Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, February 01, 1917, Image 3

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    An» Helena
(2. Fortsetzung).
hatte auch schon in seiner Erscheinung
etwas Fideles. Im ausrasierten Kinn
saß ihm ein Grubchen. Die grauen
junkerlichen Landwirt.
Beate blieb stehen, wo sie stand.
Sie sah dem Mann mit einem Lä-
Hand hin.
Es war eine große, sehr weiße,
sehr schön geformte Hand, vielleicht
ein wenig zu fleischig für ein Mäd
chen von einundzwanzig Jahren.
Ihre ganze Persönlichkeit erweckte
" -rhaupt mehr den Eindruck d.. Rei
„Meine Frau ivar auch so, Das
sind die dauerhasten Schönheiten,"
hatte Georg Altheer einmal gesagt.
»Meine Mutter sah unverändert aus
bis auf ihre hohen Fünfzig. Das liegt
in der Familie."
Ihre Gestalt zeizte ein vollkommenes
Ebenmaß. So auch ihr Antlitz. Jeder
Zug darin tonnte vor den äußersten
Trotz all der seltenen Schönheit
wirkte ihre Persönlichkeit nicht streng,
auch kaum majestätisch. Es schien sie
vielmehr ein Dunst von Ueppigkeit zu
umwittern. Zugleich auch
Wackernagel glaubte, das Vorrecht,
Glück zu wünschen, den Hausbewoh
nern lassen zu müssen.
schüttelte ihm lange die Hand und
sagte, daß er sich gefreut habe, wie es
ihm vergönnt gewesen, seinen Einfluß
Körper und seinen eckigen Bewegun
gen, befand sich in einer steten Erre
gung. Man sah das auch seinem ma
geren Gesicht mit den scharf nervösen
Zügen an. Seinen blonden Schnurr
bart zu Pflegen hatte cr keine Zeit.
Wenn er lachte, entblößten sich seine
großen, glatten, gelbweißen Zähne
ungewöhnlich weit, so daß auch noch
ein Stück Zahnfleisch mit sichtbar
wurde. Dies gab dann seinem Munde
etwas Bleckendes. Durch sein strähni
ges Haar fuhr er im Gespräch oft mit
den Fingern der Linken. Trotz dcr
Farblosigkeit von Teint, Haar und
Augen war sei» Ausdruck von einer
starken Intelligenz. Hinter seinen
randlosen Brillcngliisern starrt« er
immer den eindringlich an, mit dem
«r gerade sprach. Und sein« Nase war
so sehr das Herrschende in seinem Ge
sicht, daß man sagen tonnte, wenn er
sein Gesicht wandte: er hebt die Nase
Altheer machte für Thassilo Platz
Tasse wurde vor ihm auf das Tisch
tuch gestellt, und Beate fragte in ihrer
ruhevollen Weise, die vielleicht gleich
gültig hätte scheinen können, wenn
Wünsche».^
deter weiblicher Harmonie?
sich vorstellte, daß er vielleicht bald,
wollte er von thassilo allerlei wis
sen. Und Thassil" erzählte ganz sach
gemäß. mit ganz klaren Worten, wäh
rend die Sehnsucht nach dem schönen
in seinen Adern brannte: ein
Drittel der Summe zahlte Staat un>
Stadt sofort aus. zwei Drittel wür
den erst nach Vollendung des Unter
nehmens ausgekehrt. Es war eine
welche die Bauten über die vereinbar
te Frist hinaus nicht fertig sein soll
ten. Naturereignisse, wie zum Bei
spiel eine Sturmflut, waren im Ver
trage vorgesehen als für Verzögerun
gen entlastend. Thassilo nannte auch
die Bankiers, die hinter ihm und Ed
lef standen. Ihr eigenes Vermö,cn
war zu bescheiden, noch zu bescheiden,
schaltete er vorsorglich ein, um solche
Operationen führen zu können.
