Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, March 28, 1918, Image 2

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    H Dir Mttdlc Drant,!
(2. Fortsetzung.)
Du kennst meinen Vater! Er hört
picht auf mit Trink-n. wenn ich ihm
bie Flasche nicht aus der Hand neh
me. Geh ich weg, da kommt er unter
die Räder. Herr Unteroffizier, nun
frugen Sie Adam, ob ich recht habe
oder nicht?"
„Nein, du hast nicht recht. Wenn
im heute aus dem Hause gehst, dann
heiratet dein Vater morgen die Gaw-
Uksche; das weißt du ebensogut wie ich
.Was geht dich das an? Du willst
Eltern vor den Kops stoßen, das reiche
-Erbe hinwerfen, die reiche Braut zum
Deuwel jagen, dann wirst du dich be
rncht gewettet. Hier heißt es: Zug
um Zug!"
Das Mädchen hatte das Taschen
tuch vor die Augen gedrückt und wein
„Vielleicht und vielleicht! Und
dann ... dann hast du einen anderen
iSrund. Nein, es wird schon so sein,
»am das Wort aus EvaS Munde. Sie
trocknete sich die Tränen und stand
auf. „Adam, das Wort scheidet uns,
Nenn du es nicht sofort zurücknimmst.
Du scheinst keine Ahnung zu haben,
was mein Vater in den letzten Tagen
verdient hat. Ich habe so viel Geld,
daß ich deins nicht brauche. Wenn ich
beute Ja sage, kann ich morgen hier
> in der Stadt den Kaufmann Galda
heiraten. Er hat schon beim Vater
um meine Hand angehalten. Ich sage
Sir das nur, damit du nicht denkst..."
.Ich denke gar nichts. Ich weiß,
was ich wissen wollte! Ihr habt rechl,
Willim! Ich war ein Narr".
„Adam, soll das dein letztes Wort
fein?"
«Ja, Fräulein Kruk, mein letztes.
Letzt fahre ich nach Hause, bitte die
Eltern und Lina um Verzeihung und
in sechs Wochen ist Hochzeit, Adieu!
Du, Willim, fei so gut und komm mit
einem leeren Wagen nach. Ich will
allein fahren".
Er machte Eva noch einen halben
Diener und ging hochaufgerichtet aus
der Tür.
Das Mädel nahm wie im Traum
ihre Handschuhe vom Tisch .und be
gann sie langsam anzuziehen. Dabei
streifte chr Blick Willim, der vor
„Sie haben Ihr Ziel erreicht, Herr
Unteroffizier. Der Vorschlag, den der
Adam mir machte, stammt von Ih
nen".
Willim sah ihr fest in die zornigen
Äugen. „Nein, Fräulein, ich habe
Adam nur zugeredet, die Sache nach
der einen oder anderen Richtung'zu
entscheiden. Das müssen Sie doch
selbst sagen, daß es so nicht länger
Hing. Man kann nicht mit einem
Mädel verlobt sein und bei der an
deren Tag für Tag sitzen".
„Das habe ich allein gewußt. --
Also Adam selbst ist auf den Gedan
ien getommen?"
„Sie haben seinen Vorschlag wohl
nicht für ernst genommen?"
Das Mädchen senkte für einen Au
genblick den Kopf. „Nein, Herr So
!wta, wenn ich offen sein soll. Ich
hielt das für eine Falle. Und dazu
üin ich zu stolz, um scheinbar nachzu
geben".
.Es ist doch aber traurig, daß —"
„Traurig? Für wen? Für mich?
Das werde ich allein mit mir ausma
chen". Sie neigte ein wenig den Kops
zum Abschied und ging. Willim sah
rhr noch nach, als sich schon die Tür
hinter ihr geschlossen hatte. In ihm
stiegen allerlei Gedanken auf.
Sechstes Kapitel.
In Uesen Gedanken hatte Willim
sich das letzte Glas aus der Flasche
eingegossen und langsam ausgetrun
ken. wußte nicht, sollte er sich
Die Geschichte von Adam und
war aus. Darüber tonnte kein Zwei
fel lein, selbst wenn sein Freund und
Vetter sich unterwegs noch einmal an
ders besann und zurückkehrte, was
nicht ganz wahrscheinlich war. Aus
der Eva war er nicht ganz klug ge
worden. War ihre Liebe zu Adam
wirklich nicht stark genug gewesen, um
Bedeuten hinter sich zu werfen?
