Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, January 10, 1918, Image 3

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    MutterMarla
Roman von E. von Anderten.
Immer an der Scholle kleben, «in
ganzes Leben hindurch, das ging doch
Glicht an. Söhne, die schickt man
fort, die müssen sich ihr Leben auf
bauen nach eigenem Geschmack, aus
»eigener Kraft. Bei einem Mädchen
ist das was anderes; ihre Stätte ist
das Haus, hier muß sie sich betäti
gen in nutzbringender Arbeit für die
Familie,, deren Schutz sie als Entgelt
dafür empfängt.
Für Maria war der Beruf der
Haustochter ein doppelt natürlicher;
erstens war sie die einzige Tochter
und zweitens die Vertreterin ihrer
«oten Mutter. Aber in ihrer nächsten
bevor, der sie über sich selber und ihre
Zukunft nachdenken ließ. Das hatte
sie bislang nicht getan. Da hieß es:
Vater" und immer wieder:
Vater" und dann die Wirtschaft
mit aller Mühe, die die jeweilige
mit sich brachte.
Der Vater kränkelte immer mehr.
Der letzte Anfall hatte ihm nicht nur
körperlich eine leichte Lähmung hin
gehen, eine Männerhand die Zügel
iet: Bruder Arwed würde den Ab
schied nehmen. Allzu passionierter
ganz aus seinem Stande gewählt hat
te. Aber der sonst nicht allzu Energi-
hatte in diesem Fall hartnäckig
schöne, blonde Mädchen einzuwen
den? Im Grunds gar nichts Stich
haltiges. So wurde sie Frau von
Bergen, aber ihre Stellung in der
'Gesellschaft wurde keine sehr leichte.
Sie setzte darüber hinweg, ließ
ganz in Richtigkeit war, gewiß in
das beste Gleis bringen.
An dieses bevorstehende Eintreffen
der Geschwister knüpfte nun Maria
ihrerseits ihre Pläne. Die Schwäge
rin war wirtschaftlich tüchtig, würde
sich auch gewiß bald in die ländlichen
Verhältnisse hineinfinden. Es war
merkwürdig, wie schnell nach den we
nigen kurzen Wochen sie sich die
Sympathien des Schwiegervaters zu
erobern gewußt hatte; auch blieb die
sem zu seiner persönlichen Pflege und
Bedienung die Brandskaten, die alte,
treue Wirtschafterin.
Also Maria würde nun entbehrlich
sein. Das Haus Berlauken bot ohne
dies leinen Raum für so viele.
Der Wind wehte frisch vom Wal
de her über den Roßgarten. Da lehn
te sie gern am Zaun und blickte ins
Weite. Sie sah den Pferden zu, Mut
terstuten und Fohlen, die sich dort
froh tummelten. Der Luftzug spiel
te mit ihrem braunen, schlicht frisier
ten Haar und pustete durch ihre
Waschbluse. Aber es fror sie nicht,
das Blut pulsierte warm in ihrem
lrästigen Körper.
Die Schwalben versammelten sich
auf den Telegrnphenstangen längs
des Fahrweges. Ja, es wurde Herbst.
Bald würde auch tms Storchnest des
langen, strohgedeckten Scheunendaches
wieder leer sein, ja, bald vielleicht sie
selber fortstreben wer wußte, wo
hin?
Cäsar, die deutsche Dogge, bellte
die jungen Rinder an, die in der
-gleichen Koppel wie die Pferde weide
ten. Maria pfiff sie Sie ge
horchte gut, wen-, auch widerwillig.
Es folgte ihr jeder.
