit Schaum
und Wasserstaub bedeckend. Dann aber
mit der Entschlossenheit eines Mannes,
der in Gefahren alt geworden ist, faßte
er Weib uud Kind mit seinen nervigen
Armen, drängte sie und uns Alle in s
Haus zurück, schlug die Eichenthüren zu,
schob die Riegel davor und den Querbaum
und schrie mit mächtiger Stimme: bringt
die Schaafe auf den Boden, rettet die La
de und den Schrank, die Betten und die
Kinder. In einer Viertelstunde werden
wir Wasser im Hause haben und Alles
wird zu spät sein.
Nun gab es ein Laufen und ein Schrei
en. Es waren drei Männer da, zwei
Frauen und drei Kinder, und jeder suchte
die steile Bodenleiter hinaufzuschleppen,
was er fassen konnte. Aber die Fluth
war schneller, als wir meinten. Nach we-.
nigen Minuten schon sahen wir das Was
ser in leisen kleinen Bächen geräuschlos
durch die Fugen und Ritzen der Thür
rieseln, so quoll es auch aus dem Gestein
und aus den Dielen hervor und breitete
sich immer rascher und eiliger aus. Plötz
lich schoß eine hohe Welle gegen die Läden
vor den Fenstern und drinnen klangen
die Scheiben. Die kleinen Gefäße, Ki
sten und Kasten singen an zu schwimmen
und zu treiben und nun schmetterten die
Wogen gegen die ganze Breitseite des Ge
bäudes, jede wilder und mächtiger als ihr
Vorgänger. Thür und Fenster klirrten
und ächzten, das Haus zitterte in seinen
Grundvesten, die Weiber und Kinder flo
hen zum Boden hinauf, wir Männer aber
saßen auf dem Tisch, zwischen uns die
kleine Lampe haltend, die mit ihrem trü
den Flämmchen unsere angstvollen Ge
sichter und das dunkle, immer böher wach
sende Wasser beleuchtete.
Gesprochen wurde nichts, und was soll
ten wir auch sprechen? Alle unsere Auf
merksamkeit war auf das Brausen der
Wellen und ihre furchtbaren Schläge ge
richtet, die mit stets erneuerter und grös
serer Gewalt das Haus erschütterten.
Zuweilen war das Toben der berstenden
Wasser und daö Geheul des Sturmes, der
sie begleitete, so arg, als würden Kano
nen gelöst deren Donner uns umtönte,
dabei wuchs die Fluth von Minute zu
Minute um unsere Füße. Bald war
von dem Bett in der Wand und vom
Heerdsteine nichts mehr zu sehen; finster
und kräuselnd kroch es zu uns an der
Tischplatte in die Höhe, nur wenig mehr
als ein Haar breit fehlte daran, bis es
uns erreichte, als plötzlich ein ungeheurer
Schlag an der Mauer geschah und mit
Gedankenschnelligkeit eines der Fenster
sammt dem Laden und die Einfassung mit
dem Stockwerk aus den Fugen sprang
und niederwärts über unö hinstürzte.
In dem Augenblicke fuhr ein Balken von
einer der mächtigen Wellen getragen durch
die Oeffnung in das HauS, durchbrach die
Hinterwand, welche in die Kammer führ
te, und stürzte mit dem Schwall des Was
sers, der ihn hinein getragen, krachend
nieder. Die Woge welche sich über uns
ergoß, warf zugleich unsern Tisch um
nud spülte uns in ihrem Wirbel weiter.
Ich stieß einen Schrei aus, denn der Stoß
hatte mich hart an eines der schwimmen
den Gefäße geschleudert, aber Jens faßte
mich mit seiner starken Hand und riß mich
auf zur Thür fort, die er mühsam noch
zu öffnen vermochte.
Unv es war Glück für uns, fuhr der
alte Mann nach einer Pause fort, denn
hoch stand das Wasser; die Leitertreppe
zum Boden war umgestürzt und fortge
schwemmt, unsere Lampe längst erlo>chen,
in dichter Finsterniß wir mitten in der
Fluth und rings um uns der Tod. Mit
Mühe fanden wir die Leiter und mit gros
ser Noth gelang es uns, sie aufzurichten.
