Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, December 20, 1917, Image 3

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    R Zauber des Mens A
T Roman von Hau« Dominik.
(4. Fortsetzung.)
.Also ist oas Theater jetzt imagt
,vär. Nenne mir bitte nur reelle
Punkte."
.B»»» mein Teurer. Gegenüber
.?m Theater liegt oas grotze wiener
Casö. A)u sinve>i in Euren tioylen
nesiern etwas ähnliches nicht, Vitien
Kassie, Schnapse der rasslnierteslen
und alle möglichen uno un
möglichen Heilungen."
.Der Puntt niug notiert werden,"
ries oer Ingenieur. »Ich hade uver
'Haupt seit vier Tagen leine Zeitung
mehr zu Gesicht belommen."
.Und ich seit einer Woche," lachte
der Dottor. CS ist ganz gesund, mal
aus der Weltgeschichte heraus gerissen
zu werden. Im übrigen, warum trei
ben wir theoretische Geographie, an
statt die Sache prattisch zu studieren.
Aus ei» Stündchen wenigstens mußt
Du Deinen A)amen ja doch Ruhe
gönnen. Da tonnten wir gleich einen
kurzen Bummel unternehmen, ehe eS
duntel wird... Ah!... holla!
ho! oa kommt ja unser Wirt. Der
»resslichste aller Wirte, Hospizdcstzer
und Medizinmänner. Latz Dich ihm
belannt machen. „Herr Kollege, wis
sen Sie schon das Neueste. Der
Mann, oon dem wir gestern soviel ge
sprochen haben, der Ingenieur Fritz
Overhoss, den ich weit oben im Koh
lenlandi glaubte, ist leibhastig hier
und ausgerechnet im Tiroler Hos ab
gestiegen."
Der Wirt begrüßte den neuen Gast.
wiulommen, Herr Inge
nieur. Ihr Freunb verspürte gestern
große Sehnsucht nach Ihnen. Neh
men Sie sich seiner väterlich an. Ich
sehe die Herrschasten doch heute abend
beim Souper."
Eine kurze Berbeugung, und die
Freunde verließen das Hotel und
schlenderten die Habsburgerstraße
«ntlang. Und plauderten weiter.
.Also AnstchtStarten willst Du
schreiben. Fritz, mein Freund, das
ist in Meran ein bißchen vieux seu.
Gewiß, es gibt hier Ansichlspostlarten
in allen Farben und Formen. Aber
wenn Du für die Leute, an die Du
schreiben willst, wirtlich etwas übrig
hast uno es Dir auf ein paar Kro
nen nicht ankommt, bann weiß ich et
was Besseres."
.Was denn?" fragte Fritz Over
hoss interessiert.
.Du wirst gleich sehen. Uebrigens,
wenn Du Leute in der Form einer
höslichen Aufmerksamkeit ein bißchen
oazu verraten. Sich einmal!"
Der Doktor schob seinen Freund
langsam quer über den asphaltierten
Damm und stellte ihn vor die große
Spiegelscheibe eines Ladens.
.Alleivelter!" rief Fritz Overhoff
t»cr großen Spiegelscheibe. Da lagen
Aepsel der verschiedensten Art. Aot
uno grün uno gelb, wie zartes
Wachs. Daneben Birnen von nie ge
sehener Größe und Farve. Feigen
uno dann tannenzapsen von der
Größe eines Kinderlopses.
»Meraner Obst", ertlärte der Arzt.
ja etwas teurer wie eine Ansichtspost
karte, aber der Empfänger hat auch
etwas mehr davon. Die Leute ma
chen die Sendung sehr hübsch zurecht.
Jede Apfelsorte wird in Seidenpapier
eine Liste über die einzelnen Sorten
der Eoeläpsel beigelegt. Wenn Du
Freunde hast, denen Du wohlwillst,
empfehle ich Dir, ihnen solche Kisten
zu schicken."
.Wird gemacht!" rief der Jnge
oieur begeistert. .Mein alter Di
rektor Mettmann bekommt eine prima
tlepfelkiste. Professor Engelhard
ebenfalls... Uedrigens, wie war das
mit dem Frozzeln?.
