Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, July 25, 1918, Image 2

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    ff Demütigt Liebe
s « Bon Leoni« Menerhof-Hildcck.
rig nun mochte es wohl
dunkel fein draußen im'der Welt.
Aber in den der
Großstadt wuM es nun erst recht
hell. Die grünlichen Glühlichter der
Laternen die Feuchtig
d«/Luft und machten sie in ei
sanften Blaugrau ficht-
Aus den blendend erleuchteten
der großen Geschäfts
brachen breit« Ströme Lichts
hervor, die fächerförmig auseinander
fiossen und sich miteinander vermisch
ten. Aus dem nassen Pflaster flim
merte und glitzerte es; die Silhouet
ten und Schatten unzähliger Passan
ten, die gestreckten Vierecke der Tram
bohnen durchschnitten und verdunkel
ten jeden Augenblick die Lichtseen un
ter den Laternen und Fenstern.
Alles machte Weihnachtseinkäuse.
Trotz des trübseligen Wetters sprüh
te Fröhlichkeit und die hastigen Ge
stalten, die sich aneinander vorüber
prängten; man lachte, wenn man an
einanderstieß oder zwei Schirme sich
ineinander verfingen. Die junge
Frau, die mit hochgeschürztem Kleid
«-artend an einer der Haltestellen der
Straßenbahn stand, blickte lächelnd
unter dem Eindruck von etwas wun
dervoll Lustigem in das Gewoge und
hob jede Minute ihren Schirm mit
' gestrecktem Arm empor, um einem
Vortibereilenden Platz zu schaffen. —
Mötzlich fuhr sie zurück, und ihr
Schirm geriet ins Schwanke». Ein
zierlicher Herr, nicht groß, knickte
Ächt vor ihr seinen Regenschirm zu
smnmen und fchlüpfts geschmeidig mit
unter den ihren. Sie war sehr er
schrocken; und als sie den Zudringli
chen erkannte, erschrak sie ein zweite?
Mal, ohne jedoch den Entschluß zur
Flucht fassen zu können.
„Guten Abend, Herma", sagte er;
und genau zu gleicher Zeit stieß sie
mit abwehrendem Ton hervor: „Ernst
. ich habe dich ein für allemal ge
lbeten —"
- „Ich möchte dir nur gratulieren,"
fuhr er fort, ihr eilig das Wort ab
schneidend. „Zweimal. Also ver
lobt, Herma, wirklich! Und gerade
mit Arnold . . . Nun, davon ein an
dermal oder auch gar nicht, wie du
willst. . . Also vor allem meinen
Glückwunsch zu deinem Gedichtband.
. . Was sagt denn er dazu zu
allen den Liebesgedichten aus un
serer Zeit?"
Unruhig versuchte sie, einen Zwi
schenraum zwischen ihm und sich her
zustellen. aber er rückte nach. Sie
itonnte ihn doch nicht geradezu dem
Regen aussetze». . . Uebrigens war
es auch gleich. Seme Nähe wirkte
durchaus nicht mehr auf sie. Abso
lut nicht. Sie richtete sich so hoch
«uf, wie sie tonnte, und ruhig und
freundlich, so daß sie stolz auf sich
tvar, sagte sie: „Die meisten Gedichte
kannte mein Verlobter ja schon von
früher. Du wirst doch nicht glau
ben, Ernst, daß ich Geheimnisse vor
ihm habe, oder daß er sich nicht klar
bewußt war, was er tat, als er
lobte "
„Ja nun also und du
bist glücklich?" fragte er plötzlich
und blickte ihr ganz nah ins Gesicht,
das aber durch den befeuchteten Chif
fonschleier hindurch in der unsicheren
Beleuchtung nicht klar zu erlennen
Mit etwas zu starker Betonung. „Und
du —?" Es war das erstemal, daß
sie fragte, daß sie die Existenz jener
Frau, um derentwillen Ernst sie da
mals verlassen hatte, offiziell aner
kannte. „Du mußt jetzt anderthalb
Jahre verheiratet sein."
„Wie genau du das weißt!" Er
verwünschte den Schleier, dessen dich
tes, glänzendes Gewebe in dem Licht
jeder vorüberrollenden Droschke fest
und blank wurde wie ein Verschlosse
oes Visier. Dann seufzte er wie in
Ungeduld: „Ach, glücklich. . .! Das ar
me Frauchen ist ja ewig leidend.
