Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, September 02, 1915, Image 3

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    Um ein Wort!
Originalroman '
flv.. Fortsetzung.)
Beleidigt zuckte Alice die Amseln.
nichts Gutes. So bemühte sie sich
auszusetzen, und rührte gleichmütig in
ihrer Kaffeetasse.
Mühsam schleppte sich daS Ge
such nicht wieder sehen lassen...^
11. Kapitel.
Inzwischen war es Sommer ge-
Tage ungetrübtester Freude bereitet.
Dann war ihr Interesse erlahmt;
sie fuhr nur noch selten.
Vorliebe für das Automobil erwacht.
Er machte weite Fahrten, meist ganz
ollein mit dem Chauffeur, den man
engagiert hatte und der gleichzeitig
mit dem Wagen eingetroffen war.
Ernsts Schwiegervater dagegen wei
gerte sich beharrlich, das Automobil
zu benutzen. Muhte er über Land
fahren, bat er lieber Eberhard, ihm
seinen kleinen Jagdwagen zu leihen,
und er ging jetzt sogar mit dem Plane
nm, sich Wagen und Pferd zu be
schaffen.
Auch Eva mochte den großen, glän
zend lackierten Kasten nicht. Er
raubte ihr die Stimmung und störte
den stillen Zauber der Gegend. Sie
war jetzt wieder ruhiger geworden.
Da Fritz Nessel so lange auf sich war
ten ließ, hoffte sie im stillen, er würde
xar nicht kommen.. Die Tante, die
den Bildhauer nach wie vor zu has
sen schien, hatte Eva auch mehr als
«inmal anvertraut, daß sie der An
sicht sei, er würde das Denkmal nie
mals fertigstelle».
Aber diesen Prophezeiungen zum
Trotz kam es anders. Eines Mittags
legte Alice freudestrahlend das Avis
der Frachtsendung auf den Tisch.
Das Denkmal war bereits angeloin
wen und lagerte aus der Station.
Der Schöpfer des Werkes aber wollte
spätestens drei Tage später eintres-
Alice hatte gleich wieder mit ihrem
Manne einen heftigen Streit, in den
sich auch der Vater mischte. Beide
erklärten, heute nicht mehr Pserd und
Wagen zur Verfügung stellen zu kön
nen, um die Frachtsendung von der
Station abzuholen.
Alice aber konnte es nicht erwar
ten, das Denkmal an Ort und Stelle
zu sehen, und wie gewöhnlich setzte
sie ihren Willen durch. Sie, die
jetzt schon seit Wochen nicht mehr
selbst am Grabe ihres Kindes gewe
sen war, ging heute hin, um Platz
zu schaffen für die Marmorfigur.
Und während sie unbarmherzig die
blühenden Blumen ausrupfte, die
Eva in fürforgender Liebe zu de'
kleinen roten Spielgefährtin gevflanzt
strahlte ihr Gesicht. Kein
Eva blieb dem Friedhof heute fern.
In ihr war ein Bangen und Zagen,
dessen sie vergebens Herr zu werden
sucht?. Wenn sie doch vorher abge
reist wäre! Ob sie jetzt noch den
Onkel bitten sollte, sie fortzulassen?
Aber nein, dann hätte man erst recht
c>us allerhand Gedanken kommen kön
nen. Alice sah sie ohnehin so son
derbar feindselig und prüfend an,
seitdem e5 feststand, daß Fritz Nessel
»un wirklich kommen würde. Wohin
sollte sie sich nur wenden! An wen
sollte sie sich klammern in ihren ban
gen Furcht! Aber vielleicht war es
gar nicht so schlimm. Vielleicht hatte
?ritz Nessel sie längst vergessen, sie
»nd Sibvlle, die er für treulos, hielt.
Zwei Tage zögerte Eva, sich das
Bildwerk da draußen anzusehen; so
lange mied sie den Friedhof, den sie
sonst täglich besucht hatte. Aber am
dritten Tage, als Alice in dem neuen
Automobil zur Station gefahren war,
im Nessel abzuholen, nachdem sie
init aller Sorgsalt ein Menü sür
Abend zusammengestellt und da
i'.itte es Eva nicht länger im Hause
glitte»; sie war heimlich hinauSge
schlichen und zum Kirchhof gewan
dert.