»Sehr einfach, Fritz. Siehst Du
»Ha, hm! Also meinem Patent
anwalt werde ich Aepsel und Zapsea
halb und halb schicken. Der soll
auch mal buchstäblich was zu knacken
bekommen... Und der Obersteiger
der Fortunatus-Grube, der bekommt
»ur Tannenzapsen."
„Na, überlege Dir das, und ma
che es, wie Du willst. Das hat ja
immer noch Zeit. So. betrachte Dir
noch diesen Bau hier mit stlller Ehr
furcht! Es ist das K. K. Gymnasi
um, in dem die Jugend angesichts
lieser wundervollen Natur und Al
penwelt mit Cicero und Zenophon
geplagt wird."
.Die Welt ist vollkommen über
all, wo der Mensch nicht ist mit sei
ner Qual," zitierte der Ingenieur.
Der Doktor sührte seinen Freund
über den Rusinplatz und das Stück
chen bis zur Kaiserbrücke an der
Passer. Bon hier bot sich ein schö
ner Blick über die weithin zerstreu
ten Häuser von Untermais.
„Hier hast Du die Dörser neben
oer Stadt."
Lange blieben die Freunde hier
auf der Brücke an dem rauschenden
Wasser des Passerslusses stehen und
bticklen aus die ragenden Schnee
gipsel, die nach allen Seilen hin das
Aal umrahmten. Sie sahen die
Sonne sinten und schließlich die
Gipfel der Berge berühren. Und dann
Lammte es auf den Westhängen des
Hochgebirges goldig und purpurn
aus, während die Osthänge bereits in
liesein Blau und Biolett dalagen.
Der Tag ging zur Rüste.
„Wir müssen ins Hotel zurück,"
mahnte der Arzt. .Deine Damen
werden schon ungeduldig sein. Am
Ende komme ich noch in den schlech
ten Rus, Dich Deinen Pflichten ab
spenstig zu machen."
Ties ausatmend wandte Fritz
Overhoss sich zum Gehen.
„Diese Wandlung oon gestern auf
heute ist unbeschreiblich, ist mir im
mer noch unsatzbar. Ich will nicht
mehr von den wests Suschen Rußne
stern reden. Aber auch gegen Mün
chen, gegen Innsbruck ist der Unter
schied gewaltig. Gerade so, als täme
man aus häßlichein Winlerwetter tn
einen schönen, gut durchheizten Win
tergarten."
„Der Süden, der Süden, mein lie
ber Freund", sagte Dr. Brandt la
kanisch. »Der Süden hat's eben in
sich. Er nimmt uns Nordleute im
mer wieder gesungen. Doch oa sind
Damen. Beim Souper seh»n wir
uns doch alle, und sür morgen muß
irgend etwas Großes geplant wer
sam zusammensanken.
„Gut geschlasen, Herr Doktor?"
begrüßte Gertrud Overhoss den
ohne die Pateiümedizin des Kollegen
Ausfinger."
Die Dame drohte scherzend mit
ii.as gepsisje» von einer großen Ter-
Dr. Brandl spürte eine leichte
Verlegenheit.
Gewiß, er hatte sich, wie man im
Studeniendeutsch sagt, einmal mit
einem guten Stoss ganz gehörig die
Aase begossen. Dabei war nichts zu
s:nden. Aber das gerade die junge
Dame da vor ihm davon zu wissen
schien und darüber scherzte, oas trieb
ihm die Röte ins Gesicht.
.Aber, gnädiges Fräulein, das war
einmal, und man sagt doch: Einmal
ist keinmal. Und dann ist das auch
jetzt gar nicht mehr nötig, nachoem
ich den großen Borzug habe, Ihre
Gesellschast und die Ihres Brüsers
zu genießen."
Jetzt lachte Gertrud Overhoss Herz-
Hast.
.So, Herr Dottor, das ist ja das
Bekenntnis einer edlen 'Seele. Wir
Wirten also wie ein gules Schlaf
pulver auf Ihre Nerven. Das muß
ich gleich Fritz erzählen."