Wenn sie dabei wenigstens den Haus
balt nicht so schwer nähme! Die
Frau vor der Ehe ist mit der Frau in
der Ehe überhaupt nicht verwandt. . .
Wer mir das gesagt hätte, daß um
jeden verbrochenen Teller tagelang. . .
Na Ist das nicht nett von mir,
daß ich dir solch einen Triumph be
reite, Herma?" Mit einer Selbstiro
nie, die trotz eines schneidenden
Schmerzes ein klein wenig kokett
wirkte, versuchte er aufs neue, durch
»en Ächleier hindurch ihre Augen zu
Das Herz war ihr auf einmal
> schwer vor Mitleid; Besorgnis Ivar
X in ihrer Stimme, als sie ihm zurede
te: „Das solltest du nicht sagen,
Ernst." Fast hätte sie „Erni" gesagt,
wie einst. „Es war das Beste so,
sicher. Und dann wirklich du
solltest mich nicht immer auf der
Straße anreden." Ihr Ton war tief
und gütig. tut uns es tut
dir nicht zut, glaub ich "
Er lMe das halb verschluckte
doch aufgefangen, und feint
Milien wurden Heller. „Doch, Her- l
v?a. gerade. Ich möchte di» Ziel er«
zählen. Wir sind doch keine konven
tionellen Spießbürger daß wir uns
nicht sprechen dürsten, weil wir ein
mal miteinander verheiratet wa
ren. Ich will mir auch deinen Ge
dichtband holen darüber sprechen
wir uns dann bald ja?"
„Meinetwegen gelegentlich,"
warf sie hin. „Wühle aber nicht so
in den alten Erinnerungen!" sagte
sie plötzlich wie in Angst um ihn.
Er sah so elend aus, daß es sie quäl
te. Und um nicht bei dem Allzupein
lichen zu verweilen, erzählte sie ihm.
daß vor einer Stunde die ersten
Exemplare angelangt seien, daß sie
sofort ihrem Verlobten eins habe in
die Redaktion bringen wollen, ihn
aber nicht angetroffen habe. „Die
er inzwischen an einem Schreib
tisch und liest in einem andern Ex
emplar —"
Sie wollte eine Verdrießlichkeit
vortäuschen; aber sie war zerstreut,
denn sie sah, daß Ernst litt. Wie
sie ihn doch so gut kannte besser
als irgendeinen Menschen auf der
Welt. Jetzt, da sie sah, daß er nicht
mehr gram sein. Sie wußte nicht
mehr, daß sie einst in ihrem verzweif
lungsvollen Schmerz um seine Un
treue ihm dies und noch weit mehr
Leid gewünscht; jetzt war nur der
glühende Wunsch in ihr, er möge wie-
Trambahn kam und sie sich hiniuf
schwang, noch ehe der Wagen hielt.
Sie fühlte, daß er ihr nachblickte,
und daß sie in der flinken Bewegung
ihres elastischen Körpers schön gewe
sen war; er hatte wohl einen schwer
mütigen Vergleich gezogen zwischen
ihr und der kleinen Alltagsfrau, die
mit ihren Klagen über Dienstbcten
auf ihn wartete. . .
genüber, wo die von obenher bestrahl
ten gleichgültigen Köpfe der Mitfah
renden sich matt spiegelten. Weit
fort war sie in der seligen und peini
genden Vergangenheit. . . Bis sie sich
plötzlich wieder in dem Neuen, dem
Wie mochte er sich nun zu ihrem
Gedichtband stellen er, der Kriti
ker von bedeutendem Ansehen? Stren
die Leidenschaft für Ernst, das Glück,
kannte einzelne von ihnen, einzelne
auch aus jener Glücks- und Leidens
zeit mit Ernst. Gerade diese hatte sie
ihm damals vorgelesen, da er, der
Kritiker, sich ihr, der Schriftstellerin,
genähert hatte. . . Nun freute es sie.
Er hatte ihr nichts vorzuwerfen von
Verheimlichung. . .
Und wie Ernst die neuen Ge
dichte auffassen würde? Wieoer
kam jene Traumstimmung über sie...
Gewaltsam riß sie sich heraus; fast
hätte sie die Zeit zum Aussteigen ver
säumt.
