Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, May 31, 1906, Image 2

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    Mach der Amnestie.
i.'
nen, und noch grau«r wurde es, und
«in Regennebel «füllte di« Luft.
Still« herrscht«, Wind und Bäum«
regten sich nicht. Als wäre alles er
starrt, als wär« die Natur gestorben.
sich und sah nichts von dem, was er
«inst gekannt, nichts, was seine Phan
tasie ihm stets vorgespiegelt hatte.
Während der zwölf Jahre hatte sich
alles verändert, der W«g, ?!e Mühlen,
die Hütten, ja selbst der bläulich
Bangigkeit sich in sein Herz schlich.
W« wenn Nahes und Theures für
immer verfchwmdet. Er «rinnert« sich,
Aber das Glöcklein klingelte, die
Hufe wirbelten d«n Straßenstaub auf,
und rollte immer vor
bang« Leben des Verbannten, lag vor
ihm. Der Roggen, die Feldblumen
und der Wiesenllee hauchten noch
seine Brust.
Und so eigen war dies alles: die
zurückgelassene Familie, die Tundren,
die seiner harrten, der FriihlingSdust,
so miteinand« unv«rei>nbar man
hätte weinen und stöhnen und düster
schweigen mögen. Bilder aus der
Bergang«nh«it tauchten vor ihm auf,
und auch in ihnen war alles so eigen
und so unvereinbar miteinander: Leid
und Genuß, Leben und Tod, Thränen
und Lachen, alles in «ins verschmolzen.
Eines schließt sich eng an's andere an,
ben können.
Zum ersten Male bemächtigte sich
Wassilij Jgnatiewitsch'S «in G«sühl
von Bangigkeit, und die Trennung
von seiner Familie erschien ihm un
endlich schwer. Seine Seele wankte,
als stürbe etwas. Es zog ihn heim zu
W«ib und Kindern, er wollte sie um
armen, ermuntern, ihnen einige
freundlich« Worte sag«n. So zerrüt
tet, so kindlich - kläglich und hilflos
dünkte ihn di« Famili«. Und war noch
so nahe, dort hinter dem Kornfeld,
hinter dem bläulich schimmernden
Walde
D« TarantaS aber rollte ächzend
weiter. Die Grenzstein« jagten vor
über, die Hütten und das heimathliche
Haus entfernten sich immer mehr.
Nun war die Station da. Leute
mit neugierigen Blicken tauchten auf.
Ein Gepäckraum, Wände mit Fahr
plänen, d«r Perron alles für «inen
kurzen Augenblick. Hier der Waggon,
ein Abtheil. Sie traten ein: die
Thür fiel polternd hinter ihnen zu.
Lebt wohl, ihr heimathlichen Stät
ten!
Ein neues Leben harrte seiner. Ein
langes, in seiner düsteren Ungewißheit
banges Leben. Jahre würden ver
streichen, auch dieses sremdeLeben vor
überziehen und ein n«ues an feine
Stelle treten, ebenso bange und unge
wiß. Und st«tS würd« die Zukunft
beklemmend und räthselhaft sein, nach
Jahrzehnten.
Das dritte Läuten erklang, und der
Zug setzte sich in Bewegung. Der
Stationschef mit rother Mütze, «ine
Thür mit der Ausschrift „Comptoir",
«in Postamt, eine Wasserpuinp«
dann ein Garten, Blumenbeete, «in
Springbrunnen huschten an ihm vor
über. Und alles, sonst gleichgültig
vnd unbeachtet, ward plötzlich unge
iind der Träger all« schienen jetzt so
freundliche, gute Menschen zu sein.
Man hätte vor ihnen die Seele öffnen
und ihnen sagen mögen, wie schwer.
Wie qualvoll schwer es sei. sein Leben
zu zerbrechen.
Jgnatinvitfch bedeckte sein
jagt« mit polterntxnKrtten undßädern
Sonne. Und als Wassilij Jgnatie-
N.
ES dunkelte....
In den Nitderungkn lag N«b«l, und
Wald roch nach Herbst. Auf den Fel-
Wassilij Jgnatiewitsch blickte schon er
zwischen den Lichtern war auch daS
seine. Me ein Leitstern leuchtete es.
Und in sr«udig«r Erregung v«rgegen
wärtigte sich Wassilij Jgnatiewitsch
di« G«sichter s«in«r Lieben. Wie un«
gelang ihm wed«r ihre Gesichter noch
ihre Gestalten zu erfassen. Wie selt»
ter acht Jahre alt war. Jetzt sind sie
b«n?
borgen. Was ist dort? Was ist dort?
dachte Wassilij Jgnatiewitsch.
und eine Thür fiel in's Schloß. Eine
dunkle Gestalt trat vor das Thor und
blieb in beivegungsloser Betrachtung
steh«n.