Hinauf so schnell ihr könnt, und mit star
kem Arm riß er mich die Stufen hinauf,
dann den zweiten, endlich er selbst hinter
her, und kaum war es geschehen, so kam
was er vorhergesagt. Ein Krachen ge
schah unten, die Hausthür flog in Stücke
die Leiter schlug über und verschwand,
wie sie fiel, stürzte die ganze Borwand
des Hauses zusammen, nur die Ständer
hielten blank und bloß, wie sie waren, und
ließen den wüthenden Wellen nun freies
Spiel, die in weniger Zeit, als ich rede,
alle innern Wände zerschlugen, daß von
Allem, was gewesen, nichts mehr blieb
als das Dach, das auf den Pfosten ruhte.
Ein Schrei der Todesangst begleitete
den Fall der Mauern und klang durch das
Toben des Wassers und des Sturmes.
Finsterniß war überall, das Strohdach,
dicht und fest verkoppelt, ließ keinen Schiin
mer durch; naß, erschöpft und verzweifelnd
warf ich mich nieder und hörte neben mir
das Geschrei der Weiber und Kinder, die
den Bater umklammert hielten, der ver
gebens ihnen Trost zuzusprechen suchte.
Gott wird es gnädig von uns wenden,
sagte er, laß das Klagen sein Else, weint
nicht Weiber. Gottes Hand kann es al
lein, kein Mensch mit seiner List und
Stärke. Und sind wir nicht glücklicher
als Andere? Wir sitzen hier auf dem
Dach, unser Werft ist fest, mancher muß
schon gebrochen sein, denn die Balken
treiben durch die wüthende See. Ist
ein Unglückstag, Peter, rief er mir zu,
wie er seit einem Jahrhundert nicht über
uns gekommen ist, hab es nie erlebt und
nie sagen hören von einem Lebendigen,
müssen alle Deiche brechen bis an die Ei
der uud weiter hinauf bis an die Elbe.
Wer den Morgen erlebt, wird großen
Kummer sehen.
Werden den Morgen uicht erleben,
Jens, sagte ich, Gott hat uns durch den
Mund deines Kindes den Tod angekün
digt, den wir Alle leiden sollen.
Ist nicht wahr, Peter, rief er dagegen.
Der allmächtige Gott hat durch den un
schuldigen Mund uns geleitet, hat uns
gewarnt, ehe es zu spät war und wird
uns weiter behüten.
In diesem Augenblick faßte ein wü
thender Stoß des Sturmes das Dach und
es bog zusammen, wie eine Weidengerte
gebogen wird. Die Sparren des StrohS
rissen und trennten sich, Wellenschaum und
nasser Staub stürzten durch den Spalt
auf uns nieder, durch den ein Mondblitz
matt hereinirrte und unserm Auge zeigte,
was ich nie vergessen werde. Vor mir am
Boden, die Arme fest ineinander geschla
gen, saßen die Weiber mit aufgelösten
Haaren, ihre starren, wilden Blicke zum
Himmel gerichtet. Die Kinder hielten
ihre Leiber umschlungen und bargen ihre
Köpfe in stummer Angst an den Busen,
der sie genährt. Jens stand daneben,
sein magerer, fester Körper und sein blut
loses Gesicht waren wie von Stein, hinter
ihm in dumpfer Gefühllosigkeit stand der
"Ivillig zu loben und olme Luret,r zu tadeln."
Dienstag den 8. Oetoder,
andere Mann, den nahen Tod wie eini
Opferthier erwartend.
Und während dieser schrecklichen Mi- j
nute flog das Dach zerrissen in die Luft
und See und ließ uns nun alle Schrecken
unseres nahen Unterganges erkennen.
Der Sturm schien sich mit dem fürchter
lichen Stoße, der das Dach brach, gemil
dert zu haben, er tobte nicht mehr so arg,
aber der Himmel war so klar, durchsichtig
und glänzend, wie ich ihn kaum je gese
hen. Der Mond strahlte dazu in seiner
ganzen Pracht auf die unermeßlichen Was
serberge nieder, die brausend sich bäumten
und sich verschlangen. Kein Ton des
Lebens, kein Hoffnungszeichen,kein Schrei
keine andere Bewegung als die des em
pörten Wassers unterbrach die fürchterli
che Eintönigkeit. Es war nichts zu ent
decken von nahem oder fernen« Lande, al
le Halligen, alle Küsten der Außeninseln
schienen tief unter der Fluth zu liegen,
alles Lebendige darunter erstickt zu sein.
