Der liberale beobachter und Berks, Montgomery und Schuylkill Caunties allgemeine anzeiger. ([Reading, Pa.) 1839-1864, April 06, 1847, Image 1

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    Der Liberale Beobachter
Und Berks, Momgomery und Schnylkill Camuies allgemeiner Anzeiger.
MeilViNg, Venn. Gedruckt und herausgegeben von ArnoldPu w e ll e, in der Snd 6ten Straße, zwischen derHrauklm- und Ckcsnut - Straße
Jahrg. 8, ganze Nnm. SN«.
edingungen: Der Alberalc ZZrobaclrtcr erscheint jeden Dienstag auf einem großen Superial - Bogen mit schönen Lettern gedruckt. Der «-übscriptions - Preis ist Ein Thaler dcs Zahrs, welcher in halbjährlicher
Vorausbezahlung erbeten wird. Wer im Laufe des Zahrev nicht bezahlt, dem werden Hl 50 angerechnet. Für kürzere Zeit als « Monate wird kein llnterschreiber angenommen, und etwaige Aufkündigungen werden nur
dann angenommen, wenn sie einen Monat vor Ablauf dcs Eubseriptions-Termins geschehen und gleichzeitig alle Rückstände abbezahlt werden. Bekanntmachungen werden dankbar angenommen und für den gewöhnlichen Preis ein»
gerückt. Unterschreiben, in hiesiger Stadt wird die Zeitung portofrei geschickt, weitere Versendungen geschehen durch die Post oder Träger, aus Kosten der llnterschreiber. Briese und dcrgl. müssen postfre > eingesandt werden.
Awei Verbreehei».
ne russische Novelle v. Dupre de St. Maure.
l^Fortsctzililg/I
Entschlossen, an keinem Orte zu ver
elen, so lange er auf italienischem 801 l
ll wäre, reiste er durch das prächtige
om mit der Gleichgültigkeit, mit welcher
! Reisender durch einen Flecken von Nie
rbretagne eilt. Vor der Einfahrt er
>rak er nicht wenig, als der Postillion
i seiner Frage, in welches Hotel er ihn
ingen sollte, über seine lakonische Ant
ort: nach der Post, sich sehr wunderte,
mn die Römer sind solcher Geringschät
lng ihrer Capitale nicht gewöhnt. Um
doch allen Verdacht von sich abzuwen
?n, setzte er in einem leichten Tone hin
l: „Mein Freund, ich kenne Rom be
?its vollkommen, und habe in Neapel
üchtige Geschäfte, deshalb ich keinen Au
enblick versäumen darf." ruzione !a
Lxee!>en2», entgegnete der Schwa
er. Hinter Rom verweilte Kustroff auf
er ersten Station eine halbe Stunde, um
in Mittagsmahl einzunehmen, die erste
Kahlzeit, die er nach dem Tode seiner Ge
ieterin hielt, denn bis dahin hatten Ge
oissensbisse, Furcht und Freude ihn nicht
m Hunger denken lassen. Sein Stre
bn ging vorzüglich dahin, Neapel zu er
reichen, wo er erst die Frucht seines Ver
gehens zu genießen hoffen durfte, denn
>is jetzt saß er auf seinem Schatze, ohne
ich durch die Ansicht von dessen Werthe
berzeugen zu können. Diese Unwissen
eit marterte ihn fürchterlich und machte
hn oft die Länge des italienischen Stic
els verfluchten.
Seit drei Tagen beständig allein, hat
e er über seine Lage nachgedacht, und Ver
lelte sich das Gefährliche derselben nicht.
Rehr habsüchtig als eitel, sah er ein, daß
r künftig ohne Aufsehen zu machen reisen,
ein Vermögen den Blicken Aller verber
;en, und zu keinem Verdachte Veranlas
ung geben müsse ; denn da ihn die ge
ingste Jnconsequenz verrathen konnte, so
>urfte er nur unerwartet einem Russen be-
gegnen, und er war entlarvt und verloren.
Zr beschloß daher sich nach einem wohl
überlegten Plane zu benehmen, den er
auch mit einer solchen Geschicklichkeit und
Ausdauer und einer so großen Verstellung
Ausführte, wie sie glücklicher Weise bei
großen Verbrechern selten vorkommt.