„Sie ergänzen sich großartig, Ihr
Vetter und Sie," schrie Wackernagel,
„er hat mehr den kaufmännischen
Geist. Sie sind der Techniker, der Er
finder, dcr Konstrukteur."
„Sagen Sie mal, weshalb ist ihr
Vetter nicht da? Und von den andern
Bewerbern ist ja wohl auch keiner zur
Stelle gewesen," sprach Altheer.
Thassjjo stieg es rot in die Stirn.
Es war das Natürliche, den Bescheid
einer Behörde bei sich in seinem
Bureau abzuwarten. Gewiß. Was ihn
Hergetrieben, das konnte er wohl spä-
Beate an. Er dachte „ich",
wenn er sich im Geiste mit seinen Un
lernehmungen beschäftigte, nie „wir."
doch noch einige Geldgeschäfte durch
Lebus besorge» lassen? Ich möchte
meinen Einfluß dahin geltend ma
chen." ,
„Es versteht sich ja von selbst," be
merkte Tassilo, „er ist der einzige
größere Bankier am Ort. Die Gelder
für die Arbeitslöhne müssen durch
Wackernagel nickte mehrmals stark.
viel al-> tunlich Arbeitskräfte aus
dcr Stadt und Umgegcnd heranzie
hen. Ich habe versprochen meinen Ein
fluß dafür einzusetzen."
Thassilo seufzte leise. Ihn fing an
die Ungeduld zu packen.
Er war kein redseliger Mann. Un
nütze Gespräche ärgerten ihn geradezu.
„Das versteht sich wieder von
selbst", sagte er.
Nun fingen die Männer an, die
nationalökonomischen Vorteile auszu
rechnen, die Stadt und Gegend v»n
dem Unternehmen haben sollten. Wak
kernagel vermocht aufs genaueste den
Verbrauch von Materialwaren und
Kartoffeln für hundert Arbeiter an
zugeben. Er und Altheer taxierten
auch, wie sehr die Altheerschen Grund
stücke, die nächst dem Strande lagen,
im Werte steigen müßten. Man konnte
sie für die Anlage einer Villenkolonie
parzellieren und jeden Baugrund ein
zeln verkaufen. Dabei konnte Altheer
oierzigtaufend Mark bar einstecken.
Wackernagel verhieß auch, seinen
ganzen Einfluß dahin aufzuwenden,
daß ein Kurhaus am Strande ge
baut würde. Ein großes Badeleben
mußte entstehen, mit Musil, Re
unions, Sportfesten.
Beate jaß schweigend dabei. Sie
tat nicht einmal eine Frage in die
Debatte hinein.
Von ihrer Kunst zu schweigen wir
Thassilo immer entzückt.
Die Dämmerung kam und füllte
das Zimmer mit totem Grau.
, Thassilo sehnte sich nach Licht. Er
wollte Beate sehen, sich immerfort
sättigen an dem Anblicke ihrer Schön
heit.
und trug eine Lampe^durch
Beate fragte, ob man sich nicht jetzt
dahinein setzen wolle. Beim Ausste
hen erklärte Wackernagel, daß er zu
rück müsse, den letzten der
Dämmerung für seine» Weg benutzen,
denn seine Augen trögen ihn zu sehr
im Dunkeln.
„I was, Herr Stürmer geht mit
Ihnen. Erst wollen wir doch noch mal
das Ereignis begießen. ist
kein Tauswasser für so was," sagte
Altheer u. schob mit seinen beiden Hän
den, eine auf Thassilos Rücken, die
andere auf dem Wackernagels, beide
Herren vorwärts.
Dann ging er, zwei Flaschen von
seinem alten Rüdeshciiner selbst aus
dem Keller zu holen.
Im Salon, Beate sich sogleich
in einen Lehnstuhl am Tisch setzte,
ihre Hände auf des Stuhles Armpol
ster legend, nahm Wackernagel Thas
silo beim Rocktnops.
