Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, November 19, 1908, Image 6

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    Tiawante» ««d Perlen.
Er hatte die schöneFrau zum ersten
mal gesehen, als sie, in tiefe Trauer
gekleidet, in der schwarzen Gondel an
»bm vorbeiglitt. Ein müder, gleich
gültiger Blick ihrer dunkln Augen
streifte ihn so traurig und stumpf
inmitten der hellen Sonne Venezias.
Vielleicht war es eben dieser
schmerzliche Kontrast, der seine Ge
danke« zwang, sich immer wieder mit
dieser Begegnung zu beschäftigen. Er
neigte von Natur zum Grübeln; seine
Familie und seine Freunde nannien
es „einen krankhaften Hang", und nun
meldete sich plötzlich dieser krankhafte
Hang gerade in einem Moment, wo er
5o voll Freude gewesen, so voll
Wonne, so so glücklich wie
nur Jemand sein kann, der, seinen
lästigen Amtsgeschäften entronnen, in
derauscht vom Glänze des Himmels,
das olympische Stadium des „Nicht
denkens" genießt.
Er hatte so gar nichts gedacht, als
«r in seiner Gondel lehnte, nur mecha
nisch die Cigareite an die Lippen
führte und nach oben starrte, körper
lich hinschmelzend in dem weichen,
sanften Gleiten des Fahrzeugs, das,
von einem Ruder mild gestoßen, über
die stillen, grünen, gleichmüthigen
Finthen des Kanals schoß, vorbei an
den schweigenden, sagenreichen Palä
sten soweit sie noch nicht moderne
Hotels geworden der offenen La
gune zu, die weiß und matt unter der
goldströmenden Sonne lag ...
Nun aber war ihm, alz seien die
schwarzen Augen mit ihrem traurigen
Ausdruck fortwährend neben ihm.
ten sie, in sein Herz hineinzublicken.
Sie wußten wohl, daß sie dort viel
Verwandtes fanden.
Aber still! Nicht doch! Er wolw
das überhaupt nicht mehr denken!
Sieh wie das flache Wasser glänzt,
jetzt hellgrün mrt bläulichen und rosa
Lasuren. Wie eine große Scheibe
Perlmutter! Wie schön die großen
Segler leuchten mit ihren zuversichtlich
gespreiteten Leinenflügeln. So stolz
und vornehm im Vergleich mit jenem
hurtig haftenden Dampferchen, das
schmutzigen Oualm ausstößt, als
woll« es die heilige Sonne beleidigen.
So wie der Segler sollte die Seele
des Menschen sein, rein leuchtend,
gut das that. Wie das Herz stille
brennender Sonne, die schwere Reflex«
iiber den Wasserspiegel breitete.
Graue Pfähle wie Spargelbunde rag-
Jnsel. Rhythmisch, mit dem Takt
des Ruders hob und senkte sich di«
schwarze elastisch« Gestalt des Gondo
liere hoch aus dem Heck der Barke, die
sah nach der Uhr. Aha, Mittag!
die den Reichthum und die der
Welt einst zu ihren Füßen sah.
Aber als Pietro Capuro bei der
Er wußte und sagte sich's auch klar,
daß in dieser Beharrlichkeit seines Ge
dankens wieder etwas Krankhaftes
lag. Ihn reizte nicht die schöne Frau,
ihn reizte das Geheimniß ihres um
florten, stumpfen, lebensabgewendeten
Blickes. Seine Phantasie schuf ein
düsteres Drama, in das er die Unbe
kannte stellte. Und seine Seele lechzte
nach dem Genuß einer unversöhnlichen
Tragik, wie der kranke Körper oft
nach einem zerstörend,»! Gift lechzt.
Nun war Pietro Capuro Gast bei
einem Freunde, Luigi Salani, einem
fröhlichen Genußmenschen, den Pietro
seine „Medizin" nannte. Denn im
mer, wenn tr seinem „trankhasten
Hang" zu erliegen vrohte, nahm er
Urlaub und fuhr nach Venedig zu
Luigi Salani, und der sorgte dafür,
daß der „krankhafte Hang" wenigstens
zeitweise eingeschränkt wurde, und ge
lang das auch nur während der Tafel
stunden.
