Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, March 21, 1918, Image 3

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    Per Dollen.
Von Gustav Hochstetter.
Ich kan» es nicht sür mich behal
ten, es muh heraus: Ich habe ge
stohlen.
Nicht etwa de» Stoss zu einem
Drama. Daraus würde ich mir kei
nen Normurs niachni, das haben
Größere getan. Nein. Etwas ganz
Materielles hab' ich gestohlen.
Ich kann's nicht mehr sür mich
behalten, daß ich gestohlen habe.
Und das brauch ich auch nicht!
Diebstahl ist ein Verbrechen, Selbst
das schlimmste Verbrechen verjährt
nach zwei Jahrzehnten. Uno oaß
ich gestohlen habe, das ist schon weit
über zwanzig Jahre her. Zurzeit
meines Delikts war ich sechs Jahre
alt, trug ein kurzes, braunes Samt
ciner Gymuasial-Vorschule. Dieses
Bildungsinstitut hatte drei Klassen
und jede zählte etwa dreißig Schü
ler. Wir waren somit unser etwa
neunzig, und alle neunzig
haben gestohlen. Ich will auch gleich
sage», was ich gestohlen habe. Ei
nen Bollen.
„Pardon, einen Bollen? einen
Den kan» doch kein
sechsjähriger Junge stehle»?"
„Nein, ich sagte nicht Bullen, son
dern Bollen."
„Ach sol Sie meinen eins Bolle?
Bolle sagt der Berliner für Zwie
bel.
Rhein mündet, wird man mich ver
stehen. Da weiß man, daß ein „Bol
len" eine Zuckerstauge ist, drei
Gymnasial-VorschUlern.
Das heißt bis zu dem denk
würdigen Tag, an dem ich diese
schmachvolle Missettat beging, konn
ten von den neunzig Schülern nur
neunundachtzig als Verbrecher be
trachtet werden. Ich als neu»zigster
und einzigster war meine
stark in ihrer Achtung gesunken sei.
Es war um die Zeit der Mai-Messe.
Auf dem Paradeplatz standen die
war, eben nial zuzugreifen, wenn
die Verkäuferin wegsah. Jeden
Morgen und jeden Nachmittag, eh'
den. 810 ß ich bekam nichts ab.
nichts als böse Blicke und gistige
Sticheleien, lind eines schönen To
nen Tag, von de», nia» schließlich
« verlangen dars, daß er schön ist>,
trat eine eigens gewählte Noinmis
nicht weiter gehen könne.
Die Kommission bestand aus den
Acltcste» meiner Klasse. ES liegt
Das war nachiiiittags um vier.
Ich litt an einer Art von Maiin
haftigkeitsrausch, der bis um acht
meine Mannhaftigkeit überraschend
schnell verflüchtigt. Bange Zweifel
stiegen in mir auf. Hat man etwas
gemerkt? Weiß man? Ach Gott,
was werden die Eltern dazu sagen?
Ich schaute keinem ins Gesicht. Im
mer a»f de» großen Abreißkalender,
drüben an der Wand. Er zeigte de»
meinem Bettchen lag und es leer
und schwarz und dunkel iin Stübche»
war, da kam ganz ohne fremden
Zuspruch, ganz von allein die
Neue heiß und sch»ierzlich in mir
aufgestiegen, und ein paarnial sprach
der kleine Hemdenmatz, der sich nun
gar nicht mehr recht mannhast vor
kam, laut in die sinstere Nacht hin
ein: „Heute, am zwölften Mai, habe
ich gestohlen!"
nimmer wieder zu tun.
Was ist mannhast, was ist kin
disch?
Wer ist schuldig und wer nicht?
Eine verflixte Geschichte! Jeden
falls ist es gut, iveun ein Mann ein
Mann ist. Und jedenfalls ist es
schlimm, wen» ein Leutnant seinen
Kameraden niederknalle», wenn ei»
Studio dem andern das Gesicht zer
hacken, und wenn ein kleiner Junge
für seine Mitschüler Bolle» stehle»
muß.
Zur Mode-Geschichte.