„Sagen Sie mal, es giebt doch eine
gräflich Stürmersche Familie in un
serm Großherzogium. Ich kenne sie.
Ich hatte mal Gelegenheit, dem Gra
fen Thassilo Stürmer einen großen
Dienst zu erweisen, indem ich ihm
durch meinen Einfluß das Archiv ei
ner ihm verfeindeten Familie zugäng
lich machte, wo er ein ihm wichtiges
Papier vermutete und auch fand. Ver
wandte?"
Dies langweilte Thassilo über alle
Maßen.
„Ja und nein", sagte er unfreund
lich, „mein Großvater heiratete eine
Dame vom Theater und <egte deshalb
freiwillig seinen Titel ab. Mein Va
ter fühlte sich als arbeitsamer Bür
ger. Und so tue auch ich. Nur den
sten Eohn: Thassilo haben wir bei
behalten."
~Ach!" sagte Beate und sah mit
sere Zeit gehört dem Bürgerstande.
Krupp mit einem Adelstitel. Hätte
ter ihm her das Mädchen mit den
„Herrschaften." sagte Altheer und
schenkte ein, „als die Nachricht kam:
der Hafenbau ist bewilligt, habe ich
auch geflaggt, wie all die Leute unten
in der Stadt. Und heute wehen wie
der Fahnen. Sie würden auch wehen,
wenn Meyerhof ck Hude oder sonst
wer den Zuschlag gekriegt hätten. Im
allgemeinen kann man sagen: sie we
hen unpersönlich. Aber dennoch freut's
uns, und nicht gerad' uns allein daß
Stürmer >8: Stürmer das große Werk
ausführen sollen, das diesen einge
schlaseneN Winkel wieder ans große
Leben bindet. Darum lebe er hoch!"
„Papa," sagte Beate unter dem An
klingen, „wenn du so viel Geld ver
dienst, bekomme ich ein Empiremobi
liar für den Eßfaal?!"
Altheer lachte.
„Bis mir das Geld in der Tasche
klappert, bist du längst verheiratet,
und es ist dir ganz egal, was für
Stühle in Glanau an der Wand ste
hen."
„Ach was", sagte Beate und machte
die anzudeuten schien, daß von Hei
raten nicht die Rede sei.
„Na, na," meinte Wackernagel, das
grüne Glas dicht von seine bleckenden
Zähne haltend, „woll'n mal den Früh
ling abwarten, und wenn der Vetter
Diete wiederkommt! Er machte es
deutlich genug Weihnacht!"
Dann trank er.
Thassilo stand wie versteinert.
oar ein Vetter, dessen Verliebt
heit in Beate so offenkundig bespro
chen werden konnte?
Es gab einen Mann, der seine
Hoffnungen auf dieses Weib richtete?
Vielleicht sogar schon ein Anrecht da
zu hatte?
Ihn erfaßte eine so eifersüchtige
Qual, daß sein Gesicht ganz farblos
wurde.
- Er war sich gar nicht bewußt, »aß
er Beate mit einem Ausdruck anstarr
te, der seinen Zustand verriet.
Beate merkte es nicht, denn sie
schenkte gerade ihrem Vater ' wieder
das Glas voll.
Aber Wackerriagel sah es. Er hatte
schon manchmal den Verdacht gehabt,
daß Thassilo verliebt sei.
„Ei, ei," dachte er und verfiel in
ein kurzes schweigsames Nachdenken.
Er hielt Thassilo Stürmer kür sehr
bedeutend. Und so ein Mann halte
sich durch die schöne Gestalt, das wei
ße, appetitliche Fleisch bestricken las
sen? In seinen, Wackernagels, Augen
war Beate eine „dumme Pute." Sollte
der Stürmer blind dagegen sein?