Da stand sie nun, beide Hände auf
Brust gepreßt, und starrt« stau
nend. von andächtiger Bewunderung
L/ull«. guf das Wei.l. das M
Reffes geschaffen hatte. E» war kein
des Wortes. Nichts von der düsteren
Majestät des Todes prägte sich in
den Zügen des Marmorengels aus,
der, hoch aufgerichtet, das Grsicht zum
Himmel gewandt, dastand, vielmehr
lag ein siegendes Lächeln darin. Mit
der Rechten hatte der Engel das
schlicht fließende Gewand gerafft,
und die Linke schien Mohnbliiten,
große, weit geöffnete Blüten, auf die
tieine Schläfer!» da unten zu streuen.
Das war echte Kunst! Sie fühlte
es erschauernd, ebenso wie damals in
weglich. Die bange Furcht in ihrem
Innern löste sich. Wer das geschaf
fen, konnte kein schlechter Mensch
lein. Vielleicht schlummerte das Gute
in ihm nur uikd würde sich wieder
durchringen mit der Zeit.
Ohne daß sie selbst es wußte, lie
fen hellen Tränen über die
rnd von den Blume», die Alice aus
gerissen, grub sie die schönsten wieder
ein. Noch einmal strich sie sast zärt
ging sie.
Jetzt mußte Ressel längst da sein,
und sie sreute sich, dem Manne die
Hand drücken zu dürfen, der daS
Kunstwerk auf Inges Grab geschas
sen hatte.
Empfange des Freundes zu schmücken,
hatte Eva, ehe sie das Haus verließ,
ihr ältestes und schlechtestes schwarzes
Wollkleid angezogen, dessen Aermel
an den Nähten schon bedenklich glänz-
Nessel war doch aus alle Fälle Gast
ces leises, selbstgefälliges Lachen. Sie
gehabt?
Unwillkürlich schauderte sie zurück.
Nessels Gesicht war gedunsen. Die
Augen lagen tief in ven Höhlen und
Jetzt richtete Nessel den trüben
stcn Staunens Platz. Nun huschte
sogar etwas wie Wiedersehenssreude
„Eva! Das also ist die kleine
Eva v. Treubnitz, so hat sie sich her
ausgemacht!"
Er nahm ungeniert ihre beiden
Hände und wiegte sie daran hin und
her, als wolle er ihr Bild von allen
Seiten in sich aufnehmen.
„Potzblitz, Sie sind ja eine kleine
Schönheit geworden, Fräulein Eva!
Aber das ändert nichts an unserer
alten Freundschaft, oder sind Sie jetzt
zu stolz, einen armen Künstler Ih
ren Freund zu nennen?"
Evas Gesicht hatte sich leicht gerö
tet. Nun schlug sie ernst den Blick
zu ihm auf. Gewaltsam suchte sie
die sie draußen aus dem Friedhos
vor seinem Werke gehabt, und schal
l tete den Eindruck, den seine Reden
.Wenn Ihnen an der Freundschaft
eines unbedeutenden' Mädchens etwas
gelegen ist, so will ich gern Ihre
Freundin sein," sagte sie.
Alice hatte eisersüchtig dieses Wie
dersehen beobachtet. Nun ließ sie
den beiden nicht länger Zeit, ihre
Gedanken auszutauschen.
„Siehst du, Herr Ressel ist ent
zückt von den stimmungsvollen Räu
men, die ich da oben g-schafken habe",
lies sie triumphierend. „Wir werden
wundervolle Stunden dort verleben."
Tante Franziska machte ein miß
gelauntes Gesicht. Trotzdem gab sie
sich alle Mühe, ihre Abneigung ge
gen den unwillkommenen Gast zu ver
bergen Diesmal war sie ganz und
gar nicht mit Alice einverstanden, die
sich gleich in ersten Stunde die
krampfhafteste Mühe gab, dem Bild
hauer die Zusage abzuringen, daß er
lange hier bleiben würde.
„Sie glauben nicht, lieber Freund,
wie wohltätig die Thüringer Lust auf
kranke Nerven wirkt. DaS ist es ja,
was mich aus dem Berliner Treiben
man neugestärkt da draußen den
Kampf gegen Unwissenheit und Vor
urteile ausnehmen, obgleich...."
