Der liberale beobachter und Berks, Montgomery und Schuylkill Caunties allgemeine anzeiger. ([Reading, Pa.) 1839-1864, February 04, 1845, Image 1

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    Der Liberale Beobachter
Und Berkel/ Momgomery und Schuylkill Caunties allgemeiner Anzeiger.^
N e Äin g, Gedrückt und berausgeqeden von ArnoldPu w e ll e, in der Süd 6ren Strasse, Ecke der Cherrn Alien. Behm' 0 Wu lbsdmls-Dof
Jahrgang 6, gaine 283.
Bedingungen. Der zz.lbcrklle Drobütlüer erscheint jeden Dienstag auf einem grossen Superial-Bogen mit schonen Lettern gedruckt. Der ist Ei n Thaler des Zahrs, welcher in halbjähriger Vor«
erbeten wird. Wer im Laufe des lalires niebt bezahlt, werden Kl angereebnet. Für kürzere Zeit als K Monar wird kein Unterschreiber angenommen, und etwaige Aufkündigungen werden nur dann angenommen,
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Die Hülfe in der Noth.
Die Frauvon Linden, eine gute reiche
Wittwe, lebte seit dem Tode ihres Ge
mahls auf ihrem Schlosse in ländlicher
Stille, und ward wegen ihres Verstandes,
ihrer ungeheuchelten Frömmigkeit und ih
rer Wohlthätigkeit gegen die Armen von
der ganzen Nachbarschaft allgemein ver
ehrt und geliebt.
Einst mußte sie wegen wichtiger Angc"
legenheiten sich in die Hauptstadt begeben,
und brachte dort ein paar Wochen sehr be
schäftigt zu. Am Tage vor ihrer Rück'
reise wollte sie gegen Abend noch einen
Spaziergang um die Staot machen. Es
war Sonntag und nach langem Regen ein
unvergleichlich schöner Frühlingstag. Die
Einwohner der Stadt strömten, festlich
gekleidet, und frohen Sinnes, den Thoren
zu, den herrlichen Abend im Freien zu ge
nießen. Frau von Linden war bereits
auf dem Wege zum Thore, »a kam es ihr
auf einmal in den Sinn, die Hauptkirche
der Stadt, an der sie eben vorbeigieng,
noch einmal zu besehen. Zu dieser Stun
de dachte sie, würde sie dieses Wunder alter
Baukunst am bequemsten betrachten kön
nen, ohne Jemand in seiner Andacht zn
stören, oder von Jemanden in ihren Be
trachtungen gehört zu werden.
Mit frommer Ehrfurcht trat sie durch
die Hauptpforte in den ehrwürdigen Tem
pel. Das hohe erhabene Gewölbe, die
langen Reihen prächtiger Säulen, der
Hochaltar in der tiefen Entfernung des
Chors, die Dämmerung und Stille an
diesem gottgeweihten Orte, das Majestät
voll? deö ganzen BaueS erfüllte sie mit
Verwunderung, und in ihrem Herzen reg
ten sich die Gefühle der Anbetung und lei
se Ahnungen von der Nähe des Unendli
chen. Sie kniete sogleich in dem nächsten
Stuhl nieder, und blieb da einige Zeit in
sich versunken und still anbetend knien.
Hierauf gieng sie in dem Hauptgange
deS Tempels langsam vorwärts, stand öf
ters betrachtend still, und sprach endlich bei
sich selbst: „Welch ein Denkmal von dem
tiefen Gefühle der Ehrfurcht und Anbe
tung, das die Vorwelt gegen Gott hatte,
ist dieser Bau ! Wie mächtig und stark
muß dieses Gefühl sein, wie tief in dem
menschlichen Herzen gegründet, daß es et
was so Großes und Herrliches zu Stande
bringen konnte! Wie viele Menschen muß
ten sich vereinigen, welche Anstrengung,
welcher Aufwand, welche Ausdauer wur
de erfordert, bis—wie die Geschichte sagt,
erst nach einem Jahrhundert—dieser Tem
pel endlich da stand und die Menschen hier
ihren Schöpfer gemeinschaftlich anbeten
konnten!"