Während der Regierung Ludwigs
bräuchlichen Form der Milchtöpft
hatte. Die Ursache dieser Mode war
einer der Günstlinge des Königs, der
er etwas zu zärtlich geworden war,
ihren Topf auf den Kopf gestülpt
hatte. Nach verbrachter Tat war das
Mädchen davongelaufen in dem
selben Augenblick als die Kavaliere
und Hofdamen eintraten. Sie wa
ren über den seltsamen Anblick nicht
wenig verblüfft, dem Grafen d'Artois
aber fehlte es nicht an Witz und er
erklärte die Situation sofort damit,
daß ihm der Michtopf die Idee zu
einer neuen kleidsamen Mode gegeben
habe. Und nun wurde er von allen
Seiten begückwiinscht, denn man fand
daß ihm fein „neuer Hut" vorzüglich
stehe. Damit war die neue Mode ge
macht und niemand hätte ihren Ur
sprung geahnt, wäre nicht der Graf
d'Artois später selbst auf den Ge
bauten gekommen, in feinen Memoi
ren die Geschichte auszuplaudern.
Berechtigter Ahnenstolz.
Während der Regierungszeit der
Königin Viktoria soll sich folgendes
Geschichtchen ereignet haben: Als die
Königin der Sandwich-Inseln ihr
einst im Buckingham Palace einen Be
such abstattete und von ihrer „euro
päischen" Schwester mit großer Zu
wollte sie an Liebenswürdigteit »ich!
hinter dieser zurückstehen und meinte
deshalb im Laufe des Gesprächs ein
mal: „Auch in meinen Adern rollt
etwas englisches Blut." „So? Wie
ist daS möglich?" fragte Viktoria er
staunt. „Meine Vorfahren haben
James Cook verspeist!"
Die Herero in
Siidmest-Afriku.!
Deulsch-Siidwest-Afrila ist seit
undenklichen Zeiten von nomadischen
Völkern bewohnt, deren volkreichster
und herrschender Stamm die Herero
nichts Höheres kennt, als möglichst
viel Vieh zu haben. Obwohl der
Biehreichtum einzelner Fürsten wie
zeugung des Menschen Herz erfreuen
tonnte. Wie ein richtiger Deutscher
für den Wald schwärmt, so schwär
getränkt werden. Für eine Herero-
Gefellfchaft gib! es auch kein interes
santeres und fesselnderes Gesprächs
nisse ihrer Ochsen, die Stammbäume
ihrer Kühe durchzusprechen. Ihres
Herzens Sehnen ist erfüllt, wenn
nur die Heerde sich vermehrt. Daher
Hammeln wird, außer bei ganz au
ßerordentlich festlichen Ereignissen
(Begräbnissen und dergleichen) nichts
angegriffen; sonst ist man zufrieden,
von der Milch der Heerden zu leben,
von dem, was die Jagd bietet, von
'stirbt. Denn selbstverständlich läßt
ihn übrig bleibt. Noch heute
selbst der reiche Herero, wenn in dür
rer Zeit die Milch knapp wird, lie
ber mit Weib und Kind Hunger lei
den und den Leibgiirtel (der deshalb
in der Landessprache „Hungerstlltzer"
heißt) alle paar Tage um ein Loch
enger schnüren, als daß er einen sei
ner vielen lieben Hammel oder Ochsen
bloß aus dem Grunde schlachtete, sich
satt essen zu können.
Neben diesen reichen Nomaden und
stammverwandten Vasallen und
Knechten treibt sich im Lande ein
rätselhaftes, schwarzes Volk umher,
als wie eine An Zigeuner, die Berg
damara, auf der tiefsten Stufe der
Kultur stehend. Obwohl an Zahl
verhältnismäßig nicht gering, haben
sie unter sich nicht den geringsten
Zusammenhalt ein 801 l von Skla
ve» und Vagabunden, das nur einen
Gedanken hat, sich den Bauch mit ir
gend etwas, das nach Eßbarem aus
steht, vollzustopfen, sei es Gummi ara
bitum oder seien es zerklopfte Baum
wurzeln, sie holen den Ameisen den
gesammelten Grassamen aus den Lö
chern hervor, um ihn zu verzehren,
und kennen keine größere Freude,
als wenn Heuschreckenscharen das
Land überfallen, weil sie dann Nah
rung in Hülle und Fülle haben. Da
neben betreiben sie auch allerlei
schwarze Künste, kennen die heilsamen
Kräuter und tätlichen Gifte, beschwö
ren die Schlangen und wissen auf
geheimnisvolle Weise den Kranken
aus den schmerzenden Stellen die
Krankheit herauszuzaubern, die ir
gend ein Bösewicht hineingezaubert
hat. Daß sie ihre Hände nicht von
den geheiligten Ochsen der Herero zu
rückhalten, ist selbstverständlich, wie
es natürlich ist, daß die Nomaden,
um den Raub zu rächen, die Berg
damara überfallen, die Alten erschla
gen und die Kinder als Sklaven mit-
Nach der Schöpfungsgeschichte der
Herero gab es im Anfang aller
Dinge einen Baum, der Baum gebar
alles andere, was da lebt, nämlich
die Hereros, Ochsen, Zebras und
Buschmänner. Die Häuptlinge ha
ben mehr priesterliche als kriegerische
und politische Autorität. Sie segnen
die Ochsen und ihre Töchter bespritzen
alle Morgen die seltesten Ochsen mit
einem in Wasser getauchten Gras
wisch, ehe das Vieh auf die Weide
geht. Sie erwarten kein zukünfti
ges Leben, noch wissen sie etwas von
einem Jenseits; doch betet man über
den Gräbern um Ochsen und Schafe
und zwar um recht fette und von
rechter Farbe. So sind die Herero
ein habsüchtiger, herzloser und dum
mer Schlag von Wilden.
