Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, May 08, 1902, Page 3, Image 3

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    M bobe Scbule.
lü?mon »on Elsbtlh Mtyer-FörKer.
. ' (Z. Fortsetzung.)
Vera antwortete nicht sogleich. Sie
sie. den Blick fast flehend auf Jum
hört?"
„Aber alle Menschen! Ganze Welt!
Gesammte Publikum!"
schallend auf.
„Aber, meine liebe Madam« la ba
ronne! Was sollen er sonst gewesen
sein? Wenn Mann schießt auf Freund
von seine Frau, ist Freund und Frau
gut« Gemeinschaft. Warum wollen
Si« schämen sich davor? Schöne Wei
her hat viele Amorosi, ob verheira
then oder nicht. Aber man muß nicht
sein so dumm, zu zeigen eigene Mann
die gute Freund."
sten Sache der Welt. Aber Vera, die
sie wortlos angestarrt hatte, sprang
auf und ergriff beschwörend ihre
Hand:
„Wenn ich Ihnen sage, daß es Lüge
kern, die ganz« Welt!"
Sie hielt d«n Arm der Tänzerin
umspannt und rang nach Athem. Als
lämpse sie mit Wellen, die sie zu ver
schlingen drohten, als müsse sie einen
Halt suchen, irgend einen, so hielt sie
sich an der Schulter der kleinen, lä
chelnden Kokotte fest.
„Miß Mary, hören Sie sagen
Sie es allen! Mein Gott, ich kann es
ihnen doch nicht in die Ohren schreien
allen den«n, die mich unausgesetzt
beschimpfen es ist nicht wahr, ich
schwöre es b«i Gott! Ich hab« mir
nichts vorzuwerfen, nichts, die
ser fremd« Mensch, dieser Däne, hat
mich verfolgt, ist mir nachgereist, seit
Monaten. ich habe nicht beach
lam drängte er sich an mich heran
mein Mann, der sinnlos war
schoß ihn nieder." b fch "
je, —in dem Blick dieses moralisch
längst gesunkenen Mädchens warMiß
traüen, fast G«ringfchätzung. „Sie
denkt, ich lüge," es ihr durch d«n
wie mir Niemand glauben wird in
der weiten W«lt."
„Si« glaub«» es also nicht?" stieß
sie laut hervor. Jumping - Girl zuckte
die Achseln.
„Well, well Madame wenn Sie
sagen!" Aber sie war plötzlich auf ih
schuldig gehalten hattet war die ihr
sympathisch gewesen, hatte si« sie
gleichsam zu ihresgleichen gezählt.
Jetzt, da di« junge Frau so heftig je
den Verdacht abwies, wo man nicht
man nicht, fühlte sich Miß Mary
der Collegin gegenüber genirt.
Vera war froh, daß sie ging. Wa
rum hatte sie sich überhaupt so weit
hinreißen lassen? War es nicht im
Grund« gleichgiltig, was dieses Gas
seninäd«! von ihr dachte? Nein, es
war nicht gleichgiltig, denn es war die
Meinung aller. Sie mußte lernen,
diese Meinung ertragen.
Aber vielleicht war es überhaupt
nur das Odium dieser falschen Ge
rüchte, was ihr den neuen glänzend«»
schafft hatt«? D«nn mit ihr«r Reit
kunst, sie fühlte es, war es das letzt«
Jahr bergab gegangen. Die Spann
kraft, die tollkühne Waghalsigkeit von
einst hatten nachgelassen. Vielleicht
engagirte man sie hauptsächlich dieser
pikanten Skandalgeschichten Wege».
