Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, October 04, 1917, Image 6

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    Am Vann der Uerbela.
Tie Pilgcrstadt der fanatischen Schiiten.
Echan vor zwei Uhr nachts stolpern
.vi. «on den Anländen der Kalifenstadt
Bagdad in eine jener kreisrunden
schwarzen Gossa (Korb), die auf dem
festeren Tigris das Ueberfetzen be-
Eine Stunde darauf kön
zM-a wir endlich in den Wagen einstei-
M». Die stille dunkle Nacht erhellt mit
tragischem Licht der etwas abneh
-xsrl«» raunenden Schaltengestalten
Ä« kugelkronigen Palmen hindurch
«Hein wir in dem federlosen Marter-
Scscheil Berge uns mit unfreundlichem
«Sriltz empfängt, so daß wir fröstelnd
«its dem Fußboden niederhocken. Wir
So angebaute, tischglatte Flur, ab
zu gestreift von helleren Walli
sren, den Mumien ehemaliger Bewäs
serungskanäle. Hier ein kurzer grü
ner Ueberzug dürftiger Steppenkräut-
Zeür, da ein Beet vielbunter gerundeter
Giesel, dort sogar das weiche Orange
zelb sichelförmig geschwungener Dü
.eagdschmuck der prächtigen Palmen-
des Fratstädtchens Mussäjib, bei
Äem wir auf wackliger, ebenso gründ
der mittwegs die veilchenblau
schillernde Kuppel Aun auftaucht. Bei
»er lleinen Moschee rastet eine Grup
pe Pilger. Mann, Frau und zwei
.'jolbwüchsige Söhne umstehen ein
lästiges Maultier, aus dessen Rücken
s»er «in merkwürdiges Lattengeslell
Sie Art, wie bei uns Fahrräder zum
verpackt werden. In
- M,
U - M
vesi Ving aber lieg: ein länglicher
Q.lilen die Leiche eines Persers.
Scs Vaters des jungen Weibes! Von
wei! hinten im iranschcn
Bcanenlande, schleppen sie ihn hexbei
r»i-rch Wüsten und Steppen, über ol»
penhohe Pässk Md schluchtige EnZ
tälcr. Zwei Myuate schon unterwegs.
Heute endlich werden sie das so lang«
und so heiß ersehnte Ziel erreichen,
die Grabstätte Hssöns, des heiligen
gentlich sollen die Toten nur in abso
lu' trockenem, skelettartigem Zustand
über die türkische Grenze gebracht
werden, doch wird die Bestimmung
gleichzeitig denselben Weg machen. Es
ist klar, daß da leicht Gelegenheit ge
boten ist zur Entwicklung aller-
Martern in ein frühes Grab. Wie
oft sah nicht selbst Bagdad die Hälfte,
ja zwei Drittel seiner Bewohner m
wenigen Wochen dahinschwinden.
Während der noch folgenden einstün
digen Fahrt erspährn wir in der
Ferne einen niedrigen dunklen Streif,
der allmählich höher am Horizont
aufrückt und schließlich als die Oase
von K6rbela sich entpuppt, überglänzt
genden und wie ein Aureolendiadem
wieder aufblitzenden Goldtuppel der
großen Moschee. Das ist der Anblick,
ii. Staub zusammenbricht und trä
nenden Auges die Erde küßt, dan
kend Ali und Hssöen. Wir aber, die
gewahren schon vor dem Eintritt in
die Oase der Glückseligkeit und des
rosenduftenden Odems der Gottge
weihten ihre Schäden und Fehler.
Denn es gibt wohl auf der ganzen
Erde keine schlimmeren Lastexhöhlen
als die heiligen Wallfahrtsorte des
Islam, heißen sie nun Mekka oder
Medina, Nevschef oder KSrbela. Wah
re Hausen halb oder völlig nackter
uns entgegen, in singendem, die häu
fige Uebung nur zu deutlich verraten
dem Tone Backschisch heischend und
ihre unerwnchsenen Leiber selbst uns,
den Ungläubigen, anbietend. Fast
a>>e zogen aus Wut, nichts zu lriegen,
di>. schmutzigen Lum>en bis zum Hatt
Die Oase selbst ist außerordentlich
schön. Ueppigster Palmenwuchs ver
mählt sich mit srifchhellem FrühlingS
vollraufchenden Smaragvgrüns. Der
Berieselung dienende Kanälchen ziehen
ireuz und quer durch die Gärten, und
ein offener, von Segelbooten belebter
Wasserarm verbindet den regen Platz
m. dem breilströmenden Euphrat.
