Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, June 08, 1911, Image 6

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    Ttr Luftschiffer.
Erzählung von Fritz Rentier.
„Nur Dich will ich haben! Nur
Dich! Dich allein und sonst Niemand!
Dich will ich!" Heute noch sehe ich
fein dunkles Gesicht mit den blitzenden
Augen, wie er diese Worte durch die
zusammengebissenen Zähne hervor
stieß. „Was kümmern mich die An
deren! Mögen sie zum Teufel gehen
aber Du sollst mein sein. Ob
Du mich liebst oder hassest, ob Du
weinst oder Dich wehrst mein sollst
Du sein, mein allein!"
Ich hatte Robert Dahlen von Kind
heit an gekannt, und im Munde der
Leute galten wir als ein zusammen
gehörendes Paar, als Schätze; und
Dahlen war auch so zuversichtlich und
ausdauernd in seinen Bewerbungen,
daß ich ihn wenigstens halbwegs, als
meine Mutter starb und ich einsam
und verlassen ohne Verwandte in die
ser Welt dastand, versprach, eines Ta
ges sein« Frau zu werden. Kaum
war dieses Versprechen fast wider
meinen Willen mir über die Lippen
gekommen, so erschien auch schon Paul
Burkhard in meinem Leben und er
tvar meine erste Liebe.
Ich hatte von Robert Dahlen unter
der Gartenthür Abschied genommen,
und er war hochbeglückten Muthes
nach Hause gegangen, weil es ihm ge
lungen war, mir das Jawort zu ent
reißen.
Bei uns zu Hause war es seit d«r
Mutter Tod sehr einsam geworden.
Der Hof hatte immer Noth gelitten,
seitdem der Vater gestorben war.
Alle meine Freunde sprachen mir zu,
Dahlen zu Heirathen, und im Dorf
galt das für abgemacht. Da draußen
schnob der kalte Winterwind, und ich
fror und sehnte mich nach der warmen
Stube und und so kam es, daß
ich mein Jawort gab.
Kummervollen Herzens ging ich
dem Haus« zu; hocherhobenen Haup
tes schritt Dahlen dem Dorfe zu. Ich
kam mir selbst verabscheuungswürdig
vor, und im Augenblick haßte ich Ro
bert Dahlen, da ich ihn nie und nim
mer lieben würde. Ich trat in's Zim
mer und warf die Thür heftig hinter
mir in's Schloß, so daß di« alte
Hanne, unsere Magd, die, an Rheu
matismus leidend, am Ofen saß, er
schrocken auffuhr und fragte, was es
gebe.
„Jetzt sind wir endlich im Reinen,"
antwortete ich unwillig und warf mei
nen Schal beiseite; „bald werde ich
Frau Dahlen sein. Bist Du dann
zufrieden, Hanne?"
„Jedenfalls wird's am besten sein
am besten, ja," erwidert« die alte
Frau. „Aber sind Sie nicht froh?"
Ich gab keine Antwort. Was half's
auch, mit ihr über solche Dinge zu
reden? Was wußte sie davon, wenn
das Herz eines jungen Mädchens nach
wahrer Liebe hungert und sie dem un
geliebten Mann in die Arme läuft?
Hann« versuchte mich durch ein gu
tes Abendessen und durch reichliche
Trostworte zu beruhigen; aber das al-
Jm Licht der Lampe erblickte ich
Pau> Burkhard.
blick des Schreckens nicht als ein Ein
sen Mangel an Anstand vergaß ich
sofort, als er das «rste Wort an mich
richtete:
„Ich bitte tausend Mal um Verzei
hatte seit einigen Monaten so viel von
Luftballonen gelesen und geredet, daß
ich nicht umhin konnte, einen Blick
nach dem zerschmetterten Fenster zu
werfen und hinaus zu blicken.
„Im Ballon? Kamen Sie in Ih
rem Ballon hierher? Und wo ist er?"
