Der liberale beobachter und Berks, Montgomery und Schuylkill Caunties allgemeine anzeiger. ([Reading, Pa.) 1839-1864, July 28, 1846, Image 1

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    e dinü, Dt UN. Gedruckt uud herausgegeben vou A r uold Puiveli e, iu der Süd 6keu Straße, Ecke der Cherrv A lley Beh m' 6 Wll lhobails gt'grlilldrr
Jahrg. 7, ganze N,„„. SISÄ.
edinqun q c n. -- Der Kitier-lle zjeobacliter erscheint jeden Dienstag auf einem grossen Superial-Bogen mit schönen Lettern gedruckt. Der SubscripticnS-PreiS ist Ein Thal e r des Jahrs, wekber in Imlbjährlicl e
Lorausbe-ahlunq erbeten wird. Wer im Lause des Jahres nicht bezahlt, werden Kl 50 angerechnet. Für kürzere Zeit als li Monat wird kein Unterschreibe»- angenommen, und etwaige Aufkündigungen werden nur dann ange
nommen,'wen sie einen Monat vor Ablauf des Subscriptione-Termins geschehen und gleichzeitig alle Rückstände abbezahlt werden. Bekanntmachungen werden dankbar angenommen und für den gewohn'.M,?!, Preis eingerückt, Un
terschreibern in hiesiger Stadt wird die Zeitung portofrei geschickt, weitere Versendungen geschehen durch die Post oder Träger, auf Kosten der Unterschreibe,-. und Mittheilungen müssen postfre i eingesandt werden
dem Deutschen Republikaner.)
Oer Feldwebel von der PotS
damer Garde,
sHorlsey»»g.Z
Der junge Wilmson war in der That
chon längst davongegangen, um die ver
orne, schone Traueigestalt wieder zu sin
!?n, die ihm wichtiger als der König und
!er alte Dessauer geworden zu sein schien.
Er hatte nämlich anfangs unter den
ahlreichen Zuschauern seinen Stand Wei
er aufwärts unfern dem sogenannten
Trötenthor gehabt, wo er sich die Lange
veile des Wartens damit vertrieb, die
rächstumstehenden Personen zu mustern,
n der Hoffnung, einen Bekannten zu
entdecken. Als er dann auch hinter sich
zesehen, erblickte er ein zartes, niedliches
Rädchen, vom Haupte zu den Füßen
rauerhaft in schwarzen Boy gekleidet,
nit einem schwarzen zurückgeschlagnen
Flor über dem Kopfe, die weiße Stirn
jum Theil mit einer dicht anliegenden, ge
zen die Mitte zwischen beiden Augen
braunen zugespitztenSchneppe von schirar
lein Krepp, nach damaliger Trauertracht
dedeckt.
Er trat sogleich seitwärts und verbeug
te sich anmuthig gegen die junge Schön
heit, der er bisher durch seine Stellung
die Aussicht genommen halte. Durch ei
nen beredsamen Blick und ein Deuten sei
ner Hand lud er sie ein, seinen Platz zu
nehmen.
Sie verneigte sich still und ernst, trat
einen kleinen Schritt vor, und er eben so
bald gar hoflich hinter sie. Nun erst
wandte sie das Kopfchen nach ihm um,
sah mit blauen, seelenvollen Augen zu ihm
hin, stammelte eine kleine Entschuldigung
und dankte ihm in einem sanften Lächeln,
wie er es noch nie so wunderfreunvlich in
seinem Leben gesehen zu haben glaubte.
Der junge Mensch wünschte sich im
Herzen Glück, einer so holdseligen Jung
frau den kleinen Dienst geleistet zu haben,
der ihn nichts kostete. Denn er konnte
bequem über sie hinweg sehen. Statt
laber hinweg z» sehen über das Köpfchen,
betrachtete er vo» hinten erst die niedliche
Form desselben ; dann den feinen, hellen,
letwas vorgebogenen Nacken, der durch das
'Finstere des TiaueigeivandeS noch blen
dender war. Die Fülle und der Glanz
des blonden Haupthaar s, in der Vermach
tung des Kreppflores, entging ihm nicht.
