Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, October 23, 1913, Image 2

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    Ehrgtiz.
Gestern abend waren sie von den
Gerichtsserien zurückgekehrt! Eigent
lich hätten sie noch zwei Tage länger
bleiben dürfen, denn der Dienst des
Landgerichtsrats Selling begann erst
am Dienstag, und heute zeigte der
kleine Wandkalender mit ausdringli
chem Rot den festlichen Sonntag an.
Aber sie hatten beide keine Ruhe mehr
in der Ferne gehabt.
Die Frau atmete wie erlöst auf,
als ihr Mann endlich das befreiende
Wort aussprach und der Landge
richtsrat war überhaupt noch nicht
zum Genuß der ihm so nötigen Ruhe
gekommen.
Jetzt saßen sie sich am heimatlichen
«affeetifch gegenüber.
Frau Lore hielt das feine, blasse
Gesicht tief geneigt, als betrachte sie
aufmerksam die Blüten, welche in dem
weißen Linnen der Decke zu ihrem
Willkommen erglänzten. In Wahr
heit wollte sie nur hindern, daß ihr
Gatte die dunklen Ringe unter ihren
Augen gewahrte, welche die schlaflose
Nacht verrieten. Wie entsetzlich lang
waren ihr doch diese Stunden erschie
nen, Ihr Herz hatte geklopft, ihre
Hände gezittert, Hoffnung und
>Grauen zugleich bebten in ihrer
noch keine Gewißheit für sie und den
Mann, den sie über alles liebte, ge
schmiedet zu sein brauchte, das
faltete sie. Mit kundigem Blick suchte
Strafe herausgewachsen, Landge
richtsrat Selling hätte eigentlich
schon avancieren müssen.
sie dctete.
fielen die Worte: „Menzel hat die
Stelle am Oberlandesgericht bekom
men. Dieser Menzel, Lore. Du
iweißt, daß ich ungern Nachteiliges
ia ein volles Jahr in dem kleinen
Städtchen an der Quilla als Assessor
zugeteilt. Und wenn er sich selbst von
ich? Nur, weil er das Glück
hatte...."
Die blasse Frau schrie auf.
„Sprich es nicht aus, Werner! Ich
weiß es auch so. Er hat es nicht
wie Du verdient kann es nicht
verdient haben. Unsere ganze Ju
gend haben wir geopfert. Nur Arbeit
meine ebenfalls, denn ich gehöre doch
zu Dir. Nun sind wir alt und zer
mürbt, unser Hoffen liegt zerbrochen.
Unsere Freude am Leben ist dahin,
weil unser Vertrauen verloren sein
muß."
Er stand wie ein Verbrecher vor
ihr.
„Und ich habe Dich mit in dies
Leben hineingezogen, Lore, Dich, die
blick nicht dagegen wehrin. Die ver
warteten langen Tage, die gestorbenen
Knospen und das junge, krause Grün,
das vorzeitig welken mußte, schrien
um Rache.
Der Mann fuhr tonlos fort:
„Dein Vater hatte recht, Lore, als er
Dich mir Glicht geben wollte. Ich
aber schwor damals, daß ich hoch
hinaufsteigen wollte, um Dich zu ver
dienen und um sein Vertrauen zu
erringen. Nun ist dies daraus ge-
Sie sah an ihm vorüber, immer
noch unfähig, sich zu beherrschen. Die
Tränen liefen ihr die Wangen herab.
Er aber wußte nicht, weshalb sie
weinte. Mutzte er nicht glauben, daß
sie trauerte, weil er mit dem Siegel
seiner Unfähigkeit weiter in der
Oefsentlichkeit durch das Leben
laufen würde?
Ihr Weinen aber hatte einen ande
ren Sinn.