Sie besah hierauf die einzelnen Merk
Würdigkeiten, besuchte die Nebenaltäre u.
Seitenkapellen des großen, herrlichen Tem
pels, betrachtete die alten, vortrefflichen
Gemälde, voll Kraft und Ausdruck, und
las die Inschriften an den uralten Grab
steinen, die in ungewohnten Buchstaben
von denkwürdigen Männern und tugend
haften Frauen Nachricht gaben, die vor
Jahrhunderten gelebt hatten. Nirgend er
blickte sie einen Menschen; beständiges
Schweigen herrschte unter den hohen Ge
wölben. Sie vernahm nichts, als ihren
Fußtritt, und nur, wie aus weiter Ferne
her, tönte das Getümmel draußen auf den
Straßen.
Die Schauder der Vergänglichkeit beb
ten durch ihre Seele, da sie so, als die ein
zige Lebende, über dem Staube verstorbe
ner Menschengeschlechter, und unter To
desdenkmalen wandelte. Mancher from
me Spruch auf den Grabsteinen gieng ihr
sehr zu Herzen ; einer derselben aber mach
te einen besondern tiefen Eindruck auf sie.
Es waren jene schöne Worte aus der hei
ligen Schrift: „Selig sind die Todten, die
im Herrn sterben. Denn der Geist spricht:
Sie ruhen jetzt von ihren Mühseligkeiten
aus, und ihre Werke folgen ihnen nach."
Als sie abermal in eine der Seitenkapel-
len trat, da erblickte sie ein kleines, ganz
schwarz gekleidetes Mädchen von etwa
acht Jal)reii' das ganz allein auf der Stu
fe des Altares kniete. Das Kind betete
mit festgefalteten Händen so andächtig,
und blickte so unverwandt zu dem Altare
auf, daß es gar nicht darauf achtete, wer
da vorbei gebe. Die bellen Thränen tröp
selten iI)M über die blüheiwrothen Wan
g-n. Das schöne, un schuldvolle Gesicht
des Kindes hatte einen Ausdruck von Weh
muth und Ergebung, von Andacht und
Innigkeit, der über alle Beschreibung
gieng.
Die Frau von Linden empfand das in
nigste Mitleiden, das herzlichste Wohlwol
len, sa selbst eine Art von Ehrfurcht ge
gen das betende Kind. Sie wollte es in
seiner Andacht nicht stören. Erst als es
von dem Gebete aufstand, näheite sie sich
dem Ku.de, und sprach mit sanfter Srim
me: „Du bist sehr traurig, liebe Kleine!
Was fehlet Dir, u. warum weinest Du ?"
„Ach. sagte das Kind, und die Thränen
stoßen ihm aus'ü Neue über die Wangen,
vor einem Zahre, an eben diesem Tage, ist
mein Vater gestorben, und heute vor acht
Tagen haben sie weine Mutter begraben !"
„Um was hast du den lieben Gott denn
so herzlich gebeten,"fragte die Frau wei
ter.
„Daß er sich meiner erbarme, antwor
tete das Kind. Ich habe keine Zuflucht,
als zu ihm. Zwar bin ich noch bei den
Leuten, in deren Hause wir zur Miethe
wohnten. Allein bleiben kann ich da nicht,
morgen soll ich weiter; das hat mir der
Hausherr erst heute wieder gesagt. Ich
habe in der Stadt wohl noch einige Ver
wandte, und wünschte wohl recht herzlich,
daß Einer oder der Andere sich meiner er
barmen, und mich annehmen möchte. Der
Herr Pfarrer an dieser Kirche, der meine
selige Mutter während ihrer Krankheit
öfters besucht' und ihr unbeschreiblich viel
Gutes gethan hat. sagte es ihnen auch sehr
nachdrücklich, es sei ihre Pflicht, mich an
zunehmen. Allein sie können nicht einig
werce», wer die Last übernehmen soll, mich
zu erziehen. Ich kann ihnen das auch nicht
übel nehmen, denn sie haben selbst auch
Kinder, und nichts dazu, als was sie mit
ihrer Handarbeit täglich verdienen."
