Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, April 12, 1917, Image 6

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    Recht und Unrecht im Weltkrieg.
In sachgemäßer Weise wird die
obig« Frage in einem „Eingesandt"
der „Basler Nachrichten" wie folgt
erörtert:
Das Friedensangebot der Zentral
mächte hat den nie zu Ende gehen
den Streit darüber, wer die größere
Schuld am Weltkriege trage, von neu
em angefacht. Um das Odium der
Verantwortung für die Fortsetzung
des furchtbaren Mordens von sich
abzuwälzen, haben alle Staatslenker
der Entente noch einmal hoch und
teuer versichert, da sie nur zur Ab
wehr deutscher Herrschsucht das
Schwert gezogen haben, daß auf
Deutschland einzig die Schuld für den
Ausbruch des Weltkrieges fällt, daß
kein Frieden gemacht werden kann,
bevor es nicht exemplarisch bestraft
ist. In den neutralen Ländern sto
ßen die zahlreichen, der Entente er
gebenen Federn in das gleiche Horn.
Die Zentralmächte haben ein Verbre
chen an der Menschheit verübt, hieß
es vckr lnrzem in einer angesehenen
schweizerischen Zeitschrift. Es kann
kein Frieden werden, bevor sie ihre
Schuld erkannt und eingesehen haben,
versicherten uns andere.
..Komisch. Karl, bat du Jiigländcrsch
tsiprcußisch Vöhl Väter versiah» alz
Oochdütschl Als ött to dem »Iglischc»
„Mein
Der Streit über die Schuld am
' Kriege ist von den leitenden Staats
männern bisher mit eben so viel Hitze
wie Oberflächlichkeit geführt worden.
Die weitaus wichtigste, wenn auch
nicht di« einzige Tatsache zur Ent
scheidung dieser Streitfrage, ist bis
her von keiner Seite angezogen wor
den. Der Krieg ist selbstverständlich
kein Wert des Zufalles und des
Augenblickes. Der Wille zu diesem
Kriege muß in Jahren gereift und
gewachsen sein. Für die Stärke des
Kriegswillens haben wir einen zah
lenmäßigen Maßstab in den Ausga
ben für Heer und Marine. Wenn ein
Staat oder eine Gruppe von Staa
ten. ohne bedroht zu sein oder ihre
politische Lage verschlechtert zu sehen,
zu riesigen Erhöhungen seiner Mehr
ausgaben schreitet, so darf man an
* nehme», daß sie den Entschluß gefaßt
die Gefahr eines Krieges hin zu ver
folgen. Nun wird bekanntlich von der
Entente Deutschland immerfort be-
s"" ' ,
ne Nachbarn gehegt und seine mili
tärische Rüstung in gefahrdrohender
Weise gesteigert zu haben. Wenn aber
Deutschland Angriffsabsichten hatte.
Zeit der russischen Revolution anzu
greifen. Wenn solche Gelegenheiten
verpaßt wurden, dann konnte der
Die Frage ist nun, ob dieser An
, griffswille seit der russischen Revolu
tion, d. h. etwa seit 1906, so sehr
gewachsen ist. Ist dies der Fall, dann
! muß man erwarten, daß die Rü
diejenigen ihrer Gegner bedeutend
übertroffen haben. Nun betrugen
nach dem Gothafchen Hofkalender die
budgetierten Wehrausgaben in Mil
lionen Franken für Militär und Ma
rine:
für Deutschland Rußland
i u. Oesterreich u. Frankreich
1907: 1829 2320
1908: 1998 2604
1909: 2048 2810
1910: 2106 2896
1911: 2187 3055
1912: 2429 3263
1913: 2977 3784
1914: 3087 4455
daß nicht die Zentralmächte, sondern
> ihre Gegner ihre Rüstungen seit 1907
in gefahrdrohender Weise gesteigert
haben. Im Jahre 1907 übertrafen
r 491 Millionen, 1911 aher bereits um
- 868 Millionen, und für 1914 wa
- getiert, als von den unter dem Joch
! des deutschen Militarismus lebenden
. Zentralmächten. Dieser Unterschied
> wäre noch weit größer, wenn nicht
- in den Budgets des Deutschen Rei
ches für 1913 und 1914 rund 1000
- Wehrbeitrag von einer Milliarde be
i stritten werden sollten. Insgesamt
> haben Rußland und Frankreich in
> den letzten acht Jahren vor dem Krie
- ge für Wehrzwecke rund 25,1 Milliar
- den, die Zentralmächte 18.7 Milliar
> den ausgegeben. Die enoriyen Kosten
- einer Anzahl strategischer Eisenbah
e nen in Rußland sind darin nicht in
, begriffen.
