Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, July 01, 1909, Image 7

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    Im Strubel der
Grstzftabt.
Roman von E. Krickebcrg.
(6. Fortsetzung.)
»Anna-Maria, ich danke Ihnen von
ligen Freund so gütig aufnehmen.'
Er hielt ihre beiden Hände und sah
ihr herzlich in das erregie Gesicht, in
dem ihn auch die Augen strahlend
Es war ein zarte!, blasses, schma
le? Gesicht unter dunkelbraunem
schlichtgescheitelten Haar, das in na
türlichen Wellen die Stirn umrahmte
und dessen üppige Füll« kaum zu bän
digen war. Eine zierliche Adlernase
mit feinen nervösen Flügeln und «in
ebenso nervöser Mund gaben ihm et
was Rassiges, und auS großen, stn
nirenden haselnußbraunen Augen
blickte, ein inniges Gemüth. Anna-
Maria Seidelmann besaß einc hochge
wachsene «ltgant« Figur, aber von
derselben Zartheit wi« ihr Gesicht. Ue
ber der ganzen Person lag etwas
Feines, Nervöses, Apartes, der Stem
pel eines reichen Innenlebens und see
lischer Vornehmheit.
Hans fand, daß die einstige Spiel
gefährtin in der Zeit, seitdem er sie
nicht gesehen hatte, noch schöner ge
worden wäre, und daS war eigentlich
verwunderlich, denn Anna-Maria be
fand sich bereits in der Mitte der
Zwanzig, ein Alter, in dem sich bei
jungen Mädechn die ersten Spuren
des Verblühen» bemerkbar zu machen
pflegen.
„Wie sollte ich einen so alten lieben
Freund anders aufnehmen, als von
Herzen erfreut, Herr von Orthmann."
„Warum nicht gar : Herr von Orth
mann! ,Hanni' heiß ich nach wie
vor!"
Die Frau Pastor kam mit dem
Ausdruck froher Ueberraschung aus
einer Zimmerthür geeilt, hinter d«r
es polterte und rumorte.
„Albrecht hat vor lauter Freude sei
nen Bücherstände! umgerissen." er
klärte die Mutte lächelnd. Si« kam
mit ausgestreckten Händen aus Hans
zu, dessen letzte Worte sie^ehört^hatte.
Daraufhin muß ich Sie erst einmal
anschauen... Ija freilich! 's ist noch
der alt« Hann! von Orthmann."
„Aeußerlich und innerlich." versi
cherte er, „wenn er Ihnen auch treu
los erschienen sein mag."
Sie schüttelte lächelnd den Kopf,
während sie ihn noch immer musterte.
Frau Seidelmann glich ihrer Toch
ter überraschend. Dieselbe hohe statt
liche Figur bei beiden, nur kräftiger
und voller bei der Mutter entwickelt,
derselbe vornehme Schnitt des Ge
sichts, die Züge nur bestimmter, ener
gischer ausgeprägt b«i der älteren
Frau. Ihr Haar war bereits silber
grau und eine ruhige Heiterkeit, etwas
so Liebes, Mütterliches lag über ihr
ganzes Wesen gebreitet.
Albrecht, der junge „stud. tbeol.,"
war noch eifrig dabei, die angerichtete
Unordnung zu beseitigen, als Mutter
und Schwester den unverhofften Gast
ins Zimmer führten. Da ließ er alles
im Stich und kam mit dem Ungeschick
seines Alters, das noch nicht vollkom
men Herr über die langausgeschossenen
Glieder des eigenen Körpers ist, über
die Bücher an der Erde voltigirt, um
Hans zu begrüßen.
Er war voll« zehn Jahre jünger
als dieser, aber Hans von Orthmann
' war ehedem der bewunderte und lei
denschaftlich geliebte Held des kleinen
Pastorjungen gewesen, und die Ver
hält«in in die Speisekammervorrä
the? Ich versichere Sie, oaß ich heut
noch besser Posten stehen werde, als
daß ich Sie zum Stibitzen angehalten
habe?" lachte Hans. „Aber was
für ein langer Mensch aus dem
Knirps von damals geworden ist."
jetzt keine Zeit mehr für uns hat. aber
ich kenne die Welt zu gut, um Ihnen
einen Borwurf daraus zu machen.