„Armes Kind ! sprach die Frau von
Linden, da ist es kein Wunder, daß Du
traurig bist."
„Freilich wohl, sagte das Kind, ich kam
auch recht traurig hieher; aber der liebe
Gott hat mir auf einmal alle Traurigkeit
vom Herzen hinweggenommen ; ich bin nun
ganz getrost, und habe keine Sorge mehr,
als nur immer nach seinem Willen zu le
ben, damit er Wohlgefallen an mir haben
könne."
Die Worte des schuldlosen Kindes, und
die ihm aus seinen roth geweinten Augen
blickte, drangen der edlen Frau durch das
Herz. Sie blickte das Kind so freundlich,
wie eine zärtliche Mutter, an, und sagte:
„Ich denke, Gott hat Dein Gebet erhört,
meine liebe Kleine! Bleibe auf Deinem
Vorsatze, und sei getrost. Dir soll gehol
fen werden. Komm mit mir!"
Die gute Kleine sah die fremde Frau
verwundert an, und blieb unentschlossen
stehen. „Je, wohin denn ?—sagte sie—
ich darf nicht, ich muß nach Hause."
Die Frau von Linden sprach : „Ich ken
ne den würdigen Herrn Pfarrer, der wie
Du sagst, Deiner kranken Mutter so viel
Gutes erwiesen hat, sehr wohl. Zu ihm
wollen wir gehen. Mit ihm will ich ü'
berlegen, wie dir zu helfen sei."
Nachdem sie dieses gesagt hatte, bot sie
dem Kinde liebreich die Hand, und daß
Kind gieng nun voll Freuden mit ihr.
Der vortreffliche Pfarrer, ein etwas be
tagter Mann, von einem so ehrwürdigen
Ansehen, fast wie ein Apostel, stand mit
frohem Erstaunen von seinem Schreib
tische auf, als er die Frau mit dem Kinde
an der Hand hereintreten sah. Frau von
Linden erzählte ihm. wie sie das Kind eben
"'lVillig zu loben und ohne Furcht zu tadeln."
Dienstag öe« 4. ,845.
jetzt erst kennen lernte, und heißt das Kind
ein wenig hinausgehen, weil sie mit dem
Herrn Pfarrer noch besonders zu reden
hätte.
..Lieber Herr Pfarrer! sprach sie nun
als das Kind hinaus war, ich habe im
Sinne, dieses Mädchen zu mir zu nehmen,
und Mutterstelle an ihm zu vertreten.
Meine eigenen Kinder starben alle in ih
rem zarten Alter. Mein Herz sagt mir,
daß ich die Liebe, die ich zu ihnen hatte,
diesem Kinde zuwenden könnte. Doch
wünschte ich zuvor noch zu erfahren, ob
Sie, der Sie sowohl die Eltern, als das
Kind genauer kennen, mir dazu rathen.
Was sagen nun Sie dazu ? Ich möchte
mein kurzes, schnell vorübergehendes Da
sein auf Erden gern mit einer oder der
andern wohlthätigen Handlung bezeichnen.
Glauben Sie, daß die Wohlthat, die ich
diesem Kinde erweisen möchte, gut ange
wandt wäre?"
Der fromme Mann erhob seine Augen,
in denen Freudenthränen glänzten u. sei
ne gefalteten Hände anbetend zum Him
mel, und sprach : „Gottes heilige Vorsicht
sei ewig gepriesen! Ein größeres Werk
der Barmherzigkeit können Sie nicht leicht
thun —und ein frömmeres, sittsameres u.