Es war ja Mode geworden, daß die
Menschen mit ihrem bllrg«rlichen
Schiffbruch Kasse machten. Verschul
det« Bühntngrößen suchten ihr« Zu
flucht mit Vorliebe aussein „Brettl"
Wurde sie, sie selbst b«r«its zu
Erste d«s Contin«nts", „die Meiste
den Kops hochinüthig und siegesgewiß
«rhob«n, in jedem Zoll die B«ra
Schwarz, wir di« Journal« sie schil
derten, daS Publikum sie kannte.
ihr jetzt bei den g«ringsten Anlässen
wi« ein Schatten folgte, durfte nicht
mehr Gewalt über sie gewinnen
nimmermehr. als sie jetzt durch
Luft sausen. „Es ist das erste Mal,
ihr mit Verbeugungen genä
hert hatte. „Zum ersten Mal reite ich
so zwischen vier WLnd«i>, auf einer
Hoiztribüne." „Desto größer Ihr
Verdienst, Baronin." sagte der Direc
tor, dem das Debüt gleichfalls ein we
nig in den Gliedern lag. „Wenn ich
aber stürze und den Hals breche?" Sie
blickte ihn an mit einer ernsten Miene,
den galanten, kleine» Mann, den diese
Bühne zum Millionär gemacht hatte,
trotzdem er fürstliche Gagen zahlte. Er
zuckte die Achseln und lächelte. „Nun
wohl!" sagte er. „Versuchen Sie auch
das. Es wäre ein unnachahmlicher
Tric." Aber sie siihlte in seinem Lä
cheln, seiner Stimme lag etivas wie
Besorgniß. Ihre Angst kam wieder,
dieses dumme, thöricht« Herzklopfen,
das sie verwünschte. „Drücken Sie mir
den Daumen," bat sie abergläubisch.
Und als «r «s ernsthaft that, fügt« sie
rasch hinzu: „Aber wo ist mein Mann,
m«in Bat«r? Sind sie noch nicht da?
Wenn ich sie in d«r Näh« weiß, habe
ich Muth."
Es war kein leeres Wort. Der Blick
auf diese beiden, deren Augen so be
gab ihr jedesmal ihr« Kaltblütigkeit
zurück. „Du darfst nicht fallen!" sag
te sie dann in sich hinein. „Diese bei
kleine Bermögensantheil aus demMul
tererbe Räderns verzehrt? und er lebte
nun ganz von ihrer Hand, wie der alte
Vater auch? während Tante Betty es
vorgezogen hatte, die gehaßte Pariser
Influenza als Ausrede zu einem ewi
gen Schlummer «wer abenteuerlichen
Altersversorgung vorzuziehen. Ja,
Tante Betty war todt, di« freundliche
Gabillon, Und ihr Sch«id«n hatte et
was Wehmüthig - Frohes in Veras
Herzen gelöst die letzte Erinnerung,
den letzten Zusammenhang mit dem
„damals" d«r «instigen bürgerlichen
W«lt.
Die Räderns hatten ihr Privotlo
gis in der Friedrichstraße, in einem
schmucklos«», grauen Haus«, »och aus
Berlins „guter" alter Zeit her. Ein
sehr sauber g«haltenes Haus mit ei
gend ist die beste und frequentii?teste in
der Stadt. Im Erdgeschoß befanden
sich «in Blumen- und Cigarrenladen,
für >oe!che di« Besitzer ein« immense
Jahresmiethe zu zahlen hatten. Mit
ihren vielen stummen Fenst«rauge»
blickte die riesige Miethskaserne in das
bunt« Getriebe des Weltstadtme«res,
in ftines Parierresensters
achtet«, hatte recht, mitunter und so
gar häusig de» Kops zu schütteln. Es
gab Stunden, in den«n in diesem Eng
paß einander kreuz«nd«r Straßen der
Teufel los zu sein schien? so besonders
gegen Abend und dann wieder gegen
Mitternacht. Persönlich unbeteiligt
saß Papa Schwarz dann stumm beob
achtend da, nicht mehr der Papa
Schwarz d«r vergangenen Jahre. Fast
wie der Schatten desselben —ein Ent
thronter. Seit Tante Bettys Tode,
die d«r letzte, schwache Rückhalt gewe
sen war sür seine fragwürdigen Pas
sionen. hatte er nothgedrungen zu
Kreuze kriechen müssen dem feuda
lich, was für ein Plebejer man neben
ihm war. Papa Schwarz hatte
längst begonnen, sich zu schämen; aber
glühte unter dem Strohfeuer der
Scham. Ja, mein Gott, das Leben
hatte sich v«rteufelt krumm gestaltet,
zum zweiten Mal hatte es ihn von sei
nem Platze gerissen. Er war nicht
mehr der Bat«r Vera», «in Stroh
mann, ein Invalid«, ein Ausgedinger
war er geworden. Seine Hände
trommelten den Radetzkymarfch, sein
Blick, der in das nächtliche Straßen
getrieb« versunk«» war, wandte sich
und richtete sich in das Jnn«re des
Zimmers. Dort auf d«m Sopha lag
Rädern in Decken vergrabe»? während
er sichtbar litt, sein Gesicht die gelbli
i-sgunge» ihres glücklosen, ineinander
verflochtenen Lebens? ab«r beid« fest
entschlossen. g«gen die heranziehenden
Feinde zu kämpfen bis auf den letzten
Blutstropfen.