Das neugeborene Kind wird ge
waschen das einzige Mal in sei
nem Leben! Da die Herero keine
Jahresrechnung haben, so ist es kaum
möglich, über ihr Alter Gewißheit
zu erhalten. Etwa mit IS Jahren
heiraten sie, indem sie für einen oder
zwei fette Ochsen oder einen oder
zwei fette und einen oder zwei ma
gere sich eine Frau kaufen. Nach
dem Tode wird der Leichnam in eine
kauernde Stellung gebracht, wobei
das Kinn auf den Knien ruht, und
in dieser Stellung werden sie in
ein« alle Ochsenhaut genäht, das
Ding, worauf sie gewöhnlich schlafen,
und dann in ein Loch hinabgelassen,
das dazu gegraben worden ist.das
Gesicht nach Norden gewendet und
zugedeckt; dann springen die Leid
tragenden rückwärts und vorwärts
Eine kranke Person findet kein
Mitleid; sie wird von ihren Angehö
rigen aus der Hiltte vom Feuer weg
Ochsenhäute über ihn, bis er erstickt.
Nur wenige sterben eines natürlichen
Todes.
gebaut. Man steckt im Krei'e bis
zehn Fuß hohe Stöcke in die Erde
und biegt und bindet sie oben zu
sammen und „das neue Haus ist
aufgerichtet!" Die Stöcke werden
mit Reisig u. s. w. verflochten, oben
drauf werden Ochsenfelle gebunden.
Lager bilden neben einigen hölzernen
Milchgefäßen das gesamte Meuble
ment und die ganze Kücheneinrich
tung.
noch, daß trotz alledem diese Völker
auf solch entsetzlich niedriger Stufe
stehen? Woher dieses traurige Schau
gel als Ursache des tiefen Beifalles
lastet der schlimmste Egoismus, der
sich denken läßt, der sich bei den Rei
chen und Vornehmen als der schmut-
Macht, sich selbst herauszuretten.
schauungen.
Deshalb imponiert« dem Herero
seligen Lande überhaupt nur Besseres
geben! Die Versuche der Weißen,
Kornfelder und Gärten anzulegen, er
— Der Ansichtskarten-
Fanatiker. „Was nützten de»
Alten eigentlich ihre sieben Wcltwun
— Brei st Brei. „Aber hö
„Das wird nicht viel ausmachen,
schätz' ich, Brei is Brei! Haberbrei
sder Reisbrei, Eberlbrei oder Ll>
wenbrei! Das kommt alles auf eint
hinaus!" -
Die beiden Kchnei
dergesellkn.
Bon Marx Hirschsrld.
Die ganze tragische Geschichte wäre
nicht passiert, wenn ihnen nicht in der
Schneiderhcrberge zu Osfenbach ein
gemeinschaftliches Zimmer angew!e?cn
denn sie waren die Söhne wohlhaben»
der Meister, aber ' die Erzählungen
von den Abenteuern ihrer Großväter
Nach durchschlafener Nacht war
Bemme zuerst auf den Beinen, und
als Appel ins Wirtszimmer hinunter
kam, hatte Bemme eine von den an
„Was tust Du denn da?" fragte
Appel.
„Mensch, ich bin verliebt."
Dabei hielt er dem andern die
Alter darstellte. Kaum hatte Appel
das Bild erblickt, als er auch sofort
Feuer fing.
„Die möchte ich zur Frau haben,"
rief er aus.
„Ich habe sie entdeckt", rief Bemme
empört, „und mir kommt es zunächst
zu, mich in sie zu verlieben."
