Herbstsröste. Jetzt war «r plötzlich da, der Au genblick, d«n sie ersehnt gefürchtet erhofft neugierig herbeige wünscht und schließlich ganz ver gessen hatte! Schon vorhin auf dem Vaporetto, das sie von Venedig durch die Laguntn hier zum Lido herübergebracht, hatte sie eine Sekunde lang geglaubt, ihn gesehen zu haben. Ehe si« sich aber verg«wiss«rn tonnt«, ob «r's thatsäch lich sei. hatte das Dampserch«n ange legt, und der große, blond« Mann, d«n si« im Aug« g«habt, war unt«r d«n Menschen verschwunden, die, wie im >n«r, in wildem Knäu«l an's Land drängten und sich auf di« Tram stürzten, di« bimmelnd nach d«n Meer bädern fuhr. Sie selbst hatte vorgezogen, den Weg durch die hübsch«, lichtgrün« Platanenallee zu Fuß zurückzulegen. Nachdenklich schritt sie dahin, ohne die anerkennenden Blicke zu bemerken, mit denen ihrer schönen, schlanken Erschei nung von mehr als einer Seite voll echt italienischer Naivität im Vorüber gehen gehuldigt wurde. Ihre Gedan ken waren ganz anderswo weit weg von di«s«n h«it«r«n, kok«tten Südlän dern, hoch oben im Norden, in einer kleinen, trübseligen, holsteinischenGar nison, in der das Regiment ihres Manne» vor 25 Jahren gestanden hatte. Jawohl, 28 Jahre waren es her; übrigens hätten's auch fünfzig oder ihr so schemenhaft, so überflüssig, so zwecklos. Und doch! Sie war damals ganz jung noch nicht schon seit mehr als zwei Jahren ver heirathet an den Major der 12. Hu saren, einen famosen, gutmüthigen. einen Fehler besaß, daß er ihr Mann und nicht ihr Vater war. Daß dies eine verhängnißvolle Rollenverwechs lung sei, merkte sie aber gar nicht; sie hatte ihn sehr gern. Daß es höhere Herzenstemperaturen gebe als ihre ei gene. beschäftigte si« nicht. Sie war auf dem Gute aufgewachsen in frischer Luft, unter frischen Menschen; da lebt man sich in gesünderer Weife aus als in der Stadt; vor Allem hat man den Kopf nicht immer voll sehnender oder enttäuschter Liebesphantasien. Ihre Famili« hatte es als ein großes Glück erachtet, als der Major um sie anhielt, und sie selbst kam nicht auf den Ein fall, das Gegentheil zu glauben. Sie kannte ihn schon lange; er war ein Freund ihres Vaters, und man mun gutes Stück Geld zugesteckt, um ihn vor den unangenehmen Folgen land wirtschaftlicher Utopien zu retten. Nun er mit ihr verheirathet war, trug er sie wirklich auf den Händen. Die Frage, ob er ihr innerlich sehr viel ge ben konnte, legte sie si-K nie vor.da sie ja innerlich nicht viel verlangte. Sie war also vollständig glücklich bis sie noch glücklicher geworden sei aber damit hatte ihr Mann nichts zu schaf fen. Sie hatte einen schönen, blonden Leutnant, dessen Regiment gleichfalls in dem Holstennest lag, kennen gelernt und mit ihm die große, leuchtende Liebe. Mit einem Male fühlte sie, daß sie ihre Gefühle laut und ungehindert in die Höhe schießen ließ. Da ihr Gatte ihr von jeher in allem vollste Be dere ein anständiger Kerl war, der seine eigene Verliebtheit möglichst zu zügeln suchte, so dauerte es ziemlich lange, bis sie merkte, daß sie diesem Was ihr bisher stillstes, seligstes^Gliick' nicht, konnte es nicht begreifen! In dem Weibe, das echt und tief liebt zum ersten Mal liebt, ist die ganze Ur gewalt der Natur entfesselt, die keine füllte Tiefe, die für sie das Gefilde des samste mit sich selbst. Unterstützt von drohe, und er ergriff die Flucht. Er ließ sich versetzen! Jetzt noch nach 26 Jahren fühlte sie weinend zusammengebrochen waren, und an die Qualen der