Halte sie die Aufforderung, mil ihm
:u die Well zu gehen, wirklich nur
jür eine Falle gehalten und aus Stolz
-s verschmäht, hineinzutappen? Dann
war auch die Besorgnis um den Vater
nur vorgeschützt. Er nahm die Miitzc
oom Nagel und ging hinaus in den
Laden. Der Stift kam ihm dienstei-
frig entgegen. .Die Flasche Wein ist
bezahlt. Herr Piontek läßt Ihnen noch
sagen, die Fuhrwerke stehen bei Schei-
Die Einwohner des Städtchens saßen
jetzt wohl alle beim Mittagessen. Ein
kleiner Köter belustigte sich damit,
der Knechte.
Eine halbe Stunde später fuhr der
Wagen rasselnd über das Steinpfla
ster. Auf der Chaussee ging's schon
besser. Der Knecht suhr vom Sattel
Peitsche und ließ die Pferde ausgrei
fen. Als der Sandweg begann, fie
len sie gewohnheitsmäßig in Schritt.
Der Knecht wollte sie antreiben, Wil
lim wehrte ab. .Ach, Unteroffizier,
Gäule laufen; sie tommen eine halbe
Stunde früher in den Stall und ich
zum Essen. Nachmittags wollen wir
pflügen". Plötzlich zog der Knecht die
Leinen an.
„Was gibt's?"'
„Ja, ich weiß nicht, Herr Unter
offizier die Spur hier".
Willim richtete sich auf und sah
auf den Weg. Da war ein Wagen
seitwärts aus dem tiefen Geleise ohne
Weg und Steg in den Wald abge
bogen. Es sah so aus, als wenn der
Führer jäh rechts das Pferd herum
gerissen hätte.
„Da ist ein Wagen abgebogen".
„Ja, Herr Unteroffizier, unser jun
ger Herr Adam ist da gefahren".
„Weshalb denn gerade der junge
Herr".
„Na, das hätt' ich wohl gehört,
wenn ein anderer Wagen hinter ihm
aus der Stadt gefahren wär".
Er war aus dem Sattel gesprungen
und untersuchte die Spur. „Es sind
genau so schmale Räder wie bei un
serem Einspänner. Vielleicht können
wir nachgehen".
„Kommen Sie!"
Mit schnellen Schritten gingen sie
der Spur nach. Es war in de: Tat
auffällig, daß der Wagen in das man
neshohe Fichtendickicht hineingefahren
war. An den Spuren tonnte man
sehen, daß das Pferd trotz des tiefen
Sandes eine ganze Strecke im Galopp
gegangen war. Hier hatte das Pferd
wieder eine Wendung gemacht und
den Wagen durch die dichtstehenden
Bäumchen gezogen. Einige lagen noch
halb auf der Seite. Der Anprall
hatte ihre Wurzeln gelockert. Jztzt
erblickten beide fast gleichzeitg das
Pferd und den Wagen, die sich im Ge
büsch festgefahren hatten. Es schien
niemand darauf zu sitzen. Was war
geschehen?
Weshalb war Adam aus dem Wa
gen gestiegen?
Die letzten fünfzig Schritt hatten
beide lausend durchmessen. Jetzt stan
den sie einen Augenblick wie gelähmt
vor Entsetzen.
Adam hing nach vorn über mit dem
Oberkörper, über das Wagenledcr.
Der linke Arm lag unter dem Kör
per, der andere hing schlaff über dem
vorderen Wagenrand. Der Rappe vor
dem Wagen, ein großes, starkes Tier,
war über und über mit Schweiß be
deckt und zitterte an allen Gliedern.
Als die Männer sich näherten, schnob
es heftig. Mit einem Satz sprang
Willim hinzu und versuchte den schwe
ren Körper aufzurichten. Vergeblich;
die Totenstarre war bereits eingetre
ten.
Ein Kugelschuß!
Der Mörder hatte gut gezielt. Der
Schuß war von links abgegeben und
hatte das Herz getroffen. Ganz dicht
am Wege hinter einem Kiefernhorst
mußte er gestanden haben. Vor Auf
regung klappten Willim die Zichne
aufeinander wie im Fieberfrost. Sein
erster Gedanke war: die armen alten
Eltern! Jetzt sollten sie ihren Ein
zigen begraben!
