Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, May 09, 1918, Image 2

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    »i Der Engel mit dem
D verhüllten Antlitz.
einem Hügel zu, auf dessen Mitte
Kirche und Wirtshaus thront; da
hinter lag der Wald und vorn, am
Abgrund, die Wiese: schrosse, jäh
aus der Schlucht steigende Felswän
de umschlossen sie, und hier, unter
einem mit Moos bewachsenen Fels
stiick, stand ein Bilderstock: er stellte
in roher, ungeschickter Zeichnung ei
nen Engel dar, in blauem Gewän
de, wie er in ein rotes Taschentuch
weint; darunter stand: „Herr, sei
der armen Kleinen gnädig!"
Eine Mahnung an jene Männer des
Dorfes, die dem Laster des Trunkes
ergeben waren und wegen ihrer
Roheit, Faulheit und Diebsgelüste
in den Nachbardörfern eines trauri
gen Rufes genossen. Der es aber
am schlimmsten getrieben von allen,
hieß Balthes Trönkle; so lange er
noch einen Groschen im Sack hatte,
fand er den Weg nicht nach Hause,
und es kümmerte ihn wenig, daß
derweilen seine Kleinen in der
dunklen Stube des am Ende des
Ortes gelegene» Hauses ängstlich
aus sein Kommen harrte». Diese
Angst aber steigerte sich zur Ver
zweiflung, wenn hinten aus den»
Stall das jämmerliche Meckern ei
ner Ziege kein Ende nehmen wollte.
„Wenn sie doch auf der Stell'
sterben tät!" Wie oft schon war
deni nächtlichen Himmel dieser
Wunsch unter Heiken Tränen anver
traut worden.
So auch eines Abends. Die Kin
der standen am Fenster und starr
ten ratlos in die Nacht hinaus, die
nieil der Mond, der eben Himer
das trotz Not und Entbehrung
rundliche Kindergesicht des größeren
Mädchens lieblich verklärte; nebe»
ihr aber, bleich und streng, mit Au
gen wie die einer Katze, lehnte die
Schwester, in ihrem Nacken erhob
sich ein Höcker, und sie umklammerte
den sonnenverbrannten Arm der
Kleine» mit dürren, stahlharten
Fingern.
„Wir wolle» sie totmachen."
sprach sie im Flüstertons, ..ganz tot.
dann brauchen wir kein Futter mehr
zu stehlen und keine Angst mehr zu
haben vor dem Feldschütz. dann
hört sie aus mit ihrem Meckern, und
wir kriegen keine Schläg' mehr."
Und Plötzlich sich eng an die Schwe
ster schmiegend: „Bring' Du sie um,
Lenle, bring' Du sie um —"
Das Kind schüttelte den Kopf.
Immer ich immer ich."
Weil Du stark bist; Dir tun die
Knochen nicht so weh, wenn er haut,
«ber mir, o mir!"
schillerten, und über ihre unkindli
chen Züge ging ein nervöses Zucke».
„Stoß' ihr die Stricknadel hinein,
ins Ohr," fuhr sie zu spreche» sort.
„das merkt niemand, und dann ist
sie gestorben: es geht schnell, nur
recht zustoßen, dann ist's aus." Sie
verschwand im Dunkel der Stube
und kam mit einer Nadel zum Fen
ster zurück. „Nimm, nimm!" dräng-
Aber das Lenle wandte sich von
ihr ab. „Geh' mit Deiner Nadel.
Du ich mag nicht."
Die Schwester lachte hart auf.
„Dann mach' ich mich selber tot
o ja, ich tu'sl Besser, man liegt in.
Grab, als alle Tag' Schläg
kannst allein Dein Futter suchen,
wirst schon sehen, wie Dir's geht."
„Gib her!" schrie das Lenle aus
und verließ mit der Nadel die Stu
be.
Im Stall, die Ziege warf sie sas'
um, so prallte sie aus das Kind
los, mit vorgestreckter Schnauzenach
dessen Händen haschend.
„Hab' nichts," seufzte das Lenle.
ober komm, sei schön still, sonst muß
ich Dich umbringen."