Es währte nicht lange, da hatte sie
sich wieder in der Gewalt. Die Frau,
die am Sterbebett des einzigen Kin
des. das nach langen Jahren gekom
men war, um schnell wieder von
ihnen zu gehen, für den zerbrochenen
Mann Trost und Kraft gehabt hatte,
fand sich auch harten Stunde
Er versuchte ein Lächeln und sagte
gequält und hastig: „Ich will jetzt ein
wenig Luft schöpfen, Lore, kommst
Du mit mir?"
Sonst hätte sie freudig bejaht.
Heute war sie nicht imstande dazu.
Sie schüttelte den Kopf.
„Nein, Werner, ich habe im Hause
Mutter.
einst gefunden. Sie hatte nichts von
Ehrgeiz und Kampf gewußt. Ihre
Stellung als junge Amtsrichtersrau
felte leinen Augenblick daran, daß er
in eine gehobene Richterstelle einrücken
werde, wenn die Zeit erfüllet war.
tig wie dies leidenschaftliche Lieben
des Berufes, dies willige Kaputtar
beiten.
ihrer Liebe ihn brauchte, hatte alle
Blüten der Seele geknickt.
Frau Lore dachte plötzlich an ihre
Mutter. Sie sah das seine, al>e Ge
sicht deutlich vor sich, erblickte das Lii-
Ihr Euch versündigt?"
hörte ihre überstürzte Rede scheinbar
„Du willst also zu Deiner Mutter,
Lore? Noch heute? Wie lange ge
denkst Du zu bleiben?"
„Nur zwei Tage, Werner."
.Du solltest länger bleiben. Die
Lust auf dem Lande tut Dir stets so
gut."
Platte Schutz und Halt. Seine
hatte.
Dies verzweifelte Streben lag sei
ner offenen, klaren Natur eigentlich
ganz fern. Nur um ihrer würdig zu
und eine begeisterte Liebe zur Sache
gewesen. Mehr nicht. Von dem sein
geschliffenen. rücksichtslosen Degen,
Glänzenkönnen und beiläufigen Ein
fließenlassen hoher und höchster Gön
ner wußte er auch noch in diesem Au-
Landgerichtsrat Selling war stets
ein ruhiger Mensch gewesen. Er
überlegte auch jetzt alles, was die
künftige Zeit noch für ihn haben
könnte. Und es war sehr wenig,
zu wenig, als daß er sich damit be
ihn verachtete.
Darum hatte das Leben jeden Wert
für ihn verloren!
sogleich abgehen, und während ihn die
alte, treue Magd in den Kasten steckte,
wollte er mit dem Zeitverkürzen be
ginn-n.
Es währte lange, ehe er diese Zei
len fertig brachte.
Schreibmappe auf, um sich des Lösch
papiers zu bedienen, das Frau Lore
sauber und reichlich darin vorrätig
hielt. Dabei gewahrte er den Brief,
den seine Frau an ihre Mutter be
gann, ehe sie den Entschluß zu ihrer
Reise gefaßt hatte.
Hastig vertiefte er sich in seinen
Inhalt.
Was war das? Träumte er
denn?
Es konnte doch nicht möglich sein!
Großer Gott nach all diesem Un
glück dies grenzenlose, heiße, uner
wartete Glück!
Er stammelte ein paar Zeilen aus
diesem Briefe halblaut vor sich hin.
Immer wieder.
„lch gräme mich ja nur so un
beschreiblich, weil Werners ganzes
Sinnen und Hoffen an diesem elen-
und unbändig lieb, wie vor fünfzehn
Jahren. Aber er hat seine Liebe über
dem anderen. Schrecklichen, wohl schon
lange vergessen "
Landgerichtsrat Selling riß die Uhr
aus der Tasche.
Wenn er den nächsten Zug bekam,
würde er fünf Stufen nach Lore bei
der Mutter eintreffen.
Die alte Magd schüttelte verständ
nislos den Kops.
Der Herr wollte nun auch wieder
fort Ja, warum denn nur?
Eine Antwort erhielt sie ebenso
wenig wie der Geheime Justizrat
Fleudenberg, der hilb schadensroh,
hatte.
