Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, August 19, 1909, Image 7

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    Im Strudel der
Grobstadt.
Roman vo« lk. Sricketerg.
(13. Fortsetzung.)
Sie kehrt doch sofort heim nach
Charlottenburg? erkundigte er sich
dringlich, und erst als sie bejaht hatte,
schien er befriedigt, denn Soltei führt«
sein Weg nach der entgegengesetzten
Richtung. Und doch hatte er sich
geirrt, Soltei wartet« draußen auf
Anna Maria.
.Ich konnt« nicht gehen, ohne mich
wenigstens nach Ihrem Befinden er
kundigt zu haben, gnädiges Fräu-
Er ging lebhaft plaudernd an
Anna Marias Seite di« Straße hin
unter, dem Zoologischen Garten ent
gegen, und sie. die nicht wußte, wo
« wohnte, ließ sich ahnungslos seine
Begleitung gefallen. Ein Kamerad
Solteis begegnete ihnen. Er grüßte
und als er an ihnen vorüber war,
Ivandi« er sich verstohlen zurück. Don
nerwetter! Wo hatte der Soltei nun
wieder die Beanntschast dieser Schön
heit gemacht?"
Soltei merkte, daß der andere ihm
nachblickt«. Es verdroß ihn. Das
würde ja natürlich brühwarm unter
d«n Kameraden kolportirt werden, daß
man ihn mit einer neuen Bekannt
schaft getroffen. Es würde tombi
uirt und geforscht werden, und da er
nicht sicher war, um dies« Zeit noch
andere Kameraden oder Bekannte in
dieser Stadtgegend zu treffen, sah e»
«in, daß es besser war, sich zu verab
.Hossentlich treffen wir Hanni
morgen schon wesentlich besser," sagte
Anna Maria beim Lebewohl.
.Gnädiges Fräulein haben immer
Vormittags frei?" erkundigt« er sich
mit harmlos«! Miene, und ebenso
harmlos antwortete sie, daß ihr
Dienst wechsele, immer von 1 Uhr
Mittags bis wieder 1 Uhr Mittags
angesetzt sei, und «in Tag Dienst mit
einem freien Tag wechsele. Morgen
hätte sie zum Beispiel am Nachmittag
frei. Sie reichte ihm diesmal nur di«
Fingerspitzen, es lag überhaupt etwas
Zages, Unfreies in ihrem Wesen.
Am anderen Tage erschien er am
Nachmittag bei Hans. Er kam früh,
d«nn er wollte Anna Maria nicht
verfehlen.
Hans hatte viel« Zeichen der Theil
nahme erhalten. Seine Kameraden
waren persönlich erschienen, um Er
kundigungen einzuziehen, und die
Frau Pastor hatte vollauf zu thun
gehabt, allen Bescheid zu geben, denn
sehen durst« Hans Niemand.
Von Olympia war «in rührendes
Briefchen angelangt, auch ihre Mutter
hatte ihre Karte beigefügt: Frau de
Pontmartin, n6k> Baronesse de Bel
fort, stand darauf also wirtlich
«ine adlig« Familie. Auch Blumen
trafen ein, darunter von der Gräfin
rangement. Das hatte Hans, trotz
dem es stark duftete, durchaus an
seinem Bett behalten wollen. Er ließ
nicht die Augen davon, liebkoste es
förmlich mit seinen Blicken. Plötzlich
entdeckte er, zwischen den Orchideen
ganz verborgen, «ine einzelne halb
geöffnete zartrosa Rose, die in das
«anze nicht hinein paßte. Ein freu
diges Erschrecken überflog sein Ge
sicht. Er zog die Rose vorsichtig her
aus. Ihr Stiel war durch ein Stück
chen Kartonpapier gesteckt und darauf
stand: „Möchten Sie recht bald gene
sen!" Die Unterschrift fehlte und
ihn, aber es kränkte ihn auch zu glei
cher Zeit. Es lag ein Mißtrauen
gegen ihn darin. Als er nicht c?l-
Mene verrieth, daß er ein besonderes
Interesse für sie hegte.