Nun wurde der Arzt erst recht
verwirrt und stammelte allerlei, was
wiederum zur Folge hatte, daß auch
Gertrud OverhossS Wangen sich rö
teten, und die Verlegenheit wäre all
gemein geworden, wenn nicht Mar
got Reichard und gleich danach Fritz
Overhoss in die Erscheinung getreten
oer gut dressierte Kellner die Tassen
Kasf« aromatischen
„Dieses ist ein Vormittag, von dem
schon die Alten sagten: .O Vorinit
lag," erössnete der Ingenieur die Un
terhallung.
.Du redest so weise wie ein Buch
mit Messingecken und Biernägeln,"
erwiderte ihm der Arzt sarkastisch.
.O, die beiden Herren belieben es
schon wieder, zu scherzen." wars
Margot Reichard ein.
»Aber ganz und gar nicht, gnädi
ges Fräulein," verteidigte sich der
Ingenieur. »Wir haben doch effektiv
Bormittag. Sogar einen wunrer
oollea Bormittag. U»d damit ist
doch meine Behauptung gerechtfer
tigt."
»Sie soll es sein, Fritz," vermit
telte Gertrud Overhoss. .Aber nun
tomin: die wichtigste Frage. Was
unternehmen wir an besagtem Vor
mittag."
Derweil hatte Dr. Brandt eine
Karte ausgebreitet und studierte sie
tingehend.
.Fragen wir den Schriftgelehrten,"
sagte Fritz Overhoff und zeigt« aus
den Dottor.
.Meine Herrschaften, die Angele
genheit ist llar, ist mir wenig >iens
oolllommen und absolut tlar," meinte
der Gefragte.
„Da ward sein künftiger Stand
punkt dem Zwerge völlig llar," träl
lerte Fritz Overhoff aus dem Perteo
lied.
„Um Gottes Willen, Fritz, höre
auf. Singe hier nicht in zivilisierter
Umgebung, Du bringst keine einzige
Note richtig heraus,' rief seine
Schwester beschwörend.
»Aber Recht habe ich doch," ver
teidigte sich der Ingenieur eigensinnig.
.Auch das niqt einmal, Fritz, denn
Dr. Brandt ist tein Zwerg. Er ist,
glaube ich, sogar einen guten Zoll
größer als Du."
„So, so! Wie genau Du das beob
achtet hast. Das wußte ich selber noch
Jetzt schwieg Gertrud Overhoss
und eine Pause entstand in der Un
terhaltung, bis der Dottor den Fin
ger gravitätisch aus einen Punkt der
Karte legte.
.Schloß Tirol."
.Erkläre Dich deutlicher, mio
Caro."
.Gut. Wir wollen einen gemeinsa
men Ausflug nach Schloß Tirol ma
chen. Ein bequemer Weg. Etwa ein
gutes halbes Stündchen. Auch für die
Damen nicht zu anstrengend. Dabei
kommen wir hoch genug, um den gan
zen Talkessel von Meran übersehen
zu können. Ich bitte meinen Borschlag
einstimmig zu akzeptieren."-
.Wir nehmen an, rief Margot Rei
chard und Gertrud Overhoss einstim
mig.
.Und Du Fritz," sagte der Arzt.
.Bester Brandt, alte Schlösser sind
sehr schön und romantisch, aber ge
meiniglich bestehen sie nur aus Stei
nen. Ich srage daher als ersayrener
Mann: Wie sieht es da oben in dem
alten Rabennest init der Berpslegung
aus."
„Gut," rief der Doktor triumphie
rend. Man hat mit der alten Burg
das einzige gemacht, ivas man über
haupt mit derartigen Schlössern ma
chen kann. Man hat in daS Erbge
schoß ein großes Restaurant einge
baut. Wir können uns dort bequem
eryolen und kommen ohne Uebereilung
hierher zum Diner rechtzeitig zurück."
„Dann bin ich auch einverstanden."
sagte der Ingenieur.
