Der liberale beobachter und Berks, Montgomery und Schuylkill Caunties allgemeine anzeiger. ([Reading, Pa.) 1839-1864, March 06, 1849, Image 1

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    Der Liberale Beobachter
Und Berks, Momgomery und Schnylkill Canmies allgemeiner Anzeiger.
MeÄ V i N Wenn. Gedruckt und herausgegeben von ArnoldPu w e ll e, in der Snd vren Srraße, zwischen der Franklin- und Cbesnur - L naße
Jahrg. gan;e Num. Ott»
USedingungen: Der B.iber.llc jjrolmcktcr erscheint jeden Dienstag auf einein großen Superial - Bogen mir schonen Vettern gedruckt. Der LubseriptionS - Preis ist Ein Thaler des laliro, welcher in halbjährlicher
I Vorausbezahlung erbeten wird. Wer im Laufe des Jahres nicht bezahlt, den, werden St 5U angerechnet. Für kürzere Zeit als 0 Monate wird fein llnrerschreiber angenommen, und etwaige Aufkündigungen werden nur
I dann angenommen, wenn sie einen Monat vor Ablauf des Lubseriplions-Ternnns geschehen und gleichzeitig alle Rückstände abbezahlt werden. Bekanntmachungen werden dankbar angenommen und für den gewöhnlichen Preis ein»
> gerückt, llnierschreibern in hiesiger Stadt wird die Zeitung portofrei geschickt, weitere Versendungen geschehen durch die Post oder Träger, auf Kosten der llnrerschreiber. Briefe und'dergl. müssen postf r e i eingesandt werden.
Der Osterabend.
Erzähl«»» von Wilhelm Walchcr.
iForlstl.'U«.q.)
Dann ohne Zweifel auch seine Geheim
isse, entgegnete er rasch, hätte aber gern
iescs Wort zurückgenommen, denn sie
lickte ihn verwirrt, und mit einer seltsa
len Unruhe an.
Ein peinliches Schweigen folgte dieser
urzen Unterhaltung. Dann und wann
ichlete er einen verstohlenen Blick auf sie.
shr ganzes Wesen verrieth einen hohen
vrad von Resignation, auf ihren schon
eformten Zügen, die eben jetzt von der
Korgensonne mit einem rosigen Schim
ier Übergossen wurden, ruHeren Milde
lnd Sanftmuth, gepaart, wie ihm deuch
e, mit einer innigen, religiösen Hingabe.
?ie würde ganz dem Bilde einer Heilt
en geglichen haben, wäre nicht bisweilen
in Strahl von Jugendmuth aus ihren
laren Augen auf die Landschaft gefallen,
ie durch einen halb zurückgezogenen Vor
»ang schimmerte.
Bei der Mittagstafel an der ein alter
Hausverwalter neben Alfred saß, überließ
sulie die Unterhaltung den beiden Mäu
lern, die sie vergebens mit ins Gespräch
u ziehen suchten; doch bald verschivand
zulienS Theilnahmlosigkeit.
Können Sie mir nicht sagen, gnädige
Gräfin, fragte der Verwalter, um welche
stunde der Graf zurückgekommen
Kurz vor Mitternacht,
Es ist in der That seltsam, fuhr der
'lte fort, daß mau den Herrn gestern A
end von der Wohnung der alten Frau
Uey reiten sah, und daß diese kurz vot
ier gestorben ist.
Ist sie todt? fragte Julie erschrocken.
Ja, ja ; ihr Schwiegersohn, der Anton,
?ar heute Morgen bei mir und erzählte,
r habe sie todt in ihrer Kammer gefun
dn. Kurz vor dem Hause sei ihm der
zu Pferde, mit einem Andern begeg
>et, der gräulich geflucht habe. Wunder
ich sei auch der Umstand, daß die TabackS
>ose des Herrn auf einem Stuhle neben
>em Bette gelegen. Er gab sie mir; der
»rme Junge war so bekümmert, daß er
aut aufweinte.
Der Alte nahm die Dose aus seiner
Tasche und überreichte sie Julien.
