Der liberale beobachter und Berks, Montgomery und Schuylkill Caunties allgemeine anzeiger. ([Reading, Pa.) 1839-1864, December 14, 1847, Image 1

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    Der Liberale Beobachter
Und Berks, Momgomery und Schuylkill Camtties allgemeiner Anzeiger.^
M.e avln g, Venn. Gedruckt und herausgegeben von Arn o l d Pnwe l! e, in der Snd 6ren Straße, zwischen der Franklin- und Cbrsnnt - Slraße.
Jahrg. ganze Nnm. ASS.
Scdinaunaen : Der liberale tlcob.iclrtcr erscheint jeden Dienstag aus einem großen Äcuperial - Bogen mit schonen Lettern gedruckt. Der SubscriptionS - Preis ist Ei n Th.rler de? Jahrs, welcher in halbjährlicher
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Die Seeräuber.
Aus dem Tagebuche eine Vielgereisten.
(Von Wilhelm Schröder.)
Es war ein schöner Aprilabend. Die,
Sonne warf das Bild der großen Schif
fe, die im Mississippi lagen, in langen
Schatten. Durch das dumpfe Geräusch
der Menge auf dem Verdeck tönte der Ge
sang der Matrosen, zwischen den rollenden
Wagen und galloppirenden Pferden gin
gen wechselweise der Havannese in seinem
bunten Mantel, Sclaven von allen Far-
ben, Kaufleute aus allen Nationen und
aus allen Weltgegenden. Am Ufer be
streute eine Allee chinesischen Hollunder's
die Erde mit vielen Blumen; in prangen -
dem Grün glänzten die Gärten ohne Zahl,
die Neu Orleans umgeben, über den Dä-
chern der niedlichen Häuser wiegte der
Palmbaum sein stolzes Haupt, wie einen
ungeheurer Sonnenschirm, mitten unter
blühenden Magnolien, und während am
Horizont Geier und Adler in ihrem schnel
len Fluge die Lüfte durchzogen, hüpften
unter Orangengebüschen und Feigenbäu !
men summende Kolibri's.
Amphitheatralisch lag Neu Orleans da,
mit seinen niedrigen, alignirten Häusern,
seinen Kirchen und größeren Gebäuden.
Auf allen Seiten erstreckten sich eine Rei
he herrlicher Gärten bis hinter den weiten
Umkreis hinaus, den der Fluß an beiden
äußersten Enden der Stadt bildet. Noch
rauchten die Zuckersiedereien am andern U
fer und die Eypressenbaume auf dem dum
pfigen Boden, die die Aussicht um die Wo
hnungen herum benahmen, bildeten den
Rahmen zu diesem großen Gemälde. Ei
nige Meilen unterhalb des Hafens hörte
man in Pausen Kanonendonner. Viel
leicht war es nichts, als daS gewöhnliche
Signal eines von Europa erwarteten Schif
fes. Doch fortwährend brüllte der Ka
nonendonner. Das Feuer schien von ei
ner Segelgruppe herzukommen, die man
allmählig seitwärts vom dichten Gehölz
unterscheiden konnte. Jedermann lief nun
nach dem Damme hin; die Seeleute hör
ten auf zu arbeiten, der Gesang verstumm
te und langsam sah man zwei große Schif
fe heraufsteigen, deren weiße sich in
den vom letzten Sonnenstrahl gerötheten
Fluthen spiegelten. Bald konnten die
Augen der Neugierigen sie ganz ersehen.
Das eine, mit einer Reihe Kanonen, führ
te die amerikanischen Farben, und ein lan
ger, mit Sternen besaeter Wimpel flatter
te am Hauptmast ; das andere hatte man
ins Schlepptau genommen; es war eine
jener schmalen Galeassen, die in den Hä
fen der Ver. Staaten oft gebaut und an
die Corsaren der neutralen Inseln verkauft
werden. Von seinem Marssegel herab
wehte eine große scharze Flagge.