Ein halbes Stündchen später
schlenderten die beiden Damen und
Herren durch den sonnigen Früh-
Straßen von Meran. Doch bald wa
ren die letzten Häuser passiert und
der Pfad wand sich über die saftgrü
nen Matten den Berg hinan. Es
machte sich ganz von selbst, daß die
Paare sich dabei sonderten, dag der
Ingenieur an der Seite von Margot
liteichard dahinschritt, während der
Arzl setner Schwester Gesellschaft lei
stete.
Warm, doch nicht heiß strich die
Lust vom Bergwalde her über die
grünen Wiesen, auf denen Tausende
oon gelben und blauen Blumen blüh
ten, während die rote Farbe fast gar
nicht vertreten war.
Fritz Overhoss mußte an einen
Ausflug denken, den er vor vielen
Jahren einmal als Schüler oon Köln
aus in das Siebengebirge am Rhein
unternommen hatte. Als wäre es
eben erst gewesen, stand ihm jene Ex
kursion in der Erinnerung. Damals
war er auch so leicht und frohgemut
den Hang hinaufgeschritten und hatte
nur die kleinen Schulsorgen gekannt.
Und jetzt schien ihm alles zu versin
ken und zu verschwinden, was da
zwischen lag. Seine harten Studien
jahre und sein jahrelanges verzweifel
tes Ringen und Kämpfen um den
Erfolg. Er amüsierte sich über seinen
Freund den Doktor, der da vor ihm
lief und jetzt allerlei Blumen zu
einem Strauße zu pflücken begann.
Der war vor Jahren ja auch auf je
ner Partie dabei gewesen und hatte
Damals auch botanisiert, bis seine
große grüne Trommel zum Platzen
gefüllt war.
.Es kommt alles wieder im Le
ben," murmelte er vor sich hin.
.Sie philosophieren, Herr Over
hoff," meinte seine Begleiterin. »Sehr
gesprächig sind Sie heute gerade
nicht."
„Ich bitte tausendmal um Ent
schuldigung. Ich war wohl in Erin
nerungen versunten. Geht es Ihnen
bisweilen auch so, gnädiges Fräulein,
daß Sie eine Situation akkurat an
Sie gerade jetzt erleben, vor langen
Zahren schon einmal erlebt?"
Margot Reichard nickte zustim
mend.
.Gewiß, Herr Overhofs. Aber mir
ist auch belannt, daß die Wissenschaft
oas nicht gelten läßt und geradezu
oon eine-- fauchen Erinnerung spricht.
Sonst würd« ich sagen, daß auch mir
der Weg hier genau so auftaucht, wie
ich ihn vor drei Jahren einmal mit
meinem Bater gegangen bin. Der
ging an meiner Seite, genau so, wie
Sie jetzt, und war ebenso in seine Ge
danken versunten, daß ich ihn schließ
lich durch einen kräftigen Zuruf dar
aus erwecken mußte. Sie sehen, es ist
leicht, solche Erinnerungen zu kon
struieren, aber schließlich sind die
Einzelheilen doch sehr verschieden."
.Es kommt oaraus an," erwiderte
Fritz Overhoff. .Kommt daraus an,
welcyc Gedanten Ihren B»ler damals
oeschäftigten. Ich selber dachte gerade
jetzt an einen ähnlichen AuSslug oor
zwanzig Jahren."
.Dann stimmt der Vergleich schon
nicht. Mein Bater war oamals tn
seine Pläne und Projette versunken.
Während er hier mit mir spazieren
ging, erwog er gerade die neuen
«chursungen im Soganer Tal."
Fritz Overhoss hatte dis zetzt. noch
nichts Genaues über die Geschalte des
Baters seiner Freundin erfahren,
hatte nur ganz allgemein gehört, daß
oer ein vielbeschäftigte: Industrieller
sei. Als er jetzt etwas von Schürfun
gen vernahm, ging es ihm wie einem
ausgedienten Kaoalleriegaul, der nach
langer Zeit wieder ein Signal hörl.