Dem alten Knecht liefen die hellen
Tränen über die Backen. Dann
wieder knirschte er mit den Zähnen
und hob die geballte Faust.
„Das ist der Schuft, du russische
Kerl, dem der junge Herr das Leder
ausgewackelt hat. Kein anderer hat
das getan".
Mit großer Mühe hatten sie das
Pferd rückwärts gedrückt und den
Wagen gewendet, um ihn auf die Stra
ße zurückzuführen. Vergebens such
ten sie den starren Körper aus dem
kleinen Wagen zu heben. Sie wollten
ihn auf den Leiterwagen legen und
mit Säcken zudecken, um ohne Auf
sehen zu erregep, auf den Hof zu kom
men. Es war nicht möglich. Endlich
fand der Knecht einen Ausweg. Sie
müßten kurz vor dem Dorfe abbiegen
und so weit im Walde herumfahren,
daß sie von hinten auf den Hof ge
langten.
„Aber erst wollen wir uns nach der
Spur umsehen", meinte der Knecht.
Willim stimmte zu. Wo der Einspän
war deutlich die Stelle »kennin!
w» der Mann gestanden habeil muß-
te. Da war der Sand nicht nur zer
treten, nein, mit den Füßen hatte der
Kerl den Sand nach beiden Seiten
fortgefchoben, um auf den feuchteren
festen Boden zu kommen, der ihm
einen sicheren Stand gab. Deutlich
stand der Abdruck des einen Fußes da.
Der Knecht hatte sich davor auf die
Knie niedergelassen, um genauer zu
sehen. Als er sich emporrichtete, nickte
er mit dem Kopf.
„Es ist schon, wie ich gesagt habe.
Sehen Sie bloß den spitzen Absatz
und die schmale Spitze.
Nur die Russen tragen solche Stie
fel, und sehen Sie mal nach dort...
Da ist er herausgekommen aus dem
Wald, hat sich umgesehen und ist dann
mit sechs, sieben Schritten hierherge
kommen. Ich will beschwören, daß
das der Russe gewesen ist".
Ungesehen waren sie über das Feld
bis hinter die Scheune gekommen.
Hier hielt der Knecht an.
„Herr Unteroffizier, die alten
Herrschaften halten Mittagsstunde,
und die Margellen sind in der Küche,
Ich werde über den Hof gehen und
das Scheunentor hinten aufmachen, da
sahren wir den Wagen mit dem jun
gen Herrn 'rauf. Das übrige müssen
Sie tun".
„Das übrige!" Damit meinte er,
den Eltern die traurige Nachricht bei
zubringen! Das war das schwerste!
Willim zitterte an Händen und Fü
ßen, als er langsam über den Hos
schritt.
auf und trat ein. Alles so still und
friedlich. Einige verspätete Fliegen, die
die Wärme des geheizten Ofens Hei
ster. Dort, in der Kammer, deren
Tür halb offen stand, ruhten die bei
den Alten. Wie war es möglich?
Ihm war's in diesem Augenblick, als
gen ihm auf. Wenn Menschen von
einem solchen Vorfall nichts erfahren,
dann ist er für sie nicht vorhanden.
Nicht das Geschehnis an sich, nur die
Kunde davon schafft ihnen den
Schmerz. Da, die Al>n wußten noch
nichts von der Mordtat; nichts hatte
schied. Mit gutem Appetit hatten sie
zu Mittag gegessen, vielleicht gerade
in dem Augenblick als der Schuß fiel.
Und diesen ruhigen süßen Schlum
mer mußte er abkürzen. Still hatte
er die Mütze und Seitengewehr abge-
Kammer. Das Ohr der Mutter hatte
„Adam, bist du's?"
schläft noch fest".
„Wo hast du denn Adam?" Sie
warf einen Blick auf sein Gesicht.
„Wie siehst du aus, was ist dir pas
siert?"
„Mir nichts, Tanlchen, aber lomm
zu s«gen".
„Was ist denn passiert?" jammerte
die Alte schon unterwegs. „Was hast
du mir zu sagen? Der Adam hat
eine Dummheit gemacht".
Willim schloß die Tür hinter ihr.
„Nein, Tante, der Adam ist
ist —". Die Stimme versagte ihm, er
fing an zu schluchzen und streckte beide
Hände nach der Tante aus. Die Frau
wich einen Schritt zurück.