- Ein Staat kann freilich auch ohne
- Angriffsabsichten in die Lage kom
t me», feine Wehrausgaben erhöhen zu
112 müssen, wenn sich nämlich seine poli
- tische Situation verschlechtert. Aber
r Rußland und Frankreich waren in
- dem genannten Zeitraum eher in der
gegenteiligen Lage. Ihr Einverständ
nis mit England wuchs sich in dieser
Zeit zu einem förmlichen Bündnis
aus, wodurch ihre politische Stellung
gegenüber einer feindlichen Mächte
gruppe gewaltig gestärkt wurde. Je
intimer aber das Einverständnis mit
England wurde, je mehr Rußland
len ihre Heeresbudgets und Marine
budgets an. Kein Staat hat der
Welt so laut versichert wie Rußland,
daß er schuldlos angegriffen worden
sei. Dabei hat Rußland sein Heeres
budget von 1019 Millionen im Jahre
1907 auf 1986 Millionen im Jahre
1914 erhöht. Das deutsche Heeres
budget betrug 1907 988 Millionen
Franken und 1914 1485 Millionen,
in letzterer Ziffer sind mehrere hun
dert Millionen einmaliger Extraaus
gaben aus dem Wehrbeitrag enthal
ten. Frankreich ist ahnungslos von
worden, tönt es aus allen französi
schen Blättern. Das ahnungslos an
gefallene Frankreich budgetierte 1907
für sein Heer rund 780 Millionen,
1911 938 Millionen und 1914 1203
Millionen. Ihre Niederlagen will die
Entente heute damit erklären, daß
angesangen haben, die sie in den Jah
ren vor dem Kriege verausgabten. In
den letzten acht Jahren vcr dem Krie
ge haben die vier Hauptstaaten der
Entente für Wehrzwecke insgesamt
43,1 Milliarden, die Zentralmächte
aber nur 18,7 Milliarden budgetiert;
davon hat die Entente für ihre Land
streitkräfte 27,3 Milliarden, die Zen
tralmächte aber nur 13,7 Milliarden
aufgewandt. Die Entente hat also
für ihre Heere in den letzten acht
Jahren vor dem Kriege just das Dop
pelte ausgegeben als die Zentralmäch
te, und wenn sie trotzdem unvorberei
tet überfallen wurde, so verdienen
ihre Generalstäbe offenbar ohne Ver
zug vors Kriegsgericht gestellt und
Doch Deutschland Ist treulos und
perfide, es hat leinen Respeit vor in
ternationalen Verträgen, daher muß
es mit Gewalt unschädlich gemacht
werden, tönt es aus der Entente
press«. Es gibt aber nicht nur einen
belgischen Neutralitätsvertrag, son
dern noch andere internationale Ver
träge. Der Algecirasvertrag setzte fest,
daß Marollo ein unabhängiger Staat
bleiben sollte. Das hinderte Frank
reich und Spanien nicht, Marokko
durch einen Geheimvertrag unter sich
aufzuteilen. Die Zustimmung Ita
liens zu diesem Vertragsbruch wurde
kauft. England hat bei der vor mehr
als 30 Jahren erfolgten Besetzung
Aegyptens feierlich sein Wort ver
pfändet, daß diese Besetzung nur vor
übergehend sein sollte, bis die Ruhe
im Lande wieder hergestellt sei. Die
se: Work Hat es offenkundig gebro-
Daß auch diese von den Alliierten sy
stematisch mit Füßen getreten, als
Fetzen Papiers behandelt worden
sind, erweist die amerikanische Note
vom S. November vorigen Jahres.
