Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, March 19, 1903, Page 2, Image 2

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    2 Der alte Tanzmlistrr. !
Wenn über den Marktplatz zu Ler
chenthal ein zur Hälfte kurz und sau
ber geschorener, schwarzer Pudel i»
lustigen Kapriolen geschossen kam,
räch Hundeart erst den Lausbrunnen
'«in paarmal umkreiste, hieraus gesittet
auf dem Pflaster sich niederließ und
mit seinen blanken Augen Ausschau
hielt, dann durfte man ohne Skrupel
«in väterliches Erbtheil wettend ein
setzen, daß gleich darauf Monsieur
Charles Duval, Tanzmeister außer
Diensten, um die nächste Straßenecke
biegen würde. .
Noch heute sehe ich im Geiste beide'
im Verein über den Marktwlatz schrei
ten. Schreiten? Mit Nichten! Tän
zeln, schweben, schlank, hochbeinig,
graziös sich wiegend, im Pirouetten
schritt würdevoll und zierlich zugleich,
«in Stück Vergangenheit, die aus Talt
im Leben, im Gehen wie im Fühlen,
noch mehr Gewicht legte als die unsri
ge. Ganz wunderbar war mir damals
die Anpassungsfähigkeit einer treuen
Hundeseele erschienen. Selbst der
Ausdruck in diesem Pudelgesicht er
schien oft wie ein abgelauschter Ab
glanz seines Herrn. Bijou hieß der
intelligente Pudel des alten Tanzmei
steiis. Und sein Bijou, sein Schatz,
sein Schmuck, sein Freund war auch
das gelehrige Thier mit den klugen
brauen Augen. Herr und Thier schie
nen auf allen Ausflügen schier unzer
trennlich. Man sah sie immer beisam
men und konnte beobachten, wie Mon
sieur Duval mit seinem vierbeinigen
Begleiter sich unterhielt, als habe er ei
nen Menschen neben sich. Und dann
sprang Bijou empor, schwanzwedelnd,
augenleuchtend, machte einige reizvolle
Pirouetten, blickte seinen Herrn fra
gend an, als erwarte er Beifall, und
trollte darauf vergnügt weiter neben
ihm her. .
Was den alten Tanzmeister eins!
nach Deutschland herübergebracht
hatte, habe ich nie recht erfahren.
Manche meinten, er sei bei irgend ei
nem Ballettcorps in einer Hauptstadt
gewesen, um sich dann nach seiner Pen
sionirung als Tanzmeister in Lerchen
thal niederzulassen. Ander- wieder
behaupteten, er wäre in den großen
Kriegsjahren als Gefangener herüber
gekomm-n; zwei Augen hätten ihn
dann festgehalten, und so wäre er ge
blieben. Wie dem nun auch sei, ein
paar Jahrzehnte lang hatte tt d-r
beigebracht und
sie in die Geheimnisse von Terpsicho
res Kunst mit Geduld und Liebe ein
geführt. Das waren Stunden eigner
Art. halb ergötzlich, halb wehmüthig,
ober immer lehrreich für den Ler
nenden wie für den feinern Beobach
ter.
Wie schmerzvoll konnte sein Aus
blicken, welch einen Sturm von Gefth
len verrieth das hagere, bewegliche Ge
sicht, wenn er sich vergeblich abmühte,
«iner derben Schönen vom Lande, ei
nem rothhändigen Kaufmannslehr
ling die Grazie und Anmuth seiner
Heimath beizubringen! Kein herbes
Wort desZornes kam über s-in-Lippen.
Aber ganz Frankreich rief er dann
wohl zum Zeugen an. daß er unschul
dig an dies-m Verbrechen gegen die
heilige Kunst sei. Und wie leuchtete
wiederum sein Auge, wie klatschte er
beifallend in die Hände, floß ein
Feuerstrom halb französischer, halb
deutsch-r Kose- und Lobesworte von
seinen Lippen, wenn ihm echte Thürin
ger Tanzsreude und Geschicklichkeit
«ntgegentrat! Da kam es wohl manch
mal vor. daß er sacht den Arm des
jungen Tänzers von der Taille seiner
Partnerin löste, um nun selbst nach
den Klängen von Klavier und Geige
sich mit ihr im Reigen zu drehen. Seine
ganze Seele schien dann in seinem Be
ins auszugehen.