Aber wer wußte der wollte
vielleicht gerade ein Weib zum Aus
ruhen. Bei Männern, die viel und
schwer arbeiten, kam das ja vor. Kei
ne, die durch den Wunsch, „Gefähr
tin" spielen zu dürfen, den Mag» in
seinen Mußestunden behelligt.
Wenn das so war, dann brannte
dem Manne gewiß das Verlangen
»ach einem Tete-a-tete in den Adern.
wenn er, Waclcrnagel, wieder einma!
Vorsehung spielen, die Sache machen
und durch seinenEinsluß zustande brin-
Wie wohl Altheer darüber dachte?
Dem mußte so ein Freier hochwill
kommen sein, denn wie viel Lasten auf
Glanau ruhten, wußte ja Wackernagel
genauer als alle anderen Menschen.
Ob Stürmer Beate für eine gute
Partie hielt? Nun, da konnte dann
er wieder eingreifen, etwaige Ansprü
dem Brautvater nachdenken, wie man
sie teilweise befriedige. Da konnte man
in jeder Weise wieder eine segensreiche
Rolle spielen.
„Na, Wackernagel, so schweigsam?"
fragte Altheer.
„Mir geht eben was durch den
Kovf, was ich noch mit dir bespre
che» möchte. Wen» du fünf Minuten
hast..."
„So viele du willst..."
Sie gingen.
Thassilo war mit Beate allein. Sie
saß wieder in dem Lehnstuhl, die
Gestatt.
Die eifersüchtige Furcht, von wel
cher Thassilo erfaßt war, steigerte sich
fast bis zur Besinnungslosigkeit, als
seinen große» Erregungen zu kämp
fen, beherrschte ihn ganz.
Wenn sie jenen Mann liebte! Recht
bedacht, tonnte er selbst sich keines be
sonderen Beweises rühmen, der ihm
sicher von ihren Gefühlen zeugte. Nie
hatle er sie errötend, unsicher gesehen.
Nie bebte ihre Stimnle, wenn sie zu
ihm sprach. Und doch war es ja ge-
Harmonie ihres Wesens, die ihn be
zauberte. Er sah darin den höchsten
Beweis einer vollendeten Selbstbe
herrschung, einer ungemeinen weib
lichen Keuschheit.
Wenn sie ihm ein „Nein" entgegen
setzte!
Sein Atem stockte.^
zu warten, einen Augenblick abzupas
sen, wo es ganz zweifellos erkennbar
war: Beate liebte ihn.
Die schwüle Stille dauerte selbst
für Beatens Geduld zu lange.
„WaS denken Sie?" fragte sie.
„Ich denke über den vorhin er
wähnten Vetter Diete nach," sprach
er.
Sie machte mit den Fingern kleine
Bewegungen und brachte die Quasten
an den Armpolstern des Stuhles ins
Baumeln.
„Ach Diete! Das ist ein Verwand
ter durch irgend eine gemeinsame
Tante. Er war bei Papa ein Jahr
Volontär. Aber da war ich in Pen
sion. Nun besucht er uns manchmal.
Er heißt Dietrich Müller und hat
tung."
Diese ruhige Erklärung gab aber
doch gar keine Ausschlüsse. Sie machte
lediglich aus dem „Vetter" einen kaum
noch als Verwandten zu betrachtenden
und darum als Bewerber noch ernstli
cher in Erwägung kommenden Mann.
„Liebst du ihn? liebst du ihn?!"
schrie es in seinem Herzen.
Er hatte nicht die Entschlossenheit,
die Frage laut zu tun.
Die Antwort, ja nur eine Miene,
Nichten können.