Sphäre wie wir, und da ist's ganz
selbstverständlich, daß unsere Wege
uns allmählich mehr und mehr aus-
Er mußte von feiner Mutter be
richten und sie erzählten von ihrem
Ergehen. Sie lebten zwar recht be
nicht gewohnt und wünschten sich auch
gar nichts Besseres. Anna-Maria wä
re etwas angegriffen, die Stellung
als Telephonistin sei doch anstrengend,
aber wenn sie auch nicht eine beson
ders robuste Gesundheit besitze, so sei
kräftig. Sie hoffe e» durchzuhalten.
Albrecht müsse fleißig Stunden geben
und sie, die Mutter sie erhalte
ersten Geschäften... Freilich, mehr
Privatkundschaft wäre ihr ja lieber,
die zahlte besser, aber wenn eine alte
Frau, die zu sonst nichts mehr nütze
duf der Welt fei, noch täglich andert
halb bis zwei Mari durch ihrer Hän
de Arbeit verdienen könne, so dürfe
.So ist sie nun," fegte Anna-Ma-
Blick auf die Mutter. „Sie arbeitet
vom frühen Morgen bis in die tiefe
Nacht, und wirklich künstlerisch schöne
Sachen, und empfindet es noch als
eine besondere Vergünstigung, daß sie
dafür ganze zwei Mark im Tage ver
dient. — Nun, Sie kennen ja Mutter,
Hanni!"
Sie stand auf, um den Kaffeetisch
zu besorgen. Leise ging sie ab und zu.
In ihrem hellen Sommerkleide, mit
ihren weichen Bewegungen glitt sie
wie ein Lichtstrahl durch das Zimimr.
von Ihnen selber erzählt, Hans,"
sagte die Frau Pastor endlich. Anna-
Maria blieb lauschend stehen.
»Ja, Hanni, beichten Sie."
„Da gibt es nicht viel zu erzählen.
Das alte Lied! Dienst, nicht übermäßig
viel, aber genügend die Mahlzeiten
und dann und wann ein Abend im
Kasino dazwischen ein Konzert- oder
Theaterbesuch die vorschriftsmäßi
gen Visiten und Empkänge bei den
Oberen na, und dann —"
„Dann erzählt man auch nicht alles
in Gegenwart von Damen," fiel der
Studiosus verständnißinnig ein.
rief die Mutter.
„Na ja, Mutterchen wenn man
sich zum Beispiel einmal in Gesellschaft
der Kommilitonen einen kleinen
Schwips holt."
„Das darf man ruhig gestehen, das
verargt einem so jungen Menschen eine
vernünftige Mutier nicht —"
Hans lachte. „Wohl dem, der sich
noch rückhaltlos aus dem Vollen heraus
amüsiren kann ich wollte dafür ge-n
selbst einen Kater in den Kauf neh
men."
„Das klingt ja ganz elegisch,
Hanni!"
„Man wird alt, Anna-Maria."
Sie lachten alle. Dann faßte die
Frau Pastor nach seiner linken Hand.
„Zeigen Sie einmal, sind Sie eigentlich
schon verlobt?"
„Nun, Mütterchen, das würde er
uns doch wenigstens angezeigt hab-n,
wenn er auch somi in allen Sprachen
geschwjsgen hat," rief Anna-Maria.
„Wenn ich überhaupt je heirathe,
dann sicher nicht so bald."
Sie wollten ihn wieder auslachen,
necken, aber es hatte so ernst geklungen,
viel zu gewichtig für die Veranlassung.
Anna - Maria wars ihm einen prüfen
den Blick zu. Die Mutter' wechselte
rasch O'Z Them.-i. Sie wollte um die
Welt nicht indiskret sein. Nach einer
kleinen Weite stand sie auf.
„Jetzt will ich uns schnell zum Kaf
fee Sahnenwaffeln backen, die Sie so
gern essen, Hans. In einer halben
Stunde sind sie fertig. Anna-Maria
wird Ihnen inzwischen Gesellschaft lei
sten. Du aber, mein Herr Sohn, mußt
in's Kolleg es ist Zeit!"