„Sag schnell! Der Adam ist
ist tot?" Dabei hatte sie ihre bei
den Hände mit so jammervoller Miene
zu ihm ausgestreckt, daß er kaum den
Mut fand, mit dem Kopf zu nicken.
Et mußte schnell zuspringen, damit
die alte Frau beim Falten nicht ir
gendwo aufschlug.
Jetzt saß sie auf dem Stuhl an
der Tür und weinte still vor sich hin.
Stoßweise erschütterte das Schluchzen
ihren Körper. Die Schürze halte sie
mit beiden Händen vor das Gesicht ge
schlagen und den Kopf tief hinabge
beugt. Mitten in ihrem Schmerz
war ihr ein Gedanke aufgestiegen. Sic
zog die Hände von den Augen.
„Hat er womöglich sich selbst —?"
«Nein, Tante, er ist unterwegs von
einem Mörder erschossen worden".
„Erschossen?" Sie sprang auf,
„Wer war der Kerl?"
„Ja, Tante, das weiß niemand.
Adam.ist allein nach Hause gefahren.
Ich kam mit dem leeren Leiterwagen
hinterher und fand ihn. Sein Ein
spänner war plötzlich aus dem Gcleise
gebogen. Da gingen wir hinterher!
und fanden ihn".
Die Frau schien die letzten Worte
gar nicht gehört zu haben.
„Allein nach Hause gefahren? Wes-"
halb denn? Hat er sich mit dir ge
zankt?"
„Nein, Tante, er hat sich mit der
Eva ausgesprochen und hat sich dabei
so aufgeregt, daß er allein fahren
wollte".
Um nur etwas zu sagen, erzählte
er weiter: „Mit der Eva hat er sich
ausgesprochen, ör wollte sie gleich
heiraten und mit ihr wegziehen nach
Westfalen, aber sie wollte nicht".
»Sie wollte ihn nicht? Sie hat ihn
weggejagt? Sie hat ihn in den Tod
getrieben!"
«Nein, Tante, das sag du nicht.
„Ach, Kind, lehr du mich die Welt
tennen! O je, o je, o je! Der arme
Vater!" Sie stützte die Hände auf
das Knie, sah ausdruckslos ins Weite
und nickte fortwährend mit dem Kopf.
Dabei sprach sie halblaut, wie zu sich
selbst:
„Nun bringt man das mit Schmer
zen zur Welt, zersorgt sich, zerplagt
sich. Wie oft hab ich durch mein Ge
bet sein Leben dem lieben Gott ab
gerungen. Endlich wächst das groß.
Da wird's noch schlimmer da will
so'n Lorbaß sich totschießen. Dann
kommt er nach Haufe hängt sich an
eine Margell und schließlich schießt
ihn der ihr Liebhaber tot".
Willim war während dieses Selbst
gesprächs ruhelos vor der Tante auf
und ab gegangen. Jetzt blieb er ste
hen und legte ihr die Hand auf die
.Tante, was sprichst du? Wenn
du ihn jetzt lebendig hättest, würdest
du nicht mit Freuden deine Einwilli
gung zu der Hein« mit Eva geben?"
Mit einem irren, flackernden Blick
sah die Alte zu ihm auf.
.Was was sagst du, mein
Jungchen? 810 ß an der Einwil
ligung liegt es? Ihr habt mir et
was vorgespiegelt, um mich zu ängsti
gen. Er lebt? Er soll sie heira
ten heute soll er sie heiraten
Gleich gehe ich und hole sie selbst her".
Die Antwort mochte sie aus den Trä
nen gelesen haben, die Willim aus
den Augen stürzten. Einen Augenblick
schwankte sie hin und her, dann sant
sie lautlos zusammen. Willim sing sie
in seinen Armen auf und trug sie
aufs Bett. Die Tür öffnete sich,
Vater Piontek trat ein.
.Was ist's mit der Tante, mein
Jungchen?"
„Sie hat eine schlechte Nachricht be
kommen. Dabei ist sie ohnmächtig ge
worden".
„Na, dann werd ich sie wohl auch
hören müssen. Was ist es denn?"
„Onkel, nimm dich zusammen es
ist sehr schwer sehr traurig".
„Sag schon, ich bin kein altes Weib,
was ist mit dem Adam?"
„Er hat unterwegs eine Kugel be
kommen".