Wassilij Jgnatiewitsch blinzelte mit
aus dem TarantaS und stürzte zu d«m
an der Pforte st«hend«n Mann. Der
Mann war großg«wachs«n, stämmig,
Er trug «in Kattunh«md und hohe
Stiefel. In feinen Augen buchtet« et
was Bekanntes und zugleich F«rn«s
Er betrachtete Wassilij Jgnatie-
Du's, Vater?"
„Ich ich ich —" «rwidert«
Wassilij Jgnatiewitsch hastig und um
armte ihn. Sie küßten sich.
lachend. „Nun, wie ldbt Ihr hier?
Wie steht's um Mamas Gesundheit?
Wie geht es Warja?"
Wassilij Jgnatiewitsch blieb plötz
„Wie denn Schauspielerin?"
„Ganz einfach. Im vergang«n«n
Herbst ist sie von uns geflohen und
lebt jetzt mit irgend einem Schauspie
ler."
Er lachte roh und frivol auf.
Wassilij Jgnatiewitsch mit leisem
geschrieben."
„Wozu auch schreiben?" lächelte der
Sohn. „Es ist ja kein freudiges Er
eigniß."
Vor Wassilij Jgnatiewitfch's Au
unschuldige Gesicht eines achtjährigen
Mädchens auf. „Papa, erzähl« mir
ein Märchen!" hörte «r ihre zarte
Stimme.
Wassilji Jgnatiewitsch würd« es mit
einem Mal- bang«. SS war ihm, als
ging« er nicht durch jenen Garten, in
dem er seine besten Jahre verlebt hatte,
sondern durch «inen ihm unbekannten,
sremden. Als hätte man die alten,
mächtigen Bäume ausqerodet und n«u«
tingepflanzt, als wäre daS alte Erd
reich ausgegraben und frisches aufge
schüttet worden
Doch hier war schon daS Haus.
Hier zwei erleuchtete Fenster, durch die
man eine im Lehnstuhl sitzende krank-
hafte Frau bemerkte. Ihr G«s!cht sah
bleich und krankhaft aus. Wessen
Gesicht war es nur? Das Antlitz der
ficht. Und Wassilij Jgnatiewitsch hielt
«widerte der Sohn, ging aber vor
aus.
Wassilij Jgnatiewitsch stand unten
und blickte durch das.Fenster. Die
sel und schaute mit weit geöffneten
Augen auf die Thür. Und Wassilij
Jgnatiewitsch schien es, als sähe er
Angst in ihren Augen als sollte
Jemand Fllrcht«rlicher, F«rner, Frem
der durch die Thür eintreten. „Gleich
wird er dort sein," dachte Wassilij
Jgnatiewitsch und blickte wie gebannt
auf die bleiche Frau. Plötzlich sah er,
wie sich Entsetzen in ihren Augen aus
drückte und sie aufschrie. „Er ist ein
getreten —" dachte Wassilij Jgnatie
witsch.
Nach einem Augenblick trat der
Sohn an's Fenster, öffnete es zur
Hälfte und fagt«:
„Kvmm herein, Vater!"
Wassilij Jgnatiewitsch stieg die
Trepp« hinauf und betrat «in dunkles
Borzimmer. Er wußte nicht, wohin
gehen, und begann mit der Hand an
der Mauer herum zu tasten. Er fühlt«
eine Thür und öffnete sie. Finsterniß
und Feuchtigkeit wehte ihm entgegen.
Bangigkeit erfüllt« ihn und di« Thür
rasch schließend, rief er:
„Ich kenn« d«n Wrg nicht! Wo seid
Ihr? Hier ist es dunkel!"
Als Antwort ertönte ein unterdrück
ter Schrei hinter der Mauer. „Sie
hat aufgeschrieen," dacht« Wassilij Jg
natiewitsch. Plötzlich fiel ein Licht
strom auf ihn, und er sah den Sohn
auf d«r Schwill«. Er ging zur Thür.
Als er das Zimmer betrat, sah er,
wie sich sein« Frau bemüht«, sich im
Lehnstuhl aufzurichten.
„Du Du —" flüsterte sie, mit
weit geöffneten, fieberhaften Augen
ihn betrachtend, wi« im Schlummer.
Er ging auf sie zu und umarmte sie
ungelenk. Sie sank schwer an seine
Brust, und es war ihm, als fiele etwas
Kaltes und Hölz«rn«s auf ihn. Er
küßte ihr Gesicht und di« Hände, ohne
dabei Fr«ude zu empfinden.
Er hatte die Empfindung, als sei es
kein lebendig«!, kein ihm theurer
Mensch, der da an stiner Brust hing.