Sie streichelte das Tier und gab
ihm gute Worte; da dies nicht hals,
versuchte sie, dem widerspenstige»
Geschöps die Schnauze init der
Schürze zu umwickeln; da tat das
Kleine stürzte eilig vor die Türe
und lauschte in die Nacht hinaus, ob
der Pater nicht komme. Dann kehr
te sie in den Hos zurück und starrte
hinaus zum Lindenbaum, im Nach
barhause. Wenn sie von dort eine
Schürze voll Blätter hätte holen
können —, aber der Nachbar, dei
Feldschütz, war aus seiner Hut; ein
grober, grimmiger Hoshund bewach
te das Eigentum seines Herrn. Len
ke näherte sich dem Gatter und
lauschte hinüber: dann erhob es dir
Hand und grisf vorsichtig in die
Zweige des Baumes; der Hund
schlug an, und voll Schreck fuhr die
Aus dem Nachbarhause aber trat
«ine Frau, rief mit leiser Stimme
den Hund beim Namen und holte
ihn zu sich herein; das hatte sie
schon so oft getan, denn dem kin
derlosen Weibe sloß das Herz über
vor Mitleid mit den armen Kleinen
drüben. Sie war der Meinung, daß
man sich ihrer annehmen müsse, al
lein ihr Mm,», der Feldschütz, wollte
nichts davon wisse», und sertigte sie
Schicksal der Kinder des Trunken
boldes zu interessieren suchte, hat
ten mir ein bedauerliches Achselznk-
Dorfes.
scheibenloje Fensteichen auss Korn
Das Lenle machte sich aus diesen
Wurfgeschosse», so lange sie nicht
seinen Kopf gefährdeten, keinerlei
Sorgen, und ihr ruhig atmendes
Kindergesicht zeugte nicht von Trau-
Anders die Brigitt'. Mit weit
elender Körper zuckle allemal
krampfhaft zusammen, so oft ein
Gegenstand von der Ofenbank her
gegen daS Fenster flog. Und wenn
sich endlich in der nächtlichen Stille
schlössen, so war's der Feldschütz, der
sie im Traume ängstigte, und sie
Straszettel und er schlage sie tot.
Schweißgebadet fuhr das Kind
aus dem Schlaf und setzte sich auf
die Bitte, welche allnächtig aus der
baufälligen Hütte des Balthes
Trönkle zum Himmel stieg.
Hand, den Schluck Milch von den
Lippen; und die Püsse und Ohrfei
ge», die der maler tagsüber, im
sie trasen immer nur das Lenle;
denn die Brigitt' wußte es so ein
zurichten, daß das Lenle immer die
Schuldige war.
„Es ist so dumm, daß es singt,
ivenn'S stiehlt," verklagte sie's beim
Vater, den sie wie eine Katze um
schmeichelte. um es dann sreilich
immer wieder erleben zu müssen,
daß er des Abends, wenn er be
trunken war, keinen Unterschied zwi
schen ihr und der Schwester zu ma
chen imstande war. Denn es ließ
sich nicht verkennen, die Brigitt'
galt ihm mehr, als das Lenle, das
ihm mit aufrichtiger Scheu aus dem
Wege ging und ihm nie schön tat,
dagegen entsetzt ausschrie, so oft die
Schwester in verbissenem Groll die
Worte murmelte: „Wenn er doch
gleich tot Hinsiel'l"
Es wollte überhaupt nichts vom
Sterben wisse», das Lenle, und
dachte an kein Leid mehr, wenn's
mit der Schwester über die Wiesen
schritt und die wundervolle Jagd
mit dem Feldschützen anging. Das
dünkte ihr gar so herrlich, ihn zu
überlisten, und wie es die Brigitt'
verstand! Gerade als habe sie
zwanzig Augen im Kops, statt zwei;
das Lenle in seiner Unvernunsl
empsand die ganze Sache als ein
pures Vergnügen, während die
Brigitt', die Todesangst im Herze»,
wie um ihr Leben spielte. Sie ahn
te die Nähe des Gefürchteten oft be
vor sie ihn sah, und wenn es vor
kam. daß der Feldschütz die kleinen
Diebinnen bei der Tat ertappte, da
war sie, die Brigitt', stets die Un
schuldige.
„O nur keinen Strafzettel, nur
keinen Straszettel," flehte sie den
Mann an, denn sonst schlagt uns der
Vater alle zwei tot, und ich hab'
doch nicht stehlen wollen, das Lenle
hat's allein getan."