„Da draußen, in Sicherheit," ant
wortete der Aeronaut. „Und der Ab
stieg ist trotz dieses verflu— verflixten
Nebels noch glatt abgelaufen. Mei
nem Dafürhalten nach befand ich mich
sieben- oder achthundert Meter hoch in
der Luft, ich öffnete das Ventil ein
ivenig, um unter die Wolken hernie-
Hcrzusteigen und zu sehen, wo ich mich
befinde. Da fiel ich auf Ihr Haus
und verankerte mich in Ihrem Apfel
baum. Haben Sie vielleicht Knechte
hier, di« mir bei der Entleerung des
Ballons behilflich sein könnten?"
Wir riefen unsere Knechte und Ar
beiter zusammen, und gegen Mitter
nacht lag das schwerfällige Ding von
einem Luftballon trotz der Dunkelheit
vollständig leer auf dem Boden. An
statt den Ballon so liegen zu lassen
und den Korb nicht vom Apfelbaum
vor Tagesanbruch herunterzuholen,
wollt- der Luftschiffer auch noch diese
Arbeit vollenden, stieg auf den Baum,
und während er in der Gondel stand,
brach plötzlich ein Ast und er stürzte zu
Boden und verletzte sich so sehr, daß
wir ihn bewußtlos vom Boden auf
hoben.
Wir trugen ihn nach dem Wohn
zimmer, und als der Arzt kam, er
klärte er, daß er vorderhand nicht
transportirt werden dürfe. Konnten
wir ihm da ein Obdach verweigern?
So behielten wir ihn über die Nacht
und thaten, was in unseren Kräften
stand; ,ja, und wir behielten ihn noch
wochenlang nachher. Und ich wünsche
nur. daß ihn mir der Himmel noch
mein ganzes Leben lasse.
Das war der unerwartete Besuch
von Paul Burkhard. Während ich
ihn pflegte und er sich langsam er
holte, wuchs das gegenseitige Gefühl
der Zuneigung und wurde zur Liebe,
so daß ich eines Tages Robert Dah
len, der immer widerwärtiger wurde,
und den ich immer seltener sehen
mochte, schüchtern erklärte, am liebsten
möchte er mir mein Jawort zurückge
ben.
Seine Wuth kannte keine Grenze
mehr. Wahrscheinlich wußte er, an
wen ich mein Herz verloren. Er wei
gerte sich aber, mich frei zu geben, und
stieß so wilde Drohungen gegen Paul,
den er noch gar nicht gesehen halte,
aus, daß es mich seinem Rivalen nur
um so mehr in die Arme trieb. Paul
hatte nämlich noch kein Wort der
Liebe mir gegenüber verlauten lassen.
Aber eines der beleidigenden Worte,
die Robert Dahlen im Zorne ausgesto
ßen, hatte mich so tief verletzt, daß ich
es Paul Burkhard sofort mittheilte
und ihn in tiefster Betrübniß fragt«,
seinen Aufenthalt in unserem Hause
so falsch verstehe und ihm so bösartige
Motive unterlegen könn«.
Als ich Robert Dahlen das nächste
Mal begegnete, war es, als ich am
Arm meines Gatten das Standesamt
verließ. Robert wußte nicht, was sich
ereigne! hatte, als er mich aber so vor
aller Welt am Arm eines Anderen da
herkommen sah, lag auf seinem Ant
litz so rachsüchtige Bosheit, daß es
mich um Pauls willen ganz kalt be
schlich; und als wir wieder allein wa
ren unter d«m Dach, das uns künftig
hin beschützen sollte, kannte ich nur
noch einen Gedanken, ein«n einzigen
Wunsch es auf immer in aller
Stille mit dem geliebten Mann zu
verlassen, damit dem rachesinnenden
Feind auch keine Spur von uns zu
finden bleibe.
Und jetzt erst erfuhr ich von Paul,
daß er reich genug war, sein Leben zu
gestalten, wie er wünschte, und daß e?
die Luftschiffen! seit Jahren mehr
zum Sport und Vergnügen als der
Wissenschaft wegen betreibe.