Aber s-in- Seele, sein Herz füllte
doch eine andere aus. Diese trug nicht
die Züge der Tanzgöttin, sondern daS
blasse, von blauschwarzem Haar um
rahmte Antlitz seiner Tochter Jean
nette. Für diese lebte er, sorgte er sich
ab, quälte er sich an der Plumpheit
und B-rständnißlosigl-it Fremder.
Seine Jeannette war ihm alles, sein
Sonnenschein, seine zweite Jugend,
seine Welt. Als er vor Jahren in
Lerchenthal Einzug hielt, war er al
lein gekommen. Es hieß, er habe früh
zeitig sein Weib verloren. Nach Jah
ren war eines Tages in dem Vorgärt
rken des kleinen Hauses draußen am
Ende einer stillen Gasse ein schwarz
haariges Mägdlein von ungefähr neun
Jiüren aufgetaucht und hatte seit
dem Haus und Leben mit dem alten
Tanzmeister getheilt. Sie besuchte
in Lerchenthal consirmirt. Von da ab
hielt sie dem Alten das Haus in Ord
nung.
..Meine Tochter!" hatte er damals
zu ein paar neugierigen Nachbarn er
läuiernd gesagt. „Ich ließ sie bisher
in meiner Heiinath erziehen. Nun. da
lie größer geworden ist, hoffe ich eS
t'lbst thun zu können."
Viel lauter war ei aber in dem
Hachen de» alten TanzmeisterS
trotzdem nicht geworden. Jeannette
war ein seltsame» Mädchen. Ihre
wunderbaren Augen erschienen oft wie
nach innen gerichtet. Wie in einem
Traum- lebte sie dahin. Weder mit
den Kindern der Gasse noch mit den
Sibiilgenossinnen pflegte sie wärmein
Verlar. Ohne verl-tzen zu wollen,
köderte sie sich still ab. s'lll. wie ihr
ganzes Wesen sich offenbarte. M»
dem Aater sprach sie sranzsisch. sonst
aber handhabte sie die Sprache ihre,
neuen Hcimath sicher, wenn auch mit
einem -iwas fremden Klange. Wer sii
so für sich mit ihrer Arbeit oder auch
lesend im Vorgarten sitz-n sah, zu
w-il-n wie v-rlor-n die Blick- zu
dem wandernden Gewölk emporgerich
tet. dem lam wohl der Gedanke, daß
Nachbarin hatte sür diesen Festtag
das Mahl hergerichtet, zu dem sie dann
auch als einziger Gast hinzugezogen
srühlingstag. An einer einsamen
Stelle war Rast gemacht worden, und
Jeannette hatte plötzlich die Hand des
Vaters ergriffen, ihm bittend und tief
gestorben sei.
Da hatte sich eine fahle Blässe über
daS freundliche Gesicht des Tanzmei
sters gelegt. Ein Zittern war über
seinen Körper gelaufen, er hatte die
Hände vor das Gesicht geschlagen
und abwehrend das Haupt geschüt-
ch, B ? W
Mutter?"
Kind!"
„Habe ich kein Recht, zu fragen?
Auch heute nicht, mon pör??"
Er schwieg noch immer. Endlich
fragte er leise, während ihm Thränen
über das faltige Antlitz rannen: „Bin
ser fremden Welt? Sag's doch, Jean
nette!"
„Nicht nicht so! Wie kannst du
hätte ich auch gern wie die anderen in
die Augen meiner Mutter geblickt, an
ihre Brust mich gelehnt."
„Werde ich es nie einmal können?
Ist sie todt?"
„Jeannette! Sie ist sür dich todt
und für mich. Wir können, wie
dürfen sie nie wiedersehen. Jean
nette, mein Kind, mein liebes, einzi
ges Kind! Wir beide müssen nun zu
sammenhalten, solange es Gott ge
fällt; und alles will ich thun, dir
Herzen fehlt."
Bijou blickte ernst empor zu der
Gruppe am Waldesrande, die sich fest
umschlossen hielt. Jeannette hatte ihr
zuckendes Gesicht an die Brust ihres
Vaters gebettet, und beide ließen still
ihre Thränen fließen. Da drängte
sich Bijou sacht dazwischen, als wolle
er seinen Antheil an dem heißen Weh
bekunden, daß in dieser Stunde
durch zwei einsame Herzen schmerzvoll
riß.
