Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, July 15, 1915, Image 3

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    Um ein Wort!
B.
eine schlanke, dunkle Gestalt. Das
Mutter.
Sibylles Augen umflorten sich.
Warum nur Eva so sehr verändert
war? Aber sie hatte jetzt kein« Zeit
hatte.
Wenn das die alte gnädige Frau noch
erlebt hätte, daß das Fräulein Si
byllchen so gut versorgt war! Gerade
„Wo ist denn nur Eva? Ist sie
serm Sibyllchen das Glück nicht zu
gönnen! Sie ist die Aelteste und muß
zuerst an die Reihe. Sie haben doch
Glück?! Jedes Glück der Welt
Schuld daran! Bei der ersten Wer
bung Dr. Brands hatte Sibylle ihn
ja auch so gut wie abgewiesen. Da
I>a!!e sie noch auf Fritz Resse! gemar
kt, und dieser war nicht gekommen,
weil sie, Eva, ihn belogen und ihm
gesagt hatte, Sibylle habe bereits ge
tpäblt.
unglücklich fühlte Eva sich, daß
in der Schwester dunklen Augen zu
lesen.
Wohnstube. Auch hier fehlte jetzt
von der Wand herab. Sibylle woll
te sie erst ganz zuletzt mit in das neue
Heim hinübernehmen, daher behaup
teten sie noch immer ihren Platz über
dem altmodischen, schmalen Sofa,
während die Wände ringsum schon
geplündert waren. Die mattblinken
d»n Goldrahmen bildeten den Ruhe-
Punkt, zu den, Sibylles Augen im
mer wieder hinüberschweisten. Die
Bilder selbst konnte sie nicht mehr
erkennen, aber sie kannte sie genau.
Zug um Zug. Den Eltern gegen
über hielt sie sich verantwortlich für
de unsagbar.
Unwillkürlich seufzte Sibylle
schwer auf. In der Dämmerung er-
Mit müder Gebärde strich sie das la
stanienrotc. schöne Haar aus der
Stirn. Da hörte sie plötzlich leise,
huschende Schritte hinter sich. Ehe
de glitten liebkosend über das wider
spenstige Gelock Evas.
„Was denn, Eva? Du weißt, daß
ich dir jeden Wunsch gern erfülle,
Aber daß diese Worte
hielt sich dann beide Ohren zu.
„Sprich nicht so, Sibylle! Du
sollst nicht so sprechen, ich bin es nicht
gen.
„Aber Kind. Kind, was sollen die
se Worte! Weißt du denn nicht, mi
te sich.
„Laß. laß! Ich bin kein Kind
nicht liebst, daß du . . ."
Da legte sich Sibylles Hand mit
festem Druck auf Evas Mund. „Was
bylle!"
Diesmal nickte. Sibylle, halb be
„Wo willst du hin? Wie hast du
Da zuckte Sibylle die Achseln. „Ich
Eva. du weißt, daß Onkel Franz
Krauen. Jedenfalls müßten mir ihn
erst um Erlaubnis fragen."
warfen und ihre Augen funkelten
feindselig.
sagte sie schließlich: „Was soll ich
.Eva!"
Sibylle schrie empört auf, aber
das junge Mädchen hörte nicht mehr,
sie war aus dem Zimmer gelaufen.
die Sibylle erhofft hatte! Sie
blieb vor dem Bilde der Mutter ste-
Da lam Anne herein.
„Bitte, zünde das Licht an," bat
Befürchtungen. Aber ihr Gesicht blieb
Allein hatte sie alles mit sich durch
ter ihr und ein stilles friedliches Le
ben harrte ihrer. Weit in verdäm
mernder Ferne schattenhaft
bei! ...
doch noch einen Versuch, Evas Ent
sich in das Doktorhaus. Widerst«'
wo die Möbel standen, welche die
Mutter bei Lebzeiten in Gebrauch
gehabt hatte.
richtet haben?" fragte sie bittend,
weint, der sich durch eigene Schuld
um sein Glück, seine Nutze gebracht
hat.
Stumm stand Sibylle neben ihr.
Auch ihr waren die klugen feucht. Der
süße Duft der Lindenblüten von da
unten füllte das Gemach. Still uns
friedlich war es hier. Da stand Eva
unsicher auf. Sie haschte nach Si
bylles Hand und preßte sie an die
lann trotzdem nicht bleiben."