Denn Luigi war ein Lebenskünstler
und Gourmand. Er hielt sich einen
vorzüglichen Koch, obwohl er nicht so
reich war. daß er sich diesen Luxus als
etwas Selbst-erständliches hätte lei
sten lönnin; ja er mußte sogar dieses
Luxus' wegen auf manchen anderen
Komfort verzichten. So versagte er
sich jede Sommerreise. Er verwöhnte
samkeiten und las nur eine einzige
Zeitung zu Centesimi die tägliche
lich war. Aber er hatte schöne, g«-!
pflegte Hände und rasirte sich täglich
wohlige Schlaffheit, und
er sagte sich: „Der Pessimismus ist
zwecklos! ... Man sollte wirklich
nur leben, um zu genießen! Freund
Luigi ist wirtlich im Recht!"
Meistens sank bereits die Sonne,
wenn man noch bei der Cigarre und
dem Kaffee saß. Die Fensterläden
wurden ausgestoßen, aber die Gardi
grau karirt, die braunen Glanzleder-!
schuhe hell spiegelnd, das Strohhllt
chen elegant in der Stirn, die bunte
Blume aus der Vase gewäblt und voll
Akkuratesse in's Knopfloch gesteckt.
So! Pronto!
Pietro säuberte sich pflichtschuldigst
spritzchen auf der hellen Weste fiel
glücklicherweise in's phantastische Far
benspiel modischen Musterung.
kusplatz zur Musik. Luigi Sa
allen Ausgaben jenseits der Küchen
schwelle. »
Der schöne große Musiksaal, von
der Caf«?s voller Menschen? Menschen^
leise mitflötete, dann wußte man:
„Aha, Mascagni Cavalleria ...
—' bl k A
zeln
Gelegenheit, die sich lohnen würde!
Hast du Lust, zu heirathen? Sie ist
Wittwe, und ihr armer Gatte, mein
"eber Freund Silvio, hat seine Schul
digkeit gethan und sein Weibchen in
nständigem Wohlstand hinterlassen,
man nennt sie reich! Aber sie
«ich stets gestört. Das legt Pflichten
iuf, weißt du, und ich frage mich als
Epikuräer, der ich bin: Warum soll
Platte Realitäten hatte er da als Lohn
für seine Schwatzhaftigkeit. Eine
reiche Wittwe ein Spekulations
objekt pfui.
Luigi gähnte jetzt so laut, daß es
von den Prowratien widerhallte. Und
cagni und Verdi sind verstummt
wir!"
In den engen Straßen war noch
reges, aber kein lautes Leben. Vor
nehm und Gering zwängte sich rau
chend oder Fächer schwingend aneinan
der vorbei. Dazwischen schlüpften die
kleinen, zierlichen Mädchen des Vol
kes in ihren langen, schwarzen Fran
sentüchern. Die schmalen, dunkeln
Kanäle klatschten mit schwarzen Wo«
die Treppen, wenn eine Gondel laut
los mit ihrem stillen Licht daherkam.
Pietro aber verspürte Lust, eine
sam, dem Meere zu wie los
gelöst von allem Irdischen, versinkend
! in die große, erlösende Wonne völligen
Alleinseins ... Da aber fühlte er,
daß das heute für ihn gefährlich fein
Andern Tags beim Mittagessen er
öffnete Luigi Salani feinem Freunde
mit heiterem Antlih:
Signora Carolina kennen zu lernen!"
erwiderte Pietro endlich. „Vollends
nicht fühle ich mich gedrängt, für ihre
ihn auch gern als Gast, wie er über
haupt gern Gäste hatte, vorausgesetzt,
daß diese seinen Koch überaus
ten bereiteten. Fast ebenso empfind
lich wie in Bezug auf seinen Koch,
war Luigi aber auch bezüglich seiner
Freunde, die er seiner Empfehlung
werth hielt. Und nun kränkte es ihn
außerordentlich, daß Pietro die Dame,
die er selbst schätzte, so respektlos ab
tha^j^
zwei rundlichen Speckfalten im Nacken
gravitätisch betonte. Und bitter, fast
giftig kam es von seinen rothen Lip-
Dame meine Voreiligkeit gestehen zu
Lieber! Du weißt —" Pietrol
nußbraune Augen irrten ängstlich um
her ,i chbin kein Gesellschasts-
Gesellschästsmensch bist du nicht, lei
der! Das ist überhaupt die Ursach«
deiner Schwermuth! Du lebst da mit
deiner alten Mama und deiner kran
ken Schwester, plagst dich für deren
Unterhalt und erübrigst fast nichts
Du solltest heirathen, eine reiche
Frau! Könntest deine Familie ver
sorgen, ohne daß du selbst darunter
leidest, und genießt selbst dein Leben,
wie es sich gehört. Du bist ein hüb
scher. braver Junge, erst sechsund-
Jahre alt, die Welt steht dir
Gräte aus den tadellosen Zähnen
schnalzend, klingelte der Hausherr
und ließ das in Marsala gedünstete
Kalbfleisch austragen.