Albrecht fand es im höchsten Grade
heimtückisch vom Geschick, ihn ange
sichts der Waffeln in's „feindliche Le
ben" hinauszutreiben. Er verhandelte
eifrig mit seiner Mutter und ging nicht
eher, als bis sie ihm versprochen hatte,
ein halbes Dutzend für ihn aufzuheben.
An der Wichtigkeit, mit der er diese
Leckerbissenangelegenheit behandelte,
sah man, wie harmlos jung er noch
war.
„Es ist ein weiter Weg bis zur
Universität," bemerkte Hans.
„Ja, leider aber Albrechts Stun
denschüler wohnen alle hier in der
Hern Außerdem kann Mutter sich auch
nicht dazu entschließen, die Wohnung
auszugeben, die wir nun schon so lange
wi'. in Berlin sind, innehaben," sagte
Anna - Maria. „Mutter ist eine so
treue und beständige Natur, selbst für
ein« Miethswohnung hegt sie Anhänz-
-f, "k h , g, d
daß Äie sie auch mir bewahrt haben."
Das klang wieder so ernst, fast
schwermüthig, daß Anna - Maria un
willkürlich sagt«:
„Sie schiinen nicht lauter Glück in
Sonntag Im Leben ist nun, ohn« d?«
Werktage wurden wir die Feiertage
zar nicht zu.würdigen wissen."
Anna - Maria legte ihm die Hand
auf den Arm und sagte ruhig und
freundlich:
.Quälen Sie fich doch nicht, Hanni,
sich und mir etwas vorzureden! Wir
wcsen, daß wir uns im Reden wie im
Schweigen verstanden haben. Wenn
ich «ine schmerzende Stelle Ihre? Ge
müths berührt hab«, verzeihen Sie
mir."
Er faßte ihre Hand mit innigem
Druck und hielt sie fest. Tief sah er
„Anna . Maria, wie ist'S möglich,
daß Sie bis heute noch lein Mann un
löslich für's Leben an sich gefesselt hat?
Sind denn meine Geschlechtsgenos
sen blind oder unklug? Wenn icki
vor einem Vierteljahr noch gesehen hät
te, wie Sie jetzt sind, Anna - Maria,
dann hätte ich nicht mehr von Ihnen
lassen können, das weiß ich gewiß
dann wären Sie jetzt mein."
Sie war tief erröthet und löste ihre
Hand auS der seinen.
von Herzen svgen- Gott sei Dank, daß
eZ nicht so gekimnnn ist. U'be-l?gen
Ei« nur, in welch schlimme Lage wir
adlige Offizier in der bevorzugten ge
sellschaftlichen Stellung! Es würde
unser beider Unglück gewesen sein,
wenn wir uns lieben gelernt hätten."
Sie sagte es tiefernst, ohne eine
Spur von Koketterie oder Prüderie,
Gesicht.
„Ich verstehe Sie, Anna - Maria,
und ich muß Ihnen recht geben. Ich
fort:
geordneter Stellung seinen Lebensun
terhalt verdient? Ja, ist es nicht ge
rad« eine besondere Ehre, ein Beweis
sei, herabsetzen, eine solche Frau zum
Weibe zu nehmen? Nein, dai ist kein
Vorzug, sondern vielmehr eine
ab. Anna - Maria folgte ihm mit den
stand. gss j i Ef '
war es nicht Ihre Art. so pessimistisch
zu Philosophiren."
„Man wird alt. Anna . Maria, ich
habe es Ihnen schon einmal gesagt,
und die Philosophie ist eine Wissen
schaft für Leute im beschaulichen Al
ter."
„Nun, die Beschaulichkeit scheint bei
Ihnen doch recht lebhafter Art zu
fein."