Schon seit langer Zeit war die Küste
von Piraten beunruhigt worden; zu Ba
lize stationirtePiloten versicherten, sie hät
ten Schiffe weggenommen, die schon bis
in die Gewässer des Mississippi gelangt
waren. Nur mit Zittern konnte man den
Golf beschissen. Ein Matrose, der bei
dem Verluste seines Schiffes wie durch ein
Wunder entkommen war, berichtete Un
glaubliches von der Kühnheit der Räuber.
Man rüstete daher bald eine Corvette aus,
um die Seeräuber aufzusuchen, und sie
war es, die jetzt mit ihrer Beute zurück
kam. Hinter ihr her beeilte sich eine gro
ße Menge kleiner Segel von allen Gestal
ten, den vertheidigungslosen Feind zu es
kortiren, gleichwie die Kinder zitternd dem
Wolfe folgen, der mit einem Maulkorbe
versehen durch die Straßen gezerrt wird.
Die Nacht nahte heran, die großen Segel
wurden nach und nach herabgelassen, um
die schweren Segelstangen gewickelt, und
das Kriegsschiff warf Anker.
Bei Anbruch des Tages versammelte
sich eine ungeheure Menschenmenge auf
dem Damme; eine doppelte Reihe bewaffn
neter Matrosen führte die Piraten insGe
fängniß, das nur einige Schritte vom Lan
dungsplatze entfernt war. Ihnen folgte
der Haufe. Mit gebundenen Händen
ging der Hauptmann an der Spitze. Sei-
ne Farbe war gelb; Härte und Trotz spie
gelten sich in seinen Zügen, aus seinem
Blicke strahlte das Feuer eines spanischen
Auges. Ein rothes Taschentuch bedeckte
seinen Kopf, und über die braunen Wan
gen träufelte das Blut einer großen Wun
de, die er im Gefechte erhalten hatte.
Hinter ihm kam sein Lieutenant, den Kopf
trug er aufrecht, sein Blick war ruhig und
gefühllos, nur von Zeit zu Zeit zuckte sein
schwarzer Schnurrbart und verrieth die
innere Wuth. Hierauf kamen die Ban
diten je zwei und zwei, und schleppten ih
re Ketten mit großem Geräusch. Wie
sie den Haufen durchtheilten, hörte der
Lärm auf; still, mit einer Mischung von
Schauder und Furcht, betrachtete man sie,
bis sie dem Blicke entschwanden, und man
hörte, wie die schweren Riegel des Ge
fängnisses hinter ihnen zugeschoben wur
den.
Die Richter versammelten sich bald, und
der schreckliche Todesspruch, der mit einer
donnernden Stimme dreimal verlesen wur
de, lief so zu sagen über die Gesichter der
Verurtheilten, ohne den geringsten Ein
druck zu erregen. Der andere Morgen
war der zur Hinrichtung festgesetzte Tag.
Alle Schiffe im Hafen hatten die Flag
gen aufgezogen. In drei Reihen am U
fer liegend, hatten sie die Rhede ganz frei
gelassen. Nur die Eorvette lag mitten
im Flusse, einige Klafter davon entfernt
die zerschossene und ihrer Segel beraubte
Galeasse des Corsaren, und vom halben
Mast herab wehten die schwarzen, mit
Todtenköpfen übersäeten Flaggen. Von
den beiden Enden der großen Segelstan
ge herab hingen lange, an Kolben befe
stigte Seile, die durch ein doppeltes Ge
gengewicht gehalten wurden.
Aus dem Gefängnisse traten die beiden
Anführer, um zum Tode zu gehen. Der
Haufen versperrte den Zugang zum Ha-
fen, Fenster und Dächer waren mit Men
schen aller Farben und jeden Alters über-1
laden, Kinder hatten die Mauern erstie
gen und waren an Schiffsseilen oderßäu
men hinaufgeklettert. Der Haufe stieß
und drückte sich. Das Geschrei, die er
stickten Stimmen, die wellenförmigen Be
wegungen, diese Menge Köpfe glichen ei
nem Getraidefelde, das der Nordwind be
wegt. Bis an die Fenster des Gefäng
nisses erstreckte sich die Menge, wo die Ge
sichter der Gefangenen sich an das enge
Gitter anklammerten; auch sie wollten,
bevor sie selbst ihre Strafe erlitten, das
Recht genießen, das ihnen noch blieb, ei
nen Menschen sterben zu sehen.
