Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, April 12, 1917, Image 3

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    Am Helena
Roma» von Ida BoV-Ei».
(12. Fortsetzung.)
Malte Holvin sagte, datz er Edles
gern seinen Leibjäger abträte, allein
er selbst sei noch Novize im edlen
Weidwerl i nd brauche seinen Mann.
Edles wies zurück, daß er einen La
der nötig habe. Endlich arrangierte
sich alles, Prancken trat seinen Leib
jäger an den Bürgermeister ab. Die
beiden Gäste Pranckens bekamen je
aber die Mehrzahl der Herren mutzte
allein auf den Stand, Sie waren
auch fast alle erfahrene Jäger.
.Wir fangen mit dem Trieb im
Glanauer Busch an." sagte Altheer,
die übliche Jnstrultionsrede haltend,
.Sie wissen, meine Herren, wir be
kommen da hauptsächlich Fasanen
zum Schutz. Für den zweiten Trieb
habe ich den Wolfsgrund bestimmt.
Dort und beim dritten Trieb im Fal
lenhorst kann ja alles vorkommen und
darf auch alles geschossen werden: Ha
sen, Füchse, Böcke. Auf den Bock aber,
bitte, nur mit der Kugel! Und die
Ricken schonen, meine Herren! Die
Ricken und die Fasanenhennen!"
Der Zug setzte sich in Bewegung.
Beate winkte noch ein Weilchen nach
und stieg dann auf den kleinen Wa
gen, der sie nach dem Glanauer Guts
hof zurückbringen sollte.
So lautlos als möglich schritten
die Treiber den Jägern voraus. Auch
Vorsicht, das Wild nicht stutzig zu
Die Treiber waren davon unter
richtet, datz sie sich an der Hinteren,
geradlinigen Grenze des „Busches"
ler Wiesenstrich in Form eines sanf
ten Halbbogens umschlotz den „Busch"
und trennte ihn zugleich von dem
zweiten Revier, dem Wolfsgrund.
Hier nahmen die Jäger, den Rücken
Der Nebel hatte sich nicht sehr ver
nahe. Aber von Gestalt zu Gestalt
Ein leichter Frost hatte die Erde
hart. Das Gras lag fahl und ver
eist zur Erde gestrichen. Die feierliche,
kühle Stille des winterlichen Waldes
ausstoßend, durch den Tritt ihrer
schreitenden Fütze, durch das Brechen
der Reiser die Tiere scheuchend. Die
Fasanenhähne und -Hennen aber such
ten Deckung im Unterholz, und lange
dauerte es, für die bis zum Herz
klopfen gesteigerte Spannung einiger
Jäger unerhört lange, bis der erste
Hahn aufstieg, mit seinem köstlichen
Federschmuck metallisch schimmernd
vor dem weihgrauen Hintergrund.
Ein Schuß und dann ein Steigen
ganzer Bouquets von Fasanen »nd
«in Knallen von Flintenschüssen, ein
wildes Durcheinander jener platzen
den, scharfen, seltsamen Töne...
Knall auf Knall...
Das tollte vorüber. Und dann ka
men die Treiber aus dem Busch, und
der Förster ging am Stand entlang
und erbat sich vön jedem Herrn die
Zahl der erlegten Hahnen. Sehr
animiert traten die Herren zusammen.
Es wurde Strecke gemacht.
Dreiundfünfzig Fasanen waren ge
schossen. Jrne Hjelmersen hatte mit
zwanzig Patronen zwanzig Hähne
erlegt.
Alle Herren waren autzer sich.
Denn selbst Prancken, der nächstbeste
Schütze, hatte es mit vierzehn Patro
nen nur auf zehn Fasanen gebracht.
Da sich unter den Anwesenden keiner
befand, der jagdgnitschig gewesen wä
re, und nur der Amtsrichter einen
stillen Neid herunterzuschlucken hatte,
so beglückwünschten alle Jrne Hjelmer
sen. Auch Edlef, der sich davon befrie
digt fand, datz „sein Oberingenieur"
sich nach und nach als so ein Tau
sendsassa herausstellte.
Wieder ging es in vorsichtigem
Zuge an der Waldgrenze entlang.
Die Schar der Treiber nahm nun die
Linie, welche zuvor die Schützen ge
habt hatten.