An ihrer Vvrplatztür kam ihr
das Mädchen entgegen: „Gnäd' Frau,
der Herr Doktor sind schon seit einer
Sie brachte eine ganze Nebelwolke
i".i' a'- sie ins Zimmer hinein» ir
belte. Wie sie ihn sich vorgestellt, so
saß Arnold an dem von der Lampe
beleuchteten Schreibtisch; erst da sie
eintrat, erhob er sich, langsamer als
sonst.
„Guten Abend, Hermine", sagte er
mit schwerem Ton.
„Noch nicht küssen, Schatz erst
den nassen Schleier forttun!" rief si
atemlos. Im Lampenlicht glitzerte
sie über und über von den Glasperl
chen des Nebelregens: ihr aufgebäum
tes dunkelblondes Haar war wie mit
Diamantstaub gepudert. Während
sie Hut und Jacke ablegte, strahlte
sie ihn mit ihren mächtigen, stahlfar
benen Augen unverwandt an. Er
ihren betulichen Blick versinlend,
fragte er: .Willst du mich verzau
bern?"
reichte es ihm dann zum Kuß. In
feiner Zärtlichkeit war leidenschaft
liche Hast; es gelang ihr nicht sobald,
mit der großen Nase und dem dünnew
zerwühlten Bart schienen sich neue
Falten gebildet zu haben.
„Was ist denn los, Schatz?" fragte
sie rasch. „Ich will doch, daß du
vergnügt bist und schrecklich stolz auf
sie ihm von ihrer verfehlten Fahrt
nach der Redaktion. Ihr Buch aus
wickelnd, schlug sie es auf und wies
mung. Er las und küßte stumm ihr
Schläfenhaar. Und anstatt in ihr
Entzücken über die künstlerische Aus
„Du bist aber gar nicht lieb!" un
terbrach sie sich plötzlich und klappte
das Buch zu. „Nun, wenn es dich
gen, er könne sie verlieren. Und doch
hatte er sich noch nie zu gestehen ge
wagt, daß er ihrer nicht sicher sei.
Wie wollte er sie halten?
In dieser Befangenheit sagte er
fast trocken: „Die Gedichte sind gut,
besser noch als meine Romane. Sie
werden viel gekauft werden wenn
auch zuvörderst mehr, weil die Leute
nisse"
habe," unterbrach sie ihn nachdrück
lich. Sie stand an den Schreibtisch
gelehnt, die Hände noch rückwärts ge
gen die Platte gestützt. „Wenn du
mir weiter nichts zu sagen hast als
das —! Wenn du nicht magst,
brauchst du keine Kritik darüber zu
schreiben. Ich erwarte es gar nicht.
. . . Aber verzeih, wenn ich dir
dies sage: ich bin eine andere Art
war immer der weniger stolze und
glückliche Teil, wenn ein Buch von
mir herauskam damals."
Er blickte sie traurig an, während
sein Kopf langsam gegen die Brust
herabsank, so daß schließlich sein
Blick von unten heraufkam mit dem
sah nur flüchtig aus ihn hin und
begann im Zimmer auf- und abzu
gehen.
„Und ich, die ich bei dem schreckli
chen Wetter in meiner ersten
Freude gleich hinlaufe. . . Ich sehe,
es hätte keine große Eile gehabt. Ich
brauche Mitfreuve, Arnold! Willst
du mich damit an Fremde weisen?"
„Ich bin ja stolz aus dich," sagte
er gedrückt.
„Ja vielleicht so verstands
mäßig. . . Ach Sott freuen sollst
du dich!" brach sie aus. „Und du
mißt ab, weshalb man mein Buch
laufen wird, du hast Bedeuten, ehe
du das Bedürfen hast, mit m?r eines
zu fein in diesem Erleben. Vielleicht
hätte ich das nicht sagen sollen
das von damals. Aber sieh bei
solchen Gelegenheiten drängt sich mir
der volle Unterschied auf. Damals
gab es nie diese Rückhalte, dieses
Halbsichfreuen und Halbabwägen. Et
was Ganzes war immer da ein
kräftig strömendes Gefühl in jeder
! Lage. Das ist- der Unterschied
siehst du. Du magst ja nicht dafür
können." Sie seufzte und hob die
Schultern. „Ach, ich weiß nicht!"
Gerade weil sie sich schuldbewußt
fühlte, war es schwer für sie. mit
Sprechen wieder aufzuhören. Es
war da etwas, das übertäubt werden
wollte.