verständigeres Kuid können Sie auch nicht
leicht finden, als die kleine Sophie. Ihre
beiden Eltern waren die rechtschaffensten
Leute von der Welt; wahrhaftig fromm
und christlich. Sie gaben diesem ihren
einzigen Kinde eine sehr gute Erziehung
Schade, daß sie dieselbe nicht vollenden
konnten !—O ich werde es nie vergessen
mit welchem Kummer die sterbende Mut
ter auf dieses ihr innig geliebtes Kind hin
blickte, das weinend und schluchzend unten
an ihrem Sterbebette stand— mit welchem
vertrauensvollen Blicke sie aber auch zum
Himmel aufsah, und die Worte sprach
„Du, Vater im Himmel, wirst anch hier
Vater sein. Du wirst dieser meiner Toch
ter eine andere Mutter geben. Das weiß
ich gewiß, und sterbe getrost." Diese Wor
te der frommen Mutter werden erfüllt
und es ist augenscheinlich, daß Gott, der
Allmächtige, Sie verehiungswerthe gnä
dige Frau, dazu auserkoren hat, die zwei
te Mutter dieses Kindes zu werden. Deß
wegen mußten Sie in die Hauptstadt kom
men deßwegen gab Gott eS Ihnen in den
Sinn vor Ihrer Abreise noch seinen Tem
pel zu besuchen. Es ist offenbar sein
Werk. Seine heilige Vorsehung sei dank
bar gepriesen !"
Der würdige Pfarrer rief nun die arme
Waise herein, und sprach: „Sieh, So
phie, diese fromme, gute, verehrungswür
dige Frau will Deine Mutter sein. Es
ist dieses für Dich ein sehr großes Glück,
das der liebe Gott Dir beschert. Willst
Du nun mit ihr gehen, und ihr eine gute
Tochter werden ?"
Sophie sagte freudig : „Ja !" und sieng
an vor Freude zu weinen. Sie konnte
vor Weinen nicht weiter reden. Sie dank
te der gnädigen Frau bloß mit Blicken, u.
küßte ihr stillschweigend die Hand.
Sieh, mein Kind, fuhr der Pfarrer fort,
wie Gott für Dich sorgt! Da Deine seli»
ge Mutter auf dem Sterbebette lag. hatte
er diese Deine zweite Mutter, ohne daß
wir etwas davon wußten, schon hierher
geführt, und er ließ sie nicht von hier ab
reisen, bevor sie Dich gefunden und zu ih
rer Tochter angenommen hatte. Erkenne
darin seine liebevolle Batersorgfalt! Liebe
Ihn von ganzem Herzen, den lieben, gu
ten, barmherzigen Gott, der sich Deiner so
sichtbar annimmt; vertrau' auf Ihn, und
halte seine Gebote. Sei gegen die gnä
dige Frau, diese Deine neue Mutter, die
Dir Gott gegeben hat, ein so gutes und
folgsames Kind, wie Du es gegen Deine
verstorbene Mutter wcust. Dann wird
die gnädige Frau Freude an Dir erleben,
und es wird Dir wohl gehen! Merke Dir
noch dieses besonders : Es werden Dir in
Deinem künftigen Leben zwar Leiden und
Trübsale nicht ganz ausbleiben ; allein be
te dann mit einem eben so kindlichen Ver
trauen zu Ihm, wie Du eben jetzt in un
serer Pfarrkirche gebetet hast, so wird er
allezeit Dein treuer Helfer sein, wie er
Dir eben jetzt geholfen hat."
Nun wurden noch die Verwandten des
Kindes gerufen. Sie machten nicht die
geringste Einwendung dagegen, daß die
gnädige Frau die arme Waise annehmen
wollte Sie freuten sich vielmehr darüber,
und waren mit allem sehr zufrieden. Ei
ne noch größere Freude und Zufriedenheit
zeigten sie aber, als die Fran von Linden
erklärte, sie wollte das Mädchen so an
nehmen, wie es stehe und gehe, und die
kleine Hinterlassenschaft der Verstorbenen
nebst Sophiens übrigen Kleidern ihnen u.
ihren Kindern überlassen. Sophie wünsch
te sich nur noch einige Andachtsbücher ih
rer Mutter als ein frommes Andenken,
die man ihr dann auch gern überließ.
Am folgenden Morgen sehr frühe nahm
die Frau von Linden Sophie zu sich in
den Reisewagen, und fuhr mit ihr znrück
auf ihr Schloß.