Das Fortgehen würde ihr schwer
Stück Erde. Noch keine Nacht ihres
Levens hatte sie .mßerhalb ihrer Hei
gc!ür:nten Beeten darauf, die weiß
gekallte Steine umrandeten, geschrit-
ten war. Und wieviel mehr noch war
ihr ganzes Dasein mit dem Hofe
verwachsen, diesen, weiten gepflaster
ten Raum, der von Garten und
Haus durch hohe Buchenhecken g«-
trennt war. Täglich lenkt« si« ihre
Schritte dem Hof zu nach recht»
hin, um das Gedeihen der Kälber zu
überwachen und nach dem Federvieh
zu sehen, links, um dann und wann
einen Sprung aus den Kornspeicher
zu tun, geradeaus, um in dem klei
nen Wohnraume neben der Haupt
scheuer, mit Brandskat ein paar
Worte zu wechseln. So war es nun
schon seit Jahr und Tag gewesen,
seit sie den Kinderschuhen noch kaum
entwachsen war.. Nun war sie acht
zehn Jahre, das Leben begann ja
erst eigentlich für sie, aber hier er
schien es ihr nun wie eine abgeschlos
sene Episode.
Das ging ihr alles durch den
Sinn, als sie jetzt, den Blick über
den Roßgarten gerichtet, in den gel
ben Sonnenball hineinsah, der hin
ter dem Waldrand langsam versin
!en wollte. Da lenkte sie ihre Auf
merksamkeit der Eisenbahn zu, die,
von der Stadt kommend, mit Hellem
Geläute ihr Nahen verkündete. Wie
gern sah sie den vorübereilenden Zü
gen nach, die Bewegung in die Pille
legend brachten und ihre Gedanken
mit in die Ferne entführten. Von
einem ganz anderen Leben sprachen
sie ihr, das sich weit jenseits hinter
Feld und Wald abspielte, das ge
heimnisvoll den Träumenden lockte.
Noch hatten ihre Pläne zwar keine
feste Form; doch ihre Verwandten
in Berlin, bei denen sie zunächst eine
Heimstätte zu finden erhoffte, sollten
hilflich fein. Noch hatte sie dem Va
ter nichts von ihrem Vorhaben ge
sagt. Es würde sich das gelegentlich
schon mal tun lassen, und die Sache
in die Bahnen zu leiten, war nach
Ankunft der Geschwister auch noch
früh genug.
Maria sah nach der Uhr. Es ging
schon auf sechs, um fünf Uhr war
die Stunde zum Spaziergang mit
dem Vater. Sie dursten auch heute
nicht zu lange gehen, denn der Do
inänenpächter Stange aus Karlswal
de hatte sein Kommen angesagt, um
mit ihr die "«Wirtschaftsbücher durch
zusehen. Es «ar morgen der erste
September. Ein« Unmutsfalte trat
auf ihre Stirn. Sie hätte ihm dank
bar sein sollen, nahm er doch einen
nicht geringen Teil ihrer Mühen auf
seine Schultern. Er übersah rasch,
wo es etwa fehlte, und gab ihr Direk
tiven; seine praktische und völlig
zielgemäße Auffassung der Land
wirtschaft wußte er auch auf ihre
Gedanken und Entschlüsse zu über
tragen. Trotzdem er ihr stets «ine
sehr starke Stütze gewesen war, sah
sie seinem Kommen doch mit einem
Gefühl des Unbehagens entgegen.
Das hatte sich in letzter Zeit im sel
ben Maße gesteigert, wie seine Besu
che zunahmen. Stange war Witwer.
Agnes, feine älteste Tochter, hatte
geheiratet, die zweite wuchs heran
und würde woyl dem Beispiel der
Der reiche Bater brauchte mit der
Mitgift nicht zu sparen. Es war in
Maria kein Zweifel mehr, daß er sie
mit Freiersaugen ansah. Aber auch
über sich war sie sich völlig im kla
ren: Heiraten konnte sie ihn nicht,
lassen, so mußte sie rasch und ganz
aus seinem Gesichtskreis verschwin
den. Heute würde sie ihn mit ihrer
die von einem blonden Bollbart halb
bedeckt war. Er hatte die Blicke mit
halb bewunderndem, halb amüsier
heit nichts zu tun Hütte. Das Gefühl
ken! mußt«
seitiger Richtung über die Chaussee
hin, dem Walde zu. Aber sie sah
nichts als Bäume, Riesen und Zwer
ge in allen Arten von Grün, in das
der Herbst mit starkem Pinsel seine
ersten bunten Töne gesetzt hatt«.