„Gewiß habe ich hier die schönsten
Stunden meines Lebens zugebracht,"
sprach mein Gatte; „reine, heilige
Stunden des Glücks in Deiner Eltern
Haus! Wenn Du es aber wünschest,
so will ich Dir auch die Welt zeigen,
ob sich vielleicht irgendwo ein anderes
Paradies für uns findet."
Meinem Manne gegenüber hatte ich
Robert Dahlens Namen nie genannt,
und deshalb erschien es ihm vielleicht
als Laune einer glücklichen, jungen
Frau, als ich sagt«:
ohne daß wir selbst wissen, wohin!
und Leitstern. Wir verlassen das
Dorf, und wir werden vergessen wer
d«n!"
„Ja, Paul, ja!" rief ich begeistert.
„In Deinem Ballon, heute Nacht noch
in Deinem Ballon!"
In der Nacht lag der Ballon wohl
gefüllt auf dem Felde neben dem Kes
sel der Gaswerke von Nesselbronnen.
und die Gondel war für unsere Fahrt
„Haltet den Ballon ruhig, Män
ner!" rief er. „Ich muß noch rasch
nach Hause gehen, werde aber sofort
' aus der Gondel und verschwand in
der Finsterniß der Nacht.
I Es kam mir unheimlich vor. dieser
nächtliche Aufenthalt in der Gondel
ganz allein, wie der schwere Ballon
mir zu Häupten hin- und herschau
del werfen, so daß ich mich mit allen
Kräften an den Seilen und dem kra-
chenden Holzwerk halten mußte, wäh
rend das Seidennctz um die Riesenku-
ängstlich aus die Rückkehr meines
Mannes wartete? Ich ermahnt« die
Männer, die den Ballon hielten, vor
teile und ihnen mit heiserer Stimm«
befahl, loszulassen. Sie gehorchten
dem Befehl, und die Erde verschwand
Ballon in die Lüste emporstieg.
„Hast Du die Teppiche nicht?" rief
ich meinem Begleiter zu. Er wandt«
sich um und schloß mich in die Arm«,
und ich vernahm Robert Dahlens
Stimme, die mir in's Ohr flüsterte:
„Ich habe Dich! Ich habe es ge-
Endlich hab' ich Dich!"
Im Augenblick verstand ich. was
geschehen dem Manne, dem ich ent
fliehen wollte, war ich in die Arme
gerannt ich packte das Schlepplau
tigen Ruck, der dem Fluge des Bal
lons Einhalt gebot, erkannte ich so
fort, daß der Anker einen Anhalts
punkt gefunden und daß ich also auf
Hilfe rechnen durfte. Der schwerbe
ladene Ballon trieb in geringer Höhe
über den Erdboden hin und riß sein
Schlepptau durch Hecken und Zäune
und Bäume iveiter. gerade auf unse
ren Hof zu. Es war mein sehnlichster
Wunsch, dort aufgehalten zu werden,
damit mir Paul zu Hilfe kommen
möchte. Sobald der Anker irgendwo
hängen blieb, warf mich der Stoß fast
aus der Gondel, und jedesmal mußte
ich mich an den Seilen festhalten, wo
rauf sich der Ballon wieder von
Neuem wie ein "iesiger Vogel in die
Lust schwang. Es war in einem die
ser Augenblicke, als wir, durch das
Schlepptau angehalten, ganz in der
Nähe des Erdbodens dahinschwebten,
daß ich meinen Gatten auf der Wiese
unter mir erblickte. Er rief mir zu,
als sich die Gondel langsam senile:
„Muth, mein Lieb! Halte Dich fest!
Der Ballon ist jetzt verankert!"
Stark nach der Seite geneigt, fiel
der Ballon, und die Gond«l schlug
heftig gegen die Erde, so daß sie fast
zerschmettert wurde. Wie das Fahr
zeug wieder emporstieg, hing er sich
an den Rand der Gondel, um sie nie
der zu zwingen, und rief um Hilfe.