Alfred wollte etwas fragen, aber ein
Mick auf ihre todtbleichen Züge und ihr
Erschrecken hinderte ihn daran.
Vielleicht hatte der Herr von ihrer
Krankheit gehört, meinte der Verwalter,
wollte seine ehemalige Wärterin noch
kinmal sehen.
Das ist wahrscheinlich, sagte Julie, und
sank in düsteres Nachsinnen.
Räch Verlauf einiger Tage, war der
Graf so weit hergestellt, daß er sein Bett
verlassen und im Zimmer auf und abge
hen konnte; diese Besserung hielt er für
das Werk deS jungen Arztes.
Nur ihm, sagte er zu Julien, verdanke
ich mein Wiederaufleben, und ich hoffe,
ihn hier zu fesseln.
Zu fesseln ? fragte sie erstaunt.
Nun ja; da er eine Praxis sucht, so
mag er sie hier finden. Er kann bei unS
wohnen, und ich werde ihm ein anstandi
ües Honorar auswerfen. Findest du nicht
daß er ein gebildeter, ich möchte sagen:
anziehender Mensch ist?
Sie hatte dies längst gefunden.
Warum antwortest du nicht ?
Ach dachte an etwas Anderes.
Vielleicht an den Baron? fragte er,
und lächelte/ aber auf eine Art, die sie er
schreckte.
Nein.
Julie, begann er nach einer Pause, ihr
habt euch von Jugend auf gekannt, ihr
seid wie Bruder und Schwester, und so
glaube ich, daß ihr ein gutes Paar wer
det. Im nächsten Monate feiert ihr eu
re Verlobung, und gegen den Herbst hei
täryet ihr.
Sie konnte ihre Thränen nicht zurück
halten, und lehnte den Kopf an die Fen
sterbank.
Aulie, begann er, uttd drückte ihre
Hand, daß sie zuckte, bedenke wohl, daß
ich Jahre lang für dich gesammelt, ja
auch gesündigt habe ....
Um Gottes willen, Vater!
Schweig, fuhr er fort und seine Augen
funkelten; ich bin nicht der Mann, Julie,
den man Trotz bietet. Der Baron ist
im Kerne gut, und waS seine Jugendfeh
ler betrifft, ich werde sie ihm vertreiben.
Diese Heftigkeit Leberg's bildete einen
seltsamen Kontrast, zu der ihm jetzt eigen
gewordenen Ruhe, ja, Milde, wahr
scheinlich eine Wirkung seiner Schwäche,
die ihm die Krankheit zurückgelassen.
Gleich darauf, als sie wieder allein waren,
lächelte er freundlich, als sei nichts vorge
fallen, drückte Julien an seine Brust und
wischte die Thränen von ihren Wangen.
Fast noch freundlicher, war er gegen
Alfred, und folgte mit einer beinahe kin
dischen Aengstlichkeit seinen Vorschriften.
Wären sie nicht gekommen, ich moder
te im Grabe, sagte er bisweilen und drück
te ihm die Hand. Fordern Sie, waS Sie
wünschen, und wenn ich'S Ihnen gewäh
ren kann, so wird'S Ihnen auch zu Theil.
Ich werde Ihren Wunsch nicht verges
sen, erwiderte Alfred rasch, wie aus einem
Traume aufgestört. Doch der Graf ver
stand ihn nicht.
Sie müssen, fuhr er nach einer Pause
fort meine Person ganz unter ihre Leitung
nehmen; ich folge Ihnen wie ein Kind.
Und er folgte ibm wie ein Kind. Oft,
wenn Alfred, düster nachsinnend, mit ihm
auf- und abging, faßte er dessen Rechte
und bat ihn beinahe flehentlich, dieS oder
jeneö Geschenk anzunehmen. Er sorgte
für die geringsten Bedürfnisse deö jungen
Mannes und trieb ihn fast jeden Tag,
sich eine Erholung oder ein Vergnügen
zu machen; kein Vater hätte zärtlicher
für den einzigen Sohn sorgen können.