Er blickte sie unverwandt an, ob
wohl er nicht jedes ihrer Worte hör
te, denn seine Gedanken horchten von
Zeit zu Zeit einem der Gedichte nach,
in die er soeben eine Stunde lang
versunken gewesen war. Manche hat
ten durch ihre Klangschönheit, durch
die Echtheit und Unmittelbarkeit ihres
Gefühlsausdrucks zu ihm gesprochen.
Getragen und erhöht von dieser Echt
heit, war jedes Gedicht ihm als eine
Notwendigkeit in sich, als aus einem
Muß aus der Seele heraus geschaffen
erschienen. Und das ganze Buch war
voll Liebe, voll tiefer, seliger, geguäl-
Ueber jene Gedichte, zu denen er
selbst die Veranlassung gegeben, war
er schneller hiniveggeeilt. Fast alle
'sp ach och da legt er d e
' ' um üb» die Beschämung
> flint hmauszuloMsen. Dann legte
> sie den Kopf und blickte
- liebenswürdig zu ihm auf.
, Das Herz tÄk ihm weh vor Liebe;
! er ließ sie Xeine Hand nehmen und
? ihre noch/lühle, lufifrifche Wange
. darauf drücken.
.Hnz," sagte er leise, „kannst du
i nicht begreifen, daß dein Buch mir
wehe tut?"
e „Nimm es doch nicht so. Schätz!"
bat sie eifrig überredend. „Komm, sei
e gut. Es ist ja Vergangenheit, mit
i der ich auf diese Weife fertig werden
112 muß. . ."
k „Vergangenheit. . ." Er oerfuchte
t zu lächeln. „Solange du noch Ver
r die Hand auf den Mund; dann blät
terte sie hastig in dem Buch und wies
, ihm eine aufgeschlagene Seite. „Aber
t dies hier, Schatz?" fragte sie ein
schmeichelnd. „Wer ist denn das?
Ist das nicht meine schöne liebe Ge
- genwart? Ich weiß wohl noch, wie
>du dich freutest. Du^ scheinst es ver-
Leute über uns vorbeigingen und
, schwatzten. . . Wie wir da unsichtbar
> faßen und das Wasser immer dunk
, ler wurde und anfing, mit Men
fchenstimme zu sprechen —"
. „Ja - ja", sagte er und holte
tief Atem. „Ich weiß ja. . . Und
Verse. . ." Er las. Und dann
> deres.
! und das!" Er stieß den Finger
ins Buch, als wolle er die Seite
durchbohren. „Sieh jetzt sehe ich
Auch in den Gedichten, da du von
mir sprichst, ist Qual aber nicht
Qual um mich, sondern Qual um
deiner selbst willen. Einst da bist
du mit vollen Segeln gefahren. . . .
den den andern ja nur schwächliche
Gesühlszuckungen! Da gibst du dich
nicht —da verlangst du. Ausruhen
auältsein —ich will dir ja Niihe gebe».
Lieb wie gern! Wenn du mir
nur auch geben könntest wenn
du —!"
Wieder unterbrach er sich durch ei
nen lauten Atemzug. „Aber
Lieber —" sagte sie mit einem gu
ten, tiefen Ton in dies starke At-
war so rnir >
Mutlosigkeit in seinem Verstummen
gewesen. Sie sah ihn an wie einen,
von dem sie ein neues Wort erwar
l ' ' d ' M s
Wesen versenltest!" fuhr er
' heraus dichten konntest, dich in seine
seiest du er selbst! Und das gibst du
in dem Augenblick an die Oeffentlich
' leit, da du dein Schicksal mit mei-
nein verknüpfst, und preist mir dein
Buch an, das ihn feiert und mich de-
Sie stand auf und sagte unmutig
und ohne ihn anzusehen: „Darf ich
mein Buch als Kunstwerk nicht lie
ben? Der Mann tan» doch kaum
noch in Bettacht kommen. Er ist der
Mann einer andern, um derentwillen
er mich verlassen hat. . . Wenn er we
nigstens glücklich mit ihr wäre!"
setzte sie in einem ganz verschiedenen
Ton hinzu. »Aber nicht einmal
das ist er das heißt ich
höre, er sei nicht glücklich. Eine
lriinlliche Frau, und ganz oberfläch
lich. . ."
Sie brach ab und sah ihn an. Vor
dem Ausdruck resignierter Hoffnungs
losigkeit in feinem nervösen Gesicht
erschrak sie ein wenig.