Und der Feldschütz sich von
tören, gab in Gottesnamcn dein ge
sunden Lenle ein paar Ohrfeigen
und kündigte den Strafzettel für
das nächste Mal an.
Eines Tages schrieb er sie denn
auch aus, und Brigitt's Beredsam
keit, ihre Tränen und auch die Dro
hung der Vater schlagt uns beide
tot machte keinen Eindruck mehr.
„Nein, jetzt ist'?- aus," erklärte
die Schlucht, aus der das dumpfe
Tosen der Alb stieg.
„Da da ist's," flüsterte das
Kind, „da müssen wir hinunter.
Das Lenle riß die Augen weit
auf: „Ich will aber nicht tot sein."
Brigitt' hatte »ur einen verächt
daS ist alles —"
„Im Himmel kriegt man alle
Tage Gipsel," wars die Brigitt'
hin.
„Glaubst Tu?" kam eS etwas
zweiselnd von des Kindes Lippen,
Brigitt' schüttelte den Kopf: „DaS
ter holen!"
Jetzt überkam die Kleine ein tie
ses Angstgefühl:
Dir's, Brigittle —"
Schwester hielt sie fest:
steckt gelt. Du denkst, jetzt haltet
Ihr zusammen, Du und die Nach
ger in die Schlucht, als man ihm
das Schicksal seines ältesten Kindes
mitteilte; die Nachbarin aber wars
«Ich weiß nicht," stotterte der
Feldschütz, „ich hab' sie beim Futter
stehle» getroffen und aufgefchrie
ben, da hat die Brigitt' gesagt, der
Vater schlag' sie tot, und mir nach
gerusen totschlagen ließen sie
sich nicht, sie wollten sich lieber selbst
totmachen."
In diesem Augenblick kam der
alte Hirte, der auj dein Felsen
droben die Ziegen hütete, ganz auf
geregt über die Wiese gerannt.
keuchte er schon von weitem, „waS
ist geschehen, was ist geschehen
's Brigitt' hat's Lenle vom Fels
hinunter gezerrt ich denk', sie
machen Spaß aus einmal ist's
geschehen."
„Das ist ja sürchterlich!" entsetzte
sich der Geistliche, und der Bürger
von den Schultern gerissen, um nach
dem Herzschlag des Kindes zu lau
schen und da, welch einen Anblick
über bedeckte Körper.
„O du Leiden Christi," schrie die
Frau aus, „da schaut her, schaut
alle her so einem gibt Gott Kin
der! Um ein bisle Futter, das ge
stohlen wird, kümmert sich's Gericht,
aber einem Trunkenbold legt keiner
was in Weg, und wenn er sein«
Kinder bis in den Tod treibt. Ja
wohl, Herr Pfarrer, der dort, der
Vater ists, der die fürchterliche Tat
getan auf den allein kommt sie,
nicht auf die Kinder. Bin ich
nicht bei Euch gewesen und beim
Bürgermeister zwei-, dreimal
hab' ich's E ich ans Herz gelegt
dem Trönkle seinen Kindern muß
man helfen, die muß man retten,
hab' ich gesagt, bevor es zu spät.
Aber's hat sich keiner gerührt, Ihr
nicht und der Bürgermeister nicht
ich soll schweigen, hat's gehei
ßen, 's geh mich nichts an, ich soll
vor meiner eigenen Tür kehren.
Jetzt aber schweig' ich nimmer, denn
hättet Ihr auf mich gehört, das Un
glück wär' nicht geschehen. Fürs
Trinken sreilich, da habt Ihr Män
was im Trunk geschieht, das sei kei
ne Sünd', und keiner denkt dran,
daß er seine Kinder ins Laster
treibt, wenn er im Rausch heim
kommt, und sie's mit ansehen müs
sen, was der Wein aus ihrem Vater
gemacht. Der aber" und sie
wies mit ausgestrecktem Zeigefinger
bei, er hatte in der Tat sein Recht
verscherzt.
Die Frau aber nahm das Lenle
süttern?"
der großen, weiten Wiese
Todesstille.
An der Stelle aber, wo des Bal
noch immer verlobt?"
Hagestolz: „Nein, Ihre Beziehun
gen sind inzwischen in Ehe ausgear
tet."
Wie man's macht. !
Glückliches Land.
von L» —6(1 Fuß Hohe und 2—Ä
dianern, namentlich bei Negenwet
ter, sehr gern getragen wird.