„Jst es nicht empörend, Kollege, der
Menzel Oberlandesgerichtsrat?"
ersten Male.
LiebesMUen noch gerade rechtzeitig
sprengte.
Ter humorvoll« «om>t«r.
schließlich ganz aus. So kam es,
daß der Komiker der Gesellschaft, der
schon wochenlang aus Kosten fem er
Endlich aber ging bei der Frau die
Geduld zu Ende, und sie schrieb ihm
in der kernigen und verständlichen
Schulden zu bezahlen, da sie ihm,
wenn er jetzt nicht zahle, keine Kost
mehr geben werde. Da legte der hu
morvolle Komiker, der alles schon ver
setzt hatte, was er besaß, seine künstli
chen Zähne auf den Tisch, und schüt
telte den Staub der Kleinstadt von
den Füßen, nachdem er einen Zettel
zurückgelassen hatte, auf dem es hieß:
Was ick noch habe, leg' ich her,
Und weih' ihm meine letzte Träne.
Du gabst mir nichts zum Beißen
Zähne.
<ki«e schwirrt«« Entscheid»««»
nem russischen Paßbeamten erzählt
eine Londoner Zeitschrift. Der Be
amte prüft die Papiere des Reisen-
Troßpapa.
Schultern und antwortete: „Ich
fürchte, der Herr Baron wird sich
nicht stören lassen wollen, indessen
will ich es doch versuchen. Wen darf
ich melden?"
alte Herr.
Schweigend entfernte sich der Die
ner, kam aber schon im nächsten Au
genblick zurück, öffnete die andere Tür
und sagte: „Der Her: Baron lassen
bitten."
Lächelnd, siegessicher trat der Gast
Hände hin.
„Aha, ah! Mein lieber, alter Sal
ten! Na, das ist aber eine wirkliche
„Und Du nicht minder! Donner
wetter, Du bist ja in großer Toilette!
Da störe ich Wohl, was?"
digt. Du störst nicht, lieber Freund,
Du kamst just zur rechten Zeit, denn
wie Du siehst, bin ich eben mit mei
ergangen ist in den fünf Jahren, denn
erlebt hast Du doch sich wieder viel
Interessantes."
Baron Salten setzte sich und sagte
mit einem Anflug leichter Wehmut:
Erstaunt und heiter sah ihn der
andere an. „Bist Du eine solche Aus
nähme?" fragt« er belustigt.
er sich verletzt fühlte.
„Nun also! Wer sein Leben in der
was! Man ist nur so al^
sen geworfen zu werden!"
Schweigen. Beide sahen sich ei
nen Augenblick prüfend an.
wohlmeinend: „Lieber Brenkendorff,
wenn mich nicht alles täuscht, bin
ich gerade zur rechten Zeit zu Mr
te —'
Hier unterbrach ihn der andere:
„Lieber Karl, ich bitte, keine Moral
pauke! Das war von jeher Deine
Schwäche. Ich habe alles wohl
überlegt, und mein Entschluß steht
fest."
„Du will Dich noch einmal verhei
raten?"
„Das will ich!"
„Und darf ich erfahren, wer die
Auserwählte Deines Herzens ist?"
„Jutta von Werdensels ist es."
„Abe/ das Fraulein kann doch
höchstens zwanzig oder einundzwanzig
sein."
„Stimmt. Sie ist genau einund
zwanzig."
„Und Du wirst sechzig."