Gegen Mittag stiegen die Anführer in
das Boot Tiefe Stille, Todtenruhe
herrschte überall. Nicht zu athmen schien
man, nur überall glänzten die Augen,
blos das Plätschern der Ruder ertönte aus
den Fluthen. Plötzlich erschütterte eine
heftige Bewegung die Schaluppe, ganz
ungebunden stürzt sich der Hauptmann in
die tiefen Wellen, und ein großer Wirbel
zeigt wo er verschwunden ist. Ungeheu
res Geschrei erschallt vom Ufer. Das
Volk brüllte wie der Tiger, dem man sei
ne Beute entrissen ; aber bald kam der Pi
rat wieder zum Vorschein, suchte sich auf
den Fluthen zu erhalten, und kämpfte ge
gen den Tod, der ihn schon umringte; man
sah, wie er sich gegen die Schiffshaken
wehrte, die die Matrosen von allen Sei
ten auf ihn warfen. Endlich ward er be
wußtlos an Bord geworfen. Sein Ge
fährte, der auf einer Bank angebunden
war, warf traurige Blicke auf seinen
Hauptmann, der wider seinen Willen ei
nem grausamen Tode entflohen war, um
einen schimpflichen zu sterben. Das Volk
aber jauchzte Beifall vom Ufer her. Als
man hierauf den Kanonier mit der bren
nenden Lunte kommen sah, wurde es wie
der still, beim Anblicke des erwarteten
Signals.
Als der Pirat an Bord geworfen, war
er wieder zu sich gekommen; seine Augen
irrten einige Sekunden auf seinem Schif
fe umher, wo er so lange als Herr befeh
ligt hatte. Seine Gefährten standen in
"wittig zu loben und ohne Furcht zu tadeln."
Dienstag den 14 Deeember,
Reihe und Glied, und warteten auf die
Hand des Henkers. Alle neigte ihr ge
beugtes Haupt vor der erhabenen Stirn
des Führers, der im Augenblicke aus ei
nem Gefecht zu kommen schien. Den
Henker, der sich ihm nahte, stieß er mit
dem Fuße fort, steckte den Kopf selbst in
die Schlinge, und während sein Gefährte
noch einen letzten Blick auf ihn warf, der
Knoten schon seinem Halse nahe war,
schrie der Corsar: "Feuer!" der Kano
nenschuß ertönte wie ein Donnerschlag,
die Gewichte ließen nach, und zwei Leiber
hingen an der großen Segelstange und
krümmten sich in der letzten Angst des
Todeskampfes.
Hierbei erinnere ich mir der Geschichte
des Seeräubers Cavacilla, dem das
schreckliche Ende durch Henkershand nicht
wnrde.
In einer stürmischen Oktobernacht, nur
sparsam von dem Schimmer des Mondes
durch zerrissene Wolken erhellt, kreuzte der
Seeräuber Cavacilla mit seiner erprobten
Goliote von fünfzehn Kanonen, auf dem
Meere in der Gegend der englischen Kü
ste, um von der zurückkehrenden spanischen
Silberflotte etwas zu erbeuten, derer, un
ter Begünstigung des Sturmes entgegen
harrte.
Wild, wie die schäumenden Wogen, tob
te die Mannschaft des Schiffes durch
Kampflieder und Jauchzen, da sie tapfer
gezecht hatten. Dadurch pflegte Cavacil
la bei den Seinen Muth und Tollkühn
heit aufzuregen, während er nüchtern und
kaltblütig sich an den krachenden Haupt
mast lehnte, im Aufruhr der Natur, der
einem Aufruhr in seiner Seele, so wie dem
der Schiffsmannschaft entsprach.