Heute durfte Hans schon Gesell
schaft und Unterhaltung haben. So
wußte das Gespräch zu führen, daß
Aufregendes dem Krankn ferngehal
ten würd«.
AIZ d«r Arzt kam, mußten sich
Anna Maria und Soltei ins Neben
zimmer zurückziehen, und wieder är
gerte sich Soltei. weil Hans erst ver
sucht hatte, ihn bei sich zu behalten.
Sie saßen sich im Salon gegen,
über, Soltei noch immer in der er
zwungenen reservirten Haltung, die
ihm Pein bereitete und unwürdig er
schien, di« aber dazu beitrug, Anna
Mari.i!- Verlegenheit in seiner Se»
aenwart zu zerstreuen.
Sie erzählte ihm glückstrahlend,
daß sie eine Karte von Fräulein vom
Berg erhalten habe, auch die Frau
Gräfin hätte einen Gruß gesandt,
und die Damen hätten sehr liebens
würdig um Auskunft über Hannii
Befinden gebeten. Sie wolle es aber
Hann! noch nicht sagen, damit er sich
nicht aufrege. Es sei doch so gütig
von einer so hochstehenden Dame, wie
der Frau Gräsin, so zwanglos freund
lich zu ihr zu sein, als ob sie ihres
„Das sind Sie auch, gnädiges
Fräulein," rief Soltei, den Druck ab
schüttelnd, in aufsprühender Lebhaf
tigkeit. „Wahrhaft vornehme Men
schen wissen, daß der Charalter den
Werth des Menschen bestimmt und
nicht der Name."
.So denken Sie, Herr Baron
und, wenn ich ehrlich sein will, ich
auch. Ich halte mich darum nicht
fache Bürgerliche bin. Bor Gott sind
wir ja doch alle gleich. Aber es giebt
viele, die ein großes Gewicht auf
solche Äußerlichkeiten legen ... Sie
nennen mich zum Beispiel stets gnä
diges Fräulein ich habe darauf
kaum geachtet, es ist nun einmal die
heutig« Umgangsform unter gebilde
ten Leuten, mag sie an sich auch noch
so dumm sein. Aber Mutter meint,
die Frau Gräfin könnte doch am
Ende Anstoß daran nehmen, wenn
Sie mich, die Tochter ihrer Spitzen
lieferantin, ebenso anreden, wie ihre
eigene Nichte ... Ich möcht« Sie des
halb bitten, «s ferner nicht zu thun."
Ei lachte ainüsirt hell auf. „Das
würden wir der Frau Gräfin sehr
rasch abgewöhnen! Aber wie soll
ich Sie denn nennen, gnädiges Fräu
lein? ... Sie sehen, es kommt mir
ganz von selber über di« Lippen
vielleicht Fräulein Anna Maria?"
„Oh nein!" protestirte sie er
schrocken. „Was würde die Welt da
von denken! Sie wissen ja doch,
wi« ich heiße."
Er sah sie an, ruhig und fest, aber
mit einem Blick, der ihr in die Seele
„Wenn ich eine poetische Ader b«-
fäße, würde ich «inen wunderschönen
Namen erdenken für Sie ganz allein,
mit dem noch keine Frau vor Ihnen
Er hörte, daß der Arzt ging. Da
raffte er sich zusammen.
„Uebrigens akzeptire ich das „Fräu
lein Seidelmann" gern an Stelle von:
gerückt.' '
„Ich muß jetzt nach Hause eilen,"
erklärte sie hastig. „Mutter hat mir
daß ich überhaupt komme, meinte es
könnte Anstoß vor den Leuten eregen
aber das kann ich nicht emsehen!
die Pflegerin. Nein, solchen Eng- !
Herzigkeiten der Welt füge ich mich
einfach nicht. "
Sie hob mit einer Gebärde aller
liebsten Trotzes den Kopf. Wie hin
reißend schön sie wieder in diesem
s hauen, nicht Zeit zum Sprechen.
Das nahm sie für eine Mißbilligung.
Er theilte wohl also ihrer Mutter
... vielleicht auch
„Ich wünschte, Sie zählten mich
auch zu Ihren Freunden, Fräulein
Anna Maria."