„Sehr taktvoll bist Du nicht, lie
ber Karl,"
es gut meine mit Dir! In zehn
Jahren bist Du ein Greis, und
Deine Frau wäre dann in ihrem
besten Alter. Hast Du daran auch
gedacht?"
und deshalb spielte er den heiteren
Weltmann und Lebenilünstler, in-
dem «r lächelnd «ntg«gne>e: ~Wa»
Du da sagst, lieber Freund, ist alle
ganz gut und schön, aber es paßt
für den Durchschnitsmenschen: so ei
ner bin ich nicht. Ich modele mir das
Leben ganz nach meinem Geschmack,
und ich habe gesunden, daß ich bisher
nicht allzu schlecht dabei gefahren
Salten zuckte die Schultern und
sagte leichthin: „W«nn Du auf den
wohlgemeinten Rat eines Freundes
nichts gibst, gut, dann tu, was Du
willst. Jedenfalls wünsche ich Dir
alles Gute."
„Und das kannst Du auch, lieber
Freund!" rief Brenkendorff nun voll
Enthusiasmus, „denn Du ahnst ja
nicht, wie ich bis über beide Ohren
oerliebt bin!"
„Nun sag mit eins noch, wird
denn Deine Liebe auch wirtlich erwi
dert?"
„Aber gewiß, mein Bester! Jutta
ist so lieb und herzig zu mir, daß ich
ein Herz von Stein haben müßte, um
nicht weich zu werden!"
Salten schüttelte bedächtig den
Kopf: „Und was sagt Dein Sohn
Egon
nem Sohn ab."
Wiederum zuckte Salten die Schul
tern: „Dann kann ich nur meinen
Glückwunsch wiederholen."
„Herzlichen Dank!"
Sie siillten die Gläser, stießen an
und tranken auf eine hoffnungsfrohc
Zukunft.
war.
Brenkendorff bekam wieder ein
leises Unbehagen. „Was ist denn
das nun schon wieder?" Und mit zit
den Inhalt.
Im nächsten Augenblick ließ er daS
Papier sinken, preßte die Zähne zu
— mit einem Schlage war alles ver
nichtet! Dann knüllte er das Pa
pier zusamnien, warf es in den Pa
gen.
und d" «"S Ge
papa! Der Stammhalter ist angekom
men! Alles wohl. Egon."
Und dann wieder minutensänge«
zu dem Freund. Er berührt ganz
leise dessen Schulter und sagt mit
leiser, weicher Stimme: „Glaub mir,
lieber Freund, es ist besser so. Dies
te. Jetzt eben erst war er aufgeweckt
durch diese Depesche. so lang«
war er blind im glücklichen Taumel
papä. welch ein lächerliches Unter
fangen. Nein! Nein! Jetzt war
alles auS! Das fühlte er nun klar
und deutlich. grau und trostlos
ihn, sondern seinenn Neffen Herbert
liebt«. Dieser Herbert, ein schmucker
junger Offizier, aber war sein Mlln-
Tage an aber wollte er niemals jün
ger erscheinen, als er in Wirklichkeit
war, im Gegenteil, er fing sogar an,
„Sehen Sie, einem flotten Tur
ner kann auf der Straße nie etwas
passieren!
Wenn Gefahr droht, setzt man
mit einem eleganten Sprung hinweg
und freut sich, daß man
durch seine Gewandtheit der Tücke
des Objekts entronnen ist!"
indem Sie mich erhören.
Fräulein: Werden Sie erst ein
anderer Mensch, dann erhöre ich Sie
vielleicht.
Ein Idealist.
Sie: »Sie sprechen von Heirat
zwischen uns beiden, Herr Müller;
ja bringt denn die Malerei soviel
ein, daß Sie eine Frau ernähren
können?"
Er: ,O, ich denke, wir leben voi
den Früchten, die ich zu meinen
Stillleben als Modell gebrauche!"
Widerspruch. „Ich sagt
Dir, Max liebt mich ganz unheim
lich"
.Woran merkst Du das?"
„Er hat sich ja schon mit mir
heimlich verlobt."
Verlorene Liebesmüh'.
ü:?i!e! ! n > , » !
der in seiner Zerstreutheit das Hotel
verläßt, ohne Trinkgelder zu geben):
,O, bitte, vergessen Sie uns nicht!'
„Nein, nein, ich vergesse Sie nicht,