Und sie wiederholt« erschreckt: „Du
—Du —", und als traute sie ihren
Augen nicht, strich sie mit der Hand
über sein ergrautes Haar.
Dann setzte «r sie in d«m Sessel zu
recht und nahm neben ihr Platz. Sie
fingen zu sprechen an, wie zwei
fremde Leute einander mit v«rwirrt«n,
erstaunten Augen brtrachtend. Der
Sohn stand ausrecht und blickte zufrie
den auf sie. Dann rauchte er sich eine
Cigarett« an und ixrließ pfeifend das
hörte man vom Hofe her ein lautes
Pfeifen. Die Hunde bellten, und
irgendwo erwiderte Jemand auf seinen
Pfiff
„Wie sich alles veräntxrt hat," sagte
Wassilij Jgnatiewitsch leise.
Stimme; „ich bin nicht mehr die, die
Du zurückgelassen hast. Warja ist
nicht hier, und S«rgei ist ein grober,
respektloser Mensch."
„Ja, ja das ist entsetzlich."
„Arme Warja!" sagte er. „Ich sehe
verderbtes W«ib —"
„Schwer ist das all«s!"
Er sank «schöpft in den Sessel zu
«s, als sei sie gestorben. Er erfaßte sie
„Was ist Dir?" fragte er.
und irgendwo weit Im Walde schrie ein
Nachtvogel. Er setzte sich auf die
Treppe nieder und neigt« den Kopf auf
111.
di« Mäuse.
Es war spät. Doch Wassilij Jgna
tiewitsch schlief noch nicht und blättert«
zum zehnten Mal in den Seiten eines
alten, zerrissenen Albums. Junge,
kindliche, theure Gesichter blickten ihm
von den Seiten entgegen. Wassilij
ter, der Schauspielerin wie anders
war das alles! Es waren Menschen
mit d«m gleichen Aeußern, dem glei
st« leise rauschte, bebte und war doch
todt. Ein Grauen vor sich selbst be
siel ihn, und es schien ihm, als wäre
kein Unterschied zwischen Leben und
'Sie K l sch d' belh st
Wand«, bis st« das ganze Zimmer er
füllten.
Es wurde dunkel.
Wir sie sich fände«.
bunt! , , , „
Wörtchen mitzureden, und..."
D«r, R«ndant lacht« mit seinen
grauen Haaren so keck wie ein Junge.
„Ein Wörtchen ist gm! Als ob du
l test! Aber das paßt mir nun nicht
einSchlappstieftl!^
dant.
Das Strickzeug sank vollends.
„Laus doch,...geh' doch! Als ob
einsehen lerntest!"
„Gut,... du sollst glücklich sein,
Heinrich! Ich auch! Sieh zu, wie du
sollst schon noch nach mir jammern.
Jetzt brenn' ich dir durch. Jetzt zeig«
ich dir, was ich für ein Kerl bin!"
aufeinander, als der Schlips nicht
sitzen wollte.
Um vier Uhr ging «in Zug nach
würde er eine Ansichtskarte an seine
Adelgunde loslassen, na. sie würde
schon vor seinem Muth und seiner
rock. Natürlich in die Kneipe! Und
«rst spät in der Nacht würde er sehr
geräuschvoll heimkehren, würde sie
aber nein, Frau Adelgunde hob un
ternehmungslustig den Kopf,... das
sollte nun anders werden! Raus,...
lein wollt« er fertig werden. Gut!
Er sollte seinen Willen haben.
Sie lief fieberhaft ausgeregt in die
Küche zu dem kleinen Dienstmädchen,
und von der Küche in die Schlafstube.
Im ersten Augenblick wollte sie dort
die liederlich umhergestreuten Sachen
ihres Mannes aufräumen. Aber sie
bezwang sich meisterlich. Er mußte
auch so etwas selber thun als nützli
ches Mitglied der Menschheit.
Sie ritz Schränke auf, Kästen,
kramte, packte, sah dazwischen nach
der Uhr, und stellte fest, datz der
Heinrich!
Als di« Frau Rendant wirklich in
dem Sechsuhrzuge saß, um nach der
fertig werden könnte, daß sie sich...
sehr wohl ohne Mann fühlte.
Sie schluckte ein paarmal und sah
um andere Gedanken zu bekommen.
Als sie in Berlin das Gewoge der
Menschen sah, das lebensgefährliche
Es öffnete Niemand. Todtenstille
angstvoll.
Die Frau zuckt« die Achseln.
„Ick weeß nich! Am Ende jehn Se
Traut« nich haben; bloß über de
dransteht! Morgen früh sind Tibbe
kes wieder da"...