Wie gesponnenes, zartes Gold kräuselten
sich einige Löckchen in der Grube des Ncck
kens, und einige längere schmiegten sich
seitwälts um den weich- und schlankge
rundeten Hals hinab. Dann maß sein
Blick ungestört das schöne Verhältniß
der beiden Achseln, die sich mild anschwel
lend vom Halse allmählich abwärts senk
ten; dann den schmalen, etwas einwärts
gebogenen Rücken und den schlanken Leib,
welchen er gern glaubte mit seinen Hän
den umspannen zu können, wenn es er
laubt gewesen wäre.
Er betrachtete diese Umrisse und For
men mit so großer Aufmerksamkiit, daß
er, als Alles liiikö und rechts rief : Hut
ab! Hut ab! zwar den Hut abzog, ohne
aber sich deutlich bewußt zu werden, war
um? Vielmehr, da sich eben das Köpf
chen in dem Augenblck mehr vornrichte,
ward noch ein Zollbreit des schönen Nak
kens sichtbarer, der bisher unter dem Mie
der verborgen gewesen. Seine Augen
waren wie geblendet. Er wußte selbst
nicht, wie ihm bei'm Beschauen dieses
schönen Mädchen - Nackens zu Muthe
ward
„Haben Sie ihn auch recht gesehen?"
fragte die Schöne, indem sie sich zu ihm
umwandte, und mit einem kindlichen Un
schuldslächeln zu ihm emporblickte.
Der junge Wilmson erschrak von Her
zen, und ward feuerroth, denn er glaubte
anfangs, sie rede von ihrem Nacken, und
wollie sein etwas spotten. Aber das all
gemein um ihn laut werdende Getöse er
innerte ihn daran, daß der König schon
vorüber sei. Er ward noch einmal roth,
und Verwirrung zwar in seinen Geberden,
Und Berks, Momgomery und Schnylkill Cannties allgemeiner Anzeiger.
aber das Entzücken noch in seinen Augen,
fragte er: „Wenn Sie nur bequem gese
hen haben !"
„Oh," rief sie, ~es ist nicht das erste
mal, daß ich die ganze königliche Familie
sah. Aber ich danke Ihnen dennoch für
Ihre Gefälligkeit."
Sie wollte sich mit einer Verneigung
von ihm entfernen, als er bemerkte, das
Gedränge und der Ungestüm deS rohen
Volkes werde zu heftig; sie würde seines
Armes und Schutzes für den Augenblick
bedürfen. Er bot ihr den Arm. Leise,
wie eine Feder, legte sie den ihrigen aus
denselben, nachdem sie zuvor ihr weißes
Schnupftuch, worin etwas eingewickelt zu
sein schien, in die rechte Hand genommen
hatte. So gingen beide im wallenden
Menschenstrome eine Zeitlang schweigend
fort. Der junge Wilmfon in stiller Se
ligkeit an der Seite des schönen Mädchens
bildete sich fast ein, der gütige Himmel
habe das ganze Fest ihm zu Ehren veran
staltet. Er drückte den Arm der kleinen
Begleiterin fanft an sich, um ihn nur zu
fühlen.
„Aber," sagte sie, „ich wohne weit von
hier, ohnfern dem Sudenburger Thore.
Ich darf Sie nicht bemühen."
~Fürchten Sie nicht die Mühe, die Sie
mir verursachen, denn ich fühle mich eben
durch die Mühe für die Mühe belohnt.
Doch ehr' ich Ihren Willen, sobald Sie
meine Begleitung ablehnen möchten, und
verlasse Sie. Ich will entbehren lernen.
Man darf nicht immer glücklich sein.
Sie sind's ja auch nicht."
„Nein, gewiß nicht!" flüsterte sie ernst.
Dann wandte sie das kindlich helle Antlitz
zu ihm, und sagte nach einer Weile mit
dem süßen Lächeln, das stets, so oft sie
redete, in ihren Augen schwamm: „Doch
habe ich die Ehre nicht, Sie zu kennen.