In Körbela knterkunft zu finden ist
leicht und schwer. Fast alle Häuser
sind zur Aufnahme von Fremden ein
gerichtet, die Zahl der Chan übertrifft
die der Privatgebäude ganz bedeutend.
natürlich überaus selten solche hin
ist es aber nicht rätlich, ein öffent
liches Einkehrhaus zu benutzen, da
die Ansteckungsgefahr namentlich mit
Pestmitroben immer besteht. Deshalb
muß man versuchen, von Bagdad eine
sich zu zeigen, das Photographieren
möglichst zu unterlassen, kurz recht
wenig aufzufallen. Uns gab die tür
kische Verwaltung stets ein halbes
Dutzend Polizisten unter dem Kom
missär selbst zum Schutze.
Ksrbela besitzt den Charakter einer
persischen Stadt mit mittelmesopota
mischen, durch die Natur gebotenen
Modifizierungen. Der älteste Teil bei
der Hauptmoschee hat ganz enge Gas
haarigen Kranz (Aggal) gehaltene
Kopftuch. Auffallend viel Schürfa
(Nachkommen des Propheten) mit
Bab en Nedsckef in Kerbela.
grünem Bund um den Fes sieht man,
mehr aber noch ältere Männer, die
den grauen Vollbart häßlich rot ge
färbt haben, um jünger zu erscheinen;
als ob sie von einem Massaker kämen,
so gefährlich sehen die Kerle aus.
ler, mit breiten Straßen und gelben
Backsteinhäusern, deren weit vorge
baute hölzerne Veranden von meist
achtkantigen Holzfäulen mit dem per
sischen Stalaktitenkapitell getragen
werden, an der Außenseite mit mehr
oder weniger schönen Holzverzierungen
geschmückt. Aus vielen Häusern hän
gen zum Hossasest schwarze Fahnen,
die die düstere Wolke von Fanatis
mus und Blut, die über der Stadt
Sidna HM» (Sidna unser
Herr). Weit leuchten ihre goldbeleg
ten Prachtkuppeln dem heilsuchenden
wimmeln oon Gläubigen,' einige kleine
Plätze in der Nähe, sind erfüllt oon
dem Wellenschlag der blauen Keffijen,
siifsigen weniger fanatisch als bös
artig und schlecht oon Herzen, ver
worfen»und zu allem Schändlichen fä
bela einen einzigen gigantischen Chan
nennen kann. Auf So,ovü wurde mir
die durchschnittliche Zahl der ständigen
! Reisenden soll bis auf 20V,000 an-
! schwellen.
jierganges begegnen wir einem Um
zug schiitischer Fanatiker. Boran
Fahnenträger mit schwarzen Ban
nern. paarweise schreitend und zu
wegsäumendem Spalier sich entrol-
Wachskerzen.
Schiitischer Fakir.
Da, ein dumpfes Getöse rauscht
aus dem finstern gähnenden Schlund
des Moscheetores die ersten Fana
tiker. Nur mit einer kurzen Hose be
kleidet, bewegen sie sich klagend da
her, wohl ein Dußend Kerle. Alle
zwanzig Schritt halten sie an, bilden
einen Kreis und üben die gottgefällige
Marter. Wild werfen sie die mus
kulösen Arme empor, klatschend fal
len sie nieder auf die knallenden
Oberschenkel. Wieder hoch, wieder
nieder und noch einmal!. . . Da
gellt nervenerschütterndes Geheul
mals fahren die Glieder in die Höhe,
und rasselt und prasselt es uns in die
Ohren, daß wir erschreckt zusammen
fahren. Denn mit schweren Eisenket
te: sind die Fäuste bewaffnet und gei
ßeln mit furchtbarer Wucht die ent
blößten Rucken. Krachend und
dumpf saust Eisen gegen Fleisch und
Knochen, daß aus weiten, tiefen Lö
chern das dunkelrote Blut rinnt, rie
selt, spritzt. Krach krach, krach
krach. Sie kommen näher und wir
verstehen ihr Gebrüll: Hssan Hssen,
Hssan Hssen. Hssan Hssen.
Taktmäßig, immer auf Kommando,
so lange, bis allen zischender
Schaum von den Mäulern slockt.
Vorbei tanzen die Verrückten.
Andere schreiten heran, besser ge
kleidet, ruhiger. Mit der Rechten
schlagen sie nur leicht die linke Brust.