Dach und den roten seitlichen Haus
giebel von Godschillen sehen. Man
hörte auch wohl von dort die Hunde
gewesen. Jagd hatte sein Leben fast
völlig ausgefüllt. Um die Bewirt
schaftung seines großen Waldgutes
hatte er sich wenig bekümmert, un
schalten und walten können; so war
der Besitz in ständigem Rückschritt
begriffen. Der gichtische Alte hatte
zu seinem einsamen Leben immer
noch mehr als genug. Wie der Neffe
und Erbe sich einmal mit dem Majo
rat abfinden würde, war dessen Sa
che.
D»fer Neffe hatte sich selten in
war Maria ihm nicht begegnet.
Wie auf Abwegen ertappt, schreck
te sie jeijl auf. Ob der Vater sie noch
nicht vermißt hatte? Da sah sie ihn
auch schon neben den hohen Buchen
hecken daherkommen, die hagere Ge
stalt leicht nach vorn gebeugt, im
Gang leise schwankend, auf dem
weißhaarigen Kopfe den großen Bast
hut. Er hatte sich, wie fast täglich,
an den Hecken mit der Schere zu tun
gemacht. Diese Hecken waren sei»
Stolz, von ihm gepflanzt, von ihm
gepflegt, bildeten sie draußen jetzt
fast sein ausschließliches Interesse
Er konnte täglich Stunden damit
zubringen, jedes vorlaute Blatt zu
stutzen. „Sie werden noch so hoch
werden wie die Laubengänge im
Charlottenburger Schloßzarten",
pflegte er zu sagen. Besser gehalten
Jetzt erblickte er die Tochter. „Ma
ria, wo du nur heute steckst! Ich war
te schon so lange/ Seine Stimme
klang müde, vorwurfsvoll. Sie fühl
te sich in seiner Schuld und sprach
ihm beruhigend zu, und dann schrit
ten sie über den Hos. Ein Weilchen
hielt sich Herr von Bergen noch be:
den Katzen auf, die, sechs Stück an
der Zahl, sich streckend, schnurrend
und blinzelnd vor dem Kiicheneiu
gang des Hauses lagen und von ih
rem Brotherrn irgendeine Aufmerk
samkeit zu erwarten schienen. Sie
wurden dann auch gestreichelt und
geneckt. „Die weiße würde einen
Schönheitspreis cerdienen", meinte
der Greis.
Dieser abendliche Spaziergang
forderte von Marias Geduld starke
Proben. Da wäre statt dessen so viel
anderes, Wichtiges zu tun gewesen.
Auch wirkte das tangsame Gehen je
desmal stark ermüdend auf sie. Aber
wenn sie nun fort war, würde dann
die Schwägerin diese kleinen Pflich
ten wohl auch willig übernehmen?
Zum erstenmal stiegen ihr ernster.
Bedenken auf. Sie traute der Schwä
gerin nicht viel Selbstlosigkeit zu.
„Vater, ich werde nun hier über
flüssig sein. Du hast ja dann aber
Magda, die du doch gern magst, und
Hanne Brandskat bleibt dir ja im
mer/ Ehe sie selber es wußte, war
es gesagt.
Er hielt im Gehen inne. Sie stan
den bei dem Jnsthause, dessen langes
Strohdach von drei mächtigen Sil-
„Fort willst du?" fragte er.
„Ja, etwas lernen, ich muh doch
später mal auf eigenen Füßen stehen.
Hast du etwas dagegen Väterchen?"
„Du solltest doch heiraten, das wä
re besser."
Sie war nun doch erstaunt, daß er
die Sache so leicht zu nehmen schien.
„Es will mich aber keiner," lachte sie.
„Natürlich will dich wer, wenn du
nur willst zum Beispiel unser
Amtsrat!"
Er sah ihre halb fragend, halb er
schreckt auf ihn gerichteten Blicke.
«Nein, gesagt hat er mir nichts,
aber das muh wohl einer merken. Du
kannst von Glück sagen, Mädchen."