Es war als seien wir von allen sterblichen
Wesen auf Erden allein noch übrig geblie
ben, um die Angst des Todes langsamer
und schmerzhafter zu empfinden.
Denn eine schreckliche Gewißheit löscht
die Hoffnungsfunken aus. Noch war
mehr noch als eine Stunde Zeit bis zur
höchsten Fluth und schon erreichte diese
die halbe Höhe des Balkens und schleu
derte ihre Wellenspitzen bis zu uns auf.
Zwischen den Spalten der Bretter unter
unsern Füßen konnten wir die schäumen
den Wogen verfolgen, wie sie durch die
eingestürzten Wände des Hauses rollte«,
vor den Resten der Mauern abprallten
und ein schreckliches Spiel mit Kisten und
Kasten, Schränken und Geräthen die sie
aneinander warfen, die endlich die letzte
Schranke zusammenbrach und im wilden
Wirbel nun Alles auf den breiten Tum
melplatz ihrer Wuth gerissen wurde.
Denken Sie sich jetzt, sagte der alte
Mann, wenn sie es vermögen, das Bild
unserer Noch. Denken Sie sich die star
ren thränenlosen Blicke, welche die Was
serwüste durchirren, dann die sich krampf
haft gefaltenen Hände, die Lippen, auf
denen das Gebet stirbt, die angstverzerr
ten Gesichter, deren Entsetzen nicht Wor
te beschreiben können. Jede Welle, wel
che an die Pfeiler prallte, die allein unse
re Erhaltung beschützten, regte die Angst
höher auf; wir fühlten die durchdringen
de Kälte der Februarnacht nicht, fühlten
nicht, daß die nassen Kleider an unserer
Haut festklebten, fühlten den Sturm
uicht, der unser Haar zerriß, alle Erwar
tungen und Empfindungen drängten sich
auf das Bangen vor der gräßlichen Mi
nute zusammen, die unö aus dem Buche
des Lebens streichen sollte.
Und diese Minute nahete wir sahen sie
kommen, ohne irgend etwas thun zu kön
nen, um sie aufzuhalten. Die glänzen
den Berge von flüssigem Metall, welche
uns umwogten, wurden höher und höher;
die zitternden Balken überzeugten unö,
daß das Wasser immer tiefer und mächti
ger im Grunde nage und bohre. Zuwei
len schienen sie zu schwanken und ihr Kra
chen zeigte an, wie mühsam sie dem wü
thendenElement widerstanden. Der harte
Lehm der Warft löste sich unter der Ar
beit des Wassers auf, er wurde losgeris
sen und fortgespült, und die hohen Sturz
seen, welche mit fürchterlicher Kraft an
dem Holzbau rüttelten, zogen ihn hin und
her, bis kein Widerstand mehr zu leisten
war.
Unter allen diesen Schrecken hatte Jens
allein seinen ungebeugten Muth bewahrt.
Es war ein Mann der unter den wetter
harten Halligbewohnern einen hohen Ruf
besaß. Lange Zeit war er wie die mei
sten Männer der Halligen und Außenin
seln auf den Meeren umhergefahren, hat
te als Steuermann einen Jndienfahrer
geführt und sich dann mit dem ersparten
Gelde in seine geliebte Heimath zurückge
zogen. Hinaus in die Welt wollen sie
Alle um ihr Glück zu versuchen, aber
wen das Meer nicht verschlingt der komt
wieder heim mit tiefer Sehnsucht im Her
zen, wie die Wandervögel heimkehren, mö
gen sie noch so weit ziehen zu schönen fer
nen Ländern, sie suchen das Nest im ho
hen Norden immer wieder auf, wo es in
Sturm und Nebel an öden Klippen hängt.