In Neapel angelangt, stieg Kustroff,
da es nicht gut zu vermeiden war, in ei-!
nem der ersten Gasthöfe ab. Er benahm
sich aber dabei sehr vorsichtig, und erkun-
digte sich erst, nach mehrern unbedeuten-
den Fragen, bei den Aufwärtern, die sei
ne Sachen auf sein Zimmer gebracht hat-!
ten, ganz unbefangen scheinend, ob kein
Russe im Hause logirt? und auf ihre,
verneinde Antwort ging er, kaum imStan
de, seine Frende über die erhaltene gute
Nachricht zu verbergen, schnell zu der neu
en Frage über i wie sich die zn-unk Dnn
n» nenne, die jetzt inNeapel furm-e machte
Die Zeit bis zum Abendessen wendete
er dazu an, alle Winkel und Tapeten sei
nes Zimmers genau zu untersuchen. In
einem Flügel des Hauses logirend, be
merkte er mit Vergnügen, daß seinSchlaf
zimmer, hinter dem Wohnzimmer zwei
massive Mauern, also keine falsche Zwi
schenwand, keine gefährliche Nachbarschaft
geheimen Ausgang und heimliche Treppe
hatte. Hierüber beruhigt, stieg er eine
Treppe höher und fand dorr einen sehr
großen Boden.
DaS Abendessen welches er auf sein
Zimmer bestellt hatte, kürzte er möglichst
ab, um der excellent» is, exeellen?» no
der Aufwärter, deren er sich nicht für wür
dig hielt, bald los zu werden, und mit dem
innigsten Vergnügen vernahm er ihr ie
licissims noNe, das tausendmal wieder
holte Lebewohl der italienischen Abendge
sellschaften. Er verschloß hierauf seinZim
mer, und in die Schlafkammer sich verfü
gend, die er eben so verwahrte, steckte er
sechs Lichter an, um bei dem Geschäft, das
er nun vornehmen wollte, dessen sehen zu
können. Dieses war nämlich kein ande-
res, als das Inventarium von den Felles!
sen und Behältern aufzunehmen, um sich
von deren Inhalt in genaue Kenntniß zu
setzen.
Die russischen Damen reisen nicht mit
so wenig Gepäck, als die englischen Ladys;
letztere sorgen nur für das Nothwendige
und vernachlässigen den Luxus; die rus
sischen Damen hingegen nehmen ihre gan
ze große Toilette mit auf Reisen. Da
die unglückliche Füstin mehre Höfe zu be
suchen beabsichtigt hatte, so hatte sie all'
ihr Geschmeide mitgenommen. Kustroff,
eben so förmlich wie eine Gerichtsperson,
die ein Mobilien-Jnventarium aufnimmt,
welches verkauft werden soll, stellte die
vorgefundenen Gegenstände in einer be
wudernswürdigen Ordnung vor sich auf,
und gewann es selbst über sich, diejenigen,
die seine Neugierde am meisten in An
spruch nehmen mußten, vor jetzt noch nicht
näher in Augenschein zu nehmen. Zueist
legte er auf das Bell die Kleider, daSPelz
werk, das Leinen-Zeug und den Putz sei
ner unglücklichen Gebieterin. Bei dem
Anblick dieser Gegenstände entschlüpfte
seiner Brust unwillkührlich ein Senfzer.