Er verzehrte sich vor Begier nach
dem Glück. Aber er hatte nicht den
Mut, die Entscheidung herbeizusüh
mer hin und her. Sein Blick ver
mied Beate. Das köstliche Weib in
seiner blonden Schönheit machte ihn
toll. Aber zugleich erfüllte eine unend
liche Ehrfurcht vor ihr sein Herz,
eine Ehrfurcht, wie er sie sonst nur
herrschte, war aus eifersüchtigem
Zorn und Leidenschaft so unrein ge
mischt, daß er sich ihrer vor Beate
man sich eine Geliebte, aber nicht das
Weib, das Eine, Anbetungswürdige,
dem man sein ganzes Leben, seinen
Namen und seine Ehre darbringen
will.
baren zu.
Sie hatte erwartet, daß Thassilo
Stürmer das Alleinsein benutzen und
ihr sofort eine Erklärung machen
gehört auch zu den Männern, die vor
lauter Arbeit nicht zu Heiratsgedan
ken kommen!"
Aber ihr Mißmut war nicht so
stark, daß cr einen Schatten auf ihr
Gesicht warf. Mit dem z:wohnlen
Lächeln, das so beglückend wirkte,
fragte sie: „Sie haben gewiß den gan
zen Kopf voll von dem großen Werk."
„Ja," sagte er, „ja." Und dabei
dachte er überwältigt: „Sie nimmt
teil an meinem Schaffen, an meinem
Können! Und wie sie lächelt!"
Er ging auf sie zu und nahm ihre
Hand. Er drückte sie heiß und schwieg
dennoch.
'Jetzt traten Altheer und Wackerna
gel wieder ein.
Sie machten große Augen und
wechselten einen Blick, weil sie kein
Brautpaar fanden. „Na," dachte Alt
heer, „was nicht ist. kann ja noch wer
den, Zeit wird's für Beate."
„Warum langt er nicht zu, wenn
er sie will?" fragte Wackernagel sich.
„Bei der Beate heißt's doch sicher.
zum Aufbruch. Thassilo schloß sich
mung, die sickere Hoffnung zu ge
nießen. die der letzte Augenblick mit
Beate ihm hergestellt.
11.
Im Hotel fand Thassilo zu seinem
Erstaunen keine Depesche von seinem
Vetter und Compagnon vor. Edlef
mußte von Bern» abwesend sein. Aber
das war doch kaum denkbar, an einem
Drahtnachricht bringen sollte.
Für Thassilo war es eine große
Belästigung, daß Wauernagel ihn
unterwegs gepreßt hatte, an einem
kleinen improvisierten Kommers teil-
Abend neun Uhr im Hotel „Zum
Großherzog" noch zu arrangieren
hoffte. Aber er sah ein, daß cr n cht
sern bleiben durste. Hierbei seilte ihm
um mit de» Honoratioren die Zu
kunft anzutrinken. Edlef machte j»
Welt cm. Er war geradezu ein Genie
darin, den 'Leuten auf so versteckte
Weise, daß sie leine Schmeichelei spür
ten, die angenehmsten Hinge zu sa
gen. Mit einem nachsichtigen Lächeln
dachte Thassilo daran. Er war über
haupt gewohnt, alle Eigenart Edlefs,
die ihm bei einem Fremden peinlich
widerstrebt hätte, großmutig als „lie
benswürdige Schwäche" zu beurteilen.
Thassilo selbst hatte immer das
Mißgeschick, bei geselligen Zusammen
künften ein Dutzend Menschen z»
kränken oder zu enttäuschen. Er dank
te da nicht, wo ein verbindliches Wort
erwartet wurde. Er zeigte kein In
teresse an der kannegießernden Lokal
politik. Er kannte wichtige Würden
träger der Stadt nicht wieder, wenn
sie ihm auch schon zweimal vorgestellt
worden waren. Er widersprach mit
einer geradezu grandiosen Unbefan
genheit aufs bestimmteste den aner
kanntesten Autoritäten.
Die Marsiädter hatte längst ent
schieden, daß er ein unliebenswürdi-
ger Mensch, beinahe ein Sonderling
sei. Einige hielten ihn deshalb für
den begabteren von den beiden Stur
mers, andere aber sagten, das seien
altmodische Schlüsse, heutzutage ver
- stehe sich auch das Genie auf die Not-
I wendigkeit eines umganglichen Tones.