Da erhellte der Mond die nächtlichen
Gewässer und ein auf den Wogen tanzen
des Segel ward in nicht weiter Entfernung
sichtbar.
„Hallo! die Spanier!" rief Cavacilla
und dieser Ruf brachte die Matrosen in
! doppelte Thätigkeit, die Segel beizusetzen
und Ader war an seinem Platze. Alles
machte sich schlagfertig und im Kampfe
mit'den Wogen erreichte man das Schiff,
!dem ein vorgesandter Kanonenschuß ver
kündete, was man im Schilde führe. Die
Spanier, durch den Sturm von ihrer Cor
! voy getrennt, entmuthigt durch die crlit
, tene Noth mit den Elementen, erwiederten
diesen Schuß nicht und nur Lebensrettung
bedingend, strichen sie die noch erhaltenen
i Segel und der Seeräuber machte wider
! Erwartung, ohne viele Anstrengung, ei
'ne große Beute. Das spanische Schiff
! ward bestiegen, entwaffnet u. ins Schlepp
tau genommen. So lavirte man gegen
die englische Küste zurück.
Bei anbrechendem Morgen, als sich der
Sturm gelegt hatte, meldete man dem
Hauptmanne, es befänden sich Damen auf
der spanischen Prise, deren eine, wahr
scheinlich die Vornehmste, am trostlosesten
schien. Cavacilla, dem ritterliche Galan
terie nicht fremd war, kleidete sich sogleich
auf das sorgfältigste an und eilte auf das
spanische Schiff.
Er erstaunte, als er in der ihm unter
den Frauenzimmern als die Vornehmste
bezeichnete Miß Baltimore erkannte,
die einzige Tochter des schottischen Lords
Baltimore, nebst ihrem Kammermädchen.
Im ersten Augenblick war er so verlegen,
daß er keine Silbe sprechen konnte, er wur
de leichenblaß, dann wieder etwas sich fas
send, äußerte er seine Verwunderung mit
wenigen Worten, sie hier zu finden.
„Das wundert mich weniger!" versetz
te sie mit feurigen Blicken, „als daß ich
Sie hier finde, Lord Cinnamoni!"
Diese Frage beruhigte ihn, er sah dar
aus, daß sie in ihm nicht den Seeräuber
erblickte, sondern den früheren Freund, der
damals auf ihr Herz Eindruck gemacht
hatte.
Der Pirat führte die Lady mit ihrer
vertrauten Freundin Betty in das Schiffs
zimmer, das er in Stand setzen und dann
Erfrischungen bringen ließ; dann entfern-
te er sich einige Minuten, mit der listigen
Entschuldigung: er wolle nachsehen, was
der Seeräuber Cavacilla treibe, aber ei
gentlich in der Absicht, um solche Befehle
zu geben, dass er bei seiner Rückkehr in
seiner Unterhaltung nicht gestört werde.
Es drängte sich aber ein ältlicher Mann
heran, der sich als der Beschützer der Da
men und als bewährter Freund d.s Lord
Baltimore ankündigte, und verlangte Ein
tritt in das Zimmer. Cavacilla trat bald
darauf ganz unbefangen zu dem Kleeblat
te ein. Er hatte sich aus dem Seeräuber
in den Lord Cinnamoni metamorphosirt.
„Ich bin ein Gefangener, sprach er, so
wie Sie, meine Damen, wie Ihr Beschüt
zer. Ich habe mich aber schon ausgelöset
und so hat mich das Schicksal zn Ihrem
Schutzgeist gemacht, um Sie wohlbehal
ten auf meine Besitzung zu bringen; von
dort aus kann ich für Ihre weitere Reise
nach der Heimath sorgen."
„Ach! seufzte Lady Baltimore, wenn
nicht der Seeräuberhäuptling, dessen An
denken mich schon mit Schrecken erfüllt,
die Freude zerstört, die in diesem Augen
blick mein Herz belebt."