Alice brach ab. Sie hatte einen
zornigen Blick ihres Vaters ausge
sangen, der sich inzwischen eingefun
den hatte und, wie es schien, eben
d:m Ankömmling war.
Geschickt sprang Alice auf ein an
deres Thema über. Sie plauderte
unaufhörlich, in einer gewissen ner
vösen Erregung, richtete ihre Worte
i ber einzig und ausschließlich an den
Bildhauer, der ihr seinerseits nicht
ganz die Aufmerksamkeit schenkte, die
sie wohl von ihm erwartete.
Fortwährend sah Alice, wie Ressel
seine Blicke schräg hinübersandte nach
dem unteren Ende der Tafel, wo Eva
still und versonnen auf ihrem Platze
saß, die aufgetragenen Speisen kaum
berührend.
gen Mädchen durch den Kopf, die wi
dersprechendsten Empfindungen be
wegten sie. Vor allem aber spürte
sie eine gewisse Erleichterung: Fritz
Ressel hatte sie nur als Freund be
grüßt und mit keinem Wort verra
ten, daß er sich ihr gegenüber einmal
enders ausgesprochen. Wahrscheinlich
hatte er die kleine Episode von da
mals vergessen. Wenn ihr
Ihre Gedanken rissen jäh ab, als
sie Nessels dunkle, stechende Augen
fest auf sich gerichtet fühlte.
Der Bildhauer ließ Alices Frage,
die sie eben an ihn stellte, unbeant-
Er fragte sie nach dem Heimat
städtchen, nach Sibylle und deren
Gatten, den er ebenfalls, wenn auch
nur flüchtig, kannte. Er lobte den
Doktor sehr. Aber Eva war sich doch
nicht klar, ob diese Ruhe, die er
dabei zur Schau trug, nicht doch
eine erkünstelte sei, ob seine Stimme
nicht bebte, als er Sibylles Namen
aussprach. Das klare Urteil war
ihr abhanden gekommen, denn sie
zitterte innerlich selbst und nur me
chanisch antwortete sie.
Viel wußte sie ja auch nichi: sie
Dann begann Nessel, jäh über
springend, von seinem Berliner Lebe»
zu erzählen: planlos, alles durchein
> nder, aber er war ein gewandter
und geistvoller Plauderer, und Alice
sah sich stolz im Kreise um. „Ist
das nun ein Man», wert, mein
Freund zu sein?" schienen ihre Au-
Sie hotte schmachtend den Kops zur
Seite geneigt, um keines seiner Worte
zu verlieren. Eva aber fühlte, daß
nn Grunde all seine Worte nur ihr
galten, daß er sie blcnden und ver
wirren wollte. Aber es gelang ihm
nicht. Sie war nichi recht bei der
Sache; sie mußte an einen anderen
denken, der so oft schon auf demsel
ben Platze gesessen, den jetzt Nessel
einnahm, dessen Unterhaltung nich!
einem prasselnden, sunkensprübenden
»euerwerk glich, dafür aber desto
tieferes, ehrlicheres Empfinden ver
riet. dessen Worte und der ruhige
Klang der Stimme solch eine wohl
iliende Wirkung aus sie ausgeübt
während Nessels Geplauder ihr Kops
schmerzen verursachte.
Die anderen alle waren Hinzens
sen, sogar Ernst wurde lebhaft. Und
daß Eva kein !Wrt sprach, daü
schien den Gast zu immer neuen
Anstrengungen zu ' verleiten. Er
wählte seine Worte nicht mehr. Er
trank hastig und kam auf Themen,
die hier in dem altmodischen Bnr
gerhause in Gegenwart eines jun
gen Mädchens nicht recht am Platze
Der Fabrikherr hatte die buschi
gen Augenbrauen finster zusninnxn
gezogen und Frau Franziska hatt:
sich schon ein parmal geräuspert und
Alice bedeutsame Blicke zugeworfen.
Die junge Frau ärgerte sich über
die „Prüderie"" »er Ihren. Um
aber nicht gleich am ersten Zage
einen Zwischenfall hervorzurufen, er
hob sie sich und schlug vor, nach
oben in das Musikzimmer zu ge
hen. Sie wollte dort ein paar
Stücke aus der Harfe vortragen.
