Der liberale beobachter und Berks, Montgomery und Schuylkill Caunties allgemeine anzeiger. ([Reading, Pa.) 1839-1864, November 27, 1849, Image 1

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    mead i n s, Venn. Gedruckt und herausgegeben vonArnold Pulve ll e, in der Sud 6ren Straße, zwischen der Franklin- nnd Chesnur' Straße.
Jahrg. It, ganze Nnm. S 3«.
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Die Geschickte eines Rhein
Kieselsteins.
Es war gegen Mittag, als eines Ta
ges, im Jahre 1730, drei Jahre nach sei
ner Vermählung mit Fräulein vonHaur-
Bussy, der Marquis Gaston von Druon-
Maubreuil, mein Großvater den alten
Maubin, den treuen Freund und langjäh
rigen Diener seines Hauses, in sein Eabi.
net eintreten sah.
„HerrMarquis," sprach der alte Man,
„Herr Garnon, Ihr Juwelier, wartet
draußen und wünscht vorgelassen zu wer
den."
„Ich weiß es, ich weiß es," unterbrach
ihn der Marquis, führe ihn herein, Mau
bin, und sorge dafür, daß ich in meiner
Unterredung mit ihm nicht gestört werde.
Der alte Diener wollte sich wegbege
ben ; der Marquis rief ihn noch einmal
zurück.
„Maubin," sagte er, „meineGemahlin
ist noch nicht wieder nach Hause gekom
men, nicht wahr?"
„Nein, gnädiger Herr. Die Frau
Marquisin hat befohlen, daß ihr Wagen
sie erst um vier Uhr bei der Frau Präsi
dentin abholen solle."
„Schon gut! Sorge nur dafür, daß
Niemand im Hotel von der Anwesenheit
des Herrn Garnon etwas erfährt; vor
Allem darf Suzette nichts davon ahnen,
weil diese es sogleich ihrer Gebieterin hin
terbringen würde."
Maubin entfernte sich, nachdem er zu
vor Garnon, den Modejuwelier, Hostie
feranten, den unvermeidlichen Vertrauten
aller verschwenderischen Thoren jener Zeit,
eingelassen hatte.
Der Marquis Gaston, ein junger, schö
ner, wackerer unv verständiger Eselmann,
der angebetete Gatte einer anbetungswür
digen Gattin, stand in diesem Augenbli
cke auf dem Punkte, eine jener vollende
ten Thorheiten zu begehen, auf die man
im spätern Alter mit Scham und Reue
zulückblickt. Er halte nämlich bei gewis
sen Soupers, an denen er vor einigerZeit
Geschmack gefunden zu haben schien, die
Bekanntschaft einer florentinischen Aben
teuerin von blendenderSchönheit gemacht,
für die er eine leidenschaftliche Liebe ge
faßt hatte, eine heiße, glühende Liebe, die,
neil sie so rasch entstanden, um so wem
ger Dauer versprach, die aber wegen ih
rer Undauerhaftigkeit um so blinder war.
Allein trotz seinen unausgesetzten aufmerk
samen Bewerbungen, seinen Bitten und
Betheuerungen und kostbaren Geschenken,
war es Gaston nicht geglückt, das Herz
der schönen Grausamen zu rühren, und
so hatte er den Abend zuvor von seinem
verlikbtenWahnsinn sich so weit hinreißen
lassen, der angebeteten MarchesaGiudetta
einen eben so reichen Vrillantenschmuck,
wie ihn die englische Gesandtin auf dem
letztenßalle in Versailles getragen, anzu
bieten, wenn sie verspreche,^ihm dafür gut
zu werden.
„Ich kenne ihren Geschmack und» neh
me ihren Vorschlag zum Voraus an,"
halte die Marchesa geantwortet; „aber
hören sie mich, lieber Marquis, ich kann
in ihrem Vaterlande Ihnen nie meineZu
neigung offen zeigen. Ihre Bewerbun
gen um mich sind bereits stadtkundig, mir
scheint es, daß Aller Augen auf uns ge
richtet sind; heute oder Morgen kann die
Marquisin Alles erfahren, und ich hätte
keine ruhige Stunde mehr.—Sinnen Sie
auf eine Ausrede für eine Reise. Ich
werde nach Italien zurückkehren, u. wenn
sie imStande sind. Alles um meinetwillen
zu opfern und dadurch, daß Sie mich be
gleiten, mir einen unbestreitbaren Beweis
Ihrer wahren, aufrichtigen Liebe zu ge
ben, dann werden Sie mich vielleicht ge
neigt finden, die Schranken, die uns tren
nen, zu vergessen und einzig mein Herz
sprechen zu lassen. Außerdem geben Sie
jede Hoffnung, mich zu rühren, aus/'
Auf diese Worte, die von rosigen, lä
chelnden Lippen so süß und verführerisch
lauteten, glaubte der Marquis nur durch
neue Betheurungen seiner Liebe antwor-
Der Liberale Lcobactitcr
Und Berks, Monegomery und Schuylkill Caunties allgemeiner Anzeiger.
ten zu müssen und in den Vorschlag ein
zustimmen.