Maria ging schweigend weiter.
Wenn der Vater es merkte, da muh
te es doch schon lehr auffallend sein,
also war es doppelt Pflicht, der Sa
che so schnell wie möglich ein Ende
z> machen. Sie hörten jetzt ein Rä
oerrollen, den Huffschlag von guttra
benden Pferden. Sollie das schon
Stange sein? Da bog er auch schon
selbst kutschierend aus dem Walde
heraus in die Dorfstraße ein und
hi°lt neben den Spaziergängern an.
Er freue sich lebhaft, daß sie ihm
nichi entwischt seien, zwar müsse er
nun Maria bitten, mit ihm umzu
henden Veränderungen in Berlauken
dauere heute die Konferenz vielleicht
länger. Aber sie wollten sich möglichst
sputen dabei, dann werde er nach
dem Abendbrot, zu welchem er sich
dauerten doch nicht allzulang. Stan
ge sah zu häufig in das schöne, re
gelmäßige Gesicht ihm gegenüber, das
heute ungewöhnlich blnch war. Er
entschuldigte sich Maria gegenüber
wegen feiner Zerstreutheit, aber er
auch sie schien ihn nicht bei der Sa
che. Da hob er drohend den Finger,
und ein Schmunzeln ging über sei
ne kernigen Züge.
„Wissen Sie was, wir lassen heute
die Sache liegen, den Rest bespreche ich
nochmals mit Ihnen im Beisein Ih
res Herrn Bruders."
Seine starke, untersetzte Gestalt kam
ihr immer näher. Obgleich er den
Fünfzigern nicht mehr fern sein
konnte, erschien ihr sein ganzes We
sen so von Jugendmut und Jugend
wünschen durchdrungen zu sein, daß
es ihr geraten schien, der Situation
ein Ende zu machen.
„Es ist fraglich, ob Sie mich bei
Ihrem nächsten Kommen noch tref-.
fen werden. Herr Amtsrat. Ich reise
nun bald, ich will nämlich"...
Sie kam nicht weiter. Seine Hand
griff nach der ihren.
„Was wollen Sie was? Tor
heit! Hierbleiben sollen Sie. Ich hal
te Sie fest, Sie sollen ja meine Frau
werden."
Mit Schrecken vernahm sie seinen
Antrag und lehnt- ihn fast stotternd
ab. Dann fuhr er fort ohne Abend
brot, und Herr von Bergen wartete
vergebens aus seinen Partner zur
Pikettpartie.
Ein paar Monate waren darüber
hingegangen. Ein nebliger November
neigte sich dem Ende zu. Maria hat
te ihre eigenen Interessen ganz hin
tenan gestellt, wie konnte sie auch an
Fortgehen denken, da die Schwäge
rin noch immer auf sich warten >jieß.
Arwed war planmäßig eingetroffen
und hatte seinen kleinen, einjährigen
Knaben mitgebracht. Diese zwei
männlichen Sprossen des Hauses
suchten sich nun, jeder in seiner Wei
se, so gut wie möglich in die verän
derten Verhältnisse einzuleben, und
während es dem kleinen Kunz bald
an gar nichts zu fehlen schien, so fand
sich sein Bater doch nicht so schnell
mit dem Wechsel ab. Der ehemalige
Offizier hatte gar zu viel zu lernen
und mehr fast noch zu vergessen, und
in jedem Falle bewahrheitete sich an
thm das alte Wort, daß aller An
sang schwer sei.