Der Wolfsgrund war von dem
Kallenhorst durch eine Schneise ge
trennt, die sich schnurgerade zwischen
beiden Waldrevieren entlang zog. Die
Nasennarbe, die sie deckte, war von
Wagenspuren durchfurcht. Berfärbi
und klumpig war das Gras zusam»
mengefroren. Der Ausblick recbtS und
links, der sonst, in der Perspektive
dem Glase eines Fernrohres gleich,
ein Stückchen Landschaft zeigte, war
Jäger standen i» weitere Abstände als
artig geschützte Grenze des Fallen
horstes ihnen im Rücken, vor
den Farbenton des Sommers in das
Bild bringend.
Einige Minuten lang konnte es
scheinen, als sei der Wald seiner
schweigenden, ernsten Einsamkeit zu
steckton ihr oberes Gezweig in ihm.
Die Luft war still, aber sehr herbe.
Da brachen zwei Hasen aus dem Un-
stürzte ein Bock. Da flüchtete
»Und Hjelmersen?" frug Malte
.Ein Fuchs, zwei Böcke, fünf Ha
sen!" sagte Jrne.
„O, ein Fuchs!" schrie Prancken
meister und der Amtsrichter auseinan
der los. Dieser beschuldigte den
Stadtvater, auf einen Hasen geschossen
„Wo ist denn Stürmer?" fragte
Holdin und sah sich um.
„Edlef!" rief Georg Altheer, seine
beiden Hände als Schalltrichter an
den Mund setzend.
Schweigend, seinen grauen Ernst
in die weißen Nebelschleier gehüllt,
stand der Wald. Nichts regte sich.
Die Gruppe der Männer stand er
staunt. Aus dem fahlen, gefrorenen
Rasen der Schneise entlang lagen re
gellos verstreut die graubraunen Lei
„Jhm wird doch nichts passiert
fein'S!" sagte Holdin und ward schon
gleich bei dem Gedanken bleich bis in
die Lippen.
.I, was sollte ihm passiert sein!"
sagte Georg Altheer dawider im be
schwichtigendsten Ton.
„Das ist ja ganz unmöglich!"
meinte auch Wackernagel, „wir haben
den."
„Ja, wo bleibt er denn?" fragte
Lebus.
„Was hat er?" fragte Prancken.
Und noch einmal schrieen sie: „Ed
lef Edles Edlef —!"
regte sich. Kein Blatt raschelte. Dürr
chengesträiich. Zwischen den grauen
Stämmen ragten still die grünen
Fichten.
„Ja das ist doch... Wer wa-
Edlef?" 112 tigte Altheer.
„Ich glaube, daß ich ihn rechts von
mir hatte," meinte Holdin und sah
„Nee rechts!"
„Verzeihung, Herr Baron links."
Das wdr ja schließlich egal.
„Ich habe zwischen Hjelmerfen und
klärte Wackernagel.
„Pardon, Herr Rechtsanwalt," er
widerte Jrne Hjelmerfen, „aber ich
weiß bestimmt, daß links von mir
Herr Lebus, rechts von mir Herr von
Eckardtstein stand."
Das wußte Herr von Eckardtstein
auch genau. Als er am Graben ent
lang eilte, um seinen Stand zu neh-
siert und dann Jrne Hjelmerfen just
über den Graben treten sehen.
Keiner konnte begreifen, wie so et
was möglich war: daß so viel Män
ner mit offenen Augen im Kopf sich
nicht genau ihrer Nachbarn entsannen.
Denn in der Tat waren nur zwei
oder drei von ihnen einerlei Meinung
über die Reihenfolge. Als man vom
südlichen Ende des Schneisenrandes
aus anfing, die Stände zu nehmen,
hatte der Förster gesagt, er habe jeden
Stand durch ein davor in den trok
kenen, schmalen Graben hineingesteck
tes Tannenreis bezeichnet. So waren
sie, fröhlich und wichtig wie Schul
knaben, immer die Blicke suchend vor
aus auf das nächste Tannenreis ge
richtet, am Grabenrand hingeeilt, jeder
nur mit sich beschäftigt und der Wahl
seines Platzes, ohne bei diesem eif
rigen Streben recht ins Auge zu fas
sen oder im Gedächtnis zu behalten,
wer sein Nebenmann wurde.