Folgezeit, in der sie ihn in Gedanken beschworen, habe sich mit einem ostpreußischen Mädchen verheirathet. Sie schluchzte eine lange Nacht hindurch; das war al wirthschafte. Das der Schluß. Und jetzt? Jetzt war sie schon längst frei, pflichtenlos. Andere Er eignisse, schöne und schwere, hatten neben leeren Zeiten seitdem ihr Leben ausgefüllt, sie gereift und ihrem Hori was hinter ihr lag, ruhig und ohne falsches Schamgefühl in's Gesicht zu sehen vermochte. Sie wußte, daß mm, schaut. Ohne zur Seite zu sehen, schritt sie an den großen Wandspiegeln vorbei. Sie hatte es nicht nöthig, sich zu vergewissern, ob sie noch immer eine schöne Frau sei. Draußen setzt« sie sich an einen kleinen Ecktisch und bestellte eine Granita. Dann musterte sie das Publikum. Es war jedesmal dassel be Bild: geschwollen aussehende Ita lienerinnen im Primadonnenstil, mit überladenen Toiletten und Unmassen glitzerder Schmucksachen, die ebenso unecht wie der Teint. Um sie herum lebhafte Gruppen hübscher, eleganter Männer, die aber ihre angenehme man beobachtete, daß das Signore- Spielen ihr einzig«r Lebenszweck war. Außerdem Dutzende und Dutzende deutscher Bergnllgungsreisender mit erhitzten, abgespannten Gesichtern, scheußlichen Lodenkleid«rn und edel nxißbekränzten Hüt«n, immer damit beschäftigt, voll Treue und Renom mirsucht ganz« Packtt« von Ansichts karten zu bekritzeln. Sie gähnte leise und besah das Musikprograitim. „Finale del Barbiere di Seviglia", las si«. „Gestatten Si«, sind diese Plätze noch frei?" sagte aus Deutsch eine Männerstimme. Eine Sekunde lang sagte sie höflich, indem sie den Kopf etwas hob. Sie war wirtlich schon wieder ganz gelassen. Er war nicht allein; er hatte sein« Frau dabei! Während die beiden sich etwas umständlich niederließen, blieben und sah noch immer gut aus. Er trug jetzt «in«n Vollbart. Schad«, dachte sie; er hatte ein so hübsches, rundes Kinn besessen. Ein bischen kahl und behäbig war er ja hing von seinem Benehmen ab. Dann besah sie sich di« Frau. Ja. gtnau so hatt« sie si« sich vorgestellt; hellblond, so daß die angegrauten leicht zieht's dir?" „Was willst du nehmen, Malchen?" Also Malchen hieß sie auch noch! schnell aus Italienisch? rich »ui!" Inzwischen hatte die Frau ihr Gegenüber in's Auge gefaßt, und Tische sitze l'iriff es schließlich doch verdutztes Gesicht zeigt«: „Gestatten halt- und dehnbaren Zwirnüberzug. „Wie geht es Ihnen, gnädigste Frau?" „O, sehr gut, danle. Ihnen hof fentlich auch. Wollen Sie übrigens nicht, bitte, Ihrer Frau Gemahlin sa gen, wer ich bin? Es ist so unange nehm, mit jemand zu reden, von dem man nicht weiß, wie er heißt." „Sehr gütig, sehr gütig. Malchen, du weißt... Frau Major o bitte tausendmal um Entschuldigung! Frau General von Ostwald." Malchen wußte offenbar gar nicht und gar nichts Um so besser! „Sind gnädigst« Frau schon lange in Venedig?" „Ja, schon seit einigen Monaten. Sie selbst halten sich wohl nur vor übergehend hier auf?" „Ja, höchstens fünf Tage." „Höchstens! Wir waren ja schon nnmal hier. Aus unserer Hochzeits reise," flocht die Frau jetzt sachlich «in. „So, so! Dann natürlich! Es gibt übrig«ns vi«le Menschen, die ein zwei tes Mal nach Venedig kommen!" Mit bitterem Humor hatte sie schon ersaßt, auf welches Niveau sie ihr Ge spräch herabzustimmen hatte; doch galt weiter. Zuerst hatte das Ehepaar mit un vertennbarem Unbehagen gesprochen. D»e Gattin, weil sie die fremde, ele gante Frau überhaupt nicht, und er, weil