Ich wagte es nicht, meine Seile los
zulassen. da der Ballon wie wüthend
emporriß, aber ich rief Paul zu, daß
es Robert Dahlen versucht hätte, mich
zu entführen, und flehte ihn an. mich
von diesem bösen Menschen zu retten.
Aber ehe ich mich noch recht verständ
lich machen konnte, hatte sich Dahlen,
der sich bisher krampfhaft an den
Tauen angeklammert hatte, plötzlich
über Paul hergeworfen und ihn mit
einem Hagel von Faustschlägen vom
Gondelrand zurückgestoßen.
Ein heftiger Windstoß erfaßte den
Ballon, und die Gondel erhob sich, so
daß Paul sie nicht mehr erreichen
konnte; nur der Anker hielt uns noch
am Erdboden fest. Unter meinen Au
gen entschwand die Erde, und mein
lastfäcke, Lebensmittel, Wasserfässer,
Kochapparate, alles flog über Bord.
Im ersten Augenblick hatte diese plötz
liche Entlastung des Ballons nicht
ganz wohl, daß wir ungehindert wei
hin also di« Fahrt? Mein Gatte war
nicht hier, um uns zu beschützen, ich
Worte verhaßter Liebe in's Ohr
flüsterte:
„Elsa! Meine Elsa! Warum suchst
gerettet!" b ch ch
liebte.
„Du bist nicht bei Sinnen, Elsa,"
antwortete er und drückte mich hefti
geliebt."
zur Erde nieder saufe und uns alle
zerschmettere!"
Ich war so wüthend über sein Ber
kas Handgelenk und riß daran, so
daß wir im ungleichen Ringen fast
die Gondel zum Umkippen brachten.
Was kümmerte mich das!
Dahlen zog ein großes Messer aus
der Tasche und öffnete es langsam.
Ich lachte laut auf, denn ich glaubte,
er wolle mich damit einschüchtern.
Bald aber erkannte ich sein« Absicht.
Er stieg auf den Korbrand empor und
schnitt die Ventilleine ab.
„Bist Du jetzt zufrieden?" fragte er.
„Jetzt. Elsa, können wir an's Ende
der Welt zusammen reisen."
Ich war die ganze Zeit über am
Gondelboden gelegen und hatte bloß
meinen Begleiter voll Verzweiflung
angestarrt; und als er diese triumphi
renden Worte mir entgegenrief, neigte
sich die Gond«l bedenklich nach der
Seite, wo ich lag und wo das
Schlepptau mit dem Anker immer noch
hing und ich sah Männerhiinde am
Rande des Korbes, bald wurden
Arme, dann ein Kopf und dann die
Schultern eines Mannes sichtbar, und
im nächsten Augenblick stand Paul
Burkhard, meine einzig« Liebe, mein
Gatte in der Gondel und drückte mich
in sein« Arme. Dann schien mir
plötzlich, als falle der Ballon und als
ob wir in sausender Hast zur Erde
stürzten immer tiefer und tiefer
und tiefer!
Wie lange ich bewußtlos dalag,
weiß ich nicht mehr; es war Heller
Tag, als ich die Augen wieder auf
schlug. Dabei war es bitterlich kalt
es schneite, und obgleich ich in
Pauls Armen ruhte und sein Rock
mich bedeckte, fror mich empfindlich.
In Hemdärmeln lag er neben mir auf
den Knieen. Auf der anderen Seite
des Korbes stand Robert Dahlen.
Auch er war in Hemdärmeln; denn
auch sein Rock hatte dazu dienen müs
sen, mich vor der grimmigen Kälte zu
schützen. Also froren diese Männer
meinetwegen, und ich war undankbar
Aber ich ließ ihnen keine Ruhe, bis sie
sich ihre Röcke wieder angezogen hat
ten. kauerten wir alle an Bord
ein gutes Herz, meinetwegen diese
Kälte zu erdulden. Noch mehr er
staunte mich sein ruhiges Berhallen,
als Paul den Arm um mich schlang,
und als auch Paul gar nichts dagegen
zu haben schien, daß Robert etwas
„Herr Burkhard hat mir vorhin
mitgetheilt, daß Sie, Elsa, schon seine
Frau sind. Ist das richtig?"