über war so nutzlos.
„Damit haben wir Edles nicht zur
Stelle," sagte Altheer.
„Und so viel ist klar, es hat keiner
was bemerkt," konstatierte Wacker
nagel.
„Jhm tan»> unpäßlich geworden
sein, und er hat sich still durch den
Wald heimgedrückt. Wir finden ihn
fidel nachher in Glanau," sprach
Lebus.
Diese Ansicht gewann sofort ein
halbes Dutzend Anhänger.
„Aber die Linie abschreiten sollten
„Selbstredend!"
Sie schlössen sich zu einem Trupp
zusammen.
Wackernagel.
Mit spähenden Augen sahen sie an
dem jenseitigen Rand der trockenen,
und bogen die raschelnden, niit wellen
Blättern dick besetzten Zweige aus
einander.
er längst geantwortet."
Aber es schien, als wenn >as Ru
fen ihrem Absuchen der Standlinie
Waldesgrenze entlang gezogen, bis
zum südlichsten Punkt, wo der Bür
germeister gestanden hatte.
Als Altheer und Wackernagel, ge-
schon heran.
Blaß wie der Tod war er, und
schwer atmend, stotternd, trat er auf
ein Unglück ... Herr Stürmer liegt
„W0... w0...!" schrie Altheer.
Der Förster deutete voraus, mit
ternd. Altheer stürmte vo:-värts. Sei
ne Gäste folgten ihm.
Die Stelle, wo die furchtbare Ge-
Dort, zwischen dem dürr und rost
farben belaubten Gezweig zweier
Hainbuchenbüsche, die fast ineinander
griffen und mit ihren dicken Formen
den zwischen ihnen Stehenden ganz,
von rechts wie von links, wie eine
Wand gedeckt haben mutzten, dort sah
man die Sohlen zweier Mannesstie
fel. Sie richteten ihre Spitzen hoch,
wie wenn ein rückwärts Niedergefalle
ner sie anhabe...
Georg Altheer kam heran. Der
keuchende Wackernagel neben ihm
hielt ihn mitleidig am Arme fest.
Aber Altheer riß sich los.
Die Herren drängten sich zwischen
den Büschen hindurch, der eine hier,
Edles Stürmer tot!
den die grauen Säulen der Buchen
stämme. Fahl und glasig sah sein
Gesicht aus.
brach ein Schrei und schreckte die
Männer aus ihrer Erstarrung.
.Wie ist es möglich !" jam-
Dann flüsterte einer: „Drückt
ihm bloß die Augen zu . . . ."
Und der Förster trat, von scheuer
Ehrfurcht zitternd,»leise heran und
schob mit vorsichtigem Finger die
Lider über die stieren Augen.
Die Männer alle, die zu fröhli
chem Jagen in den Wald hinausge
zogen waren, standen mit bleichen
stummt. Sie sahen auf den Toten.
Ihre Herzen erbebten.
Niemand sieht eine Leiche, ohm
Schauer halb heiliger, halb banger
Art zu empfinden.
An das fürchterliche Schweigen,
das von ihr ausgeht, hat jede Men
schenseele unendliche, verworrene, zit
ternde Fragen zu stellen. Und weiß
doch, daß sie nie, niemals beant-
Minuten verrannen.
Da trat Prancken leise an seinen
Freund heran. Malte Holdin lehnte
an einem Buchenstamm und hatte in
fassungsloser Erschütterung beide
Hände vor seinem Gesicht. Sanft
führte Prancken ihn etwas tiefer
hinein, und Malte ließ sich führen
Unwillkürlich traten alle anderen,
vorsichtig die Füße setzend, als
könnte das Knacken eines dürren
Reises den Toten stören, ihnen nach.
„Welch ein Unglück!" flüsterte der
Bürgermeister. „Wie konnte das nur
geschehen?"
„Unglück?" flüsterte der Assessor
Küpper zurück. „Meine Herren,
wenn hier nur kein Verbrechen vor
liegt! Wir standen alle in einer
fast schnurgeraden Linie. Wäre selbst
ein sehr schlechter Schütze zwischen
uns eine Kugel konnte sich nicht
nach Stürmers Stand verlieren."