„Was das Mädel heute für «ine
Zeit braucht, um sich umzuziehen!
Zum Donn«rwett«r, die ganze Freud«
wird mich wi«d«r verloren gehen." Er
nannte sie noch immer so im Innern:
sein „Mädel", sein „Tochting". Wäh
rend er, übertönt vom Straßenlärm
der Großstadt, diesen Stoßseufzer vor
Abends, die Wonne d«r Selbstständiz
zu sich nehmen w«iß seit wie
viel Jahren zum ersten Mal wieder—
und der Welt «inmal zeigen, was eine
Harte ist weiß Gott! Gingen sie
tanz«» nun, so ging er eben spie
len. Tanz und Spiel, das paßt zu
sammen. Und er läch«lte über seinen
dünnen, kleinen Witz und rieb sich die
Hände. Ja, der Humor war ihm noch
nicht ausgegangen, wenn es auch oft
genug im Hause danach war. Ueber
sein zerfurchtes, freundliches altes
Bonvivantgesicht glitt ein wehmüthi
ger Schimmer. Vagabonden kommen
eb«n nicht zur Ruh. Die müssen pil
gern durch dick und dünn, durch
Freud und Leid ohne Rast und
Ruh. Elegisch gestimmt wie er war
und doch mit seiner IleinenFreude „für
Ken mit nachdenklichem Gesicht. Wie
sich das vor der Einfahrt zum Winter
garten stockte und drängte, wi« sich die
Droschken zu dicken Knäueln ineinan
derschoben! Die konnte es nicht er
warten, diese seltsame Menschheit, zum
Ball« zu kommen. Aber er gönnte es
'h N Spielchen
die andern ihr Schäfchen scheeren. Die
Jungen tanzen, die Alt«n sitzen und
freuen sich über die Karten. Nur Rä
dern tanzt nicht, verflucht, d«r ist
ein müder Herr geworden, «in sehr
ausgetrockneter Grandseigneur! Papa
Schwarz«ns Auge flog mit scheuem
Blick hinüber zu seinem Schwieger
sohn. Die schwarze Galatracht eines
Gondoliere lag für ihn auf dem Sessel
bereit. Sie konnte an das Kleid ei
nes Todtengräbers erinnern. Bera
führt Colombinchen auf den Ball." Es
war «in seltsamer Gedanke, der Papa
Schwarz durch den Kopf fuhr, die
Erinnerung an «in gesehenes Bild.
Er schüttelte ihn ab. „Verflucht, ver
flucht, ich bin een Miesepeter gewor
den. Alles sehe ich schwarz. Das ist
die Unterdrücktheit. Sie lassen mir
nicht Luft und Licht. Sie haben mir
alles genommen. Mein Glas Absynth,
mein Spielchen, meine Lebenslust."
nend, sich reckend stand er da d«i
Wunsch in allen Glied«rn, so liege» zu
bleiben und sich auszuruhen bis in
all« Ewigkeit, und doch verpflichtet,
seine Frau heute Abend zum Balle zu
führen.