Zufällig siel sein Auge, gerade als er das
letzte Kleidungsstück weglegte, auf einen
Spiegel und er erschrak über seine Blässe
und verstörten Züge, erholte sich jedoch
bald wieder, als er sich an einen Tisch ge
setzt und daS Schmuckkästchen geöffnet
hatte. Der Tisch funkelte von dem Feuer
der Diamanten, Rubine, Saphire und ei
ner Menge kostbarer Steine an Diademen,
Gürteln, Kämmen, Hals- und Armbän
dern, Ohrgehängen - Agraffen, Ringen,
Chiffern und allen den Dingen, welche die
Kunst zum Vergnügen der Frauen erfun
den hat. Kustroff, von dem Glänze die
ser Reichthümer wie geblendet, blieb er
eine ganze Stunde im Anschauen dersel
ben versunken. „Dies Alles ist nun
Dein, sagte er mit vor Freude halb er
stickter Stimme, Du bist nun reich frei
und unabhängig." Er wollte hinzuset
zen „und glücklich," aber er vermochte die
ses Wort nicht über die Zunge zu brin
gen, da es von einer, zwischen Vergnügen
und Schmerz getheilten, Beklemmung sei
ner Brust, zurückgedrängt wurde, aber
seine Augen rollten mit Blitzesschnelle von
einem Gegenstand auf den andern, und
schienen zur Auffassung deS köstlichen An
blicks nicht hinlängliche Stärke zu besit
zen. Als er sich sattsam an dem Anschau
en gelabt hatte, nahm er die funkelnden
Steine in die Hand, veränderte ihre Stel
lung, und legte sie in Haufen zusammen,
um ihren Schimmer zu vermehren. Die
ser Triumph der Lüsternheit war für ihn
um so berauschender, da er den Werth der
Diamanten von einem seiner genauen Be
kannten, einem Genuesen, dessen Vater
ein Juweelenhändler war, kennen gelernt
hatte und also den Werth seines neuen
Vermögens ziemlich genau taxiren konnte.
Diese Schätzung erforderte lange Berech
nungen und häufige Anforderungen an
sein Gedächtniß ; zuletzt kam er jedoch zu
dem Resultate, daß der gesammte Schmuck
in Geld angesetzt, eine Summe von 90
biß 100,000 Rubel geben würde; ohne
sonderliche Hast öffnete er hierauf die klei
ne Kiste mir dem Reifesilber, in welcher
sich auch ein grüner sammtner Beutel mit
500 Goldstücken befanden, der ihn reich
lich für die dem Rolando gezahlten 200
Zechinen entschädigte, die er zur Berichti
gung der laufenden Ausgaben und zur
Bezahlung der Post von der Fürstin er
halten hatte.
Nach Schließung des langen Inventa
riums legte er Alles wieder in gehöriger
Ordnung in das Schmuckkästchen und in
die Schachteln, und verschloß Alles in sei
ne Komode nachdem er es sorgfältig be
deckt hatte. Aus den Kleidungsstücken
seiner Gebieterin machte er mehre Packete,
denn er sah ein, wie nöthig es für ihn sei,
sich aller dieser ihm Gefahr bringenden
Sachen zu entledigen. Er hatte selbst
nicht einmal den Wunsch, sie zu versilbern,
da ihm kein Mittel einfiel, sie ohne Ge-
"'willig zu loben und ohne Lurcht zu tadeln."
Dienstag den <i. April,
fahr los zu werden. Bei Untersuchung
des Hauses hatte er auf dem Boden einen
Haufen alter aufgegebener Mobilien und
zerbrochener Kisten unter dem Dache ste
hen sehen, und sogleich beschlossen, alle die
Sachen, von denen er sich zu befreien
wünschte, unter diesen Trümmern zu ver
bergen. Nachts 2 Uhr öffnete er daher
leise die Thür, und dachdem er sich über
zeugt hatte, daß im Gasthofe Alles im
tiefsten Schlafe liege, stieg er mit einer
Blendlaterne und der Hälfte der Sachen
auf den Boden, kam dann zurück, um das
Uebrige zu holen, und legte Alles m alle
Kisten, die er sorgfältig mit einem Hau
fen zerschlagener Bretter und alten Lum
pen bedeckte. Nach diesem für seine Ru
he so wichtigen Geschäfte, ging er unbe
merkt wieder auf sein Zimmer. Wäre
nun auch zufällig Jemand auf den Ge
danken gekommen, in diesem alten Plun
der zu kramen, und hätte die Packete ge
funden, so fragte es sich nun : Seit wie
lange lagen sie da? Wer hatte sie dahin
gelegt? Lagen sie nicht schon lange da?
und der Verdacht konnte auf einen Rei
senden ohne weibliche Begleitung nicht
leicht fallen.
