Der liberale beobachter und Berks, Montgomery und Schuylkill Caunties allgemeine anzeiger. ([Reading, Pa.) 1839-1864, January 30, 1849, Image 1

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    Wer Liberale Beobachter
Und Berks, Momgomery und Schuylkill Caunties allgemeiner Anzeiger.
N- tAVi n g, Venn. Gedruckt uud herausgegeben vonAruold Puwelle, in der Süd 6ten Straße, zwischen der Franklin- und Chesnut - Straße.
Jahrg. ganze Nmn. ASt.
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Das schöne Mädchen von
Drontheim.
Von Charles Duroe.
Lil war das hübscheste Mädchen in
Oroutheim, und die einzige Tochter des
Aerrn Hawneß, eines geachteten Kauf
nann's. Obgleich ihr Vermögen nicht
?ben groß war, sah sie sich dennoch von
Huldigungen umgeben. Lil war in der
That hübsch ; sie hatte blondes Haar, ih-1
ce großen, blauen Augen, besaßen einen
chwärmerischen Ausdruck und drangen
ief in's Herz ein, Ihre Gestalt war pro
zvrtionirt, der Fuß niedlich : sie war wirk
lich das Wunder Drontheims, und Alt
und Jung stand still, um sie vorbeigehen
;u sehen, und ihr nachzublicken.
Unter ihren Freiern zeichneten sich vor
züglich zwei aus : Woek und Meyal, zwei
reiche Kaufleute. Sie traten mit glei
chen Ansprüchen auf, waren beide jung,
schön und liebten, beide jedoch auf verschie
dene Weise. Meyal besaß eine etwas
strenge Schönheit und einen «ies eindrin
genden Blick. Seine Physiognomie zeig
te, wenn sie sich belebte, eine seltene Ener
gie ; aber er hatte die Blödigkeit einer
wahr empfundenen Liebe. Er war in al
len Verhältnissen des Lebens muthig und
tüchtig, doch bei dem Mädchen, welches er
liebte, stumm und verlegen. Er würde
fein Leben für Lil aufgeopfert haben,
er konnte es ihr aber nicht sagen.
Woek war dagegen lebhaft, muthvoll,
ungestüm; er wußte mit einer seltenen
Beredsamkeit, allen seinen Gefühlen Wor
te zu verleihen; er wußte selbst seine gro
ßen Fehler so darzustellen, daß sie einen
Reiz erhielten, und es gelang ihm um
so mehr, als er gewissenhaft die Rol
lte eines wahrhaft Liebenden spielte, und
M) selbst getäuscht hatte, bevor er Ande
re täuschte.
Lil, zwischen diese Beiden gestellt,
schwankte einen Augenblick, vielleicht sprach
im Innern ihres Herzens eine Stimme,
welche nicht die der Leidenschaft war, zu
Gunsten Meyal's; sie sprach zu ihr von
der hingebenden Gesinnung dieser lieben
den Seele; sie sagte ihr, daß sie in Glück
und Unglück in Meyal einen treuenFreund
finden werde, der ihr sein ganzes Leben
geweiht habe. Lil hörte einen Augen
blick auf diese innere Stimme; dann rüh
mte ihr Blick auf Meyal, mit einer Art
naiver Neugierde, damit sie sich überzeuge,
ob Alles wahr sei. Meyal pflegte nun
in Verlegenheit zu gerathen; das Wort
der welches er aussprechen wollte,
erstarb auf seinen Lippen; sein Herz
schlug heftig, und er schwieg. Die Blö- j
digkeit beherrschte seine Leidenschaft, und
das geringe Zutrauen, welches er zu sich
selbst hegte, theilte er auf diese Weise auch
Andern mit. Lil wandte sich nun über
rascht und unzufrieden von ihm ab ; ihre
Augen suchten die Woek'S, und nun aber
kam an sie die Reihe, unter dessen leiden
schaftlichem Blick in Verlegenheit zu ge
rathen ; zitternd vor Aufregung, neigte
sie sich zu ihm, um die süßen Worte der
Liebe zu vernehmen, welche alle Fibern ei
nes Herzens, das sich noch nicht kennt, er
zittern machen.