Da mußte ihm denn Maria täglich
und stündlich, sc gut sie es selber
vermochte, mit der Tat und mit ih
rer Erfahrung aushelfen. Und brauch
te der Brder sie nicht, so brauchte sie
der Kleine. Vor dem Eulengesicht der
alten Brandskat Hanne fürchtete er
sich, und seinem jungen Kindermäd
chen 'durste man ihn nicht zu viel
überlassen. So fiel es natürlich Ma
ria zu, Mutterstelle an ihm zu ver
treten. Sie freute sich auch des Kin
des, das jedesmal, wenn es sie sah,
die Aermchen verlangend ausstreckte,
und dessen Augen mit echt Bergen
schem Blick zu ihr ausleuchteten. Sie
empfand auch eine Art von Freude
darüber, daß er seiner Mutter so
wenig glich, doch erwünschte sie die
endliche Ankunft der Schwägerin im
Interesse ihres Bruders von Tag zu
Tag mehr herbei. Arwed liebte seine
schöne Frau über alles. Die Tren
nung von ihr, die ihn anfangs nur
mit sehnsüchtiger Ungeduld erfüllt
hatte, reizte seine Nerven immer
mehr auf. Mar.a fing an, sich um
den Bruder zu sorgen; oft sah sie
wolle sie ein Rätsel lösen, an dem er
selber grübelte. Doch scheute sie sich,
zu treten.
Wie meist um diese Nachinittags
zeit, saß Maria auch heute mit einer
Näharbeit am Fenster der Wohnstu
be, als, über de., Roßgarten kom
mend, ein starker Schall an ihr Ohr
schlug.
War es ein Schuß gewesen? Seit
dem Kaffee hatte sie Arwed nicht ge
sehen. War er virschen gegangen?
Möglich wenn er nur öfter gehen
möchte, es würde ihn zerstreuen. Es
waren noch Böcke genug abzuschießen,
die Jagd hatte lange ungenutzt da
nieder gelegen.
Aber eine Unruhe war plötzlich
über sie gekommen, und sie beschloß,
erst mal nachzuseyen, ob er zu Hause
sei. Ein Anliegen war rasch gefun
den, mit dem sie vor ihn hintreten
tonnte. Aber sein Zimmer war leer.
Sie trat an den Schreibtisch, dessen
Platte ein Durcheinander von Papie
ren bot. Seine Arbeit mußte Plötz
lich unterbrochen fein. Am Regal
fehlte die Mütze; vielleicht war er nur
te. Die kurze Büchsflinte fehlte. Ma-
Frau drinnen im Zimmer, der Mann
draußen stehend, hielten Wirtschafte-
rin und Kämmerer ein eifriges Ge
spräch. Auf dem Fensterbrett lag auf
gezähltes Geld und mit Zahlen b«>
schriebenes Papier. Es war.Sonna.
bend. Die Wirtschafterin empfing,
was sie für die Woche gebrauchte,
und lieferte ihren Betrag für Eier
und Butter der Hauptkasse ab.
Sie waren eigentlich Eheleute,
aber nach heißer Liebe und einem
ein trauriges Ereignis zu völligem
Bruch geführt. Ihr Junge, ihr Fried
rich hatte sie eines Tages verlassen.
Es sollte derzeit diel fahrendes Volk
in der Gegend zu sehen gewesen sein.
Ob böse Geister ihn zum Haus hin
ausgetrieben sie mußten es am
besten wissen...
Aber sie blieven auf Berlauken,
schaftshaus, und sie schwor, nie einen
Fuß über die Schwelle ihres Man
nes zu setzen, ehe Nicht ihr Sohn zu
rückgekehrt sei.
nicht bemerkten. „Altchen", sagte die
se zu Hanne, „ich gehe schnell nml
fort, der Kleine ist allein, sieh mal
he fort: nimm du ihn," oder so
etwas hatte Arwed bald nach Mittag
zu ihr selber gesagt. Dabei hatte er
setzt.
Gleich hinter dem Hoftor bildete
die Landstraße einen Kreuzweg, und
ohne Bedenken )og -Maria gleich
nun die Bäume fast laublos waren,
wurde der Giebel des Herrenhauses
sichtbar. Aber heute im eiligen Ge
hen wandte sie keinen Blick nach dort,
und erst als der Roßgarten hinter ihr
lag, blieb sie stehen und blickte zurück.
Der Vater hatte seine Fensterläden
noch nicht geöffnet, der hielt noch
Mittagsruhe. Sie atmete hastig. So
rasch hatte sie der. Weg nur als Kind
zurückgelcht, wenn sie mit Bruder
Arwed Wettlauf machte und der
Teich das Ziel war und sie ihn sast
immer schlug.