Vera machte sich persönlich nicht
viel aus dem Balle. Ihr Leben war
so reich an an Lichtge
nxnn si« zu den von derselben veran
stalteten Festen vollzählig erschienen.
Ihre Anwesenheit gab diesen beliebten,
öffentlichen Maskenbällen gleichsam
erst den pikanten Hintergrund.— Man
mußte sich schon selbst üb«rwinden.
Und fiele es noch so schwer, nachdem
man soeben den Abend als Amazone
Fetzchen und Schmuck, mit den«n sie ih
ren lustigen Anzug vervöllständigen
Iriollte. Eine leicht« Rothe lag auf ih
rem Gesicht wie ein Widerschein
dessen, daß diese Abgestorbenheit für
Ballfreuden, die si« sich ihrem Mann«
»Gefalle ich dir, du?"
seinen Kopf zu sich herniederzog.
Si« suhlte, daß er h«it«rer war, als
er während der ganz«n letzten Zeit ge-
War das die deutsch« Lust, die
machte sür diesen Schimmer wieder
kehrenden Glückes? „Ihn wärmt das
Glück deines heutigen Abends," sagte
eine zweite Stimme in ihr. „Geld,
ist"so geworden, daß sie aufsteigen od«r
sinken muß mit dein«» Triumph««.
Im Moment entfiel ihm da«. Ab«r
schon morgen wird er wieder grübeln
unbewußt von Neuem hassen und
quälen, als die Gebend«, als die,
von der er im Grunde abhängig ist."
Sie schüttelte die Stimme ab. Tie
wollte sich freuen heut«. Wollte nicht
denken im ewigen Kreislauf dieser
Logik.
„Und du. Vaterchen? WaS wirst
du anfangen heute Abend?"
hin.
„Ich, mein 01l Mächen? Ich,
als wie ich ich werde bei Bauer 'n
im Gedränge ariderrr Masken in dem
strahlend erhellten Vestibül. Papa
Schnxirz war frei!
Zum ersten Mal wieder seit vielen
Jahren betrat Vera «inen Ballsaal.
Ein Chaos sich drehender, wiegender
schen Hafenortes war mit großeinAuf
wand an Mitteln, viel Phantasie und
malerischem Effekt zur Anschauung
gebracht. Aber B«ra, die von Ita
liens sonniger Wirklichkeitsfchönheil
so viel und so oft getrunken hatte, sah
das armselig Erkünstelte dieser Welt,
die gemalte Bläu« und die gepappten
Häuser,
„Mir kann doch nichts mehr impo
niren auf diesem Stern," sagt« si« la
chend zu ihr«m Mann. „Es müßte
denn eine Portion Lachs mit Remou
ladensauc« sein. Sieh nur, der kleine
Cherubino hier speist welchen. Komm,
ich bin schrecklich hungrig. Laß uns
soupiren."
Mitternacht bereits da, das
Fest im besten Gange. Rings war «in
solches Gesumm und Gewirr, Geläch
ter, Gejohle und Kreischen, daß einem
Hören und Sehen vergeh«n konnte.
Die Masken, meist im eleganten Do
mino, hatten in der Hitze des Gefechtes
bereits di« fchw«r«n, seidenen Hüllen
gelüstet, man sah aus der Füll« duf
tig«! Spitzen entblößte Busen, runde
Arme, gepuderte Nacken hervorblitzen.
Diese Mädchen und Frauen, die der
Lebewelt angehörten, hatten aus ihr«»
verdrehen zu können. Di« Herren, bla
sirt und lüstern zu gleicher Zeit, meist
Leute der Finanz oder der Industrie,
standen waren, vom Comptoirsessel sich
erhoben hatten. Nur di« Minderzahl,
die Uneingeweihter«» unter ihnen,
hatten die Angelegenheit feierlicher ge
nommen und waren in Lackstiefeln, den
Chappeamlaque in der behandschuhten
Rechten tragend, erschienen. Ihnen, als
sozusagen vertrauenerweckenden Neu
crete TheU der Gesellschaft, dem es sich
Theil — jene Welt, die sich thatsächlich
ter den Pagen-, Ballet- und gefälligen
Griechenkostümen kurz, war so stil-
und skrupellos, wie die sogenannte Le
schem Geschmack in diesem Riesensaale
zeigte, in d«n Schatten stellte. Eine
große Kavalkade Herren umschloß de»
hübsche» Gassenjungen, dessen zwei
deutige Dreistigkeiten fortwährend
Lachsalven hervorriefen. Jumping-
Girl trug ihren königlichen Diamant
ren Hals umschnürenden Collier in
Gesten und Mienen betrug. Ein ent
zückend«! Straßenjunge, der die
breitet.