Dieses Verhältniß war seltsam, aber auch
schrecklich ; Alfred fühlte es Oft glaub
te er den Augenblick zur Eröffuung seines
HerzenS gefunden zu haben; wenn er a
ber dann auf daS abgezehrte und leidende
Gesicht seines OheimS blickte, wenn er
hörte, wie ihm dieser freundlich, ja, liebe
voll zuredete, sich seiner anzunehmen, ihm
wieder die Gesundheit zu verschaffen
dann schrak er unwillkürlich vor dem Au
genblicke zurück, der Alles zur grimmig
sten Feindseligkeit gestalten konnte.
Er ist noch nicht stark genug, eine sol
che Mittheilung zu ertragen; aber bald
ja, ich will noch einen Monat warten.
Und vielleicht macht sich Alles viel besser,
als ich denke; vielleicht löst sich diese
Verwirrung noch in freundliche Harmo
nie auf, vielleicht
Ach! die Jugend, diese glückliche, in
den rosigsten Hoffnungen sich wiegende
Jugend—wie heiter und gerrost, blickt sie
auf die düsteren, wild verschlungenen Pfa
de des Lebens !
Mehrmals kam der Baron zum Besu
che ; er that aber, als sähe er Alfred nicht,
und dieser fühlte auch keinen Anlaß, mit
dem eiteln, hochfahrenden Manne zu re
den, der wohl deshalb so zurückhaltend
war, weil er die Achtung sah, welche der
Graf für Alfred an den Tag legte.
Die Verlobung sollte jedoch erst nach der
Rückkehr des Barons von einer Reise
stattfinden, die er in Geschäften vorhatte.
An einem Morgen im Juni, spach der
Graf von einem wunderschönen Punkte
mitten im Gebirge, der eine Aussicht sel
tener Art gewähre.
Sie müssen ihn besuchen, sagte er zu
Alfred und dieser Tag ist ganz dazu ge
eignet.
Wo ist er? fragte Alfred.
Ohne Führer können Sie ihn nicht
finden, es ist wahr. Hast du vielleicht
Lust, fuhr er fort und wendete sich an
Julien, den Doktor zu begleiten? Diese
Parthie würde dir wohlthun.
Julie willigte ein, da es aber bis dahin
beinahe anderthalb Stunde war, so be
schloß man, zu fahren und den Wagen am
Fuße des BergeS zurück zu lassen.
Es war gegen zehn Uhr, als sie den
"TVillig zu loben und ohne Lurchr zu radeln."
Dienstag de« «. Mär;,
Punkt erreichten. Ein unvergleichliches
Panorama entfaltete sich vor ihnen. Nicht
weit von dem Platze, auf dem sie standen
und der zum Theile mir hohem Grase be
wachsen war, stahl sich ein Ouell aus ei
ner Seitenlücke und siel in ein Becken,
von blühenden Storchschnabel umkränzt,
und von hier aus in ein tiefer unten be
findliches, daS von Heckenrosen umgeben
war. Folgten ihre Blicke diesem Wassel
strahle, so trafen sie in der Ebene auf ei
ne schmale Wiese, mit Blumen wie übersä
et, an deren Rande ein thurmartigeS Ge
bäude lag, die Wohnung eines Waldhü
ters ; dem Hügel gegenüber dehnte sich
eine Bergkette auS; auf dem höchsten
Punkte war eine Art Thurm von Holz,
den man in der Gegend Telegraph nennt,
obwohl er nie als solcher benutzt worden
ist. Ein Kiefernwald zog wie ein dun
kelgrüner Streif vom Fuße des Berges,
bis zum Gipfel, zu beiden Seiten mit
Laubholz begränzt; etwas weiter ragten
zwei riesenarrige Felsbrüche auS einem
Erlengebüsche hervor, während im Hin
tergründe zur Linken eine dunkele Stein
masse, in der Gestalt von drei Thürmen,
neben einem Eichenwalde sich erhob. A
ber der Anblick nach Süden hin, war un
vergleichbar schöner. Eine weite in blau
em Duft schwimmende Landschaft bis zu
den fernen Gebirgen im Süden. Hier
unten zwischen Kornfeldern und Obstbäu
men ein Flecken, am Abhang eines Hü
gels, auf dessen Gipfel das Schloß und
Kloster Iburg ; zur Rechten eine Hügel
kette, gerade, fast wie eine Schnur und
theilweise mit Buchen überwachsen; zur
andern Seite neben einem Bache, der eben
jetzt wie ein Silberstreif glänzte, der
Wald „am Freden'' und ganz im Osten
der „Musenberg " mit seinem pyramiden
sormigen Gipfel. Und alles dieses in den
lieblichsten Falbenabstufungen und ge
taucht in den Duft von jungem Laubund
wohlriechende n Pflanz en.