er sie sehr gut kannte. Als diese aber mit heiterer Unbefangenheit von »end derselben Meinung war über die entsetzlichen italienischen Zustände, thaute man schließlich auf. Die Frau lichst zu beeilen, und verschwand. Jetzt war der bedenkliche Moment gekommen. Das heißt, sie wußte das l s hat " d t 112 'tde man gedämpft Hörle, wie drinnen im Saal das Orchester seine Instrumente stimmt«. Auf einmal schwebten noch?" „O, sehr gut!" erwiderte sie, indem sie ihn ruhig ansah. Da plötzlich merkte «r, daß er aus b«d«nllich dünnes Eis gerathen sei, und fuhr mit tiefen Seuszer gen hat man vor allem mit der Land- Wirthschaft. Im großen und ganzen geht's ja Gott leidlich^ Herbstfröste!" Mildernde Umstände. heuerlich, daß sie gar nicht daran glau ben wollte. Ihr Sohn, thr Junge, thigen Gesicht, sie fühlte noch auf ihren nes lauten Kusses, als er Wie ß«n Buchstaben: Ein als Ver- Buchstaben. „Wer ° ahnen zu lassen, hinzu: „Ich habe ge schlkfen... es ist so heiß..." Sie, die gewöhnlich schweigsam und Sätze heruntermurmelte: „Ob sie es wohl weiß?" Dann ichwieg sie, denn sie fand keine Dann ab«r empfand sie sofort ein starkes Verlangen, getröstet, beruhigt zu werden und eine andere Stimme gelesen? Ist das komisch, was?" gen." Mit tiefem Seufzer rief die Alt«: halte sich leichenblaß, Ihr Euch denn gar nicht, was hat man Euch denn g«tban, daß Ihr alle hinter einem her seid? Armer Kleiner! Na, man wird ja sehen." Und ohne nur di« Thür hinter sich schuhe anzuziehen, li«f sie bis zum Bahnhof. Stadt. Während der Fahrt hätte sich ihre Angst noch verstärkt. Sie sagte nicht mehr: „Es ist fon vor der Thür, lachten und plauderten in der Abendstunde. Ihr Kleiner hatt« sie oft darauf aufmerksam gemacht, .ten. Es handelt sich..." seine Mutter... seine Mama. . Nichi? Wo ist er denn?... Er ist doch wohl nicht krank?... Ob ich weiß? Nein, nein, ich weiß nichts... Er ist bestraft? In Arrest?... Nein?... 1m... im Gefängniß, sagen Sie?... Er wird vor's Kriegsgericht gestellt?..." Sie verbarg den Kopf in den Hän- Kleine wäre in Einzelhaft, und dieses Wort Einzelhaft verstärkt« noch ihr Entsetzen. Sie sah ihn allein, einge in's Dorf zurück. Jeder wußte cs dort. Da sie die Worte und die Bli cke fürchtete, so kehrte sie zur Nachtzeit Glocke: „Mildernd« Umstände, mil sie mit unsicheren Schritten. mit den Augen unter dem scharfen Lichte, das durch die Scheiben brach, blinzelnd, herein, und sofort fiel ihr Blick auf den Zungen, der mit gesenktem Haupte, «in Taschentuch mit großen blauen Car reaus in den Fingern, schluchzte und iveinte... Da reckte sie sich vor dem len. In dieser Stunde fragte sie sich, warum eigentlich... Sie wußte ja nichts, die arme Alte, sie hatte ja gar nichts zu sagen... was war sie denn hier? Nichts, nur die Mutter des Kleinen. Er war ihr Kind, ja, sie hatte ihn geliebt, ja. ihn erzogen, ja... er gehörte ihr... aber nein, heut' ge hörte er ihr nicht mehr. Auf alle Fragen antwortete sie mit Zeichen oder unverständlichen Worten. Ein tiefes Schweigen lagerte über dem Saale. Ein unendliches Mitleid senkte sich auf dies« Bäuerin in Trauerllei dung h«rab, di« infolge des Kummers noch kleiner erschien. „Es ist Ihr einziges Kind?" fragte der Präsident. »Ja, mein Herr." «So lange «r b«i Ihnen war, hat ten Sie sich nicht über ihn zu bekla „Sie wußten nicht, daß er schlech ten Verkehr pflegte?" „Nein, niemals, und weder s«in Va ter, den alle Welt geliebt und geachtet, noch ich hätten je erlaubt... man