Jeannette hatte niemals an dem
Tanzunterricht ihres Vaters theilge
nommen. Daß sie aber der graziösen
Kunst kundig war, das wußte man.
Erst war es in der Gasse bekannt ge
worden, und dann, um der phanta
stischen Umstände willen, hatte es die
ganze Stadt allmählich erfahren. An
schein lag hell auf der Erde, die Fen
ster der Wohnstube beim alten Tanz
meister standen Weit offen da sah
man das seltsame, stille Mädchen
drinnen einsam im Reigen sich Wie
len Nachtleuchte. Ein solches Bild hat
te Lerchenthal noch nicht erschaut. Von
Mund zu Munde ging vertraulich die
Kunde von dem wundersamen Geba
ren der sremdartigen Tochler de»
Monsieur Duval.
Und wieder kam solch eine Nacht,
weich und süß. Hochstenglige Blumen
den Duft aus. Beseligende Stille
ruhte über der träumenden Erde. Im
von Duft und Helle, wiegte sich Jean
nette im Tanze . DaS blasse Gesicht
erschien noch geisterhafter in solcher
Zauberhaftes.
Mitten im Tanze stockte sie plötz
lich.
Bitte, bleiben Sie, bitte! Es ist ja
mir nicht auch iwch Jhrei/ Anblick.
Bitte nochmals, bleiben Sie. Mein
Name ist Bartels, Doltor Bartels, ein
armer Referendar, der sich in der
Stille dieses langweiligen Nestes aus
ten Assessor vorbereitet. Genügt Ih
nen diese Vorstellung? Sonst heiße ich
noch Heinrich, bei meinen Bekaknten
der „verrückte Heinri". Nicht wahr. Sie
zürnen mir nicht, daß ich Sie erschreck
der alte Bursche Mond freut sich
sie bleiben oder gehen sollte. Nun sagte
sie: „Was sollen die Leute denken,
mein Herr?"
„Die Spießer dieser guten Stadt?
Aber Fräulein Duval! Ich hoffe be-
stiinms daß sie sich längst die Zipfel
mützen über das Ohr gezogen habe»
und schnarchen. Schnarchen und träu
men von Schweineschlachten und ro
hen Kartosseltlößen. Meinen ,Sie
Sie mußte auflachen, ob sie wollte
oder nicht. Der Mensch war zu drol-
- - Ih G t d fch
steht als Cherub Ihr geschorener Pu-
und ein Jurist sich Mühe geben, Ihnen
des Wehen. Stärker dufteten die Blu-
Auf einmal horchte Jeannette auf.
Der ferne Schall eines Schrittes hallte
durch die Stille. Sie bog sich weit
fast sein Gesicht streifte. Dann schnellte
„t>, mnn 6i«>u! Mein Vater
kommt. Gehen Sie, bitte, bitte!"
ins Haus.
„Gute Nacht!" verklang es von in
nen.
Mittagstisch deckte.
„Du Jeannette!"
„Ja?"
„Weiß wohl, Vater."
„Sonst strahlest du immer. Deine
Fliße hoben sich."
er über die Geige fort: „Fehlt dir et
was, Jeannette?"
„Ich bin ganz gesund. Was sollte
mir fehlen?" Sie glitt fast unhörbar
nen brach er ab, hängt die Geige an
die Wand und trat ans Fenster.
Was nur in ihr vorging? So alt
neues Leben über Nacht in ihre Seele
Luft füllten. Und dann war sie stil
mchr als einmal überrascht, daß sie die
Augen trocknete? Erst heute Morgen
wieder?
„Jeannette!"
„Ja, Vater." Sie stellte die Platte
nienhalten?"
Sie lehnte sich an seine Brust und
tastete nach seiner Wange, die sie sanft
streichelte.
„Mein Bater, mein lieber, lieber
Vater!"
„Nun, siehst du? Also schau' doch
wieder Heller drein! Es ist ja einsam
genug bei uns."
Sie schüttelte stumm den Kopf.
„Ich habe es nie einsam bei dir ge
funden."
„Doch. doch. Jugend braucht Ju
gend, Leben Leben. Ich bin ein
alter Mann."
Sie barg sich noch immer an seiner
Brust, und er wartete auf Antwort.