Es durchrieselte ihren Körper ein Ge
fühl von Angst und Seligkeit.
„Hannis Freunde sind auch mir
Während die Mutter noch mit dem
Arzt im Borzimmer sprach, schlüpfte
Anna Maria verstohlen noch einmal
tras.
alten Zeiten nicht mehr so sehr."
Es klang bitter, er hörte es. und
es that ihm weh, aber «r durste es
sich nicht merken lassen.
findet."
— sti/ sie hastig,
Botschaft von der Gräfin und
Fräulein vom Berg u-,d ließ ihn mit
Itnem Heizen voll Glück und Sehn
sucht zurück.
Am nächsten Tage konnte die Frau
Pastor ohne Bedenken wieder in di«
eigen« Häuslichkeit zurückkehren. HanS
von Orthmanns Wunden heilten nor
mal, Komplikationen hatten sich nicht
eingestellt, zum.Manöver würde «r
wieder völlig hergestellt sein.
Sobald er aufstehen konnte, schrieb
er an die Gräfin Anastasia einen
Dankbrief, der sehr launig ausfiel
und der Gräfin viel Vergnügen be
reitete. „Er scheint Humor zu be
sitzen," sagt« sie zu Dorette, „solche
Menschen liebe ich."
Es klang noch etwas anderes als
Humor aus den Zeilen, doch das
hörte die Gräfin nicht heraus. Do
rette ging mit seltsam verträumten
Augen und einem weichen Zug im
Gesicht umher. Er hatte sich ihr zwar
nur etikettegemäß empfehlen lassen,
aber sie wußte, der ganze Brief war
eigentlich an si« allein gerichtet. Dazu
stand auf Anna Marias Karte an si«
«in eigenhändiger Gruß von ihm. Es
war merkwürdig, wie häufig sich die
beiden jungen Mädchen in der Folge
etwas mitzutheilen hatten.
XVII.
Soltei war mit Anna Maria nicht
wieder zusammengetrosfen, seitdem di«
Frau Paswr HanS von Orihmann
verlassen hatte, ja er hörte nicht ein
mal von ihr, denn allen s«inen dies
bezüglichen Anspielungen setzte Hans
ein hartnäckiges Schweigen entgegen.
sen; was er zu thun und zu lassen
hatte, wußte er allein.
Und eines Tages macht« er der
Frau Pastor einen Besuch in ihrer
Wohnung, um persönlich einen
Spitzenschal zum Geschenk siir seine
Muiter zu bestellen: . . ein Auftrag,
der der Frau Pastor ersichtlich viel
Freude bereitet«, sie aber nicht bewe
gen konnte, den Herrn Baron zum
Bleiben aufzufordern, oder ihm auch
nur so viel familiäre Freundlichkeit
zu gestatten, daß er ihre Tochter be
grüßen durfte.
Anna Maria war daheim, er hörte
sie im Nebenzimmer. Sein Herz
klopfte voll Erwartung. Er zog die
so weit hinaus wie irgend
möglich, hatte immer wieder etwas zu
fragen, zu berathen, er fieberte zuletzt
vor Ungeduld. Endlich mußte er ge
hen, ohn« daß sein Wunsch erfüllt
worden wäre.
Gut, so mußt« er sich auf and«re
Weise helfen.
Die Zeit, da das Regiment zum
Manöver ausrücken sollte, kam im
mer näher. Hans begrüßte sie mit
Freuden. Er war jetzt wieder der
Alte, voll Leben und Thatkraft, jede
Abwechslung ihm willkommen, die
helfen konnte, die Z«it bis zur Rück
kehr der Gräfin Anastasia zu kürzen.
Soltei dagegen erschien verdrossen,
was so wenig zu seinem Charakter
paßte, daß «'s Hans nothgedrungen
auffallen mußte. Sie hatten die Rol
len getauscht. Jetzt war er es, der
d«n Freund mit Sorgen betrachtete.
Auch Anna Maria gefiel ihm nicht,
i-ie hatte ein blasses Gesicht und einen
Ausdruck geheimen Kummers im
Auge. Bon ihrem Verlobten sprach
sie nie mehr zu ihm. Fragt« er sie,
so wich sie aus. Es machte ihm den
Eindruck, als ob sie die freiwillig
übernommene Pflicht, für die sie An
fangs so begeistert eingetreten war,
bereits als eine Bürde empfand.