Pietro antwortete keine Silbe.
Ohne zuzulangen, saß er da, das
hübsche Gesicht ganz starr und bleich,
als habe er ein Gespenst gesehen ...
ner Persönlichkeit erheben. Das be
deutete täglich gutes Essen, eine Som«
merreise, Kinder in weißen Spitzen
! Freunde Das bedeutete aber auch
- das Gespenst selbst, immer da, Tag
und Nacht an seiner Seite, so nah',
! daß das Gefühl dieser Nähe seine
> Brust zusammenpreßte und er sein
?n'einem innttNch-n^Schmerz^b
> und stöhnte, um Luig?s besorgte Fra
> gen zu beschwichtigen: „Es ist blos
ein asthmatischer Anfall ... Es geht
> der, mein Junge! Knöpfe doch den
Kragen los so! Und etwas Essig
an die Schläfen ... So! Ach und
kalt'"
raffte sich Pietro auf und kam wieder
an den Tisch. Aber alles ekelte ihn
tischem Anfall", und er kam zu dem
allerdings falschen Schlüsse:
„Er hat gewiß eine unpraktische
Brücke.
Müde und gleichgültig ruhte ihr Blick
1 Pietro.
fort ein lebhaftes Interesse in Pielro
Reichthum stieg ihm zu Kopf. Gut,
daß ihn der Herrgott zeitig zu sich
nahm, wir könnten sonst alle von
Aus dem Blick, den die Alte nach
! weniger sckiin als lebhaft. Das älte
ste war schon zehn Jahre.alt. Die
Kinder führten eigentlich die Unter
haltung, die sich um Schmuck drehte,
denn die Tochter de» Besuchs hatte
neue Ohrringe. Signora Carolina«
Netteste, Gina, verglich min Ihre
Ohrringe mit denen der Freundin
Elen«, und Gina stellte mit Genug
thuung fest, daß ihre Brillanten grö
ßer waren als'die der Freundin. Ein
bewußter, eitler Wettkampf blitzte aus
den Augen der kleinen Mädchen, und
die Erwachsenen lächelten verständ
alles um die Größe und die Anzahl
der Edelsteine drehen. Es waren ja
Venezianerinnen!
Da bat Gina:
.„Bitte, Mama, zeige uns deine Ju
welen!"
Oder sagte sie „Freuden?" Denn
sie sagte „Bioje", und das heißt so-
Auch die anderen baten, und Luigi,
der der Hausfrau Komplimente
machte, ohne auch nur ein Lächeln zu
lebt hat!"
„Rechnen Sie I>ie drei Früchte sei
ner Ehe für nichts?" scherzte der Be
such. Signora Carolina aber ging
und kam bald mit einer Kasette zu
rück, deren Inhalt einen Theil des
Tisches bedeckte.
Königliches Geschmeide breitete sich
da aus. Diamanten und Perlen in
schimmernder Pracht, Gold und bunte
Edelsteine.
nisten groß geworden, gec eth in wach
sendes Erstaunen. Obgleich er nichts
sagte, mochte die Hausfrau seine Ge
danken merken.' Sie kam zu ihm
und machte ihn bescheidener Weife auf
die seltene Schönheit zweier großer,
bleigrauer Perlen aufmerksam, die
Ohrglocken bildeten.
„Wie gut müssen sie zu Ihrem
blonden Haar Passen, Signora!" sagte
Pietro erschrak aber gleichzeitig
über seine Kühnheit.
ließ sich aber neben ihm auf einem
Sessel nieder und schüttete ein Käst
chen mit Ringen in ihrem Schooße
aus, um die schönste» herauszusuchen.