Die Schwierigkeiten, die sich etwa ei
ner solchen Reise entgegenstellen dürften,
wurden sogleich besprochen, und das Re
sultat der Berathung war, daß man al
len HindernissenTrotz bieten und den fol
genden Tag um 5> Uhr Nachmittags sich
auf den Weg machen wolle.—Es sollte
nämlich um diese Stunde jedes derßeiden
seine Wohnung verlassen und um (> Uhr
wollten sie sich an einem 2 Stunden von
Paris entfernten Orte treffen. Der Ma
rquis schrieb hierauf sogleich an Garnon,
daß er sich um die Mittagsstunde des ver
abredeten Tages in seinem Hotel einfin
den solle.
~Meister Garnon," sagte mein Groß
vater mit heiterer Miene, als der Juwe
lier sich ihm gegenüber gesetzt hatte, „Sie
können mir einen zweifachen,großenDienst
leisten : zuerst, indem Sie mir den werth
vollsten Schmuck, den Sie haben, käuf
lich überlassen, und daß Sie sodann das
tiefste Stillschweigen darüber bewahren,
was ich Ihnen Beides baar und gut be
zahlen werde."
erwiederte der Kauf
mann, ~ich bin in diesem 'Augenblicke im
Staude die Wünsche eines Kaisers zu be
friedigen ; was meine Verschwiegenheit
anbelangt, so hatten Sie schon Gelegen
heit, dieselbe auf die Probe zu stellen, u.
meines Wissens werden Sie noch nie Ur
sache gehabt haben. —Wünschen Sie ei
nen BriUantschmuck!
„Ja, Herr Garnon, aber die Brillan
ten müssen schön sein."
„Ich glaube etwas Passendes für Sie
zu haben, etwas ganz Ausgezeichnetes,
von Gold, mit schwarzer Emaille; mit
beivundernsiverlher getriebener Arbeit am
Rande; die darauf befindlichen Diaman
ten machen die Wirkung einer strahlenden
Sonne."
„Vortrefflich! Vortrefflich!
~Ach! vielleicht wünschen Sie aber
auch ein Diadem
„Ganz gewiß," sagte Gaston, dem die
schonen schwarzen Haare der Marchesa
einfielen.
„Wie Schade! versetzte der Kaufmann,
daß ich gerade kein Diadem bei mir habe,
das schön genng ist, daß ich es dem Herru
Marquis anbieten könnte. —Zwar könnte
ich in ganz kurzer Zeit ein s anfertigen
lassen, wie man noch kein's gesehen hat
und mit dem Sie, gnädiger Herr, gewiß
zufrieden sein würden. Ich würde an
demselben einen Stein von bewunderns
würdigem Feuer und seltener Größe ver
wenden, vollkommen demjenigen ähnlich,
der das Diadem zierte, welches die Frau
Marquisin vonMaubreuil an ihremHoch
zeitötage trug; ja, der so ähnlich ist, daß
ich, als man ihn zum Kaufe antrug, fast
glaubte, es sei derselbe.
„DaS ist nicht möglich!" riefderMar
quis aus.
Es ist nicht möglich, fuhr MeisterGar
non fort, indessen, sind mir in der Praxis
schon sehr merkwürdige Fälle vorgekom
men. Ich meine übrigens mich zu erin
nern, daß der Diamant der Frau Mar
quisin viel schöner sei, und wenn es mir
erlaubt wäre, den Herrn Marquis darum
zu bitten, eine Vergleichung anstellen zu
dürfen —ich habe nämlich den Stein bei
mir, den ich ihnen anzubieten habe—so
wäre es mir ein Leichtes. —
Ohne auf das, was der Juwelier sprach,
weiter zu hören, erhob sich Gaston. Eine
unbestimmte Unruhe trieb ihn in das An
kleidezimmer seiner Gemahlin, aus dem
er nach einigen Minuten wieder zurück
kehrte, mit einem kostbaren Schmuckkäst
chen in der Hand.
Bergleichen Sie, sprach er.
Der Juwelier öffnete das Kästchen mit
einer gewissen Hast, welche den Marquis
unwillkührlich erbeben machte.