Weniger wild klingt ihr Ruf: Hssan
Hssen.
Aber nun: ein neuer Ring von
Rasenden, die ihre Körper ganz in
weißes Leinen gehüllt haben, nur
der glattrasierte Schädel schimmert
unbedeckt. In den Fäusten halten sie
krumme zweischneidige Säbel, mit
deren innerer Schärfe sie taktgemäß
auf ihre Stirnen einHauen. Hssan
Hssen, Hssan Hssen rast die
blutige Melodie. Kaum sind die ver
sende der dichtgedrängten Zuschauer
summt es: Hssan Hssen, Hssan
Hssen. . .
Und jetzt das schlimmste, kläglich
ste. Ein zierlicher weißer Schimmel
hellgekleidete Gestalt eines höchstens
deckt, das Gesicht fast oerhüllt von
purpurnen Strähnen. Denn im rech
ten Händchen, ruht ihm ein langes
Dclchmesser, gestützt von ein paar
Kerlen, die es dem Kleinen immer
und immer gegen die schon klaffende
Stirn stoßen. Hssan Hssen stam
melt auch dies Opfer mit erlöschender
Stimme.
Noch einmal ein Ring oerrückt tan
zender Säbelträger, dann eine Schar
Andächtiger, und um eine Ecke wälzt
sich der Chor der höllischen Finster
nis.
Wir aber wenden uns nach
Hause.
Luftschiff-Abenteuer.
Aus brieflichen Mitteilnage» eines deutschen Marinefliegers.
DaS .Argentinische Wochenblatt"
ichreibt: Wir sind in der Lage, unse
ren Lesern aus einem interessanten
Brief eines kaiserlichen Marineflie
gers an einen Freund in Montevideo
einen Auszug zu geben, der sicherlich
in weitesten «reisen intere>i>er wird,
Der Brief jiammt von einem Flieger,
der ein Bruder des Kommandanten
desjenigen Dampfers ist, der die er
ste glückliche Reise nach
afrita unternehmen tonnte, ohne auf
der Hin- oder Rückreise den Englän
dern in die Hände gefallen zu fein;
der Erzähler gehört der Nordseesta
tion Zeebrüggt als Marineflieger an
und erward sich im ersten trriegs
jahre beide Eiserne Kreuze, am 1.
Mai IVIS auch den Hohenzoucriior
den. Seinem Briefe entnehmen wir
folgendes:
.. . . .Ich habe vorgestern ein tol
les Erlebnis gehabt. Neben meinen
sonsiigen Maschinen hatte ich eine
neue Maschine, welche ich hauptsäch
lich für Boinbenflüge benutze. Die
hatte ich jetzt wieder eingeflogen, um
einmal bei Mondschein nach drüben
zu gehen. Vorgestern nachmitiag
wurde noch eine gute Aufklärung
längs der holländischen Küste ge
wünscht bis . . . Feuerschiff. Da
Herrenknecht, (mein Beobachter, Lloyd
Offizier) gerade was zu tun hatte,
nahm ich meinen Monteur mit. Es war
ziemlich stürmisch und hohe See, sonst
ganz gut zu fliegen und sichtig. Um
3 Uhr starteten wir und grasten
das ganze Gebiet ab, steten aber
nur den holländischen Postdampser,
der zwischen London und Blisjingen
läuft. Um S Uhr abends stand ich
auf dem Rückfluge bei . . .in
<joo Meter Höhe und tonnte unsere
Küste schon durchschimmern sehen.
Mit einem Male gibts einen surch-
Rauchwolle lommt von vorne, der
Monteur fliegt aus dem Veooachter
ptz raus und laust mir oem ttop, zu
unterst in meinen Sitz rein, auf die
Steuersäule Da» Klugzeug
bäumt dadurch auf, und stürzt schräg
ad. Darauf eine zweite schwere Ex
plosion und mein Monteur fliegt m
hohem Bogen aus meinem raus
außerbords und oaumelt, sich mir
beiden Händen xesthaltend, freischwe
bend an der Seite vom Flugzeug
fchwanz. Dadurch wurden meine
Steuerhebel wieder frei uns in 4U
Meter Höhe gelang eS mir, das stür
zende Flugzeug aozusangen und mit
den Schwimmern aufs Wasser zu
setzen. Zunächst repple ich meinen ar
men Monteur herein, der hatte sich
orao festgehalten und ihm fehlte wei
ter nichts. Das Erste, was er sagte,
war: „Herr Leutnant, wir hatten
das Hufeisen nicht mit".