Es gibt einen Weltpostvertrag, der
festsetzt, daß die Transitsreiheit im
ganzen Gebiet des Weltpostvereins
gewährleistet ist. Wie er von den Al
liierten gehalten wird, davon wissen
die Neutralen ein Lied zu singen.
Es gibt einen Vertrag über die Neu
tralität des Suezkanals, dem Frank
reich, England und Italien beigetre
ten sind und der bestimmt, daß der
Kanal in keinem Kriege zu militäri
schen Operationen benützt werden
, darf, daß keine Befestigungen an fei
l nen Ufern errichtet, keine Soldaten
- lind Kriegsschiffe dort stationiert wer
! den dürfen, auch in dem Falle nicht,
! wenn die Türkei am Kriege teil
- nimmt. Für die so laut über die
l Verletzung der belgischen Neutralität
, zeternde Entente ist dieser Vertrag
nur ein Fetzen Papier. Es gab auch
einen Dreibundvertrag, der Italien
und Rumänien zur Hilfeleistung an
i die Zentralmächte, zum mindesten
> doch wohl zur Neutralität im Falle
- eines Krieges verpflichtete. Wie er
- gehalten worden ist, weiß alle Welt.
' Aus allen Zeitungsartikeln der Enl
, entepresse tönt uns immer wieder das
! Wort vom Fetzen Papier entgegen,
e das der deutsche Reichskanzler in einer
z privaten Unterredung in Bezug auf
- den belgischen Neutralitätsvertrag ge
, braucht haben soll. Ein französischer
- Ministerpräsident aber fand den we
inig beneidenswerten Mut, von der
len?i"ternat'onalen Moral auszuspie
Aber Deutschland ha! doch den
Krieg verschuldet, denn es ist die Hei
mat des Militarismus; es hat sich
den Bestrebungen widersetzt, die Krie
ge durch Schiedssprüche zu
ist. Was der wahre Grund dieses
wären, würden wir uns nicht bewaff
nen? Würden wir nicht rüsten? Na
türlich würden wir das tun!"
Dieser Engländer hieß Lloyd
George und ist heute Premierminister
des britischen Reiches, für den die
Zerschmetterung des deutschen Mili-
TariSmus, will sagen, die Wehrlos
machung des Deutschen Reiches, die
Hauptbedingung des Friedens ist.
Es ist richtig, daß die Ententeftaa
ien den Pazifisten in der Theorie al
lerlei Verbeugungen gemacht haben,
aber ihre Taten harmonierten schlecht
mit ihren Worten. Während von
ihnen mit viel Geräusch internatio
nale Friedenskongresse inszeniert.
Friedenspaläste gebaut und Friedens
reden zum Fenster hinaus gehalten
wurden, habe« sie gleichzeitig ihre
Heeres- und Flottenbudgets verdop
pelt und verdreifacht, riesige Dread
noughts in Hülle und Fülle gebapt,
haben sie Transvaal und Aegypten,
Marokko und Tripolis, Persien und
die Mandschurei annektiert oder auf
geteilt. haben sie Eroberungskriege in
Südafrika, in Ostasien, in Tripolis
und Marokko geführt und haben sich
selbst sogar im Falle Faschoda unter
sich gegenseitig mit Krieg bedroht.
Wenn sie sich gleichzeitig den Kopf
darüber zerbrachen, wie der deutsche
Militarismus unschädlich gemacht
und das auf die Weltherrschaft er-
pichte Deutschland zur Raison ge
bracht werden könnte, so mag sie das
in den Augen doktrinärer Pazifisten
von aller Schuld und Fehle rein wa
schen. Es heißt aber, daß wir die
Menschen nicht an ihren Worten,
sondern an ihren Taten erkennen.