Dies Instrument hatte sie auf Nes
sels Anraten in Berlin erlernt und
sich in der Zwischenzeit fleißig dar
aus geübt.
Alle, mit Ausnahme des alten
Herrn, begaben sich nach oben, wo
wählte ihren Platz im Hintergrunde
des Zimmers, und Fritz Ressel, der
anfangs neben Alice gestanden hat
„Haben Sie mich denn wirklich so
ganz vergessen, kleine Eva?" fragte
er flüsternd.
Das junge Mädchen rang eine
Weile nach Worten. Sie fühlte,
nun kam die Entscheidung. Ihre
Stimme zitterte, als sie antwortete:
„Ich habe Sie niemals vergessen."
„Und doch behandeln Sie mich
so schlecht. Wissen Sie denn, Eva,
weshalb ich hierhergekommen bin?"
„Als Alices Freund."
Das hämische Lächeln, daS in
seinen Mundwinkeln sestgefrcren
schien, verstärkte sich.
„Ach nein, die heilige Cäcilie
konnte mich nicht reizen. Sehen Sie
sie an, sieht sie nicht ganz so aus,
wie ein Zerrbild dieser Musikheili
gen?"
Ein übermütiges Flackern trat in
seine dunklen Augen und ließ ihn
plötzlich jünger erscheinen. Eva
„Sie wissen ganz genau, daß Sie
Alice zu all diesen Anstrengungen
veranlaßt haben. Warum taten Sie
das, wenn Sie sich nun darüber lu
stig machen?"
Er behielt sein überlegenes Lä
cheln bei.
„Das verstehen Sie nicht, kleine
Eva. Aber ich will mich bemühen,
!s Ihnen zu erklären. Sehen Sie,
wenn einem auf dem öden Lebens
wege solch ein Wesen begegnet, wie
Ihre Cousine, wirklich intelligent,
etwas über den Durchschnitt hinaus
ragend, sein Können und seine
Klugheit aber selbst weit überschät
zend, und man spürt, daß man
über dieses Wesen, das einen im
Innersten vollkommen kalt läßt,
Macht hat, da treibt es einen, diese
Macht auszukosten.
So ging es mir, als ich Frau
Alire kennen lernte. Sie schmach
tete mich an vom ersten Augenblicke,
wo wir uns gesehen. Das wäre
nichts Besonderes gewesen. Das Be
sondere war nur, daß sie so ganz
anders war, als die übrigen, die
mir ihre Gefühle auf dem Präsen
tierteller entgegenbrachten. Sie wäre
wahrscheinlich empört ausgefahren,
men die natürlichen Schlüsse gezogen
hätte. Dazu aber verleitete mich
auch nichts, dank der absoluten kör
perlichen Reizlosigkeit der fischblüti
gen, gelehrten Dame.
ihr, verleitete sie zu tpusend Toll
heiten. Ich pflichtete ihr bei, wen»
sie behauptete, daß der wahre Ä-nuß
des Lebens, das wahre Glück nur
in geistiger Gemeinschaft' zweier
ideal gesinnter Seelen von überfei
ner Kultur bestehe. Den Ecsolg
sehen Sie, Evchen."
Er hatte, dicht hinter Eva ste
hend, die Worte leise hervorgestoßen,
so daß sie dieselben ruhig über sich
ergehen lassen mußte, wenn sie nicht
Alices Vortrag stören wollte. Nun
aber beugte er sich so tief herab,
daß sein Atem ihr Gesicht streifte.
„Wir beide wissen es anders und
besser, nicht wahr, Eva? Sie ha
ben mich nicht vergessen. Sie
einem schrillen Akkord ab. Sie
warf einen mißtrauischen Blick auf
Nessel und Eva.
sehr blaß. Nessels Worte hatten
Abscheu und Empörung in ihr er
weckt, sie gewann es nicht übe' sich,
länger in seiner Gesellschaft zu
bleiben.