„Ach Unsinn," sagte Wackernagel
scharf, der sich wegen des „schlechten
Schützen" plötzlich sehr erregte, „Ver
brechen! Seine Büchsslinte kann ge
platzt sein oder durch irgend einen
Zufall sich unglücklich entladen ha
ben. Da kommen ja oft die merk
würdigsten Sachen vor."
„Scht —scht!" mahnte Herr Le
bus, denn Wackernagel konnte selbst
jetzt sein Organ kaum dämpfen.
her hören. Das ergibt sich ja durch
den Augenschein!" sagte der Amts
richter.
Der Assessor Küpper fragte, wäh
rend seine Augen hinter seinem Knei
fer funkelten: „War Edlef Stürmer
sehr beliebt? Hatte er Feinde?"
Das war ins Allgemeine gefragt.
Der Bürgermeister sagte, Stür
mer sei ungemein beliebt gewesen
und habe sicher keinen Feind gehabt.
Höchstens unter den Arbeitern,
setzte der Amtsrichter hinzu, der sich
plötzlich einer kleinen Klage erin
nerte, die ein entlassener Arbeiter
gegen Stürmer A Stürmer geführt,
weil Edlef versucht hatte, den Mann
zur Strafe für unehrerbietiges Be
nehmen Lohnabzüge zu machen.
„Was wissen Sie davon?" fragte
der Assessor inquisitorisch Jrne Hjel
mersen.
Dieser, der ernst und bleich, aber
vollkommen gefaßt zwischen den
übrigen Herren gestanden, sah den
Assessor mit deutlich markiertem Er
staunen von oben bis unten an.
Aber er antwortete doch. „Wenn
ich aufrichtig sein soll: Herr Edlef
Stürmer war nicht so sehr beliebt
Aber Sie wissen ja, meine Herren:
von zwei Chefs ist immer derjenige
der unbeliebteste bei den Leuten,
der die Lohnverhältnisse unter sich
hat. Mag alles noch so gerecht nach
dem Buchstaden gehen, da sind doch
immer welche, die sich benachteiligt
glauben."
Das war eine taktvolle Antwort,
sie gefiel allen. Sie gab die Mög
lichkeit von Edlefs Unbeliebtheit zu,
schob aber die Möglichkeit gleich auf
die Unlcgik der Leute, nicht aus Ed
lefs Benehmen gegen diese. Und
zugleich hatte Jrne Hjelmersens den
Assessor so erstaunt messender Bück
die anderen darüber zur Besinnung
gebracht, daß dieser Neuling sich hier
offenbar mit Nachforschungen unzu
kömmlich wichtig machen wollte.
„Wir haben hier nähere Pflichten,
zu verliefen," flüsterte Wackernagel,
„erst heißt es, den Toten würdig
heimschassen uns Altheer beistehen!
Mein Gott wie soll er das seiner
Tochter sigen!"
Bei diesen Worten schien Holdin
fast zusammenbrechen zu wollen.
.Und Sie, Hjelmerfen Si«
müssen wohl Herrn Thassilo Stür
mer . . . ."
„Wo ist er? Warum hat er die
Jagd abgesagt?" fragte der Assessor
raunend und griff Jrne Hjelmerfen
„Sind Sie verrückt?" fuhr Wak
halb neun Uhr bei dem Deichbau
am westlichen Flußuser."
In diesem Augenblick hörte man
immer neben der Leiche kniete, und
dem der Förster unter gütigem Zu
reden vergebens aufzuhellen trachtete.
„Mein armer, alter Junge!" sagte
Wackernagel. „Du mußt nun stark
sein und an deine Beate denke»! Ich
will dir was sagen: ich führe dich
nach Haus. Wir bringen es ihr
schonend bei. Die Vorsorge sür die
sen armen lieben Edles überlassen
sternd, er lasse schon von seinem
Hause eine kurze, breite Leiter ho
len und einige Kissen. Daraus könne
man den Toten betten und nach
Glanau tragen.
Mit liebevoll befehlshaberischen
Gebärden zwang Wackernagel den
Georg Altheer war wie ein un
glückliches Kind. Daß ihn mitten
in seiner behaglichen Daseinsfröh
lichkeit auch eine solche Katastrophe
treffen mutzte! Es war ganz un
fatzlich!