Die Kinder drängten sich um sie.
Und es war ein gedankenreiches Bild,
wie die kleinen Mädchen mit funkeln
den Augen die gleißenden Schätze be
m Trauer so nichtachtend durchwühlte.
Da sagte die Alte in den jubelnden
Eifer der Kinder herein: „Wißt ihr
denn aber auch, woher die Perlen und
die Wittibe achselzuckend, und es schien
Pietro. als wende sie ihr Gesicht ab.
Als Pietro Medaillon schnell
var kein feiner Mensch ganz Im
Gegentheil und ich verdenke es der
sollte sich doch höher stellen! Ich
nicht! Macht nichts! Venedig hat
wen! Halten wir Umschau!"
Pietro schwieg. Er trieb aber die
ganze Nacht draußen auf den einsa
rt be
sam stirbt wenn man sie nicht
rechtzeitig heilt.
Und sollten Luigis Rezepte nicht
Nevelschaiten.
Das Brockengespenst, dasein frühe
suchungen der Wissenschaft heute den
Reiz des Unerklärlichen, des Dämo
nenhaften verloren. Früher packte den
einsamen Wanderer ein jähes Grausen,
Haftes Gespenst im Nebel auftauchen
sah, das bald größer, bald kleiner
eigener Schatten, der bei bestimmten
Belichtungsverhältnissen entsteht. Pro
fessor Richarz hat dieses Naturphäno
men studirt und die Bedingungen an-
Schatten im Nebel sieht, läßt sich an
darstellen und beobachten, wenn die
Nebel bis an die Fenster eines freiste
henden, möglichst hochgelegenen Gebäu
hältnisse.
<?in japanischer Richterspruch
Bekanntlich werden in Japan ge
wisse Thier« für heilig gehalten, und
es ist bei Todesstrafe verboten, solch«
zu tödten. Zu jenen Thieren gehören
Chopin diese Art Ausbeutung duich
Abfütterung aefügig gemachter Künst
ler gründlich haßte, wählte er das
tig?" Worauf Chopin treuherzig er
widerte: „Gnädige Frau, ich hab« ja so
wenig gtgessen!"
Ersatz. Verehrer (betrüb«, zu
richtungen ansehen."
Ironie. »Gestern Abend sind
ja Spitzbuben im Dorfe eingebrochen,
wo denn?" .Beim Nachtwächter!"
! Angepaßt. Herr: .WaS
sind Sie?" Bewerber: „Herrschafts
tutscher; gegenwärtig ohne Stellung.'
Herr: .Wie lange führen Sie schon
, rin zügelloses Leben?"
In der Verlegenheit.
Madame (den Koffer des
Dienstmäochens revidirend): .Da sind
ja auch die Küchenhandtllcher, welch«
seit einiger Zeit fehlen!"
Dienstmädchen (kleinlaut):
.Ja, die habe ich auch schon ver
mißt!"
Ausgenützt. Onkel (zum
liudirendkii Neffen): .Sage mir doch
'mal, Fritz, was ist das eigentlich,
Prophylaxis?" Neffe: „Na, schau',
das ist so! Zu Ende des Monats
werde ich kein Geld haben,... und
Prophylaxis wäre, wenn Du mir
schon heute am achtzehnten mit fünf
zig Mark unter die Arm« greifen
würdest!"
Wildprethändler (zum
Sonntagsjäger, der die aufgestellten
Vorräthe mustert): .Bitte, treten Sie
näher, mein Herr . . . kein Schieß
— Zu spät. „Mein Sohn sollte
e» aber gar kein Talent entwickelt,
will ich ihn lieber zu einem Kauf
mann in die Lehre thun!" .Sit
müssen nicht so schnell die Geduld
verlieren; versuchen Sie's doch noch
eine Weile!" .Nein, jetzt ist's zu
spät; jetzt wurde ihm das Haar ke«
»leim Optiker.
»Aeh, Monokel!"
„Welche Nummer, bitte?"
„Aeh, keine Nummer bloß Ein
druck schinden!"
pol die Rede ist):
wär g'schcidter g'wesen, wenn der K»
lumbus 'n Nordpol entdeckt hätte,
Amerika wär' unS nie auskommen!'