Eines Mittags, als Anna Maria
aus d«m Di«nst kam. traf sie vor dem
Amt mit Soltei zusammen.
Als er sie anredete, zuckte sie zu
sammen und blickte verwirr! zu ihm
auf. So sieht man den ersten besten
Bekannten bei einem zufälligen Zu
sammentreffen nicht an. Sein Herz
schlug erregt, aber er hatte sich in der
Gewalt, begrüßte sie mit einem so
gut geheuchelten freudigen Staunen,
daß Anna Maria ihr anfängliches
Mißtrauen und ihre Befangenheit
„Das nenne ich einen freudigen Zu
fall, der mir dies unverhofft« Wi
dersetzen mit Ihnen bescheert hat,
Fräulein Seidelmann. Hier also sind
Sie beschäftigt?" Er nahm mit
freundlichem Druck ihre Hand, gab
si« aber sofort wieder frei. „Ich
glaubte, Ihr Amt läge in Berlin."
Und er berichtete unaufgefordert, daß
fein Schneide: in dieser Gegend
Krumme Straße wohne und «r
nothgedrungen wegen einer Nachliefe
rung ins Manöver persönlich mit ihm
sprechen müsse, sich aber, wie er
glaube, in d«m ihm unbekannten
Staditheil verlaufen habe. Sie er
bot sich gern, ihm den Weg zu zeigen.
So gingen sie nebeneinander her,
zwei schön«, elegante, rassige Gestal
ten. die den Vorübergehenden ausfie
gegrllßt. Es war die Zeit des Dienst
wechsels, in d«r eine ganze Anzahl
Kollegen und Kolleginnen sich gleich
ihr auf dem W«ge vom oder zum Amt
befanden. Sie dankte harmlos freund
lich, desto lästiger waren Soltei diese
Grüße.
Er sah die neugierigen, erstaunt
musternden Blicke und sie zu
an der Seite eines Offiziers, und in
ganz vertrautem Gefpröch da
würde natürlich ebenso gemuthmaßt
und kombinirt »verden. wie unter sei
nen Kame-aden.. Daß er aber auch
daran nicht aedacht hatte!
Unter diesen Ihn beengenden und
unsicher machenden Erwägungen vil
li«/ da« Zusammensein lange nicht so
gemUthlich wie er erhofft hatte. Unv
als sie, viel rascher, als ihm lieb war,
dk Krumm« Straße erreicht hatten,
verabschiedete sich Solt«i nothgedrun
gen, wenn auch mit innerem Wider
streben.
Ob er hoffen dürfe, di« Damen
S«id«lmann vor dem Ausrücken inS
Manöver noch einmal zu sehen? fragte
er. Vielleicht könnte man sich mit
HanS wieder in der Kunstausstellung
treffen er würde sich herzlich
freuen.
Anna Maria war blaß, und die
Antwort schien ihr schwer zu werden.
„Dai wird kaum möglich sein,
Herr Baron. Mutter geht sehr selten
aus, und augenblicklich hat sie beson
ders viel zu thun, um Ihre und d«r
Frau Gräfin Aufträge recht bald
auszuführen."
„Dann muß ich ja bedauern, den
Auftrag ertheilt zu haben," sagte er
lachend. .Aber mir fällt «ben ein, «s
wird doch nöthig sein, mich einmal
nach dem Autfall deS Musters zu er
kundigen ... Meinen Sie nicht auch,
Fräulein Seidelmann?"
Jetzt war er wieder der alte.
Neckisch blitzte er sie mit feinen über
müthigen Augen an, daß ihr langsam
daS Blut ins Gesicht stieg.
.Addio, Fräulein Anna Maria
auf Wiedersehen also!"
Anna Maria hatte in ihrer naiuen
Ehrlichkeit ihrer Mutter natürlich die
Begegnung mit Soltei nicht verschwie
gen. Sie selber faßt« sie ganz harm
los auf. Die Mutter aber schien daS
nicht unbedingt zu thun, denn sie mu
sterte die Tochter mit einem Blick,
unter dem Anna Maria, ohne zu wis
sen warum, erröthete.