.Ztugel bekommen? So? Na, das
übrige wird mir meine Frau erzäh
len. Laß uns einen Augenblick allein".
Willim schien es eine Ewigkeit zu
dauern, bis der Onkel in die andere
Stube zurückkam, scheinbar ruhig und
gefaßt. Nur die Augen schienen ihm
lies im Kopfe zu liegen. Er kam
langsam auf Willim zu und reichte
ihm die Hand.
„Was der liese Gott einem aufer
legt, dagegegen soll man nicht mur
ren. Wo liegt denn mein Sohn?"
„Ontelchen, er sitzt noch auf dem
Einspänner. Wir haben ihn von hin
ten in die Scheune gefahren".
„So. Als Gemeindevorsteher
du mir das ab. Der Kuba kann dich
sahren, der mit dir gewesen ist. Ei
weiß, wo der Amatsrichter wohnt.
Und nun komm zu Adam".
Sie gingen hinaus. Der Knecht
ging vor dem Scheunentor ruhelos
auf und ab. Als die beiden näher
kamen, klinkte er die Tür auf.
„Herr, die paar Jahre, die ich noch
zu leben habe, möchte ich dran geben,
wenn bloß der junge Herr —"
„Ja, alter Kuba, ja, du hast recht.
Das möchte ich auch tun. Bleibt
hier. Ich will allein sein bei ihm".
Er zog die Tür hinter sich zu und
trat in den dämmerigen Raum. Als
Willim nach einer Weile die Tür öff
nete, stand der Alte vorn am Wagen
zwischen den Deichseln und hatte mit
beiden Händen den Kopf seines Soh
nes umfaßt. Was sein Herz mit dem
toten Sohne und mit Gott gesprochen,
hat niemand gehört.
Kurz vor der hereinbrechenden
Abenddämmerung hatte Willim oie
Gerichtsherren an die Stätte ge
bracht, wo der Mord geschehen war.
der gegen Abend aufgestanden war,
hatte sie so ziemlich verschüttet. Ja,
wenn kurz vorher Regen gefallen
An Ort und Stelle hatten Willim
Lassen Sie mir ein Fuhrwerk stellen,
ich fahre sofort zur ruffischen Kammer
nach Gehsen".
Auf einen Wink war Willim hin
ausgegangen und hatte Befehl gege
ben, den Kutschwagen anzuspannen.
Als der Wagen vorfuhr, saß der alte
Kuba auf dem Block. Auch Vater
Piontek und Willim fuhren mit.
i Der alte Kuba hatte vier Pferde
vorgespannt, er ließ sie laufen, was
Zeug und Riemen hielten. Als er dicht
vor dem russischen Schlagbaum, der
zur Nacht herabgelassen wird, die
„Halt, was wollt ihr?"
hoher Herr vom Gericht ist hier; der
will den Herrn Direktor sprechen,
auch den Kordonmajor".
nem Schilderhaus zurück, nahm das
Gewehr, das er dort hingestellt hatte,
und zog den Klingelzug, der zum
Wachlhaus führte.
Nach einer ganzen Weile kam ein
Strafchnik, einer der Grenzsoldaten,
aus dem Hause. Der Posten rief ihm
lachend etwas zu, was den Kuba in
solche Wut versetzte, daß er laut zu
schimpfen anfing. Jetzt sprang der
Posten vor den Schlagbaum und griff
mit einem Schimpfwort den Vorpfer
den in die Zügel. Im nächsten Au
genblick sauste ihm Kubas iange Peit
sche um die Ohren, daß ihm die
Mütze vom Kopfe flog.
Wer weiß, was geschehen wäre,
wenn in diesem Augenblick Willim
nicht aus dem geschlossenen Wagen
gesprungen wäre. Beim Anblick der
preußischen Uniform stutzte der Russe
und präsentierte das Gewehr.
Jetzt kamen auch zwei Männer vom
Wachthaus heran und fragten nach
dem Begehr. Vater Piontek, der fer
tig russilch sprach, machte den Dolmet
scher. Er verlangte zunächst Einlaß,
eine hohe Amtsperson habe mit dem
che zu verhandeln.
Dazwischen rief der Knecht vom
Bock, er verlange den Namen des
Posten zu wissen; was der Kerl eben
gesagt hat, ließen die Preußen nicht
auf sich sitzen. Der wachthabende Un
teroffizier schickte seine Begleiter mit
einem Befehl fort, ließ den Schlag
baum öffnen und lud die Herren ein,
ins Wachthaus einzutreten.