Woher wissen Sie von mir und meinen
Verhältnissen, und daß ich nicht glücklich
bin?"
„Wenn mir Ihr Trauerkleid es nicht
verrathen hätte, würde mir'S doch Ihre..."
„Ach, ich trage Leid um meine Mut
ter !" seufzte sie, und mit leiserer, zittern
der Stimme, „um meine gute Mutter!
Den Zchmerz kennen Sie vielleicht nicht."
„Ich werde ihn nie kennen, denn die
Mutter starb mir, ehe ich sie selbst kann
te. Aber mit doppelter Inbrunst liebe
ich dafür meinen Vater. .."
„O, Sie sind glücklich! Schon als
Kind verlor ich den Vater. Ich bin eine
Waise und stehe recht allein unter'm Him
mel."
Der schmerzliche Ton in diesen Worten
drang tief durch fein Herz, und klang in
allen seinen Nerver wieder. Mag immer
hin die Schönheit mit ihrer SiegeSmacht
daS bewundernde Wohlgefallen fesseln,
oder die geheime Kraft der Anmuth ein
Herz vollcrLiebe entzündet; schneller wirkt
der heilige Schmerz des Mitleids und ge
waltiger als jene. Denn er zieht das
wohlwollende Gemüth auch dem zu, waS
an sich nicht, als etwas Gefälliges, das
Urtheil der Augen bestechen kann, und
söhnet sogar mit dem Feinde aus. Der
Jüngling fühlte in diesem Augenblick
sein ganzes Wesen vom süßen Weh des
Mitleids durchschaucrt. Wie gern hätte
er ein tröstendes Wort gewagt; wie gern
eine Frage mehr gethan, um die Lebens-
Verhältnisse seiner liebenswürdigen Be
gleiterin besser durchblicken und eine hel
fende Hand bieten zu können ! Aber sei
ner eilfertigen Gutmüthigkeit widersprach
das Zahrgefühl und die Furcht, durch Zu
dringlichkeit nur Wunden auszureisen.
Indem er noch mit sich selber kämpfte
that das Mädchen neben ihm einen hefti
gen Schrei und ließ seinen Arm jählings
fahren.
„O mein Gott!" rief die Erschrockene
mit Thränen im starrem Auge: „Nun
ist mein Unglück vollendet!" Und sie
warf bei den Worten ihre ängstlichen
Blicke suchend umher und bemühte sich
vergebens, im drängenden Menschenge
wühl still zu stehen.
zu loben und ol?ne Lurcht zu tadeln."
Dienstag den HB. luU, SKMs.
„Was ist Ihnen geschehen?" fragte
der junge Wilmson hastig.
„Es hat mir jemand im Gedränge das
Schnupftuch auS der Hand gerissen, wo
rin ein Pfeifen köpf gewickelt war."
Der Jüngling rief: „Gehen Sie lang
sam vorwärts. Ich finde Sie wieder.
Ich eile dem Diebe nach." Er verließ sie
mit diesen Worten und stürzte sich gegen
die rechte Seite des MenschenzugeS, mit
den Ellenbogen durch die Haufen rührend.
Denn er hatte beim ersten Schrei des
Mädchens dort einen Menschen wahrge
nommen, der durch eine Lücke der wan
dernden V olksreihen mit großer Eile ver
schwunden war, einen zeisiggrünen Rock
trug und an der Hutspange einen glän
zenden Knopf.
Kaum war Wilmson auf der andern
Seite des breiten Weges, wo die Men
schenmassen leichter und durchsichtiger wa
ren, so entdeckte er wirklich den Zeisig in
einiger Entfernung rückwärts, und erkast
te in ihm um so sicherer den Räuber des
Schnupftuches, weil dieser stillstehend das
selbe eben, nebst dem Inhalt, betrachtete;
dann, als er sich umgesehen, Wilmson er
blickte, spornstreichs davon lief und seit
wärts in eine Nebengasse absprang.