Auf der Platte, die Beiden diese Aus
sicht gewährte, und die nur Wenigen be
kannt war, vielleicht noch ist, wuchs da
mals eine Blunie, kaum fußhoch, blaßroth
und von einem überaus lieblichen Dufte.
Ihre Blüthen hatten eine entfernte
Aehnlichkeir mir denett deS Löwenmauls,
waren viel kleiner und hingen ziemlich
weit von einander an dem Stengel, der
kerzengerade in die Hohe schoß. Merk
würdig genug fand man diese Blume nur
auf der genannten Platte, sonst nirgend
in der ganzen Gegend ; sie konnte damals
vielleicht kaum sechs Personen bekannt
sein, und diese hatten unter sich die Ver
einbarung getroffen, sorgfältig den Ort
zu verschweigen, wo sie wuchs. Als Ju
lie umhersal), fand sie drei oder vier dieser
Wunderpflanzen in voller Blüthe; an den
andern waren Knospen. Ihr Duft —es
gab keine Blume in der Gegend, die einen
auch nur ähnlichen hatte entzückte sie,
und um ihn zu erhalten, wenigstens bis
zum nächsten Tage, umwickelte sie die
Stengel mit feuchtem Moose.
Es war ein überaus freundlicher Tag.
Sie, die schon lange sich einer unverhalte
nen Wehmuth hingegeben hatte, sog jetzt
mit vollen Zügen aus dem frohen Leben
der Natur eine Nahrung, die ihr Gemüth
hell und warm machte, wie die Sonne die
ganze Landschaft. Sie stand auf einem
Rasen, und ihre glänzenden Augen flogen
von einem Bilde zum andern; zarteS
Roth blühete auf ihren Wangen auf;
ihre dunkeln Haare quollen aus dem
Strohhute auf ihre Schulter und wurden
von einem leichten Winde hin und herbe
wegt, eine unbeschreibliche Anmuth über
goß ihre zarten und weichen Formen;
aus ihrem ganzen Wesen sprach etwas
Hehres und doch MildeS, aber zugleich
die volle Schönheit einer reinen und kind
lich frommen Seele. Alfred betrachtete
sie mit einer gewissen Wehmuth; doch ih
re Lebhaftigkeit führte ihn schnell in'S
heitere Reich, daS der Himmel vor ihnen
entfaltet hatte.
Sehen Sie dort jenen Hügel? sagte
sie und zeigte auf einen kaum sichtbaren
grünen Fleck am Rande des Horizonts.
Hier wohnte zu Olim's Zeiten einSchmidt,
Jedem unsichtbar; wer aber ein Pferd
zu beschlagen hatte, band es an einer.
Pfahl, pfiff dreimal, drehte sich um und
konnte deutlich die Hammerschläge verneh
men. Dann legte er ein Geldstück auf
einen Stein, und erst nach einem Tone,
fast wie Hahnjchrei lautend, durfte er das
Pferd abholen.
DaS ist dieselbe Geschichte, wie die von
Wayland Schmidt in Kemlworth, entgeg
nete Alfred.
Aber eine weit ältere, sagte Julie.
Wenn Sie einige Bauernhöfe Inder Um
gegend besuchen, treffen Sie an den Heer
den massive Eisenstangen mir sonderbar
gestalteten Füßen, Brandruthen genannt,
die zur Stütze der Feuerbrände dienen.