S» lachte leise auf. Dann fuhr sie,
wieder ernst werdend, in schwesterlich
zütiqem Tone fort:
„Geben Sie sich kein« Mühe, Hanni,
wir haben niemals Verstecken mit-
«Inander gespielt, und daS ist unserer
auch gar nicht würdig. Ich hab«
Ihnen sofort angemerkt, daß Sit nicht
der Alte sind, wenn Mutter Sie auch
äußerlich unverändert findet. Sie ha
ben etwa« Ruheloses an sich sehen
spiel niemals mit den Schultern ge
zuckt, wie eben jetzt. Es quält Sie et
was. Sie möchten es sich auch von der
Seele reden, sind vielleicht eben gerade
darum zu den alten Freunden gtkom
einander verbunden gewesen ist, wie
wir. Da will ich Ihnen Muth ma
chen und zuerst von mir erzählen."
stehlich anziehende Person bin, die Sie
in Ihrer freundschaftlichen Verblen
dung gern auS mir machen möchten, so
können aber erstens halte ich eS sür
meine Pflicht, der Mutter beizustehen,
so lang«, bis Albrecht sein selbständiges
Brot hat, und dann befand sich unter
Stunden überall genossen, viele Frauen
lennen gelernt. Ihr Gesichtskreis hat
sich in jeder Beziehung ausgedehnt und
die Jugendzeit ist für Sie nichts weiter,
als eine angenehme Episode Ihres, wie
Sie selbst sagen, ganz angenehm ver
laufenen Daseins. Mir in meiner klei
nen Welt aber ist bis jetzt noch die Ver
gangenheit alles. Im Elternhause habe
ich mein« glücklichsten Tage verlebt,
und da ich so wenig Neues sehe und
hör«, und daS, was ich wirklich kennen
lerne, gewöhnlich nicht besser ist cli
das, was ich kannte, an
Hann! nicht heranreichte. Ich danke
Ihnen heute von Herzen, Hans, daß
Sie sich solange fern von uns hielten,
denn auch ich weiß gewiß, ich würde
Hangens und Bangens bei uns gewe
sen wären. Jetzt sind wir beide ge
feit dagegen."
Sie machte eine Pause. Ihre Augen
blickten schwärmerisch weich, um ihren
Mund lag ein verträumtes Lächeln.
Er betrachtete sie mit einem Blick der
Liebe und Sehnsucht.
Wie schön sie war, wie fein und
und wie lieb dabei. Warum hat-
Maria sein nennen zu dürfen?
Als sie fortgesetzt schwieg, zog er ihre
Hand sacht an die Lippen. Da er
rta, es macht mich froh und traurig zu
gleicher Zeit."
„O nein, freuen sollte es Sie, Hanni,
gluckli
chung unseres Herzenswunsches war
ten, und da würde Mutter sich fort
während mit Vorwürfen Plagen, daß
meine Jugend vergehen soll, ehe ich zu
meinem Glück komme. Mein Ver
war mit warmem Roth übergössen.
„Anna - Maria, ich wünsch« Ihnen
Glück von ganzem, ganzem Herzen!"
Hans preßte ihre Hände und sah ihr in
die Augen. Die innere Bewegung
übermannte ihn. „Ich lasse Sie ihm
nicht gern," brachte er hervor, „darum
verzeihen Sie di. Frage, ist er
Ihrer auch würdig? Ich bin eifersüch
tig! Der Gedanke, daß ein Mann Sie
in seinen Armen soll halten und her-
>en und küssen dürfen, ist mir ganz
widerwärtig."
.Pfui, HanS, schämen Sie sich —"
»Ja, Anna . Maria, ein idealer
Mensch bin ich nicht, da« müssen Sie
doch wissen." Er lachte auf, aber «S
Nanz gezwungen. „Ich habe sehr irdi
sche Ansichten vom Glück der Lieb« und
Ehe und finde es zum Beispiel ganz
selbstverständlich, daß ein Bräutigam
seine Braut herzt und küßt. Wenn
Vorzug Ihres Besitzes nicht hoch genug
zu schätzen weiß, Anna - Maria, dann
soll er nicht den Blick zu Ihnen er-
Sie ließ ihn nicht zu Ende reden,
stolz richtete sie sich auf.
.Ich meine, es müßte Ihnen genü
gen, Hans, daß ich ihn liebe."