So war cS Woek, den Lil liebte, den
sie wählte. Meyal zog sich mit zerisse
nem Herzen zurück, allein ohne eine Kla
ge vernehmen zu lassen. Woek wurde
auch von Herrn Hawneß angenommen,
und ward der Bräutigam Lil'S. Die bei
den Familien einigten sich. Herr Haw
neß war stolz darauf, seine Tochter dem
Erben eines der reichsten Kaufleute in der
Stadt, zu geben. Woek's Eltern blickten
mit Freude auf eine Vereinigung hin, die
das schönste und sittsamste Mädchen von
Drontheim, in ihre Mitte führte. Man
kam bald in allen Punkten überein. Woek
selbst, vernahm mchtS von Allem, was um
ihn vorging. Die Augen auf seine junge
Braut heftend, betrachtete er mit Wonne
die Klarheit ihrer jungfräulichen Stirn,
die Lieblichkeit ihres Lächelns. Er be
trachtete sie, wie der Gott Skamander die
Jungfrau betrachtet haben mochte, wel-
che das Volk in seine nassen Grotten sen
bete, um sich seine Gunst zu erwerben.
Und Lil war schöner, als alle Phantasie
geschöpfe der Dichter. Woek umhüllte
sie mit einem so liebevollen Blick, daß das
junge Madchen, ohne in ihrer Unschuld
zu begreifen, woher sich ihre Verlegenheit
schreibe, erröthete, und die Augen abwen
dete.
„Nun wohl, nach sechs Monaten geht
die Hcirath vor sich," sagte Hawneß,
Woek die Hand reichend ; allein schon
von diesem Augenblick an, seid Ihr mein
Sohn, und mein Tisch und mein Haus
sind die Eurigen."
„Sechs Monatesagte Woek seuf
zend, —„das ist sehr lange! Warum die
se Verzögerung?"
„Mein Sohn sagte der alte Mann,
„daS sind die hergebrachten Gewohnhei
ten ; ändern wir nichts an denselben."
„Warum? wenn dieselben von keinem
Nutzen sind; ich liebe Lil von ganzem
Herzen, und habe Ihr Wort! warum
unser Glück verzögern
„Verliebte Ungeduld!" meinte Herr
Hawneß lächelnd.
Dann fuhr er mir mehr Ernst fort:
„Legen wir nicht Hand an die Sit
ten der Voreltern, weil zu besorgen wäre,
daß die neuen uns weiter führten, als wir
selbst wollten. DaS VerlobungS - Mahl
ist beendigt, die Ringe sind gewechselt;
heute Abend kommt Ihr, um unter un
sern Dache zu wohnen und mit uns zu
leben. Nach Verlauf der Zeit vereinigt
Ihr Euch mit Lil, sicher der gegenseitigen
Treue. Kommt, Woek, Eure Ehre ist
die meinige."
Woek antwortete nicht; er mußte sich
bescheiden; allein sein glühender Blick,
ruhte fortwährend auf Lil und bezauber.-
te sie.
Zwei Monate verflossen, zwei Monate
voll berauschender Freude und Geheimnis
se ; allein am Ende dieser Zeit war Lil
sehr bleich; ihre schönen Augen blieben
fortwährend gesenkt, und bisweilen waren
sie mit Thränen benetzt; sie schloß sich
stundenlang in ihr Zimmer ein.
Ach! schon war ihr Glück entflohen;
schon mehremal hatte das arme Mädchen
vergeblich auf Woek gewartet; sie hatte
stundenlang unbeweglich dagesessen, mit
Angst das geringste Geräusch beachtend,
welches ihr seine Ankunft verkündete, und
er war nicht gekommen. Oft hatte sie,
weil sie der Qual des Zweifels und der
Ungewißheit nicht Trotz bieten konnte, die
Thür geöffnet und einige Schritte hinaus
gethan auf die lange Gallerie, an deren
Ende sich WoekS Zimmer befand, und
schweigend war sie stillgestanden ; einßest
von Scheu und weiblicher Würde hielten
sie von diesem Schritte zurück, welcher sie
in den Augen des Geliebten erniedrigen
mußte, und sie war im Zimmer geblieben,
um zu weinen, zu beten, und zu —bereuen.
Wenn Lil mit Woek vor dem Vater
zusammenkam, richtete sie ängstlich fra
gende Blicke an ihn, welchen er verlegen
auswich, und auch nicht viel mit ihr sprach.
Dann näherte er sich ihr wieder und ent
schuldigte sich, er habe keinen Verdacht
erregen wollen, durch eine Unvorsichtig
keit, und rechtfertigte so seine Kälte. Lil
liebte zu tief, als daß es nicht leicht gewe
sen wäre, sie zu täuschen. Lieben heißt
glauben. Es war ein Strahl des Glücks
in dunkler Leidensnacht. Allein bald glänz
te nicht einmal der Strahl mehr; alles
war vorbei. Woek kam nicht zu der ge
wöhnlichen Stunde zu Lil. Wenn sie sich
ihm näherte, blickte er sie kalt an. Jetzt
fühlte sie die Wirklichkeit des Unglücks.