Der Unkenteich sollte auch heute
ihr Ziel sein. Und was wollte sie
überhaupt dort? Sie wußte es jetzt
selber kaum. Von Wald zu Wald
sollte hier der beste Wildwechsel sein.
Aber von Arwed noch keine Spur.
Vielleicht hatte er den Stand verlas
sen. Nun, jedenfalls nur mal hin
bis zum Schilf und dann zurück.
Da weckte sie Säsar von dvrt her
schon mit kurzem, erregtem Gebell
aus ihrem Ueberlegen. Atemlos stürz
te sie vorwärts da fand sie Ar
wed am Boden liegend mit lee
ren glanzlosen Augen neben ihm
lag die Flinte. Maria rief seinen
Namen, aber er antwortete nicht.
Sie griff nach feiner Hand. Die war
kalt und schlaff. Da packte das Mäd
chen ein furchtbares Grauen. Sie
hatte noch nie einen Toten gesehen
sie fühlte,''hier war ein Toter; und
mehr noch; einer, der selber dem
Leben ein Ende gemacht hatte. Durch
ihr- starke Gestatt ging ein Beben,
sie sank auf die Knie neben den Bru
der, ihr Antlitz, das sich im ersten
Erschrecken hochrot gefärbt hatte, ver
lor alle Farbe, die Augen starrten
über den Toten hinweg ins Unge
wisse,
„Ach, Arwed, warum"...
Als suche sie nach einem Grunde
der Tat, tasteten ihre Hände an sei
ner Gestalt entlang. Da fühlte sie
etwas in seiner Brusttasche knistern
und zog einen Brief hervor. Sie hielt
ihn mit zitternden Fingern und las
Er war von Magda, seiner Frau.
Die sagte dem Gatten, daß sie nicht
mehr zu ihm komme, denn sie habe
einen anderen. Besseren gesunden,
mit dem sei sie in die weite Welt
hinaus.
„Und darum, Arwed?" Ueber Ma
ria war wieder Leben gekommen. Ei
ne Art Eckel packle sie, mit Grauen
gemischt. „Und um solch einer wil
len... Ach, Arwed... mußte das
sein? Konntest du denn das nicht
ertragen?" ...
Sie nahm den Brief zu sich. Es
brauchte ihn keiner zu lesen. Etwas
hob. Er war auf der Jagd verun
glückt, gestolpert, die Flinte hatte sich
entladen.... Das passiert so oft.
Mochte man anderes tuscheln sie
Wirtin und Kämmerer. Es .war
scheinbar Privates, das sie jetzt mit
einander besprachen! ihre Gesichter
Maria schnitt ihr d>'? Wort ab.
hen!"
ein und sagte ihm dasselbe, nur scho
nender. Dem half das Abstumpfende
feines Leidens über das Schlimmste
hinweg. Trotzdem war er sehr erregt
in seiner Weise; er fürchtete, einen
seiner Anfälle zu bekommen, und ver
langte nach Brom. Dann half ihm
Hanne, sich niederzulegen.
Kunz war der jungen Magd auf
den Armen eingeschlafen. Maria nahm
ihn hin und legte ihn in die Wiege,
in der schon sie selber und frühere
Generationen ihren ersten Schlaf ge
tan hatten, und zum erstenmal löste
sich ihr starres Entsetzen in Tränen
auf.
„Ich bleibe nun bei dir..."
Inzwischen hatte man den Toten
ins Haus gebracht. Maria lich >hn
betten, schloß Fenster und Läden,
steckte Lichter an und hielt die Toten-
Ueber ein Jahr war, seitdem ver
gangen. Mit Macht war der
gezogen.