Zweifelnd wiegte er den Kopf. »Sie
besitzen die Fähigkeit, das, was Sie
lieben, in verklärtem Licht zu sehen,
Anna . Maria, außerdem hegen Sie so
ideale Ansichten von Menschenpflicht
und Nächstenliebe, daß Sie auch ohne
Rücksicht auf daS eigene Glück imstande
sein würden, ihr Leben eine n anderen
zu widmen, wenn Sie glauben, ihn da
mit glücklich machen zu können. Ich
frage auch nicht, ob er ein braver und
tüchtiger Mensch ist, denn einem ande
ren würden Sie niemals angehören
wollen, aber ob Sie in Ihren Ansichten,
Ihrem Temperament, überhaupt in
Ihrem Seelenleben übereinstimmen,
das ist eine andere Sache. Sie können
beide in ihrer Art die vorzüglichsten
Menschen sein und doch sehr unglücklich
Im Zusammenleben miteinander wer-
Ei war, als ob ein nachdenklich trü
ber Ausdruck in ihren Augen auftauch
te. Gleich darauf aber hob sie ener
gisch den Kops.
„Meine Mutter hat dieselben Ge
danken, das will ich,Jhnen ehrlich ein
gestehen, aber ich hoffe daS Beste."
„Werde ich ihn nicht wenigstens ein
mal zu sehen bekommen?"
„Bor der Hand nicht, er ist nach
außerhalb versetzt."
Sie brach kurz und bestimmt ab.
„Nun aber beichten Sie."
Als die Frau Pastor mit den
knusprigen Waffeln hereinkam, wußte
Anna - Maria, was Hans von Orth»
manns Herz bedrückte, und daß er sich
im Gegensatz zu ihr keinen beseligenden
Zukunftshoffnungen hingeben durfte.
Er hatte ihr keine Namen genannt und
sie keine indiskrete Frage gestellt, aber
und ihm mit festem Druck die Hand
gereicht.
„Kommen Sie zu uns, Hanni, so^oft
Sie verstand ihn nicht sogleich.
„Nun, „ihm" und der Welt gegen
über."
Da war wieder die stolze Abwehr.
„Die Welt geht mich nichts an, und
ein Vertrauen, das immer neuer Be
weise bedarf, hat keinen Werth für
mich."
IX.
ibn nun das Gefühl des VerlassenseinS
Damen zu einem Spaziergange ab,
was dann jedesmal ein Festtag für sie
Eines Tages hatte Hans Mutter
Ausstellungspark geführt. Als sie
nach der Besichtigung der ausgestellten
Kunstwerke im Restaurant Bauer sa
ßen und das Geschaute besprachen, ent
stand eine Differenz über ein Bild zwi
schen Anna - Maria und Hans, und die
Mutter trieb sie lachend von dannen,
damit sie den Streit an Ort und Stelle
durch den Augenschein schlichteten.
Bei der Debatte vor dem Bild« schob
Hans im Eifer, Anna - Maria zu sei
ner Meinung zu belehren, seinen Arm
durch den ihren.
In diesem Augenblick ging Soltei
„Huit!" Er blieb iiberrasckit stehen
und pfiff durch die Zähne. „Da sehe
einer diesen Duckmäuser!"
Doch halt! «in Gedanke kreuzte
plötzlich seinen Kopf und erfüllte ihn
mit Unbehagen, ja erschreckte ihn ge
radezu.
hängiger Lebensstellung, aus achtbarer
Familie und selber hochanständig.
und dazu Ortbmann ein so peinlich ge
wissenhafter Mensch das konnte ja
eine schöne Geschichte geben.
Soltei besaß die Diskretion der
Wohlerzogenheit in hohem Grade, aber
hier stand für Hans doch so viel auf
dem Spiel, daß es einfach seine Freun
despflicht war, sich um die Sache zu
Einen Augenblick darauf hatte «r es
„naerichtet, daß er von Hans gesehen
bin in Begleitung einer mir
sehr werthen Familie aus ler Htimath
jier und «S würde mir «in« aufrichtig« !
gewähren, Si«, meinen besten
Freund, mit meiner besten Freundin
bekannt zu machen."
Gleich darauf blickte Solt«i nicht
in di« g«fürchteten blauen, sondern in
tin Paar «rnst«r tiefer brauner Augen
und er athmet« unwilllürlich erleichtert
lwf.
freundschaftlicher Weife miteinander,
aber er hatte sich in letzter Zeit so viel
mit Orthmanns Herzensangelegenhei
wollten, lud Hans d«n Freund ein,
ihnen Gesellschaft zu leisten.