Auch Rosa, die einstige Prima Bal
lerina vom „Nouveau Cirque" war da,
und Vera «rinnerte sich des Abschieds
festes in Paris, der Fahrt in der Mai
lcoach, mit dem stummen, so zurück
haltenden Mädchen auf dem Vorder-
sitz. Wohin war Rosa im Laufe die
ser sechs oder sieben Jahre verschlagen
worden? An welchem Tingeltangel
ärmlichen kleinen Confectioneusen, die
zu den Bällen der Lebenxlt Freibillets
zu erhalten wiss«n, denen es aber zu
einem anständigen Maskenkostüm nicht
reicht, war sie im sogenannten „Gtsell
schastsanzug" erschienen: im schwarz
seidenen sitzend, von der
Rock, den sie tagsüber durch den
Schmutz und die des Friedrich
straße schleppte, und der überladenen
Bluse aus Crepe de chine und paille
tirtem Tasfet, leicht ergraut und fleckig
wie der Rock, und mit der Mignon-
Kette aus großen, imiiirten Wachsper
len, der Chatelaine und Lorgnon
schnur, an der «ine Anzahl Berl'oqueS
baumelten, aufdringlich wi« der
Schmuck eines Zigeunerweibes! Und
andere erblickte Vera, die rothblonde
Louise, „Lulu" genannt, und die kleine
die sie kannte, mit denen sie zusammen
ein Stück Cirkusleben zurückgelegt
hatte. Wie hatten die Jahre an ihnen
gerüttelt! Di« geschminkte» Gesichter
lonnten die Zeit, d«n langen hartnä
ckig«» Ansturm d«s Elends nicht Lü
gen strafen. In den künstlich vergrö
ßert«» Augen flackerte die Unruhe der
Müdigkeit, während die gemalten Lip
pen ihr stereotypes Lachen zeigten? die
Mundwinkel waren herabgezogen, er
schlafft vom Ueberdruß und der Nie
dergedrücktheit ungesehener Stunden.
Einzelne waren in Toiletten von blen
dender Pracht, ab«r Bera wußte, daß
die Hand des Executors, des unbe
zahlten Friseur», des drohendenHaus
wirths oder irgend eines kupplerischen
Weibes nach diesem Meisterwerk aus
gestreckt war. Andere wieder hatten
sich nicht die Mühe genommen, ihren
Verfall zu verbergen? sie waren trau
rige Masken, in den dürftigen Cosiii
men, die vor ihnen schon ungezählte
Dienstmädchen zu ihren Vorstadtbäl
len aus den billigen Maskengardero
ben erfeilscht hatten? in den Thiirni
schen standen sie thatenlos umher, di«
Papplarve in der Hand, die Augen su
chend ins Gewühl gerichtet, einzig
mit dem Gedanken an die Unkosten
dieses Abends beschäftigt und den et
waigen Retter, der diese zehn bis fünf
zehn Mark begl«ich«n würde.