Jens hatte ein Weib genommen und
das alte Haus seiner Väter neu und stark
aufgebaut. Mit breitem Steingiebel über
die Eichenthür stand es schöner da, als ir
gend eines, und Jens wohnte als ein glück
licher Mann darin. Drei kräftige Kin
der schrieen dem Vater entgegen, wenn er
aus dem Schlick mit seinein Netz voll Ro
chen und Krabben heimkam, oder sein weis
ses Segel der Hallig wieder nahte, zurük
kehrend aus der Lystertiefe, wohin er sein
Schiff geführt, oder von Husum, wo er
sein Schaffleisch, seine Felle und seine
Möveneier verhandelt hatte. Keiner war
weit und breit zu finden der ein Boot zu
führen verstand, Keiner kannte das Meer
besser, Keiner Wind und Wetter, wie er.
Er war ein kühner, ein echter Friese, vor
keiner Gefahr bebend, ruhig überlegend,
voll stolzen Selbstvertrauens und von
Kindheit an gewöhnt, am meisten auf sich
selbst zu hoffen. Als das Dach in Stük
ken flog, stand er eine Zeit lang starr hin
ausblickend auf das Meer seinem Kum
mer hingegeben. Was er Mühevoll ge
baut und erworben hatte, war verloren
und verschlungen, aber hier auf diesen
nassen Dielen lag doch das Theuerste ge
rettet, das er besaß: sein Weib, seine Kin
der ! Aber der alte Muth kehrte bald zu
rück. Er trug die Kinder auf die sicher
ste Stelle, schützte sie mit Betten und Ge
räth, band seine Schafe an den Sparren
und Balken fest, daß Wind und Wellen
sie nicht beschädigen mochten, sorgte für
die Reste seines Eigenthums so gut er
konnte, und sprach denen Trost zu, die
auf ihn als einen Helfer in ihrer Noth
mit dem letzten kranken Strahl ihrer Hoff'
liung blickten. Seine Ruhe, sein Ver
trauen hielt ihren Glauben wach, der in
jedes Menschen Brust wohnt, den Glau
ben an Rettung, welchen der Sterbende
noch bewahrt, und wenn man auf Jens
blickte, wie er mit seinen harten Händen
den Schaum der Wogen von seinen flat
ternden Haaren wischte und mit festen
Schritten von einem Ende zum Andern
ging, ihm Muth zuzusprechen, hätte man
glauben sollen, er wäre von aller Sorge
und Furcht frei. Aber in seinem Herzen
sah es anders aus, und als er zu mir trat,
sah ich bald, wie wenig er selbst an Er
haltung unsers Lebens glaubte.
Habe nie so etwas fürchterliches ge
schaut, Peter, rief er mir zu, glaube es
gern, es geht mir eben so. Bewahre Gott
jeder Mutter Kind, werdet davon erzäh
len können noch langen Jahren.
Glaubt Ihr denn wirklich, daß wir je
mals einem Menschen wieder sagen wer
den, was wir hier erlebten ? erwiederte ich.
Er sah mich mit einem wilden schnellen
Blick an. Sind beide alt genug zum
Sterben, Peter, sagte er dann, und habe
das Meer wohl schon grimmiger gesehen,
wie in dieser Nacht, ohne zu fürchten, aber
da, da; er deutete auf die Kinder, das
macht das Ende zur .Qual, die wie Höl
lenfeuer hrennt- Stehe hier wie ein
Lamm und kann mich nicht wehren gegen
den Tod, muß ihn kommen sehen mit of
fenen Augen. Strecken ihre Arme zum
Vater aus fordern Hülfe und Erbarmen
von ihm, das schneidet mit tausend Mes
sern, Peter, ist das Schrecklichste, was ein
Mann erfahren kann.
In seinem blassen, ernsthaften Gesicht
war ein grausamer Schmerz zu lesen, der
plötzlich die undurchdringliche Ruhe über
wältigte. Sind wir denn wirklich verlo
ren. Jens? rief ich und der Muth, der
ihn verließ, ergriff mich. Das Haus
steht noch fest, in kurzer Zeit muß die
Fluth ablaufen, das Aergste ist schon
jetzt vorüber.
Nein, sagte er mit trotziger Bestimmt
heit, das Aergste kommt noch, was wißt
Ihr davon Peter? das Haus wankt, die
Laufende Nummer «.
Warft ist zur Hälfte fortgeschlagen, die
Stützen liegen bloß, die Wellen heben die
Bretter unter unsern Füßen, und nun
seht dort hinaus, seht Ihr den schwarzen
Berg, der sich über das Meer ausdehnt,
wie ein Ungeheuer, daö in die Wolken hin
aus will? Das ist die hohe Fluth, Pe
ter, sie rollt gegen uns auf und kein Leben
kann ihr entkommen.