Appel wollte das nicht zugeben, ja,
er sprach sogar von „allgemeinen
Menschenrechten", bis sie im Laufe
der Debatte endlich auf den Gedanken
tamen, nach dem Original des Bil
des zu fragen. Zu ihrer Freude
tonnte ihnen der Wirt sogleich prompt
Auskunft geben:
„Das ist die Schwestertochter mei
ner Frau, Ulrike Zwickel aus Eschen-
G h , -h
Ber Entrüstung lehnte der Wirt dies
Gesuch ab. Aber als Bemme ein Ge
bot tat, Appel sogleich einen höheren
Preis nannte und die Versteigerung
so lange hin und her ging, bis Bem
chen und übergab ihm gegen die Be
zahlung die Photographie.
„Behalt' Du das Bild," rief
kann sie nur kriegen, und
wenn wir uns drum schlagen sollten,
bis einer auf dem Platze bliebe."
„Das fft eilt Gedanke," rief Ap
len."
„Herr Wirt, zwei Schnäpse und
zwei Pistolen."
Der Wirt goß die Schnäpse ein,
andern Weg."
Am Kreuzweg angelangt, lud Ap
pel die und gab eine davon
los."
„Komm doch vor, Du Feigling!"
höhnte Appel.
„Ich komme," rief Bemme, und ei
mes ihm keine Zeit bleiben werde, sei
ne Pistole abzuschießen. Das Mord
instrument in die Tasche steckend, ent
schloß er sich kurz und kletterte auf
einen Baum.
D b he
jagt.
„Klettert Appel hinunter," dachte
er, „so ist es für mich am sichersten,
Aste eines Baumes, und nun konnten
sich beide Gegner zu beiderseitigem
Schrecken sehen.
Appel wurde totenblaß, und sogleich
entstand in ihm der Gedante, diesem ,
Zustande des Schreckens ein Ende zu
machen. Wie der Blitz hob er die Pi
stole und feuerte.
Ein lautes Krachen ein Jam
merschrei und vor seinen entsetzten
Blicken sah Appel den Körper seines
Gegners vom Baum herunterstürzen
liegen bleiben.
Bon Todesangst gepackt, kletterte
er hinutner und lief davon, ohne auch
zu werfen.
Nach einigen Stunden atemlosen
Manderns wagte er es endlich, zu
ruhen und über seine Lage nachzu
denlen.
tig überlege," fuhr es ihm durch
den Kopf, „so habe ich eigentlich gar
nichts zu befürchten. Man wird den
ja nun der Sieger und dürfe jetzt auch
die Lorbeeren des Sieges pflücken. Er
beschloß also,'Aach Eschenberg zu ge
hen und um die schöne Ulrile Zwickel
zu werben.
Während er da hinwanderte, sehen
wir uns nach dem erschossenen Bem
ihn getötet zu haben, die Flucht er
greifen.
„Er wird sich ivahrscheinlich ein
der festen Absicht, sich um Ulrike
Der Wirt hatte beiden Gesellen
nte m odengasse
Er trat in die Werlstatt, in der er
schästigt sah.
„Sind Sie Herr Zwickel?" fragte
er.
„Könnte ich Ihre Tochter spre
chen?"
„Nee, das geht nicht, sie schläft
jetzt."
Dabei öffnete er die Türe und
zeigte in das Nebenzimmer auf eine
Wiege, in der ein Kind schlum
merte.
»Nein, ich meine Ihre ältere Toch
ter Ulrike."
„Ulrike heißt meine Frau."
„Da sind wir schöne hereingefal
len". ließ sich die Stimme Bemmes ver
nehmen, der eingetreten war und
zum Zeichen der Versöhnung die
Hand. Nachdem sie auch noch die
Genugtuung hatten, Frau Ulrike
Zwickel zu sehen, deren Aussehen nur
noch andeutungsweise an die Photo
graphie erinnerte, setzten sie frohen
Mutes die Wanderschaft fort. In
späteren Jahren, als beide ehrsame
Meister geworden waren, sprachen sie
bisweilen im Familienkreise oder un
einem Duell, das sie in ihrer Jugend
gehabt, und daß sie damals nur durch
eine günstige Schicksalsfügung dem
Beim Gericht.
„Aha, Sie haben eine Vorla
dung für Neune und sind schon da?
Das ist recht, der Herr Richter liebt
die Pünktlichkeit; nehmen S' nur
Platz er kommt um Zehne."