Und das Elend dieser vielen Schwe
stern, di« gleich ihr vom Schicksal in
den Schaumarkt des Lebens hinausge
wirbelt wartn, schnürte V«ra das Herz
zusammen. Ja, die da standen und
hungerten und lauerten, sie waren fast
immer die besseren gewesen in dem
Kreise des Cirkusmädchen, der sich mit
jedem Jahr verjüngte, die Aelteren
Jugend griff. Sie alle fast waren
verkauft« Töchter hung«rnd«r Fami
lie», Ernährerinnen einer ganzen
Sippe —Gezwungene und Nieentschä
digte. Und Bera wünschte mit ihnen
zu sprechen, sich unter sie mischen zu
können, um ihnen zu sagen, daß sie
eine von ihnen sei. Eine unendliche
Bitterkeit erfüllt« ihr Herz, wenn sie
überlegte, daß sich im Grunde auch ihr
Schicksal schließlich nicht anders gestal
tet hatte. Diese aber halten wenig
stens die Freiheit. Etwas. viel
leicht das Höchste, war ihnen geblie
ben. Ihr aber? Durfte sie es wage»,
von diesem Tische aufzustehen? Durfte
sie hingehen zu ihren Colleginnen, ih
nen die Hände schütteln? War sie
nicht gebunden, angekettet, ein
gekeilt von Vorurtheilen, tausend
fach?
„Höre, Gorow. Laß mich einen
Augenblick dort hinüber. Dort steht
Sie brach ab und starrte ihn an.
In Sinnen versunken, ganz mit ihren
Betrachtungen beschäftigt, hatte sie
nicht bemerkt, daß er schon eine ge
lässen auftrat. „Du hast zu hastig ge
trunken —> der kalte Sekt" stieß sie
hervor. „Gorow Gorow! Warum
Aeficht, „Dieser Anfäll verflucht
„Daran geh' ich zu Grunde." flüsterte
er. „Bleib, setze dich. ich muß
an die Lust. Ich will hinüber nach
von der Plötzlichkeit dieses Anfalls,
gen lassen. Nun sah sie ihn aufrecht
durch die Menge gehen. Welche Be
herrschungStraft er befaß. Er mußte
furchtbar leiden, aufrecht gehend unter
ihm? dem 'Willensetfernen, hilflose
Schrei« «rpr«ßt«.
Sie saß wie betäubt. Noch nie hatte
sie einem seiner Anfälle so gänzlich
macht- und hilflos geg«niib«r g«sessen,
noch ni« f«in«m Leiden so unmittelbar
ins Gesicht gesehen. Unendlich«» Mit
leid mit ihm, mit sich, mit ihrer bei
te. ihre Leiden sich und andern einzu
gestehen, packle sie inmitten dieses Ge-
belnder Menschen. Annabella
indem Thränen ihren Blick »»schlei«
erten. „Müde wie ihr. Freudlos
und ohn« Zukunft. Ja für uns gibt
es kein Glück."
Und die Musik schm«tt«rt« und tob-
Es war ein Klappen und Dröhnen auf
dem Fußboden wie von d«n Hufen wil
d«r Pferde. Die Luft war warm und
überfüllt von Hitze und Staub, dem
Geflimmer des Goldpuders aus den
im Arme der Männer vergaßen die
fremden Wände mit den SiAangenlet
ten der papiernen Rosenguirlanden,
küßten und kreischt«n und bejubelten
das Knallen der Seitpfropfen mit ih
rem schrillen Gelächter. In der Mitte
des Saales galoppirte Jumping-Girl
über das Parkett, mit zerfetzter
Schleppe, am Arme eines grauköpfi
gen, vornehmen Herrn, dessen Greisen
anstrengungen ein Schmunzeln auf
den Gesichter» der Uebrige» wachrief.
Vera blickte stumm in den wilden
Tumult. Wann würde man auch sie
in ihrer Ecke ausfindig machen und es
versuchen, sie in den allgemeinen Stru
del mit hineinzuziehen? Ihre Augen
suchten unwillkürlich nach einem
menschlichen Gesicht. Plötzlich zuckte
sie zusammen, sprang auf und verließ
ihren Platz. „Weitu! Weitu!" rief
sie unterdrückt. „Mein Hott,
Weitu Maßwitz!"