Gesprochen wurde nicht weiter von
der Angelegenheit zwischen den beiden
Frauen, aber als Hans von Orth
mann am Abend bei ihnen erschien,
benutzte die Frau Pastor eine kurze
Abwesenheit Anna Marias, um Hans
zu sagen, daß sie es lieber sähe, der
Herr Baron von Soltei wähle künftig
Hans war erschrocken und ärgerlich
zugleich.
Das hatte er dem Freund« nicht
zugetraut, daß er sich eine solche
gelinde gesagt Unvorsichtigkeit
Anna Maria gegenüber würde zu
Schulden kommen lassen.
WaS dachte er sich eigentlich bei
seinem Benehmen? Als Hans sich
für das .kleine Gesellschaftsfräulein"
int«ressiri und gemerkt hatte, daß er
nicht mehr von ihm lassen konnte,
sequenzen aus seinen Annäherungs
versuchen ihm gegenüber zu ziehen.
Würde er die arme Subalternbeamtin
zur Frau Baronin Soltei machen
wollen, falls der Verkehr mit chm
ihrem Ruf schaden sollte?
di- Rollen getauscht, ich werde mit so
viel Würde stillhalten, wie dereinst
du."
schied!"
zu stürzen du aber nimmst die
Sache sehr leicht, triffst Anna Maria
Seidelmann am hellen Mittag auf
.Klüger wäre es allerdings gewe
sen, Civil zu dem Zusammentreffen
anzulegen, wie seinerzeit mein viel-
ch des- l.ig bei mi- an
weißt das ganz genau und kannst
jederzeit ossen im H«use der Mutier
Anna Maria« vorsprechen, wenn du
berechtigten Grund dazu zu haben
glaubst. Uebrigens weißt du s»
gut wie ich, daß ich damals ebenfalls
nicht korrett gehandelt und schwer
darunter gelitten habe. Deshalb kann
«s mir auch nicht einfallen, dir eine
.Standpauke" zu halten. Ich will
als dein bester Freund nur dasselbe
thun, was du als mein bester Freund
in jener Zeit gethan hast: dich war
nen."
Soltei schob die Cigarre in den
Mundwinkel, zwinkert« Hans wieder
an und sagte:
.Ich erkenne deinen guten Willen
an und bin dir dankbar, aber ....
mtinst du nicht, daß es einer War
nung eigentlich nicht bedarf, wo es
sich, wie du überzeugt bist, nur um
«in« „Schwärmerei", also einen kleinen
Flirt, handelt?"
ch«n di« schlimmsten Ungelegenheiten
Jetzt legte Soltei plötzlich die Ci
garre weg, richtete sich energisch auf
und sagt« in aufsprühendem Zorn:
„Willst du damit andeuten, daß ich
weniger als du geneigt sein
meine Pflicht an einem jungen Mäd
chen zu erfüllen, das durch mich in
Unannehmlichkeiten gestürzt ist?"
„Wahrhaftig nicht! Daß ich das
nicht denke, weißt du selber ganz gut.
Aber das Schlimmste ist, du wirst
nicht imstande sein, Unvorsichtigkeiten
«ut zu machen, denn Anna Maria
Seidelmann ist verlobt."
Soltei fuhr sichtlich zusammen,
seine Augen irrten unsicher, rathloS
über den Freund. Dann lehnte er
sich in den Sessel zurück, sah starr
vor sich hin und sagte zwischen den
Zähnen:
„Als Fr«und hättest du mir daS
vielleicht ein wenig eher sagen kön
„Nein, Alexander! Ich begehe selbst
heut noch eine Indiskretion, indem ich
es thue, aber ich sehe, :s ist nothwen
dig, um Klarheit zwischen euch zu
schaffen. Die Mutter Anno Marias
weiß noch nicht einmal um di« vollen
dete Thatsache der Verlobung ihrer
Tochter. Anna Marias Bräutigam
ist Beamter. Sie waren beide auf
demselben Postamt beschäftigt, und
sicher ahnen oder wissen die Kollegen
dort um die Verlobung Du wirst
dir also denken können, wie es auf
gefallen sein inuß, Fräulein Seidel
mann an der Seite eines Offiziers
vom Dienst nach Hause gehen zu
sehen."
