Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, October 14, 1915, Image 6

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    M »li-chixftsat Willis.
den deutschen Truppen besetzt ist,
hat nicht nur als Hauptort des
großen, westrussischen Militärbezirks
hohe Bedeutung, sondern bietet auch,
mit feinen 200,000 Einwohnern die
viertgrößte und älteste Stadt West
rußlands, erhebliches historisches In
teresse. Der „Ort der üblen Düf
te", wie die Russen Wilna nennen,
kann sich zwar keines sehr groß
städtischen LebenS rühmen, und ist,
außer dem alten Schloß und der
ehemaligen Universität, nicht sehr
reich an profanen Prachtbauten. Da
gegen kann es sich an der Zahl be-
Der neue Statthaftes von Gc
tersher alle religiösen Bekenntnisse
getroffen. Die Hauptsache von
eigenartigem Reiz ist die Oßtrowo
rotnaja, die zu jeder Tageszeit mit
Gläubigen angefüllt ist, die zu der
Oßtra-Brama-Kapelle wallfahren.
Dort ist ein großes Mut
das Christusbild der Peter-
PaulS-Kirchs in der Vorstadt Anto-
DaS älteste Gotteshaus in Wilna
ist die römisch-katholische St. Sta
nislgus - Kathedrale. Weithin ist
ihr hochragender Glockenturm sicht
bar, dessen unterer Teil noch aus
dem 14. Jahrhundert stammen soll.
An der Stelle der heutigen Kirche
stand vor dieser Zeit «in dem Licht
gott Periuna, dem obersten Gott
der alten heidnischen Litauer und
Leiten, geweihter Tempel, der unter
dem Großfürsten Wladislaw Ja«
giello, seit dem Jahre 1386 noch
König von Polen, zu einem christ
lichen Gotteshause
wurde. Die griechische Tempelsorm,
in der sich die St. Stanislaus-Ka
thedrale heul« darbietet, geht auf
das Jahr 1801 zurück, in dem die
Kirche ein« gründliche Erneuerung
erfuhr. Sechs gewaltige Säulen im
dorischen Stil bilden den Portikus,
dessen Giebelfeld reich geschmückt ist.
Ueber der bildlichen Darstellung der
Opferung Noahs erblickt man die
Statuen" der heiligen Helena mit
dem Kreuz, des heiligen Stanis
laus und des heiligen Kasimir. Auch
im Innern birgt die Kirche reichen
Schmuck und wertvolle Kirchenschät
ze, den silbernen, etwa 1200 Kilo
gramm schweren Sarg des heiligen
Kasimir und kostbare silberne Sta
tuen polnischer Könige und Köni
ginnen. Auf dem Kathedralplatz
hat seit dem Jahre 1303 ein Bron
zestandbild der Kaiserin Katharina
11. von Antololskij Ausstellung ge
funden, und in der Nähe ist auch
einem der bedeutendsten russischer
Dichter, Alexander Sergejewitsch
Puskin, ein Denkmal errichtet.
Der Enarliergrohvater.
(Ein Feldpostbries.)
Eigentlich verdient unser Ouar
tierwirt den Kosenamen nicht, denn
der in der Mitte der fünfziger Jahre
stehende Mann ist noch so rüstig, ge
schäftig, und nur, weil seine Frau,
ein eisgraues, vergrämtes Mütterlein,
unsere Großmutter geworden ist, hat
er sich mit seiner Schlauheit de» Bei
namen Großvater beigelegt, denn das
hat er in den langen Kriegsmonden
schon gespürt, daß das Alter einen
gewissen Schutz und eine gebührende
Ächtung für sich in Anspruch nehmen
darf. Er ist unser Hausherr. Als
Besitzer des kleinen, einstöckigen Häus
chens, der Scheunen und Ställe,
worin unsere Pferde stehen, lassen wir
ihn als „Hausherr" gelten, aber das Haider
Haider mit dem Tag, als
belehntes an diese abgegeben.