„810 ß Ruhe, Fassung", dachte sie.
810 ß ein Glück, daß ihr Heinrich sie
so nicht sehen tonnte. Er hätte sich
am Ende gefreut, der Barbar!
Sie war mehr todt als lebendig,
als sie drüben in dem vezeichneten
Hause ein Zimmer für die Nacht ver
langte.
„Mein letztes... es ist etwas klein,
aber für Sie wird'S wohl genügen",
meinte die Pensionsmutter liebens-
Adelgunde nickte. Ihr war alles
Recht. Kein, kein Mittel wußte sie,
das ihre gesunkenen Lebensgeister
Weile saß sie unentschlossen ii/dem
schmalen Zimmer auf einen Stuhl.
Dann begann sie sich langsam auSzu-
Bett leer sieht?...
Zimmer, stöhnt« Jemand. Das klang
fürchterlich. Da schlief gewiß, nur
durch «ine dünne Wand getrennt, ein
«m fr-Mder Kerl. Viel
leicht ein Verbrecher, der keine Ruhe
fand. Und nun «in Husten hinter
gel von den Schultern.
Woran erinnerten sie doch diese
heiseren Tön«, dieses Stöhnen, wo
ran erinnerten sie doch? Das,... das
Da,... jetzt dieses Poltern den
Fußboden entlang! Als ob Jemand
hier nebenan wohnte wirklich ein
Kerl, der dieselben Gewohnheiten
Hatt«, wie ihr Heinrich. Fürchterlich!
Beinen...
Mit schlotternden Knien schlich
Frau Adelgunde zu der Thür, beugte
Schlüsselloch, und dann,... dann, fast
Lippen:
„Hei.. .n.. .rich ... bist ... ini's?
chen,... steckt der Schlüssel bei dir
Heinrich?"
Der fürchterliche Fluch brach mit
ten durch. Ein Schlüssel wurde um
gedreht, Adelgunde breitete die Arme
aus und gegen die bunte Nachtjacke
liebe Gatte.
„1ch,... ich hab' Tibbekes besuchen
„Ich weiß,. ..sie sind... nach'S
Theater."
unternehmungslustig!"
„Und du! Du wolltest mich so
schnöde verlassen?" schluchzte sie, ihm
„Ja, er sagte, Sie könnten die
Bücher zuklappen, imGeldMank ein
schließen und sich zum Heimgehen f«-
tig machen, ehe noch eine Minute g»nz
abgelaufen ist."
E Basier Beppi kummt in's Elsaß
un kummt gegenem Rhi zu« an d'r
Jsteiner Klotz, bschaut sich de grau
same Festung. Do kummt en Offi
zier spaziere, dä redt mh Schwyzer
a: Na, wie gefällt Ihnen die Fe
stung? Da macht Ihr BaSler Au«
Schwqzer luegt daS Osizierle s« vo
d'r Syt a, d'rna lipft er d'Achfle un
fait: Schießet Ihr nur uf Basel ine!
Do treffet Ihr nit e'n einzige Schwy
zer! Was, wir treffen keinen
Schweizer? Näi, es sin jo luter
Boshaft. „Wo haben Si«
Ihr« Frau eigentlich kennen gelernt,
Herr Doktor?" „In der Sprech
stunde; sie war meine erste Patien
voll erkundigt sich Mama nach seinen
Gedanken. „Ja, Mutti", sagt der
kleine, indem er die Finger zwischen
zwei unaufgeschnittene Seiten legt:
„Wie haben di« Leute es denn fertig
Lewer.
nach S^ckl,»-n
schon vtrheirathet."
Sonderbar. Buchhalter
üu einem Commis, der wegen Unter»
schlagung entlassen ist): „Weshalb
«Weil ich gesessen habe!" Buchhalter:
„Und weshalb haben Sie gesessen?"
Commis: „Weil ich gestanden habe!"
Sin Brillant.
' „Mit Ihren Blumen werden Sie
aber nicht viel Glück haben, Herr Ba-
ron. Meine ist so spröde,
und immer hast du nur dein« Ge
' schäste im Kopf das ist prosaisch."
„Aber, nicht wahr, wenn ich dir
ist poetisch?"
„Ach, wie gut, Herr -Doktor, daß
' Sie wieder zurück sind! Während Jh<
' rer Abwesenheit war ich sehr trank
' und wäre beinahe ohne Sie gestor«
! b«n...!"
' „G?wiß, Schätzchen, jedes hübsche
Mädchen habe ich darauf angesehen,
' ob es nicht irgend «inen ähnlichen
> Zug mit dir gemeinsam hätte!"
„Papa, ist es wahr, daß d«r Storch
di« lleinen Kinder durch den Schorn
drin steckt.'