Wilmson setzte ihm auf den Fersen
nach, und verfolgte ihn durch die ganze
Länge der Seitengasse. Der Zeisig hat
te einen guten Vorsprung, dennoch blieb
er mit einem Male stehen, wandte sich und
erwartete seinen Verfolger festen Fußes.
~Was wollen Sie von mir? Warum
laufen Sie mir nach?" fragte er keuchend
nach Athem schnappend, als Wilmson her
ankam. Wilmson hatte, sobald er sah,
der Räuber erwarte ihn, langsaniere
Schritte genommen. Denn dieser Mensch
schien nichts weniger, als räuberartiger
Natur zu sein. Es war ein wohl geklei
deter junger Mann, von feinem Ansehen.
Doch trug er das weiße Schnupftuch in
der Hand, welches er während der Flucht
vergebens bemüht gewesen war, in die
seines Kleides zu bringen. Man
sah, das Tuch verhüllte etwas anderes,
als sich selbst.
„Wahrhaftig," sagte Wilmson, „wenn
Ihre Flucht und das Tuch Sie nicht ver
riethen, sollte man in Ihren Kleidern kei
nen Spitzbuben vermuthen." Mit die
sen Worten riß er dem jungen Mann den
Raub gewaltsam aus der Hand.
„Unverschämter Kerl!" schrie dieser
ihn wüthend an, und machte eine Bewe
gung, die erlittene Beschimpfung zu rä
chen. Wilmson aber versetzte eben so
rasch seinem Gegner mit geballter Faust
einen dermaßen kräftigen Schlag inS zor
nige Antlitz, daß dies sogleich von Blut
aus Manl und Nase gefärbt ward, und
der Getroffene seitwärts taumelnd Hal
tung und Gleichgewicht verlor und zur
Erde stürzte.
Ohne sich um den Gezüchtigten ferner
zu bekümmern eilte der Sieger mit seiner
! Beute wieder ans der Nebengasse zum
breiten Wege zurück, wo die Schwärme
der neugierigen Gaffer und Lustwandler
sich schon in die Ferne, an der St. Ea
tharinenkirche vorübergezogen hatten.—
Bald erreichte er sie, und durchkreuzte sie
nach allen Richtungen, um die schöne Ei
genthümerin des widereroberten Tuches
zu erspähen. Während seiner Kreuzzü
ge war er auch gegen den alten Krabb
angerannt, der ihm von der verschwunde
nen Traurigen keine Kunde zu geben
wußte. Er setzte seinen Lauf rastlos fort,
musterte bald von der einen bald von der
andern Seite die sich vorbewegenden Hau
fen, bald durchschnitt er sie in die Quere.
Überall wo er einen Bekannten fand,
fragte er nach den Mädchen in Trauer,
ohne Kunde zu erhalten. So gelangte
er, durch die ganze Länge der Stade, bis
zum Domplatze, wo der König mit seinem
Gefolge vor dem Prinzenhause abstieg.
Seine Angst und Ungeduld wuchs mit je
der verlornen Sekunde. Und hätten alle
Majestäten des Erdballs einen Kongreß
auf dem Magdeburger Domplatze gehal-
ten, er hätte sie so wenig, als einen Kon
greß tanzender Mücken am Sommerabend
betrachtet. Er durchlief den weiten Raum
vor der großen Domtirche, und noch irrer
liefen seine Blicke durch die Tausende der
unter tinand«r wandelnden Gestalten. —
Wie die nächtlichen Wanderer das Irr
licht iin Walde, lockte ihn jeder schwarze
Punkt zu einem andern Wege. Aber der
Punkt verwandelte sich zuletzt immer bald
in einen RathSherrn mit weißgepuderter
Parücke, bald in ein Bauernweib, bald in
einen ehrwürdigen Pastor, bald in die
schwarze Schürze einer Dienst iiagd.
Endlich zerfloß die vom geendeten
Schauspiel gesattgte Menschenmenge, und
der Domplatz war in kurzer Zeit ode. —
Der junge Wilmson machte noch einmal
den ganzen langen Weg vom Sudenbur
ger zum Krötenthor. Keine menschliche
Gestalt, kein Fenster sogar, blieb unbe
achtet von ihm; Die schöne Trauernde
zeigte sich nicht, obwohl er, um ihre Auf
merksamkeit aus irgend einem Hause auf
sich zu ziehen, ihr schneeweißes Tuch als
Wahrzeigen in seiner Hand flattern ließ.