„Ich habe Kopfschmerzen, du ent
schuldigst mich wohl, Alice, aber ich
möchte mich zurückziehen," bat sie.
für sie gemütlich, wo sie den Freund
ganz für sich hatte. Die Mutter
zählte nicht, die saß still-bescheiden
in ihrem Sessel und nickte woh! gar
längst gelangweilt hinausgegangen.
Eva hatte zum Abschied Tante
und Cousine die Hand gereicht, >sen
so Resse!. Bevor er aber noch recht
zufassen konnte, war sie bereits wie
sah, selbstsicher und siegesgewiß.
Nessel hatte Eva nicht ganz die
Wahrheit gesagte Nicht einzig der
Wunsch, sie wiederzusehen, ha«!e ihn
hierhergelockt, sondern er wußte in
Berlin nicht recht, waS er mit sich
setzt im Sommer anfangen sollte.
Dazu Alices ständiges Drängen und
eine gewisse Neugierde, das kleine
rotlockige Mädchen wiederzusehen, an
das er stets dachte, wenn er sich einer
bitteren Erfahrung in seinem Le
ben erinnerte, die ihm doch höllisch
nahe gegangen war.
Sibylle v. Treubnitz hatte ir in
seiner Erinnerung auszulöschen ge
sucht. wenngleich sich die „holde,
törichte Jugendeselei". wie er seine
einstig- Liebe zu Sibylle jetzt selbst
bezeichnete, nur schwer vergessen
ließ. Wie oft noch jetzt, wenn er
irgend etwas getan, dessen sein bes
seres Selbst sich schämte, sah er
Sibylle vor sich, Sibylle mit dem
vornehm-schmalen Gesicht, den ern
sten, dunklen Augen, und sah, wie
sich ihre feiiien Lippen schmerzvoll
zusammenpreßten. Aber schnell
verscheuchte er dieses Bild, und dann
fiel ihm gewöhnlich Eva ein, die
kleine Eva, wie er sie damals in den
sonnigen Frühlingstagen aus dem
Friedhos gesehen, in ihrer Huden,
süßen Kindlichkeit, mit der andäch
stellte Eva aus Schritt und Tritt
recht. Zu Alices Verzweiflung ver
stieß er jetzt selbst gegen die Grund
sätze, die er ihr in Berlin gepredigt
Die frische Luft, die er hie/genoß,
die kräftigen, regelmäßigen Mahl
zeiten und das ruhige Leben wirkten
Wunder. Das Gedunsene in sei
nen Züge» verschwand, sein unsterer
Blick wurde ruhiger und sein blei
ches Gesicht bräunte sich.
nachlief und alle feine Grundsätze
sehr Ressel hinter Eva her wa'.
Eva dagegen lag nichts ferner
als das. Sie wich Fritz Nessel aus',
wo sie nur konnte. Wohl freute sie
Nößem ganzes Herz, ihre
Noch nicht ein einziges Mal war
Gast in der Billa weilte. Ob er
sich absichtlich, fernhielt? Eva grü
schmerzte. Sie hatte überhaupt
ietzt so viel zu denken, zu überlegen.
Dazu aber mußte sie allein sein.
Sie stahl sich aus dem Hause,
wann sie konnte, und lief in den
tung nach der Oberförsterei zu.
Vielleicht schlummerte in ihr der
Wunsch. Eberhard dort einmal zu
Zuweilen fühlte sie sich ganz krank
und elend. Wie sollte das alles
enden! Daß Fritz Resse! seine An
sie. Warum auch sollte sie ihn
schließlich nicht heiraten? Daß
er wirklich der Besserung fähig war,
in Gesellschaft, darum
ihn bewahren können, wenn sie seine
Frau wurde. Und schließlich sie
war es ihm ja schuldig!
Immer aufs neue kam diese Ue
berzeugung in ihr auf. Wenn sie
sich nur nicht gar zu sehr vor ihm
gegraut hätte, und wenn sie nicht
immer an Eberhard hätte denkek
müssen! Der aber hatte sie verges
hatte. Aus Langeweile hatte er
sich mit ihr beschäftigt. Nun war
diese-'Laune vorüber.
Eva weinte bittere Tränen, wenn
sie das alles bedachte.
So ging dkt Sommer vorbei, der
Wald begann sich herbstlich zu sär->
ben, und Eva wurde immer trauri
ger und mutloser. Lange konnte sie
die Entscheidung nun nicht mehr
auf sich warte» lassen. WaS aber
sollte sie dann tun?