Der Provinzler, der vor wenigen
Augenblicken in den Saal getreten
niellen Gehrock, dem selten gebrauchten
Cylinder und den hellgelben Handschu
hen dieser frische, rosige, gesundheit
strotzende Herr, dem man den Land
wirth auf hundert Schritt Entfernung
blieb stehen. Wer rief ihn? Wer kannte
ihn hier bei Namen? Er war doch
gänzlich fremd hier, erst heute mit dem
Abendzuge angekommen. Ein leich
ter Schreck durchfuhr ihn. trieb ihm
das Blut zu Kopfe. —Er war mit sei
ner Gattin hier m der Millionenstadt,
quasi auf d«r verspäteten Hochzeits
reise. Seit einem halten Jahre war
er Ehemann, sozusagen glücklicher,
—wenn er auch mal hierher abschwenk
te, um sich die Affaire einmal anzuse
hen. Sollte etwa tonnte
noch vom vorigen Jahr her, wo er
hier zum Maschineiimarkt weilte?
Mit ungewissem Ausdruck wandte
er sich um. Von diesen kleinen Mäd
chen hier, die in einem dichten Knäuel
hinter seinem Rücken standen, konnte
es keine gewesen sein. Da fühlte cr
«ine Hand auf feinen Arm. Ein paar
Augen starrten ihn ungläubig an.
„Weitn! Bist du's d«nn wirklich?
Wirklich?"
Es war seine Cousine Vera, die vor
ihm stand. Im ersten Augenblick er
kannte er sie fast nicht. Angesichts der
fremden, italienischen Tracht, der Pe
rücke dunkler Locken mußte er sich erst
besinnen. Wie schmal war ihr Ge
sicht geworden? selbst er, der ein schlech
ter sdeuter war, bemerkte
auf diesen Ball?"
„Und du!" sagte sie, in Freude über
das Wiedersehen strahlend. „Du bist
außer dem, was an den Anschlagsäu
le» stand. Also richtig Freifrau
bist du geworden und noch immer
zu Pferde. —Na und wie geht e»
01l Taoteken Betty? Und kin
Mann! Ja sage mal dein Mann!"
Sie hatte ihn mit sich gezogen, ohne
auf seine vielen, suchenden Fragen zu
antworten, an ihren Platz, in ihre ver
deckte Nische.
„Komm, Weitu. Setze dich. Wir
sein heute, hörst du das ver
sprichst du mir. Nein, ist es denn
wirtlich wahr?"
Sie staunte noch immer zu ihm hin,
dem großen, rothwangigen Bur
schen aus ihrer Kinderzeit, der völlig
unverändert, in seiner prallen Gesund
heit und Jugendfrisch« vor ihr faß,
als habe er die sieben Jdhre mit einem
einzigen Jungensprunge überwunden,
während sie selbst sich ein« so ganz an
ders Geworden« fühlt«.
„Also du bist mir nicht mehr böse?"
fragte er treuherzig, indem er ihr die
Hand über den Tisch reichte.
„Böse?" da ls h d
weißt schon. Oder hast du ganz
vergesse», wie wir auseinander gingen?
„Damals!" sie lachte auf. Vor sie
ben Jahren! Er nannte es „da
mals". In ihrer Erinnerung lag es
unveHessen. Aber welch ein Leben war
darüber hingefegt! Ueber diese kleine,
traurig« Episode mit d«m ersten Kuß.
(Fortsetzung folgt.)
Trüb« Aussichten. Rei
che alte Tante: „Robert, ich werd« mei
nen letzten Willen aufsetzen. Ich den
ke, ich lasse euch —' „Wirklich,
Tante?" „Ich lasse euch noch lange
nicht allein.
Für die Küch:.
recht derbes Rindfleisch wird zwei Ta
ge lang in saure Milch gelegt, sodann
ordentlich abgewaschen und in eine»
mit Deckel versehenen Bratpfanne oder
in einem mit Butter.
Speck, Ge!-7°'?2 und Lorbeerblatt 3t
Stunden lang tüchtig geschmort. Zu
letzt kommen ein paar voll saure
Sahne daran.
Leberspätzchen. Man häutet
ei» halbes Pfund Leber, sondert alles
Faserige davon ab. reibt oder schabt sie
sehr fein nebst etwas Zwiebeln und Pe
tersilie und Majoran. Das Gehackte
giebt man in einen gutenSpätzchenteig.