„Ich bitte dich, höre auf!" wehrte
Soltei nervös ab. ,Jch kann mir
das andere ungefähr allein ausma-
XVIII.
Hans fühlte die Pflicht, nun end
lich Olympia den versprochenen Be
such im Wintergarten zu machen. An
sich war ihm diese Pflicht lästig und
unangenehm. Der Gedanke, di« zart«,
ein Unbehagen. Er empfand eine
herzlich« Sympathie für die Kleine
und war im Voraus daß er
als kosti^-
richtet und liber fit hinweg b« Sil?
berdraht gespannt. Die Brü«ie, von
der aus sie das Seil betreten seilte,
war mit purpurrothem Sammt über
zogen. Alle Geräthe, die sie zu ihren
Produktionen benöthiqte, waren ele
gant, proper und von ganz besonderer
Nettigkeit.
Zuletzt ließ man noch en, Trapez
und ein paar Schweberinge von der
Decke herab, die an beiden Seiten der
Bühne in schwindelnder Höhe sich
schaukelten. Si« arbeitete also auch
Han! hatte bisher bei dm tollkühn
sten Artistenkünsten noch niemals auch
nur die mindeste Unruhe verspürt.
Die Leute waren auf ihr« Arbeit ein
gedrillt, und wenn sie sich in gefähr
liche Wagnisse einließen, so war das
ihre eigene Sache. Heute aber mach
ten ihn schon allein die Vorbereitun
gen zu Olympias Auftreten nervös.
Das zierliche Geschöpf sollte da oben
auf dem dünnen aufgespannten
Drahtfaden mit Stühlen, Kugeln und
Missern Hantiren und am schwebenden
Reck athletische Kraftkistungen zum
Besten geben! Das arme Ding!
lichen Empfinden denken.
Aber in diesem Augenblick kam das
.arme Ding' schon auf die Bühne
gehüpft, nein geflogen, wie ein vom
Wind hereingewehtes purpurrcthes
Blütenblatt, machte zur Rechten, zur
Linken und jetzt geradeaus zu ihm
mit einem Aufleuchten ihrer Mülh
ausen «inen zierlichen Knicks, warf
graziöse Kußhände und schwebte, von
einem befrackten Herrn leicht gestützt,
zu ihrem luftigen Sitz empor. Keck,
flot., übermüthig, ein rechter kleiner
Teufel, erschien sie in dem feuerrothen
Trikot. War dies lebensprühende
Geschöpf wirklich «in „armes Ding"?
Hans lachte sich selber aus.
Sie lief mit der Gewandtheit einer
Katze auf dem Seil, ihre Fußsohlen
schienen an ihm zu kleben. ES lag
eine solche absolute vertrauenerwecken
de Sicherheit in allen ihren Bewe
gungen, daß HanS sich erleichtert sagte:
Der passirt nichts um die brauchst
du nicht zu sorgen.
Sie machte eine Pause. Ein rau
schender Applaus ergoß sich über sie,
und sie dankte strahlend. Dann ruhte
sie. die B«in- leicht iibereinanderge
schlagen, auf der sammtnen Brücke,
und während sie mit einem Tüchlein
Stirn und Hände trocknete, zuckte ihr
Blick mit seltsam starrem Ausdruck
nach der Loge hinüber, in d«r Stein
rücker saß. Er hatte jetzt der Bühne
den Rücken zugewandt und plauderte
mit einem Herrn. Sein Interesse an
Olympia schien also nicht groß zu
sein.
Forschend sah Hans zu ihr hinauf.