Früh Morgens ging Kustroff zu dem
Wirthe herunter und sagte ihm, daß er
seinen Wagen weil er sich nach einem nach
Smyrna segelnden Schiffe umsehen müs
se, verkaufen wollte. Die Wirthe ergrei
fen bekanntlich jede Gelegenheit eifrig, wo
sie an den Vortheilen eines Handels die
ser Art Theil nehmen können. Der
Wirth war daher auch sofort bereit, bei
diesem Geschäft Mittelsmann zu werden,
und schickte sogleich nach seinem Sattler.
Es gebe, sagte er, im Königreiche beider
Sicilien keinen rechtlichern Mann. Der
Sattler kam, besah die Berline, einen sehr
hübschen, aber einfachen Wagen, ohne
Wappen und Chiffre; nach der Versiche
rung des Sattlers aber sollte er eine Men
ge von Fehlern haben, die er nicht hatte,
wobei er den Verkäufer mit einer Menge
von Kunstausdrücken und Redensarten
überschüttete, die der neapolitanischen Zu
nge sehr geläufig sind: „Danken Sie es,
sagte er unter Anderm, der hl. Jungfrau,
daß sie unbeschädigt nachNeapel gekommen
sind; Lun miraeulci! uns evs» «tuzieir
(ja! Das Ende war daß er den dritten
Theil des Werthes dafür bot. Kustroff
sah recht gut, daß er es mit 2 Gaunern
zu thun hatte, demohnerachtet aber leiste
te er ihnen nur schwachen Widerstand,
denn es lag ihm zu viel daran, sich aller
der Sachen zu entäußern, die ihn verdäch
tig machen konnten. Sobald das Geld
bezahlt war, fuhr der Sattler mit der
Berline frohlockend ab, und ihr Verkäu
fer sah sie mit einem Vergnügen sich aus
seinen Augen verlieren, welches demjeni
gen gleich kam, das ein Anwalt empfindet,
dem es gelingt, beim Durchlaufen eines
Aktenpackets eine wichtige Schrift, die sei
ner übernommenen Sache einen Übeln
Ausgang geben konnte, heimlich bei Seite
zu schaffen.
Im Verlaufe dieses Tages sah sich
Kustroff nach einem bescheidenern Wirths
haus? um, und bestellte bei einem geschick
ten Tischler mehre flache Hausirkästchen
zum Jnweelenhandel mit geheimen dop
pelten Böden; dann ging er zu einem
Trödler, von dem er einen alten Rock von
abgetragenem karmoisinrothen Sammt u.
eine blonde in's rothgelbe schillernde Pe
rücke erhandelte. Am nächsten Tage wa
ren seine Kästchen fertig, und er kam mit
zwei Lazaroni's nach dem Hotel zurück,
um seine Sachen abzuholen. Dem Wir
the sagte er, daß, da das Schiff bereits se
gelfertig sei, er bei Tagesanbruch an Bord
gehen würde. Er verfügte sich darauf
in sein Zimmer, zog den alten erhandel
ten Rock an, über welchen er einen weiten
Mantel warf, und machte sich mit seinen
Sachen nach dem kleinsten Wirthshause
auf den Weg, wo er sich für einen polni
schen Juden ausgab, der auf den Juwee
lenhandel reise. Sein Anzug und seine
Perücke liehen diesen Worten um so mehr
anscheinende Wahrheit, da er die näselnde
Stimme dieser Leute teuschend damit ver
bunden. Als Kustroff sah, daß man ihn
ohne Weiteres für das nahm, was er nicht
war, so wendete er die nächsten Tage da
zu an, eine Menge kleiner Edelsteine ein
zukaufen, um damit die beiden ersten Be
hälter seiner Juweelenkästchen zu füllen.
Der dritte war so sehr versteckt, daß es
fast unmöglich war, sein Dasein zu ah
nen. Er schiffte sich hierauf auf einer
genuesischen Felucke ein, die nach Palermo
abging und Tags darauf entschwand Ne
apel's schönes Gestade seinen Blicken.