Ich bestätigte es und bat ihn um
Verzeihung, wenn mein Herz anders
gewählt habe, als er gehofft.
„Wenn dem so ist," erwiderte er,
Liebe zu Ihnen sicherlich Ihr Glück
Rachsucht auf's Spiel gesetzt."
„Aber alle Gefahr ist doch jetzt vor-
wollen wir dem Hotelier zeigen, wel
chen Appetit man sich in diesen Regio
nen holen kann."
abstiegen. Nun zeigte es sich von
Neuem, daß Robert Dahlen auch die
dem Aeronauten nothwendigen In
strumente zur Bestimmung seiner Lage
und der Richtung seines Fluges über
Bord geworfen hatte. Lange vertrö
stete mich Paul, meiner Bitte, hinab
zusteigen, Gehör zu schenken; schließ
lich aber kam es an den Tag, daß die
Ventilleine abgeschnitten war, wir
also nicht absteigen konnten, daß im
Gegentheil der Ballon immer weiter
fliegen. immer höher und höher steigen
höchsten Luftschichten platzen müsse.
„Und dann " schloß Paul mit grim
mem Lachen, „dann werden wir bald
auf der Erde zurück sein."
Damit war ab«r auch j«de Freude,
jedes Vergnügen an der Fahrt auf
einmal ertödtet. Auch das Gespräch
stockte. Langsam verstrichen die
Stunden, und unsere Leiden und
Qualen nahmen zu. Zuletzt entschloß
sich Paul, ein verzweifeltes Mittel zu
versuchen. Um was es sich eigentlich
handelte, wollte er mir nicht sagen; er
küßte mich nur zärtlich wie zum Ab
schied und befahl mir, mich auf den
Gond«lbogen niederzulegen und mir
das Gesicht mit seinem Rock warm
Er zog die Schuhe aus. und die
Gondel krachte und schwankte hin und
her, und plötzlich fühlte ich, daß er sie
verlassen. Wohl hatte er mir gesagt,
nicht unter seinem Rock hervorzusehen;
aber wie konnte ich ihm hierin gehor
chen? Ich schaute mich nach ihm um
und sah, wie er, einer Katze gleich,
an der gewölbten, harten Seite des
Ballons emporkletterte und sich mit
Händen und Füßen an dem den Bal
lon bedeckenden Netz festhielt.
Während er so emporkletterte,
neigte sich der Ballon nach der Seite,
wo er hing, so daß er sich nur mit
aller Mühe und Anstrengung mit Fin
gern und Zehen noch am Netze halten
konnte. Dennoch kroch er weiter, und
der Ballon legte sich immer mehr nach
der Seit«, als wolle er den Waghalsi
gen von sich abschütteln. Einmal ver
lor er auch den Halt mit den Füßen,
so daß die dünnen Scidensäd«n ihm
tief in's Fleisch der Finger schnitten.
Ich dachte schon, «r wäre verloren; es
schien unmöglich, daß er sich noch län
ger halten konnte, od«r daß das
schwache Netz zerreißen müßte. Da,
wo er es angefaßt hatte, hatte es sich
gelockert und sich von der Ballonhülle
entfernt, so daß er es mit den Füßen
trotz aller Anstrengungen nicht mehr
Aber während ich in ohnmächtiger
Todesangst jeder seiner Bewegungen
folgte, nahm der Ballon ganz all
mählich seine senkrechte Lage wieder
an, und als Paul dem Anschein nach
vollauf erschöpft war, erwischten seine
Füße das Netz wieder, und rasch schob
er die Arm« durch die Maschen und
biß mit seinen starken Zähnen in das
Seil, so daß er jedenfalls für den
Augenblick d«r allergrößten Gefahr
entronnen war. 801 l Erleichlerung
athin«te ich auf. und mein Auge suchte
Robert Dahlen; aber er war nicht im
Korb« nur seine Schuhe standen
am Boden. Er hatte die Gefahr, in
der Paul schwebte, erkannt und war
auf der anderen Seite des Ballons
emporgeklettert, um ihn wieder in's
Gleichgewicht zu bringen.