12. Kapitel.
Aufseufzend sprach Alice endlich
von der Abreise nach Berlin, und
zu ihrer Befriedigung und Freude
stimmte Nessel ihr zu. Auch in ihm
begann sich die Sehnsucht nach dein
gewohnten Leben zu regen; das Blut
in seinen Adern pulsierte ungestüm.
Eine Weile tonnte er dieses länd
liche Idyll wohl ertragen, aber nicht
auf die Dauer. Teilweise war er
des Spiels mit Eva, die ihn gir
zu deutlich ihre Abneigung siiblen
ließ, schon überdrüssig. Er beschäf
tigte sich jetzt wieder mehr init Alice,
und schon begann Eva zu hojsen,
daß er abreisen würde, ohne daS
gesürchtete Wort gesprochen zu ha
ben, und in dieser Hoffnung wurde
sie achtloser, daß er sie leichter auf
spüren und finden konnte.
Und eines Nachmittags, als Eva
eben wieder von dem' Friedhof kam,
wo sie sich hingebend in die Schön
heit des von Nessel geschaffenen
Bildwerkes vertieft hatte, da begeg
nete er ihr. Er war ernster als
sonst und in nachdenklicher Stim
„Wollien Sie wieder nach Haus«,
Eva?" fragte er.
Sie nickte.
Da bat er sie, noch einen Spa
ziergang mit ihm zu machen, und
Eva willigte ein. Während sie nun
schweigend eine Weile nebenein--.nder
hergingen, mußte sie ihn betrachten,
und wieder fiel es ihr schwer aufs
Herz: Ein Mann, der das da drau
ßen geschaffen, ein gottbegnadeter
Künstler, der sollte zugrunde ge
hen, weil ein dummes, kindisches Ge
schöpf in einer albernen Aufwallung
von Eifersucht ihn seines Haltes be
raubt hatte.
Tiefes Mitleid erwachte in ihrer
Seele, und heute tat Nessel aus
nahmsweise nichts, diese weiche
Stimmung Evas durch einen seiner
gewohnten zynischen Witze zu zer
stören. Er selbst schien in merk
würdiger Laune. Der leichtbedeckke
Himmel, durch den die HeMscnne
nur schwach und verschleiert hin
durchdrang, die tiefe Stille rings
um, einzig unterbrochen durch daS
Rascheln der welkenden Blätter,
schien schwer auf ihm zu lasten.
In einer Lichtung machten sie
halt und ließen sich nebeneinander
auf einer moosbewachsenen Baum
wurzel nieder, die hoch über den
Erdboden hinausragte.
„Nun ist das Spiel hier bald zu
Ende. Es war doch eine schöne
Zeit/chsagte er nun leise und nach-
Eva nickte. Ihr war die Kehle
wie zugeschnürt. Da wandte er
sich langsam ihr zu und sah den
inneren Kampf, die Erregun?, die
ihr Gesicht noch schöner erscheinen
ließ, so daß es ihn wahrhaft srap-
„Eva, liebe, kleine Eva," flüsterte
er weich. „Wenn Sie doch immer
bei mir wären! Sie haben einen
besseren Menschen aus mir gemacht.
Glauben Sie, ich hätte so lange
hier ausgehalten, wenn Sie nicht
wären? Ihnen ich es.
daß ich gesund geworden bin, und
das werde ich Ihnen nie vergessen.'
Er hatte ihre Hand ergriffen, die
widerstrebend in seiner Rechten zuck
te. „Ach Eva, Sie wissen ja nicht,
was Sie mir sind! Wie Sie mich
ein anderer Mensch war, einer, d«
sich nicht hätte schämen brauchen.
Ihnen in die Augen zu sehen.. Wie
Sie Sibylle gleichen!" setzte er träu
inend hinzu.
Augenscheinlich merkte er ihi? Er
regung nicht. Er starrte vor sich
hin. Sein Gesicht war ernst, fast
finster. Nun nickte er, als ob er
mit sich selbst spräche.
„Ja. Sibylle, sie hätte mich hal
recht!"
(Fortsetzung folgt.)