Er stand hilflos, und mit einem
Blick gen Himmel tat er jammernd
die nutzlose Frage, die alle tun,
über die ein Unglück hereinbricht:
„Womit hab' ich das verdient?!"
Und wieder weinte er in sein
Taschentuch hinein, während Wak
kernagel ihn unterfaßte und fortge
leitete.
Die Zurückbleibenden berieten lei
se. Es schien am würdigsten, dem
Toten im Zuge bis nach Glanau zu
folgen.
Die Wagen der Jagdgenossen
warteten alle bei dem Försterhäus
chen an der Grenze des Fallenhor
stes. Ein Junge tonnte hingeschickt
werden, um auszurichten, daß sie leer
nach dem Glanauer Hof fahren und
ihre Herren dort erwarten sollten.
Der Burgermeister, der sich nach
Wackernagels Entfernung darauf be
sann, daß ihm. als dem ältesten,
hier die Beherrschung der Situation
zukam, fragte Jrne Hjelmerfen. od
er nicht am Forsthäuschen irgend
einen Wagen benutzen wolle, um so
fort nach Mörstadt zu fahren, oder
ob er erst Edles Stürmers Leiche bis
nach Glanan geleiten wolle.
„Da wohl leine Gefahr vorliegt,
daß Thafsilo Stürmer aus unbe
eignis erfährt," sprach Jrne Hjel
merfen mit ruhigem Ernst, „möchte
ich mich erst Ihnen anschließen."
Der Bürgermeister nickte. Alle
fanden, daß diese Haltung die rich
tigste sei. Zuerst dem Toten die
"ch si F st l d
nervös, qualvoll die Minuten zäh
lend, standen sie stumm beisammen.
Endlich lam dann Leben in all
die auf dem Rand des Grabens
sitzenden Treiber, die gedrückt und
flüsternd da gewartet hatten. Eine
breite Leiter, von der Försterin mit
<<nigen Kissen und einem weißen
Tuch bedeckt, ward herangetragen.
Jeder, die Herren wie die Leute,
brach, einem pietätvollen Antrieb
folgend, ein Tannenreis.
Und so auf weiß und grünes La
ger, mit grünen Zweigen ihn bis
aufs Gesicht deckend, betteten sie den
stillen Mann.
Ein ernster Zug schlich durch den
Wald, schweigend und langsam, zwi
schen den grauen Säulen der Bu
chen. unter den reglosen Wipfeln, die
in silbrig schimmerndem weißen Ne-
Aber die Sonne sog ihn jetzt hö
her und sicher zu sich hinauf, bis er
im Aether zerstob und verschwebte.
der winterlich kahlen Erde, als der
Zug ins Freie trat.
Nun folgte er einem Pfad, der
sich zwischen den hartgefrorenen,
grauen Erdschollen einer im Herbst
umgepflügten Koppel dahinzog.
Weg hob sich.
Und über die sanfte Höhe zog die
kleine Menschenschar dahin. Schars
voran die acht Männn mit der feier
lich geschmückten Bahre.
viil.
Es war Nacht.
Thassilo saß auf seinem Bett
rand noch in voller Kleidung. Dort
saß er seit elf Uhr. Um jene Zeit
mochte er mechanisch sein Bett aus-
gesucht haben. Aber er vergaß es,
sich zu entkleiden. Neben ihm auf
dem Nachttischchen brannte ein Licht.
Es war nur noch ein kurzes Ende
davon. Der Docht, als übermäßig
lange, kohlig schwarze und stark ge
krümmte Linie in der rotgelben
Flamme, hatte sich fast über den
Rand der Kerze geneigi. Nun tropfte
dort das Stearin in dicken Tropfen
herab, gerann alsbald und lag als
Wulst «us der gläsernen Lichtman
schette.
Endlich erlosch die Flamme.
Das plötzlich eintretende Dunkel
schreckte den einsamen Mann aus.
Er warf sich aus sein Bett und
drückte sein Gesicht in das Kissen.
Ihm war, als sei ihm so besser.
Als lönne er so noch besser denlen
denlen immerfort denken!
Reglos lag er, bleischwer, »kein
Seufzer erleichterte ihm die Brust.