Ihr Blick hatte ein unbehagliches Em
pfinden in ihm geweckt, aber die Klein«
blickte schon wieder mit so strahlendem
Lächeln ins Publikum, theilte so
übermüthig Kußhände aus, daß Hans
erleichtert aufathm«te.
herunter vom Seil, und ehe man ihr«
Absicht errathen konnte, saß sie schon
oben auf dem Trapez und wiegte sich
anmuthig, um dann mit derselben
Sicherheit und Flottheit ihre Wellen
Schaukel hoch über den Köpfen deS
Publikums auszuführen. Jetzt kam
die geschmeidige weiche Grazi« ihrer
Bewegungen, das Rassig« ihrer gan
zen Art zu noch besserer Geltung.
Man sah einen feuerrothen Schmet
terling da oben in der Luft, seinem
Element, gaukeln, fliegen, sich wiegen;
aber Hans gerieth doch mehr und
mehr in eine zitternd« innere Unruhe.
Es lag etwas forcirt Tollkühnes in
ihrem Auftreten. Er meinte bei sich,
sie fordere das Schicksal ja förmlich
Plötzlich hörte die Musik auf zu
spielen. Eine erwartungsvolle Stille
lagerte üb«r dem großen, von Men
schen dicht besetzten Saal, eine Stille,
die von «iner schwülen elektrischen
Spannung erfüllt zu sein schien.
Man ahnt«, daß sich etwas vorberei
tete, etwas Großes, Gefährliches,
Neroenangreifendes. Ein« bange, er
regte Neugierde überkommt in solchen
Augenblicken den Zuschauer, er
möchte die Augen schließen, um durch
die Wimpern doch verstohlen und
scharf zu lugen, damit ihm nur ja
nichts entgeht. Das Herz begann
Hans in der aufregenden Erwartung
zu schlagen. Was hatte sie vor?
Sie saß ausruhend, athemschöpfend
auf dem Trapez, schaukelte sich sacht
hin und her, blickte dabei mit be-
Süßlichkeit des bekannten Bllhnen
lächelns hatte, auf das Publikum
herab, grüßte, Hans meinte, ganz be-
Kein Netz war unter ihm aufge
spannt, keine sonstige Vorsichtsmaß
regel getroffen, als daß der befrackte
Herr auf der Bühne sta id und, wäh
rend «r sich den Anfchei" der Sorg
losigteit gab, alle Bewegungen de»
rothen Schmetterlings mit der schärf
sten Aufmerksamkeit verfolgt«.
(Fortsetzung folgt.)
Air die Küche.
Ungarischer Schmorbra
ten. 5—6 Pfund altschlachtenes
Rindfletsch (Oberschale) werden, naH<
dem sie gut geklopft und gespickt sind,
in Pint Wasser mit Speckscheiben,
Wurzelwerk, einigen Schalotten, et
wa» Gewürz, Lorbeerblättern und
einigen Citronenscheiben gedämpft.
Fängt das Fleisch an, braun zu wer
den, stäubt man einen Löffel voll
Mehl darllber und gießt nach und
nach ein« halbe Flasche leichten Roth
wein dazu. Zuletzt seiht man die
Sauce durch, vermischt sie mit einem
gehäuften Löffel voll geriebenen
Meerrettich und einem Weinglas voll
Nngarwein und dämpft das Rind
fleisch noch ein Weilchen in der Sauce.
Man reicht geröstete Kartoffeln zu
dem Fleisch.
Reisauflauf mit Kalb»
fl e i sch s ch n i tten. Uebrig geblie
bener Kalbsbraten wird in Scheiben
geschnitten. Von Butter und Mehl
wird eine weiße Schwitze geröstet und
mit Fleischbrühe und Weißwein zu
mtt zwei Eigelb legirt. Carolina-
Reis wird gewaschen, blanchirt mit
Fleischbrühe und etwas Butter lang
sam weich gelocht und in «ine Schüs
sel geschüttet. Wenn er halb erkaltet,
werden einige Löffel der Sauce dazu
gegeben und der geschlagen« Schnee
von fünf Eiweiß darunter gezogen.