kann sagen, wir wurden sehr geachtet..." „Das wissen wir, das wissen wir/ Dann wandte er sich zu dem Ange klagten: „Sie wußten das auch, und gerade darum, weil Sie sich hinter der Ehren haftigkeit Ihrer Eltern geschützt wuß t«n, benutzten Sie den Aufenthalt bei Ihrer Mutter, um zu stehlen... W>« sollte man den Sohn so braver Leute verdächtigen?... Andere können sagen: „Ich bin nur halb verantwortlich; die bösen Beispiele, die ich vor Augen ge habt, haben mich zu Grunde gerichtet". Aber Sie hab«n nicht einmal diese Ent- Da schien die Alte eine heftige Wil lensanstrengung machen zu wollen. In ihren kleinen Augen, in denen die Thränen die Lider fast zernagt hatte», schoß ein seltsames Licht auf, und mit gesenkter Stirn, ohne «im Bewegung, sprach sie mit einer Stimme, die fast gar nicht mehr zitterte: „Verzeihen Sie, mein H«rr, ich muß Ihnen di« Wahrheit sagen. Der Kleine ist schuldig, sehr schuldig, das ist rich tig. .. Aber er ist es nicht allein... Vorhin habe ich Ihnen gesagt, ich hätte mir nie etwas vorzuwerfen g«habt.., da habe ich gelogen... ich habe gestoh len. .. Als der Kleine auf Urlaub kam, habe ich ihm gestanden, ich hätte Schul den. .. da hat mein Kind Angst bekom men. .. er hat sich gesagt, seine Mutter hat ihre Ehre und ihren guten Namen zugeben, und damit niemand sich bekla gen kann, hat er ebenfalls gestohlen... Er hat sich hinr«iß«n lassen, er ist Ton«: „Ich hab« g«log«n, ich bin eine schlechte Frau, ich bin das schlichte Bei spiel Sie müssen mich v?r Schultern und gesenktem Haupte, er schien sie klein, ganz klein. Ihr Sohn wurde nur zur Zwangs- U«terwass«r-2ignale. Ueber die praktische Nutzanwendung der Unterwasser - Signale äußerte sich unlängst der Chef der englischen Nord atlantischen Flotte, Kontre-Admiral R, D. Evans. Er zeigte an zwei Bei tische ErfahrullH schon häusig erprobt und bewiesen. Der Norddeutsche Lloyd, welcher seinerzeit die Versuche gestattet. Rath." Frau P.: „Die hat mir mein Mann vor fünfzehn Jah ren in einer schwachen Stunde ge schenkt. Seitdem hat er sich aber nie wieder schwach gezeigt." Eine Moderne. Junge ge schiedene Frau: „Ach, unsere Eh« war nicht zu sagen, daß ich geschieden zu werden wünschte—auch diesen Wunsch laS mir mein Männchen von den Au- Die Fnrcht vor der Helrath. gewesen war, seine Braut noch im letz ten Augenblick sitzen ließ. Das Aufge- Eltern, und hier versicherte ihnen die Mutter, er hätte das Haus zur festge setzten Zeit verlassen, um sich zur Kir che z>L Die Abgesandten s^ra^ then, und mit diesem eigenthümlichen Bescheide lehrten die Abgesandten zu der Braut zurück. nach einiger Zeit. Als man zur Er klärung des seltsamen Vorfalls die Mutter des Bräutigams holen ließ, erklärte di«fe, er wäre nach der Kirche die Angst solche Macht über ihn. daß sich hartnäckig, ihn wieder anzunehmen, und hob das Verlöbniß auf der Stelle schnell in eine Schenke, bestellte sich dort «in Glas Bier, eilte aber, ohne es zu trinken, zur Hinterthür hinaus und verschwand. Während seine Braut in der Kirche auf ihn wartete, fuhr er ,'n Abend!" knurrte der Alte. Mitterwurzer bleibt eine Weile ruhig sitzen, wendet sich dann gegen Meißner, Pause. Meixner reißt die Augen auf und poltert: „Ich hab« immer so geheißen!" „So! Na. dos denke ich mir dcch eigentlich furchtbar langweilig!" Worauf Meixner wüthend aufspr»ng und davonlief. Affektirt. Richter: „Glau ben Sie, daß die That im Affekt be-
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