Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, September 16, 1915, Image 3

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    Um ein Wort!
Oriainalroma» von I»'e»h>ne Tchod«»
Hiidicke.
<l2. Fortsetzung.)
In diesem Zimmerchen hatte die
junge Frau ost gesessen und über Eva
und deren unerklärliches Verhalten
nachgedacht. Aber das war ja nun
olles vorbei. Evas Briese hatten,
mit Ausnahme der Zeit, wo dielleine
Inge gestorben war, wieder ganz lu
stig und heiter geklungen? die alte
übermütige Eva sprach aus den Zei
len. Nur der Bries. in dem sie nur
ihre Ankunft meldete, klang so son
derbar und kurz, ebenso wie der vor
letzte, worin sie bat. daß Sibylle sie
dringend einladen möge.
Mechanisch ordneten die Hände der
jungen Frau jetzt die Mullvorhänge
an den Fenstern. Dabei blickte sie
hinaus, die Straße entlang, und sah
ihre» Gatten von weitem kommen.
Wie müde und abgespannt er aus
sah!' Trotz der schon stark vorgerück
ten Jahreszeit hatte der Himmel wie
der warme Tage beschert, aber so
schön sie waren, sie erschwerten das
Gehen.
Hastig eilte Sibylle aus dem Zim
mer und schloß die Tür. Nur schnell
in die Küche, um zu sehen, ob alleS
bereit war! Und die alte Anne, die
wußte ja noch gar nicht, daß Eva
kam. Schließlich hatte sie ja ein
Recht darauf, es zu erfahren.
Dunkelrot wurde das Gesicht der
Alten vor Freude.
„Dann kommt Leben ins Hans,
Frau Sibylle, und das ist gut. Mtl
die immer umherschleicht. Aber das
wird alles anders, wenn unser Evchen
kommt", sagte sie mit Nachdruck.
Sibylle konnte ihr nur lächelnd zu
trat. L"chel ' b
seine junge Frau ihm entgegenkam.
„Du kommst früh heute, Liebster",
sagte Sibylle und hing sich in seinen
Arm. Einen Moment legte sie dabei
prüfend die feinen Finger auf seine
erhitzte Stirn. „Es war wohl sehr
anstrengend heute für dich? Du Ar
mer, du mußt dich quälen und wir
sitzen hier so hübsch behaglich zu
Hause."
leicht umgekehrt sein, Sibylle?
Gott weiß, wie gern ich alle Anstren
gungen ertrage, seit ich dich habe. Nun
du und mein Kind. Wenn du wüß
test, Liebste, was du uns geworden
bist, uns beiden! Wenn wir dich nicht
hätten! —"
Zum zweiten Male hörte heute
Sibylle diese Worte. Ein Gefühl der
Freude und des Stolzes durchrie
selte sie. War das nicht das höchste
Lob, das ihr gespendet werden konn
te? Ja, sie war glücklich, so glück
lich, wie sie es nie mehr zu hoffen ge
wagt hatte nach der ersten großen
Enttäuschung ihres Lebens, die sie
schwer, ach so schwer verwunden hatte.
nehmer Charakter.
Noch inniger schmiegte die junge
Frau sich an ihren Gatten an. Sie
hatten das Wohnzimmer erreicht und
Hannchen, die solang? am Fenster ge
sessen hatte, kam herbei, nahm dem
Vater Ueberrock und Hut ab und
brachte ihm die b-qnemen Lederschuhe,
die er im Hause trug. Auf ihrem
schmalen, blassen Gesicht lag ein zärt
liches Leuchten.
„Wie gut, daß du wieder zu Hause
bist, Väterchen", schmeichelte sie.
.Ich bin immer so froh, wenn wir
alle drei hier sind. Und das Essen
ist auch schon fertig, ich hörte, wie
Anne nebenan mit dem Geschirr
klapperte. Und gesnngen hat sie, wirk
lich und wahrhaftig gesungen. Sie
muß sich auch sehr auf Evas Ankunft
freuen, gewiß ebenso wie ich."
Sibylle küßte sie gerührt. Der
gend aus. „Kommt Eva denn nun
wirklich?"
Sibylle nickte strahlend und zog
den Brief aus der Tasche, den sie früh
erkalten hatte.
„Ja, sie kommt; morgen früh ist
sie bier. Es ist dir doch recht?"
fragte sie. als si- sah, wie sich Erich
durchaus nicht aus der gewohnten Ruhe
l ringen und nur ein leises „Hm, hm"
hi-ren ließ.
„Du weißt, Sibylle, alles, was dich
erfreut, ist nur recht. Nur um eins
habe ich Sorge, daß Eva durch ihr
sonderbares Benehmen, durch die Ab
neigung, die sie ersichtlich gegen mich
hegt, ausS neue deinen Frieden stören
Sibylle antwortete nicht sogleich.