Nur nicht drängen. Allein mußte sie
nun zu ihm kommen. auf ein
kam es von ihren Lippen: „Vatir! Lie
ber Vater! Du bleibst bei mir
immer! Verläßt mich nicht nie
mals! Was sollte denn"
„Aber Kind, Jeannette! Was re
dest du da? Du bist erregt, krank!"
.Vielleicht ich Weib «S nicht."
„Du ängstigst mich!"
„Es wird vorübergehen es muß
! Da war'S, al! wenn ein Schatten
draußen beide aufstörte, ein Paar Au-
gen auf ihnen ruhten. Jeannette hob
den Kopf seitwärts und blickte hin
aus. Am Zaune ging der Referendar
Doltor Bartels vorüber. Nur ein ein
ziger Blick, bannend, von seligen Ge
„Vater!" schreit sie auf. „Behalte
ter von den Laubbäumen niedergesegt.
Kahl stehen die Höhen, und zwischen
den Stämmen sinlt b!utrvth die Son
ne nieder. Allmählich beginnen über
den Wiesen die Nebel zu wogen,
tiefer und tiefer breiten sich die
Schatten der Nacht über Gebirge und
Land.
Jeannette sitzt .Wn am Fenster.
Bijou zu ihren Füßen. Der Bater^ist
dern in den Häuser? und Hütten auf,
längs des Bergzuges, drunten im
Städtchen. Sie braucht lein Licht.
Nacht draußen und Nacht drinnen. Si
bedarf des Lichtes nicht, um den In
halt des Brieses zu lesen, den sie mit
fieberheißen Händen im Schoße hält.
Seinen Inhalt kennt sie. Als er vor
hin ankam, hat sie aufgeschrieen und
hat gemeint, nun sei es zu Ende.
Aber sie lebt noch. Nur ist alles
stumpf und grau um sie und in ihr
geworden. Schüttelfrost packt sie. Ihre
Zähne schlagen aufeinander. Bijou
sieht sie so traurig an. er bellt empor
nach ihrer Hand. Sie merkt es nicht.
grig zum Abendessen kommen wird.
So todt, so verlassen ist alles in ihr
geworden. Nur den Brief weiß sie noch.
Riesengroß scheint jede: Buchstabe, je
des Wort aufzuerstehen, wie glühendes
Eisen in ihre zuckende Seele sich einzu-
Und sie denkt in dieser Stunde zum
erstenmal daran, daß sie die Tochter
eines Tanzmeisters ist, nur einesTanz
meisters, der von irgendwo hierher
verschlagen ward, wie sie von irgend
wo gekommen ist ohne Mutter, ohne
Heimath. Ohne Mutter! Aber einen
Bater hat sie doch! Das andere
noch Unbekannte das wird keinen—
Ein wehvolles Schluchzen entringt sich
ihr.
Der Brief, der Brief! Wie er so
schön die Worte zu setzen weiß, fast
wie damals, als es angefangen hatte.
Fing's nicht im Tanze an? Draußen
im Mondenschein? Im Tanze! Das
liegt wohl im Blut, im Metier. Ihr
Vater ist ja nur Tanzmeister! Und
gibt doch Rücksichten zu nehmen auf
die Familie, auf die große Welt drau
ßen! Natürlich! Deshalb müssen sie
sich trennen für immer. Er ist fort
nach Berlin, um dort seinen Assessor
jetzt zu Sie soll ihn^nicht
Flammengluth. Sie starrt hinab, bis
das sich krümmende Papier kohlt, sich
röthet und dann zerfällt. Und dann
bricht sie mit einem Schrei am Herde
zusammen. Mit leisem Winseln bette!
sich der Pudel neben sie.
Ein Tag vor Weihnachtsheiligabend
ist's. Monsieur Duval rüstet sich zur
letzten Tanzstunde vor dem Fest. Noch
vor Neujahr soll der erste Ball seiner
Schüler stattfinden. Da gilt es, Ehre
vor Lerchenthal einzulegen.
Wind.
Keine Antwort. Er weih, sie ist in
ihrem Stübchen droben. Noch vor
hin hörte er ihren Schritt. Und
jetzt! Er springt auf, er lauscht. War
das nicht ein Aufschrei? Jetzt ein
dumvser Fall?
„Jeannette! p.nivr>> .7,
und Schluchzen mit Kundert lieben Ko
senamen. Nun schlägt sie die Augen
wieder auf. Starr, wie eine Fremde
Lippen, das ihn schaudern läßt.