Erst, als er sich müde und hoffnungs
los nach dem väterlichen Hause zurückbe
gab, faltete er daS Tuch auseinander, um
den Inhalt zu betrachten, weniger aus
Neugier, als mit dem Wunsch, eine Spur
zu entdecken, die ihn zu der Eigenthüme
rin leiten könnte. Allein in einem der
Zwickel des feinen Tuch's fand er nur die
Buchstaben E. v. St. eingenäht, die ihm
wenig sagten, und auf dem silbernen Dek
kel eines neuen, ungewöhnlich großen, seht
kostbaren Meerschaumpfeifenkopfs, der in
das Tuch eingeschlagen war, las er die in
einander zierlich verschlungenen Büchsta
ben I. P. v. G.
Seine Verlegenheit wegen dieses frem
den Gutes ward um so großer, weiter am
folgenden Tage Magdeburg auf geraume
Zeit verlassen sollte, um die verwittwete
Schwester seines VaterS nach der Schweiz
zu begleiten, wo sie beträchtliche Güter
am Bodensee hatte. Sie war nur nach
Magdeburg gekommen, ihren Bruder im
Leben noch einmal zu sehen, und hatte ei
nige Monate bei ihm gewohnt, in der
Hoffnung, sie werde ihn bereden, seine
Handlungsgeschäfte aufzugeben und mit
ihr in die Schweiz zu ziehen; denn sie
liebte ihn sehr.
Wie gewohnt, brachte man im Hause
des Herrn Wilmson, bei schönem Som
merwetter, die letzten Stunden deS Tages
in einem Gärtchen am Hause zu, worin
er zwischen den Blumenbeeten eine ge
schmackvolle Lusthütte hatte bauen lassen.
Hierher begab sich Herr Wilmson nach
dem Abendessen mit der Frau von Moos,
seiner Schwester, und seinem Sohn Fritz.
Bisher war nur von der bevorstehenden
! Reise gesprochen worden, und von dem
AbschiedöschmauS des folgenden Tages, zn
welchem Herr Wilmson seine Freunde und
deren Familien eingeladen hatte, in denen
seine Schwester mit Liebe aufgenommen
worden war.
Nun aber trat der alte Invalide Krabb,
wie er Abends pflegte, in daS Gärtchen,
um seine Abendpfeife in freier Luft zu
schmauchen. Er wohnte bei Hrn. Wilm
son, der ihn zu lebenslänglicher Verpfle
gung zu sich genommen haltez dennKrabb
hatte ihm im schwedischen Kriege, nicht
ohne die größte Lebensgefahr, den wich
ngsten Theil seines Vermögens gegen die
Zuchtlosigkeir der Soldaten bei Schwine
münde gerettet, nämlich, große Niederla
gen von fremden Weinen.
Krabb setzte das kurze Pfeifchen vom
Munde ab, lüpfte grüßend die Pelzkappe
und hob dann, mit triumphirenden Tone
an -, „Sie thun mir in der Seele leid,
Frau von Moos! Sie sind meiner Treu
in Magdeburg gewesen, und haben den
glorreichen Konig von Preußen nicht ge
sehen. Ja, Frau von Moos, mir wird,
wie der König so prächtig daher ritt, und
weit umher die ganze Welt vor der Ma
jestät des Einzigen verstummte und sich
beugte, mir ward so grauerlich und wun-
bansende Nummer
drrlich, als käme der Herrgott selber da
her. Gelt, Fiitzchen, gelt, daS war ein
Anblick!"
Der junge Wilmsoii errölhete ctwaS
verlegen, und wußte nicht, waserantwor
teil seilte; denn er konnte doch nicht sa
gen, das; ihn der schöne Nacken eineö
Mädchens vergessen lies,, nach einem Kö
nig zu schaue».