Das klang fast demütig und Evas
Gesicht hatte seinen lindlichen Aus
ernst, als sei sie plötzlich um Jahre
Da drang" Sibylle auch nicht wei
irr in sie. 'lm tiefsten Innern »er
letzt und doch ruhig und freundlich
begann sie Evas Sachen für die Ab
reise zu richten.
„Aber bis zur Hochzeit bleibst du
doch noch?" sagte sie nur.
Eva gab keine Antwort, aber sie
atmete schwer und mühsam.
Dann begannen lange Unterhand-
Handlungen mit Ontcl Franz. Mi:
aller Energie, fast heftig, wehrte er
sich dagegen, daß Eva sich einem Stu
dium zuwende. Wenn sie es bei der
Schwester nicht aushalten zu können
glaube, soll- sie zu ihm kommeni sein
.Haus stünde ihr jeden Augenblick os
sen.
Zuerst war Eva empört und en!
täuscht, dann aber sügte sie sich auch
darein. Nur fort von hier, ganz
gleich wohin, nur sort!
Nun war der Hochzeitstag nahe.
Heinz war schon angekommen. Er
stand sich ausgezeichnet mit dem zu
künftigen Schwager und war glück«
lich, daß Sibylle nun so gut versorgt
""Als er Eva zuerst wiedersah, er
schrak er. Den andern, die täglich und
stündlich mit dem jungen Mädchen
beisammen waren, war die Verände
' rung, die mit Eva vorgegangen, nicht
so sehr ausgefali.!., Heinz aber sah,
daß sie auch im Aeußern eine ganz
ändere geworden. Ein Kind hatte er
verlassen, ein bei aller Trauer harm
loses, aufrichtiges Kind. und ein ver
schlossenes, scheues Geschöpf fand er
wieder. EvaS Gesicht war schmal und
hager geworden.
Noch hatt« Sibylle ihm nichts von
Evas unerklärlichem Verhalten mitge
teilt. Nun war er empört und ver
suchte auf seine Art Eva den Kopf
zurechtzusetzen, aber sie sah .hn nur
feindselig-hochmütig an. Was wußte
er, was ging es ihm an! Nur
Sibylle gegenüber fühlte sie sich s-hul-
Und dann kam eine Ueberraschung.
Als Sibylle am Morgen ihres Hoch
zeitstages die Schwester, die unge
wöhnlich lange zu schlafen schien, wel
ken wollte, sand sie Eva- Zimmer
leer und das Bett unberührt. Auf
dem Tische lag ein Zettel.
„Ich bin abgereist, zu Ontel Franz.
Verzeih' mir, Sibylle, aber ich tonnte
Und während sich Sibylle, ihr Bru
der, die alte Anne und auch Dr.
Brand vergebens Den Kopf zerbra
chen, was Eva zu diesem Streich
veranlaßt haben könne, faß das jun
ge Mädchen in einem Abteil dritter
Klasse und reiste zu den ihr teils
noch unbekannten, fremden Menschen.
Einzig Onkel Franz kannte sie per
sönlich von seinen kurzen Besuchen
her. Die Tante sowie die verheirate
te Cousine hatte sie nie gesehen.
Anter andern Verhältnissen würde
Eva sich gefürchtet haben vor dem
Ungewissen, das ihrer harrte. In
diesem Augenblick aber fühlte sie
nichts wie grenzenlose Erleichterung.
Gegen Mittag aber wuchs ihre Un
ruhe. Sie achtete nicht auf ihre Mit
reisenden. Den dichten Kreppschleier
tief über das blasse Gesicht gezogen,
saß sie regungslos. Nun nahte die
meiiitliches Unrecht gutzumachen. Fritz
Nessel hatte ein Anrecht aus sie! sie
war sein, wenn oerlangte,
plötzlich in andre Bahnen gelenkt.