„Jeannette! Das ist nicht wahr!
Nicht das! Du bist krank, Fieber
daß du logst! Nicht das! Nicht das
letzte!"
«us. Doch ein einziger Bltck au» ih
rem Auge, und kraftlos fällt sein Arni
nieder. Hinaus stürzt er, hinab In die
Wohnstube. Dort am Fenster steht
er und schlägt die Hände vor das Ge
sicht-
„lch konnte sie nicht strafen. Mein
Einzigstes, mein Letztes! Das Blut
der Mutter! Sünde auf Sünde!
0, ni<m <Ueu! Du strafst schwer!"
Ein hnßer Thränenstrom bricht au»
seinen Augen.
„Im Tanze! Im Tanze!" wim
mert er auf. „So fing's auch damals
an!"
Vom Stadtkirchthurm herüber
schlägt cs dreiviertel acht. Sein-
Pflicht ruft. Die Jugend Lerchen
thals wartet auf ihren Tanzmeister.
Bald darauf fällt die Hausthür ins
Schloß.
Im Tanze! Im Tanze!
Klavier und Geige arbeiten, unter
dem Kronleuchter stehen die Paare, der
alte Monsieur Duval überfliegt fein
kleine Armee, er gestikulirt, tanzt
zur Seite mit. sich in den Hüsten wie-
Takt der Musik auf und nieder
es ist ein gefrorenes Lächeln. Etwas
Wirres, Wehes sieht ganz tief aus sei
nen Augen. Die meisten achten dessen
Alte hat seine Schrullen".
übermannt. Rock über. Kragen in
die Höhe, Schirm aus! Draußen
patscht der Regen. Zwischen ziehen-
Mondstrahl.
Nun ist er daheim. Bijou empfängt
ihn an der Gartenthür. Er springt
empor, er winselt so gotteserbärmlich.
Der Alte meint, Thränen in seinen
Augen zu sehen. Alles still im Hause.
Er schlägt Licht. Er sucht unten, oben
ihm den Hals zu.
„Jeannette!" Keine Antwort.
Wieder die Treppe hinauf, wieder hin
ab. Bijou immer neben ihm. Kein
Lebenszeichen, kein Blatt Papier, nir
gends ein Fingerzeig, ein Gruß. Sei
ne Kniee beben, kaum daß sie ihn noch
tragen. WaS nur Bijou hat? Er
blickt zu ihm auf, rennt nach der Thür,
wehe Leidensgeschichte.
Nun steht der alte Tanzmeister auf
der Gasse. ES hat zu regnen ausge
mer droben. Bijou führt ihn. Er
kläfft leise auf. er wimmert, geht und
kommt. Da ist schon der Wald. Ra
benschwarz, wie mit tausend Augen,
blickt die grausame Nacht den Alten
an. Denn grausam ist sie. Sie ein
em Teich herüber. Dorthin leitet ihn
Bijou. DaS melancholische Wasser
war ja immer eine LieblingSstätte sei
ner Jeannette. Er steht am Ufer. Er
„Gute Nacht" sagen, „Gut: Nacht, mein
lieber Vater!"
Stumm, unbeweglich ruht der
Waldteich, als hüte er ein tiefes Ge
heimniß. Und jetzt lichten sich die Wol
len. Mondglanz fährt über die Fluth.
Bjiou heult auf.
„Jeannette, Jeannette!" Der alte
Tanzmeister ruft es hinaus, und der
nur ein Mattes, Helles löst sich dann ab.
Das Antlitz seines Kindes grüßt ihn
zur Nachts ha d
man die Tochler de» Tanzmeisters hin.
trua. Dr Grund ihres Todes wußte
niemand. Vielleicht im Dunleln ver
irrt, ausgeglitten, wer weiß es. Die
TheUnahme war allgemein, aber sie
Bett. Der untersuchende Arzt stellte
Herzschlag fest. Das 801 l aber, daS
dramatisch bewegten Konsequenzen
führen sollte, ereignete sich auf der un
längst in Betrieb genommenen Secun
wärter mittelst Sonderzuges nach der
Stätte ihrer künftigen Wirksamkeit zu
ttansportiren. Auf einer Prioatbahn
ihre gesammte bewegliche Habe mit sich
führte, die natürlich ebenfalls ord
nungsmäßig „verstaut" sein wollte.
schon die Dunkelheit angebrochen, und
da der Herr Betriebschef die strenge
Ordre ertheilt hatte, dab der Sonder-
daß jeder Beamte wohl seinen rechtmä
ßigen Hausstand, nicht aber sein recht
mäßiges Ehegesponst im Wärterhäus
keine Ahnung gehabt hatten, geriethen
in solche Berserkerwuth, daß sie Alles
kurz und klein schlugen und sich hinter
teste dienstliche Harmonie.