Glücklich in Siciliens reicher Haupt
stadt angelangt und jetzt in dem Anzüge
eines Juden und mit dessen Schlichen ver
traut, durfte er es keck wagen, in die Pa
läste der Großen zu treten und ihnen sei
ne Edelsteine zum Kauf anzubieten. Als
er sich allmälig ihr Vertrauen erworben
hatte, zeigte er ihnen auch aus dem gehei
men Behälter einen Halsschmuck, einen
Ring oder Armbänder, und in kurzer Zeit
entledigte er sich so mehrer Stücke, zu sehr
Huten Preisen. Da der Verkauf der klei
nen Bijouterien ebenfalls großen Gewinn
abwarf, so beschloß Kustroff, diesem Han
del sich ganz zu widmen und das durch ein
Verbrechen erlangte Vermögen auf eine
rechtliche Art zu vermehren.
Nach zweimonatlichem Aufenthalt in
Palermo schiffte er sich nach Eadix ein und
reiste von dort über Sevilla und Toledo
nach Madrid. In diesen vier Städten
halte er das Glück, alle seine Brillanten
sehr vortheilhaft an den Mann zu brin
gen. Dies bewog ihn, in Madrid eine
Menge Juweelen zu kaufen, die er in Pa
ris und London wieder absetzte. London
war der Endpunkt seiner Reisen, aber nicht
seiner HandelSunternehinungen, die über
sein Erwarten glücklich ausfiel. Die
russischen Großen finden an England we
nig Geschmack, und bereisen es daher sel
ten ; dies bestimmte Kustroff, seinen fe
sten Wohnsitz in diesem Lande zu nehmen,
wo er weniger, als in andern europäischen
Hauptstädten mit seinen Landsleuten zu
sammen zu treffen fürchten durfte, denn
er konnte es sich nicht verhehlen, daß Je
mand, der ihn in Moskau gesehen, wo er
sich 6 Monate mit der Fürstin aufgehal
ten hatte, ihn, ohnerachtet seiner rothgel
ben Perücke, wohl würde wieder erkennen
können. Die Zeit kam ihm jedoch zu
Hülfe und befreiet? ihn allmählig von
dieser Besorgniß.
So verflossen 3V Jahre. Kustroff
war ein großer Juweelenhändler und ein
reicher Mann geworden. War er nun
glücklich? nein! Zwei gewaltige Gefühle
quälten ihn unaufhörlich ; Gewissensbisse
zerrissen sein Herz unausgesetzt, und ver
gebens strebte er die Erinnerung an das
Kastaniengehölz bei Bologna aus seinem
Gedächtnisse zu entfernen; allnächtlich
stand ein blutentes Fantom vor seinem
Bette und oft sah er diese furchtbare Er
scheinung selbst am hellen Tage, und das
letzte Aechzen des Schlachtopferü traf sein
Ohr, ja diese schrecklichen Töne vernahm
er selbst mitten in einem Festgelage; die
leiseste Anspielung auf heimlichen Mord
im Theater, machte ihn fliehen, als hätte
ihn plötzlich ein Pfeil durchbohrt. Bei
seinen Verhältnissen mit den Menschen
versetzte ihn Alles, was nur im mindesten
Beziehung auf sein Verbrechen hatte, in
unbeschreibliche Trauer. Nicht weniger
marternd war für ihn der Anblick tugend
hafter Personen und die Heiterkeit, die ih
nen die Tugend gewährte. Seitdem sei
ne eigene Erfahrung ihn gelehrt hatte,
daß man auch ohne Verbrechen reich wer
den kann, sah er auf den Anfang seines
Vermögens nur mit Abschen, und hätte
er es vermocht, den desselben, welchen er
einer Mordthat verdankte, von dem Ue
brigen zu trennen, um das Letztere ruhig
zu genießen, so würde er sich für den glück
lichsten Menschen gehalten haben.
Eine weniger starke Ursache seines Kum
mers war seine Entfernung vom Vater
lande. Auch das Heimweh quälte ihn;
Laufende Nummer 32.
er fühlte schmerzlich die Entbehrung der
nordischen Sitten und Gebräuche und
selbst der Strenge des Klima's. Letztere
beherrschte seine Einbildungskraft derma
ßen, daß er vor Freude außer sich war,
wenn ein starker Schneefall ihm die Teu
schung des Bodens seiner Geburt und sei
nes theuren Vaterlandes vor Augen stell
te. Lassen wir ihn sich mit diesen heim
lichen Leiden quälen und versetzen wir unö
nun in das Land, das sie veranlaßte.