Eines Abendö nachdem sie lange gewar
tet, waffnete sie sich mit Muth ; sie wag
te sich in den langen Gang, und näherte
sich den Zimmern Woeks.
Mit zitternder Hand erfaßte sie den
Drücker der Thür. Einen Augenblick
noch zögerte sie. Ein sehr trauriger Ge
danke mußte sich ihrer bemächtigt haben,
um sie zu nöthigen, so das Ehrgefühl
bei Seite zu setzen. Sie trat ein;
"TVillig zu loben und ohne Furcht zu tadeln."
Dienstag den 3«. Januar, 151?».
Woek war nicht da.
Alles Blut schoß ibr zum Herzen. Sie
sank auf einen S.uhl, und murmelte:
„Wo ist er denn So blieb sie drei lan
ge Stunden sitzen, bleich, wie eine Todte.
Mit Tagesanbruch trat Woek ein.
„Du hier?" —sprach er mit Ungeduld
und Ueberraschung. „Welche Unvorsich
tigkeit !"
„Vor zwei Monaten, - erwi
derte Lil aufgeregt, würdest Du nicht
gesagt haben, welche Unvorsichtigkeit!"
„Allein, wenn Jemand begegnet
wäre; wenn Dein Vater —"
„Ah! jetzt denkst Du an meinen Va
ter !"
Dann erhob sie ihr HaNpt und sprach
mit mehr Festigkeit: „Wäre ich meinem
Vater begegnet, so hätte ich zu ihm ge
sagt : ich gehe zu meinem Gatten, dem
mein Glück anvertraut ist; kommen Sie
mit mir, denn der Zeitpunkt unserer Ver
einigung muß früher anberaumt werden."
„Ist das Ernst?" stammelte Woek
„Ja, es ist Ernst, die Heirath muß
vor sich gehen, oder ich sterbe! —Allein es
wird geschehen, nicht wahr, Woek ?—noch
nie hat in Drontheim ein Bräutigam sei
ne Braut verlassen ; Du hast mir gesagt,
daß ich Deine Gattin sei. Gott hat un
sern Schwur vernommen; Du hast nicht
die Unwahrheit gesprochen, nicht wahr?
O sage es mir, Woek, daß meine Befürch
tungen eitel waren, daß Du mich noch
liebst; sage es mir, damit ich nicht vor
Schmerz und Schaam zu Deinen Füßen
sterbe !"
„Kind"— spricht Woek, —welche när
rische Gedanken sind das? ohne Zweifel
liebe ich Dich; aber warte noch, ehe Du
mit dem Vater sprichst; vor einem alten
Manne gilt die Liebe nicht als Entschul
digung . .
„Ich habe Dir gesagt, daß es unmög
lich ist!" sprach Lil in Verzweiflung.
„Nun, wenigstens einige Tage, daß
heißt nicht zu viel verlangen. Warum
weinen?" sprach er ärgerlich.
„Ach, Du liebst mich nicht mehr!"
„Lil, in der That, wir bedürfen der
Liebesversicherungen nicht mehr; der gan
ze Vorrath ist bereits erschöpft. Höre
Lil, lass' mir wenigstens einige Tage, um
mich vorzubereiten. Was hast Du zu
fürchten?-Ich liebe Dich noch, beruhige
Dich. Du wendest Dich ab, und schenkst
also Deinem Gatten kein Vertrauen?
Du zweifelst noch?"
„Nein, nein," sprach Lil mit seltsa
men Ausdruck, ich zweifle nicht mehr!"
„Gut denn; allein es wird Tag, be
gieb Dich in Dein Zimmer, ehe Jemand
aufwacht; Muth gefaßt, Lil bald wirst
Du glücklich sein."
Mit diesen Worten, führte er sie zu
ihrem Zimmer. Lil betrachtete ihn mit
sonderbarem Blick; in diesem Augenblick
erschien er ihr mehr erbärmlich, als grau
sam. Sie sah ihn so verlegen, indem er
sie beruhigen wollte, daß ein Lächeln der
Verachtung aus ihre Lippen trat. Lang
sam ging sie fort, und schloß sich in ihr
Zimmer ein, wo sie mit den Worten auf's
Bett sank:
. „O, mein Herz, wie bist Du betrogen
worden!"
Um Mittag sah sie ihren Vater zum
Erstenmale an diesem Tage. Der wür
dige Herr Hawneß irGr sehr beschäftigt,
und bemerkte die Veränderung in den Ge
sichtszügen seiner geliebten Tochter nicht.
Man setzte sich zu Tische; Lil sah nur
zwei Couverts.