Auf ihr Befragen nach dem Schöpfer die
ser plumpen Dinge wird Jeder Ihnen ant
worten : „Der Schmidt vom Hohn hat
sie gemacht."
Ein ergötzlicher Vorfall knüpft sich an
jene Bäume, fuhr sie fort, und zeigte auf
eine Baumgruppe ganz nahe der Heer
straße. Es sind ihrer dreizehn ; sie wur
den zur Erinnerung an dreizehn Kosaken
dahingepflanzt, die am dreizehnten No
vember 1813 hier ankamen.
Alfred lachte über die Dreizehn.
Der Ortsvorsteher oder Bürgermeister
ging ihnen entgegen und begrüßte sie als
die Befreier deS Vaterlandes in einer wohl
durchdachten Rede. Hierüber gerieth ein
Kosak in solche Begeisterung, daß er vom
Pferde sprang, den Bürgermeister zärtlich
an sein Herz drückte und in tiefster Rüh
rung—ihm die Uhr auS der Tasche stahl.
Ein zweiter, dem eine patriotische Thräne
im Schnurrbart glänzte, zog ihm den
Mantel ab, und erwärmte den Rücken des
Bürgermeisters mit einigen Knutenhieben.
„Es leben die Kosaken !" rief der Arme
und zog in Hemdsärmeln mit ihnen durch
das Dorf.
Hat der Bürgermeister diese Bäume
pflanzen lassen? fragte Alfred.
Nein, ein lustiger Wirth kam auf den
Einfall, wie eS heißt, und der Bürgermei
ster war zu loyal gesinnt, als daß er Ein
spruch gethan hätte. Aber warum sehen
Sie mich so an?
Ich bewundere Ihren Frohsinn.
Das hätten Sie nicht sagen sollen,
gegnete sie und schüttelte den Kopf. Doch
Sie haben Recht, fuhr sie nach einer Pau
se fort, lieber Doktor, ganz Recht. So
lange ich kann, werde ich keine Mühe spa
ren zur Verscheuchung jener dunkeln Wol
ken, die am Himmel meines Lebens auf
ziehen. Meine Mutter war auch so, bls
der Kummer seine Herrschaft erlangte,
und da erlag sie ihm bald. Was meinen
Vater betraf —doch es wird Ihnen Lan
geweile machen, wenn ich so fortfahre.
O, gewiß nicht, sagte er und blickte ge
rührt zu ihr hinauf; die Verhältnisse
Ihrer Familie interessiren mich mehr, als
Sie wissen können.
Julie sah ihn erstaunt an; es schien,
als ob ein Gedanke sie erschreckte.
Nun, mein Vater, entgegnete sie nach
einer Weile, war durch eine Krankheit, die
ihn Jahre lang an das Bett fesselte, den
äußeren Lebensverhältnissen gewisserma
ßen entrückt worden und überließ sich from
men Betrachtungen. Ich nahm oft Theil
an ihnen, und sie gewähren mir noch jetzt
manchen Trost.
Ihr Stiefvater doch entschuldigen
Sie meine Dreistigkeit.
Als er dies sagte, trat Julie auf ihn
zu und ergriff seine Hand, während zwei
Thränen in ihren Augen glänzten.
Hören Sie, Herr Doktor, ich will Ih
nen ein Geständniß machen: es ist keiner
unter meinen Bekannten, dem ich mein
Herz eröffnen, keiner dem ich vertrauen
kann. Alle werden durch Rücksichten ge
leitet, die ich verabscheue, sowohl mein
Stiefvater, als der Baron, und dieser viel
! leicht noch mehr, als alle Uebrigen. Ob
wohl ich Sie kaum zwei Monate kenne,
Laufeiide Nummer LS.
so glaube ich in Ihnen doch etwas entdeckt
zu haben, was meine Offenheit, ich möch
te sagen: mein Vertrauen rechtfertigt.
Gräsin Julie—mein ganzes Herz ge.
hört
Nein, nein, machen Sie sich keine Jl.
lusionen, siel sie ihm lebhaft in die Rede.