' Schürfungen, Mutungen, Bergge
rechtsame und Gruben... das fiel ja
alles in seinen Arbeitsbereich, in das
Gebiet, auf dem er viele Jahre so
hart gekämpft hatte und schließlich
siegreich geblieben war. -
Wohl wurde der Weg jetzt von
Minute zu Minute anmutiger. Er
führte durch einen kleinen Hain ur
alter Tannen, durch dessen Stämme
man die zierlichen Häuser oon Dors
Tirol winken sah. Aber Fritz Over
hoff achtete nicht mehr auf die Ge
gend. Das Gesprächsthema nahm ihn
ganz gefangen.
»Was sagten Sie da, gnädiges
Fräulein? Ihr Herr Bater wollie im
Soganer Tal schürfen? Das interes
siert mich außerordentlich. Ist Ihr
Herr Bater denn Fachmann? Hat er
derartige Unternehmungen schon ös
ter oersucht?"
Margot Reichard lachte hell aus.
.Aber natürlich doch, Herr Over
hoss! Sie scheinen oon meinem Ba
ter herzlich wenig zu wissen. Er hat
doch oor zwanzig Jahren ich war
eben gerade erst auf die Welt gekom
men die großen Schürfungen in
Steiermark unternommen und glück
lich durchgeführt. Seine Blei- und
Zinkschmelzen dort sind sehenswert.
Er hat Erze gesunden, wo kein
Mensch sie vermutete."
Der Ingenieur schritt schweigend
weiter. Durch die Mitteilungen, die
ihm da gemacht wurden, gewann die
Gestalt des alten Reichard Leben und
Interesse für ihn, bevor er von dem
Manne noch etwas gesehen hatte.
Schürfen, sündig werden, Bergge
rechtsame erwerben und neue Gruben
aufmachen, das waren Unternehmun
gen, die er beurteilen tonnte. Kühne
und riskante Unternehmungen. Er
kannte deren Gefahren. Da konnte
man jahrelang schürfen und nichis
finden. Oder die gefundenen Erzlager
konnten nach Gehalt und Ausdehnung
gering sein. Aber es konnte auch an
ders kommen. Man tonnte reiche
Schätze entdecken.
Manch einer war in die Berge ge
zogen, der nichts anderes besaß als
einen klaren Blick, gute geologische
Kenntnisse und einen kleinen Ham
mer, und war über Jahr und Tag
ein Millionär geworden.
Fritz Overhoss witterte Blut von
seinem Blute und Geist von seinem
Geiste in diesem Manne und ließ sich
unermüdlich von seiner jungen Be
gleiterin von ihm erzählen.
So versunken war er in diese Be
richte, daß er erst wieder zum Be
wußtsein der realen Wirklichkeit kam,
als tiefe Finsternis ihn umfing. Die
eiskalte Luft tat ein übriges, ihn zu
ermuntern, und nun sah er einen
Lichtpunkt vor sich tanzen, der sich
bei näherer Betrachtung als eine elek
trische Taschenlampe in den Händen
von Dr. Brandt entpuppte.
„Hallo! Overhoss, alter Junge,"
scholl ihm dröhnend und von den Fel
sen widerhallend die Stimme des
Doktors entgegen, „was sagst Du zu
diesem schauerlich-schönen Tunnel?
Was! Es ist der heroisch-tragische
Fall dieses sonst so idyllischen Spa
zierganges."
Fritz Overhoss hatte es im Eifer
des Gespräches vollkommen übersehen,
oaß der Fußweg hier in der Tat in
einen ziemlich langen Tunnel einmün
dete, durch den ein recht steiler Aus
läufer des Berges durchfahren wurde.
Jetzt aber schimmerte aus der Ferne
schon wieder das Tageslicht des Aus
ganges, und wenige Minuten später
schritten die Paare bereits wieder im
warmen Sonnenschein des Frühlings
tages dahin, vor sich die romantischen
Bauten und Ruinen von drei alten,
halbverfallenen Schlössern, zur Lin
ken Dürenstein, zur Rechten Brun
nenburg und gerade vor sich Schloß
.Hurra! Land in Sicht!" ries Dr.