Soltei nahm es gern an, die Sache
schickt zu verbergen wußten.
Auch die Mutter erweckte mit ihrer
feinfühligen und gütigen Art sofort
Solteis Interesse und Sympathie. Sie
begrüßte ihn mit einer herzlichen, unge.
selbstverständlichen Würd« d«r Ma
trone, als den Freund ihres jungen
Freundes Orthmann.
ihrem Tische saß und sich offenbar sehr
wohl dabei fühlte, freute sie, aber es
schmeichelte ihr nicht besonders.
Diesen b«id«n Frauen wohnt ein
tadelloser Schick inne, mußte Soltei
anerkennend denken. Sit haben bis
vor kurzer Zeit auf dem Land« in ein
fachsten Verhältnissen gelebt, und man
könnte sie getrost bei Hofe einführen,
sie würden sich vollkommen korrekt be
nehmen. Aber das kann nicht gelernt
werden, das ist angeborener Takt.
Sie sprachen von den Kunstwerken
der Ausstellung und Soltei war er
staunt über daS fein- und treffende
Urtheil Anna - Marias und die origi
nelle Art, mit der sie es oft aussprach.
So kritisiren konnte nach seiner
Meinung nur ein selber ausübender
Künstler. Er c. vähnte daS im Laufe
der Unterhaltung, aber Anna - Maria
wehrte lächelnd ab.
„Sie irren, Herr Bcron, ich urtheile
nur als Laie, lediglich nach meinem
Gefühl, ick, male nicht. Als Kind
habe ich Vergnügen am Zeichnen ge
funden, aber niemals ein besonderes
Talent dafür besessen."
.Sie haben wohl nur nicht Oelegen
heit gehabt. eS auSzubil>-n. mein gnä
diges Fräulein. Auf dem Lande —"
Sie schüttelte energisch dt.i Kopf.
.Hann! hatte di- besten Lehrer, und
ich habe Theil an seinem Unterricht ge
habt. Nein, ich bin ganz und gar
unbegabt für die schönen Künste lei
der, denn ich schütze sie sehr hoch."
Das Gespräch gestaltete sich sehr
als fein gebildet und fllr Bestre
interefsirt. AI« man auf Theater und
Musik zu sprechen kam, bekannte d!:
Frau Pastor: .Wir können da leider
wenig mitreden. Unsere bescheidenen
Verhältnisse gestatten uns häufig
da« theure Vergnügen ein ? Theater-
KonzertbesucheS. aber wir verfol
gen allerdings sehr eifrig, was die Zei
tungen darüber bringen, um doch
Die Werke selber zu studiren. fehlt es
uns zu unserem großen Bedauern ge
wöhnlich an der Zeit."
«iner zwar betrüb!' sen. aber unver
meidlichen Thatsache berichtet
schlicht, wahrheitsgemäß, ohne alle fal
sche Scham, aber auch ohne die Koket
(Forisetzuiz folgt.)
Für »ir Küche.
Kalbszunge. Die gewaschene
Kalbszunge wird mit laltem Wasser.
Salz, etwas Weißwein und Suppen»
sam eineinhalb bis zwei Stunden ge
locht. Man kann Gerste, Hafer oder
Reis mitkochen, oder die Zunge mit
Fleisch in der Fleischbrühe sieden. Die
noch heiß geschält« Zunge wird in
dünne Scheiben geschnitten, auf einer
Leberreissupp«. Zu einem
halben Pfund fein gehackter Kalbs
leber werden fünf Eßlöffel Mehl und
überftreüt zu Tisch gegeben.
Nierenschnittchen. In But
ter gedämpfte Kalbsnieren werden
fein gehackt, in Butter geschwitzt, mit
Kalbsbratensauce, weißem Pfeffer
und Citronensaft vermengt, zu einer
Butter geröstete Brotschnitten gestri»
streut, mit Butter beträufelt und bei
guter Oberhitze goldbraun gebacken.
Kraftgelee für Kraule.
Man schneidet 1 Pfund rohes, von
Fett und Knochen befreites Rind
fleisch in lleine Würfel und thut sie
in eine ganz rein« Champagnerflasche,
ohne das Geringste von Wasser oder
anderer Flüssigkeit. Dies« Flasche,
schwach vertortt, thut man in «inen
Topf mit Wasser und locht so daS
Fleisch sechs Stunden lang. Ferner
halte man einen anderen Tops mit
lochendem Wasser stets vorräthig, um
das verdampfende Wasser, in welchem
die Flasche steht, ergänzen zu können.