Aber der Ballon schien wie verhext
und spielte den Männern einen neuen
Streich; langsam neigte sich die große
Kugel auf die Seite unter dem Ge
wicht der Männer, die jetzt wie zwei
Körbe an den äußersten Rändern hin
gen. Für beide war jetzt di« Lage
gleich gefährlich; aber immerhin ge
stattete sie ihnen, sich etwas auszu
ruhen, während Paul dem anderen
Instruktionen zurief und ihn er
mahnte, langsam nach d«r Gondel zu
rückzukehren. Er selbst hatte im
Sinne, nach der obersten Spitze em
porzuklettern. um nach dem Ventil zu
sehen. Mir fi«l nun die Aufgabe zu,
das Gleichgewicht herzustellen, indem
ich, den Schwankungen des Ballons
folgend, bald nach rechts, bald nach
dies nothwendig war und es mir Paul
Dahlen zu: „Klettern Sie jetzt vorsich
tig in die Gondel hinab."
„Ich bin bereit," versetzte Robert.
„So gehen Sie!" befahl Paul.
„Langsam! Vorsichtig! Ruhig! Keine
Eile! In di« Mitte der Gondel! Ihr
beide! Und verhaltet Euch stille jetzt!"
Wir befolgten sein« Befehl« auf's
Wort, und als Robert neben mich
~Sehen Sie, Elsa, sehen Sie!" rief
Dahlen mir zu; und aus einer
„Gieb Acht! Gieb ja r«cht Acht!"
so-F h M t^
lon nach der Seite, und Paul hing
wieder an dem riesigen Gassack. D«r
Ballon drehte und wendete sich, als
wolle er sich Pauls Griffen entziehen;
aber dieser ließ nich» los. Nur war
di« Rückkehr in die Gondel nun um so
mit Schaudern und Entsetzen daran.
Jeden Augenblick schien mir, als ob
beide Männer ihr Leben verlieren und
ich die schreckliche Reise allein fortsetzen
müsse. Aber schließlich durfte ich die
Arme doch noch einmal um Pauls
Hals schlingen und Got' dafür dan
ken, daß er mir meinen Gatten wie
der zurückgegeben. Ob ich Robert
Dahlen so gedankt, wie ich es hätte
sollen, weiß ich nicht mehr. Heute
nur wünsche ich, mit meinen Dankes
woxten nicht gekargt zu haben. Aber
die Liebe zu Paul macht: mich damall
blind für jedes andere Gefühl.
Paul war ganz erschöpft und über
dies mit dem Resultat seiner Ansiren»
gungen nur halbwegs zufrieden.
„Hast Du das Ventil nicht in Ord
nung gebracht?" fragte ich ihn be
„Jch hatte keine Zeit dazu. Dah
len und ich müssen es noch einmal
Probiren."
„Aber wir fallen ja!"
„Wirluch?"
„Wir fallen rasch. Sieh, wie rasch
wir uns der Wolkenschicht unter uns
„Du hast recht! Wir fallen. Was
kann das nur bedeuten?"
Im nächsten Augenblick schon tauch
ten wir in einen dichten, weißen Ne
bel. der uns so durchnäßte, als ob
wir aus dem Wasser kämen. Plötz
lich füllte sich der Korb mit wirbeln
den Schneeflocken, so daß wir einan
der nicht mehr erblicken konnten und
fast erstickten. Und ach, die Kälte!
Sie schien uns den letzten Lebens
athem zu benehmen. Bor Schrecken
blieben wir stumm. Sprachlos hin
gen wir aneinander und erwarteten
das Ende. Es war klar, daß die
Seide einen Riß bekommen hatte,
vielleicht durch das Hinaufklettern der
beiden Männer. Ein Riß, der sich
mit jedem Augenblick erweitern konnte.