Jetzt half keine Reue mehr; es war
geschehen, und sie konnte nur gutnia-
Redete sie sich selbst in eine Art sreu
digen Opfermutes hinein. In ihrer
jugendlichen Schwärmerei fühlte sie
sich jetzt fast wohl in der Nolle, in die
Jedenfalls vergaß sie ihr Grübeln
und sah sich zum erstenmal, seit sie
abgereist war, mit Interesse ihre
Umgebung an. Einmal war sie be
reitS umgestiegen. Nu» mußte sie
bald wieder eine» andern Zug be
nutzen. Vorher hatte sie Aufenthalt,
da konnte sie etwas essen und an
Onkel Franz t«l>>gravh!e:en. Es war
zwar schon reichlich spät; vielleicht be
kam er die Depesche gar .richt mehr
rechtzeitig in seinem kleinen thüringi
schen Dorfe. Was tat das! Eva
jetzt wieder Unternehmungslust und
Zuversicht.
Als sie ober wieder in dem Zuge
der Kleinbahn saß, in dem sie die
letzte kleine Strecke zurücklegen muß
te, wurde sie vo» ihrer Müdigkeit
sie sich noch gegen den Schlummer,
aber das gleichmäßige Nattern des
Zuges wirkte wie ein Schlummer
lied, und nach einer Meile schlief sie
f-st. . -
4. Kapitel.
Eine freundliche Dame weckte Eva.
als der Zug auf einer winzigen
te als Eva schlaftrunken in die
Hastig nahm Eva ihr Handkösfer
chen und kletterte aus dem Zuge. Da
stand sie nun auf der menschenleeren
Station. Nur ein paar Beamte lie
fen hin und her, bis der Zug wei
terging, sonst nichts. . . Aus ziem
licher Ferne schiinmerten ein paar
Lichter herüber. Da mußte das
Dorf liegen oder der Ort, Eva wußte
selbst nicht genau, was es eigentlich
war.
Eben wollte sie sich schüchtern mit
einer Frage an einen der Beamten
Schreck durchzuckte Eva. Niemals
hätte sie es für möglich gehalten, daß
eine Begegnung mit Onkel Franz
ihr einmal solche Freude bereiten
.Onkel Franz, hier bin ich!"
Er hätte sie in der Eile fast um
gerannt. Nun nahm er den goldenen
ten Gesicht waren die widersprechend
sten Empfindungen zu lesen, schließ
lich aber siegte doch das Mitgefühl mit
dem blassen, schwarzgekleideten Mäd
chen, und er schloß Eva herzlich in
seine Arme. Trotzdem polterte er
bloß, was das bedeuten soll! Heute,
am Hochzeitstag deiner Schwester, da
lommst du so mir nichts di> nichts
chne eine angerutscht!
Tante ist natürlich schon zu Bett, die
konnte ich nicht erst stören. Nun
müssen wir schon sehen, wie wir dich
scheit".
.tele er.
Freundliches hatte' „Mamsell Marie,
gemüllich werden. Besonders das
Bett. Das ist weich und gut. Da
hält die gnädige Frau draus. Sie
werden hier schlafen wie im Him
schlug, ehe sie dieselben in frische Be
züge steckte.
'Eva nickte wieder? sie mochte nicht
sprechen. Sie wußte nicht einmal, ob
ihr die Wirtschafterin im Hause des
Onkels angenehm oder unangenehm
war. In aller Eile säuberte sie sich
ihre Blicke aus dem Mann ihrer Cou
sine ruhen. Wie Alice selbst wohl
Etudienabsichten nichts wissen wollte.
Nachdem Onkel Franz in seiner
gutmütigen Weise Eva alle möglichen
guten Dinge auf den Teller gehäuft
hatte, die sie bei dem allerbesten Wil
vertieften sich die beiden Herren in ein
geschäftliches Gespräch. Der Onkel
sah Eva offenbar noch für ein Kind
an. auf das man nicht allzuviel Niick
ren Gedanken über die Hausbewohner
nachhängen. Jetzt fiel ihr auch ein,
daß ein Kind im Hause sein mußte,
ein kleines Mädchen, Alices Töchter
chen. Sie dachte nach, wann ihnen
Miider hatte sie immer gern gehabt.
Wie sie sich auf das Kind freute!
Bald aber fielen Eva die Augen
vor Müdigkeit zu. Nur kurz' Zeit
lor seiiü"
gesiel ihr gut in seiner vornehmen,
ruhigen Art. Sie hielt ihn für einen
—N e tte Aus sich t. ,Es «st