Sie beschrieb ihm hierauf, welche große
Schrecken und Gefahren sie bei derWuth
des Sturmes ausgestanden habe, wie sie
bei jedem furchtbaren Krachen der Masten,
bei dem zuvor noch nie gehörten donnern
den Anschlagen der Wogen einer Ohnmacht
nahe, und bei jeder Verwüstung, welche
der Sturm unter Masten und Segeln an
gerichtet, wirklich bewußtlos niedergesun
ken sei. Nur Hr. Lincol n— auf den
ältlichen Mann deutend habe ihr Bei
stand geleistet, sie immer wiederaufgerich
tet und ihr Muth eingeflößt, bis bei dem
ersten Kanonenschuß des Seeräubers, mit
ten in einem Kampfe der Elemente, auch
er mit der ganzen Mannschaft muthlos
geworden sei.
Lincoln bestätigte dies und fügte hinzu:
„Bei dem Angriffe des Piraten schüt
telte mich gar ein Fieberfrost, aber My
lord! nicht um meinetwillen, sondern we
gen meiner Schutzempfohlenen. Ein kal
ter Angstschweiß trat auf meine Stirne.
Auf dem Meere vertraute ich noch Gott
und hegte Hoffnung um der Unschuld Wil
len ; was war aber von Seeräubern zu
hoffen? Doch ich schäme mich jetzt dieses
Kleinmuths. Der Mensch denkt, Gott
lenkt."
„Wie kommen Sie aber auf dies spa
nische Schiff, Milady?" fragte der Lord
Cinnamoni die Lady Molly Baltimore.
„Davon ist viel zu sagen, mein werther
Herr," nahm Lincoln das Wort: „Wir
kommen eigentlich von den Azoren, und
zwar von Terceira, wo wir bei einer alten
lieben Verwandten, die nun gestorben ist,
beinahe drei Vierteljahre uns aufgehalten
haben."
„Meine Tante von mütterlicher Seite,
siel Lady Molly ein, „war dort verheira
tet, und besaß ansehnliche Güter. Seit
mehren Jahren Wittwe und hoch betagt,
hatte sie fortwährend in ihren Briefen an
meinen Vater den Wunsch geäußert, mich
noch vor ihrem Tode zu sehen. Mein Va
ter wollte sich immer nicht zur Erfüllung
dieses Wunsches ver stehen, aber ihre Brie
fe wurden immer dringender, so rührend,
und drückten eine so große Sehnsucht nach
mir aus, daß ich selbst eine solche theilte,
und ihn bat, mich reisen zu lassen. So
furchtbar auch mein Vater mir die Schrek
ken des Elements und die Gefahren einer
Seereise schilderte, so machte es doch kei
nen Eindruck bei mir, es lebte in meinem
Herzen nur ein Wunsch, meine gute
Tante zu sehen und möglichst zu pflegen
und aufzuheitern, denn in ihren Briefen
sprach sie die mütterlichste Zärtlichkeit ge
gen mich aus. Sie wissen es ja zu gut,
wie wir Weiber uns von unserm Gefühl
beherrschen und hinreißen lassen! Meine
Mutter, die auch gegen meine Reise war,
ließ sich von mir umstimmen. Ich erreich
te mein Ziel. Mein Vater traf die sorg
fältigsten Anstalten zu meiner Reise.
Herr Lincoln, ein geprüfter Freund unse-
Laufende Nummer I«
res Hauses, wurde mein Begleiter und
Beschützer. Unsere Uebei fahrt nach Ter
ceira wurde durch keinen Unfall getrübt.