Den Boden einer ausgebutterten
Auflaufform füllt man mit Reis
maffe, gibt darauf die Kalbfleisch
schnittchen sowie einen Theil der wei
ßen Sauce und obenauf den Rest der
Reismasse. Man bestreut sie mit Sem
melbröseln, streut Butterstiicke darllber
und backt den Auflauf etwa dreißig
Minuten im heißen Ofen. Den Rest
Filetschnitt«n auf unga
risch« Art. Man schneidet von
einem gut abgehängten Filet finger
starte Scheiben, klopft sie und spickt
sie auf einer Seite mit einigen feineir
Speckstreifen. Die ungespickte Seit«
taucht man in Mehl, legt sie in die
Pfanne in heiß gemachte Butter, deckt
sie zu, läßt sie 3 Minuten anbraten,
bestreut sie mit Salz und einer Mes
serspitze Paprika, läßt sie unzuged-ckt'
weiterbraten und wendet sie um.
Wenn die Filetschnitten gar und auf
b«id«n Seikn braun sind, nimmt
man sie heraus, verkocht die Bratbut
ter mit etwas saurer Sahne, schmeckt
die Sauce ab und gießt sie ilber di«
heiß gestellten Schnitten.
Flammeri von Reis. Man
blanchirt V? Pfund Reis mit sieden
dem Wasser und kocht ihn dann lang
sam eine halbe Stunde in 1 Pint
Milch, in welche man ein Fünftel
Pfund Zucker und V« Pfund Butter,
etwas Citronenschale oder Vanille ge
geben hat, weich. Wenn er beinahe
weich ist, fügt man ein« Messerspitze
Salz, nach Belieben auch >/« Pfund
fein gestoßene, süße Mandeln nebst
einigen bitteren hinzu und füllt die
Masse in «ine zuvor in kaltes Was
ser getaucht- Form, füllt zuerst -ine
Lage von dem Reis, bestreut denselben
mit 4 bis S gestoßenen Makronen,
süßen und bitteren, legt darauf wie
der eine Schicht Reis und fährt s
fort, bis die Form gerüttelt voll ist.
Dann läßt man ihn üb«r Nacht im
Keller erstarren, verziert ihn nach dem
Ausstürz-n mit Fruchtgelee und ser
virt ihn mit Obstsauce.
Risotto. In einem irdenen
Tops läßt man V« Pfund gewässerte»
Rindermark und Pfund Butter
vergehen und röstet darin Pfun»
blanchirten Reis 10 Minuten. Dann
wird das Ganze mit einer Prise Sa
fran schön gelb '«färbt, man füllt 1
Quart helle Brühe oder Wass-r auf
und läßt den Reis In kurzer Zeit
weichlochen, daß er saftig und glän
zend wird, aber körnig bleibt. Er
wird in Schichten, zwischen d!« man
geriebenen Käse und gedünstete Pilze
legt, bergartig angericht«, und mit
einem Kranz Pilze umgeben.
Tomatenfleisch. 2 Psunl»
Rindfleisch aui der Keule wird ent
sehnt und in Würfel geschnitten. In
heiße Butter gibt man eine groß«,
feingeschnittene Zwiebel, dann daZ
Fleisch, brät es auf allen Seiten an
und streut Salz darllber. Vi«r bis
fünf große, abgewischte, aufgebrochene
Tomaten oder ebensoviel Eßlöffel To
matenpüree und zwei Eßlöffel Mehl
werden dazugegeben, dann brät man
alles noch einmal durch, füllt kochend«
Flüssigkeit auf und läßt es im fest
verschlossenen Topf ga. dämpfen.
Eine Stunde vor dem Anrichten gibt
man IV2 Pfunt kleine, rund ge
schält« Kartoffeln hinzu, die beim An
richten auf runder, tiefer Schüssel an
den Rand geschoben werde,-.
Frikassee von Champig
nons. Gleichmäßige, schön geputzt«
Champignons werden in Stücke ge
schnitten, gewaschen, zum Abtropfen
auf ein Sieb gelegt und in zerlasse
ner Butter einige Minuten auf gelin
dem Feuer gedunstet, dazu fugt man
einen Löffel Mehl, ein Slraußchen
Petersilie, ein wenig Salz und et
was weißen Pfeffer und etwa«
Fleisch- oder Hühnerbri-h«, läßt si«
eine Viertelstunde leise lochen, schmeckt
ab und legirt ganz lurz vor dein
Seroiren die Sauce mit 2 L Ei-