„Mein Vater,"— fragte sie mit unru
higer Miene,—„wo ist Woek?"
„Heute Morgen nach Allzenn abge
reist,"—antwortete ruhig der alte Mann,
—„weißt Du es nicht?"
„Abgereist?"
„Was ist denn mein Kind, weshalb er
schrickst Du?"
„Ach, er wird nicht wiederkommen,
Vater!"
„O Himmel," rief der Vater, seine
ohnmächtig gewordene Tochter mit den
Armen auffangend.
In der That es vergingen Wochen und
Monate, ohne, daß der Bräutigam wie
derkam. Er vergaß, einer neuen Liebe
wegen, das arme betrogene Mädchen.
Bald erfuhr man in Drontheim, die
Schlechtigkeit Woek's und das Unglück
der armen Lil. Allgemeine Theilnahme
ward für das Mädchen und deren Vater
rege. Letzterer war aus Gram zehn Jahr
älter geworden. „Ach!" —sprach er einst
zu einem Freunde, „wäre ich zwanzig
Jahr alt, er stürbe durch meine Hand!
Und Niemand, Niemand ist da, um mich
zu rächen!"
Einige Tage darauf kam ein junger
Mann zu Hawneß. Lil saß bleich und
niedergeschlagen neben ihrem Vater. Sie
erzitterte, als sie Meyal erkannte, den sie
abgewiesen hatte. Dieser verneigte sich
und sprach mit fester Stimme:
„Herr Hawneß, ich komme, um Sie
um die Hand ihrer Tochter zu bitten."
„WaS sagen Sie ?" stammelte der
Greis, „wissen Sie nicht ? ... ."
„Ich weiß," —erwiderte Meyal,—daß
ein Elender, den gastlichen Schutz Ihres
Hauses mißbraucht hat, daß er entflohen
ist ; nun biete ich mich Ihnen zum Soh
ne an."
„Sie sind edel uud großmüthig, Mey
al," —sprach Lil unter Thränen, —„aber
ich bin Ihrer Liebe nicht mehr würdig."
~Ich weiß, daß Sie ihn von ganzem
Herzen geliebt haben, und jetzt verachten
müssen; allein deshalb soll Ihr Leben
nicht ein kummervolles sein. Ueberlassen
Sie mir die Sorge für ihr Glück."
Lil stand auf, reichte Meyal die Hand
und sprach tief bewegt:
„Mein größter Schmerz ist, Sie ver
kannt zu haben. Doch danke ich für die
Ehre, welche Sie mir anthun wollen;
ich darf sie nicht annehmen. So lange
Woek lebt, ist für mich jede Heirath un
möglich."
„Wenn er todt wäre?"
„Wenn er todt wäre?" sprach Lil
schmerzhaft; „er wird vielleicht länger
leben als ich."
„Ich werde wiederkommen," sprach
Meyal, ihr die Hand drückend.
Zwei Meilen von Drontheim entfernt,
in der Richtung des Kjölen Gebirges er
hebt sich ein hoher Fels. Von diesem
Felsen herab, stürzen brausend die Flu
then, welche den berühmten Wasserfall
bilden. Er entsteht auf demselben, und
ergießt sich schäumend in den Nid, Dront
heim gegenüber.
Einige Tage nach der Zusammenkunft
Lil's mit Meyal, kam ein junger Mann
zu dem Felsen. Er wollte ihn ersteigen,
und als ob schwere Gedanken ihn drückten,
so schüttelte er das Haupt, dessen schwar
zes Lockenhaar zurückfiel, und sang ein
Nationallied. Als er so dahin wanderte,
vernahm er Schritte hinter sich, und dreh
te sich um.
„Guten Tag, Woek?" sagte der
Herzugekommene. „Sind Sie wieder in
Drontheim?"
„Seit zwei Tagen erst," erwiederte
Woek unentschlossen.
„Sie verstecken sich also?" fragte
Meyal, dessen Blick unablässig scharf auf
Woek gerichtet war. „Vergeblich suchte
ich Sie in den Kirchen, auf der Börse.."
„Und warum sollte ich mich verstecken ?"
fragte Woek verwirrt und roth wer
dend.
„In der That, warum ?" —antwortete
Meyal ironisch, —kommen Sie, wir wol
len unsern Spaziergang fortsetzen, dort
oben genießt man eine herrliche Aussicht,
man kann Drontheim sehen, die Straßen,
sogar die Häuser unterscheiden, welche
einen Gegenstand unserer Liebe oder un
serer Verachtung in sich schließen. Kom
men Sie!"