Brandt. „Fritz, mein Sohn, in zehn
Minuten kannst Du Deine Beine un
ter einen soliden Wirtshaustisch strei
ken und wirst ein sehr respektables
Frühstück bekommen. Ich denke, es
wird Dich trösten."
„Allright!" rief der Ingenieur zu
rück.
Aber er legte wenig Weri auf diese
Mitteilung, die ihm zu jeder anderen
Zeit gewiß willkommen gewesen wäre,
denn er stand noch ganz unter dem
Eindruck dessen, was feine Begleiterin
ihm von den Projekten und Plänen
ihren Vaters berichtet hatte.
Und dann schritten die beiden Paa
re durch das trutzige Burgior, betra
ten den engen Burghos, und Dr.
Brandt bewahrte sich als ein Frem
denführer von hervorragenden Qua-
Er erklärte, daß dies alte Schloß
zur Blütezeit des Deutschen Reiches
oder richtiger des Heiligen römischen
fruchtbaren Tallande weit umher zum
Lehen. Einen Ueberrest aus jener Zeit
haben wir hier in diesem Schlosse
vor uns."
Fritz Overhoff schlug dem Redner
aus die Schulter und unterbrach ihn
lachend:
.Brandt, wennS mit Deiner Kur
pfuscherei einmal nicht mehr, weiter
geht, solltest Du Dich hier ats Frem
oenführer anstellen lassen."
Doch Gertrud Overhoss unterbrach
ihren Bruder und kam dem Arzte zu
Hilfe:
.Natürlich Fritz, Du hast nur für
Maschinen und ivergwene Sinn und
alles Geschichtliche ~l X)>r uninleres
sant. Ich linde, daß Herr Dr. Vrandt
vorzüglich zu elitären versteht. Die
alten Gestatten werden wieder »eben
oig. Ich sehe diese alten Ritter und
Basauen im Geiste vor mir stehen. Es
ist ein eigenartiges Ding um »>e Hi
storie, Herr Dottor. In oen moder
nen Großstädten, in denen ein hun
dertjähriges Haus schon alt erscheint,
sindet sich kein Sinn dasür. Es hat
mich aus der Fahrt vom Brenner
nach Bozen ganz eigentümlich be
rührt, als Margot mir dicht neben
der Bahn ein Haus zeigte, das da
seit achthundert Jahren in unorrän
verter Gestalt steht. Denten Sie,
Herr Doktor, ein Haus, das zur Zeit
de und in dessen Räumen heute die
Nachfahren ebenso yausen, wie einst
ihre Ahnen. Was muß dies unschein
bare Bauernhaus alles ertedt haben.
Was sah ?s alles die Älpenstraßen
entlang ziehen."
Der Ingenieur hatte diesem Erguß
seiner Schwester ruhig zugehört und
aufmerksam die alte romanische Ar
chitektur des Schloßbaues betrachtet.
.Trudchen, Du schießt über
oas Ziel," unterbrach er sie jetzt.
„Häuser können überhaupt nicht sehen
und können auch nichts erleben, denn
es sind tote Dinge. Trotzdem will ich
Dir zugeben, daß solch aller Bau
durch den genius loci auch auf mich
wirtt. Aber im allgemeinen ziehe ich
moderne Sachen vor. Nicht wahr,
gnädiges Fräulein," wandle er sich
an Margot Reichard. „Sie teilen doch
ebenfalls meinen Standpunkt?"
Margot Reichard überlegte einen
Augenblick.
.Ja und nein, Herr Overhoss. Ich
schätze die Leistungen unserer Zeit
hach ein, und bin nicht basur, daß die
gxnheit unterdrückt wird. Es ist mir
beispielsweise ganz unverständlich,
wie man für irgendein altes Bilv e>ne
Million Mark bezahlen >ann, wäh
rend die lebenden Künstler in Dach
stuben hungern müssen. Aber der
ich sage Ihnen.^.
„'Meine Herrschasten, wollen wir
viese philosophischen und lehrreichen
Betrachtungen hier nicht lieber abbre
fortsetzen," unterbrach Dr. Brandt
das Geplänkel.