Nun! mein Herr, sprach er, redenSie,
was meinen Sie?
Meister Garnon blieb aber, das Dia
dem in den Händen, stumm.
"Iviltig zu loben und ohne Furcht zu tadeln."
Dienstag November, 2/ Laufende Nummer 14.
Hören Sie, was ich Ihnen sage! rief
Gaston mit mit zorniger Stimme.
Herr Marquis, stammelte endlich der
Juwelier heraus, ich glaube, daß der Di
amant, den ich an Sie verkauft habe, durch
einen sehr schönen Rheinkiesel ersetzt wor
den ist, der so sehr einem ächten Diaman
ten gleicht, daß alle Augen, mit Ausnah
me der meinigen, dadurch getäuscht wer
den können
Sie lügen, Garnon, dieß ist nicht mög
lich ; Sie irren sich; Sie lügen, sage ich.
Darauf habe ich dem Herrn Marquis
Nichts zu erwiedern; aber glauben Sie
mir, daß einMann, der, wie ich, schon seit
vierzig Jahren mit ächten Steinen han
delt, sich nicht auf so plumpe Weise täu
schen kann.
Verzeihen Sie, mein Herr, fuhr der
Marquis sanfter fort, der sein kalteSßlut
wieder zu gewinnen suchte; verlassen Sie
mich aber jetzt, ich muß allein sein.
Und das Geschmeide, von dem Sie vor
hin sprachen, gnädiger Herr? wann be
fehlen Sie, daß ich wieder kommen solle?
Kämmen Sie—wannSie wollen; Ad
jeu! Adjeu!
Sobald Gaston allein war, eilte er an
den Glockenzug, den er aus Leibeskräften
anzog. Maubin kam erschrocken jn'öZim
mer gestürzt.
Maubin, ist meineGemahlin nachHau
se gekommen?
Noch nicht. Ich hatte die Ehre, dem
Herrn Marquis zu sagen, daß erst um 4
Uhr—
Ja es ist wahr, pack' Dich !
Wenn der Herr Marquis befehlen —
Packe Dich!
Gaston schellte noch einige Male, um
sich nach der Marquisin zu erkundigen :
Maubin gab st.ts die Antwort und ver
ließ jedesmal erschrockener seinen Herrn ü
ber die Aufregung, in der er ihn fand.
Endlich, nach einigen Minuten nach 4
Uhr, hörte der Marquis das Geräusch ei--
neS in den Hof des Hotels rollendenWa
gens. Er nahm das Schmuckkästchen u.
begab sich durch den geheimen Gang in
das Gemach seiner Gattin, wo er deren
Allkunft erwartete. O! in diesem Au
genblicke dachte er weder an den Schmuck,
den er bestellt hatte, noch an die Abreise
um ü Uhr, noch an dießeise nach Italien,
noch an die schöne Giudetta. Man mag
daraus auf seine leidenschaftliche Stim
mung schließen.
Nach kurzem Warten wurde die Zim
meilhür geöffnet und Armande vonHaut-
Bussy, Marquisin "onMaubreuil, erschien
im vollen Glänze yrer Jugend, Anmuth
und herzgewinnenden Schönheit auf der
Schwelle.
Als Armande ihren Gemahl mit ge
kreuzten Armen, zusammengekniffenen Li
ppen, gerunzelter Stirne und stier auf sie
gerichteten Augen erblickte, blieb sie einen
Augenblick bestürzt stehen.
Mein Freund, sprach sie endlich, sich
ihm nähernd, indem sie ihm die Hand ent
gegenstreckte.
Madame, sagte Herr von Maubreuil
so ruhig, als es ihm möglich war, erklä
ren Tie mir sogleich, warum Sie statt des
Diamanten, der dieses Diadem geziert
hat, jetzt diesen Kieselstein auf die Stirne
setzen, wenn Sie auf den Ball gehen?
Armande blieb ruhig. Auf ihrem G
esichte zeigte sich keine Spur von Verlegen
heit, ihr Blick verrieth nicht die mindeste
Angst.
Gaston, sagte sanft, Sie müssen von
herbem Kummer gequält werden, da Sie
auf diese Weise mit mir sprechen. Heute
Abend, wenn Sie denselben bei mir zu
bringen wollen, werde ich ihnen die Ge
schichte dieses Kieselsteins, wie Sie ihn
nennen, erzählen; und wenn ich Ihnen
Alles gesagt haben werde, stelle ich esJH
nen anheim, michJhren ganzen Zorn füh
len zu lassen. Ist Ihnen dieß ange
nehm !
In diesem Augenblicke noch will ich
Alles wissen, Madame.