Als ich der Richtung seiner Hand folg
te, stockte mein Blut vor Entsetzen. In
der Ferne, wo Mondschein in Dämmer
licht verschmolzen, stieg ein dunkles, be
wegliches Gebirge empor, das mit fürch
terlicher Geschwindigkeit uns zu nahen
schien. Es war die höchste Fluthwelle,
die der Sturm vor sich her trieb und sie
zusammengeballt hatte, gleich einem unge
heuren Keil, den er mit unwiederstehlicher
Gewalt gegeu alle Küsten und Deiche
schleuderte. Und im voraus höhlte sich
die Tiefe vor seiner Macht und bildete
ein schwarzes Thal, aus welchem die Wo
gen sich aufbäumten kämpfend gegen ein
ander stürzten und zerstäubten, um wie
der zusammenzufließen und mit erhöhter
Kraft auf unö zu stürzen. Schmetternd
schlugen sie gegen die Westseite des Hau
ses; die Sturzseen flogen über uns hin,
die Bretter des Bodens wurden unter
unsern Füßeu aufgerissen, das Wasser
quoll darunter hervor, der ganze Bau
wankte und krachte und mit dem Gefühl
der Vernichtung schloß ich die Augen zu
und umklammerte den Balken, an welchen
ich mich gelehnt hatte. Aber es war
nicht so. Noch hielten die Bänder ; nur
an den Seiten waren die Pfähle fortge
rissen und westlich hatte sich das Dach
schief hinabgesenkt. Aus meiner Betäu
bung wurde ich durch Jensens Stimme
geweckt, die daö Gekreisch der Weiber
übertönte, und wie ich die Augen auf»
schlug, sah ich den kühnen Mann rasch
über daö sinkende Dach laufen. Sein
Dienstmann folgte ihm und beide waren
beschäftigt die Schafe von den Sparren
zu lösen, an welche sie gebunden waren.
In diesem Augenblicke schäumte der un
geheure Fluthberg heran, und von Todes
angst getrieben, floh ich gegen die fest
stehende Ostseite. Da lag die Frau auf
ihren Knieen, ihre beiden jüngsten Kin
der sest an ihr Herz gedrückt, die Augen
verzweiflungsvöll auf ihren Mann gerich
tet. Zurück, JenS, zurück! schrie sie ihm
zu und getrieben von ihrer Angst sprang
sie auf und lief ihm entgegen. Ich woll
te sie hindern und vermochte es nicht, woll
te ihr zuschreien und wurde durch einen
Schlag von ihrer Seite gerissen, wollte
mich halten und konnte nichts ergreifen.
Die Woge bäumte sich schwarz über uns
auf und stürzte vernichtend nieder. Ein
Fallen uud Brausen mischte sich mit wil
dem Gekreisch; ich verlohr daö Bewußt
sein.
Hier schwieg der alte Mann, und setz
te gemächlich seine ersoschene Pfeife von
Neuem in Brand.
Jedenfalls, sagte einer meiner Beglei
ter lächelnd, mildert sich unser Entsetzen,
da wir gewiß sind, Ihre Sinne schwan
den nicht für immer.
Nicht für immer, erwiederte er, aber
welch' ein Erwachen war es.
Zehn Schritte vom Hause, am Rande
der Warft, stand wie es Sitte auf den
Halligen, der Heuvorrath in einem hohen
Haufen fest zusammengepackt, und dies
geschieht mit solcher Gewalt, daß nur mit
Mühe und mit Hülfe großer eiserner
Gabeln das Heu, wenn eö gebraucht wer
den soll, herausgestochen werden kann.
Die Mitte der Heudieme, wie sie genannt
wird, bildet ein starker Pfahl, der sie hält,
und hier war es, wo ich mich wiederfand.
Das Haus war zusammengestürzt, die letz
te Stütze gebrochen, aber die Dieme stand,
und die ungeheure Woge, welche mich auf
gehoben und in das wilde Meer geschleu
dert, hatte mich hierher geworfen, wo ich
in krampfhafter Starrheit mich an den
Pfahl klammerte. In solcherNoth scheint
der schwache Lebensfunken sich vor seinem