Er war wie gefesselt. Die maßlo
sen Erregungen machten aus ihm
teinen Tobenden, sondern einen Ge
fangenen. Er war wie ein Stum
mer, dem man Ungeheures zufügt
und der dennoch keinen Laut hat
keinen.
Der, den er haßte, mit der ganzen
Inbrunst seines heißen Blutes er
keit, sich sättigen, betrogen! Man
hatte ihn bestohlen um die Süßig
keit, sich zu rächen!
Seinem Leben war der geheime
Inhalt geraubt, all seinen Stunden
der Trauen von jenen Taten, durch
die er dem anderen hätte zeigen kön
nen und sicher gezeigt haben würde, -
wie tief er ihn verachtete!
Der war tot. Wenn auch wider
seinen Willen hinterrücks ums
Leben gebracht dennoch war er
dahingegangen wie ein triumphieren
der Sieger!
Als der, welcher in den Augen der
Welt der erste schien an Wissen und
Können!
Als der, dem das herrlichste Weib
sich in Liebe ergeben!
Und nun war leine Zeit mehr,
ihm den falschen Ruhmeslranz zu
entreißen und ihm das Weib zu neh
men ....
Nie, nie!
Die Leidenschaft seines Hasses
bäumte sich, wie sonst nur hoff
nungslose Liebesleidenfchast sich ver
zweifelt aufzulehnen vermag gegen
dieses Niemals!
Gib mir diesen Toten wieder,
Schicksal, dachte er heiß, gib ihn mir
wieder, daß ich ihn noch, einmal
töte! Ich! Denn mein war das
Recht, ihn zu morden! Und eine
verzehrende Reue durchloderte ihn,
daß er damals nicht die Krast ge
habt hatte zu jenem Fußtritt vor die
falsche Brust
Was war es gewesen, das ihn so
feige gemacht hatte? Das Gewis
sen? Das Gebot: „Du sollst nicht
töten"?
Aber tötet nicht die Natur mit
erhabener Rücksichtslosigkeit alles,
was ihren Zwecken im Wege steht?
Ist es nicht das Elementare im
Menschen, den niederzuschlagen, der
sein Feind ist?
Ist das Recht und das Bedürfnis,
zu hassen, nicht, jeder Kreatur ebenso
eingeboren, wie das Recht und daS
Bedürfnis, zu lieben?
Und da es eingeboren ist, lann
nur künstliche Empfindung, falscher
Zwang verhindern, es zu befriedi
gen!
Mit furchtbarer Deutlichkeit sah
er den Gehaßten vor sich und das
lächelnde, freche, schöne, widrige Ge
sicht - - d T°
ten !
Dazwischen erhob sich eine Stim
me in ihm und sprach: „Er und
seine Eltern waren deiner Mutter,
sie waren deine Wohltäter. Ihre
Fürsorge nährte euch. Ihre Groß
mut gab dir die Möglichkeit, zu wer
den, was du bist!"
Er wand sich unter dieser Mah
nung. Es sollte nicht wahr sein!
Er wollte sich von der Dankbarkeit
nicht seinen Haß entwinden lassen.
Nicht einmal am Grabe!
heiße Qua! dieser gewaltigen Emp
findung hinein fuhr es wie ein er
leuchtender Blitz.
Ein wonnevoller, jäh sich ihm
erhellender Gedanke ließ allen ohn
mächtigen, betrogenen Haß versin
ken: Beate! Nun war sie frei! Und
kein Berbrechen stand zwischen ihr
und ihm. Rein war seine Hand.
Er konnte sie eines Tages nach der
Leuchtturm nicht Edless Mörder,
sondern Edless Retter geworden.
Eine sinnlose Freude ergriff ihn.
Tiefer grub er den Kopf in die Kis
sen.
O mein Gott Beate!
Nun war er ihr zum Schützer be
stellt. Ihm vor allen fiel so natür
lich das Recht zu, ihr zur Seite zu
stehen.
Das brutale Leben würde nun
mit tausend Fragen und Sorgen
kommen. Und er war es, er, den
die Lage der Dinge aufrief, ihr alle
Wege zu ebnen, ihr seine Hände un
ter die Füße zu breiten.
Und später vielleicht nach Mo»
> naten nach einem Jahr
(Fortsetzung folgt.)