Woek wagte nicht, sich zu weigern, er
folgte, mit sichtlicher Beklemmung, seinem
frühern Freunde; innerlich jedoch, ärger
te er sich, diesen Spaziergang eingeschla
gen zu haben. Oben angekommen, stand
Laufende Nummer 2S.
Meyal still und sprach, die Hand auf den
Arm deö Begleiters legend:
„Sehen Sie, was ich liebe, ist, so ü
ber einer noch schlafenden Stadt zu ste
hen und die gleichsam bewachen zu kön
nen, welche mir theuer sind. Dort ist
das Haus Ihres Vaters ; es ist groß und
schön. Ihr Vater war immer ein recht
licher Mann, kein Schurkenstreich entehrt
ihn; doch warum erzittern Sie? Zur
Linken das Haus meines Vaters; Alles
ruht noch darin; denn mein Vater ist
alt und ich führe das Geschäft, und habe
jetzt keinen freudigen Much mehr
Dazwischen sehen wir ein anderes Haus ;
—dort ist Unglück !—Schande! —"
„Meyal!"
„Sagen Sie mir Woek, welche Strafe
verdient der Mensch, welcher die heiligsten
Eide verrieth, der Schwiegersohn eines
alten Mannes wurde, um ihn und seine
Tochter in Verzweiflung zu stürzen? Sa
gen Sie, verdient er nicht von allen Men
schen verflucht zu werden, und Einem zu
begegnen der Rache nimmt?"
„Was meinen Sie?" stammelte
Woek.
„Du hast mich verstanden, Du weißt
jetzt, daß Meyal der Rächer Lil's ist; er
hält seinen Schwur besser, als Du die
Deinigen, und hat geschworen, daß Du
nicht lebend diesen Fleck verlassen sollst/'
„Sie wollen mich also morden?"
sprach Woek erschrocken.
„Nein, wir wollen uns schlagen. Hier
sind Pistolen. Wir stellen uns einander
gegenüber, an den Abgrund, wir schießen
zugleich, der, welcher fällt, fällt in den
Nid und die Fluthen verschlingen das Ge
heimniß der Rache und des Opfers."
"Meyal!"
"Kein Wort. Wähle die Pistole, bei
de sind geladen. Fünfzehn Schrite aus
einander, fort! —"
Woek legte die Hand an die Stirn, sie
war mit kalteni Schweiß bedeckt. Allein
seine Bewegung dauerte nur einen Augen
blick. Er ergriff eine der Pistolen, und
nahm seine Stellung. Beide betrachte
ten sich einen Moment. Haß und Zorn
funkelten in den Augen Woek's. Mey
al war ruhig, im Gefühl, daß er eine
Pflicht erfülle, und sein Leben dabei auf's
Spiel setze.
"Nun denn", —sagte Meyal.
Die beiden Schüße blitzten. Als der
Rauch entschwunden, stand Meyal auf
recht da. Von Woek war nichts zu se
hen, als ein wenig Blut, am Rande des
Abgrundes. Meyal neigte sich über den
Nid ; er glaubte die Wogen eine röthlichc
Färbung annehmen zu sehen ; dann kehr
te er nachdenklich in die Stadt zurück.
Am folgenden Tage wußte Jedermann
zu Drontheim, daß Woek umgekommen
sei; der Nid hatte seinen Leichnam aus
geworfen. Es war ein Selbstmord oder
ein Duell gewesen ; denn in seiner Hand,
hielt er noch krampfhaft ein Pistol. Man
sah in seinem gewaltsamen Tode eine Ra
che des Himmels, und die Mütter, welche
ein Duell vermutheten, beteten für den
Mörder, wer er auch sei.
Einige Wochen später, heirathete Mey
al die schöne Lil. Dießmal fand keine
Brautzeit statt.
Die Monate verflossen schnell, und ei
nes Tages vergaß die arme Frau alle
Schmerzen, indem sie ihren Sohn zum er
stenmale küßte. Allein dieß war die letz
te Anstrengung der Natur gewesen: die
Körperkraft unterlag dabei. In dem
Kuß, den sie ihrem Kinde gab, schien sie
ihre ganze Seele auszuhauchen. —Meyal
war bei ihr; sie reichte ihm das Kind, er
küßte es auf die Stiru und eine Thräne
glitt über seine Wange.
„Lebe wohl!" —sprach sie mit Zärtlich
keit.—„Lebe wohl, Meyal! Du hättest
ein größeres Glück verdient und mehr Lie
be ; denn Du machst mir den Tod leicht
und sanft. Ich empfehle Dir meinen
Sohn. Ich lasse Dir mein halbes Ich
zurück. Möge er Dir theuer sein im An
denken an die arme Mutter! Und jetzt