«in eifersüchtiger Bardler.
Ein bekannter Börsianer in Paris
ließ sich seit fünfzehn Jahren bei ei
nem Friseur auf dem Boulevard rasi
zu schneiden. Wüthend stellte der Fi
nanzier den Besitzer des Geschäfts zur
Rede, und dieser versprach, ihn beim
mit der Versicherung, sich nie wieder in
ihm blicken zu lassen. Der Börsen
mann hatte die Sache schon fast ver
gessen, als am Donnerstag einer der
Barbiergehilfen, die ihn geschnitten
hatten, aus dem Boulevard an ihn her
auf Befehl unseres Prinzipals.
„Was?" rief der Herr empört. „Ja,
so ist's," fuhr der Barbiergehilfe fort.
„Unser Prinzipal ist sehr eifersüchtig
schuldigung. daß wir das gethan ha
ben!" Herr M. sich noch nicht klar
g ar w
Eine drollige Geschichte
von einer hypothekarisch belasteten Lo
komotive wird in Berliner Blätter»
wie folgt erzählt: Ein Lokomotivfüh
rer, ein durchaus zuverlässiger Beam
ter, hat den einen Fehler, daß er mit
seinem Gehalte schlecht auskommt und
häufiger Anleihen machen muß. Bei
einer Dienstfahrt blieb sein Zug län
gere Zeit auf einer Station an der
Ostbahn liegen. In der Wartehalle traf
daS Geld zu geben, verlangte jedoch
Sicherheit. Ter Eisenbahnbeamte
gab diese dadurch, daß er dem Geld
— An die falsche Adresse.
Bittsteller: „Gnädiger Herr, mir geht'S
so
Bankier: „Nun, was erzähle»
Sie mir all das?! Bin ich etwa ä Dia
«natik-r?'
«affeelted.
Des Weines Wundertat,
Zum Lob dem Gerstensaft.
Der Frauen Li-blingstrank;
Des Kaffees inuntre Geister
Kein Dichter noch besang.
Mit Zaubers holden Banden
Es fand den Weg doch sicher
Gift ist's auf alle Fälle,
Wie Liebe süß «r sein!
Doch streicht Ihr aus dem Leben
Den „Teufelstrank" heraus
Hat nach dem Mahl der Meister
Zur Ruh sich ausgestreckt.
Wer ihm die Lebensgeister
Zu neuer Arbeit weckt?
Dem Dichter, dem am Tage
Still schafft, der Nähterin
Was würd' aus seinem Kater,
Gäb's schwarzen Kassee nicht?!
Vom Weine hört man sagen,
Wird heiße Zungenschlacht!
Die Männer höchst verächtlich
Das nennen Kaffeeklatsch!
Als ob nicht selbst sie nächtlich
Wahr ist cs muntre Red«
Fließt bei dem braunen Trank,
Und etwas Neues jede
Ja auch weiß Gott sei Dank!
Und dann —von dieser, jener,
Noch dies und das o weh!
Doch immer nicht dem Nächsten
Sind große Liebesthaten
Am Kaffeetisch geplant.
Manch' kaltes Herz bezwungen
Hat so der warme Trank
sei der Componist des Stückes und
wolle ihm zeigen, wie es gespielt wer
den müsse. Als der Mann, der zuerst
ärgerlich war, begriff, welche Ehre
Mascagni ihm anthat, kam ihm plötz
lich ein Gedanke und ein breites La
chen überzog sein Gesicht. Am näch
sten Morgen erschien er wieder vor dem
L« ich t b-sri- d i g t. „Ach,
Gesicht!" ,Ha, liebes W«ibchen, ich
dankbar, die Du mir heute bietest."
„Wieso?" „Bis jetzt war immer die
Suppe versalzen und der Braten ange
salzen!'
Kühner Vergleich. A«-
Sie sich, mein Fräulein,