So setzen Sie sich, mein Herr; Ihr
unartiger Zorn verdient es, daß Sie Al
les sogleich erfahren. Ich hoffe aber, daß
Sie mich ohne Unterbrechung ausreden
lassen. Und an Suzette sich wendend,
die Dienstleistungen in vorwitziger Ab
sicht anzubieten gekommen war, sprach
sie:
Verlaß uns, Suzette, und sorge dafür,
daß uns Niemand störe. Nachdem sie
dieß gesprochen hatte und die Thür zuge
macht worden war, setzte sich meine schöne
Großmutter neben ihrer, Gemahl und ließ
sich mit ihren Silberstimme, die mir aus
meinen ersten Kinderjahren her noch so
süß in die Ohren klingt, folgendermaßen
vernehmen:
Vor zwei Jahren führten Sie mich
nach Artois, Ihre wie meine heimathli
che Gegend. Wir wollten dort den So
mmer in Ihrem alten Schlosse von Druon-
Sarteville zubringen, das schon seitJahr
>hunderten Ihrer Familie gehört. In die
sem alten Gebäude, ganz nur mit unserer
gegenseitigen Liebe beschäftigt, ferne vom
Geräusche der Welt, brachten wir glückli
che Stunden hin! —Seit einigerZeit den
ke ich mit Trauer an dieselbe zurück, wen
ich Abends allein bin und Sie von Zer
streuungen nach Hause kommen, die ich
vielleicht nicht wissen darf.
Eines Morgens erhielten Sie einen
Brief von Paris. Der Lhevalier von
Kervore, Ihr theuerster Freund, wünschte
Sie bei sich zu sehen, weil er Ihres Bei
standes in einer sehr wichtigen Angelegen
heit, in einer Ehrensache beduifce. Zu
meinem großen Leidwesen sah ichSie gleich
darauf abreisen und ich blieb allein und
tief betrübt über diese Trennung, die er
ste seit unserer Vermählung. Die auf
Ihre Abreise folgenden Tage waren die
traurigsten meines Lebens. Sie werden
sich noch erinnern, Gaston, daß ich, als
ich Sie bei meinen Austritte aus dem Kl
oster kennen lernte, sogleich eine innige u.
aufrichtige Liebe für Sie gefaßt hatte und
meinHerz, das die Welt nicht kannte, ganz
nur Ihnen gehörte. Die Ehe hatte es
nicht geändert, im Gegentheile—denn als
Sie mich in Sart.viUe zurückließen, er
füllte es noch dieselbe Leidenschaft, ja in
diesem Augenblicke-ich bitte, unterbrechen
Sie mich nicht —liebe ich Sie noch ebenso
innig wie damals!--Ach ! Herr Mar
quis, es ist dieß ein tief eingewurzelter
Fehler von mir; wenn Ihr Stolz sich
dadurch geschmeichelt fühlt, so erfahrenSie
jetzt, daß derselbe unter Umständen mei
nen Tod beschleunigen könnte.
Zu jener Zeit, an welche ich Sie erin
nern will, weinte ich viel, und weil die
Zeit mir immer langsamer dahin zu schlei
chen schien, suchte ich ein Zerstreuungs
mittel, das einzige, das mir zusagte, in
täglichen Spazierritten. In Begleitung
eines Dieners zuweilen aber auch allein,
besuchte ich auf diese Weise die Orte, an
denen wir zusamen gewesen waren; Sie
waren zwar nicht an meiner Seite, aber
doch in meinem Herzen, und die Vögel,
die über meinem Haupte hinflogen, und
die Wolken welche über die Gehölze wegeil
ten, würden Ihnen, wenn sie hätten spre
chen können, meineGrüße und meine laut
ausgesprochenen sehnsüchtigen Wünsche
Ihrer baldigen Rückkehr zugetragen ha
ben.
EineS Tages halte mich das herrliche
Wetter verlockt, meinen Spazierritt, den
ich dießmal allein unternommen hatte, et
was weiter wie gewöhnlich auszudehnen;
ich war über Ihr Grundeigenthum hin
ausgekommen und langte mit untergehen
der Sonne an den Saum eines Waldes,
den ich noch nicht kannte, an.
Die Natur um mich herum war schweig
sam und ruhig und stimmte so völlig mit
meinen Empfindungen überein, daß ich
mich den lieblichsten Träumen überließ.
Ich ließ mein Pferd im Schritt gehen, u.
die sanfte, regelmäßige Bewegung dessel
ben wiegte mich in die schönsten Gedan
ken. Ich fühlte mich sehr glücklich.