Im Motor war die Kurbelwelle ge
brochen, dann der Bergas» erplo
diert und der ganze Motor auseinan
dergerissen. Das ganze Fundament
zusammengebrochen, der halbe Pro
nen Schwimmer gesaust, die Schotten
im Rumpfe zerstört und sämtliche
Instrumente taput. Der Motor lag
que. über die Schnauze, alle Rohrlei
tungen abgerissen und der Benzintank
entzwei. Es sah ganz finster aus.
D die ganze Ruinpfoerteidung lvsge
losfchickend, es war noch eben hell.
Der Wind war südwestlich und ich
trieb längs der Küste nach Osten.
wurde es denn 9 Uhr, die Maschine
»rnrde schon lahm von Schlingern,
und hier uno da brach ein Hebel. In
der Dunkelheit war nichts zu sehen,
als blos ab und zu das Blinkfeuer
von. . .Mit einem Mal wurde aus
nächster Nähe eine Maschinengewehr
salve, tak, tak, also doch das ver
dammte englische U-Boot, abgefeuert.
Ich kroch auf die Tragdecken, aber
nichts zu sehen. Da, eine zweite
Salve ganz aus der Nähe, und da
fehe ich auch schon den U-Boot-Turm.
Da war nichts mehr zu mache». Also
wir schoflen ein Erkennungssignal
und schnell aues Lose über Bord ge
schmissen, Instrumente, Mausergewehr
usw., damit die Engländer nichts fin
den. Dann schrien sie auch schon:
„Halloh!" Ich antwortete: „German
Seaplan, with broken motor". Und
da antwortete das Boot auf Deutsch:
„Ich will versuchen, Sie zu bergen,
hier U-Boot. Gott sei Dank, es war
eines von unseren Booten, Komman
dant Oberleutnant Bamberger. Der
war gerade aufgetaucht, hatte auf
der Lauer gelegen nach dem Englän
der, hatte uns für'n Franzosen ge
halten.
Nach unsäglichen Mühen gelang es
endlich, zwei Leinen rüber zu krie
gen, in dem hohen Seegang, die ich
am Fahrgestell belegte. Dann rüber
aufs U-Boot geklettert bis an den
Hals im Wasser, aber wir waren wi
chen beide Leinen. Da tauchte ein
weiteres U-Boot aus dem Dunkel,
großer Zustand und llar zum Gefecht.
Es war aber auch ein U-Boot von
unserer Station, welches gerade heim
se/ manövrierte, als unser U-Boot,
wollte es dann den Vogel ins Schlepp
nehmen. Beim ersten Anlauf rannte
es den Schwcmz ab, beim zweiten
sprang ein Mann über mit einer Lei
ne, hatte sie aber ebei fest, da tippte
die ganze Maschine in einer schweren
See.
Der Mann wurde glücklich wieder
aüfgeflscht, aber es trieben jetzt noch
die Schwimmer, die Flaschen waren
abgebrochen. Es kam auch noch ein
Torpedoboot, um zu helfen: das fuhr
dann noch einmal über den ganzen
Zinnober hinüber, und da ward nichts
mehr gesehen. Dann dampften wir
alle Vollspeeu heim. Unterwegs feste
Kaffee und Butterbrot verschluckt. Um
1 Uhr kamen wir schließlich wohlbe
halten in. . . an und wurden mit
angetommen. Also ein großes Glück
gehabt, wenn das U-Boot da nicht
zufällig gelegen hätte, wären wir
beide versoffen, wie Ratten, denn die
Maschine schlingerte langsam au-ein-
Flugzeug vurde abgeschossen und ein
geschleppt. Der englische Offizier
war jüngst unser Gast in der Messe.
Mein Kollege Leutnant Schüler schoß
mit seinem Kampfeinsitzer einen Wei
mar ich mit meinem Einsitzer wieder
los, es wurde aber neblig. Bin gut
zuwege, und hat mir nichts gescha
das englische Hufeisen mit habe.
Mein Lebensretter, Oberleutnant
Bamberg», war gestern mein Gast
und auch bei uns geschlafen.
Der Besatzung habe ich Zigarren ge
stiftet.-
Neues Wort. „Was treibt
eigentlich Dein Mann. Huberbäus
rin!"
„Lauter dummes Zeug. Daheim
sitzt er in den Wirtshäusern und
singt Stanzeln, und in der Stadt
treibt er sich auf den Gerichten her
um und tut instanzein.'