Frau von MooS dagegen, die selten ei
ne Antwort schuldig blieb, erwiederte:
„Laßt'S Euch meinetwillen nicht leid sein.
Krabb. Ich schätze nicht Pracht und
Glanz und Herrlichkeit an den Großen
dieser Erde, sondern nur wenn sie mit ho
her Weisheit strenge Gerechtigkeit und je
de Tugend ausüben."
Krabb stand bei diesen Worten etwas
verblufft, und sagte endlich, so höflich er
konnte: „Ja, daS klingt nun wohl, wie
wahr, aber wahrhaftig ein König ist doch
kein Mensch wie unser eins, sondern. .
„Ein heiliger Engel?" fiel Frau von
Moos ein.
„Nein doch, sondern ich wollte sagen,
ein leibhaftiger und sichtbarer Statthal
ter Gottes auf Erden."
„Das ist Lästerung! Gott ist allge»
genwärtig darum bedarf er nirgends ei
nes Statthalters."
„Aber er ist König von Gottes Gna
den."
„Und Ihr seid eben so gewiß Invalid«
von Gottes Gnaden, der ohne GotteS
Gnaden bei des Königs Gnade verhun
gert sein würde, nachdem Ihr Euch in
seinem Dienst zum Krüppel schießen lie
ßet."
„Nun, wer weiß Frau von Mooö, ob'S
den König nicht reut, daß er mich so lan
ge vergaß. Es ist noch nicht ausgemacht,
ob er seine gnädigen Blicke auf Herrn
Wilmson oder auf meinen Stelzfuß warf.
Lassen Sie sich die Teufelsgeschichte erzäh
len." Und nun erzählte Krabb vom
König, vom kugelfesten alten Dessauer
und vom Kommandanteu.
„Ist S war, Bruder, was der Alte da
erzählt?" fragte die Frau von MooS
mit ängstlicher Stimme.
„Vollkommen !" erwiederte Hr.Wilm
son. „Doch macht Krabb deS Wesenö
zuviel daraus. Ich bin überzeugt, wir
beschäftigen die Aufmerksamkeit dieses
Monaichen sehr flüchtig. Die Sache ist
ohne Bedeutung.
„Gebe eö der .Ammel!" rief die Frau
von Moos: „Aber ohne Liebe für stren
ge Gerechtigkeit und Wahrheit und Tu
gend ist schon jede Bewegung des Mäch
tigen, der über Wohl und Wehe von Mil
lionen entscheidet, bedeutsam; nicht selten
ist schon manches unschuldige Leben, Ei
genthum und Ehre geopfert worden, wie
ich selbst die schmerzlichste Erfahrung ma
chen mußte; o, nur der Gedanke und die
Erinnerung daran, erfüllt mich mit Ent
setzen."
„Münichen," sagte der junge Wilm
son, „Sie Urtheilen etwas zu strenge.—
Die Könige unserer Zeit sind keine Bar
barer, wie vor Alters. Sie sind Chri
sten, und gebildet geung, um ihre Zufrie
denheit im Glück ihrer Unterthanen, wie
Bäter im Glück ihrer Kinder zu finden:
Frau von Moos lächelte schmerzlich:
„Könige sind sie. Ich habe die traurige
Erfahrung, die blutige, gemacht! Ein
Wink, und mein schuldloser Gatte ward
hingeopfert! Väter wollten, könnten sie
sein! Aber ein Vater hat über sich daS
Gesetz GotteS, die bürgerliche Obrigkeit,
und mehr als Alles : ihn binden die Ban
de der Natur an seine Kinder.... Fritz,
m dem Jahre, da Du geboren wurdest,
. ließ ein König meinen unglücklichen Mann
ergreifen, fortschleppen und im Kerker
sterben, oder hinrichten. Und mein Mann
war schuldlos. Der König selbst verhör
te ihn, der König in Person vetdammt«?
ihn, und doch war Dein Oheim unschul
dig. ES war eine bloße Uebereilung, eine
bloße Verwechselung der Namen und Per
sonen, die daS Unglück brachte. Man
erfuhr den Irrthum zu spät, und de«