Ich erinnere mich meiner Empfindun
gen von damals noch, wie wenn eS erst
gestern gewesen wäre, denn ganz dieselben
erfüllen mich in diesem Augenblicke, in
dem Sie mir zuhören, Gaston.
Plötzlich, als ich eben einen schmalen
Waldpfad entlang ritt und an einer ein
zeln stehenden Hütte von armseligem äu
ßern Anscheine vorüberkam, hörte ich ei
nen durchdringenden Schrei, der mir durch
Mark und Bein drang. Es war ein
herzzerreißender Schrei aus der Kehle ei
ner Frau, der Ausdruck eines furchtbaren
physischen Schmerzens, der grenzenlose
sten Verzweiflung. Ich überlegte nicht
lange, ich zögerte nicht, sondern hielt mein
Pferd an, stieg ab und trat in die Hütte.
Der Marquis lauschte mit gespannter
Aufmerksamkeit der Erzählung seiner schö
nen Gemahlin, welche an dieser Stelle ei
nen Augenblick innehielt, weil die Uhr auf
dem Kamingesimse eben mit lautenSchlä
gen die fünfte Stunde verkündigte. Ga
ston erhob langsam den Kopf, blickte sei
ne Gattin an, der seine Unruhe nickt ent
ging ; eine Wolke flog über seine Stirne,
er beobachtete einige Minuten lang, wie
um seinHerz zu befragen, ein Stillschwei
gen, bis er endlich die Hand der Mar
quisin erfaßte und sprach:
Fahren Sie fort Armande ich bitte!
i Was ich in dieser Hütte sah, Gaston,
—fuhr die sanfte und schöne Armande
fort —vermag ich kaum zu beschreiben!
Trotz der Dunkelheit, die bereits in dem
armseligen Raume zu herrschen anfing,
bemerkte ich eine ältliche und abgemagerte
Frau aufrecht und regungslos dastehen;
ihre Hände, welche sie ohne Zweifel zum
Gebet gefaltet halte, schienen ohne sich
wieder vereinigen zu können, herabgefal
len zu sein; in ihren stieren Blicken war
allerGlanz erloschen und ihr bleiches, run
zeliges Antlitz verzerrte eine schweigsame
und dumpfe Verzweiflung.
Der Schrei, den ich so eben gehört hat
te, war nicht aus dem halbgeöffneten Mu
nde gekommen; meine Blicke forschten da
her weiter, und so sah ich auf einem elen-
den Bette, kaum einen halben Fuß höher
als der Boden, halbliegend, eine wie mir
schien, junge Frau, die das Gesicht auf
die Decke herabgesenkt hatte. Ich näher
te mich ihr und berührte sie.
O, Mutter! Mutter, todt! es ist
todt!—rief sie aus, unter Seufzern fast
erstickend und in der Meinung, mit der
alten Frau zu sprechen. Todt! todt, so
ist denn Alles aus, oh Gott! mit diesen
I Worten fiel die Aermste vom Lager herab
auf den Boden, und nur ihreStirne ruh
te noch auf dem Rande desselben.
In diesem Augenblick fiel noch einer
der letzten Strahlen der untergehenden
Sonne durch das enge Fenster der Hütte
und beleuchtete das Lager, auf dem ich
das weiße und kalte Antlitz eines Kindes
erblickte.
Dieses war so eben gestorben, und der
herzzerreißendeSchrei, den ich gehört hat
te, war unmittelbar auf dessen letzten A
themzug gefolgt. Ich fühlte mein Herz
vom heftigsten Schmerz bewegt, und au
ßer Stande, weinen zu können, betrachte
te ich diese, vom tiefsten Leid gebeugten
Meschen, für deren Schmerzen es keine
menschliche Hülfe gab: das Kind dessen
Seele entflohen war, die Mutter in ihrev
wahnsinnigen Verzweiflung, die Großmu
tter, die noch immer regungslos und stulü
dastand, und als Staffage dieses trauri
gen Bildes ringsum die bitterste Armuth,
ein Elend, das schon von lange her sich
datiren mußte und von keiner Seite eine
Abhülfe erwartete.
Ich war noch nicht Mutter, Gaston,
ich wußte noch nicht, durch welche starke
Bande des Blutes, des Leibes und derLic
be diese armen kleinen Geschöpfe uns an
dasHerz gewachsen sind ; aber dieser gren
zenlose Schmerz der Mutter, die ich hier
nach dem unmittelbaren Verlust ihres
Kindes sah, wie sie den Leichnam küßte
und ihn an sich drückte, machte mir auf
einmal die süßeste aller Empfindungen
klar; ich fiel auf die Knie nieder u. rief,
die Hände faltend, auö: Mein Gott,