Ich kann an dem Bestehenden nichts än
dern, und würde eS vielleicht nicht einmal
thun, wenn lch's konnte. Aber Jeman
den zu haben, der meine Gefühle nnd Ge
sinnungen theilt, der eine aufrichtige und
ganz uneigennützige Freundschaft für mich
empfindet, der mir räth, wo ich Rath nö
thig habe, der wenn es in seiner Macht o -
der in seinen Verhältnissen liegt, mich trö
stet und ermuntert das war lange Zeit
ein sehnlicher Wunsch meines Herzens. —
Wollen, oder können Sie dieses Vertrau
en rechtfertigen?
Ich will es, entgegnete er tief bewegt,
und küßte ihre Hand.
In der That fuhr Sie nach einer Wei
le lächelnd fort, ich weiß doch nicht, ob eS
recht war, Ihnen dies zuzumuthen ; Sie
wären jedenfalls selbst ein sehr unerfah
rener Freund.
Ach, liebe Gräsin, selbst die Jugend
kann bittere Erfahrungen gemacht haben,
und die Schattenseiten des Lebens umdü
stern oft früh genug unsere Tage.
Julie antwortete nicht. Suchen wir
jetzt jenen Punkt auf, er ist so hell und
freundlich, sagte sie nach einer Pause, und
zeigte auf einen mit hohen Eichen umge
benen Rasenplatz, an dessen Ende ein al
tes Gebäude lag. Man nennt es Freu
denthal, bemerkte sie, und ich könnte Ih
nen eine recht artige Geschichte davon er
zählen ; doch ich will es nächstens bei ei
nem Besuche des alten Hauses thun, wo
zu es heute zu spät isi.
Bald darauf fuhren sie nach dem Schlo
sse zurück, in einer Stimmung, die ein
wunderbares Gemisch von Hoffnung,
de und Wehmuth war.
Acht Tage später, als der Graf so weit
hergestellt war, daß er siä) wieder beschäf
tigen konnte, beschloß Alfred sich ihm zu
entdecken. Von diesem Entschlüsse unru
hig umhergetrieben, wollte er noch den
Hügel besuchen, um für Julie einige jener
beschriebenen Wunderblumen »u sammeln,
die ohne Zweifel jetzt alle in der Blüthe
stehen mußten. Es war ein heißer Tag.
Alfred verirrte sich auf den krummen Ge
birgspfaden und fand den Blumenhügel
erst gegen Nachmittag. Kein Lüftchen
bewegte sich, kein Vogelsang ertönte in
den Gebüschen, und die Sonne brannte
glühend auf den Rasen, während langsam
gegen Westen, eine düstere Wolke nach
der andern aufstieg.. Er sah im Schat
ten der Gebüsche mehrere der schönen
Blumen und sog ihren Duft ein ; doch
bevor er sie pflückte, wollte er eine Skizze
der Landschaft entwerfen und Julie da
mit überraschen. Mit dem Rücken an
einen Eichenstamm gelehnt, öffnete er sei
ne Brieftasche, ein Geschenk des alten
Pfarrers, der ihn wie ein Vater gepflegt
und geliebt, um ein Papierblättchen zu
suchen. Während des Loswickelns glitt
ein in grünes Papier gebundenes Pack
chen aus einem der Fächer der Briefrasche
ins Gras neben ihm, ohne, daß er es be
merkte.. Er begann zu zeichnen; die
Erinnerung an Julien, wie sie vor acht
Tagen eben hier gestanden und ihr Herz
geöffnet hatte, erfüllte ihn mit süßer
Schwermuth, fast unwillkürlich gab er dem
kleinen Bilde den Ausdruck dessen, was die
Brust ihm bewegte. Nachdem er eS vol
lendet, schob er das Papier in die Brief
tasche, schloß sie und steckte sie zu sich.
Die Luft war schwül; er fühlte ein Be
dürfniß nach Ruhe, legte sich neben de»
Stamm der Eiche und schlief ein.
folqr.)
Saphir sagt: Im Weine liegt Wahr
heit ; darum haben auch die Ritter des
Mittelalters den Wein ganz allein getrun
ken, damit durchaus keine Wahrheit unter
das Volk komme-