„Nicht wahr — für H. hast du noch
nichts geschrieben?" fragte sie schnell,
nur um etwas anderes zu spre
chen.
Da er auch jetzt nicht antwortete,
setzte sie sich mit einer schmeichelnden
Kopf aus seine Schulter und fragte
leise mit hingebendem Ausblick: „Hast
du mich lieb?"
Es dauerte ein Weilchen, bis er
nbch leiser erwiderte: „Ich wollte, ich
l braucht. . . Gewiß habe, ich Fehler
: gemacht in meiner langsamen, triti
! fchen Art... Ich weiß auch,
als der Aeltere einlenken muß. . .Ich
tue das immer. . . Aber ich muß
> fühlen, daß du mir gehörst ich muß
glauben können, daß du mich ebenso
glücklich machen lannft, wie wie. ..
Und wenn ich das nicht glaubte
wer weiß, ob ich —"
Sie hatte begonnen, im Zimmer
auf und ab zu gehen; nun blieb sie
mit einem Ruck stehen und blickte ihn
auf, las, blätterte weiter. An der
Art, wie seine Züge sich veränderten,
wie er sie zu beherrschen suchte,
glaubte sie die Gedichte zu erkennen,
die er las? und auf einmal fühlte
sie seinen Schmerz so heftig nach, daß
es ihr körperlich wehe tat. Nein, da«
kann er nicht ertragen, dachte sie
er kann es nicht verzeihen! Und sie
stand einen Augenblick atemlos, den
Satz vervollständigend, den er vorhin
begonnen: „. . . wer weiß, ob ich
diese Qual noch länger ertrüge!"
Muß er jetzt nicht aufstehen und
sagen: Leb wohl, Hermine, es ist bes
ser. wir trennen uns —? Was dann?
Sie hatte ihn doch lieb anders
lieb, als sie Ernst hatte gehabt
hatte. . . Aber doch lieb Sonst
hätte ihr das Herz nicht so schneidend
weh tun können. . . Unvermutet, so
daß sie erschrak, begann er laut zu
lesen:
„Wir Ware zwei Vögel und suchten
ein Nest,
Ich bei dir und du bei mir;
Wir spannten die Schwingen, da trug
uns der West,
Dich zu mir und mich zu dir.
Ich suchte mir Heimat und Wärme
And Ruh,
Ich bei dir und du bei mir—
Was fliegest du und flatterst denn
immerzu,
Hin und her vor mir zu ihr?
Nun glitten die Monde wie fern
ist der Mai,
Fern von dir und fern von mir
Wir flogen ja doch aneinander vor
bei,
Tu an mir und ich an dir. . .
Ich ward dir nicht Heimat, du wardst
mir nicht Rast,
Ich nicht dir und du nicht mir
Nun bin ich des Winters frierender
Gast.
Fern von dir wie fern von dir!"
Es war aus der Zeit nach ihrer
Trennung von Ernst. Und sie fühlte,
wie er jetzt eine Beziehung auf sein
eigenes Verhältnis zu ihr darin
fand. . . . Gegen die Tür gelehnt
stand ,>-e und blicht kaum atmend,
nach ihm' j'
wenn sie die Augen abwendete, et
was Schicksalvolles geschehen müs
sen. . .
Blick ruhte in Blick. Herma hörte
die Uhr ticken und das Licht der
Lamp- singen, störend fast, so ganz
die Flucht?
.In die Redaktion", sagte er. „Die
Abenddepeschen erwarten. . . Und
ter. „Lieber !" flüsterte sie und
jetzt?"
„Weil . . . Die Gedichte sind ja
Kritiker. . Plötzlich riß er sv in
feine Arme und schloß ihr den Mund
sich zu.
Es war die Flucht, eines Gedemü
tigten. dessen einziger Stolz nur noch
den zu sehen. . .
—DaS Bindemittel. „Sind
,
l- Das NütsM
des Vcblskeo.
r, Tie Gelrbrlen liaben sich bisher »er-
geben« damit beschäftigt.
T«S Rätsel des Schlafes beschäf
tigt seit alter Zeit die Menschheit.