Frau von Linden war auf ihrem Schlos
se sehr spät in der Nacht mit Sophien an
gekommen. Sie aß noch einiges Wenige
zu Nacht, ließ Sophien neben sich sitzen,
und legte ihr von Allem reichlich vor.
Hierauf führte'sie das Kind auf ein klei
nes, artiges Zimmer. „Dieß, sagte sie,
ist von nun an dein Schlafzimmer. So —
gute Nacht, schlaf' wohl, und vergiß nicht
das Licht auszulöschen !" Sophie war ü
ber die Freundlichkeit der Frau, und noch
mehr über die Güte Gottes, der so väter
lich für sie gesorgt hatte, ganz entzückt.
Mit Thränen des Dankes in den Augen,
und mit gefalteten Händen schlief sie ein.
Als sie Morgens erwachte, fand sie
neue Ursache, sich zu freuen und Gott zu
dank«. In der Stadt hatte sie in einer
finstern Straße eine sehr enge, traurige
Wohnung gehabt; in ihr dunkles Schlaf
kämmerlein hatte das ganze Jahr weder
Sonne noch Mond hieneingeschienen. Al
lein hier in dem Schlosse, schien ihr so
gleich die aufgehende Sonne in das Fen
ster, und weckte sie. Sophie stand sogleich
auf, trat an das Fenster, und blickte nun
recht in den vollen Frühling hinaus. Der
Gemüsegarten unten am Schlosse prangte
mit grünen Kräutern, und farbigen Blu
men aller Art. Seitwärts den Hügel
hinauf zog sich der Baumgarten, der von
reichlichen Blüthen fast ganz weiß u. roth
war. Zur andern Seite hatte man eine
schöne Aussicht über artige Dörfer, und
blumige Wiesen, die von waldigen Ber
gen begränzr wurden. Sophie sank auf
die Knie, und dankte Gott vom Neuem,
daß er sie an einen so freundlichen Ort zu
einer noch freundlicheren Frau geführt
habe.
Frau von Linden bezeigte sich gegen
Sophie als eine wahrhaft liebevolle Mut
ter ; aber auch Sophie hieng mit der kind
lichsten Liebe an ihr, und that alles, was
sie ihr nur an den Augen ansehen konnte,
mit Freuden. Gar oft, ehe die Frau noch
ein Wort sagte, war Sophie schon auf
dem Wege, dieses oder jenes herbei zu
bringen. Sie war so fromm, so willig,
so aufrichtig, so bescheiden, daß die Frau
das Kind mit jedem Tage lieber gewann.
Fortsetzung folgt.)
Der Berg Tabor.
Diese gefeierte Höhe steigt 3000 Fuß
hoch aus der Ebene von Esdraelon in der
Landschaft Galiläa als ein isolirter Kalk
steinfelsen empor, welcher die Form eines
Zuckerhutes mit abgebrochener Spitze hat.
Wälder von Eichen und wilden Pistazien
bekleiden seinen Fuß; die steilen Wände
aufwärts sind kahles Gestein, hie und da
mit niedrigem Gesträuch bewachsen. Den
Gipfel macht ein Plateau aus, etwa vom
Umfange einer halben Stunde; er ist mit
dem schönsten, blumenreichen Matten über
zogen, und Ueberreste von Klöstern, Ka
pellen und Einsiedeleien liegen zerstreut
umher. Ehe das Land unter türkischer
HDcmfenbe Kummer 23.
Herrschaft stand, sollen auf dieser Höhe
über !28t>0 Ordensgeistliche gewohnt ha
ben. Noch sieht man viele Cvsterneu und
die Spuren von mehr als zwanzig in die
Felsen gegrabener Brunnen ; aber keine
Menschenseele ist mehr zu finden. Wo
sonst reliöse Gesänge erschallten, und täg
lich Prozessionen den heiligen Orten zuzo
gen, da weiden nun wilde Ziegen und men:
schenscheue Antilopen.
Die Aussicht von dem Gipfel ist bezau
bernd und die schönste in ganz Palästina.