Die Zeit hat ihn gelehrt, stille zu
sein. Doch was hinter der hohen,
ken gebrütet wird, daS reden die Au
gen, diese klugen, schwarzen, stechen
den und manchmal bösen Augen. Ein
unheimliches Feuer flammt daraus;
man sieht, wie er sinnt und sich in
Gedanken quält. Er haßt uns und
den Krieg. Er sitzt abseits. Die
Mütze stets auf dem Kopf, der große
Schirm verbirgt die Brutstätte des
buschigen Augenbrauen, die bis zu
zwei tiefen, senkrechten Falten an der
Nasenwurzel reichen, die scharfe, fast
kantige Nase, das magere Gesicht und
der fest zusammengepreßte Mund mit
rät.
Mr. L... . gilt als reich. In Pa-
Zinsen bleiben aus, die Mieter sind
Pacht- und Hauszins schuldig. Er
rechnet und rechnet und immer
schleicht er durch Hof, Haus und
Garten. Sein Wesen wird täglich
scheuer, die bösen Augen meiden ein
ehrliches Gesicht. Der Teufel Geiz
hat ihn in seinem Bann und arbeitet
an seiner Zerstörung. Die Scheunen
stehen leer, Mäuse und Ratten treiben
ihr Spiel, ein« dürftige Kuh hat
lein RequisitionSscheine, seine Schlaf
stube und seine Küche. Selbst Grund
und Boden geht verloren, und die
ch-n ihm bittere Sorgen, denn er
hat ja der Mutter Erde an einem
stillen abgelegenen Plätzlein seine
Habe anvertraut und diese hat viel
leicht ihr Geheimnis durch den Maul
wursskrieg preisgeben müssen. Wenn
er das Donnern der Geschütze ver
nimmt und der dumpsdröhnende Ein
schlag der schweren Minen rollt und
die Abschüsse Fenster zittern machen,
dann geht ihm ein Stich durchs Herz,
und er hat eine fürchterliche Anklage
gegen die französische Regierung und
ihre seltsamen Bundesgenossen. Was
gehen uns die Russen an und die
Engländer, diese Länderräuber, mit
denen uns vor sechs Jahren noch
Krieg gedr»ht hat!
wenn er von Englands Anma
ßung in Calais hört, so hat er den
selben Jammer um die Stadt wie die
wurde er nachlässiger er ist krank,
todkrank, ein Opfer des Krieges mit
seinem Land, seinem »Pauvre
vnttscd« >»< l lt«ll«i!s»t
Das Bukarester Blatt Zina schreibt
italienische Kultur 5000 Jahre alt sei,
2000 jährige Kultur zurückblicken
schen Paradiese. Was hat Italien
len. Das ist Italien.
despotisch herrscht. Das ist Italien!
ES gibt ein Land in Europa, das
1911 etwa 36 Millionen Einwohner
bescß, von denen 29 Millionen über
sechs Jahre alt waren. Von diesen
konnten nur 18 Millionen lesen und
schreiben, der Rest, 37 Prozent, be
stand aus völligen Jlliteraten. In
Sizilien steht die Kultur auf 58 Pro
zent Jlliteraten. In Deutschland gibt
es nur einen unter je 10,000 Ein
wohnern.
Es gibt ein Land, wo neben der
nationalen Regierung eine geheime
Leitung unter den Namen Maffia,
Kamorra, Teypa und ähnlichen be
steht. Sie steht im besten Einverständ
nis mit fast allen Gemeindeverwal
tungen und macht alle Reformen der
nationalen Regierung unmöglich.
Wenn in jenem Land einer dieser
„Malviventi" gerichtlich verfolgt wird,
so sendet der lokale Oberrichter den
!Fall zur Verhandlung in «ine and«re
Provinz. Das ist Italien! Es
! gibt ein Land, in dem die Korruption
MU
wegen eines geheimnisvollen Briefes
zittert, in dem ein Mitglied des Hau
ses den Befehl erhält, auf seinen Sitz
zu verzichten. Ein Land, in dem ein
Exminister in das Gefängnis geschickt
wird wegen grober Betrügereien und
nachher ins Parlament zurückkehrte
als der „onorevole" Nasi. Das ist
Italien!