über de» Schlaf meditiert, Phanta
z sie lind Wissenschast aller Kultur
r Völker habe» sich mit ihm beschäf»
!, Ursachen des Schlafes stellte der
e aus den Blutgefäßen zum Herzen
i als Ursache des Todes ansah. Schon
< hier erschienen Schlaf und Tod als
gleichzeitigen griechischen Plastik oft
» so schön und sinnig dargestellt
- wurden. Eine modernere Ansicht
- sen Ideen so außerordentlich reiche
> Eleat Anaragoras, ein Freund des
t Perikles, welcher zuerst die Ermii
> dung als Ursache des Schlafes und
> den Wiederersatz durch Arbeit ver
> brauchter Körperbcstandteile als
seinen Zweck ansah i und daS ist bis
heute noch die Meinung vieler Ge
> lehrter und Ungelehrter geblieben,
nur daß diese Meinung jetzt in rei
cherem, mit Arabesken chemischer
auftritt. Empedokles von Agrigent
hingegen führte de» Schlaf aufteil
weise, den Tod aus gänzliche Ab
kühlung des Blutes zurück. Auch
darin ist ein Körnchen Wahrheit,
denn der Schlafende ist in der Tat
um einen halben Grad kühler als
der Wachende, wenigstens im Mor
genschlaf, und er sucht sich deshalb
vor Abkühlung im Schlaf zu schüt
zen. Der Atomistiker Demokrit sieht
in der Verminderung der Atmung,
Plato im Aiigenschluß und der Zu
rückziehung der Seele aus den
Sinnen in das Körperinnere das
Wesen des Schlafes. Ein durchaus
richtiger Gedanke, der nur der kom
menden Physiologischen Begrün-
Die moderne, apparatgerüstete
und erakthcitgepanzerte Physiolo
gie hat es in leitenden Erkenntnis
sen nicht sehr viel weiter gebracht.
Im Detail sind wir weiter, wir
kennen die Einzelvorgänge und die
allgemeinen physiologischen Grund
lagen besser, welche den Alten zur
Zerlegung des verwickelten Schlaf-
Problem» fehlten: das Hauptver
dixKo.m-
die Sinne schwinden, daß Nerven
und MuSkeln sich im Schlaf erho
len, das ist der Schlaf nicht allein.
Der Schlaf ist alles zusammen und
noch viel mehr. Wenn wir den
tagsüber tätigen Körper und Geist
niit einer Fabrik vergleichen, mit
Maschinen, Arbeitern und Leitern,
so ist der Schlaf keineswegs nur
einfache Pause in diesem Betriebe
früher freilich glaubte man'S.
und manche glauben'S noch heute
—, sondern wenn die Arbeiter und
die Beamten hinausgegangen sind,
dann beginnt ein heimliches und
unbewußtes Leben im Schlaf, dann
kommen'viele kleine Nachtgeister,
.sciilzeli»äi»ichc» und Sandmänn
chen, die alles reinigen, ölen, er
gänzen. zurechtkchieben für den mor
genden Tag, und diesen kleinen
Nachtgeister» läßt sich nur durch
umfassende biologische Betrachtun
gen nachspüren. Diese uinfassende
Betrachtungsmöglichkeit ist eine
Frucht des letzten Jahrzehnts. Aber
auch die experimentelle Physiologie,
experimentelle Psychologie, die Ent
deckung der hypnotischen Phänome
ne, die klinische Beobachtung von
Schlafstörungen an Nervösen und
Geisteskranken, alle diese Wissen
schaftszweige müssen zusammenge
faßt werden, wenn eine Untersu
chung iiber den Schlaf fruchten soll.
Die neuere Forschung glaubt,
das Organ des Schlafes im Zwi
fcheiihirn, in dem sogenannten „Tha
lamus opticus" (Sehhügel) gesun
den zu haben. ES würde zu weit
führen, an dieser Stelle die Argu
mente anatomischer Art einge
hender zu besprechen. Jedenfalls
ist es interessant, daß diese neue
Hypothese die meisten bisherigen
Erklärungsversuche an Ueberzeij
gungskraft zu übertreffen scheint.
Der Sehhügel ist der Vermittler
der Sinneseindrücke, sozusagen die
Vorstation der Hirnrinde. Eine
allgemeine sensorische Hemmung
oder Sinnessperrung, deren Haupt
organ der Sehhügel ist, bringt den
Schlaf, der den Zweck hat, eine un
gestörte Regeneration des Nerven
systems zu gewährleisten.
Wegweiser. .Warum
steht denn das riesige „Halt" hier
an der Korridortür?"
Vermieterin: „Ach, wissen Sie.
mein Student irrt sich so leicht im
Ztockmerk!"