Sein Borschlag wurde befolgt und
Geschick, allerseits verkannt zu Wer
sen," seufzte er. .Meine edelsten Ab
sichten werden mißdeutet. Und doch
schast Horaziy!"
»Ich weiß nicht, ob dieser Kellner
Horazio heißt," sagte Frig Overhoss
meinte der Kellncr und der Ingenieur
befolgte den Rat und fand ihn gut
und praktisch.
Bald herrschte laute Fröhlichkeit an
Paaren hin und her. Bis Dr. Brandt
seine Uhr zog und sichtlich erschlat.
.Herrschasten, haben w»r uns oer
plaudert. Es ist ja in Äi Minuten
eins und höchste Zeit, oatz ivil zun,
Aufbruch rüsten. Wir duisen oein
Wirt nicht oen Tort antun uno beim
Diner fehlen."
„Kaum hat man sich so häuslich
niedergelassen, so muß man schon
wieder ausstehen," jeuszie Fritz Over
hoss, aber ein mäßiger Stoß oon sei
ner Schwester brachte ihn doch zum
Ausstehen.
„Ifta quidem vis est. Dieses Weib
ist gewalttätig, sieh Dich vor, Brandt,
wenn Du mit ihr spazieren gehst,"
stöhnte er und bot selber oen Arm
galant Margot Reichard, da der Weg
ziemlich steil bergab ging.
.Sie müssen mir noch viel und ost
von den Unternehmungen Ihres Va
ters erzählen," begann er ein neueS
Gespräch mit seiner Begleiterin. .Sie
glauben gar nicht, wie sehr mich diese
Dinge interessieren."
Es war mcrlivürdig, solange die
vier Leutchen alle zusammen waren,
herrschte Ausgelassenheit uno scherz
hafte Neckerei. Sobald sie jedoch paar
weise gingen, nahm das Gespräch so
fort eine ernsthaste Wendung. So
war es hier und so war es auch bei
Dr. Brandt uno seiner Dame.
.Sind Sie eigentlich gern Arzt ge
worden, Herr Doktor?" sragte Ger
trud Overhoss.
Der. Arzt zuckte mit den Achseln.
.Wie mans nimmt, gnädiges
Fräulein. Vor allen Dingen war es
oer ausgesprochene Wunsch eines
recht wohlhabenden OntelS oon mir,
eines Bruders meiner Mutter, daß
ich, oer älteste Sohn, Meoizin studie
ren sollte. Der Onkel stellte sür dies
Studium, und nur sür dieses, reich
liche Mittel zur Verfügung. Und da
wir zahlreiche Geschwisier waren, da
Wunsch meines OntelS natürlich Äe
sehl und ich bin Medizinmann ge
worden."
.Sie sehen also, daß die Sache
mit einigem Zwang begonnen hat.
Wäre es nach mir gegangen, ich haue
das Studium oon Philosophie und
Geschichte vorgezogen. Sie sanden ja
schon selbst, datz ich heule noch eine
gewisse Vorliebe für yistorische Renn«
niSzenzen besitze."
.Uno haben Sie sich mit Ihrem
Berufe adgesunven?" sragie Gertrud
»Nicht nur aogesunden, sonder»
sogar gut desreunoet," erwiderte der
Arzt. .Im Ansänge kam es nur
den Sczierübungen an Leichen woll
ten mir gar nicht gefallen. Es gibt
ia Kollegen, die den Menschen «in,
merat von itoylenslofsoerblndungen.
Zu dieser mechanistischen Auffassung
hade ich mich niemals hingezogen ge-
Teil des Studiums weniger erfreu
lich. Als ich ader mit lebendige,»
Menschen zu tun bekam, änderte sich
Herz gewachsen."
Gertrud Overhoss schritt eine
Weile schweigend neben ihrem Beglei
.Die Erfolge, Herr Doktor. Ich
ich durchbringe uno bin über jeden
Todesfall in meiner Praxis lagelang
betrübt."
ist doch eigentlich selbstver
ständlich!" ries die junge Dame leb
haft.
(Fortsetzung folgt.)
Rccht tröstlich, „Tu.