Die Gerüchte, die sich über den
Tod des armen Verunglückten verbrei
tet hatten, falsche und wahr«, ver
stummten allmählich, und Grünet
wuchs über sein Grab. Sein Kind
und in die Breite gewachsen, blonde»
Gelock fiel ihm in die gewölbte Stirn,
und sein frohes Stimmchen schwieg
nur, wenn der Schlaf ihn umfangen
hielt. Mit braunen Augen sah der
kleine Kunz lustig ins Leben. WaS
hätte seinen Morgen trüben sollen
treusorgende Hänve wachten über ihm.
An jedem Sonntag pflegte Maria
zum Grabe zu gehen, und schon trip
pelte Kunz neben ihr her, die Händ
chen voll Blumen. Heute, am ersten
Pfingfttag, ging auch Hanne mit.
Hof und Haus logen im Feiertags
frieden, sie konnte sich getrost auch
einmal eine Stunde der Erholung
gönnen. Weit bauschte sich ihr schwar
zer Rock im lauen Winde, die große,
weiße Schürze und die weiße Haube
gaben auch ihr etwas verjüngt Fest»
licheZ.
Jn.Karlswalde läutete die Abend
glocke, als sie über den Feldweg dem
Gottesacker zuschritten. Marias Blick
glitt über die Felder hin, an denen sie
vorbeigingen. Das Winterkorn stand
schlecht, dem hatte der trockene Frost
geschadet. Der Weizen war üppig auf
geschossen. Aber wer wußte denn, WaS
der Sommer noch brachte? Maria g?b
sich keinen übertriebenen Hoffnungen
hin, die Mißernte des letzten Jahres
hatte ihren Mut klein gemacht.
Hanne mochte ihre Gedanken erra
ten haben. „In diesem Jahre wird's
besser werden," sagte sie. „Brandskat
tut, was er kann. Es pflügt keins so
tief wie er. Freilich gehört noch vieles
mehr dazu."
Und ob's dem Herrn Arwed besser,
gelungen wäre? Ja, so ein Kopf, wie
dem Stange seiner, der wird heutzu
tage noch mit was fertig. Und dem
sein Geldbeutel dazu.
Das Kind stolperte. „Gib dei Pat
sche, Kunzche, tu."
Aber Kunz drängte sich an die
Tante heran. Er sprach noch wenig.
„Mamaria," schmeichelte er zu dem
jungen Mädchen hinauf.
Sie hatten das buschige Viereck
mitten im Felde erreicht, einen jener
baumumsäumten Würfel Erde, auf
dem die Litauer ihre Toten bestatten.
Es waren viel verfallene Grabstellen,
verwitterte Kreuze, eingesunkene Stei
ne, an denen sie vorübergingen. Gras
und Unkraut überzog das Ganze, auch
den schmalen Weg, der die Stätte in
der Mitte teilte. Man sah
oben war die Begräbnisstelle der Ber
gens. Auch hier waren die Hügel fast
völlig der Erde gleich, nur der Ar»
weds lag neu und gepflegt da. Dane
ben das Grab der Mutter war vom
Efeu völlig überzogen. Auf diesen
Hügel setzten sie sich, nachdem der
Kleine seine Blumen dem Vater auf
die Steine gelegt hatte.
Ueber ihnen blaute der Frühlings
himmel, an dem leichte Wolken zogen.
Die Sonne schien schräg durch daZ
Geäst der Hainbuchen, bemalte die al
ten, knorrigen Stämme und warf
ihren Schein Über die Gräber. Eine
Lerche sang über den jungen Saaten,
und leise zirpten die Grillen. Sanft
schwankten Flieder und Goldregen, die
Gräser neigten und hoben sich, als
hin. In der Sonnenrichtung tanzte
ein Mückenschwarm. Das Geläut in
Karlswald- hatte aufgehört.
(Fortsesetzun? folgt.)
Zarter Wink. Reiseonkel
(nachdem er seiner Mitreisenden an
dauernd den Hof gemacht hat): Jetzt
lomint gleich Mühlgrund in herrli
cher, poetischer Lage, die schönste
Haltestelle der ganzen Strecke.
Dame: Ich kenne noch eine schönere
Anhalteslslle.
wohl Anhalt?
Dame: Nein, aber das Stand«»»
amt»