Die fernere Bereitungsart ist ebenfallZ
wie die der gewöhnlichen Spätzchen.
Man bestreut sie wie jene mit in Butter
gelb gerösteten Bröseln und reicht sie zu
Kartoffeln-Flin fen. Rohe
Kartoffeln w«rden gerieben, mit etwas
koch«nder Milch gebrüht und wenn die
Kartoffel» abgekühlt sind, einige Löffel
Mehl daran gerührt, so daß es ein
Teig wird, den man nach Bedarf salzt.
Derselbe wird im Eierkuch«ntiegel ii»
abgefetzten, breitgedrückten kleinen
Brötchen in halb Schweinefett, halb
Butter gebacken, bis die Brötchen auf
beiden Seiten braun find. Man giebt
sie zum Thee oder als Beilage zu, Bra
ten.
Kartoff elirmit'Rah mund
gerösteter Zwiebel. Ma.i
wäscht und schält die Kortoffeln, schnei,
det sie in fingerdicke Scheiben und tocht
diese in Wasser halb weich. Dann setzt
man nach Verhältniß der Kartoffel?
guten Rahm auf's Feuer und thut, so
bald er tocht. die Kartoffeln mit denr
nöthigen Salz hinein, wobei darauf
zu cchtiir ist, daß sie nicht zu weich wer
den. Man giebt die Kartoffeln zu Co
telette und Lendenbraten und reicht in
Butter geröstet« Zwiebeln extra dazu.
Rothkohl auf neu« Art.
Der Rothkohl wird mit Essig gebrüht,
nachdem er wie gewöhnlich gehobelt ist,
man wäscht ih" >nit kaltem Wasser ab,
letzt Schmalz hinzu, gießt etwas Brühe
an und dämpft ihn in dieser Flüssigkeit
durch. Dann wird ein Apfel, Zucker
nach Geschmack, «in Viertel Pfund
Johannisbeergelee auf 1 Kopf Roth
kohl, etwas Rothwein, Paprika und
Salz daran gegeben und das Gemüse
zu Röstwürstchen oder klein« Schwei»
neschnitzeln, auch zu Gänsebraten ser
virt.
KalbsleischmitMajoran.
Ein Stück Kalbsbrust od«r -Schulter
wird mit kochendem Wasser aufgesetzt,
abgeschäumt, g«falzen und weichge
kocht, wobei die Brühe etwas kurz ein
kochen kann. Dann nimmt man das
Fleisch heraus, gießt die Brühe durch
ein Sieb, dünstet zwei Löffel Mehl in
indem man einen Theelöffel Majoran
kraut mitkochen läßt. Das Fleisch
wird in Stücke geschnitten und in der'
Sauce warm gemacht, dann zusammen
angerichtet.
Tauben auf Wildbretart.
Junge Tauben, gut hergerichtet, reibt
man mit Salz und ein wenig Pfeffer
ein und legt sie mit einigen Zwiebel
scheiben, «iner Zitronenscheibe, gelber
Rübe, Wurzelwerk, einem Lorbeerblatt,
zwei Nelken, zwei Wachholderbeer-n
zwei bis drei Tage in Essig. Nu,»
setzt man die Tauben, indem man ihnen
Vit Kartoffelmus oder gemischtem Sa
<Nemüsefuppe. Für 6 Perso
nen giebt man Ii Quart Wasser auf's
Feuer, schält und wäscht k—B Kar
toffeln mittlerer Größe, reinigt und
des Wasser zu.
auf, läßt dieses braun werden und
giebt «s recht h«iß zu Tische. Zur Farce
nimmt man z. B. gekochtes oder gebra
— 'D'e i Schneider? Rache
„Wie kommt es denn. Herr Fips, dal
Ihn« der Schenttellner imma d
Maß g'hörig voll schänkt?" „IH
schauen S', H«rr Nachbar, i hab' eahn
a' Zeitlang d' Hosen an' stets um
Quartl zu kurz g'wacht, «nd dös Hot 3