Es gibt ein Land, in dem ein Dich
ter auf literarische Ersolge gerade wie
ein Jndustrieritter spekuliert, bela
stet mit jeder Art moralischer Verfeh
lungen, der von feinern Landsleuten
als in materieller wie moralischer Be
ziehung bankerott verachtet wird und
der Über die Grenze fliehen mußte.
Heute kehrt er als Tyrtäus zurück,
weder blind noch lahm, aber posierend
als eine hochgesinnte, edle Persönlich
keit. In Deutschland hielt der 50
Jahre alte Dichter Richard Dehme!
keine Rede, aber er zog als einfacher
Soldat ms Feld. Das ist Italiens
Zivilisation, die 3000 Jahre älter ist
als die Deutschlands! .
sdgesetzte Sambrlous.
Im Zentrum von Genua befindet
sich die Monfch'sche Bierhalle, in der,
solange deutsches Bier noch nach Ita
lien versandt wurde, edles Münchener
Bräu verzapft würd«. Gleich nach
Beginn des Krieges verkaufte, nichts
Gutes ahnend, der Schweizer Besitzer
Ein Lpser dc« !U>ellkriegcS^ — Wilson
des Bierhauses dasselb« an einen Ita
liener, und er tat gut daran, denn so
brauchte er nicht das Schicksal zweier
schweizerischer Landsleute zu teilen,
deren Lokale vom Pöbel in seinem
Deutschenhaß demoliert wurden. Im
Eingangssaal der Bierhalle prangte
ein Gemälde, welches König Gam
brinus auf einem Bierfaß sitzend und
ein Glas schäumenden Bieres schwin
gend darstellte. Wie die Genueser
Zeitung „Cassaro" berichtet, hat nun
der jetzige neue patriotische Besitzer es
für »besser" gehalten, den 6^?."
ste für einen Gott der deutschen „Bar
baren' gehalten haben mögen) durch
ein zeitgemäßes anderes Gemälde zu
ersetzen, welches, laut „Cassaro," al
len genehm ist. Das neue Gemälde
stellt die verschiedenen Regionen Ita
liens dar, welche festlich geputzt den
vom österreichischen Joch befreiten
Schwester-Regionen Trentino und
Jstrien entgegenschreite». Nun wird
sicherlich auch das schalste und sauer
ste Bier in der Bierhalle den Helden
Glas Bier nach Barbarenart dem ita
lienischen Wein vorziehen.—Nach dem
Kriege wird der verbannt: Gabri
nus aber wohl wieder aus der Rumpel
kammer heruntergeholt werden, denn
dann möchte der Anblick der trotz al
lem nicht befreiten Provinzen auch
den Schoppen besten Müncheners dem
durstigsten italienischen Biertrinker
sauer und ungenießbar erscheinen las
sen!
«»sslscde SeWdekeimlMe.
Die Moskauer „Rußkoje Slowo"
veröffentlicht an erster Stelle einen
Artikel ihres Kriegsberichterstatters
schen Kriegsgefangenen plaudert und
nebenbei erzählt: „Alle Deutschen, die
ich an diesem Tage gesehen, sahen
verwahrlost und bis zum äußersten
Grade gequält aus. Unsere Obrig
keit nimmt ihnen zu allernächst ihre
Helme und ersetzt diese durch allen
möglichen Kopfputz, sogar durch Zy
linder und Damenhüte/ Wo mö
gen wohl auf dem Kriegsschauplatz
Zylinder und Dawenhüt« herkommen?
Infanterist Pflaume.
AuS München wird berichtet:
„Ueberlassen Euch Infanterist Pflau
mit diesem Telegramm ihres Schwei
zer Vertreters an einen Theateragen
ten in Amerika wollte der Drei-MaS
ken-Verlag in München den Verkauf
des Schwankes „Infanterist Pflaume"
rüng, zu welchen Bedingungen der
Infanterist Pflaume an Amerika
überlassen worden sei und so weiter.
Unteroffizier: „Sie haben den ge
fangenen Engländern Zigaretten zu
gesteckt; das ist ein ganz würdeloses
Verhalten!" Zivilist: „Bitte, ver
suchen Sie mal eine, Herr Unteroffi
zier, da werden Sie anders urteilen!"