In wilder Flucht ging es durch Wind
und Schneewehen mit unheimlicher
Geschwindigkeit dahin. Wo würden
wir abstürzen? Die Erde konnte nicht
fern sein, aber durch den wirbelnden
Schnee konnten wir nick>ts unterschei
den. Wir sanken liefer und tiefer,
bis unsere Augen uns plötzlich
Eines mit erschreckender Gewißheit
meldeten: „Wir fallen in's Meer!"
Unter uns brauste und wogte und
tobte das Wasser, als erwarte es fein
Opfer. Also ertrinken! Nirgends
In schräger Richtung näherten wir
uns dem Meer. Der Wellenschaum
spritzte durch die Taue des Korbes,
und der Sturm trieb uns weiter.
Wir erblickten die Küste, hohe,
weiße Felsen! Schrecklich! Da war's
noch besser, in's Wasser zu fallen und
zu ertrinken, als an ihnen zu zerschel
len. Der Ballon flog über große
Felsblöcke hin, Schaum und Schnee
Plötzlich stößt Robert Dahlen keine
der Ballon schießt kerzengerade in die
spitze empor. Aber der Korb bleibt
spielen?
unförmlichen Leichnam.
Man hatte den zerschmetterten
Körper nach einem benachbarten Hof
ein Segel bedeckte. Mein Gatte stand
flüsterte:
„Eifa, ich glaube, daß Robert Dah
len uns gerettet hat. Hast Du jenen
daran waren, gegen die Felswand ge
schleudert zu werden?"
„Doch, Paul," antwortete ich
schluchzend; „und ich vermißte ihn so
fort, als der Ballon wieder stieg."
„Dann hast Du wohl auch die
Abschied zurief?"
„O ja! Rief er nicht: Ein Hoch
zeitsgeschenk für Elsa? Ein HochzeitS
geschenk!"
„Und dann?"
„Dann verließ er uns und rettete
uns das Leben!"
Chinesische Höflichkeit.
Ein chinesischer Redakteur kam in
die unangenehme Lage, einem Schrift
steller etwas zurückzusenden, und
schrieb dazu folgenden Begleitbrief:
„Wir haben Dein Manuskript mit
unendlichem Vergnügen gelesen. Bei
der heiligen Asche unserer Borsahrenl
wir haben nie ein so großartige!
Werk zu Gesicht bekommen. Aber
wenn wir es druckten, so würde Seine
Majestät, unser erhabenster und mäch
tigster Herrscher, Befehl geben, dieZ
Werk als Muster zu nehmen und
nichts Geringeres mehr zu drucken.
Da dies im Laufe des nächsten Jahr
tausends zu den Unmöglichkeiten ge
hören dürfte, so müssen wir zu un
serem größten Leidwesen das göttliche
Opus zurücksenden und bitten tau
sendmal um Verzeihung."
Das gute Weib.
Am Stammtische.
Der Doktor, kaum zwei Wochen ver
mählt.
Indem er sich entschuldigen läßt,
Er hätt' eine Neuralgie.
Alles drückt sein Bedauern aus
Der Förster nur meint g'rad':
„Merkwürdig, was das Weibervoll
Heute für Namen hat!"
Doppelsinnig.
Was, 100.(XX> Mark Schulden ha-
Oh — spielend!
Gut geeignet: A.: Wenn
ich nur wüßt', was ich meinen Aelte
sten lern' lass', der Bengel zeichnet
sehr gut. aber er ist farbenblind.
B: Farbenblind? FamoS! Da
Erfaßte Gelegenheit.
Witterung wird jetzt anhalten."
„Da nehmen Sie sich ein Beispiel
Beim Wort genommen.
Gnädige: Ach, Herr Doktor, ich bin
so nervös, schlafe schlecht, habe kei
nen Appetit. Was thue ich am be
sten dagegen? Arzt: Mehr ab-
Zeit für mich sei, dorthin abzurei-