Hie warf einen Blick aus Hann-
chen, die mit sonderbar gespanntem
Ausdruck den Worten des Vater!
Ihr Mann Verstandes». Er strich
braune Haar. .Geh', sieh' zu. Hann
chen. ob das Essen bereits ausgetragen
ist, dann lannst du's uns melden."
Gehorsam ging die Nein« Blinde
hinaus, die Hände, wie es ihre Ge>
wohnheit war, tastend vorgestreckt, ob
gleich sie sicher sein durste, das; hier
nichts ihr im Weye stand.
Erst als sie verschwunden war.
sagte Sibylle einfach ohne jede Emp
findlichkeit: .Ich glaube. Erich, dar
über darfst du ruhig sein. Du hast
ja die Briefe Evas gelesen. Als sie
ton hier fortlief, war sie nichts wei
ter als ein trotziges Kind. Da un
ten in Thüringen scheint sie aber ver
nünftig geworden zu fein und ihren
frohen Uebermut wiedergefunden zu
haben. Sie ist ja auch älter gewor
den, und wenn sie sieht, wie glücklich,
wie unaussprechlich glücklich ich durch
dich geworden bin, wird sie alle Emp
sindlichteit überwinden."
Dr. Brand hatte sich aufgerichtet
und den Arm um Sibylle gelegt. Sein
Gesicht zeigte einen freudigen Schim
mer. „So bist du glücklich, wirtlich
glücklich, Sibylle?"
.Hast du daran gezweifelt?" fragte
sie lächelnd zurück.
Er antwortete nicht sogleich, son
dern schien nach passenden Worten zu
»Ich weiß nicht, Sibylle, manch
mal im Anfang wenigstens
wollte es mir scheinen, als ob du
innerlich mit dir lämpstest, als ob du
irgendetwas zu überwinden hättest.
Und dann du bist noch jung.
Sibylle das einsame, stille Leben
hier wo ich so viel von Hause fort
bin, dazu das große Kind mit seinem
Leiden. .
Weiter tam er nicht, denn Sibylle
hatte ihn sanft die Hand auf den
Mund gelegt. Ihr schönes ernstes
Gesicht, das einen Ausdruck frauen»
haster Reife trug, war ihm voll zuge
kehrt.
„Du kränkst mich, Erich. Daß ich
etwas zu überwinden hatte, anfangs,
fchaften daS Essen steh! bereit."
Teller legte.
lebhaft.
sie begann angeregt von der Kin
BeS Mädel die kleine Schwester aus.
b'ld d d A f
ten Rosen, Georginen und Astern ab
und band riesige bunte Sträuße dar
aus, die sie Eva zum Willkommen in
das Zimmer stellen wollte.
Am Abend aber saß Sibylle allein
in der von wildem Wein umrankten
Laube. Hannchen war bereits zu
Bett gegangen und der Dottor hatte
einen Boten geschickt, daß «ste
und Stunden denken, wo Erich ihr
so zur Seite gestanden hatte in treue
ster Aufopferung und Pflichterfüllung,
damals, als ihre Mutter starb. Da
hatte sie noch nicht geahnt, welche Ge
fühle er sür sie hegte und daß es
ihr bestimmt war, «inst seine Frau
z> werden. Nun war ihr ganzes
Herz von Liebe für ihn erfüllt. Ein
warmes Gefühl stieg in ihr auf,
wenn sie des Abwesenden gedachte,
gann sie zu überlegen, ob auch alles
bereit sei, um eS ihm behaglich und
beqcuin zu machen, wenn er endlich
einmal in die Küche gehen, da blieb
sie aber lächelnd wieder stehen. Aus
dem geöffneten tönte
halblauter Gesang zu ihr herüber.
Das junge Küchenmädchen machte
feinem stets verliebten Herzen durch
ein sentimentales Lied Lust und in
ihren hellen, etwas scharfen Sopran
mischten sich zitternde Töne einer
zweiten Frauenstimme. Wirtlich,
das war die alte Anne, die sonst
inaner schimpfte und brummte, wenn
das junge Ding bei der Arbeit sang.
Das alles tat die Freude, Eva wie-
Gedanken glücklich wieder bei der klei
nen Schwester und schlugen sehnsüchtig
dem Morgen entgegen, wo sie Evas
wiedersehen sollte. So stellte sie sich
schlanle Erscheinung, in tiefe Trauer
gelleidet, deren Gesicht durch einen
Schleier verhüllt war. In der Hand
hielt sie eine kleine Reisetasche, die
sc jetzt bei Sibylles Anblick einfach zu
schleuderte, um aus-
Statt aller Aniwort war Eva in
bitteres, herzbrechendes Schluchzen
ausgebrochen, schmiegte daS Gesicht
fest an Sibylles Schulter und hielt
Ne Schwester umfangen, als ob sie
einzig bei ihr Trost und Hilfe sür
ihr schweres, bitteres Herzeleid finden
Sibylle wußte nicht ein und aus.