Nach langem Warten erschien, der
Direktor, ein Deutschrusse, der sich mit
vielem Wortschwall entschuldigte, daß
die Herren Ungelegenheiten gehabt
hätten, der Kerl auf Posten habe wohl
etwas getrunken er habe ihn gleich
ablösen und in die Kosa sperren las
sen. Die Herren möchten verzeihen.
Mit einem Blick scheuchte er die Sol
daten, dit das Zimmer füllten, hinaus
und fragte nach der Ursache des spä>
ten Besuchs. Der Amtsrichter erzählte
kurz den Vorfall und den Anlaß, der
den Verdacht rege gemacht hatte, daß
der Wachtmeister Iwan Jwanowitfch
Ofsipoff der Täter sei. ,
Der Direktor zuckte mit verbindli
cher Miene die Achseln. „Wenn Sie
sich einen Augenblick gedulden wollen,
bis der Herr Kordonmajor kommt.
Es ist schon nach ihm geschickt wor
den".
In verbindlicher Form fing er an
zu Plaudern.
„Ah, ein Unteroffizier von der
preußischen Garde, von dem ersten
preußischen Regiment. Unser Ver
bündeter hat schöne Leute bei seiner
Gardetruppe Ihr Herr Sohn, der
leider jetzt tot ist, Herr Ortsvorsteher,
hat auch bei dem Regiment gestanden?
O, wie betrauere ich, daß ein so >chö
ner junger Mann das Leben lassen
mußti. Ich fühle Ihren Schmerz,
Herr Ortsvorsteher, Es würde mir
sehr leid tun, wen» sich der Bedacht
bewahrheiten sollte, aber Gerechtigkeit
Herren, ein Eisersuchtsbrama mit
blutigem Ausgang? Was von un
serer Seite geschehen kann, um den
Fall aufzuklären, bitte, feien Sie
überzeugt, wird geschehen. Ah, da
kommt der Herr Major. Er spricht
aber kein Wort deutsch. Ich werde
dolmetschen".
Mit kurzen Worten berichtete er,
was vorgefallen war. Der Kordon
major, dem man den Stockrussen am
Gesicht ansah, wandte sich mit einer
höflichen Handbewegung an den
Amtsricht»r.
„Bitte, seien Sie überzeugt, daß ich
alles tun werde, um die Sache klar
zulegen".
Während der Direktor die Worte
übersetzte, ging der Major zum Fen
ster und rief einen Befehl hinaus. Der
wachthabende Unteroffizier erschien.
.Wer hat heute mittag die Wache
abgelöst?"
»Der Wachtmeister Fedor Jwano
witfch. zu Befehl, Herr Major".
.Wann ist er zurückgekommen?"
.Wie immer. Herr Major, kurz
vor zwölf Uhr".
Noch zwei, drei Soldaten kamen
auf seinen Ruf ins Zimmer und ga
ben dieselbe Aussage ab. Mit einer
Handbewegung wies er sie hinaus.
„Jetzt will ich selbst aussagen. Um
halb ein Uhr bin ich hier gewesen
und habe den Wachtmeister dort in
jenem Zimmer an seinem Schreibtisch
gesehen. Bis zu dem Tatort sind,
wie ich schätze. 7—B Werst. Es ist
also unmöglich, daß der Wachtmeister
der Täter ist".
Der alte Piontek hatte genau jedes
Wort verfolgt, und dazu genickt,
wenn der Direktor dolmetschte. Der
Amtsrichter hatte sich Notizen ge
macht. Jetzt klappte er sein Buch zu
und entschuldigte sich bei den russische»
Herren wegen der Störung. Die be
stimmten Aussagen der Beteiligten
hätten ihn dazu genötigt, hier sofort
Auskunft zu erbitten. Er freute sich,
daß der schwere Verdacht von dem
Beschuldigten genommen sei.
Mit vielen Komplimenten geleitete
der Direktor die preußische Besucher
zum Wagen. Mit einem Zungenschlag
trieb Kuba die Pferde zum Laufen
an. Aber-schon nach hundert Schritt
hielt er die Pferde an, sprang vom
Bock und öffnete den Wageuschlag.
„Entschuldigen Sie, Herr Amts
richter, was haben die Russen aus
gesagt?"