Im ganze.n hatte Edles viel mehr
Gläubige. Und dessen war Thassilo
klar bewußt. Er lächelte darüber. Aon
der Menge gefeiert werden, ehe man
ihr wahre Leistungen zeigte, schien
ihm mehr erschreckend <als beneidens
wert.
An diesem Abend nun umdrängte
man ihn feiernd. Zahllose Reden wur
den gehalten. Rechtsanwalt Wacker
nagel allein hielt deren vier. Die erste
aus Seine Majestät den Kaiser. Die
I zweite auf Seine Königliche Hoheit
den Landesherrn, die dritte auf
Thassilo.- Die vierte eigentlich auf sich
selbst, denn er betonte, daß es seinem
Einfluß gelungen sei, Herrn Stürmer
das Versprechen abzugewinnen, Geld
und Arbeitskräfte der Bewohner her
anzuziehen. Er trank dann auf das
Gedeihen des Werkes.
Die Männer berauschten sich an
den, Bewußtsein, durch ihre zähe
Rührigkeit es so weit gebracht zu ha
! ben; an dem Bilde der reichen Zu-
kunft welche der Stadt blühen sollte;
an den Unternehmungen, mit denen
kungskreis zu erweitern dachte; an der
Begeisterung für Thassilo Stürnier,
welcher als die zufällige Verkörperung
> wenbräu, welches der Wirt vom
! „Großherzog" hielt.
' Der Zigarrenrauch lag in blauen
Wort. Alle überschrie aber Wacker
! nagel.
Zuletzt saß Thassilo schweigend ne
> den dem Bürgermeister, einem behäbi
! gen Phlegmatiker, in den der an
dessen anderer Seite sitzende Bankier
den plumpfröhlichen hatte
Thassilo eine Vision. Er sah Beate.
So wie er aus einem klei-
Band oder Kette. Wie selig betroffen
war er über diesen Anblick gewesen.'
! Er mahnte ihn an die reine Nacktheit
der Antike.
liebetrunlen.
„Beate Altheer... ja natürlich/
hörte er neben sich sagen und war
sogleich ganz in der Gegenwart.
„Selbstredend!" rief Doktor G.am
berg über d«n Tisch, „der Großher-
Was hieß das?
Thassilo erfuhr es sogleich aus dem
Hin- und Herreden.
Am IS. März sollten die Arbeiten
Deutschland auf Marsladt. An weiß
gekleideten Jungfrauen durfte es nicht
fehlen. Lebus mußte ein Gedicht ma
das stand fest. Allein die Verse zur
vorigen Jahr! Wie viel Witz und
Grazie! Und Beate Altheer, da?
Aber da die Strömung in dem
gegenwartigen Kreis leid-nschattlich
dafür schien, griff er ihn sogleiH auf.
Programm, sah es allerdings für sehr,
sehr zweifelhaft an, ov Georg Altheer
ein solches Hinaüstreten seiner Toch-
- umgänglich seien. Jcht aber schien eS
ihm bedeutungsvoll, daß die
! Worte der Weihe zu seinem Werke
sprechen sollte.
Man fragte ihn um seine Meinung.
Er nickte nur stark. Er hatte F.lrcht,
sich zu oerraten.
Nun wurden die Marstädter Her
ren von einem wahren Beratungsf-c
-ber ergriffen, denn es waren ja nur
noch drei Wochen bis dahin.
Dies gab Thassilo den erwünsch
ten Vorwand,-sich zu entfernen
den Wochen hatte sei» Bureau über
menschlich zu arbeiten. Schuten, Prah
me, Bagger- und Rammaschinen
mußien gekauft oder gemietet werden.