Sie strich Evas Haar, tüßte ihre
Wange» und fliister'e ihr all die Ko
seworte ins Ort, mit denen sie 'inst
die »eine Schwester beruhigt und ge
tröstet hatte.
„Evchen, aber Eochen, so sprich
doch! Was fehlt dir? Um Gottes
willen, so rede doch!" stammelte sie
In ihrem Gesicht tämpften Trauer
und Bestürzung miteinander. So
also kam Eva zurück! Das hatte
sie nicht erwartet, nicht erwarte» kön
nen.
Still führte sie das junge Mäd
chen, das sich endlich halbwegs beru
higt hatte, in daS Haus. Aber auch
hier war Eoa nicht zu bewegen, den
Grund ihres Kuinmers zu nennen.
Sie gab sich alle Mühe, jetzt heiler
zu scheinen, und war beschämt und
verlegen, daß sie sich von ihrer Erre
gung so hatte hinreißen lassen.
„Ich hi-lt eS nicht mehr aus.
Sibylle, i.h hatte Sehnsucht nach dir",
sagte sie und suchte so die Person
der Schivester in den Bordergrund zu
stellen. .Laß dich ansehen. Sibylle,
wie du aussiehst. . , Schön bist du
und bist du glücklich? Sag', bist du
glücklich?"
Fast hätte Sibylle lachen mögen
über die Eindringlichleil dieser Fra
ge, wenn nicht Evas Augen gar so
angstvoll forschend auf ihr geruht
hätten.
„Ich bin glücklich, Evchen, sehr, sehr
giüalich, und das wirst du begreifen,
wenn du erst die lieben Menschen
näher kennen wirst, die mir jetzt nahe-
Ein Seufzer hob Evas Brust.
Dann lachte und scherzte sie wieder,
tramphaft und aufgeregt als wollte
sie alle ihr unbequeme» Fragen Sibyl
les dadurch ersticken.
Die alte Anne, die Eva freudestrah
lend entgegenkam, umarmte sie stür
misch, aber auch diese fühlte, daß des
junge» Mädchens Freude nicht echt
war, daß etwas andre? dahinterstecken
muhte, und sie schüttelte bekümmert
den Kopf.
Dann trug sie herbei, was in der
Eile möglich war, und nötigte Eva
mit Sibylle gemeinsam zum Essen,
und Eva zwang sich auch, obgleich ihr
der Bissen fast im Munde quoll.
Wenn sie sich eine» Moment un
beobachtet glaubte, sah sie sich mit
großen, staunenden Augen in der ihr
fremden Umgebung um, sie konnte sich
selbst noch nicht zurechtfinden in der
Aenderung, die ihr Schicksal so plötz
lich wieder genommen, aber daß sie
hier von Liebe und Fürsorge umge
ben war, das fühlte sie.
Eva wurde plötzlich müde. Die
lange Fahrt, alle die vergangenen
Aufregungen rächten sich. Sibylle
geleitete die Schwester hinauf in das
für sie bestimmte Zimmer. Es war
dort alles fertig und atmete Frie
den, Behagen und Sauberkeit. Die
bunten Blumen leuchteten Eva entge
gen.
„Hannchen hat sie gepflückt. Das
arme Kind freut sich so sehr auf
deine Ankunft. Sei recht nett und
lieb zu ihr, ich weiß, du wirst sie
auch liebgewinnen mit der Zeit", bat
Sibylle und half fürsorglich Eva, sich
der drückenden Kleidung zu entledi
gen.
Hier endlich, in der altvertrauten
Umgebung, zwischen den Sachen, die
Eva von klein aus kannte, fand sie
auch das alte Vertraue», die alte
Liebe zu Sibylle wieder, die sie hät
schelte wie ein kleimS Kind.
Als st- in dein weißen Bett lag
und Sibylle sich auf den Rand des
selben gesetzt hatte und voll Zärtlich
keit und Stolz auf die kleine Schwe
ster niedersah, da verlor Eva die
erkünstelte Heiterkeit. Wieder schlang
sie ihre Arme um Sibylles Hals und
weinte, dismal aber nicht sturmisch,
in ausbrchender Heftigkeit, sondern
still und schmerzlich, und Sibylle
fühlte klopfenden Herzens, daß EvaS
Kummer dieses Mal wirklich einen
Grund haben mußte und nicht in kin
discher Einbildung bestand. In ihrer
Herzensangst begannen sie zu fragen.