Unser Empfang war wechselseitig reich an
Freude, und zwölf Wochen verflossen in
der ungetrübtesten Heiterkeit, da erkrank
te meine Tante gefährlich, vielleicht von
den ungewohnten Anstrengungen und der
unei warteten, freudigen Ueberraschung,
mich vor sich zu sehen, und wurde zuse
hends schwächer. Die letzten Wochen wa
ren wahre Jammerwochen. Sie starb in
ineinen Armen; ich küßte ihren Segen
noch von ihren Lippen. Sie hatte mir
ihr ganzes Vermögen vermacht; aber ich
freute mich nicht. Ich dachte mit keiner
Silbe daran, mich in den Besitz meiner
Erbschaft zu setzen, hätte mein guter Lin
coln nicht dafür gesorgt, Alles zu Gelde
gemacht und es in einen Koffer gepackt-"
„Unnütze Mühe! rief Lincoln : der ist
nun die Beute eines schändlichen Piraten
geworden."
„Das soll nicht geschehen! riefCinna
moni und ging mit Lincoln auf das Ver
deck. Hier ließ er sich von ihm im Rau
me den Koffer zeigen.
„Fassen Sie an," sprach er zu Lincoln,
indem er die eine Handhabe desselben er
griff, Lincoln erfaßte die andere und Bei
de trugen den Koffer in das Zimmer und
setzten ihn zu Molly's Füßen nieder.
Lady Baltimore, überrascht und ge
rührt brach in Freudenthränen auö, und
sie sowohl als Lincoln konnten nicht Wor
te genug finden, des Lords Großmuth zu
preisen, ohne daß ihnen daß Räthselhafte
seines Betragens aufsiel.
„Ja ja!" sprach Lincoln: „es war ei
ne Fügung des Himmels, daß die spani
sche Flotte in Terceira einlaufen mußte,
um uns aus dem Lande der Trauer heim
zuführen, und der Pirat mußte uns auf
bringen, um in Ihnen, Mylord, einen so
edlen und wichtigen Beschützer zu finden."
Es wurde an die Eajütenthür gepocht
und der Lord ging hinaus; die Damen
bittend, ruhig zu oerweilen und sich reise
fertig zu halten.
Zurückgekehrt, war er in einen Reise
mantel gehüllt, und ihm folgten zweiMa
trosen, die auf seinem Befehl den Koffer
und das kleine Reisegeräth der Damen u.
Lincoln's wegtrugen. Er selbst bot Miß
Baltimore den Arm und eröffnete ihnen,
daß sie im Angesicht der irländischen Kü
ste und die Schiffe vor Anker gelegt wä
ren, um die Ueberfahrt nach seinem Land
sitze vorzubereiten.
Das Schiff stand auch bald still und
als sie auf das Verdeck traten, machte das
Schiffsvolk dem Lord und seiner Beglei
tung achtungsvoll Platz, damit sie an die
Schifföseite gelangten, wo das herabgelas
sene Boot mit den Reisegeräthschaften
versehen, und mit rudernden Matrosen
bemannt, bereit lag. Die Dcumn wur
den auf einem Sessel langsam ins Boot
herabgelassen; Lincoln, nebst dem Lord,
und dessen Bedienung folgten auf der
Strickleiter nach. Ein lautes Hurrah be
gleitete sie bei der Abfahrt, welches der
Lord durch Schwenkungen seines Hutes
erwiederte. Die nun ruhige See begün
stigte die Landung im neuen Kanal, ser
des Lords Landsitz bewässerte; die Schif
fe hatten indeß die Anker gelichtet und
entschwanden dem Gesichte.
Lady Baltimore und ihre Begleitung
überließen sich der lebhaftesten Freude, als
sie, auf heimathlichen Boden angelangt
waren, und der Lord trug seinerseits Sor
ge, Alles zu veranstalten, um ihnen den
Aufenthalt in der herbstlichen Natur an
genehm zu machen und sie für eine so
mühselige Reise zu entschädigen.
Unter diesen Verhältnissen erwachte die
frühere Neigung für den Lord in Lady
Baltimore s Herzen aufs neue Dies ver
riethen Blicke und Benehmen. Auch auf
des Lords Antlitze sah man einen wehmü
thigen Ernst, der einen großen Kampf in
seinem Innern verrieth.
(Fortsetzung folgt.)