Mit Steinbrüchen mußte man Ver
träge schließen. Lkit Zeinentfadri
ken und Eisensabriken unterhan
deln. Arbeiterkolonnen werben, Un
teringenieure anstellen Kurzum das
ganze, gewaltige Werk so ins Leven
rufen, wie es«fchon auf dem Papier,
in seiner Organisation bis ins klein
ste entworfen, fertig stand.
Schlaf fand Thassilo nicht. In sein
Zimmer hinauf drang fast bis zum
Morgengrauen der Lärm der Feiern
den.
Aber nicht dieser allein machte ihn
ruhelos. Er kämpfte einen ihm selbst
überraschenden Kamps zwischen seiner
glühenden Unternehmungslust, die
dnrauf brannte, sich in die Arbeit zu
stürzen, und seinem Verlangen, erst
mit Beate ins reine zu kommen, ehe
er das Werk begann.
Nun begriff er sein Zögern selbst
nicht, das ihn nachmittags so feig zu
rückgehalten.
Er kam zu dem Entschluß, morgen
noch zu bleiben und am Nachmittag
noch einmal nach Glanau zu gehen.
Die klare Ruhe, die ihn nach diesem
Vorsatz erfüllte, beglückte ihn unend
lich. Er kannte sich:, im Augenblicke,
wo seine gärenden Erregungen sich
so zu einem festen Willen zusammen
schlössen, war dieser Wille unerichüt
terlich. Morgen würde er sich von kei
nerlei „Stimmung" aus der Richiung
Mit prophetischer Gewißheit fühlte
er, daß Beate „Ja" sagen werde. Wie
wundervoll hatte sie gelächelt, als sie
nach seinem Werke gefragt! So weich,
so verheißend!
Daß sie feine Arbeit ehrte, daß sie
dieselbe verstand, das beglückte ihn
tief.
So, zu stark mit sich beschäftigt,
um die Augen schließen zu können,
nahte Thassilo der Tag heran.
Auch beim Morgenthee besaß er
noch keine Depesche von Edlef.
Unbegreiflich! Nahm Edlef etwa
an, daß Thassilo sich sofort auf die
Bahn gesetzt habe und nach Berlin
zurückgekehrt sei?
Aber Edlef mußte es ja begriffe»
haben, aus welchem Grunde sein Vet
ter darauf bestand, nach Mörstadt zu
reisen und an Ort und Stille die
Entscheidung erwarten zu wollen. Er
mußte ahnen, nein, wissen, daß Thas
silo sich mit dem Vorsatz trug, uin
nes Abends, nach dem Fest bei Alt
heers Gutsnachbar, wo Beate ihm
wie die niilesische Göttin selbst erschie
nen war, daß er bei der Heimfahrt
davon gesprochen, wie cr in Beate
zum erstenmal ein Weib kennen ge
lernt habe, das ihm erringenswert
schiene. Und wenn er so etwas sagte,
mußte Edlef wissen, was das hieß.
Der Vormittag verstrich Thassilo
in scharfer Arbeit. Er schrieb ein
Dutzend Depeschen, zahllose Briefe
und traf auch einige Bordereitungen
lokaler Natur. Er besah einige Häu
ser, die ihm zur Etablierung des
Baubureaus angetragen waren und
besprach mit Herrn Lebus die Aus
sicht, eine entsprechende Villa für sei
ne und Edlefs Privatwohnung zu
finden. Ihr Hauptaufcnthal» während
der folgenden zwci Jahr« mußte doch
Marstadt werden.
Herr Lebus, der bisher Thassilo
Stürmer sür einen bis zur Auffällig
keit anspruchslose» Menschen gehal
ten hatte, wunderte sich, daß ihn nun
sion gegeben hattet ohnehin zu groß
war. sich entschlösse, zu vermieten. .
Thassilo, der ungern mit dem ge
tung zu bemühen.
Befriedigt lehrte er in den „Groß
te/e ck je nd stand und ihn leobach
kclgt.)