„Es ist nichts mit russischen Wacht
meistern. Der Mann hat bis zwölf
Uhr seinen Dienst getan und ist zwi
schen zwölf und ein Uhr im Bureau
gewesen".
„Wer hat das ausgesagt?"
„Die vernommenen Soldaten und
abends von ihrer Fahrt zurückkehrten,
hatte sich das Bild geändert. Die
Nachricht von Adams gewaltsamem
' alles dicht gedrängt. Aus den Fen-
stern der Vorderstube fiel Heller Licht,
! schein. Als der Wagen in das Hof
! Tor einbog, erklang lauter Gesang Die
! bahrt. Ringsum standen Männer und
Frauen und sangen mit Heller Stim
me all die Lieder ab, die im Gesang»
messene Pause verstreichen. Dann er
hob er sich und sagte mit halblauter
Stimme das nächste Lied an. Der
Spiegel in der Stube, ja selbst die
Glasscheiben des Küchenschranks Iva»
Erst nach Mitternacht leerte sich die
den Eltern.
! Vater Piontek saß die ganze Nacht
I hindurch, ohne ein Wort zu sprechen,
' auf seinem Stuhl zu Häupten seines
Sohnes. Die Mutter stand von Zeit
! zu Zeit auf, um die alten Weiber, oie
mit halblauter Stimme ans vem Ge
sangbuch das Totengebel vorlasen
oder es auswendig hersagten, durch
einen Honigschnaps zu erquicken.
Dann ging sie herum und putzt» die
ten durch neue. Jedesmal blieb sie bei
dem toten Kinde stehen und streichelte
ihm die Backen. Sein Gesicht war ja
nicht verzerrt. Das war ihr ein gro-
I Ber Trost, wie sie jedesmal 'zu den
Weibern sagte, die Kugel hatte so gut
! getroffen, daß er es wohl gar nicht
gemerkt hatte, wie sein Leben endigte.
Auch Willim hatte bis gegen Mor«
gen bei seinem Freunde gesessen und
Totenwacht gehalten. Dann hatte ihn
der Schlaf übermannt, er war auß
dem Stuhl eingeschlafen. Die Tante
weckte ihn. „Geh schlafen, mein lieber
Junge. Alte Leute können den
Schlaf schon eher entbehren. Uni»
heute früh wirst du ausstehen, mit
dem Onkel nach der Stadt fahren
er nicht. Er wird nicht aufstehen,
sein liebes Herz steht still".
Ganz srüh am anderen Tage kam
der Arzt, der im Auftrage des Ge
richts die Todesursache festzustellen
hatte. Sein Gehilfe und die beiden
Männer, Kuba und Willim, halfen
ihm, den Toten zu entkleiden. Er
hielt es für überflüssig, zu sezieren.
Das kleine Kugelloch, das genau aufS
Herz zu führte, sprach deutlich genug.
Der Doktor saß schon am Tisch und
schrieb den Bericht, als Bater Piontek
„Herr Doktor, haben Sie die Ku
gel gefunden?'
.Nein, Herr Piontek. Ich halte e»
für überflüssig, zu schneiden. Die To
desursache ist ja tlar".
.Ja, es kann sein, aber ich möchte
die »tugel haben. Sie ist nicht durch
und durch gegangen, sie muß noch im
Körper sein".
Er wollte durchaus dabei sein, alz
der Arzt sich zur Oessnung des Kör,
pers entschloß. Nur der bestimmte
Besey! des Doktors brachte ihn au»
der Stube. .
Als alles vorüber war, wurde
ter Piontek gerufen. Die Kugel lag
auf dem Tisch. Ein einfaches Blei
geschoß ohne Stahlmantel, ein Lang
blei mit drei Ringen am unteren
Ende. In den Weichteilen der mensch
lichen Brust war es ganz unverändert
geblieben.
Vater Piontek nahm das tödliche
Geschoß zur Hand: .Kann ich es be- '
.Nein, es muß ,u den Akten ein
.Aber es bleibt doch bort?"
.Jawohl, es wird aufbewahrt. Wa»
wollen Sie von dem Geschoß?"
Der Alte legte bedachtsam da»
Stückchen Blei wieder aus da» Pa
pier, von wo er es genommen hatle.
.Was ich davon denke? Das Blei
ist aus russischen Büchse ge
(Forlsetzung solgy.