Da trocknete Eva ihre Tränen und
sah Sibylle an Sie hatte deren beide
Hände in die ihren genommen. Ein
schmerzliches Zucken lag um den klei
„Nichl fragen, Sibylle, nicht fra
gen! Ich kann eS dir nicht sagen,
wenigstens jetzt noch nicht. Aber habe
Geduld mit mir, es wird schon an
Evas Wunsch, hatte sie doch auch
einst ihr eigenes Leid stillverschwie
gen mit sich herumgetragen und kei
nem Menschen davon sprechen mögen.
Wenn man nicht daran rührte, heilte
so etwas am besten.
Noch einmal glättete sie EvaS
Kissen und rief Anne, daß sie eine
beruhigende Limonade mische, und
noch während Eva trank, sank ihr
Kopf müde zur Seite. Ein paar Mi
nuten verhaarte Sibylle schweigend an
dem Lager der Schwester, bis tiefe,
sanfte ihr verrieten, daß
Stirn und schlich leite hinaus, nach
dem sie das Licht verlöscht hatte.
Im Dunkeln erwartete sie dann
Erichs Rückkehr, und als er endlich
kam, erzählte sie ihm. daß Eva heim
gekommen und wie sie gekommen.
Lange und ernsthaft sprachen sie
miteinander, und die Folge davon
lebt.
der übermütige, lustige Wildfang,
14. Kapitel.
Nach einiger Zeit glaubte Sibylle
die Ursache von Evas Kummer erra
von und ihrem Leben dor!
zu erzählen. Nicht ohne Bosheit hatte
sie das verschrobene Wesen Alices ge
schildert und die gedankenlose Anbe
tung von Mutter. Ernst war mit we
nigen Worten abg-tan; von ihm gab
:S nicht viel zu erzählen.
früher, ehe sie ihn näher kannte, in
urteilt hatte, sprach sie jetzt^nitJelz-
in der Hilfe für die Armen im
Zuweilen aber brach si«
te, ebenfalls ein großes Interesse für
Eva an den Tag gelegt hatte, sie
hatte ziehen lassen. War Eva denn
Fritz Nessel. Seinen Besuch, das Wie
fllrchtet.
malte zu ihrer eigenen Qual, dann
ke, ihr Schicksal von dem Fritz Nessels
die ein Weihnachlsgeschent für d-n
Vater werde» sollte. Auf der Ofen
platte dampften zischend ein paar
Sibylle hinausgeschickt und Eva her
unterbitten lassen, aber die tam wie
der einmal nicht.
Kleid.
.Mamachen, wollen wir nicht trin
ten? Der itaffee wird gewiß kalt,
oder soll ich ihn in die Ofenröhre
schieben?" mahnte sie halblaut.
„Nein, nein, laß nur!" erwidert«
Sibylle hastig. .Laß sehen, was dir
inzwischen sertiggebracht hast, dann
wollen wir trinken".
der Hand und lobte: .Hier der Tan
nenzweig ist wunderschön. Wie Va
ter sich freuen wir!!"
Man hörte aber dem Ton ihrer
Stimme an, daß sie nicht recht bei
der Sache war. Auch. die kleine
Blinde empfand das. Schweigent»
streichelte sie Sibylles seine, blasse
Hände. Und unwillkürlich seufzte
die junge Frau bei diesem Zeichen
von Mitgefühl leise auf.
„Mamachen, warum ist denn Eva
nicht so wie du?" fragte das Kind
halblaut in feiner über feine JaHre
.Still, Kind, das darfst du nicht
großen Kummer, der sie quält."
Da schüttelte das blinde Kind ver
wundert den Kops. Sie faßte daZ
dcrte sie ihr Urteil über Eva. Ihr
Erstaunt blickte Eva Sie
hatte sich an die kleine Blinde ge
wöhnt, ohne sonderliches Interesse sür
sie zu zeigen. Nun sah sie, wie das
Kind lauschend den Kops vorbeugte,
kam und sie beide störte. Dann, als
sie sich dessen vergewissert hatte, neigte
sie sich geheimnisvoll zu Eva und sag
so traurig bist, Eva. Du mußt mir
nicht böse sein", flüsterte sie dann bit
tend, als Eva unwilllllrlich eine Be
wegung machte, ihre Hände aus denen
Hannchens zu ziehen. „Diaina hat
mir daß du einen großen
„Du?"
Unwillkürlich verriet Evas Ton
eine gewisse Geringschätzung. Aber
Hainichen ließ sich nicht entmutigen.
„Ja,
so traurig. Und wenn sie allein ist,
(Fortsetzung folgt.)
Druckfehler. Der Direk
.L ii gestuhl".