Im südlichen Theile des Gouvernements
Kaluga, war der Gutsherr Woronitcheff
seinen Eltern in dem Besitze eines sehr
schönen Landgutes von 2000 Leibeigenen
nachgefolgt. Der junge Mann war von
ungestümen, jähzornigem u. stolzem Cha
rakter. Man hatte sich vergebens bemüht,
seine aufbrausende leidenschaftliche Hitze
durch Sanftmuth zu mildern ; als einzi
ger Sohn mißbrauchte er die väterliche
Nachsicht, und die Bauern beweinten auf
richtig den frühen Verlust ihrer geachte
ten Herrschaft, da sie vorhersahen, daß der
Sohn sie nicht mit der Gerechtigkeitsliebe
und der schützenden Güte, welcher sie sich
bisher zu erfreuen gehabt, behandeln wür
de. Woronitcheff war kein Freund deS
Landlebens und die reizenden Gemälde der
schönen Natur sprachen sein Herz nicht
an. Schon vor dem Tode seiner Eltern
machte er häufige Reisen nach den beiden
Hauptstädten und er nahm sich vor, so
bald er frei sein würde, fremde Länder zu
sehen. Vergebens stellte ihm sein alter
Oberintendant ehrerbietig vor, daß, da
seine Güter nicht schuldenfrei wären, eS
gerathen sein dürfte, bevor er eine kost
spielige Reise unternähme, die darauf haf
tenden Schulden zu tilgen; er schloß ihm
kurz den Mund mir den Worten : „Mein
Vater hat seine Bauern zu sehr geschont,
das ist eine Albernheit; sie sind dadurch
reich geworden, laß sie das Gestohlene
wieder herausgeben, erhöhe den Obrok;
in Zeit von 6 Wochen muß ich Geld ha
ben, hörst Du! ich muß es haben, Deine
Sache ist es, es herbeizuschaffen." Der
Outpravitel verneigte sich seufzend; das
Geld war zur vorgeschriebenen Zeit be
reit, und Woronitcheff reiste nach Italien.
Zwischen Modena und Bologna brach
die Achse seines Wagens, und er sah sich
genöthigt, die Nacht in einer Dorfschenke,
wo auch zugleich die Post war, zu bleiben.
Dieses Unglück war groß für ihn, denn
er fürchtete nichts mehr als die Langewei
le. Was thun, was anfangen von A
dends 7 Uhr bis zur Tischzeit? Er maß
sein Zimmer mit großen Schritten eine
lange Zeit, rief seinen Leuten, um sie hun
dertmal das Nämliche zu fragen, ließ den
Wirth heraufkommen, bestellte die Gerich
te, die er essen wollte und bestellte sie wie
der ab. Zuletzt konnte er in seinem ein
samen Zimmer nicht mehr ausdauern und
ging herunter, um sich durch ein Gespräch
mit den Leuten des Hauses zu zerstreuen.
In einem großen an die Küche stoßenden
Zimmer bemerkte er eine zahlreiche Ver
sammlung junger Burschen uud Mägde,
nebst einer alten Frau. Die Mutter
Dorothea, die Hausfrau, saß in einem
Lehnstuhl, dessen abgenutztes Leder und
gothische Form sein Alter bekundeten, so
daß es leicht zu erkennen war, daß seit
länger als einem Jahrhunderte Großmut
ter, Mutter und Tochter auf diesem re
spektabel» Sitz Platz genommen hatten.
Dorothea, mit der Kunkel in der Hand,
ging in der Arbeit als Muster voran, und
die um sie in einem Halbkreise herumsit
zenden jungen Mädchen flochten Stroh,
welches die jungen Burschen für sie zu
recht machten; kurz, es war eine Dorfa
bendgesellschaft. Aus der aufmerksamen
und gespannten Miene aller Physiogno
mien schloß unser Reisender, daß hier
Räuber und Geistergeschichten erzählt
werden müßten, und so verhielt es sich
wirklich. Bfgielig an der Unterhaltung
Theil zu nehmen, trat er in die Versamm
lung ein. Die alte Großmutter bat ihn
höflich, Platz zu nehmen, und Francisco,
der Ludimagister des Dorfes, war, auS