Ten» nähme man kaltes Wasser zum
Zugießen und es käme dadurch daS
sog. Marienbad einen Augenblick aus
dem Sieden, so liefe das Fleisch in
eine blutig«, roth« Lach« zusammen.
Hält man aber den Topf sechs Stun
den lang ununterbrochen kochend, so
läßt sich eine ganz hellgelb«, klare
Flüssigkeit, die nur eine Kaffeetasse
füllt, abgießen, der man bloß daZ
nöthige Salz zusetzt. Das ist das
echte Kraftgelee, ein wahres Stär
kungs- und Kraftmittel für Kranke.
Lenden - Beefsteak. Rinds-
Lendenbraten wird gut gehäutet und
geklopft, dann in Scheiben von d?r
Dicke eines Fingers geschnitten. Pfef
fer, Salz, kleingewiegter Schnittlauch
daran gethan und die Beefsteaks 1
Stunde lang in Oel (feinstes Pro
venceröl) gelegt. Dann wird ein gu
tes Stück Butter und Zwiebeln in
einer Pfanne h«iß gemacht und das
Fleisch nur 4—5 Minuten lang von
j«der Seit« darin aufgekocht. Marr
Glas- Torte. Man schlägt
drei Eiweiße zu festem Schn«, ver
rührt ihn dann mit Vz Pfund Zucker
ein« Stunde lang und mischt hierauf
rasch 2>/z Unzen seines Mehl hinzu,
dann streicht man den Teig auf ein
aebuttertes Tortenblech, bestreut die
Torte mit 2 Unzen geschnittenen
Mandeln und bäckt si« bei sehr gelin
der Ofenwärme.
Hammelkeule mit Madei
rasauce. Eine noch ganz frische
Hammelkeule wird abgehäutet, ge
klopft, vom Fett befreit und gespickt,
worauf man ein in reinem Wasser aus
gewaschenes Tuch in Estragon - Essig
taucht, fest um die Keule hüllt und sel
bixe so in einem kühlen Raume S
Tage aufhängt und das Tuch immer
wieder frisch mit Essig anfeuchtet. Nach
Verlauf dieser Zeit brät man die Keult
in reichlich Butter und giebt eine Ma
deirasauce dazu. Diese Sauce schmeckt
folgendermaßen zubereitet sehr
gut. Etwas in Butter gelblich ge
machtes Mehl verkocht man mit zwei
Gläsern Madeira und der entfetteten
Hammelsauce, dann reibt man etwas
Zwiebel und Citronenschale daran und
fügt eine Prise Zucker, Cayennepfeffer
und etwas Citronensaft hinzu.
Buchweizen - Klöße. Man
schwemmt Pfund recht gute Buch
weizengrütze mit kaltem Wasser ab,
rührt sie, nachdem das Wasser durch
ein Sieb klar abgegossen ist, in
Quart kochende Milch ein und läßt sie
ein Weilchen über gelindem Feuer da
mit kochen, aber nicht ganz weich quel
len. Dann schüttet man den Brei aus
und läßt ihn vollständig auskühlen.
Pfund Butter rührt man in einem
Napf mit der Reibleule zu Sahne,
mischt nach und nach unter fortgesetz
tem Rühren 3 Eidotter, eine kleine
Prise Salz, löffelweise die erlaltete
Grütze und den steisgeschlaqenen
Schnee der Eiweiß dazu, sticht von dem
Teig mit einem Löffel längliche Klöße
ab, giebt sie in schwach gesalzenes sie
dendes Wasser, läßt sie gar lochen (man
kocht zuerst einen Probelloß, um die
Zeit der Kochdauer festzustellen),
nimmt sie mit dem Schaumlöffel auf
eine erwärmte Schüssel und reicht sie
entweder mit brauner Butter oder mit
gedünstetem Dörrobst oder Pflaumen
mussauce. Wer die Klöße süß liebt,
kann natürlich Zucker zu dem Teig ge»