Ringsum übersieht man das klassische Land
des Urchriftenthums, — jene stille, heilige
Gegend, wo der Heiland des Menschenge
schlechts am Häufigsten und Liebsten wan«
delte, und, zurückgezogen von dem Tumul
te der Welt, über seine große Sendung
nachdachte.
In Süden und Westen dehnt sich die
breite Ebene von C'Sdraelon oder JeSrsel
aus, fruchtbar aber verödet und an hi
storischen Erinnerungen reich. Hier sieg
te Gideon gegen die Philister; hier unter
lag nach furchtbarer Schlacht (unter Kö
nig Äosias, der in derselben Schlacht siel,)
Juoa den Egyptern; hier stritt mit den
römischen Legionen Vespasian s das em
pörte Israel; hier schlug Saladin der
I Große daS Kreuzfahrerheer auf's Haupt,
! und auf derselben Stelle, 6(10 Jahre spä
! ter, besiegte Bonaparte mit etwa 3l)00
! Franzosen L.'iWO Türken, die Elite des
! Halbmondes. Graue Ruinen, auf der
grünen Ebene zerstreut, oder armselige
Dörfer bezeichnen jene Orte, wo früher
berühmte Städte: Rappoth, Jebulloth,
Megiddon, Ramoth, Jesrael, Janoah ?c.
prangten. Den Raum zwischen dieser wei
ten Fläche und dem Tabor füllt eine Grup
pe malerisch geformter und bewaldeter
Hügel aus, zwischen denen sich tiefe, ab
geschiedene Thäler mit üppigem Pflanzen
wuchse hinziehen, der höchsten Kultur fä
hig, aber fast ohne Bewohner. Mitten in
dieser reizenden Wüste liegt Nazareth, von
einem Bergkessel umgeben, dessen Höhen
man deutlich unterscheidet. Nach Osten
hin streckt sich die galiläische Ebene,
!eine Fortsetzung der von Jesrael, aus.
I Viele Dörfer und Flecken auf derselben
deuten auf eine reichere Bevölkerung und
! Kultur hin. Nain mit seinen weißen Mau
ern, durch das vom Heilande daselbst ver
richtete Wunder berühmt, ist wohl zu er
kennen. Am Horizonte wallen die blauen
Berge von Gilbao, an deren Fuße einst
Saul mit seinem Heere erschlagen wurde.
Weiter nach Norden blickt die glänzende
Wasserfläche des See's Tiberias (Geneza
reth) hinter niedrigen Hügeln hervor, und
in derselben Richtung sieht man auf einer
Höhe das Dorf Saphet, das alte Bethu
lia, wo Christus dem Volke predigte. Ge
gen Abend aber schweift der Blick über
Berg und Thal, Wälder und Gauen dem
Weltmeere zu, und da, wo die Höhen sich
senken, schimmern bei reinem Himmel und
untergehender Sonne die Wogen golden
herüber. Den Schluß dieses herrlichen
Panorama s bildet die beschneite Kette des
Libanons, dessen Berghörner von seltsa
mer und grandiöser Gestalt in weitem
Halbkreise den nördlichen Horizont um
säumen.
Der Tabor wird nur selten von Reisen
den besucht. Das Verklärungsfest Chri
sti allein führt jährlich eine mäßigeSchaar
frommer Pilger, unter Anführung einiger
Ordensgeistlichen, auf seinen Gipfel. Ue
ber der Stelle, wo der Heiland zum Letz
tenmale seinen Jüngern sichtbarwar.wölb
te sich früher ein prächtiger Tempel. Aber
auch dieser ist längst zerstört bis auf die
Crypta, eine unterirdische Felsenkapelle,-
und hierher wallfahrten die Gläubigen, um
vor einem, in Stein gehauenen Bilde deö
verklärt gen Himmel schwebenden Erlö
sers ihre Gebete zu verrichten. (Relig.-Fr.
Todesurtheil.— Der Scheriff von Wy
oming Caunty, Pa. hat die Todes-War
rant für Francis BaSler erhalten, welcher
im Tunkhannock Gefängnisse sitzt. Cr
soll den 28. März gehängt werden.