England, Rußland und Frankreich be
sitzen zusammen fast die Hälfte des
bewohnbaren Erdkreises, die ihnen
aber nicht durch die Sprüche eines
internaiionalen Schiedsgerichtes zu
gefallen ist. Rußland und England
sind seit Beginn ihrer nationalen Ge
gen, Land um Land haben sie ver
schlungen; glaubt man im Ernst, daß
Tendenzen, die seit Jahrhunderten in
einem Hundertmillionenvolk wirksam
sind, durch ein paar Phrasen über die
Wünschbarkeit des ewigen Friedens
über Nacht ausgelöscht werden kön
nen? Die pazifistisch- Bewegung hat
bisher noch keine solche Kraft bewie
sen, daß man ihr solch ein Wunder
zutrauen könnte. Ihr materieller
Nährvater ist bekanntlich Herr Car
negie, der einst auf seine streikenden
Arbeiter mit Kanonen schießen ließ
und ihnen mit einem wohlorganisier
ten Heere von Pinkertons eine regel
rechte Schlacht lieferte. Bisher hat der
Pazifismus kein anderes Resultat er
zielt, als bei den Regierten trügerische
Illusionen, bei den Regierungen eine
Unsumme politischer Heuchelei gezüch
tet zu haben. Wenn die deutsche Dip
lomatie diese Heuchelei nicht mit
machte, so ist ihr das nicht als
Schuld, sondern als Verdienst anzu-
Gen. «oMM. Ser Fülmr <ler
bulMiscten 1. Armee.
Bojadjew, ein geborener Mazedo
nier, ist einer der jüngsten Generale
in dem großen Weltkrieg, denn er ist
erst Fünfziger, sieht aber noch jün
ger aus mit seinem merkwürdig glat
ten Gesickt, das noch ganz frei ist von
Runzeln und Faltm, und mit dem
tiefsch!r».rzen Schnurr- und Spitz
bart, die den festgeschlossenen Mund
°n sehr kennzeichnender Weise umrah
men und noch kaum von grauen Fä-
L.l
den durchzogen sind. Der schmale, in
Sonne, Wind und Wetter gedörrte
und oiaungebrannte Kopf läßt vi.'k
angeregter Gcsellschajt nur wenig und
lacht fast niemals. Eine leicht zu
gängliche und besonders gemütliche
Natur ist dieser verschlossene Mann
also nicht im Gegenteil. Seine
Stimme klingt hart, seine Ausdrucks
weise ist kurz, fast schroff, sein Blick
stark und forschend. Wenn er sich
Vergötterung grenzenden Beliebtheit
erfreut und auch die Offiziere sicki 5
zur besonderen Ehre anrechnen, unt r
bojadjew dienen zu dürfen, so liegt
das daran, daß er fast sein ganzes
Leben unter seinen Truppen an oer
Front zugebracht und sich nie viel aus
den rauschenden Vergnügungen So
fias gemacht, geschweige denn sich in
politische Umtriebe eingelassen hat. Er
wiegter und erfahrener Truppenführer
von unerschütterlicher Ruhe, zäher
Willenskraft und rascher Entschlußfä
higkeit. Deshalb hängen seine Leute
mit so unbegrenztem Vertrauen an
ihm, denn sie wissen, daß sie unter
ihm gut fahren und daß er für ihr
Wohl stets väterlich besorgt ist. Sei
ne Unterführer wählt sich Bojadjew
sorgfältig aus und legt ihnen harte
Proben auf. Haben sie diese aber be
standen, so läßt er ihnen im allgemei
nen Rahmen feiner Pläne nach Mög
lichkeit freie Hand, ist überhaupt stets
bestrebt, sie zu selbständiger Hand
lungsweise zu erziehen. Er kennt seine
Leute genau, weiß jeden einzelnen
nach seinem wahren Werte zu schät
zen, durchlebt alles mit ihnen. So
flößt sein ganzes Wesen Achtung und
Vertrauen ein, so erklärt sich die Son
derstellung, die der hochgewachsene und
breitschulterige General innerhalb der
bulgarischen Armee einnimmt. Die
Entwicklung seiner groß angelegten
und tief durchdachten Pläne verfolgt
er mit unerschütterlicher Ruhe, ohne
sich im geringsten aufzuregen, wen»
nicht alles nach Wunsch und Berech
nung geht.